DIE RIESEN VOM BERGE - Luigi Pirandello - E-Book

DIE RIESEN VOM BERGE E-Book

Luigi Pirandello

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Beschreibung

Erschöpft, verzweifelt nimmt Ilse für sich und ihre armselige Schauspielertruppe die Zuflucht an, die ihr der Magier Cotrone in der verfallenen Villa bietet, in der er mit seinen "Pechvögeln" haust, Gescheiterten, Zukurzgekommenen, die sich hier ein Reich der Phantasie geschaffen haben, mit Zauber, Spuk und Erscheinungen, eine geheimnisvolle Welt zwischen Traum und Leben. Aber bleiben wird die Truppe nicht können, sie ist ja, von Ilse angetrieben, unterwegs, um "die Legende vom vertauschten Sohn" zu spielen, das Stück eines jungen Dichters, der sich ihretwegen umgebracht hat. Nun muss sie sein Vermächtnis erfüllen, die Poesie zu den Menschen bringen, ob sie es hören wollen oder nicht. Ihr Mann, der Graf, hat sein Vermögen darangegeben, um die Aufführung zu ermöglichen. Jetzt ist die Truppe zusammengeschmolzen, es gibt keine Kulissen mehr, die Kostüme sind zerschlissen - wer bietet ein Engagement? Cotrone wird sie zu den "Riesen vom Berge" bringen, zu Leuten, die durch harte Arbeit, die sie bei Ausgrabungen und Befestigungen, beim Bau von Talsperren, Fabriken, Straßen leisten, selbst hart und "ziemlich unmenschlich" geworden sind. Sie feiern gerade eine große Hochzeit - dafür sollten sie sich eine Theatervorstellung leisten können. Hier bricht das Stück ab. Pirandello hat, in der vorletzten Nacht seines Lebens, seinem Sohn den Fortgang der Handlung erzählt: Die Riesen, die Unterhaltung, nicht Kunst erwarten, überschütten die Schauspieler mit Hohn und Schmähungen, schließlich erschlagen sie Ilse. Das Leben (der Fortschritt, die Technik) hat die Kunst besiegt.

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Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Websitewww.kiepenheuer-medien.de

© 2013 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

ISBN978-3-8442-7815-6

PERSONEN

DIE TRUPPE DER GRÄFIN:

ILSE, noch immer DIE GRÄFIN genannt

DERGRAF, ihr Mann

DIAMANTE, Zweite Schauspielerin

CROMO, Charakterdarsteller

SPIZZI, Jugendlicher Liebhaber

BATTAGLIA, Chargen- und Frauendarsteller

SACERDOTE

LUMACHI mit dem Karren

COTRONE, genannt DER ZAUBERER

DIE PECHVÖGEL:

DER ZWERGQUAQUEO

DUCCIODOCCIA

DIE SGRICIA

MILORDINO

MARA-MARA mit dem Sonnenschirmchen, auch DIE SCHOTTIN genanntMADDALENA

PUPPEN - ERSCHEINUNGEN - DER ENGEL HUNDERTEINS UND SEINE SCHAR

Zeit und Ort: Unbestimmt, an der Grenze zwischen Märchen und Wirklichkeit

Uraufführung: 5. Juni 1937, Florenz

I.

Ein Landhaus, »Villa Pechvogel« genannt, woCOTRONEmit seinen PECHVÖGELN wohnt. Etwas erhöht, etwa in Bühnenmitte, eine vom Alter ziemlich mitgenommene Zypresse, deren Stamm einer Bohnenstange und deren Wipfel einer Lampenbürste ähneln.

Der ehemals rötliche Außenanstrich der Villa ist verblichen. Auf der Bühne sichtbar nur rechts der Eingang mit vier Vorstufen zwischen zwei vorspringenden, ins Freie sich öffnenden Rundloggien mit Pfeilerbrüstungen und von Säulen getragenen Dachkuppeln. Die Tür ist alt und bewahrt noch Farbspuren ihres einstmals grünen Anstrichs. Auf gleicher Höhe mit ihr rechts und links zwei Fenstertüren, die auf die Loggien hinausführen.

