Die Quelle der Seelen - Richard Doetsch - E-Book

Die Quelle der Seelen E-Book

Richard Doetsch

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Beschreibung

Der Diebstahl eines Gemäldes war ein Routinejob für Michael St. Pierre - bis jemand seine Auftraggeberin ermordet hat. Nun ist Michael auf der Flucht. Er hat auf der Rückseite des Gemäldes eine Karte entdeckt, die zu einem sagenumwobenen Artefakt führt: der "Quelle der Seelen". Sie besitzt unvorstellbare Kraft und richtet in falschen Händen schreckliche Zerstörungen an. Michael muss das Relikt vor seinen Feinden finden. Doch Die Quelle der Seelen befindet sich an einem sicheren Ort: in einem Labyrinth unterhalb des Kremls ...

»Ein absoluter Geniestreich. Richard Doetsch ist zweifellos einer der besten Thriller-Autoren aller Zeiten!« BOOKLIST

Die spannende Mystery-Thriller-Reihe um Meisterdieb Michael St. Pierre für alle Fans von Dan Brown und James Twining:

Band 1: Der dunkle Pfad Gottes
Band 2: Die Quelle der Seelen
Band 3: Der Dieb der Finsternis
Band 4: Die Legende der Dunkelheit

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Italienische Dolomiten

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

Kapitel 73

Kapitel 74

Danksagungen

Über den Autor

Weitere Titel des Autors

Impressum

 

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Über dieses Buch

Der Diebstahl eines Gemäldes war ein Routinejob für Michael St. Pierre – bis jemand seine Auftraggeberin ermordet hat. Nun ist Michael auf der Flucht. Er hat auf der Rückseite des Gemäldes eine Karte entdeckt, die zu einem sagenumwobenen Artefakt führt: der »Quelle der Seelen«. Sie besitzt unvorstellbare Kraft und richtet in falschen Händen schreckliche Zerstörungen an. Michael muss das Relikt vor seinen Feinden finden. Doch die Quelle der Seelen befindet sich an einem sicheren Ort: in einem Labyrinth unterhalb des Kremls …

RICHARD DOETSCH

DIEQUELLE DERSEELEN

Aus dem Englischen vonDiana Beate Hellmann

Für Virginia,meine beste Freundin.

Ich liebe dich von ganzem Herzen.Wenn ich dich in den Armen halte und spüre, wie du meine Umarmung erwiderst, erlebe ich Augenblicke der Klarheit und Vollkommenheit.

Ich bin zu Hause.

Danke, dass du uns ein Leben schaffst,

Italienische Dolomiten

Mit ihren schneebedeckten, schroffen Gipfeln streben sie zum Himmel und blicken majestätisch hinunter auf das Tal von Cortina in den italienischen Alpen. Die Belluneser Dolomiten sind wie ein gewaltiger, mehr als fünfzig Kilometer langer Schatten am Horizont, der das Tal wie mit einer Decke verhüllt und der letzten schwachen Strahlen der Mittwintersonne beraubt.

Die Hütte stand am Fuße des Berges. Ihre Wände bestanden aus Baumstämmen, die in den umliegenden Fichtenwäldern abgeholzt worden waren, und ihr Strohdach war wasserundurchlässiger als jede moderne Konstruktion. Abgesehen von kleineren Reparaturen war an der Hütte seit hundertfünfzig Jahren nichts verändert worden. Die rustikale Einrichtung war aus Holz, das aus heimischen Fichtenwäldern stammte, und auf das Nötigste beschränkt. Es gab keinen modernen Komfort: Wasser kam aus einem Brunnen, Wärme aus einem großen Kamin, Licht aus alten Öllampen. Nichts ließ darauf schließen, dass man das einundzwanzigste Jahrhundert schrieb, hätten nicht auf dem Esstisch das Satellitentelefon und der Laptop gestanden. Der Bildschirm war aufgeklappt und zeigte ein Portfolio bei einer Bank in Luxemburg.

Genevieve Zivera saß vor dem Laptop und prüfte ihre Konten mit der Präzision eines Uhrmachers. Dabei stellte sie bei jedem ihrer Konten das Gleiche fest:

Es war leergeräumt.

Auf der Nordseite des Tales kämpfte der Mann sich sechs Kilometer bergauf. Seine Schneeschuhe trugen ihn über den fast einen Meter tiefen Pulverschnee. Der Ostwind ließ den Mann frieren, verwehte praktischerweise aber auch seine Spuren. Sein Körper war unter einem weißen, gefütterten Overall verborgen, und den Rucksack hatte er sich fest auf den Rücken geschnallt, um mehr Halt zu haben. Sein Atem kondensierte zu weißen Wölkchen und bildete kleine Eiszapfen in seinem dichten Bart. Sein langes schwarzes Haar lugte unter seiner weißen Wollmütze hervor und wehte im stetigen Wind, der immer stärker wurde. Der Mann machte keinen Halt auf seinem dreistündigen Marsch durch den Winterwald, erreichte schließlich die Baumgrenze und trat auf eine Lichtung unterhalb des grauen, schartigen Gebirgsmassivs. Er hatte seinen Aufstieg zeitlich perfekt geplant – die Sonne ging gerade unter; so würde ihm genug Zeit bleiben, seine Arbeit zu tun und im Schutz der Dunkelheit zu entkommen. Gefahren wie akute Unterkühlung oder völlige Erschöpfung, sogar der Tod verblassten neben der Gefahr, geschnappt zu werden. Niemand durfte je erfahren, was er hier getan hatte.

Die Hütte war für Genevieve zu einem Zufluchtsort geworden. Sie war bereits vor längerer Zeit hierher geflohen, um den Kopf freizubekommen. Hier, in der völligen Abgeschiedenheit, gab es keine unliebsamen Ablenkungen, die sie zum Grübeln verleiteten.

Manchmal jedoch wanderte sie durch die Gebirgslandschaft, geplagt von Angstzuständen und dem Gedanken an scheinbar unüberwindliche Probleme. Doch bisher war sie noch jedes Mal mit Antworten und neuer Entschlossenheit von der Hütte heruntergekommen. Es war stets wie eine Wiedergeburt, eine Erneuerung ihres Geistes und ihrer Seele und eine Wiederentdeckung der Hoffnung.

Jetzt war sie seit drei Tagen hier und hatte wieder einmal sämtliche Probleme gelöst – bis auf eines, das sehr viel größer war, als sie sich je hätte vorstellen können.

Genevieve weigerte sich, der Forderung eines gefährlichen Mannes nachzugeben und ihm zu beschaffen, was er verzweifelt suchte. Der Mann hatte es mit Charme versucht, mit Geld, mit Überredungskunst und versteckten Drohungen, doch Genevieve hatte allem standgehalten. Nun aber nutzte er seinen Einfluss und seine Macht, um ihr Leben zu zerstören – ohne Rücksicht auf die Menschen, die darunter zu leiden hatten. Er vernichtete sogar ihre finanziellen Mittel.

Als Genevieves Bankkonten leer waren, schloss man ihr privat geführtes Waisenhaus. Die Kinder wurden jäh auseinandergerissen und verstreut in der Welt der anonymen staatlichen Fürsorge.

Aber Genevieve hatte sich immer noch nicht beugen wollen.

Da kam der Mann zu ihr, mitten in der Nacht. Er durchwühlte ihr Haus, und als er nicht fand, wonach er suchte, brannte er es nieder.

Genevieve stand vor dem finanziellen und körperlichen Ruin. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie nicht mehr konnte. Denn der Mann jagte sie weiter, unerbittlich und gnadenlos.

Als der Bärtige den letzten Sprengsatz in die Felswand schob, hörte es für einen Moment zu schneien auf, und der Vorhang aus Wolken teilte sich, um einen Streifen blauen Himmelsfreizugeben. Der Bärtige blickte hinunter ins Tal, das von den letzten Strahlen der Abendsonne in goldenes Licht getaucht wurde. Der Blick reichte bis zum Horizont, und die Welt schien friedlich und rein, eine unverfälschte Wildnis. Abgesehen von der kleinen Hütte in einiger Entfernung gab es kein Zeichen von Zivilisation, so weit der Blick reichte.

Dann wurde der Wind wieder stärker, und der Vorhang aus Wolken schloss sich. Dunkelheit legte sich über das Land, und der Schneefall setzte wieder ein, heftiger als zuvor.

Der Mann packte seine Sachen zusammen und blickte auf seine Armbanduhr. Dann zog er ein kleines Gerät aus seinem Rucksack und hielt es ungeschickt in den Händen, die in dicken Handschuhen steckten. Er drehte so lange an dem kleinen Timer, bis die roten Leuchtziffern 20:00 anzeigten, und drückte auf einen Knopf an dem Gerät. Sekunden später glühte es im Felsgestein in Abständen von jeweils zwanzig Metern rot auf, als die sieben Sprengsätze nacheinander explodierten.

Der Mann warf einen letzten Blick auf die Hütte; dann machte er sich auf den Rückweg über den Berggrat.

