SUB ZERO - Matt James - E-Book

SUB ZERO E-Book

Matt James

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Beschreibung

Als man in den eisigen Fluten der Antarktis, ganz in der Nähe der McMurdo-Station, eher zufällig auf eine neue Gattung von Tintenfischen stößt, wird rasch ein Team von Spezialisten auf einem der modernsten Forschungsschiffe ausgesandt. Sie sollen das besondere Gift dieser Tiere für eines ihrer Forschungsprojekte sicherstellen – ein experimentelles Schmerzmittel für Soldaten an der Front. Alles verläuft nach Plan, bis das Schiff in einen gewaltigen Sturm gerät. Das Labor des Tankers wird dabei zerstört, und bei der versuchten Sezierung des Tintenfisches infiziert sich einer der Ärzte mit einem seltsamen Virus. Doch das Virus tötet den Arzt nicht. Es verändert ihn …

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Inhaltsverzeichnis

SUB ZERO
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Epilog
Über den Autor

SUB ZERO

Matt James

übersetzt von Tina Lohse

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: SUB ZERO. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2019. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: SUB ZERO Copyright Gesamtausgabe © 2020 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Tina Lohse Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2020) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-516-3

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Prolog

McMurdo-Station, Antarktis
Elf Jahre zuvor

Mit müden Augen starrte Gavin Kirk auf seinen Monitor und hoffte, dass seine Schicht bald vorbei war. Als Radartechniker auf einer Antarktis-Station hatte er ein leichtes Leben, da nie etwas auf seinem Bildschirm auftauchte. Niemals. Falls ein grüner Punkt darauf erschien, stellte er normalerweise etwas dar, was sie erwarteten, so wie ein Versorgungsschiff oder ein herannahendes Flugzeug, das Frachtcontainer abholte oder lieferte.

Kirk seufzte, als er auf seine Uhr schaute.

Noch eine Stunde, dachte er und rieb sich über das Gesicht.

Er saß seit mittlerweile elf Stunden an seinem Platz und bereute es bereits zutiefst, für einen seiner Kollegen eingesprungen zu sein. Reflexartig fiel sein Blick schon wieder auf sein Handgelenk und er stöhnte. Seine Schicht schien niemals zu enden.

Eine Stunde noch, Gavin, dachte er. Komm schon, Mann.Das packst du.

Derzeit waren nur Kirk und zwei seiner Vorgesetzten im Dienst. Die Nachtschicht war immer das Schlimmste, was McMurdo zu bieten hatte. Da Lieferungen nie für nachts geplant waren, weil dann das Wetter am schlechtesten war, tauchte buchstäblich überhaupt nichts auf dem Radar auf.

Die Sonne war immer noch zu sehen und da Weihnachten vor der Tür stand, würde sie vor März auch nicht untergehen. So war das nun mal in der südlichen Hemisphäre. Es war Sommer im Dezember, denn die Sonne war im September aufgegangen und der nächste Sonnenuntergang würde bis Ende Februar auf sich warten lassen.

Südpolare Sommer waren ein unvergessliches Erlebnis, gleichzeitig aber auch kaum auszuhalten. Die endlose Polarnacht ebenso. Es spielte keine große Rolle, abgesehen davon, dass die meisten hier stationierten Leute Amerikaner waren, die an den Gezeitenwechsel der nördlichen Hemisphäre gewöhnt waren, Kirk eingeschlossen.

Er gähnte und blinzelte, als er sich in seinem betagten, schlecht gepolsterten Bürostuhl zurücklehnte. Einen Moment lang drohten seine Augen, endgültig zuzufallen, aber dann entdeckte er plötzlich etwas, was über seinen Bildschirm huschte.

»Häh?«, rief er laut und zog damit die Aufmerksamkeit seines Vorgesetzten am anderen Ende des Raumes auf sich.

»Was ist los, Kirk?«, fragte Commander Fredricks.

»Ich bin mir nicht ganz sicher, Sir«, antwortete er und konnte dabei ein Gähnen nicht unterdrücken. »Ich glaube, ich habe etwas gesehen.«

»Sie glauben, dass Sie etwas gesehen haben?«

»Na ja …«

»Entweder haben Sie etwas gesehen oder nicht. Glauben gibt es hier nicht.«

Kirk verdrehte die Augen. Sprach der Mann, der seit Jahren keinen eigenen Gedanken mehr gehabt hatte.

Fredricks war äußerst streng, größtenteils wohl deshalb, weil er seinen Posten hasste. Nur Wissenschaftsnerds konnten sich für McMurdo begeistern. Männer wie Kirk und Fredricks gehörten einfach nicht hierher. Sie waren ja nicht mal Wissenschaftler. Sie waren nur Teil des Sicherheitskommandos dieser Station.

Er sah zu seinem Vorgesetzten hinüber. »Ich habe ganz bestimmt etwas gesehen.«

»Sicher?«

Kirk knirschte mit den Zähnen. Er hasste dieses Spiel, das Fredricks mit ihm spielte. Er wandte sich wieder dem Monitor zu, hauptsächlich, um sich nicht anmerken zu lassen, wie genervt er war. »Ja, Sir.« Der Mann liebte es, wenn man sein Ego streichelte.

Fredricks trat nun neben ihn. »Was war es denn?«

Kirk überlegte kurz, aber er wusste, dass es eigentlich nur eines sein konnte. Was auch immer das Echozeichen ausgelöst hatte, war nämlich nicht vom Wasser gekommen, sondern laut Flugbahn vom Himmel gefallen.

»Ich glaube, es war ein Meteorit, der vor der Küste runtergekommen ist.«

Fredricks lachte hysterisch auf. »Ein Meteorit? Wirklich? Deswegen machen Sie hier so ein Theater?«

Auch wenn es nicht der Rede wert zu sein schien, musste der relativ belanglose Vorfall laut McMurdo-Protokoll aufgezeichnet werden. Kirk zog daher einen roten Aktenordner aus seiner Schreibtischschublade, aber der Commander winkte ab.