Dieses einstmals herrschaftliche Landhaus ist jetzt verwahrlost, verfallen und seinem Schicksal überlassen. Es steht einsam in einem Talgrund. Davor ein Rasenstück. Ein abschüssiger Fußpfad führt an der Zypresse vorbei über eine kleine Brücke, die einen nicht sichtbaren Gebirgsbach überquert, zu einem Rasenbänkchen auf der linken Bühnenseite.

Diese kleine Brücke mit ihren beiden Geländern soll in der linken Bühnenhälfte gut sichtbar und begehbar sein. Im Hintergrund ahnt man die bewaldeten Hänge des Berges.

Es ist fast Abend. Wenn der Vorhang aufgeht, hört man aus dem Innern der Villa, von seltsamen Instrumenten begleitet, einen »hüpfenden« Gesang, der bald in schrille Töne ausbricht, bald sich gewagten Glissandi hingibt, um sich schließlich in einem Wirbel von Tönen zu verlieren, von dem er sich aber jäh wieder losreißt und davongaloppiert wie ein durchgehendes Pferd. Dieser Gesang soll den Eindruck vermitteln, man sei im Begriff, einer Gefahr Herr zu werden, die endlich aufhören soll, damit wieder Ruhe ist und jedes Ding an seinen Platz zurückkehrt – wie nach gewissen Augenblicken, in denen uns zuweilen – wer weiß warum – der Irrsinn überfällt.

Durch die Fenstertüren der beiden Loggien dringt ein Schimmer, der vermuten lässt, dass sonderbare farbige Lampen im Innern des Hauses leuchten. Dadurch erhalten die SGRICIA, die friedlich und reglos in der Loggia rechts, sowie DOCCIA und QUAQUEO, die in der Loggia links der Eingangstür sitzen, den Charakter geheimnisvoller Erscheinungen.

DUCCIO DOCCIA stützt die Ellenbogen auf das Geländer, den Kopf in die Hände. QUAQUEO sitzt auf dem Geländer, den Rücken an die Mauer gelehnt. Er ist ein dicker, rothaariger Zwerg in Kinderkleidern mit der lachenden Fratze einer Terrakottafigur. Um den Mund herum wirkt das Lachen dümmlich, aber in den Augen ist es maliziös.

Die SGRICIA ist ein altes Weiblein mit einem Häubchen, dessen Bänder ungeschickt unter dem Kinn geknotet sind; sie trägt ein schwarz-weiß-kariertes, mit zahllosen Plissees besetztes Kleid; ein veilchenfarbenes Cape und halbfingerlange Handschu­he aus Garn. Wenn sie spricht, ist sie immer ein wenig befangen und klappert unaufhörlich mit den Lidern über den schlauen, unruhigen Äuglein. Hin und wieder wischt sie sich unwillkürlich mit dem Finger unter ihrer krausgezogenen Nase.

DUCCIO DOCCIA ist klein, ganz kahl, von unbestimmbarem Alter. Er hat ernste, ovalgeschnittene Augen und eine wulstige hängende Unterlippe in dem länglichen, bleichen, totenkopfähnlichen Gesicht, langfingrige, weiche Hände und eingeknickte Beine, als versuche er, wenn er geht, sich andauernd zu setzen.

Sobald der Gesang zu Ende ist, blickt MILORDINO hinter der Zypresse hervor. MILORDINO ist ein abgezehrter junger Mann um die dreißig mit dem Drei-Tage-Bart eines Kranken. Zu einer grünlich verfärbten Weste, auf die er nicht verzichten will, um seine kultivierte Erscheinung nicht aufzugeben, trägt er eine Melone. Panisch erschrocken ruft er:

MILORDINO Heheee! Menschen kommen! Menschen kommen! Schnell, Blitze, Donnergrollen und die grüne Flamme! Die grüne Flamme aufs Dach!

