DIE ROOSEVELT-VERSCHWÖRUNG - Matt James - E-Book

DIE ROOSEVELT-VERSCHWÖRUNG E-Book

Matt James

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Beschreibung

Zwanzig Meilen östlich des bekannten Devils Tower in Wyoming wird ein kryptischer Brief gefunden. Er erwähnt einen mysteriösen »Schatz« und klingt wie ein Scherz, wenn nicht sein Verfasser eine der einflussreichsten Persönlichkeiten Amerikas wäre – der ehemalige amerikanische Präsident Theodore Roosevelt. Der Brief verweist zudem auf die »Sieben Schwestern«, einem Motiv aus der Folklore der amerikanischen Ureinwohner. Was diese beiden Dinge miteinander zu tun haben, ist dem jungen Lakota Chatan und seinem Onkel, einem Yellowstone-Park-Ranger, erst einmal nicht klar. Doch als der zwielichtige Casino-Betreiber Bartholomew Creed auf den Plan tritt und das große Geld wittert, wenden sich die beiden hilfesuchend an den Ex-Delta-Operator Jack Reilly, um das Rätsel zu lösen. ★★★★★ »Matt James ist DER Mann für schaurige Spannungsunterhaltung!« - Greig Beck, Autor der PRIMORDIA-Trilogie ★★★★★ »Wenn Sie weltumspannende Abenteuer vollgepackt mit abgedrehter Action mögen, werden Sie Matt James' Bücher lieben!.« - Nick Thacker, USA Today Bestseller-Autor ★★★★★ »Matt James' Romane brauchen eine Pause-Taste … es passiert unaufhörlich etwas!« - Lee Murray, Gewinnerin des Bram-Stoker-Awards und Autorin von BEUTEZEIT ★★★★★ »Wenn Sie Spannung, Gänsehaut und Action nonstop suchen, wird Matt James Ihr neuer Lieblingsautor!« - John Sneeden, Bestsellerautor

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Die Roosevelt-Verschwörung

das zweite Jack Reilly Abenteuer

Matt James

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: THE ROOSEVELT CONSPIRACY. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2020. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

 

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

 

Für »Caca«

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE ROOSEVELT CONSPIRACY Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-702-0

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Die Roosevelt-Verschwörung
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Über den Autor

Prolog

Crook County, Wyoming, 19o4

Der Druck, der auf einem lastete, Präsident der Vereinigten Staaten zu sein, veranlasste Theodore Roosevelt, sein Verlangen nach der kommenden Wahl noch einmal zu überdenken. Streng genommen war dies sein erster Wahlkampf für die Präsidentschaft. Ursprünglich war er im Jahr 1900 als Vizepräsident von William McKinley gewählt worden. Doch der Präsident war ein Jahr nach seiner Wiederwahl ermordet worden, und man hatte das Weiße Haus Roosevelt übergeben – einfach so.

Obwohl er mit seinen sechsundvierzig Jahren noch körperlich fit war, fühlte sich Roosevelt erschöpft. Allerdings sah man es ihm nicht an. Die Menschen – seine Wähler – erwarteten von ihm ein gewisses Maß an Lebensfreude, und genau das gab er ihnen. Aber innerlich hatte er zu kämpfen. Er war so gestresst, dass er beschloss, sich eine heimliche Zuflucht in den Wäldern zuzulegen – etwas, von dem nur einige wenige seiner Kabinettsmitglieder wussten. Wenn Roosevelt sich einmal aus der sehr öffentlichen und kritischen politischen Landschaft zurückziehen würde, wusste er bereits, was er tun wollte. Er würde zu seiner ersten Liebe zurückkehren: Die Welt bereisen und ihre Geschichte kennenlernen.

Bevor er in die Politik gegangen war, hatte sich Roosevelt viel mit Geschichte befasst und auch darüber geschrieben. Der Präsident war in seinem früheren Leben ein erfolgreicher Autor gewesen. Er plante, über seine Erfahrungen hier in der Wildnis von Wyoming zu schreiben. Sein Schwerpunkt sollte auf der Erkundung dessen liegen, was die einheimischen Indianer Bear Lodge nannten. Die baumstumpfförmige Felsformation war im Volksmund eher als Devils Tower bekannt. Sie war während einer Expedition unter der Leitung von Colonel Richard Irving Dodge im Jahr 1875 aufgrund eines Übersetzungsfehlers falsch benannt worden.

»Aber er ist alles andere als teuflisch«, sagte Roosevelt und starrte zu dem Gipfel hinauf. »Es ist wirklich ein wundervoller Anblick.«

»Ja, dieser Ort hat nichts Teuflisches.«

Roosevelt blickte zu seinem Partner hinüber. Der Einheimische war ein Lakota und kannte die Wälder wie seine Westentasche. Mahkahs Englisch war bemerkenswert, wenn man bedachte, dass er die Sprache erst vor ein paar Jahren gelernt hatte. Ein wenig davon hatte Roosevelt selbst ihm beigebracht. Aufgrund der fortschreitenden Expansion nach Westen waren im letzten Jahrzehnt in ganz Wyoming kleine, englischsprachige Siedlungen entstanden. Anstatt die ankommenden Familien zu bekämpfen, hieß Mahkah sie willkommen. Er war ein vertrauenswürdiger Führer und, wie Roosevelt in den letzten Jahren erfahren hatte, ein noch besserer Freund. Es war eine Beziehung, die er in den letzten sechs Jahren sehr genossen hatte.