»Sparen Sie sich die Mühe«, sagte Fredricks. »Das war doch nur ein Meteorit. Ich bezweifele stark, dass sich zu Hause irgendjemand um einen weiteren Weltraumkiesel schert.«

»Aber, Sir …«

»Wissen Sie was?«, unterbrach ihn Fredricks und wedelte mit der Hand. »Wenn es Sie beruhigt, können Sie die Landungskoordinaten ja notieren, aber legen Sie um Himmels willen keinen kompletten Bericht an.« Er drehte sich um und ging davon. »Denn ich habe weder die Zeit noch die Geduld, mich um solche Bagatellen zu kümmern.«

Südpolarmeer
Heute

»Wonach suche ich hier eigentlich, Doc?«

Dr. Seth Donovan rieb sich seine Stirn und wollte nichts lieber, als durch sein Mikrofon zu greifen und den Mann am anderen Ende der Leitung zu erwürgen, denn Donovan hasste es, so eng mit den Hilfskräften zusammenarbeiten zu müssen. Die Leute aus seiner Wissenschaftsabteilung hatten sich, seit sie zur Antarktis aufgebrochen waren, nicht mit der Mannschaft der Endeavor verstanden.

Als Leiter des Teams trieb er seine vierzigköpfige Gruppe nur auf ein einziges, gemeinsames Ziel zu: wissenschaftlichen Fortschritt. Sie forschten unablässig und sie hörten niemals auf, an ihre Grenzen zu gehen. Ihm war schon häufiger gesagt worden, dass seine Ziele unerreichbar waren. Das erste Mal während des Studiums für mehrere akademische Abschlüsse, die er schließlich aber erhalten hatte. Die nächste Erinnerung stammte aus der Zeit, als er sich für diese Antarktis-Mission beworben hatte. Nun, am Ende seiner Zeit auf der Endeavor, war es wieder einmal zur Sprache gekommen.

Er hatte allen daraufhin gesagt, dass sie ihn am Arsch lecken könnten.

Niemand mochte Seth Donovan, aber es war ihm ziemlich egal, was andere von ihm hielten. Er kletterte im Gegenzug bei DARPA extrem schnell die Erfolgsleiter hoch, vor allem im Bereich Genetik. Seine Anliegen waren mit denen seiner Arbeitgeber, die seine lukrativen Gehaltsschecks unterschrieben, identisch: Das Land zu beschützen, mit den Mitteln, die er zur Verfügung stellte.

Doch Donovan hatte ein noch höheres Ziel. Mehr als alles andere, wollte er den Ruhm, der mit dem Erfolg einherging.

Die verdiente Beförderung, die ihm damit garantiert war, würde ihm endlich den Respekt all der Leute, die ihn stets verspottet hatten, einbringen. Selbst, wenn es nur vorgetäuschte Bewunderung war, wäre er damit in einer Position, in der man ihm tatsächlich den Arsch küssen müsste.

Er schob die Visionen, in denen er Preise gewann und Geldprämien einheimste, beiseite und konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Matrosen in dem ADS-Anzug.

Der Panzer-Tauchanzug ähnelte einer aufgeblasenen Ritterrüstung. Die Männer an Bord der Endeavor nannten diese spezielle Ausführung Bibendum. Genau wie sein Namensgeber, das Michelin-Männchen, war der modifizierte Newtsuit weiß und ließ seinen Träger äußerst pummelig und unbeholfen aussehen.

Das Gleiche ließe sich allerdings auch von einigen Männern an Bord behaupten.

Donovan tippte auf den Wearable-PC an seinem Handgelenk, aktivierte sein Mikrofon und sprach durch seine zusammengebissenen Zähne: »Wir suchen nach einer extrem seltenen Oktopus-Art, die durch Biolumineszenz Licht erzeugen kann – eine, die bis vor etwa zehn Jahren in dieser Gegend noch nicht existiert hat.«

»Äh …«, stammelte der Mann. »Nur, dass ich das richtig verstehe … ich soll eine leuchtende Krake einfangen?«

Eine leuchtende Krake, dachte Donovan und schloss seine Augen. Bin ich hier denn nur von Arschlöchern und Idioten umgeben? Noch bevor er das Schiff betreten hatte, war ihm bewusst gewesen, wie sehr die Seeleute seine Geduld strapazieren würden.

Aber es war sogar noch viel schlimmer, als er erwartet hatte.

»Es heißt nicht die Krake«, korrigierte er den Mann. »Es ist ein hochgiftiger Verwandter des tödlichen blaugeringelten Kraken.«

Donovan erlaubte sich ein selbstgefälliges Lächeln, als der Taucher verstummte. Das gab ihm ein Gefühl von Kontrolle. Er ließ sich nicht anmerken, dass seine Aussage technisch gesehen eigentlich falsch war. Ja, das Tier, nach dem sie suchten, war außergewöhnlich gefährlich, aber es war nicht mit dem berüchtigten blaugeringelten Kopffüßer verwandt.

Na ja, ebenso wie die Menschen alle miteinander verwandt sind, so sind, rein theoretisch, ja auch all diese Dinger miteinander verwandt.

»Aha«, meinte der Taucher und atmete nun etwas entspannter. »Na, dann wollen wir mal loslegen.«

Donovan koordinierte den Abstieg aus sicherer Entfernung, in einem seiner vier Labors an Bord der Endeavor. Zu seiner Rechten saß der Pilot des Tauchroboters, und der Mann zu seiner Linken steuerte neben anderen internen Systemen auch die Kameras des ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs.

Der 1,20 Meter lange, hotdog-förmige unbemannte Tauchroboter schwebte direkt an der Seite des Matrosen im Tauchanzug. Kameras an acht verschiedenen Stellen des Geräts zeichneten alles auf, was geschah, und würden das bahnbrechende Ereignis für die Nachwelt dokumentieren.

Leider würden sie auch ihren Misserfolg – seinen Misserfolg – festhalten, falls sie mit leeren Händen zurückkehrten, und alle würden es mitbekommen.

Das darf einfach nicht passieren, dachte Donovan und umklammerte den am Tisch festgeschraubten Mikrofonständer noch fester. Ich werde das nicht zulassen.

Als der zweite Techniker die Kameras einschaltete, erwachte die Unterwasserwelt der Antarktis vor ihren Augen zum Leben. Selbst ein so kalter und kalkulierender Mann wie Donovan kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und hielt ehrfürchtig die Luft an. Das Licht war leider unzureichend, denn in so großer Tiefe brachte der Tauchroboter gerade mal genug Helligkeit zustande, dass durch die Kameras etwas zu sehen war.

Die Kreaturen, die hier unten lebten, waren vermutlich sofort geflohen, denn für sie war selbst die geringste Lichtquelle blendend hell. Es würde ein quälend langsamer Prozess werden. Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, wurde das Wetter immer schlechter. Sie mussten also Vorsicht walten lassen. Donovan und der Rest der Besatzung der Endeavor hatten nur einen Tag, um zu beenden, was sie angefangen hatten, denn der Winter nahte und ihre Zeit in der Antarktis ging unaufhaltsam zu Ende.

