Die schöne Philippine Welserin - Brigitte Riebe - E-Book + Hörbuch

Die schöne Philippine Welserin Hörbuch

Brigitte Riebe

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Beschreibung

Eine außergewöhnliche Frau: Der historische Roman »Die schöne Philippine Welserin« von Bestseller-Autorin Brigitte Riebe jetzt als eBook bei dotbooks. Das Reich der Habsburger, Mitte des 16. Jahrhunderts. Für ihre große Liebe setzt die Bürgerstochter Philippine Welser alles aufs Spiel: In einer heimlichen Zeremonie heiratet sie Ferdinand II., den Sohn des Kaisers. Um einen Skandal zu vermeiden, muss Philippine fortan fernab des Hofes im Verborgenen leben. Auf Schloss Ambras in Tirol kann sie jedoch auch endlich einen langgehegten Traum verwirklichen und sich in ihrem eigenen Kräutergarten in die Geheimnisse der Heilkunst vertiefen. Das gemeine Volk liebt und verehrt sie bald dafür – während ihre Feinde bei Hofe immer zahlreicher werden, die Intrigen immer teuflischer. Und so naht die Stunde ihrer schwersten Entscheidung: Um ihr Leben retten zu können, müsste Philippine alles aufgeben, was ihr jemals etwas bedeutet hat … Die wohl unbekannteste und gleichzeitig bewegendste Liebesgeschichte der Habsburger: »Ein fesselnder Roman, der mit gekonnter Verknüpfung von Fakten und Fiktion und schöner Aufmachung überzeugt.« Buchjournal Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der große Historienroman »Die schöne Philippine Welserin« von Bestseller-Autorin Brigitte Riebe über eine außergewöhnliche Frau in der Tradition von Hildegard von Bingen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:7 Std. 5 min

Sprecher:Mignon Reme

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Über dieses Buch:

Das Reich der Habsburger, Mitte des 16. Jahrhunderts. Für ihre große Liebe setzt die Bürgerstochter Philippine Welser alles aufs Spiel: In einer heimlichen Zeremonie heiratet sie Ferdinand II., den Sohn des Kaisers. Um einen Skandal zu vermeiden, muss Philippine fortan fernab des Hofes im Verborgenen leben. Auf Schloss Ambras in Tirol kann sie jedoch auch endlich einen langgehegten Traum verwirklichen und sich in ihrem eigenen Kräutergarten in die Geheimnisse der Heilkunst vertiefen. Das gemeine Volk liebt und verehrt sie bald dafür – während ihre Feinde bei Hofe immer zahlreicher werden, die Intrigen immer teuflischer. Und so naht die Stunde ihrer schwersten Entscheidung: Um ihr Leben retten zu können, müsste Philippine alles aufgeben, was ihr jemals etwas bedeutet hat …

Die wohl unbekannteste und gleichzeitig bewegendste Liebesgeschichte der Habsburger: »Ein fesselnder Roman, der mit gekonnter Verknüpfung von Fakten und Fiktion und schöner Aufmachung überzeugt.« Buchjournal

Über die Autorin:

Brigitte Riebe, geboren 1953 in München, ist promovierte Historikerin und arbeitete viele Jahre als Verlagslektorin. 1990 entschloss sie sich schließlich, selbst Bücher zu schreiben, und veröffentlichte seitdem über 30 historische Romane und Krimis, mit denen sie regelmäßig auf den Bestseller-Listen vertreten ist. Heute lebt Brigitte Riebe mit ihrem Mann in München.

Die Website der Autorin: www.brigitteriebe.com

Bei dotbooks veröffentlichte Brigitte Riebe auch ihre historischen Romane: »Der Kuss des Anubis«, »Die Töchter von Granada«, »Schwarze Frau vom Nil«, »Pforten der Nacht«, »Liebe ist ein Kleid aus Feuer«, »Die Hexe und der Herzog«»Die Prophetin vom Rhein« und »Die Braut von Assisi«.