Genevieve hatte Angst. Es war nicht die Furcht, gefasst zu werden oder gar die Angst vor dem Tod, sondern die Furcht, der Mann könne den Gegenstand finden, nach dem er suchte und von dem er glaubte, er stehe ihm zu. Diesen Gegenstand konnte man mit Geld nicht bezahlen, und der Mann würde vor nichts zurückschrecken, um ihn an sich zu bringen.

Doch gerade dieser Mann durfte den Gegenstand und das damit verbundene uralte Wissen nicht besitzen – ein Geheimnis, das sehr lange vor der Welt verborgen gewesen war. Aber Genevieve kannte den Mann. Sie wusste von den Gräueltaten, die er begangen hatte, und von der Gewalt, die er an den Menschen verübt hatte, die ihm am nächsten standen, um seinen unstillbaren Ehrgeiz und seine Gier zu befriedigen.

Genevieve hatte keinen anderen Ausweg gesehen, als ihren Freund um Hilfe zu bitten. Im Grunde hatte sie ihn sogar gebeten, das Unmögliche zu tun. Es verstieß gegen ihre moralischen Grundsätze, doch sie wusste, dass manchmal Böses getan werden musste, um noch Böseres zu verhindern.

Sie hatte nichts, womit sie ihren Freund hätte bezahlen können, nichts von Wert jedenfalls. Alles, was sie noch besaß, waren Worte.

Hoffentlich genügte das. Sie brauchte seine Hilfe dringend. Denn es gab Geheimnisse, die niemals offenbart werden durften, sondern auf ewig bewahrt werden mussten.

Der eisige Nachtwind heulte, und ein Schneesturm brach los, der die zerklüfteten Berge unter einer frischen weißen Decke begrub. Tiefe Stille trat ein, als der weiche Pulverschnee die wenigen Geräusche schluckte, die von den Bergen widerhallten.

Und dann, ohne jede Vorwarnung, zerriss Donner die Stille der Nacht, als in den kargen Felsen der Belluneser Dolomiten mehrere Explosionen krachten. Fels, Eis und Schnee stürzten in die Tiefe. Das Rumoren wetterte zwischen den Bergen wider und wurde mit jeder Sekunde lauter. Es klang wie ein heranrasender Zug.

Als die Woge aus Schnee und Eis den Berg hinuntertoste, wobei sie alles mit sich riss, was ihren Weg kreuzte, erwies es sich als Glücksfall, dass dieser Teil der Gebirgslandschaft nie erschlossen worden war. Es gab keine Dörfer im Auslauf der Lawine, keine Skiläufer, die sich in Sicherheit bringen mussten. Es gab nur eine schlichte, hundertfünfzig Jahre alte Holzhütte.

Und die würde niemand vermissen.

Kapitel 1

So schnell er konnte, rannte Michael St. Pierre die Rue de Mont Blanc in Genf hinauf.

Es war zwei Uhr morgens an einem Donnerstag. Der Schnee des Spätwinters kam unerwartet von den Höhen der Berge und bedeckte die ohnehin rutschigen Straßen der Stadt mit einer frischen Schneedecke. Die Gebäude, die aussahen wie aus einem Märchenbuch, deren leuchtende Farben jetzt aber von der Dunkelheit verschluckt wurden, zogen an Michael vorüber, während er rannte, so schnell er konnte. Erst vor einer Minute hatte er seine behagliche Unterkunft verlassen, und schon hatte er von der Kälte kein Gefühl mehr im Gesicht. Seine blauen Augen tränten, jede Schneeflocke stach wie eine Nadel, und der frostige Nachtwind zerrte in seinem braunen Haar.

Die schwere schwarze Tasche, die er auf dem Rücken trug, drohte ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, als er in die schwach beleuchteten Straßen der Stadt einbog und Abkürzungen durch leere Gassen nahm, um in die Altstadt zu gelangen. Er war eins mit den Schatten. Sein dunkler, eng anliegender Overall verschmolz mit der Dunkelheit, während sein angestrengtes Keuchen von den Hauswänden widerhallte.

Endlich erreichte Michael die Rückseite des Hauses Nr. 24 in der Rue de Fleur. Das unscheinbare fünfstöckige Gebäude schien über Nacht leer zu stehen. Doch Michael wusste, dass die kostbarsten Dinge oft hinter Unscheinbarem versteckt wurden.

Da der Schneefall allmählich nachließ, grub Michael die Finger in die Ritzen zwischen den Granitblöcken, prüfte, ob er ausreichend Halt hatte, und war dankbar für seine geriffelten Handschuhe, die ihm zusätzliche Griffsicherheit verschaffen konnten. Er blickte hinauf zum Dach. Wegen der Schneeböen entstand der Eindruck, als führe der Aufstieg in eine gespenstische weiße Hölle.

Michael konzentrierte sich, ließ sich von nichts ablenken. Ihm blieb nicht viel Zeit, bis das Feuerwerk begann. In weniger als einer Minute musste er ihren letzten Wunsch erfüllt haben, sonst gab es keine Chance mehr.

Michael zog den Rucksack straff und machte sich an den Aufstieg.

»Nascentes morimur. Mit unserer Geburt beginnt unser Sterben«, sprach der Priester, und der Wind wehte ihm sein dunkles Haar in die Stirn. Er war hochgewachsen, mit breiten Schultern. In seinen kräftigen Händen hielt er einen Rosenkranz. Pater Simon Bellatori sah eher wie ein ergrauter Armeeoffizier aus, nicht wie ein Geistlicher, und seine tiefe Stimme wäre besser geeignet gewesen, Befehle zu erteilen, als Segnungen zu sprechen. »Manche halten den Körper für ein Gefängnis, das uns an unsere sterbliche Hülle fesselt, während unsere Seelen unsterblich sind und darauf warten, vom Fleisch erlöst zu werden in der Hoffnung auf das Himmelreich. Denn dort ist das ewige Leben, und dort wird unsere Schwester Genevieve nun für immer wohnen.«

Die kleine Gruppe stand auf einem historischen Friedhof vor den Toren Roms. Der graue italienische Winter ließ Michael frösteln, und er blickte zur Stadt, wo in der Ferne die Kuppel der Peterskirche zu sehen war. Er senkte den Kopf, als er am Grab stand und den Gebeten lauschte, die sein Freund, der Pater, sprach. Während die wenigen anwesenden Trauergäste kleine Missalen und Gebetskarten in den Händen hielten, umklammerte Michael mit festem Griff einen Manila-Umschlag. Dieser Umschlag war mit einem blauen Kreuzzeichen blasoniert und auf den Tag genau vor einer Woche angekommen …

Sie saß auf der Treppe seines Hauses und streichelte Michaels Hunde, Hawk und Raven, die sie mit ihrem üblichen Gebell begrüßt hatten.

»Guten Morgen, Schlafmütze«, sagte Genevieve und blickte mit einem warmen Lächeln zu ihm auf. Sie trug einen langen weißen Mantel und hatte ihr dunkles Haar zu einem Knoten aufgesteckt. Ein einreihiges Perlenarmband lag um ihr Handgelenk, und ein antikes Kreuz schmückte ihren Hals. Sie war gebildet und kultiviert, was Michael noch fröhlicher lächeln ließ, als er auf sie hinunterblickte und beobachtete, wie sie mit seinen beiden Berner Sennenhunden kuschelte.

»Wenn ich gewusst hätte, dass du kommst …«

»Hättest du dich dann rasiert und das Haus geputzt?«, erwiderte Genevieve lachend und mit ihrem leichten italienischen Akzent.

Der Tod von Michaels Ehefrau hatte Genevieve und Michael zusammengeführt. Pater Simon Bellatori aus dem Vatikanischen Archiv hatte Genevieve geschickt, um Michael das Mitgefühl des Vatikans und das persönliche Beileid des Papstes zum Tod von Mary St. Pierre auszusprechen.

Dass Genevieve ein Waisenhaus gehörte, war mehr als eine Ironie des Schicksals. Es war kein Zufall, dass Pater Simon sie geschickt hatte. Michael war seit seiner Geburt Waise, und obwohl er von liebenden Eltern adoptiert und großgezogen worden war, fühlte er sich allen Menschen verbunden, die ein ähnliches Schicksal erlebt hatten wie er selbst.

Die Beziehung zwischen Genevieve und Michael war über die letzten sechs Monate enger geworden. Für Michael war Genevieve wie eine große Schwester. Sie verstand seine inneren Qualen, seinen Schmerz. Wenn sie ihn tröstete, tat sie es stets mit knappen Worten und ohne jede Schwülstigkeit, denn sie wusste, dass jeder Mensch Verluste auf seine ganz eigene Weise erlebte und auf ganz persönliche Art trauerte. Und nie verurteilte sie Michael wegen seiner kriminellen Vergangenheit, sondern stellte sich auf den Standpunkt, dass ungewöhnliche Begabungen Segen und Fluch zugleich sein konnten und dass der Mensch sich dadurch definierte, wie er diese Begabungen nutzt. Genevieves Einstellung zum Leben war positiv, egal unter welchen Umständen. Sie fürchtete sich vor nichts und niemandem und besaß die Gabe, selbst in der finstersten Seele irgendetwas Gutes zu entdecken.