»Ähm«, sagte der Taucher jetzt, »ich glaube, ich habe da was.«

Verdutzt hob Donovan die rechte Augenbraue. Er hatte gerade erst den Tiefenmesser überprüft und dabei gesehen, dass sie den Boden noch nicht erreicht hatten. Oktopoden waren anders als ihre Verwandten, die Kalmare. Sie zogen es vor, sich in allen möglichen Felsspalten zu verstecken, in die sie sich hineinzwängen konnten. Ihre zehnarmigen Cousins hingegen liebten die Freiheit des offenen Meeres.

»Das kann nicht sein.«

Donovan verstummte, als er das pulsierende Licht unter den Füßen des Tauchers hervorströmen sah. An dem Tauchanzug waren eine Reihe von Kameras montiert und in diesem Moment zeigten sie direkt nach unten.

»Geh ein Stück zurück«, wies ihn Donovan an, »sonst landest du noch genau darauf.«

»Roger«, antwortete der Taucher. »Nicht die Tinte ausdrücken.«

Donovan ignorierte die vereinzelten Lacher um ihn herum und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Bildschirm. Der Krake, den sie suchten, war tatsächlich biolumineszent, aber das Tier nutzte diese Eigenschaft nicht auf die herkömmliche Weise. Die rasche Abfolge der Lichtpulse, von denen er jetzt Zeuge wurde, erinnerten ihn an Morsezeichen. Donovan wusste, dass diese Spezies intelligent und klüger als die meisten Lebensformen auf der Erde war. Er erinnerte sich daran, dass Forscher die DNA dieses Tieres als nicht irdisch bezeichnet hatten, denn ihr genetisches Profil ähnelte keiner anderen Lebensform, die diesen Planeten ihr Zuhause nannte.

Wahrhaftig einzigartig, dachte er und beugte sich noch näher an die Bildschirme heran.

Jede Kamera hatte ihren eigenen Monitor und alle waren auf die Ereignisse unter den Füßen des Tauchers gerichtet und zeigten jetzt eine magische Lichtershow. Einer der vielen Vorteile, die sie an Bord der Endeavor genossen, war die staatliche Förderung, sobald es um Militärisches ging. So etwas wie ein Budget existierte für sie eigentlich gar nicht. Der Grund für den Einsatz des Schiffes war zwar kein Geheimnis, aber die genauen Kosten gingen trotzdem niemanden etwas an.

Selbst als Leiter der wissenschaftlichen Abteilung hatte Donovan keinen Zugriff auf diese Informationen.

Der Captain übrigens auch nicht.

»Sir?«, fragte der Pilot des Tauchroboters nun, und es schwang deutliche Besorgnis in seiner Stimme mit.

Donovan erkannte, worauf er anspielte, und es gefiel ihm ganz und gar nicht.

Als der Taucher sich von dem kuppelartigen Ziel entfernte, ließ das unglaubliche Schauspiel der Kreatur etwas nach und sie begann leise zu knurren. Es war eine deutliche Warnung, nicht näherzukommen.

»Wie weit ist er noch davon entfernt?«, fragte Donovan mit einem beiläufigen Blick über seine Schulter.

»Dreißig Meter, Sir«, antwortete eine Frau, deren Namen Donovan aus Bequemlichkeit niemals in Erfahrung gebracht hatte.

Er betätigte nun die Sprechtaste seines Mikrofons. »Näher rangehen.«

»Wie heißt das Zauberwort?«, fragte der Taucher und erntete dafür vereinzeltes Kichern vom wachsenden Publikum.

Die Menge bestand aus seinen Leuten und aus Teilen der Crew des Captains. Auch wenn Donovan normalerweise vor niemandem zurückscheute, respektierte er die oberste Regel an Bord der Endeavor: Niemals mit Captain House anlegen. Also hielt er seinen Mund.

»Ich nähere mich um weitere drei Meter«, kündigte der Taucher an und brachte damit den Raum zum Schweigen.

Labor 4 war in Wirklichkeit allerdings eher eine gewaltige Halle, die in mehrere Bereiche unterteilt war. Die Endeavor war ein kürzlich ausrangierter T3-Öltanker. Kurz nach seiner Stilllegung hatten die US-Navy und DARPA, die Defense Advanced Research Projects Agency, eine Behörde der Regierung, gemeinsam beschlossen, das Schiff zu einer schwimmenden Forschungsstation umzurüsten.

Zu seinem Bedauern musste Donovan seinen Arbeitsplatz mit den für die Tauchgeräte verantwortlichen Technikern teilen, denn ihre Präsenz war für den Erfolg ihrer Mission hier in der Antarktis unerlässlich. Das war auch der einzige Grund, warum er den Matrosen Zugang zu seinem Bereich gewährte.

Sonst würde ich diese Sardinen gar nicht hereinlassen.

Diesen Namen hatte er sich für die Männer des Captains einfallen lassen. Auch wenn es sonst für nichts gut war, fühlte er sich dadurch besser und hatte das Gefühl, etwas mehr Kontrolle zu haben. Er hasste das offene Meer leidenschaftlich – wirklich alles daran war ihm zuwider. Aber seine Ziele waren die ganzen Unannehmlichkeiten wert.

Die beengten Wohnverhältnisse.

Das widerliche Essen.

Die Menschen.

Donovan zog stets die Gesellschaft seiner Laborgerätschaften der von Lebewesen vor. Menschen fand er größtenteils furchtbar. Manche bezeichneten ihn als Mistkerl, seine gleichgesinnten Kollegen hingegen hielten ihn für ein Genie.

Durch den Panzer-Tauchanzug konnte sich der Taucher nur sehr langsam bewegen. Als er endlich in Position war, war das Erste, das aus seinem Mund kam: »Oh oh, ich glaube, es ist sauer.«

Die neonblauen Blitze nahmen jetzt einen intensiveren Farbton an. Donovan war von diesem Anblick mehr als schockiert. Was auch immer sie hier entdeckt hatten, demonstrierte seine Laune offenbar wie ein Stimmungsring auf Steroiden.

Ein sanftes Klingeln in Donovans Ohr veranlasste ihn zu einem Grummeln. Die einzige Person, die seine Kommunikationskanäle stören konnte, war Captain House.

»Wir haben hier ein Problem«, sagte House.

Was denn nun schon wieder?