Er respektierte die Lakotas mehr als die meisten anderen. Wie Roosevelt liebte auch Mahkah, dessen Name übersetzt »Erde« bedeutete, dieses Land. Die Erhaltung der Natur war etwas, das dem Präsidenten am Herzen lag. Er wollte sie in den Mittelpunkt seines Wahlkampfes stellen. Und er wollte auch die Menschen schützen. Tief in seinem Inneren glaubte Roosevelt daran, dass jeder, dem die Ehre zuteilgeworden war, seine Füße auf diese Erde zu setzen, etwas Besonderes und Schützenswertes war – und nicht nur weiße Amerikaner. Er beabsichtigte, in seinem nächsten Buch näher darauf einzugehen.

Mit einem Notizblock in der Hand durchstreifte Roosevelt das Gelände rund um den Bear Lodge, und Mahkah blieb stets in seiner Nähe. Beschreibungen dessen zu verfassen, was er um sich herum sah, während er durch die Natur wanderte, war gefährlich und – wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war – auch ein wenig töricht. Zweimal stolperte er und fiel hin – und zweimal machte sich Mahkah deswegen über ihn lustig. Aber beide Male war sein Freund zur Stelle, um ihn wieder aufzurichten. Für Mahkah war der Präsident der Vereinigten Staaten einfach nur »Teddy.«

»Du musst aufpassen«, warnte Mahkah.

Roosevelt klopfte sich den Dreck ab und lachte. »Dafür ist es ein bisschen spät, aber trotzdem danke für die Warnung.«

Als der Tag zur Nacht wurde, schlugen die beiden Männer ihr Lager am Fuße einer neun Meter hohen Felswand auf. Der Präsident übernahm es, das Abendessen für sich und seinen Freund zuzubereiten. Die Formalitäten, die den mächtigsten Mann Amerikas umgaben, waren vergessen. Hier draußen war Roosevelt ein Mann wie jeder andere, und das gefiel ihm.

»Ich weiß nicht, was ich als Nächstes tun soll, Mahkah.«

»Was meinst du?«

Roosevelt seufzte. »Ich meine, ich bin nicht sicher, was ich mit dem nächsten Teil meiner Reise hier auf der Erde anfangen soll.«

Mahkah lächelte und legte seine Hand auf seine Brust. »Ja, Erde.«

Der Präsident rollte mit den Augen. Zuerst nahm er an, dass Mahkah ihn nicht verstanden hatte. Aber im Schein des Feuers sah er Mahkahs Augen. Sie waren auf ihn gerichtet – und durchdringend. Mahkah wusste genau, was Roosevelt gemeint hatte. Der Lakota wusste alles über Roosevelt, sogar seine Pläne zur Einführung eines »Nationalparks«, wie er es nannte.

Mahkah war begeistert von der Idee, Gesetze zum Schutz der Natur zu erlassen. Er hatte bereits damit begonnen, sich dafür einzusetzen, dass der Bear Lodge und die umliegenden Gebiete als erste unter diesen Schutz gestellt wurden. Roosevelt hatte angedeutet, den Vorschlag in Betracht zu ziehen, obwohl er nicht genau sagen konnte, was das Gebiet außer der schönen Aussicht sonst noch zu bieten hatte. Das erste nationale Naturdenkmal musste von besonderer Bedeutung sein. Die Entscheidung darüber stand im Mittelpunkt seines Wahlkampfes, und sein Sieg würde maßgeblich davon abhängen, falls er tatsächlich für das Präsidentenamt kandidierte.

Mahkah stand auf. »Komm. Ich werde dir etwas zeigen.«

Roosevelt stand auf und umrundete das kleine Feuer. Gemeinsam traten sie näher an die Klippe heran und hielten inne. Hier – abseits der warmen Flammen – war es viel dunkler. Roosevelt blickte nach unten und konnte nicht weiter als bis zu seinen Kniescheiben sehen. Nur der Mond sorgte für spärliches Licht. Er schaute zu ihm hinauf.

»Gut«, sagte Mahkah. »Jetzt schließe deine Augen und sprich mit dem Wind. Bitte die Götter, es zu sehen.«

Roosevelt richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Freund. »Was zu sehen?«

Mahkah lächelte, schwieg aber.

Im Vertrauen auf seinen Kameraden spielte Roosevelt mit und schloss seine Augen. Er betete zu seinem Gott, er möge ihm Kraft geben und ihm den Weg zeigen. Der Präsident spürte, wie Mahkah ihm einen Sack über den Kopf stülpte. Was auch immer ihm offenbart werden sollte, den Weg dorthin durfte er nicht sehen. Roosevelt wusste, dass die Einheimischen abergläubisch waren, wenn es um ihre Glaubenssysteme ging.

Dann wurde er weggeführt, und marschierte etwa eine halbe Stunde lang weiter.

»Halt«, flüsterte Mahkah schließlich.

»Was ist?«

»Ein Bär.«

Roosevelt versuchte, sich den Sack vom Kopf zu reißen, wurde aber daran gehindert.