»Tja, hier sitzen wir nun«, sagte Michael. »Nicht gerade Nachbarn, wenn man bedenkt, dass Byram Hills sechstausend Kilometer von hier entfernt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du den ganzen Weg gekommen bist, um dir meine Schneefräse auszuleihen.«

Genevieve lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich muss dich um etwas bitten.«

»Was immer du brauchst.«

»Antworte mir nicht sofort. Überdenke erst, was ich dir jetzt sagen werde.«

»In Ordnung«, erwiderte Michael verwirrt, als er das Zögern in ihrer Stimme hörte.

»Es gibt da ein Gemälde«, sagte sie. »Ein Kunstwerk, das schon sehr lange meiner Familie gehört. Es ist eine von nur zwei Arbeiten eines relativ unbekannten Künstlers. Ich dachte, das Bild sei verschwunden, aber kürzlich habe ich erfahren, dass es auf dem schwarzen Markt aufgetaucht ist. Dieses Gemälde enthält ein Familiengeheimnis, dessen Enthüllung schwerwiegende Folgen haben könnte.« Genevieve hielt einen Moment inne und begann wieder, Hawk zu streicheln. Dann fuhr sie fort: »Es ist nicht so, dass ich das Bild zurückhaben will. Ich möchte, dass es vernichtet wird, bevor die einzige Person es erwerben kann, in deren Besitz es niemals gelangen darf.«

Michael begriff, dass sie ihn bat, in ihrem Auftrag ein Verbrechen zu begehen. Er blickte auf den Briefumschlag, auf das blaue kreuzförmige Zeichen in Genevieves Familienwappen. Der Augenblick dehnte sich endlos, denn die Kälte des Morgens kroch ihm langsam in die Knochen.

»Ich werde gejagt, Michael, weil ich das Geheimnis dieses Kunstwerks entschlüsseln soll.«

»Was meinst du mit ›gejagt‹?«, fragte Michael und setzte sich auf.

»Der Mann, der versucht, an das Gemälde heranzukommen, kennt keine Gnade und macht vor nichts Halt, um sein Ziel zu erreichen. Kein Menschenleben ist ihm wichtig genug, keine Tat zu gottlos. Er ist verzweifelt. Und wie ein gefangenes Tier seine eigenen Gliedmaßen abnagt, um zu entkommen, kennt er kein Maß, kein Ziel und keine Grenzen. Der Ausweg, den er sucht – der Weg, den das Gemälde ihm weisen wird –, führt in den Tod.«

»Woher weißt du das?«, fragte Michael. Mitgefühl lag in seiner Stimme, doch keine Skepsis. »Woher weißt du, dass du keine voreiligen Schlüsse ziehst? Wer könnte so kaltblütig sein, einen anderen Menschen zu jagen wie ein wildes Tier?«

»Der Mann, von dem ich spreche … der Mann, der mich jagt«, Genevieve blickte Michael an, und er konnte den Schmerz in ihren Augen sehen, »ist mein eigener Sohn.«

Michael ließ diese Worte auf sich einwirken, ohne Genevieve aus den Augen zu lassen. Ihr Blick, sonst immer so fest und zuversichtlich, war jetzt verzweifelt und irrte umher wie der eines Kindes, das sich verlaufen hat.

Schließlich öffnete Genevieve die Messingschließe ihrer hellbraunen Ledertasche, griff hinein und zog ihre Autoschlüssel heraus. Sie stand auf und klopfte sich den Staub vom Mantel. Allmählich gewann sie ihre Fassung wieder.

Auch Michael erhob sich und schaute sie an. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

Genevieve beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Sag gar nichts. Ich schäme mich, dich um so etwas zu bitten.« Sie legte den Manila-Umschlag in Michaels Hand. »Ich könnte verstehen, wenn du ablehnst. Im Grunde hoffe ich es sogar. Es war dumm von mir, dass ich hergekommen bin.«

»Genevieve, ich …«, begann Michael.

»Ich rufe dich in einer Woche an«, fiel sie ihm ins Wort und drehte sich um.

Michael beobachtete, wie sie über den verschneiten Bürgersteig zu ihrem Wagen ging, einstieg und wegfuhr.

Während der nächsten Tage machte Michael sich immer wieder Gedanken über Genevieves Bitte. War es eine Überreaktion gewesen? Eine paranoide Reaktion darauf, dass sie sich in ihrer Mutterliebe verraten fühlte? Die Verzweiflung in ihren Augen passte gar nicht zu ihrem Wesen. Obwohl Michael verstandesmäßig seine Zweifel hatte, stellte er Genevieves Motive nicht in Frage: Was immer es mit diesem Gemälde auf sich hatte – Genevieve glaubte fest an seine Bedeutsamkeit.

Ihr Anliegen setzte Michael aber auch aus anderen Gründen schwer zu. Sie hatte ihn gebeten, in eine Welt zurückzukehren, die er seit Marys Tod nicht mehr betreten hatte. In ein Leben, das er aufgegeben hatte zum Gedenken an eine Ehefrau, deren moralische Grundsätze unerschütterlich gewesen waren. Außerdem waren Michaels körperliche Fähigkeiten eingerostet, und sein Verstand war nicht mehr so scharf wie früher. Und Genevieve bat ihn ja nicht nur darum, ein Gemälde zu stehlen – er sollte obendrein dafür sorgen, dass es nie wieder in den Besitz ihres Sohnes gelangen konnte, indem er das Kunstwerk vernichtete …

Drei Tage später griff Michael zum Telefon, um die Sache zu besprechen und Genevieve den gleichen seelischen Beistand zukommen zu lassen, den sie ihm hatte zuteilwerden lassen. Seine höfliche Absage wollte er sich für den Schluss aufheben. Sie hatte ihn gebeten, in eine Kunstgalerie einzubrechen, die nur auf dem schwarzen Markt existierte. Doch selbst wenn es ihm gelang, diese Galerie ausfindig zu machen – es würde fast unmöglich sein, dort einzudringen.

Doch Genevieves Telefon war nicht mehr angeschlossen. Sofort rief Michael bei Simon an.

Er brauchte dessen Worte gar nicht zu hören. Es war der Klang in der Stimme seines Freundes, der alles sagte.

Genevieve war tot.

Die Firma Belange war eine Legende in der Kunstsammlerszene. Ein Unternehmen, das mit Schwarzmarkt-, Graumarkt- und gar nicht auf dem Markt befindlicher Ware für den gehobenen Geschmack und Geldbeutel handelte. Gemälde und Skulpturen, Juwelen und Antiquitäten. Kostbare Stücke, von denen man glaubte, sie existierten nicht mehr.

»Belange« war der Deckname von Killian McShane. Sein Unternehmen war ein Einmannbetrieb. Seine zehn Filialen in der Schweiz und in Amsterdam waren elegante Geschäftshäuser, deren Mieter vorwiegend für die Finanzwelt tätig waren. McShane hatte in jedem Haus ein Büro im Kellergeschoss, besuchte jede Filiale aber nur zweimal im Jahr. Er fungierte als Schleichhändler von Kunstschätzen, die als verschollen galten, und erhob auf seine Transaktionen eine Gebühr von 15 Prozent. Die Geheimhaltung, zu der er sich verpflichtete, wurde nur noch übertroffen von seinen Sicherheitsvorkehrungen.

Auch in der Rue de Fleur 24 waren die Sicherheitseinrichtungen hochkarätig. Rund um die Uhr standen drei Männer Wache – am Haupteingang, in der Lobby und auf dem Dach. Diese Männer waren keine Schlägertypen, die vom Bodyguard bis zum Rausschmeißer sämtliche Jobs übernahmen, solange man sie dafür bezahlte – sie waren Topleute. McShane beschäftigte ausschließlich Männer, die früher im Dienst der Militärpolizei gestanden hatten, professionell geschult waren und über die erforderlichen Fähigkeiten verfügten, bei seinen Transaktionen den besten Schutz zu gewähren. Die Männer wurden nur eingestellt, wenn sie über zwei große Talente verfügten, Zielerkennung und Treffsicherheit, und sie waren angewiesen, nicht zu zögern, ihre Fähigkeiten einzusetzen, wenn sie es für erforderlich hielten.

Auch die elektronischen Sicherheitsanlagen waren auf dem neuesten Stand. Jedes Kunstobjekt, das den Besitzer wechseln sollte, wurde unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen in das neutrale Gebäude geschafft und in einem vollklimatisierten Kellerraum ausgestellt, wo es begutachtet werden konnte, ehe die Verhandlungen begannen. Keiner von McShanes Verhandlungspartnern wusste um die Identität der anderen Partei, denn McShane blieb stets anonym und arbeitete durch Mittelsmänner. Die Zahlung erfolgte grundsätzlich über Inhaberpapiere, wodurch unangenehme Datenspuren wie beim Bankverkehr vermieden wurden. Die Inhaberpapiere wurden ausgeliefert und vierundzwanzig Stunden festgehalten, um ihre Gültigkeit zu überprüfen. Nach Ablauf dieser Frist wurden die Gelder und das Kunstwerk der jeweiligen Partei überlassen, ohne dass es einen Beweis gab, dass die Transaktion überhaupt stattgefunden hatte.