»Was denn?«, fragte Donovan gereizt.

House schien gleichermaßen genervt zu sein und murmelte nur etwas Unverständliches. Doch was er als Nächstes sagte, brachte Donovans Blut zum Kochen.

»Bringen Sie unseren Jungen so schnell wie möglich wieder rauf. Der Sturm steht bereits vor der Tür, leider etwas früher als vorhergesehen.«

»Was?«, schrie Donovan und zog damit alle Blicke auf sich.

»Sofort, Seth«, ordnete House an, »oder ich komme runter und kümmere mich selbst darum.«

Donovan entfernte sich kurz von seinem Posten. »Das kannst du doch nicht machen, Sebastian! Nicht nach allem, was wir zusammen durchgemacht haben. Nicht, wenn wir so kurz vor dem Ziel stehen. Das musst du doch einsehen.«

»Einen Scheiß muss ich!«, erwiderte House wütend. »Dies ist mein Schiff, Seth! Wenn du meinen Matrosen nicht raufholst – und zwar augenblicklich – stelle ich dich wegen grober Fahrlässigkeit unter Arrest. Ich habe hier das alleinige Kommando, was die Sicherheit eines jeden Einzelnen auf diesem Schiff betrifft und nicht du!«

Donovan zuckte zusammen. Er hatte gerade die alleroberste Regel gebrochen.

Ohne dem erbosten Captain zu antworten, meldete sich Donovan ab und gab den Befehl widerwillig weiter. Er wollte die Anwesenden aber unbedingt wissen lassen, wer die Schuld daran trug.

»Wir brechen ab«, verkündete er deshalb. »Tut mir leid, alle zusammen, Befehl vom Captain. Holt den Taucher hoch. Der Sturm kommt offenbar schnell näher.«

»Äh, Dr. Donovan?«, rief der Pilot des Tauchroboters nun. »Wir haben jetzt Kontakt.«

Kontakt? Er hielt das für eine sehr eigenartige Wortwahl, um eine simple Sichtung zu beschreiben.

Donovan drehte sich um und sah auf den Hauptmonitor, der an der bugwärtigen Wand befestigt war. Drei Meter von ihrem Taucher entfernt, schwebte jetzt ein Oktopus, der nicht größer war als die, die man in Heimaquarien fand, aber es war nicht die Größe oder die Form, die hier drinnen jedermanns Interesse weckte … es waren die strahlend blauen Adern, die unter seiner tintenschwarzen Haut pulsierten.

Normalerweise waren Lebewesen in dieser Tiefe eher lichtdurchlässig und wenig pigmentiert, da eine Pigmentierung in der Dunkelheit des Ozeans nicht von Nutzen war. Das vor ihnen schwebende Tier hatte jedoch äußerst dunkle Haut.

»Was mache ich denn jetzt?«, fragte der Taucher.

Bevor Donovan oder irgendjemand anderes antworten konnte, schoss das Tier plötzlich mit unglaublicher Geschwindigkeit vor und klammerte sich an dem Helm des Tauchers fest. Selbst nach jahrelangen Studien der Spezies hatte Donovan noch nie erlebt, dass ein Exemplar so aggressiv auf etwas so viel Größeres losging. Es hätte sich normalerweise versteckt und in Sicherheit gebracht, doch stattdessen machte es sich die Mühe, den Taucher zu verscheuchen.

Es hat ihn angegriffen!, dachte Donovan mit einem Lächeln im Gesicht. Das wird aber mal eine interessante Untersuchung.

»Feuert die Harpune ab!«, befahl Donovan.

Es gefiel ihm, dass der Roboter-Pilot sofort reagierte und den Abzug seines Steuerknüppels betätigte, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Die Taste kontrollierte das Harpunengeschoss des kleinen Tiefseegefährts, das ein Netz besaß. Augenblicklich waren Taucher und Beute gleichermaßen in das ausbruchssichere Netz gehüllt.

Inmitten der Lichtblitze, den Jubelrufen und dem ängstlichen Aufschrei des Tauchers, wandte sich Donovan an einen Techniker in seiner unmittelbaren Nähe. »Bringt sie rauf, und zwar sofort!«

Kapitel 1

Der Südliche Ozean, auch als Antarktischer Ozean oder Südpolarmeer bekannt, ist eines der kältesten Gewässer der Erde. Die Wassertemperaturen schwanken von kühlen zehn Grad im Hochsommer bis zu minus fünfundsechzig Grad im langen Winter. Doch nicht nur der Ozean selbst ist tödlich, auch die Winde, die ihn beherrschen. Antarktika weist die höchsten Durchschnittswindgeschwindigkeiten des gesamten Planeten auf.

Und das Forschungsschiff Endeavor befuhr diese Gewässer nun schon seit knapp drei Monaten. Als umgerüsteter Öltanker, benannt nach dem Schiff des bekannten Entdeckers James Cook – wenn auch anders buchstabiert – war die Endeavor von zwei Fraktionen bemannt, die auf eine langwährende Zusammenarbeit innerhalb des amerikanischen Militärs zurückblickten. Die Navy und DARPA.

DARPA war für die von jedem Zweig des Militärs genutzten neuesten und tollsten Technologien verantwortlich und mit ihrer Partnerschaft hofften sie, die Soldaten hier an vorderster Front mit einer ganz neuen Entwicklung beschenken zu können: Unempfindlichkeit gegen Schmerz.

Ganz schön teure Schmerzmittel, dachte der Captain entnervt und verdrehte die Augen. Er hielt allein schon die Idee, Schmerzen zu verdecken, für absolut lächerlich. Wie, auf Gottes grüner Erde, sollte man denn aus seinen Fehlern lernen, wenn man keinen Schmerz empfand? Er war der Meinung, dass die Leute heutzutage schon genug verhätschelt wurden, selbst beim Militär.

Und nun eliminierten sie nicht nur den geistigen Schmerz, sondern auch noch den körperlichen.

Trotzdem war er hier, auf einem Schiff der Marine. Auch wenn es genau genommen DARPA gehörte, hätte er in einer Million Jahren nicht gedacht, jemals wieder mit einer amerikanischen Flagge auf See zu sein.

Captain Sebastian House hatte Uncle Sam fünfundzwanzig Jahre lang gedient, bevor seine geliebte Frau Karen fünf Jahre zuvor bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen war. Ihr Tod hatte ihn schwer getroffen, aber nicht so schwer wie ihr einziges Kind, ihre Tochter Gianna.