»Nein, das darfst du nicht.«

»Aber …«, versuchte er zu widersprechen.

»Es ist eine Prüfung der Götter«, erklärte Mahkah ohne Angst. »Der Wind – er warnt uns davor, einem Bären auf dieser heiligen Erde etwas anzutun.«

Roosevelt hörte die Kreatur schnaufen und knurren. Sie kam immer näher.

»Mahkah?«

Der Eingeborene packte ihn an der Schulter. »Ja, jetzt können wir weglaufen.«

Trotz seiner eingeschränkten Sehkraft rannte Roosevelt wie ein olympischer Sprinter. Er wurde von seinem Freund mitgezogen und war überrascht, dass er nicht stürzte. Seine anderen Sinne liefen auf Hochtouren und leiteten ihn weiter. Dann kamen sie rutschend zu stehen und Roosevelt wurde vor eine Wahl gestellt.

»Springen oder kämpfen.«

»Springen?«, fragte Roosevelt. Er hatte keine Ahnung, wohin er springen sollte – oder wovon.

Keiner der beiden Männer hatte ein Gewehr bei sich. Roosevelt hatte seinen Rucksack am Lagerfeuer zurückgelassen. Wenn sie sich wehrten, würden sie von dem, was Roosevelt für einen Grizzly hielt, in Stücke gerissen werden.

»Ist das immer noch ein Test?«, fragte er und griff nach dem Sack.

»Ja.«

Wider besseres Wissen ließ Roosevelt seine Hand sinken.

»Okay. Dann springen wir.«

Gemeinsam setzten die beiden zum Sprung an. Sie fielen viel länger, als Roosevelt es erwartet hatte. Einen Moment lang dachte er, sie würden für immer fallen. Dann tauchte der Boden unter ihnen auf, wurde langsam flacher und verwandelte sich in eine Art Rutschbahn. Die beiden Männer klammerten sich aneinander, rollten den Hang hinab und kamen schließlich zum Stillstand. Schwer atmend stand Roosevelt auf und riss sich mit einigem Unmut über Mahkah den Sack vom Kopf. Er war kurz davor, den Mann zu tadeln, weil er den Präsidenten der Vereinigten Staaten beinahe umgebracht hatte, aber er tat es nicht. Roosevelt hätte Mahkahs Anweisungen auch einfach nicht befolgen können. Seine abenteuerliche Seite hatte ihn übermannt, und das hätte ihn fast das Leben gekostet. Außerdem konnte Roosevelt den Lakota nicht sehen. Er konnte ihn nicht einmal hören.

»Mahkah?«

Hinter ihm entzündete sich ein Licht. Roosevelt wirbelte herum und zog sein Messer. Es war die einzige Waffe, die er bei sich trug. Aber es gab nichts zu befürchten. Mahkah hatte nur eine Fackel angezündet.

»Was machst du …?«

»Es ist sehr dunkel. Komm.« Mahkah drehte sich um und lief los.

Die beiden gelangten zu einer Treppe. Roosevelt hatte keine Ahnung, was er denken sollte. Er befand sich irgendwo unter der Erde und stieg eine alte Steintreppe hinunter. Im schwachen Fackellicht konnte Roosevelt die Stufen gerade noch erkennen und war überrascht, wie verwittert sie waren. Dieser Ort war alt – alt genug, dass sich der Stein abgenutzt hatte.

Mahkah sagte, er würde ihn in die Unterwelt führen. Roosevelt war ein intelligenter Mann. Er glaubte nicht, dass Himmel und Hölle physische Orte waren.

Aber dieser Ort existierte.

Die Stufen mündeten in etwas, von dem Roosevelt wusste, dass es sich um einen großen Raum handeln musste. Auch ohne ihn zu sehen, konnte er seine Ausmaße spüren. Höhlen waren in diesem Gebiet weit verbreitet. Es würde ihn nicht im Geringsten überraschen, wenn eine Höhle von den Lakotas als Unterwelt interpretiert worden wäre.

»Wir sind da«, verkündete Mahkah.

»Wo?«, fragte Roosevelt und sah sich um. Außer Mahkahs Licht konnte er nicht viel sehen.

Mahkah blickte ihn über seine Schulter hinweg an und lächelte. »Hier.«

Er warf die Fackel in eine Grube. Die große, perfekt geschnittene runde Vertiefung loderte sofort in einem Feuerball auf. Roosevelt war erstaunt über das, was er im Licht der wabernden Flammen sah. »Unglaublich …« Er drehte sich im Kreis, und sein Verstand arbeitete auf Hochtouren. Er konnte es nicht fassen. Er hatte keine Ahnung, wie so etwas gebaut worden war. Im tanzenden Feuerschein schrieb Roosevelt alles auf, was er sah – und auch alles, was er dachte. Und wie er es immer tat, unterschrieb er unten auf jeder Seite. Das war eine seiner Vorsichtsmaßnahmen. Auf diese Weise würde es nie Zweifel geben, wem dieses Notizbuch gehörte.