Das sexuelle Feuerwerk begann wie geplant – die perfekte Ablenkung, die den Blick auch des unerschütterlichsten Wachmanns von seiner Pflicht weglockte. Auf dem angrenzenden Dachgarten eine Etage tiefer trafen zwei Damen des horizontalen Gewerbes in Begleitung eines zwanzigjährigen Studenten ein. Ohne Rücksicht auf die kalte Nacht zogen sie ihre Pelzmäntel aus und enthüllten ihre nackten, vollkommenen Körper. Sie schalteten einen Gettoblaster ein, aus der Techno dröhnte, und zogen dann eine Show ab für den einsamen Voyeur, der auf dem zugigen Dach auf der anderen Seite der Gasse auf Posten stand.

Ohne dass der abgelenkte Wachmann es bemerkte, glitt Michael über die Brüstung. Er war an der Fassade des fünfstöckigen Geschäftshauses hinaufgeklettert, wobei die Granitblöcke ihm perfekten Halt für Finger und Zehen geboten hatten. Hinter der Wand des Fahrstuhlschachts konnte er sich verstecken, öffnete lautlos seinen Rucksack mit dem Handwerkszeug und zog ein Kernmantel-Kletterseil heraus, das er sicherte, um sich anschließend schnell von hier absetzen zu können. Er platzierte zwei große Magnete am oberen und unteren Rand der Tür, hinter der sich der Fahrstuhlschacht verbarg, und setzte auf diese Weise die Signalgeber außer Gefecht, sodass sie nicht mehr anzeigten, dass etwas vorgefallen war, was normalerweise einen Alarm ausgelöst hätte.

Nachdem er die Türverriegelung aufgebrochen hatte, glitt Michael durch den Spalt und schloss die Tür hinter sich, ohne das leiseste Geräusch zu machen. Anhand der Informationen, die er von Genevieve bekommen hatte, und dank seiner Kontakte zur Unterwelt war es Michael gelungen, Belanges derzeitigen Aufenthaltsort herauszufinden und zu verifizieren, dass die fragliche Transaktion unmittelbar bevorstand. Den Grundriss des Gebäudes zu erwerben erwies sich als schwieriger, und Michael war erst vor einer Stunde damit fertig geworden, sich diesen Grundriss einzuprägen.

Nun blickte er forschend hinunter in den hundert Jahre alten, dunklen Fahrstuhlschacht. Verbrauchte, faulig riechende Luft, die ihm beinahe die Sinne raubte, schlug ihm entgegen. Er zog das mit einem Federmechanismus ausgestattete Klemmgerät aus der Tasche und befestigte es an der Führungsschiene unter der Decke. Dann klinkte er seinen Klettergurt an dem Seil ein, an dem er sich herunterlassen wollte, prüfte den Sitz des Rucksacks auf seinem Rücken und ließ sich ohne einen Laut in den sechs Stockwerke tiefen Schacht hinunter. Das Klemmgerät ließ ihn mit einer Geschwindigkeit in die Tiefe sinken, die er mittels einer Fernbedienung steuern konnte, die er in der Hand hielt. Für den Weg nach unten brauchte das Klemmgerät nur sehr wenig Zeit; viel mehr würde es für den gummibandartigen Effekt benötigen, mit dem es Michael später, bei seinem hoffentlich erfolgreichen Abgang, aus dem Kellergeschoss nach oben zog.

Michael drosselte die Sinkgeschwindigkeit, ließ sich auf das Dach der Fahrstuhlkabine hinunter, die über Nacht im Untergeschoss geparkt war, und drückte ein Ohr gegen die kalte Metalltür. Draußen war nichts zu hören. Michael öffnete behutsam die Türen, ließ sie hinter sich wieder zugleiten und kletterte in den dunklen Korridor.

In der Welt der Kunst geht es um Profit, wie in jeder anderen Branche. Die meisten Dinge haben den größten Wert, solange sie noch nicht gezeichnet sind von Alter und Abnutzung. Doch bis man sich am Wert eines Kunstwerks erfreuen darf, dauert es meist sehr lange Zeit, wie bei einem edlen Wein oder alten Büchern. Erst wenn der Schöpfer des Werkes nicht mehr am Leben und in der Lage ist, die Früchte dafür zu ernten, erreicht es einen veritablen Wert. Gemälde zeigen, was der Künstler mit den Augen und dem Geist gesehen und was er über sein Herz schließlich zum Ausdruck gebracht hat, indem er es auf Leinwand bannte. Jedes Kunstwerk ist einzigartig. Es ist wie ein Kind, das Liebe und Stolz verdient.

Dennoch ist es trotz der Arbeit nur selten der Künstler selbst, der den Lohn für seine Mühen erntet. Stattdessen ist es der Investor, derjenige, der das Geld hat und weiß, wie der Markt auszuschlachten ist, und der sich an der Beute ergötzt. Oft sind es Individuen, die nicht zwischen einer Leinwand und einem Blatt Papier unterscheiden können, nicht zwischen einem Pinsel und einem Füllfederhalter. Obwohl manche von ihnen zu schätzen wissen, womit sie handeln, ist es für die meisten nur das Besitzen, das sie mit Stolz erfüllt. Denn ihnen gehört ein einzigartiges Objekt, das sein verstorbener Schöpfer nicht noch einmal erschaffen kann.

Es ist der Wunsch, das Unerreichbare in den eigenen Besitz zu bringen, das den wahren Sammler antreibt. Zu besitzen, was andere nicht besitzen können. Besonders gilt dies für Gegenstände, die seit langem als verschollen gelten, verloren in der Zeit, durch Kriege oder Verwüstung. Und genau wie in der Wirtschaft richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage.

»Das Vermächtnis« von Chaucer Govier war der Schaffenshöhepunkt dieses Künstlers, eine seiner großartigsten Arbeiten von unglaublicher Schönheit, emotionaler Tiefe und in einer Perfektion, die nie wiederholt werden konnte. Einen Augenblick lang hatte Gott diesem Künstler Einblick in seine Schöpfung gewährt. Und was davon geblieben war, war dieses Gemälde.

Govier war kein berühmter Maler, doch sein Name sollte in nächster Zeit für Schlagzeilen sorgen. Das Tagebuch seiner Schwester war erst kürzlich gefunden und für echt erklärt worden. Es war die letzte Seite, die das Interesse in aller Welt auf sich ziehen sollte – ein Bericht über Goviers Tod im Jahre 1610. Die Kunstwelt stürzte sich regelrecht darauf, denn was die Dramatik seines Lebens anging, konnte Govier es mit einem Vincent van Gogh aufnehmen.

Um Farbe kaufen zu können, verdingte Govier sich im Dreifaltigkeitskloster als Mädchen für alles. Jede Woche ritt er ins schottische Hochland, brachte den Mönchen Waren und nahm kleinere Reparaturen vor. Es war an einem Sonntag – er versiegelte ein Loch im Dach mit Pech –, als er ein Gespräch mit einem Mönch namens Zhitnik anfing, der im Sterben lag. Govier konnte das Englisch des Mannes, der mit starkem russischem Akzent sprach, kaum verstehen, aber sie sinnierten über das Wetter, die Natur und das Leben. Im Laufe der Unterhaltung kamen sie auch auf die Kunst und auf Gott zu sprechen – Themen, die beiden Männern sehr am Herzen lagen. Zhitnik erzählte von den großen Kunstwerken in Moskau, besonders von denen im Kreml, und Govier lauschte gebannt. Der Mönch sprach von Legenden und Geschichten über Gott und die Engel – von Märchen, die Govier an jenem Abend mit Ehrfurcht erfüllten. Dann sagte der Künstler dem sterbenden Mönch Lebewohl. Doch als er das Zimmer verlassen wollte, rief der Mönch ihn noch einmal zurück an sein Bett und gab ihm zwei Stücke dicker Leinwand. Der Mönch bat ihn, zwei Bilder zu malen, die jene Geschichten darstellten, die er ihm erzählt hatte, und sie an eine Adresse in Südeuropa zu schicken. Er gab Govier das Kreuz, das er um den Hals trug, und bat, es zusammen mit der Leinwand zu schicken, um die Echtheit zu beweisen. Der Mönch konnte außer Gebeten keine Bezahlung anbieten und schickte Govier mit seinem Segen auf den Weg.

Wie verzaubert machte Govier sich an die Arbeit, schuftete ohne Pause zwei Wochen lang, brachte die Geschichten des Mönches auf die Leinwand und schuf »Das Vermächtnis« und »Die Unsterbliche«. Am Morgen nach ihrer Fertigstellung weinte Govier beim Anblick ihrer Schönheit und der wahrhaftigen Darstellung Gottes, ehe er die Gemälde mitsamt dem Kreuz abschickte, wie der Mönch es gewünscht hatte. Dann sprang er von der Fonx Tower Bridge in den tosenden St. Ann River und wurde über die Fallkante des Wasserfalls gespült.