Genau wie ihre Mutter war Gigi ein echter Hingucker. Sie war nicht nur äußerlich schön, ihr Hautton war eine Mischung der hellen und dunklen Haut ihrer Eltern, sie besaß außerdem auch einen astronomisch hohen IQ. Ebenso wie die herrische Art ihres Vaters wirkte ihr enormer Intellekt allerdings eher einschüchternd auf die meisten, vor allem auf die Männer, mit denen sie ausging. Diese fürchteten sowohl ihre Intelligenz … als auch seine Muskelkraft.

Ein ganzes Stück schlauer als der Partner zu sein, kam selten gut an. Die ständigen Zurückweisungen in Kombination mit dem emotionalen Trauma des Todes ihrer Mutter hatten sie dazu getrieben, auf etwas ganz anderes zurückzugreifen als auf die unerschütterliche Liebe und Unterstützung ihres Vaters.

Es hatte sie zu gewohnheitsmäßigem Drogenkonsum geführt.

Eines Nachts hatte House den Telefonanruf erhalten, den jeder Elternteil fürchtete. Seine zweiundzwanzigjährige Tochter war wegen Diebstahls und tätlichen Angriffs verhaftet worden. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hatte ihre Festnahme zur Beendigung ihres gut bezahlten DARPA-Jobs geführt. Sie war die jüngste Mitarbeiterin gewesen, die DARPA seit Jahrzehnten eingestellt hatte, und hatte dieses Kunststück ganz ohne jegliche Hilfe der Freunde, die ihr Vater innerhalb der Organisation hatte, vollbracht.

Als sie damals die Zusage bekommen hatte, hätte ihr Vater kaum stolzer auf sie sein können.

Drei Jahre und eine Entziehungskur später waren sie nun beide an Bord der Endeavor. Sie arbeitete hier als Elektronik-Spezialistin des Schiffes und House agierte als Aufpasser und Kapitän des Gefährts. Laut dem Vertrag, den er mit DARPA hatte, hatte er somit die Verantwortung für seine Tochter. Niemand, nicht einmal die einzige Person, vor der sich House verantworten musste, hatte sie an Bord haben wollen. Sie hatte einfach zu viele Brücken hinter sich abgebrochen – vor allem innerhalb des Unternehmens, das sie entlassen hatte.

Nun schulde ich Damon eine ganze Menge an Gefallen, dachte er seufzend.

Damon Becker war die Kontaktperson zwischen der Navy und DARPA und sorgte für die reibungslose Kommunikation zwischen den beiden Institutionen. Er erstattete pünktlich alle zwei Tage in den Staaten Bericht, um die Führungsebene über alle Einzelheiten zu informieren.

Ich würde mich lieber erschießen, als diesen Job machen zu müssen, dachte House und schüttelte den Kopf. Während er sich um alles kümmerte, was das eigentliche Schiff anging, hatte ein anderer Mann – oder auch Möchtegern-Diktator – seine Finger in allem, was sie im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts betrieben.

Dr. Seth Donovan.

Was für ein selbstgefälliger Grünschnabel.

House war ein äußerst altmodischer Seebär. Er war der festen Überzeugung, dass man seinen Lebensunterhalt mit harter Arbeit und der richtigen Einstellung verdiente – was heutzutage scheinbar nicht den Respekt vor Älteren beinhaltete.

Donovan war sechsundzwanzig Jahre jünger als House und es machte ihn absolut rasend, wenn er daran dachte, dass ein derart aufgeblasenes Arschloch bereits mit achtundzwanzig diesen Posten bekommen hatte. Theoretisch waren er und Donovan gleichgestellt, solange sie an Bord waren, aber er wusste genau, dass er nur scharf gucken musste und der kleine Scheißer würde sofort klein beigeben.

Donovan war so rückgratlos wie die Kreatur, die er suchte.

House konnte die Krake, wie die Männer es nannten, kaum weniger egal sein. Der einzige Grund, warum sie es so nannten, war Donovans gereizte Reaktion darauf. Aber House würde keinem seiner Männer seinen Willen aufzwingen, Donovan eingeschlossen. Er hatte schließlich auch mal in den Schuhen seiner Männer gesteckt – über zwanzig Jahre lang. Jeder Einzelne, unter dem House je gedient hatte, hatte sich als bürokratischer Kackfisch erwiesen.

Er grinste. Ja, so hatte er die wichtigtuerischen Kommandeure genannt, als er noch im Dienst stand … Kackfische.

House war kein typischer Navy-Mann. Er sprach oder dachte nicht wie die meisten Seefahrer. Er kam ursprünglich aus Albany, Georgia, und entsprach eher den Leuten aus dieser Gegend. Er war ein einfacher Mann und sagte immer unverblümt, was er dachte. Einfach gesagt, House kam direkt zum Punkt und nahm kein Blatt vor den Mund.

Gianna war genauso. Man hätte sie bestimmt nicht als hochintelligent eingeschätzt, wenn man sie nur nach ihrem Äußeren und ihrem leichten Südstaatenakzent beurteilen würde. Außerdem hatten sie beide in gewissen Kreisen leichte Schwierigkeiten aufgrund ihrer dunkleren Hautfarbe. Gianna war jedoch noch schlechter dran als er, den sie wurde häufig als Halbblut bezeichnet.

House hasste es, wenn man sie nur nach ihrer Hautfarbe beurteilte. Selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert warfen die Leute ihnen immer noch eigenartige Blicke zu, wenn sie erfuhren, was er und Gianna beruflich machten. Jedes Mal, wenn er jemandem erzählte, dass er ein hochmodernes Forschungsschiff der Navy kommandierte, war die Reaktion darauf stets die gleiche, garantiert.

Derjenige war überrascht.

Als Mittfünfziger war House bereits daran gewöhnt, aber Gianna in ihren Zwanzigern musste erst noch lernen, sich damit abzufinden.

Neandertaler hatte er diese Menschen genannt, als sie noch klein war.

Aber doch nicht alle, oder?, hatte sie mit Tränen in den Augen gefragt.

Er hatte mit den Schultern gezuckt. Nicht alle von ihnen … das sind nur diejenigen, an die du dich erinnerst. Sei nett zu jedem und die Leute, die auch nett zu dir sind, die behalte im Gedächtnis.

Diese Erinnerung brachte House unwillkürlich zum Lächeln, aber nur solange, bis einer seiner Männer mit dem Wetterbericht heraneilte. Der fiese Sturm, den sie erwarteten, hatte den Kurs geändert … und noch einmal an Stärke zugenommen. Außerdem würde er sie jetzt noch früher treffen. Ihr derzeitiger Ausflug zum Boden des Südlichen Ozeans war also ihr letzter. Eigentlich hätten sie noch zwölf Stunden Zeit haben sollen.