Auch bei dotbooks erscheint ihr berührender Familienroman »Der Wahnsinn, den man Liebe nennt«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2022

Copyright © der Originalausgabe 2013 Gmeiner-Verlag GmbH

Copyright © der enthaltenen Zeichnungen 2013 bei Brigitte Riebe

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/hoverfly; eines anonymen Gemäldes von Philippine Weller und eines Gemäldes von August Wörndle

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-961-4

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Brigitte Riebe

Die schöne Philippine Welserin

Roman

dotbooks.

Für Brigitte

Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht’s, dass ein Ding kein Gift sei.

Paracelsus (1493 – 1541)

Prolog

Schloss Ambras, April 1580

Die holzgetäfelte Abziehstube war so überhitzt, dass sie zu schwitzen begann, während sie sich aus den Kleidern schälte. Wie viele Ösen, Haken und Schnüre es an einem Frauengewand auch geben musste! Und keine Bademagd weit und breit, die ihr dabei zur Hand hätte gehen können, denn sie hatte sie alle weggeschickt.

Es fiel ihr schwer, sich an den süßlichen Altweibergeruch zu gewöhnen, den sie verströmte, weil über ihm noch etwas Bitteres schwang, das sie beunruhigte. War das wirklich sie, die einst so verführerisch geduftet hatte, dass er gar nicht genug davon bekommen konnte, in ihrem festen Fleisch zu versinken?

Sie drehte sich um zum weißen Himmelbett unter lichtblauem Seidenbaldachin, auf dem ihr Schatz lag, den sie stets mit sich herumtrug, aus Angst, er könne sonst womöglich in die falschen Hände geraten. Die dünnen Seiten, gefüllt mit ihrer störrischen Handschrift, konnten belegen, wie es wirklich gewesen war, das schenkte ihr Trost.

Mariechen würde ihn an sich nehmen, die einzige Person, der sie vertrauen konnte.

Sie wartete bereits im vereinbarten Versteck. Das richtige Wort würde sie erscheinen lassen.

Plötzlich schienen die holzgetäfelten Wände sich enger um sie zu schließen.

Die Weinpokale und Lautenspieler auf den Fresken begannen zu schwanken, als treibe Bacchus mit ihnen sein munteres Spiel, sogar der gemalte Tisch fing an sich zu drehen, ähnlich dem aus Ahornholz in der steinernen Rotunde, der drunten im Paradiesgarten so viele Besucher überrascht und belustigt hatte. Doch die heiteren Zeiten waren vorüber, das wusste sie, auch ohne den großen Kristallspiegel zu bemühen, den sie inzwischen gewissenhaft mied.

Schon lange war sie bar aller Illusionen. Sie waren davongeflogen, Jahr um Jahr, bis sie beinahe vergessen hatten, was sie beide sich einst im Mondlicht feierlich gelobt hatten. Inzwischen sah sie den Mann an ihrer Seite mit neuen, anderen Augen. Fünf Kinder hatte sie geboren – und ihm doch nicht zur rechten Zeit den legitimen Erben schenken können, den er so dringend gebraucht hätte. Nicht einen Tag hatte sie vergessen, wie schwer er daran zu tragen hatte. Dabei waren ihre beiden Familien lange Zeit eng miteinander verbunden gewesen, wenngleich sie in den Augen der Welt alles andere als ebenbürtig erschien. Sah man allerdings genauer hin, entdeckte man Erstaunliches. Nur die Klugheit, der Fleiß und der Mut ihrer Vorfahren hatten seinen Ahnen zum Thron verholfen.

Doch wer sprach jetzt noch davon?

Wie immer würde er sich zu helfen wissen. Dafür hatte sie ihn lange Zeit bewundert und heiß geliebt – jetzt freilich hatte sie ihn manchmal deswegen gehasst. Hätte er nicht abwarten können, bis sie den letzten Atemzug getan hatte?

Schon seit Jahren verfolgte er emsig und geschickt seine Ziele.