»Aber … wie?«

»Wir wissen es nicht«, erklärte Mahkah, »aber deshalb musst du dieses Land schützen. Das musst du mir versprechen.«

Roosevelt nickte. Er wusste, was er zu tun hatte. Er klappte seinen Notizblock zu. Dessen Inhalt war für ihn von unschätzbarem Wert. Er enthielt alles, was er brauchte, um sein neues Buch zu schreiben. Aber Mahkahs Bitte war wichtiger. Schweren Herzens warf der Präsident die Notizen in das Inferno. Niemand durfte erfahren, was er hier gefunden hatte.

Er begegnete Mahkahs Blick. »Ich verspreche es dir. Ich werde dieses Land beschützen.«

Cascade, Wyoming Gegenwart

Ein Hämmern an der Tür riss Nina aus ihren Gedanken. Seit einer Woche hatte sie die Wohnung ihres Großvaters ausgeräumt. Es war klar, dass er nicht mehr nach Hause kommen würde. Sein körperlicher Zustand hatte sich so weit verschlechtert, dass er in fast allen Bereichen des Lebens Hilfe benötigte. Als sein Vormund hatte Nina beschlossen, sein Haus zu verkaufen, um die Arztrechnungen bezahlen zu können, die sich auf ihrem Küchentisch aufgetürmt hatten.

Sie öffnete die Haustür und lächelte den jungen Mann an, der auf der anderen Seite der knarrenden Türschwelle stand. Chatan »Hawk« Durham war der freundlichste Mensch, den sie je getroffen hatte. Er hatte sich noch nicht ein einziges Mal über ihre Liebe zum Nachtleben beschwert oder erwartet, dass sie sich jemals ändern würde. Doch selbst nachdem sie ihn mehrmals versetzt und ihn sogar betrogen hatte, hatte Hawk ihr stets geholfen, wenn es sonst niemand tat. Er war der Einzige ihrer Kollegen oder Freunde gewesen, der seine Hilfe angeboten hatte, und gerade Letztere waren rar gesät. Da schadete es auch nicht, dass sie wieder begonnen hatten, miteinander zu schlafen. Sie vermutete, dass ihre derzeitige Beziehung ernster geworden war, als sie es beabsichtigt hatte. Diesmal waren sie seit sechs Monaten ohne Unterbrechung zusammen. Nina mochte ihn sehr, aber sie hatte noch einen weiten Weg vor sich, um jemals wieder jemandem voll und ganz vertrauen zu können, nach allem, was ihr Vater ihr angetan hatte, als sie noch ein Teenager gewesen war.

»Hey«, sagte Hawk und schreckte sie aus ihren Gedanken. »Wie geht es dir?«

Sie zuckte mit den Schultern und blinzelte heftig. »Gut, wieso fragst du? Er ist nicht tot, Hawk.«

Er rollte mit den Augen und trat ein. Nina warf sich in seine Arme, und sie küssten sich. Sie zog spielerisch an seinem Pferdeschwanz, und er biss ihr auf die Lippe. Hawk und Nina waren ein interessantes Paar. Er stammte von den Lakotas ab. Ninas Vorfahren gehörten zu den ersten weißen Familien, die sich vor über hundert Jahren im Norden Wyomings niedergelassen hatten. Ihr Urgroßvater war der erste Bürgermeister von Cascade gewesen.

»Wow«, sagte Hawk, als er sich mit in die Hüften gestemmten Armen umschaute, »du hast eine Menge geschafft.«

Nina drohte ihm mit der Faust. »Und was soll das bedeuten?«

Er grinste und streichelte die obere Hälfte ihres vollständig tätowierten linken Arms. »Das bedeutet, dass du manchmal unglaublich faul sein kannst.«

Sie schlug halbherzig nach ihm. Hawk ließ zu, dass ihre Faust seine Wange traf. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Nina, sie hätte ihn verletzt. Doch Hawk konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Das ließ Nina zu einer ganzen Litanei von Flüchen ansetzen.

Schließlich beruhigte sie sich wieder und bog den Rücken durch. »Hilf mir doch mit dem Teppich, ja?«

Hawk starrte auf ihren nackten Bauch. Dieser und ihr tiefer Ausschnitt machten es immer schwerer, sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Die beiden betraten das gemütliche Wohnzimmer und räumten den schweren Couchtisch ab. Als Nächstes machten sie sich daran, den groben Zottelteppich aufzurollen. Hawk stolperte über eine verzogene Bodendiele, und die beiden gingen zu Boden. Nina landete stöhnend und wimmernd direkt auf ihm.

»Autsch.«

Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Geht es dir gut?«

»Ja.« Er nickte, zuckte aber zusammen. »Ich bin auf meinen Schlüsseln gelandet.«

Sie setzten sich auf und bemerkten, dass sich die Bodenplatte gelöst hatte. Hawk griff danach und war schockiert, als er feststellte, dass sie sich komplett abgelöst hatte.

»Ups.«

»Scheiße, Hawk! Komm schon, Mann! Ich kann es mir nicht leisten, den Boden reparieren zu lassen.«

Sie knieten sich um das Brett herum und versuchten, es wieder an seinen Platz zu bringen.

»Warte mal«, sagte Hawk und zeigte auf etwas unter dem Boden. »Was ist das?«

Mit zusammengekniffenen Gesichtern beugten sich Nina und er über das Loch im Boden. Ein flacher Metallkasten starrte ihnen entgegen. Er war verschlossen. Allerdings war das Vorhängeschloss klein und konnte ohne großen Aufwand aufgebrochen werden. Hawk holte die Kiste heraus und stellte sie zwischen ihnen auf den Boden.