Das wird eng, dachte er. House ging immer auf Nummer sicher. Die Sicherheit seiner Leute war seine oberste Priorität. Er schüttelte den Kopf. Das kann ich nicht riskieren …

Seine verbale Drohung an Donovan, wenn sie auch aufrichtig gemeint war, nützte nicht viel, wenn dieser sich an Becker wenden würde. House hatte nun mal keine wirkliche Macht über den Wissenschaftler, nur die Fähigkeit, ihn einzuschüchtern. Wie die meisten Leute, die Macht ausübten, ohne sie sich tatsächlich verdient zu haben, gab Donovan normalerweise sofort klein bei, sobald sich ein Konflikt ankündigte, denn Männer wie er, hatten nie für das gekämpft, was sie erhalten hatten, und gaben deshalb schnell auf, um sich selbst zu schützen.

House hingegen wäre an seiner Stelle lieber mit wehenden Fahnen untergegangen.

Bei seinem letzten Posten auf einem militärischen Gefährt hatte er bei der Navy als stellvertretender Kommandant an Bord der USS Harry S. Truman gedient. Das Einzige, was er bedauerte, war, dass er vor Antritt seines einstweiligen Ruhestands niemals ein eigenes Schiff befehligt hatte.

Das Kommandieren lag ihm einfach im Blut. Es fiel ihm leicht, aufgrund der Art und Weise, wie er seinen Job verstand. Wenn er die Leute um sich herum respektierte, würden sie diesen Gefallen erwidern. Falls sie den Respekt nicht zurückgaben, würden sie auf seinem Schiff nicht lange überleben.

House musste lächeln, als er an die Jungs dachte, die es für eine gute Idee gehalten hatten, ihn zu verärgern. Normalerweise brauchte er immer nur ein paar Tage, bis er jemanden dazu gebracht hatte, Dinge anders zu sehen. Tagelang Toiletten zu schrubben konnte ganz schnell zu einer Erleuchtung führen.

House hob seine linke Hand und aktivierte sein Headset mittels des neuen WPC-Systems. Der Wearable Personal Computer war eine Art tragbare Steuerungskonsole fürs Handgelenk. Er konnte buchstäblich alles. Der Touchscreen war fünf mal zehn Zentimeter groß. Die Kommando-Offiziere, Houses rechte Hand mit eingeschlossen, hatten von DARPA jeweils ein Exemplar zu Testzwecken erhalten.

Er drückte jetzt den All-Call-Button, wohl wissend, dass das Donovan wahnsinnig machen würde, denn der Mann war ein Gewohnheitstier. House hingegen lebte sein Leben spontan und intuitiv, als könnte jeder Tag sein letzter sein. Das machte ihn allerdings keineswegs waghalsig.

House war eigentlich ganz genau das Gegenteil davon.

Als er jünger gewesen war, war House geraten worden, das SEAL-Programm in Erwägung zu ziehen. Ein Admiral auf Landurlaub hatte beobachtet, wie er drei Trunkenbolde in einer kleinen Bar bezwungen hatte, und war extrem beeindruckt gewesen, dass House die Schlägerei vollkommen unversehrt überstanden hatte. Er hätte in dieser Nacht in Schwierigkeiten geraten können, aber der hochrangige Offizier hatte sich für ihn eingesetzt.

House liebte es, einer der Jungs zu sein, ein Seemann der Sieben Weltmeere. Er konnte den Reiz daran nicht wirklich erklären. Er hatte zu dieser Zeit bereits einige Jahre das Leben eines typischen Matrosen gelebt, deshalb hatte er dem Admiral für seine Anregung gedankt und sich dagegen entschieden, seinen bisherigen Lebensstil aufzugeben. Er war nie ein SEAL geworden, aber auch in diesem Fall wäre er garantiert irgendwann auf einem Flugzeugträger wie der Truman gelandet.

Doch House war kein typischer Matrose. Er war gerissen und hatte die Gabe, von vornherein sehen zu können, wie sich eine Situation entwickelte. Er konnte außerdem gut auf sich aufpassen und hatte einen Großteil des SEAL-Trainings auf eigene Faust bewältigt. Er war besonders geschickt im Kampf Mann gegen Mann.

Die Gegend, in der er aufgewachsen war, könnte durchaus etwas damit zu tun haben, denn House war als Raufbold groß geworden und hatte sich auf den Straßen einer Stadt, von der die meisten noch nie etwas gehört hatten, allein durchschlagen müssen. Er war größtenteils ein guter Junge gewesen und nie auf der Suche nach einem Kampf gewesen, die Auseinandersetzungen waren immer zu ihm gekommen. Allerdings brannte bei ihm zugegebenermaßen auch mal schnell die Sicherung durch. In seinen jüngeren Jahren hatte ihn alles Mögliche auf die Palme bringen können. Heutzutage verwendete er seine Energie lieber darauf, andere anzuleiten und sich beim Training auszutoben.

Er war das, was man einen Workout-Warrior nannte.

Wenn er ein Telefon zum Werfen gehabt hätte, hätte er es allerdings spätestens nach dem Gespräch mit Donovan getan.

Genau wie den Special Forces standen der Crew der Endeavor einige clevere Spielzeuge zur Verfügung.

Sein WPC war mit einem Kehlkopfmikrofon verbunden. Das Einzige, was House daran missfiel, war der Aufkleber mit dem Computerchip, den er an seinem Hals tragen musste. Das einzige andere Stück Hardware war ein unscheinbarer Ohrhörer. Alles andere lief über das Kommunikationsteam des Schiffes … was seine Tochter beinhaltete.

Gianna hatte ihre Hände in jedem Hightech-System an Bord, was bedeutete, dass er jeden Moment einen Anruf von ihr bekommen würde.

Sein Ohrhörer piepste.

Wenn man vom Teufel spricht …

»Dad?«

»Nicht jetzt, Gigi«, erwiderte House und beendete das Gespräch.

Der einzige Grund, warum sie sich bei ihm meldete, war der Taucher in dem Panzer-Tauchanzug. Cole Triplett hatte nämlich bereits am zweiten Tag auf See Gefallen an Gianna gefunden. Normalerweise hätte House diese Art von Verbrüderung sofort unterbunden, aber hinsichtlich ihrer Depressionen hatte er ihr etwas Gutes tun wollen, sozusagen zum Wohle aller.