DIE SGRICIAspringt auf, reißt das Fenster auf und ruft ins Haus Hilfe! Hilfe! Menschen kommen! beugt sich über das Geländer Was für Menschen, Milordino, was für Menschen?

QUAQUEO Am Abend? Wäre es Tag, würde ich sagen, da hat sich einer verirrt. Pass auf, gleich kehrt er um.

MILORDINO Nein! Nein! Sie kommen immer näher! Sie sind schon unten! Viele! Mehr als zehn!

QUAQUEO Zu so vielen lässt sich leicht mutig sein. Er springt vom Geländer auf die Eingangstreppe, läuft zur Zypresse und hält gemeinsam mit Milordino Ausschau.

DIE SGRICIAkreucht ins Haus Die Blitze! Die Blitze!

DOCCIA Heh, die Blitze sind teuer, immer sachte!

MILORDINO Sie haben auch einen Karren. Sie ziehen ihn selber. Einer an der Deichsel und zwei hinten.

DOCCIA Das werden Leute sein, die auf den Berg wollen.

QUAQUEO Ach was. Die sehen ganz so aus, als wollten sie zu uns. Oho, sie haben eine Frau auf dem Karren. Schau doch, schau! Der Karren ist voll Heu und die Frau liegt obendrauf.

MILORDINO Ruft doch wenigstens die Mara! Auf die Brücke, mit ihrem Schirmchen! Aus der Haustür kommt schreiend Mara-Mara gerannt.

MARA-MARA Hier bin ich, hier bin ich! Vor der Schottin werden sie Angst haben!

Mara-Mara ist ein kleines Frauchen, das man sich wie aufgeblasen vorstellen kann, rundum mit Stoff bepackt und beladen wie ein einziger Stoffballen. Sie trägt ein mehr als kurzes Schottenröckchen, die Knie nackt, wollene Wadenstrümpfe mit umgeschlagenem Rand, ein grünes Wachstuchhütchen mit steifer Krempe und einer Hahnenfeder an der Seite, in der Hand einen kleinen Sonnenschirm, einen Brotbeutel und eine Feldflasche umgehängt.

MARA-MARA Heh, aber macht mir Licht auf dem Dach! Ich will mir doch nicht den Hals brechen!

Sie rennt zur Brücke, steigt auf das Geländer und stolziert dort auf und ab, vom Dach aus von einem grünen Scheinwerfer, der sie in gespenstisches Licht taucht, angestrahlt, um den Eindruck einer Geistererscheinung zu erwecken. Von Zeit zu Zeit schießen hinter der Rückwand des Hauses breite Lichtgarben wie Sommerblitze hervor, begleitet von Kettengerassel.

DIE SGRICIAzu Milordino und Quaqueo, die Ausschau halten Machen sie Halt? Kehren sie um?

QUAQUEO Ruft Cotrone!

DOCCIA Cotrone! Cotrone!

DIE SGRICIA Der hat die Gicht!

Die Sgricia und Doccia sind aus ihren Loggien heruntergekommen und stehen fassungslos vor dem Haus auf dem Rasen. In der Tür erscheint Cotrone. Ein großer bärtiger Mann mit einem schönen, offenen Gesicht, lachenden, leuchtenden klaren Augen, einem frischen Mund, in dem gesunde Zähne glänzen, von einem wild wachsenden blonden Schnauz- und Backenbart umrahmt. Er hat einen etwas weichen Gang und ist nachlässig gekleidet: eine schwarze Jacke,die breite Falten wirft, und eine weite, helle Hose. Auf dem Kopf trägt er einen alten Türkenfez. Sein bläuliches Hemd steht auf der Brust ein wenig offen.

COTRONE Was ist? Ja schämt ihr euch nicht? Habt selber Angst und wollt sie anderen einjagen.

MILORDINO Sie kommen in Scharen! Es sind mehr als zehn!

QUAQUEO Nein, es sind acht, es sind acht: ich habe sie gezählt! Mit der Frau.