»Moment.« Nina griff in die Tasche ihrer Röhrenjeans und zog einen Schlüsselring heraus. »Ich habe mich immer gefragt, wofür dieses Ding gut ist.« Sie hielt einen einzelnen, kleinen Messingschlüssel hoch. Neben dem Hausschlüssel war das der einzige Schlüssel, der noch an dem Ring hing. Das Auto ihres Großvaters hatten sie vor zwei Sommern verkauft.

Sie lächelten beide, als er perfekt in das Vorhängeschloss passte.

Nina drehte den Schlüssel herum.

Das Schloss sprang auf, und Hawk machte sich daran, es zu entfernen. Wie ein Kind an seinem Geburtstag hob er voller Vorfreude den Deckel an. Sowohl er als auch Nina waren von dem, was sie sahen, überrascht.

»Ein Umschlag?« Nina runzelte die Stirn. »Ich hatte irgendwie gehofft, es wäre Bargeld.«

»Könnte es immer noch sein«, antwortete Hawk.

Hawk nahm den vergilbten Umschlag an sich und blickte zu Nina auf. Er konnte sehen, dass sie nicht im Geringsten an dem Fund interessiert war. Aber Hawk war es. Er liebte solche Dinge. Das hatte er alles seinem Onkel Tatanka zu verdanken. Er hatte Hawk von klein auf mit aufgezogen und ihm beigebracht, die Geschichte und die Natur zu respektieren. Sie hatten tagelang zusammen gezeltet und in den Stunden dazwischen stundenlange Wanderungen unternommen.

Er zog ein kleines Messer aus seiner Gesäßtasche, schnitt den Umschlag vorsichtig auf und entnahm ihm ein gefaltetes, leicht verkohltes Stück Papier. Diese Entdeckung hatte in der Vergangenheit ein Feuer überlebt. In Ermangelung anderer Anhaltspunkte öffnete Hawk das Papier vorsichtig und versuchte, es zu lesen. Leider waren die meisten Wörter entweder verschmiert oder fehlten ganz. Der Brandschaden beschränkte sich nicht nur auf die äußeren Ränder der Seite. An einigen Stellen war die Seite auch durchlöchert.

»Es ist ein Brief«, sagte er, »oder eine Notiz.«

»Kannst du etwas entziffern?«

»Nicht viel«, antwortete er. »Hier«, er zeigte auf eine Zeile, »ich glaube, hier steht: Reichtum einer Nation.«

»Reichtum?«, fragte Nina und rückte näher heran. »Du meinst, so etwas wie Geld?«

Hawk zuckte mit den Schultern. »Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht schon.«

»Was steht da noch?«

Er kniff die Augen zusammen und hielt das Papier in verschiedenen Winkeln. Dabei achtete er darauf, das Blatt nur an den Rändern zu berühren, um es nicht weiter zu beschädigen. »Da steht auch: Die Sieben … sie, äh, ruhen im Schoß des Bären.«

»Die Sieben ruhen im Schoß des Bären?«, wiederholte Nina. »Bist du sicher?«

»So steht es hier«, sagte Hawk und kratzte sich am Kopf.

Die Sieben?, dachte er. Könnten die Sieben Schwestern gemeint sein? Hawk wusste eine Menge über die Geschichte seines Volkes, aber sein Onkel war der wahre Experte. Er würde mit Sicherheit wissen, was es bedeutete.

Er drehte sich um, hielt die Seite gegen das Licht und las die einzige weitere lesbare Zeile. »Soll ich es offenbaren?«

»Wer ist ich?«

»Ich weiß nicht …« Hawk unterbrach sich. Am unteren Rand des Schriftstückes hatte er eine verblichene Signatur entdeckt. »Oh.«

»Sein Name war Oh?«

Er antwortete nicht. Stattdessen deutete er stumm auf den Namen. Nina konnte ihn wohl nicht entziffern, denn ihre Reaktion war nicht die gleiche wie seine. Hawk war fassungslos – und überrascht darüber, von wem der Brief stammte.

»Theodore Roosevelt.«

Black Buffalo Resort und Casino Cascade, Wyoming

Nach dem Ende ihrer Schicht fand sich Nina an ihrem Lieblingsplatz wieder – der Bar. Shannon und Monica waren ebenfalls anwesend. Die drei Mädchen trafen sich regelmäßig auf einen Drink, unabhängig davon, wie früh eine von ihnen am nächsten Tag arbeiten musste. Manchmal hatte Nina gerade genug Zeit, um sich zu duschen und umzuziehen, bevor sie wieder zur Arbeit musste. Sie hätte nicht sagen können, wie viele Tage sie ohne Schlaf gearbeitet hatte. Die Zahl war zu hoch, um sich daran zu erinnern.