Außerdem arbeiteten House und Gianna nicht für die Navy. Sie waren von DARPA angestellt worden. Falls er also in Zukunft eine Ausrede bräuchte, würde er diese wählen. Es gab dort nämlich keine Regeln, die Beziehungen zwischen Mitarbeitern verboten, zumindest seines Wissens nach nicht.

Aber falls die Sache mit Trip schlecht endete, solange sie noch auf dem Wasser waren, wäre der anstehende Sturm nicht das einzige Unwetter, das die Crew der Endeavor ertragen müsste.

Es gibt nichts Schlimmeres als die Rache einer geschmähten Gianna.

Kapitel 2

Gianna hatte schon dreimal versucht, ihren Vater über das System zu erreichen, während er zum Tauchhangar unterwegs war, um sicherzustellen, dass Donovan seinem Befehl auch Folge leistete. Eigentlich hatte er auf der Brücke bleiben wollen, aber er glaubte irgendwie nicht daran, dass der Wissenschaftler seiner Anweisung auch wirklich folgte.

Bisher hatte er jeden weiteren Anruf von Gianna abgewiesen. House war die einzige Person an Bord, die über dieses Privileg verfügte. Die anderen Besatzungsmitglieder konnten sich gegenseitig abweisen, aber niemand konnte House ein Gespräch verweigern. Nicht einmal Donovan.

Das bereitete House die meiste Freude daran. Es war eines der wenigen Dinge, die er Donovan voraushatte. Da er für jedermanns Wohlergehen hier an Bord verantwortlich war, hielt House es für unerlässlich, jeden zu jeder Zeit kontaktieren zu können.

Donovan hingegen sah es als eine Methode an, die Leute zu kontrollieren.

House schüttelte den Kopf und legte seine Hand an die luftdichte Tür. Dahinter lag der Tauchhangar mit dem verschließbaren Moonpool, der den Zugang zu den eisigen Gewässern der Antarktis ermöglichte. House fühlte sich durch die dicken Ärmel seiner Winterjacke ganz schön eingeschränkt, aber angesichts der extremen Kälte, die von der anderen Seite der Tür in das Schiff drang, wollte er nicht darauf verzichten.

Es war wirklich unfassbar kalt.

Begleitet von einem Zischen und dem Wusch eisiger Luft trat House mitten ins Chaos. Jeder einzelne der acht Menschen, die in diesem Hangar stationiert waren, rannte gerade panisch umher und schrie die anderen an. House konnte von dem Durcheinander allerdings kaum etwas erkennen, denn er wurde von einem gleißenden, pulsierenden blauen Licht in der Mitte des Raums geblendet.

Ist das wieder irgendein neues Spielzeug?

Die DARPA-Ingenieure ließen sich nämlich ständig neue Spielereien einfallen, die sie dann auf dem offenen Meer testeten. Da House die Quelle des Lichts nicht ausmachen konnte, nahm er an, dass es irgendeine ihrer Erfindungen war, die gerade verrückt spielte.

Aber dann hörte er Trips Stimme durch den Lautsprecher des Hangars brüllen und ihm wurde klar, dass DARPA dieses Mal nicht dafür verantwortlich war. Irgendetwas war ganz gehörig schiefgelaufen und ganz und gar nicht zum Lachen.

Der Taucheranzug?

Mit der Hand vor dem Gesicht, um seine Augen gegen das starke Licht abzuschirmen, stieg House den Gang hinunter, ganz behutsam, eine Stufe nach der anderen. Er wollte nichts lieber, als mit Entschlossenheit und geballten Fäusten hinunterzustürmen. Denn Trip war ein fähiger Matrose, der auch unter Stress hochdiszipliniert war – besonders unter Wasser und in Schwierigkeiten. Die Tatsache, dass der Mann jetzt so schrie, beunruhigte House deshalb zutiefst.

Die Treppe bog jetzt nach links ab und führte in die entgegengesetzte Richtung. Als House auf dem Absatz ankam, warf er durch die Lichtblitze hindurch einen kurzen Blick auf das Geschehen unter ihm. Trip steckte, wie er vermutet hatte, immer noch in dem Taucheranzug. Jeder, der nicht gerade ein Terminal bediente oder zu einem Stück Ausrüstung eilte, war um das Becken der Endeavor versammelt. Was auch immer hier gerade vor sich ging, es passierte in oder um den Pool herum.

Das Becken besaß zwei beheizbare, einfahrbare Doppeltüren. Die innere Tür gewährte dem Taucher Zugang zu dem Schiff. Wenn die äußere Tür aufging, drang der Ozean hinein. Den Raum dazwischen nannten sie Fegefeuer.

Die Endeavor war der Himmel.

Der Ozean war die Hölle.

Bis er sicher sein konnte, was genau los war, musste House die Situation behandeln, als wäre sie lebensbedrohlich. Also übersprang er die letzten vier Stufen und sprintete auf die Mitte des Raumes zu. Als er gerade im Begriff war, einen Befehl zu brüllen, stocherte einer der Männer mit einem langen Metallrohr an Trips Helm herum.

Was zur Hölle tut er da?, fragte sich House, der immer noch nicht in der Lage war, das Ereignis einzuschätzen. Doch sobald das Metallrohr die Quelle des Lichts berührte, begann dieses sofort nachzulassen und House bekam ihren Fang endlich zu Gesicht.

»Das ist ein Scherz, oder?«, fragte er fassungslos, als er dem Matrosen mit dem Metallrohr einen Blick zuwarf. »Haben Sie gerade wirklich einen Oktopus betäubt?«

Das Crew-Mitglied namens Jordan reagierte nur mit einem Schulterzucken. Genau wie House war er offensichtlich extrem durcheinander und brachte deshalb keine vernünftige Antwort zustande. Die Kreatur gab jetzt eine letzte Reihe von rhythmischen Lichtpulsen von sich, bevor sie auf den Boden des Hangars rutschte.

Einen Moment lang rührte sich niemand … solange, bis eine Stimme, die House nur äußerst ungern vernahm, aus der Luke über ihm drang.

»Fangt das Exemplar ein und bringt es sofort in mein Untersuchungslabor am Oberdeck.«

Seth Donovan!

House trat zur Seite, als Donovans Team mit einer ganzen Reihe von Ausrüstungsgegenständen heraneilten. Sie schienen eine Art mobilen Wassertank dabei zu haben. Ein Mann hielt einen Schlauch in das Wasser zu Houses Linken, während eine Frau eine Reihe von Schaltern betätigte und anschließend einen großen, roten Knopf drückte.