Natürlich hatte sie alle Schreiben abfangen lassen, die in jener delikaten Angelegenheit über den Brenner und wieder zurückgingen, wenngleich sie ihm gegenüber niemals ein Wort davon erwähnt hatte. Sie kannte jeden einzelnen Brief, hatte ihn so oft gelesen, bis die Worte auf ihrer Netzhaut eingebrannt waren. Ihr Liebster befand sich erneut auf Freiersfüßen, das war wie ein Schwert, das in ihr Herz fuhr, obwohl doch noch ein Restchen Leben in ihr war. Sobald sie die Augen für immer geschlossen hätte, sollte seine italienische Nichte an ihre Stelle treten, blutjung, gebärfreudig, hochadelig vom Scheitel bis zur Sohle.

Ob Anna Caterina das Meer kannte?

Ihr hatte er es immer wieder zeigen wollen – um dann sein Versprechen von Jahr zu Jahr weiter ins Ungewisse zu verschieben. Nun würde sie sterben, ohne jemals gesehen zu haben, wie Wasser und Horizont sich küssten, während die Sonne als Feuerball in den Fluten versank.

Inzwischen umfloss das rote Samtkleid ihre Füße, eine Lache aus dunklem Blut, wie sie unwillkürlich denken musste. Auf einem Hocker aus Zirbelholz lag die Badeehre ausgebreitet, ihr am Rücken offenes Leinengewand, mit dem sie üblicherweise ins Wasser glitt. Darauf ruhte der Badehut aus grüner Seide, der den Kopf schützen sollte und nach Nelkenöl duftete, doch beides ließ sie heute unberührt.

Langsam schlurfte sie nach nebenan, nackt, wie die Mutter sie einst geboren hatte. Ihre Füße schienen dabei am Boden zu kleben, die Beine waren bleischwer. Dafür raste ihr Herz, in jenem jagenden, stolpernden Stakkato, das ihr seit dem letzten Herbst Furcht einflößte.

Heute war es schlimmer denn je.

Ihr fehlte die Kraft, sich wie gewohnt im Dampf von Schweiß und Schmutz zu reinigen. Und doch wollte und musste sie ins Becken – um endlich Gewissheit zu erlangen.

Dienstbare Geister hatten alles vorbereitet.

Warmes Wasser leckte ihre geschwollenen Knöchel, als sie die Stufen nach unten ging, umschmeichelte die aufgeschwemmten Waden, die blaugeäderten Schenkel, schließlich den schlaffen Bauch. Für ein paar Augenblicke wurden die Schmerzen erträglicher, dann jedoch kehrten sie unbarmherzig wieder zurück, spitzer und greller denn je zuvor.

Sie zuckte zurück, als die leicht gekräuselte Wasseroberfläche ihr Bild zurückwarf. Ihr ehemals feines Gesicht, von dem viele geschwärmt hatten, ähnelte inzwischen einem Hamster. Die Wangen waren schwer, und zwischen Nase und Mund hatten sich strenge Falten eingekerbt. Nur die Augen waren unverändert, groß und leuchtend blau unter dunkelblonden Brauen, ebenso wie ihre Finger, noch immer schlank und zart wie in längst vergangenen Augsburger Tagen.

An den Körper mochte sie nicht einmal denken, füllig und unbeweglich geworden, der ihr seit Jahren nichts als Kummer und Pein bereitete. Ihm war er schon lange keine Freude mehr, und seitdem verachtete auch sie diese Last, die sie mit sich herumzuschleppen hatte. Als habe ihr Leib beschlossen, sich für diese Missachtung zu rächen, schoss eine neue Schmerzwelle durch ihre Eingeweide. Sie krümmte sich, heilfroh, den steinernen Hocker erreicht zu haben, auf dessen hölzerne Sitzfläche sie sich schwerfällig sinken ließ.

War das Gift, das da in ihren Adern kreiste?

Der ätzende Hauch der Kränkungen, Drohungen und Schmähungen, die sie so lange hatte erdulden müssen?

Nicht einmal das warme Wasser, das sie nun bis zum Hals umfloss, vermochte jetzt noch Linderung zu schaffen. Stattdessen begannen die bemalten Tierfiguren ringsumher ein seltsames Eigenleben. Nattern, Krebse, Kröten und Echsen schienen nicht länger starr, sondern zuckten und zitterten, als wollten sie zu ihr ins Becken kriechen. Die Sackpfeifen, die den Springbrunnen vor dem Badfenster betrieben, ächzten und stöhnten dazu eine unheimliche Melodie, die sie verhöhnte.