»Moment mal«, sagte Shannon und hätte sich beinahe verschluckt, »du und Hawk habt eine Schatzkarte gefunden?«

Monica kicherte und nahm einen weiteren Schluck von ihrem Long Island Eistee. »Nein, du Schnapsdrossel, sie haben einen Brief gefunden, richtig?«

Nina nickte und blinzelte heftig wegen den sechs oder mehr Schnäpsen, die sie geleert hatte. »Ja …«, gluckste sie und kicherte. »Wir haben einen Zettel gefunden, der von Teddy Ruxpin – ich meine Roosevelt – geschrieben wurde!«

Alle drei Mädchen lachten sich über Ninas Versprecher halbtot. Die einzige Person, die nicht lachte, war der Barkeeper. Stattdessen schaute er zu der Kamera über seinem Kopf hinauf. Er wusste, wer zuhörte. Er arbeitete lange genug im Black Buffalo, um zu wissen, dass die beiden verantwortlichen Männer immer nach einer Möglichkeit suchten, mehr Geld zu verdienen. Und eines wusste der Barkeeper mit Sicherheit: Nina Farley würde bald privaten Besuch von einem Mann namens Bigfoot bekommen. Das Mädchen tat ihm deshalb leid. Bigfoot hatte seine ganz eigene Art, mit Menschen umzugehen.

Eine gewalttätige.

Kapitel 1

Yellowstone-Nationalpark Wyoming

Die Sonne ging gerade erst auf. Die niedrige Lage des Parks tauchte Jack und Bull in eine tiefe, kühle Dunkelheit. Die Luft unter dem Blätterdach des Waldes klammerte sich länger an die Dämmerung als in anderen Teilen des Parks. Den beiden Rangern machte das nichts aus. Sie zogen die derzeitige Frische der Luft der Schwüle am späten Nachmittag vor.

Es hatte Berichte über eine Party in der Nacht zuvor gegeben; etwas, das nach Sonnenuntergang im Yellowstone nicht gern gesehen war. Der Konsum von Alkohol auf dem Parkgelände war nicht illegal, solange er nicht außer Kontrolle geriet. Dieses Mal aber war er völlig aus dem Ruder gelaufen. Eine der an der Party beteiligten Personen – eine neunzehnjährige Studentin im zweiten Semester – war ins Krankenhaus eingeliefert worden. Kurz darauf sahen sich die Ärzte gezwungen, ihr den Magen auszupumpen. Später an diesem Tag hatte sie dann gestanden, an etwas teilgenommen zu haben, was sie als »Besäufnis« bezeichnete.

Sally Siling aus der Leitstelle der Ranger hatte das Mädchen wörtlich zitiert – sogar den Teil, in dem die Party als »krass geile Scheiße« beschrieben wurde.

»Ich wette, das war es, Sal.« Jack gluckste leise auf ihre Kosten. »Ich wette, das war es …«

Tatanka »Bull« Durham lief voran, wie er es immer tat. Der Lakota war der beste Spurenleser, den Jack je gesehen hatte. Selbst während seiner Zeit beim Militär hatte Jack noch nie jemanden erlebt, der so gut mit der Umwelt in Einklang war. Es war, als würde Bull genau wissen, was Mutter Natur dachte.

Einmal waren sie auf einer Nachmittagswanderung unterwegs gewesen. Es war trocken gewesen, und doch hatte Bull seltsamerweise beschlossen, seinen Regenmantel mitzunehmen. »Es fühlt sich nach Regen an«, hatte er erklärt. Der Himmel war an diesem Morgen so klar gewesen, dass Jack sich nicht die Mühe gemacht hatte, seinen eigenen einzupacken. Fünfzehn Minuten nach Beginn ihrer Wanderung war Jack völlig durchnässt gewesen, hatte gefroren und wie ein Wilder geflucht.

Bull sog die Luft ein. Als er sprach, war seine Stimme so sanft wie immer. »Hier entlang.« Er erhob sie nur selten.

Sie waren auf der Suche nach dem Partygelände – ein Unterfangen, welches durch einen heftigen Regenschauer, der vor einigen Stunden eingesetzt hatte, noch erschwert wurde. Alles war durchnässt, einschließlich Jacks Schuhe und Socken. Das Mädchen, das im Krankenhaus lag, konnte sich nicht erinnern, wo genau diese stattgefunden hatte. Dabei konnte sie sich glücklich schätzen, dass ihr nichts Schlimmeres passiert war. Hier draußen in den Wäldern, ohne dass jemand von den Behörden in der Nähe war, hätte es gefährlich werden können, vor allem angesichts der riesigen Menge an Alkohol in ihrem Körper.

Das Duo war bereits dreißig Minuten unterwegs. Die Entfernung zeigte zumindest, dass einige der Feiernden gut vorbereitet und mit der Gegend vertraut waren. Jack vermutete, dass derjenige, der diese Party organisiert hatte, ein Einheimischer war. Hoffentlich würde die betrunkene Studentin noch jemanden verraten. Immerhin war sie fast gestorben. Aber das war dann nicht mehr Sache des National Park Services (NPS), sondern lag in den Händen der örtlichen Strafverfolgungsbehörden.

Der Pfad voraus verschmälerte sich zusehends und zwang Bull und Jack, die Schultern zusammenzuziehen. Dennoch war er noch begehbar und erst kürzlich benutzt worden. Sogar Jack konnte das erkennen. Der Pfad war mit abgebrochenen Ästen übersät, und direkt vor ihm glitzerte ein Stück Metall. Jack folgte Bull auf eine kleine Lichtung. Sie war völlig zugemüllt. Der metallische Gegenstand, den er entdeckt hatte, bevor er die Lichtung betreten hatte, entpuppte sich als eine verbeulte Aluminium-Bierdose.