COTRONE Na, prachtvoll! Eine Frau ist auch dabei? Das wird eine entthronte Königin sein. Ist sie nackt?

QUAQUEOverwirrt Nackt? Nein, nackt schien sie mir nicht.

COTRONE Nackt, du Dummkopf! Auf einem Heuwagen – eine nackte Frau, die Brüste in die Luft gereckt, das rote Haar um sie gegossen wie das Blut einer Tragödie! Ihre verbannten Minister ziehen sie, in Hemdsärmeln, um nicht so zu schwitzen. Auf, erwache, Phantasie! Ihr werdet mir doch nicht vernünftig werden! Denkt daran, für uns gibt es keine Gefahr. Ein Feigling, wer sich an die Vernunft hält! Allmächtiger Gott, jetzt, wo der Abend anbricht, unser Reich!

MILORDINO Schon – aber wenn sie an nichts glauben...

COTRONE Hast du es denn nötig, dass andere dir glauben, damit du dir selber glaubst?

DIE SGRICIA Kommen sie immer noch näher?

MILORDINO Die Blitze halten sie nicht auf! Die Mara hält sie nicht auf!

DOCCIA Na, wenn sie nichts nützen, ist es Verschwendung. Dann löscht sie aus!

COTRONE Aber ja, löscht aus da oben! Schluss mit den Blitzen! Du, Mara, komm her! Wenn sie nicht erschrecken, dann heißt das, sie gehören zu uns, und wir werden uns leicht mit ihnen verständigen. Die Villa ist groß. Plötzlich kommt ihm ein Gedanke. Oh, wartet mal! zu Quaqueo Hast du gesagt, es sind acht?

QUAQUEO Acht, ja, mir schien es so...

DOCCIA Du hast sie doch gezählt? Was soll das?

QUAQUEO Acht, acht.

COTRONE Dann sind es zu wenig.

QUAQUEO Acht und ein Karren. Das nennst du wenig?

COTRONE Es sei denn, die andern wären davongelaufen.

DIE SGRICIA Räuber?

COTRONE Ach was, Räuber. Red doch nicht. Wenn man verrückt ist, ist alles möglich. Vielleicht sind sie es.

DOCCIA Wer, sie?

QUAQUEO Da sind sie!

Nachdem die Blitze und der Scheinwerfer, der Mara-Mara auf dem Brückengeländer beleuchtet hat, erloschen sind, ist die Brücke in einem zarten Dämmerlicht, aus dem nach und nach Mondschein wird. Auf dem Weg hinter der Zypresse erscheinen der Graf, Diamante, Cromo und der Chargenspieler und Frauendarsteller Battaglia von der Schauspielertruppe der Gräfin.

Der Graf ist ein blonder, blasser junger Mann, der einen abwesenden und sehr müden Eindruck macht. Obwohl jetzt völlig verarmt, wie seine Kleidung verrät - ein kichererbsenfarbener, ziemlich abgetragener, stellenweise auch zerrissener Cutaway, weiße Weste und ein alter Strohhut – bewahrt er in seinen Gesichtszügen und in seinem Verhalten die enttäuschte Blässe einer großen Vornehmheit.

Diamante ist an die Vierzig; über einem üppigen, ja geradezu ausladenden Busen hält sie ihren harten Schädel mit einer gewissen Dreistigkeit hochgereckt. Sie ist übertrieben geschminkt: über zwei tiefen, ernsten Augen, die von einer unumstößlichen, hochmütigen Nase getrennt werden, wölben sich tragische Augenbrauen. An den Mundwinkeln hat sie zwei kleine Kommastriche aus kohlschwarzem Haar, und ein paar andere borstige Härchen kräuseln sich unter ihrem Kinn. Sie scheint andauernd im Begriff, vor liebevoller Fürsorge um den armen, unglücklichen jungen Grafen zu platzen und vor Empörung über seine Gattin Ilse, für deren Opfer sie ihn hält.