Während »Die Unsterbliche« verschollen war, wechselte »Das Vermächtnis« mehrmals innerhalb Europas den Besitzer, bis das Gemälde seinen Platz im Familienbesitz der Trepauds fand, die bis zum 14. Juni 1940 außerhalb von Paris residierten; dann stürmten die Nazis die Stadt und plünderten zahlreiche Kunstwerke, darunter »Das Vermächtnis«.

Das Werk überstand den Krieg und ging durch viele Hände. Inzwischen befand es sich in einem klimatisierten Kellergewölbe der Firma Belange, an einem Ort, den außer McShane, dem Käufer des »Vermächtnis«, nur noch der schwarz gekleidete Mann kannte, der über den Flur des Kellergeschosses huschte.

Michael klammerte sich an die Zimmerdecke und hatte die Knie und Hände an die Griffstützen aus Aluminium geschnallt. Sein Körper befand sich nur knapp außerhalb der Reichweite der Videoüberwachungskamera, die im Zwanzigsekundentakt einen Radius von einhundertfünfzig Grad erfasste. Der Raum war schlicht, ausgestattet mit zwei opulenten Sesseln und einer Couch. Die Wände waren aus dunklem Kirschholz, und das Licht war gedämpft; es kam aus einer einzigen Lampe und einer Bilderrahmenleuchte. Auf dem Boden lag ein flauschiger grüner Teppich, mit feinen Metallfäden durchzogen. Niemand konnte das unauffällige Flechtwerk sehen, doch ein unachtsamer Schritt, und man bekam einen Schlag wie von einer Elektroschockpistole, was jeden Eindringling auf der Stelle in ein Häufchen Elend verwandelte, das kläglich sabbernd auf dem Boden lag und erst einmal gelähmt war.

Michael hatte sich lange und ausgiebig mit Goviers Gemälde befasst. Doch alle Vorarbeit hatte ihn nicht annähernd auf das vorbereitet, was sich jetzt vor ihm auftat. Das Gemälde vollkommen zu nennen, wäre eine Untertreibung gewesen. Michael hatte sich vornehmlich darauf konzentriert, wie das Bild auf den gesicherten, mit der Alarmanlage gekoppelten Stützen hing, und auf die Komplexität der Sicherheitsvorkehrungen in diesem Gebäude, doch jetzt begriff er, dass er ein wahres Meisterwerk vor Augen hatte.

Michael beobachtete die Drehungen der Kamera, stoppte die Zeit, stellte sich bildhaft vor, was er als Nächstes zu tun hatte, und führte sich die Bewegungen mehrmals so vor Augen, als würde er sie mit dem Körper vollführen. Dann, als wäre es Routine, ließ Michael die Hände los und schwang sich nach hinten. Mit dem Kopf nach unten hing er an den Knien. Blitzschnell glitt sein Messer unter den Rahmen und um das Gemälde herum und schnitt es aus der Halterung. Dann riss er die Leinwand aus dem Rahmen und drückte gleichzeitig ein Ersatzbild an ihre Stelle, das von hinten mit Magneten versehen war, die an den Wandhalterungen aus Metall hafteten, an denen der Rahmen befestigt war. Das Ersatzgemälde war bloß ein vergrößertes strukturiertes Foto, aber für die Kamera war es die perfekte Illusion.

Michael schwang sich wieder nach oben, perfekt in der Zeit, da die Kamera schon wieder durch den Raum schwenkte, geradewegs am Kunstwerk vorüber. Langsam bewegte Michael sich rückwärts die Zimmerdecke entlang und schwang sich schließlich aus der Tür. Er ließ sich auf den Boden fallen, legte das Gemälde vor sich, betrachtete das Meisterwerk aus der Nähe und bewunderte für einen Moment dessen Schönheit, bevor er es umdrehte.

Als er auf die Leinwand schaute, verwirrte ihn, was er sah. Er strich mit den Händen darüber, spürte die unebene Struktur, suchte die graue Oberfläche nach irgendeinem Zeichen ab für das, von dem Genevieve gesagt hatte, dass es da sein müsse – dieses Schreckliche, Beängstigende. Aber Michael fand nichts. Abgesehen von Goviers Signatur im unteren Eck war die Rückseite des Gemäldes leer.

Michael ergriff die Leinwand, hielt sie hoch und leuchtete mit der Taschenlampe auf die Rückseite, aber der Lichtstrahl vermochte das Kunstwerk nicht zu durchdringen. Schließlich untersuchte Michael die Seitenränder, drehte und wendete das Gemälde immer wieder. Es war die Dicke, die ihm ins Auge stach.

Er zog sein Messer und schnitt damit am Seitenrand entlang. Er hoffte, dass er recht hatte und dieses unschätzbar wertvolle Kunstwerk nicht sinnlos zerstörte. Bis zum Knauf glitt seine Klinge in das Gemälde, war auf beiden Seiten der Leinwand nicht mehr zu sehen. Michael zog das Messer am Rand entlang, drehte das Bild und schnitt weiter, bis die Klinge wieder dort angekommen war, wo er sie angesetzt hatte. Die beiden Leinwandstücke klappten auseinander. Michael legte die beiden Hälften auf den Boden. Die Rückseite des kostbaren Gemäldes war leer.

Aber auf der anderen Leinwand …

Michael starrte darauf. Es war eine detaillierte Landkarte, die das neunzig mal einhundertfünfzig Zentimeter große Stück Leinwand füllte – eine mehrdimensionale Darstellung der herrlichsten Bauwerke, durch Wege miteinander verbunden, die mit lateinischen und russischen Bezeichnungen gekennzeichnet waren. Obwohl Goviers Gemälde aus künstlerischer Sicht ein Meisterwerk war – diese Karte war sehr viel mehr.

Das hier war es, wovor Genevieve sich so sehr gefürchtet hatte.

Das hier hatte sie das Leben gekostet.

Michael legte die beiden Leinwände aufeinander, rollte sie zusammen, steckte sie in eine Röhre, die an seinem Rucksack hing, und huschte den Gang hinunter.

Der Wachmann Werner Heinz nahm die Treppe, als er vom Dach wieder nach unten ging. Sein Herz schlug immer noch heftig von der Darbietung des paarungsfreudigen Trios. Wortlos lief er durch die Lobby, vorüber an Philippe Olav, seinem Kollegen beim Sicherheitsdienst, und geradewegs in die Küche. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, schnappte sich eine Tasse Kaffee und lief zurück zur Treppe.

»Da draußen geht ’ne heiße Party ab. Die Winterwilden auf dem Dach musst du dir mal ansehen«, sagte Heinz auf Deutsch zu Olav.

»Ich kann erst in einer Stunde hier weg«, erwiderte Olav, ohne den Blick von den Bildschirmen zu nehmen.

»Pech für dich«, sagte Heinz mit einem Lächeln und ging zurück zur Feuertreppe.

Olav atmete laut aus; sein Interesse war geweckt. »Erzähl mir von den Wilden.«

»Sobald ich den Keller überprüft habe.« Heinz machte sich auf den Weg nach unten.

Michael rannte zurück durch den Korridor, warf sich zwei Seile über den Rücken und sprang in den Fahrstuhlschacht. Die mechanischen Bewegungen, die in seinem ehemaligen Gewerbe vonnöten waren, hatten sich schnell wieder eingestellt, als er seinen Haltegurt an dem Seil sicherte, an dem er nach unten geglitten war. Dann drückte er den Kontrollknopf, ohne auch nur einen Augenblick zu verschwenden. Rasend schnell wurde er durch die Dunkelheit nach oben gerissen, sechs Stockwerke in weniger als vier Sekunden, und landete hinter der Fahrstuhltür auf dem Dach.

Vorsichtig öffnete er die Tür und hielt Ausschau nach den Wachen, aber überraschenderweise war niemand zu sehen. Er amtete durch, stieg auf das Dach und blickte auf die Stadt Genf hinunter. Wieder fiel frischer Pulverschnee und schuf einen Schneekugel-Effekt über der Architektur. Die Rhone mäanderte durch die Stadt, bevor sie durch Arles strömte, wo Vincent van Gogh den Fluss in der »Sternennacht über der Rhône« auf Leinwand gebannt hatte. Heute Nacht waren keine Sterne am Himmel; dennoch war die schweigende Stadt zu dieser späten Stunde immer noch voller Schönheit.

Michael dachte an Genevieve und daran, wie sehr sie diese Stadt geliebt hätte, deren Namen dem ihren so ähnlich war. Als er daran dachte, wie plötzlich sie gestorben war, legte sich für einen Moment ein Lächeln auf seine Lippen, weil er ihren letzten Wunsch erfüllt und ihre allerletzte Sehnsucht gestillt hatte.

Aber die Heiterkeit war nur von kurzer Dauer.