»Ground Zero«, sagte Jack und stieß die leere Dose mit dem Fuß an. Auf dem durchtränkten Boden lagen noch ein Dutzend weiterer Dosen, außerdem vier leere Wodkaflaschen und ein leerer, aufgeweichter Karton Hard Seltzer.

Igitt, dachte Jack mit gerümpfter Nase und starrte auf die Seltzers, diese Leute haben einen schrecklichen Geschmack.

Auch Essen lag überall herum. Anscheinend hatte es niemand für nötig gehalten, einen Müllsack mitzubringen oder die Abfälle zumindest in eine verschließbare Kühlbox zu packen.

»Dreckige Bastarde.«

»Was?«, fragte Bull, der gerade eine kalte Feuerstelle inspizierte.

Jack winkte nur stumm ab und hielt auf einen zweiten Pfad zu. Er kniete sich nieder und untersuchte eine Reihe von Fußabdrücken. Auch dieser Weg war erst vor Kurzem benutzt worden. Jetzt, wo der NPS über den Zustand des Parks informiert worden war, konnten sie die Schäden katalogisieren und den Behörden melden. Leider würde eine ordentliche Säuberung noch warten müssen. Dafür waren Jack und Bull nicht hier.

Jack holte sein Satellitentelefon hervor und wählte die Nummer von Sally im Hauptquartier.

»Verdammt.« Er bekam kein Signal. Er sah Bull an. »Wir sind in einem Funkloch.«

Bull nickte, zog sein eigenes Handy hervor und schoss eine Handvoll Beweisfotos. Da sie nichts anderes tun konnten, sammelten die beiden Männer so viel Müll ein, wie sie konnten, und warfen ihn in die Feuerstelle. Mit den Füßen schoben sie eine Schicht Erde darüber. Hoffentlich würde das die Überreste bis zu ihrer Rückkehr abdecken. Wenn sie den Schaden gemeldet und Sally den genauen Standort mitgeteilt hatten, würden sie sich auf den Weg zurück zu Bulls Wagen machen und ihre Ausrüstung holen – vor allem Schaufeln und schwarze Müllsäcke. Dann würden sie zu der Partymeile zurückkehren und sich an die Arbeit machen.

Heute sind wir nichts weiter als Müllmänner.

Jack folgte seinem Partner von der Lichtung und zurück in die Bäume. Dieser Pfad war breiter als der letzte, sodass die beiden Männer nebeneinander gehen konnten. Er wusste, dass dieser Weg sie zu einem Abgrund führen würde, aber zum Glück führten die Fußspuren nicht bis in dessen Nähe. Zwischen dem Abgrund und der Lichtung lag ein komfortabler Puffer von fünfzehn Metern. Als sie diese erreichten, machte sie der Anblick sprachlos.

Der Pfad, der normalerweise parallel zu dem Abgrund verlief, war verschwunden.

»Letzte Nacht muss es definitiv einen Sturm gegeben haben«, sagte Bull und schaute Jack an.

»Wie kommst du darauf?«

Ein Erdrutsch hatte den Bereich vor ihnen weggerissen. Anstelle des plötzlichen Abhangs, der sich eigentlich fünfzehn Meter vor ihnen hätte befinden sollen, gab es dort jetzt einen Vorsprung, der sanfter und schräger abfiel – und sich nur noch einen Meter vor ihren Zehen befand.

»Wir sollten zurückgehen«, sagte Bull und wandte sich ab.

Jack aber hatte anderes im Sinn.

»Warte mal.« Bull blieb stehen und schaute zurück. Jack beugte sich über den zerstörten Pfad. »Ich glaube, wir können es schaffen, wenn wir uns dicht an der Baumgrenze halten.«

Bull verschränkte die Arme vor sich. Es sah so aus, als müsste er erst noch überzeugt werden. Der Mann war unerschütterlich in allem, was er tat. Wenn er zurückgehen wollte, würde er das tun.

Jack zwinkerte. »Vertrau mir.«

Bull schnaubte, blieb aber bei ihm.

Jack inspizierte den Abhang und trat aus den Bäumen. Dabei bewegte er sich langsam, aber stetig voran. Er wählte seine Schritte sorgfältig und nutzte die Bäume zu seiner Rechten als Stütze. Jack wurde zu selbstsicher, es schaffen zu können, und beschleunigte törichterweise das Tempo. Dabei griff er nach dem Stamm einer dünnen, jungen Kiefer und erschrak, als dieser nachgab.

Oh, Scheiße!

Jack stürzte und rutschte zusammen mit dem Baum kopfüber hinab. Beide glitten das frische Gefälle hinunter und steuerten auf die Klippe zu. Der Baum trieb ihn dabei nach links und wirbelte ihn herum. Mit den Füßen suchte Jack verzweifelt nach Halt, fand aber keinen. Er war zu schwer, und er bewegte sich zu schnell. Alles, was die Gegend um ihn herum zu bieten hatte, war nur noch mehr Schlamm.