Es schien so, als würde das Betäubungsmittel, das dem Oktopus verabreicht worden war, nicht allzu lange wirken. Der Tank ähnelte einem umgedrehten Aquarium, aus dem drei Schläuche herausragten. Der Boden war rechteckig und wurde versiegelt, sobald die Kreatur hineingesetzt worden war. Dann strömte eisiges Antarktis-Wasser in das Gefäß.

House hörte ein Zischen und dann …

»Was zur Hölle war das, Sir?«

Er wandte sich dem Matrosen in dem Panzer-Tauchanzug zu. Trip passte mit seinem schlanken Körperbau und der dicken Hornbrille rein äußerlich viel besser zum Wissenschaftsteam, aber seine Erfahrung mit dem Panzer-Tauchanzug machte ihn zum besten Mann für diesen Job. Trip hatte auch bei einigen Verbesserungen geholfen, lange bevor sie in See gestochen waren, und hatte außerdem eine irrsinnige Menge an Tauchstunden in dem Anzug angesammelt.

Ähnlich wie Gianna war er äußerst intelligent, aber genauso wie House zog er die Freiheit, die das offene Meer ihm bot, einem Schreibtischjob oder einem Labor vor. Der junge Mann hätte sich garantiert in beiden Umgebungen hervorgetan und wäre wesentlich schneller vorangeschritten als die meisten anderen seines Alters.

Hier hat er beides, dachte House und lächelte. Trip tat sich auch auf der Endeavor hervor und hatte House auf einer Vielzahl von Gebieten beeindruckt, vor allem in Tauch-Technologie und Maschinenbau.

»Nächstes Mal«, sagte Trip, während er sich aus dem Anzug schälte, »nehme ich eine Harpune mit und gehe Speerfischen!«

House verschränkte die Arme vor der Brust und grinste, weshalb er von Trip nur einen verwirrten Gesichtsausdruck erntete.

»Willst du noch eine Weile weiterjammern oder steigst du jetzt endlich aus dem Anzug und erzählst mir, was da unten los war?«

»Sie haben nicht zugeschaut?«

House schüttelte den Kopf. »Ich war ein bisschen damit beschäftigt, das Schiff zu kommandieren und so.«

Trip lächelte und Sekunden später ertönte ein Geräusch, als würde ein überdimensionierter Schließriegel aufgeschoben werden. Als Nächstes wurden die Brust- und Rückensektionen separiert, was Trip erlaubte, sich aus dem einzigartigen atmosphärischen Tauchanzug zu schlängeln. Es war das einzige Stück Equipment dieser Art in der gesamten US-Navy.

Am Rücken und an den Beinen waren kleine Stahldüsen angebracht, die es dem Piloten ermöglichten, mühelos durch das Wasser zu treiben, und all das ohne ein separates Antriebssystem – in etwa wie ein Unterwasser-Jetpack. Den Anzug zu steuern, war nicht so einfach, wie Trip es aussehen ließ. House hatte es ein einziges Mal versucht – auf eine Wette mit dem leitenden Ingenieur der Endeavor hin – und hatte vor der gesamten Mannschaft kläglich versagt.

Verflucht seist du, Buddy.

Chefingenieur Marcus Buddy Malone war ein noch älterer Seebär als House. Er war Anfang siebzig, konnte aber selbst Leute, die vierzig Jahre jünger waren, mühelos in die Tasche stecken. House hatte ihn aufgrund ihrer gemeinsamen Zeit an Bord der Harry S. Truman als Chefingenieur angeheuert. Buddy hatte dort denselben Titel innegehabt, bevor er vor über zehn Jahren in den Ruhestand gegangen war, und House traute im Umgang mit Maschinen niemandem mehr als ihm. Außerdem schadete es nicht, dass sie beide aus Georgia kamen und eingefleischte Bulldog-Fans waren.

Go Dawgs!

Ein Techniker zu Houses Rechten bediente jetzt die Winde, die den Tauchanzug in der Luft hielt, während er ihn mit Trip darin, vorsichtig zu dessen Andockpunkt nahe dem Pool herumschwenkte. Währenddessen erzählte der Taucher, was ihm widerfahren war.

»Im Ernst, Captain, mit dem Ding – was auch immer es ist – ist nicht zu spaßen! Da war ich nun, kurz über dem Meeresboden und plötzlich – Wumms – hat es mich angefallen und sich an meinen Helm gekrallt.«

House lachte leise.

Trip hatte wirklich eine blühende Fantasie. Er liebte überzogene Geschichten, Filme, Bücher und Graphic Novels.

»Du meinst also«, sagte House mit erhobener Augenbraue, »dass die Krake dir einen Kuss geben wollte? Ist es das, was dich so verrückt macht?«

Trip riss die Augen auf. »Von wegen, Sir. Sehen Sie doch mal, was das Ding mit meinem Helm gemacht hat!«

House musterte den Mann ein paar Sekunden, und ihm wurde bewusst, dass da echte Angst in seinem Gesicht zu lesen war und dass er außerdem Probleme beim Sehen hatte. Doch er wollte es nicht ansprechen. Falls Trip noch Sehschwierigkeiten haben sollte, wenn er ihn das nächste Mal traf, würde er ihn zum Schiffsarzt schicken müssen.

Als House sein Augenmerk von dem verschreckten Taucher auf dessen Helm verlagerte, war er kurzzeitig sprachlos, denn der Oktopus hatte es allem Anschein nach geschafft, mit seinem papageienschnabelartigen Kiefer tiefe Furchen in die robuste Oberfläche des Anzugs zu ritzen. In all den Jahren auf See hatte House so etwas noch nie zuvor erlebt.

Er musste unbedingt herausfinden, was da genau sein Schiff geentert hatte.

»Check den Anzug komplett durch und mach eine Meldung, sobald du kannst. Falls du fit genug dafür bist.«

Trip wirkte beleidigt. »Nur, weil ich mich ein bisschen erschreckt habe …«, er blinzelte mehrmals heftig, »heißt das noch lange nicht, dass ich meine Arbeit nicht erledigen kann, Captain.«

House gefiel die Einstellung des Mannes, aber tief im Inneren war er etwas besorgt. Er mochte Trip, und je besser er ihn kennenlernte, desto weniger hatte er etwas dagegen, dass seine Tochter ihn mochte.