Die Tür zur Feuertreppe flog auf. Schüsse peitschten, bevor Michael seinen Verfolger überhaupt sah. Er rannte zu der Wand, an der sich die Brüstung befand, sicherte sich an dem zuvor dort festgehakten Seil und begann mit dem Abstieg. Sofort peitschten Schüsse von unten, und die Ziegel um ihn her zerbarsten. Michael hievte sich zurück über die Mauer und rannte auf die andere Seite, wobei um ihn her die ganze Zeit die Kugeln zischten und von den Wänden hinter der Brüstung abprallten. Endlich sah er den Mann, der es hier oben auf dem Dach auf ihn abgesehen hatte: Er war ganz in Schwarz gekleidet, hielt seine Pistole mit beiden Händen, hatte die Knie leicht gebeugt und die Arme leicht angewinkelt. Keine Frage, der Kerl war ein Profi. Michael blieb nicht stehen, um ihm ins Gesicht zu sehen; er rannte weiter zur Außenkante des Gebäudes und schwang sich in die Lüfte, ohne zu zögern. Fünf Stockwerke über der Straße flog er viereinhalb Meter durch die Luft und landete hart auf dem Dach des angrenzenden Gebäudes, genau in der Mitte des nackten flotten Dreiers. Die Mädchen kreischten, als Michael an ihnen vorüberrollte, während der Junge herumkroch und panisch nach seiner Hose suchte.

Michael sprang auf und rannte sofort los. Dabei zog er ein Seil von seinem Rücken, befestigte es am Klettergurt um seine Taille und lief weiter übers Dach. Auf der Außenseite blieb er stehen, band das Seil an einer Dachlüftung fest und tauchte über die Seite ab. Fast zwanzig Meter rutschte er am Seil in die Tiefe, wobei die Reibung seine Handschuhe zerfetzte. Mit einem dumpfen Aufprall landete er auf dem Bürgersteig. Er drehte sich nicht um, als er die Rue de Mont Blanc hinuntersprintete. Er wusste, dass seine Verfolger ihn bald einholen würden.

Und da waren sie auch schon, inzwischen zu dritt. Sie kamen rasch näher. Michael rannte, so schnell er konnte. Es lag zweifellos ein gewisser Reiz darin, gejagt zu werden, wenn die Erregung sich mit einem Hauch von Furcht mischte. Man konnte beinahe süchtig danach werden. Aber es war eine Sucht, der man sofort entsagte, wenn man geschnappt worden war. Und Michael hatte nicht die Absicht, sich heute wegen seiner Sucht behandeln zu lassen. Er genoss den Moment, und die Furcht ließ seine Beine noch schneller rennen.

Der Schneefall und der Wind nahmen zu. Die Straße wurde glitschig, und Michael musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte. Dabei war das im Moment seine geringste Sorge. Er brauchte seine ganze Konzentration, um den Autos und Hindernissen auszuweichen, die vor ihm auftauchten, und den Vorsprung vor seinen Verfolgern zu halten. Er dachte an Genevieve, die ihr Leben bei einem Lawinenunglück verloren hatte; er dachte an ihre flehenden Worte und an das Gemälde in seinem Rucksack und rannte weiter. Er würde ihren letzten Wunsch erfüllen.

Vor ihm erschien nun die Brücke. Sie spannte sich über die fünfhundert Meter breite Rhone. Vereinzelte Eisschollen trieben auf dem kalten Wasser. Die Brücke war Michaels Ziel, aber sie konnte ebenso der Ort sein, an dem alles den Bach unterging. Die Brücke war ein Engpass und bot Michael keine Deckung und keine Chance, sich irgendwo in Sicherheit zu bringen, falls es plötzlich Kugeln hagelte. Die Straßen führten in sämtliche Richtungen und würden ihm zumindest vorübergehend Zuflucht bieten – Gebäude und sogar Tunnel, wo es Gelegenheiten gab, seine Verfolger abzuschütteln. Fast alles versprach bessere Aussichten als die Brücke.

Und dann waren sie da, kamen auf der anderen Seite des Flusses zum Stehen: sechs Polizeiwagen mit flackernden Blaulichtern. Polizisten sprangen mit gezogenen Waffen aus den Fahrzeugen.

Michael schaute zu den Nebenstraßen und dachte einen Augenblick nach; die Worte, die Simon am Grab gesprochen hatte, hallten in seinem Kopf wider: »Nascentes morimur – mit unserer Geburt beginnt unser Sterben.«

Er rannte auf die schneebedeckte Brücke. Hinter ihm waren drei Männer, fünfhundert Meter vor ihm sechs Polizeiwagen. Er war eingekeilt. Trotzdem rannte er weiter und baute den Vorsprung vor seinen Verfolgern aus. Doch weil die Brücke leer war und wegen der späten Stunde nicht das Risiko bestand, Unschuldige in Gefahr zu bringen, konnte es sein, dass hier gleich Gewalt angewendet wurde.

Es schneite noch heftiger. Die Flocken wurden vom Wind über dem Wasser hochgepeitscht, sodass der Sturm jetzt Blizzard-Ausmaße erreichte. Nicht mehr lange, und der Fluss würde zufrieren, doch hatte das Wetter der letzten Tage dafür gesorgt, dass das Wasser immer noch strömte und nur hier und da mit Eisschollen durchsetzt war. Dennoch hatte der Fluss eine tödliche Temperatur von einem halben Grad Celsius.

Die Brücke wurde erleuchtet von blinkendem Rot und Blau. Michael hielt sich in der Mitte der Fahrbahn; seine Fußspuren hatte der Schneesturm bereits verweht. Die drei Wachmänner hinter ihm wurden langsamer, denn ihre Kollegen hatten jetzt um ihre Fahrzeuge herum Position bezogen. Mit gezogenen Waffen standen sie da. Sämtliche Pistolen und Gewehre waren auf Michael gerichtet. Dennoch rannte er weiter, wurde noch schneller beim Anblick der Waffen, die auf ihn gerichtet waren – zur Verwirrung derer, die ihm auflauerten.

Und dann, ohne jede Vorwarnung, stürmte Michael nach links, sprang über das Geländer in die eisige Rhone und war im gleichen Augenblick verschwunden.

Die verdutzten Polizeibeamten erhoben sich hinter ihren Fahrzeugen aus ihren Wartepositionen. Sie ließen ihre Waffen sinken und beobachteten fassungslos den selbstmörderischen Sprung des Mannes in das eisige Wasser. Es dauerte einen Moment, bis sie auf die Brücke rannten und durch die Schneeflocken blinzelten, als wollten sie ihren Augen nicht trauen.

Zur gleichen Zeit erreichten Michaels Verfolger die Stelle, an der er verschwunden war, und blieben stehen, beugten sich über die Brüstung und suchten mit Blicken den Fluss ab, sahen aber nur vereinzelte Eisschollen, die krachend gegen die Brückenpfeiler schlugen. Unter der Brücke war nichts, wo man sich hätte verstecken können. Aber die drei Wachmänner hatten nicht vor, ein Risiko einzugehen. Heinz kletterte über das Geländer, beugte sich nach unten und blickte unter die etwas höher liegende Brückenfahrbahn. Von Michael fehlte jede Spur. Es war, als würde die Zeit stillstehen. Ein Raunen durchlief die Schar der Polizisten, so verblüfft waren sie über das, was sie gerade miterlebt hatten.

Plötzlich zeigte einer der Beamten flussabwärts. Da trieb etwas im Wasser – ein Körper, schwarz bekleidet, schaukelte auf der Oberfläche, ungefähr zweihundert Meter entfernt. Die Polizei forderte über Funk ein Boot an. Die drei Wachmänner sahen sich um. Sie sprachen kein Wort. Einer behielt den Körper im Auge, während die anderen weiterhin den Fluss absuchten.

Als Michael auf der Wasseroberfläche aufschlug, fühlte es sich an, als würde er in flüssige Lava stürzen. Sein Gesicht und die Hände schrien auf, als die eisige Kälte durch die Haut stach. Es war eine Gnade, dass sein Körper unter dem dunklen Overall in einem Taucheranzug steckte – dem Anzug, der ihn während seines Raubzugs warm gehalten hatte und der ihn jetzt am Leben erhielt. Michael kämpfte gegen die Strömung. Er befestigte seinen Gürtel an der großen Tasche aus Draht, die am Brückenpfahl verankert war, griff durch das Netz und holte einen Atemregler heraus. Gierig saugte er den Sauerstoff in seine schmerzende Lunge. Die Strömung war stark genug, um die Luftblasen, die er beim Ausatmen verursachte, flussabwärts zu treiben, wo sie unbemerkt zur Oberfläche stiegen.

Michael zog sich eine Vollgesichtsmaske mit Kapuze über. Er atmete durch die Nase in die Maske aus, entfernte die Feuchtigkeit von der Sichtscheibe und schaute in das trübe Wasser, das ihn umschloss. Er kämpfte gegen die heftige Strömung, als er die Druckluftflasche festschnallte und die Tarierweste am Körper sicherte.

Dann blickte er auf die Armbanduhr: Eine Minute war vergangen. Er öffnete die Drahttasche und beobachtete, wie die schwarz gekleidete Schaufensterpuppe von der Strömung mitgerissen wurde und flussabwärts trieb. Michael wusste, dass es mindestens fünfzehn Minuten dauern würde, bis seine Verfolger ein Boot zur Verfügung hatten und den Köder aus den eisigen Wassern zogen.