Als seine Füße und sein Hintern den Boden verließen, schloss sich etwas mit der Kraft eines Schraubstocks um sein ruderndes Handgelenk. Jack wurde hart gegen den Rand einer Klippe geschleudert. Er sah auf und erblickte Bull, der auf dem Bauch lag. Der größere Mann versuchte angestrengt, Jacks zweihundert Pfund schweren Körper über einen vierundzwanzig Meter tiefen Abgrund zu halten, der in einem schnell fließenden, eisigen Fluss endete.

»Beeil dich«, sagte Bull und biss die Zähne zusammen. »Klettere hinauf.«

Jack stemmte sich mit den Füßen an die Felswand und begann, nach oben zu klettern. Als sein Kopf über der Klippe auftauchte, erstarrte er. Auf dem neu entstandenen Abhang befand sich das Letzte, was er in diesem Moment sehen wollte.

»Warum kletterst du nicht weiter?«, fragte Bull. »Ich …«

»Pssst«, unterbrach ihn Jack. »Berglöwe.«

Je nachdem, in welchem Teil des Landes man sich befand, war der Puma concolor unter verschiedenen Namen bekannt. Für Jack waren sie Berglöwen. Aber sie waren auch als Pumas oder Panther bekannt, und sie konnten durchaus so schwer werden wie Jack. Dieser hier war nicht so groß, aber trotzdem ein stattliches Exemplar.

Vielleicht zwanzig Kilo weniger als ich – mehr oder weniger.

Bull riss die Augen auf. Jetzt steckten sie in ernsten Schwierigkeiten. Für die große Raubkatze mussten sie wie zwei miteinander ringende Fleischstücke aussehen. Für gewöhnlich griff ein Berglöwe nur dann an, wenn sie sich in seinem Territorium aufhielten oder wenn seine Jungtiere in der Nähe waren.

Oder je nachdem, wann er seine letzte Mahlzeit hatte.

Die Raubkatze kam mit gesenktem Kopf und zuckendem Schwanz auf sie zu.

Langsam griff Jack mit der freien Hand nach der Pfefferspray-Pistole in seinem Holster. Die nicht-tödliche Waffe war ihr bevorzugtes Mittel der Verteidigung. Das Letzte, was Jack oder Bull tun wollten, war, das Raubtier zu töten. Sie befanden sich hier in seinem Wohnzimmer und waren daher diejenigen, die im Unrecht waren.

Bull schüttelte den Kopf.

Jacks Bewegungen ließen den Körper seines Partners weitere fünf Zentimeter nach vorne rutschen. Bald würden beide Männer fallen.

Die Katze hielt weiter auf sie zu und spannte ihre Hinterbeine an.

»Ich muss«, sagte Jack, der endlich den Griff der Waffe gefunden hatte.

Während die große Raubkatze in die Luft sprang, richtete Bull seine Aufmerksamkeit auf den brodelnden Fluss direkt unter ihnen. Als Jack gerade seine Hand um seine Pfefferspraypistole schloss, tat Bull das Undenkbare.

Er ließ los.

Die beiden Ranger stürzten wie Bomben hinab und schrien, als sie unbeholfen in dem eiskalten Gebirgsbach landeten. Kurz nach dem Eintauchen wurden sie unter Wasser gezogen. Beide waren gute Schwimmer. Schnell kämpften sie sich an die Oberfläche und erschraken, als der Berglöwe neben ihnen ins Wasser platschte.

»Ich kann es nicht glauben!«, rief Jack gurgelnd. »Du hast die verdammte Katze mir vorgezogen!«

Bevor Bull sich verteidigen konnte, nahm die Strömung an Geschwindigkeit zu, und das Trio ritt unfreiwillig durch die Stromschnellen. Sie stimmten in einen einzigen Schrei ein – einschließlich der Raubkatze – und wurden schließlich über einen mächtigen Wasserfall geschleudert.

Das Wasser direkt unter dem Wasserfall war breiter und ruhiger, aber etwa dreißig Meter floss es wieder schneller. Jack und Bull schwammen auf eine Seite zu, der Berglöwe steuerte die andere an. Ähnlich wie die Großkatze krochen die beiden Ranger auf allen vieren an Land und ließen sich dort keuchend auf den Rücken fallen. Jack drehte den Kopf nach links und erspähte das Tier, das sich das Wasser aus seinem goldbraunen Fell schüttelte. Mit einem letzten finsteren Blick drehte es sich um und huschte in die dichte Wildnis. Jack blickte in den Himmel und lachte, froh, noch am Leben zu sein. Er war durchnässt und fror. Doch die Alternative hätte der Tod sein können.

»Mann, ich hasse Katzen.«

»Das mag sein«, sagte Bull, »aber denke immer daran …«

»Ich weiß, ich weiß«, unterbrach ihn Jack und klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Wir zerstören nicht, wir erhalten.«

Ein nur allzu vertrautes, gutturales Brüllen erschreckte Jack und Bull. Sie sprangen auf und fanden sich Auge in Auge mit einem Grizzlybären wieder. Es war ein großes Männchen, und alles andere als erfreut, sie zu sehen. Das letzte Mal, als Jack sich mit einem Grizzly angelegt hatte, hatte damit geendet, dass sie beide mit Pfefferspray eingedeckt wurden.

»Bleib ruhig«, flüsterte Bull.