Michael hatte seine Ausrüstung am Abend zuvor im Schutz der Dunkelheit verstaut. Dabei hatte er einen schwereren, dickeren Taucheranzug getragen und war mit einem Unterwasser-Scooter flussaufwärts gekommen. Es hatte das minimale Risiko bestanden, dass die Drahttasche, die alles andere enthielt, während der vierundzwanzig Stunden bis zu seinem Raubzug aus ihrer Befestigung gerissen wurde, aber Michael hatte Glück gehabt. Er umklammerte die Haltegriffe des Unterwasser-Scooters, schaute auf den Kompass, der auf die Haltegriffe montiert war, und drehte sich flussaufwärts. Dann trat er fest zu, worauf der Motor ansprang, und hielt sich fest, als der kleine Scooter ihn mit einer Geschwindigkeit von fünf Knoten – etwas mehr als neun Stundenkilometer – gegen die Strömung durchs Wasser zog.

Anderthalb Kilometer flussaufwärts tauchte Michael im Schutz von Bäumen auf, deren Äste eine schwere Schneelast trugen. Er ließ den Blick durch das Waldstück schweifen und stieg aus dem Wasser, grub seine Camouflage-Tasche aus dem tiefen Schnee, trocknete sich ab und schlüpfte in einen Parka und Jeans. Die Taucherausrüstung ließ er von der Strömung davontreiben.

Michael schnappte sich seinen Rucksack und lief aus dem Waldstück heraus auf einen Parkplatz. Dort öffnete er den Kofferraum eines 1983er Peugeot, hob einen Behälter heraus, der ein Fassungsvermögen von zwanzig Litern hatte, und stellte ihn neben dem Wagen auf den Boden. Er zog ein Paar dicke Gummihandschuhe an und entfernte mit einem Schraubenzieher den Deckel des Behälters. Er blickte auf; flussabwärts konnte er die Unruhe auf der Brücke sehen und die kleine Gruppe Polizisten, die zuschauten, wie ein Boot über das eisige Wasser auf einen Körper zuraste, der in den frostkalten Fluten trieb. Michael musste grinsen, als er sich vorstellte, wie schockiert die Bullen sein würden, wenn sie »ihn« aus dem Wasser zogen.

Er wandte sich wieder der Aufgabe zu, die anstand, öffnete die wasserfeste Röhre, zog das Gemälde und die Landkarte heraus und legte beides auf den Vordersitz des Wagens. Er wusste, was er zu tun hatte; trotzdem schmerzte es ihn. Das hier hatte ein Mensch geschaffen, der dabei Einblick in sein Herz und seine Seele gewährt hatte. Es war ein Kunstwerk, von dem man glaubte, es sei auf ewig verloren.

Und jetzt …

Michael starrte auf die Landkarte, den eigentlichen Grund für seine Mission, und fragte sich, was sie wohl zu bedeuten hatte. Sie war akribisch genau und zeigte eine unterirdische Welt, die verborgen lag unter einem Bollwerk aus Kirchen. Eine Welt, die nur Genevieve kannte – ein Straßenführer zu einem Geheimnis, das ihren Sohn berauscht hatte, sie jedoch in Angst und Schrecken versetzte.

Michael interessierte nicht, wohin die Karte führte oder was sie enthüllte. Ihn interessierte nur, dass seine Freundin mit dem Leben dafür bezahlt hatte.

Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, nahm er sein Messer und schnitt die Landkarte und Goviers Gemälde in Streifen; dann warf er sie in den Behälter und beobachtete, wie sie sich in dem Säurekonzentrat auflösten, sodass sie nie wieder von einem Menschen geschaut werden konnten.

Diesmal war es wirklich vernichtet worden – das Geheimnis des Mönchs, Goviers Meisterwerk, dieses Rätsel aus vergangenen Zeiten.

Kapitel 2

Paul Busch stand jeden Morgen um 6.30 Uhr auf, egal um welche Zeit er zu Bett gegangen war. Um kurz nach halb sieben joggte er am Strand entlang oder stemmte in seiner Garage Gewichte. Seit er seinen Dienst quittiert hatte, war es ihm gelungen, seine fast zwei Meter Körperlänge so zu straffen, dass wieder Muskulatur unter dem Fett zu sehen war. Um spätestens 7.30 Uhr duschte er; um 7.50 Uhr war er angezogen und stand bereit, mit seiner Frau Jeannie und den Kinder Robbie und Chrissie, beide sechs Jahre alt, zu frühstücken. Um 8.15 Uhr setzte er seine beiden Sprösslinge in den Schulbus und gönnte sich einen Augenblick der Muße, um den Duft der Seeluft und den Moment zu genießen – das Leben, das er führte. Es waren zwar erst drei Monate, aber im Großen und Ganzen bekam der Ruhestand ihm gut.

Als Nächstes pflegte Busch in seine Corvette zu springen, das Verdeck herunterzufahren und es dem Wind zu überlassen, sein strohblondes Haar zu trocknen. Er fuhr zu Shrieffers Feinkostladen, holte sich eine Tasse Kaffee und die Zeitung und informierte sich bei einem Plausch mit den erstbesten Einheimischen, die ihm über den Weg liefen, über die neuesten Neuigkeiten. Und jeden Donnerstag und Sonntag – Ausnahmen gab es nicht – kaufte er sich einen Lottoschein. Das war wie eine Droge für ihn, die in Gestalt neu entdeckter Hoffnung auf Wohlstand seine Seele beschlich. Hatte er den Schein in seine Hosentasche gesteckt, verließ er das Geschäft voller Zuversicht, bei der nächsten Ziehung den Hauptgewinn zu kassieren. Diese Stimmung trug ihn durch die nächsten Tage, zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht und einen warmen Klang in seine Stimme. Die Wirkung des Lottoscheins hielt immer genau bis zum Moment der Ziehung an. Dann stürzte Busch in emotionale Untiefen und war zu Tode betrübt, weil er sich wieder nicht in die Riege der Gewinner hatte einreihen können. Doch kam der nächste Morgen und der neue Lottoschein, wurde der Jammer davongespült von einer Woge neuer Hoffnung bis zur nächsten Ziehung, bei der er – davon war er überzeugt – das große Los erwischen würde.

Jeannie hatte Paul gedrängt, sich vorzeitig pensionieren zu lassen. So sehr es ihm anfangs widerstrebt hatte – Paul war schnell in seinem Element gewesen. Er hatte sich seine Pension auf einmal auszahlen lassen und sich ein Restaurant mit Bar, eine 68er Corvette, eine Fender Stratocaster E-Gitarre und das »Black Album« von Metallica davon gekauft. Jeden Abend um 19.00 Uhr sprang er in seine Corvette, ließ das Verdeck herunter, legte die Metallica-CD ein und fuhr unter den Klängen von »The Unforgiven«, seiner persönlichen Erkennungsmelodie, zur Arbeit.

Er hatte jahrelang davon geträumt, als Barkeeper zu arbeiten; aber wie bei so vielen Träumen hatte ihm immerzu der alte Grundsatz in den Ohren geklungen: Sei vorsichtig, was du dir wünschst, es könnte in Erfüllung gehen. Die Bar war alles, was er sich jemals hätte wünschen können. Jeannie führte das Restaurant, während Paul dafür verantwortlich war, den Alkohol auszuschenken und das Unterhaltungsprogramm zu organisieren, aber nach ungefähr einem Monat wurde auch das Routine, wie so vieles andere. Paul vermisste den regelmäßigen Adrenalinschub, die Droge, die er auf dem Schreibtisch seines alten Arbeitsplatzes bei der Polizei zurückgelassen hatte.

Doch sein neues Leben hatte auch sein Gutes: Der Tod schien nicht mehr an jeder Ecke zu lauern, und Jeannie hatte zumindest ein bisschen Seelenfrieden. Und das konnte Paul ihr nicht versagen, so sehr er sein altes Leben auch vermisste.

Nun saß er auf der Veranda vor dem Haus und blickte auf seine gelbe Corvette, den einzigen Wagen auf der Auffahrt. Er klappte sein Handy auf und drückte auf eine der Schnellwahltasten. »Kommst du heute Abend?«

»Das hatte ich dir doch schon zugesagt«, erwiderte Michael. »Entspann dich.«

»Wollte nur noch mal nachfragen. Wo bist du?«

»Zu Hause. Und du?«

Busch blickte auf Michaels Hunde, die sich beide hinter den Ohren kratzten. »Ich bin auch zu Hause. Wir sehen uns heute Abend.«

Busch stand auf und ging über die Auffahrt. Er öffnete die Tür der Corvette, schaute noch einmal zurück auf Michaels Haus und schüttelte den Kopf. Zum Abschied gab er Michaels Hunden einen liebevollen Klaps; dann ließ er seinen Wagen an und fuhr los.

Ganz allein stand Michael auf dem Friedhof von Banksville, von Trauer erfüllt. Wieder einmal spürte er den Verlust, der sein Herz beinahe gebrochen hatte. Er starrte auf Marys Grabstein mit der Aufschrift:

Gottes Geschenk an Michael,Michaels Geschenk an Gott.

Ein Jahr war inzwischen vergangen, doch der Schmerz hatte nicht nachgelassen. Zwar stand für ihn fest, dass Mary jetzt an einem besseren Ort war, aber selbst damit konnte er die Leere in seinem Herzen nicht füllen.

Als die sinkende Sonne ihren goldenen Glanz über das Meer aus Grabsteinen legte, hob Michael den Kopf und blickte sich auf dem Friedhof um: Er war der einzige Besucher an diesem feuchtwarmen Juniabend. Er schaute nach links auf die Gräber seiner Mutter und seines Vaters. Alles an Familie, was er jemals gehabt hatte, umgab ihn. Genevieves Tod hatte die Einsamkeit, die er verspürte, weiter vergrößert – das Gefühl, keine Familie zu haben. Es erinnerte ihn an seine eigene Sterblichkeit, aber viel mehr noch an Marys Beerdigung.

Das Mobiltelefon vibrierte in seiner Hosentasche. Er stellte es mit einem Tastendruck ab und steckte es in die Seitentasche seiner blauen Sportjacke. Er hatte diese Jacke seit Marys Tod nicht mehr getragen. Warum, wusste er selbst nicht. Es war ihre Lieblingsjacke gewesen, aber seit Mary tot war, schien jeder Gegenstand in seinem Haus und in seinem Leben irgendeine Bedeutung bekommen zu haben. Das letzte Glas, aus dem sie getrunken hatte, der letzte Pullover, den sie getragen hatte, ihr Lieblingsfüller – alles, was vorher keine Bedeutung gehabt hatte, besaß jetzt eine. Manche Dinge brachten ihn zum Lächeln, andere rührten ihn zu Tränen. Niemals würde er die Nachrichten löschen, die Mary auf der Mailbox seines Handys hinterlassen hatte; er hörte sie sich fast täglich an, nur um ihre Stimme zu hören.

Sie hatte oft seine Hemden getragen und immer irgendetwas in die Taschen seiner Jacken gesteckt, um ihn daran zu erinnern, wie sehr sie ihn liebte: Eintrittskarten für ein Baseballspiel der New York Yankees, ein Sprichwort aus einem Glückskeks oder einfach nur einen Zettel mit ein paar lieben Worten.

Deshalb hatte Michael, als er den Mut aufbrachte, seine Ralph-Lauren-Jacke wieder anzuziehen, sofort die Ausbeulung gespürt und gewusst, worum es sich dabei handelte, noch ehe er es aus der Brusttasche zog.

Es war nicht seine Absicht gewesen, an diesem Abend auf den Friedhof zu gehen, aber der Brief hatte ihn förmlich dazu gezwungen. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen; er hatte sich einfach auf sein Motorrad gesetzt und war losgefahren.

Behutsam öffnete er nun den Umschlag und hielt ihn sich nahe vors Gesicht. Als er den Brief herauszog, umhüllte ihn der Duft von Marys Parfum und erinnerte ihn an glücklichere Zeiten; die Gefühle tobten in seinem Inneren wie ein Orkan, als er die Augen schloss, sich an den Duft ihrer Haut erinnerte und sich danach verzehrte, dass sie zu ihm zurückkehrte.

Er faltete das Papier auseinander und starrte darauf. Ihre Handschrift war elegant, ausgefeilt in den Jahren, die sie die katholische Schule besucht hatte. Er las die von Tränen verlaufenen Zeilen:

Michael,

dies ist der schmerzlichste Brief, den ich jemals schreiben musste, doch ich weiß, dass mein Schmerz neben dem verblasst, was du in diesem Augenblick empfindest, da du meine letzten Worte liest. Sei gewiss, dass meine Liebe zu dir ewig währen wird. Die kurze gemeinsame Zeit, die uns beschieden wurde, war von einer Leidenschaft erfüllt, die andere nicht in einem langen Leben erfahren; das Glück, das du mir geschenkt hast, war größer, als ich es mir jemals hätte wünschen können.

Es bricht mir das Herz, denn ich weiß, dass ich dich allein zurückgelassen habe, ohne Kinder und ohne Familie, die dich trösten könnten in deiner Trauer. Niemand kennt dich besser als ich, und ich weiß, dass du versuchen wirst, deinen Schmerz und deine Qualen zu verdrängen, aber ich flehe dich an, tu das nicht. Es wird dich innerlich auffressen und dein gutes Herz verbittern.

Du hast diese Jacke wahrscheinlich monatelang nicht getragen, hast vermutlich immer nur die schwarze Lederjacke angehabt, die so verschlissen und so schmutzig ist. Es freut mich, dass du dir endlich etwas Anständiges angezogen hast.

Michael lächelte. Wie gut sie ihn kannte.

Ich will keine Nervensäge sein, aber du musst dafür sorgen, dass du wenigstens einmal im Monat eine gesunde Mahlzeit zu dir nimmst und deine Sachen in die Wäscherei bringst. Und denk daran, dich häufiger zu rasieren, damit man dein schönes Gesicht sieht.

Michael strich über seinen Stoppelbart.

So wütend es dich auch machen wird: Du musste wieder jemanden finden, dem du deine Liebe schenken kannst. Ein Mann wie du sollte nicht alleine sein, das wäre Verschwendung. Ich will mich nicht groß darüber auslassen. Du wirst es wissen, wenn der richtige Augenblick gekommen ist. Und glaub mir, eines Tages wird es so weit sein.

Was mich zurückführt zu meinem eigentlichen Anliegen, das mich dazu gebracht hat, zum letzten Mal zu Papier und Füller zu greifen. Ich wollte dich bitten, endlich etwas für dich selbst zu tun. Wir haben viele Male darüber gesprochen, aber das Leben schien uns immer irgendwie in die Quere zu kommen.

Deine Eltern sind da draußen, Michael, irgendwo. Und du mit deinen vielen Begabungen solltest in der Lage sein, sie zu finden. Ich hatte gehofft, sie für dich finden zu können. Ich hatte in aller Stille zu suchen angefangen. Ich habe mir noch einmal die Geburtsurkunde und die anderen Papiere angeschaut und habe versucht, Kontakt zu Menschen aufzunehmen, die in dem Waisenhaus beschäftigt waren, in dem die St. Pierres dich adoptiert haben. Aber egal in welche Richtung ich mich bewegte, irgendwann kam ich nicht weiter. Alles, was ich dir geben kann, ist die Adresse eines Rechtsanwalts, der kostenlos für St. Catherine’s tätig ist. Ich weiß seinen Namen von einer Frau, die ich kennengelernt habe, als ich die Geburtseinträge der Krankenhäuser in Boston durchsuchte.

Gehe der Sache nach, Michael. Suche nach deinen Eltern. Es ist meine letzte Bitte an dich. Ich will nicht, dass du allein bist auf der Welt.

Erst die Familie macht uns zu vollständigen Menschen. Sie kann die Leere in unserem Inneren füllen und die Hoffnung wiederherstellen, wenn wir glauben, sie für immer verloren zu haben. Ich liebe dich, Michael. Ich werde dich immer lieben und immer bei dir sein.

Deine Frau und beste Freundin,

Mary

Unten auf dem Brief stand mit Bleistift geschrieben eine Adresse: Franklin Street 22, Boston.

Michael blickte ein letztes Mal auf Marys Zeilen, faltete den Brief zusammen, schob ihn in den Umschlag und steckte ihn zurück in seine Jackentasche.

Kapitel 3

Es war Anfang Juni, und seit fünf Tagen herrschte die erste Hitzewelle des Jahres. Eine schlimmere Nacht, um die Klimaanlage ausfallen zu lassen, hätte man sich gar nicht aussuchen können. Die Luft war so heiß, dass sie die Lunge bei jedem Atemzug zu versengen schien. Kein Windhauch regte sich, als wollte die Luft ihre Opfer umarmen, bis sie an der Hitze starben.

Paul Busch war sicher, dass der Umsatz an der Bar mehr als das Dreifache von dem betragen würde, was an einem gewöhnlichen Abend konsumiert wurde; die Leute kauften sich ihre Drinks ausschließlich wegen der Eisstücke, und die schmolzen innerhalb von Minuten. Langsam machte das Ganze ihn nervös, denn fast alle waren im Vollrausch, und die Lufttemperatur war unerträglich. Jetzt brauchte bloß einer einen Wutanfall zu bekommen, mit dem er die anderen ansteckte, und schon würde es zu einer Prügelei von zerstörerischen Ausmaßen kommen. Nicht ganz das Richtige für einen Frühsommerabend.

Das Valhalla war ein hochpreisiges Restaurant in einer seit kurzem hochpreisigen Stadt und hatte eine hochpreisige Klientel. Die Mahlzeiten bestanden aus schlichter amerikanischer Küche, die auf elegante Weise serviert wurde. Die jungen Gäste, die sich so toll fanden, dass sie es selbst kaum ertragen konnten, hingen gewöhnlich bis nach 23.00 Uhr herum, weil sie hofften, Frischfleisch abschleppen zu können, und machten sich mit schwächlichem Geschwätz, aber umso stärkerem Schnaps an ihre Beute heran. Und der Nervenkitzel war nicht nur den Jägern vorbehalten; auch so manche Jägerin markierte ihr Territorium von Mittwoch- bis Sonntagabend, obwohl die Gäste zu sechzig Prozent aus Frauen bestanden.