Erschöpft schloss sie die Augen.

Plötzlich war das Holz verschwunden, und gleiches galt auch für Springbrunnen, Badewasser und all die bunten Figuren. Die Mauern von Ambras, ihr Zuflucht und Gefängnis zugleich, brachen auf. Aber es war nicht die Kühle des Bergfrühlings, die sie auf der Haut zu spüren glaubte, sondern etwas Lindes, ungemein Zärtliches, das sie als Wohltat empfand.

Mit einem Mal schienen Schwere und Schmerzen verflogen, ebenso wie Bitternis, Enttäuschung, Angst. Die Sorge um die Zukunft der Söhne war nicht länger ein Albtraum, der sie Nacht für Nacht quälte, bis die Vögel in den Wipfeln ihr frühes Lied begannen.

Jung war sie wieder, strahlend, voller Lebenslust. Nicht länger die huldvoll geadelte Freifrau von Zinnenberg, um Anerkennung durch den Kaiserhof bangend, sondern Philippine Welserin, die in einem duftigen Kleid leichtfüßig durch Augsburg lief ...

Kapitel IGeißraute

Galega officinalis auch genannt Bockskraut, Pockenraute, Suchtkraut, Pestilenzkraut

Positive Wirkung:

Treibt Wasser, regt Milchfluss an, soll gegen Pest wirken

Negative Wirkung:

Achtung: Liebeskraut – soll abhängig machen

Augsburg, April 1556

Sie liebte diese Stelle am Fluss, wo eine halbmondförmige Kiesbank in den Lech schnitt und ihr ermöglichte, das Ufer und damit auch die Stadt hinter sich zu lassen. Nach viel zu kühlen, regenreichen Wochen war dieser Frühlingstag sonnig und ungewöhnlich warm. Verglichen mit den schweren Wollstoffen, die sie den ganzen Winter über tragen musste, war das blaue Leinenkleid, das sie heute angezogen hatte, reinste Wohltat – und doch war ihr plötzlich viel zu heiß. Schuhe und Strümpfe hatte sie schon abgestreift und streckte nun vorsichtig den Fuß in das klare, schnell fließende Nass.

Das Wasser war so eisig, dass ihr die Luft wegblieb und sie blitzschnell zurück auf den Kies sprang. Der Wunsch, wie eine Nixe in die Fluten zu tauchen, war mit einem Schlag verschwunden. Dann jedoch wagte sie einen zweiten Versuch, und jetzt gelang es ihr, eine Weile länger auszuhalten. Sie beobachtete, wie kleine Wellen über ihre Haut liefen, die sich langsam rosig verfärbte, und genoss die Erfrischung.

Nichts zog Philippine zurück nach Hause, obwohl sie die Aufgaben der Mutter erledigt hatte. Seit dem letzten Herbst schlich sich bisweilen etwas Missmutiges zwischen ihnen ein, was sie bedauerte, wenngleich sie es nicht zu ändern vermochte. Vielleicht lag es daran, dass nun auch Georg fort war, dessen freundliche Gegenwart sie beide ebenso vermissten wie seinen rabenschwarzen Humor. Drei Jahre jünger, war er ihr stets am nächsten gewesen, anders als die kreuzbrave Regine, die tat, was man von ihr verlangte, oder Karl, der zweite Bruder, der rasch aus der Haut fahren konnte, wenn etwas nicht nach seinem Willen ging. Jedes der Geschwister hatte inzwischen den eigenen Weg beschritten, bis auf sie, die noch immer im Dachgeschoss des alten Peutingerhauses hockte, als habe das Leben sie übersehen.

Die Zeit begann, ihr Feind zu werden, dessen war Phi lippine sich bewusst.

Und dass die Leute redeten, merkte sie Tag für Tag.

Aber sollte sie deshalb in der Stube hocken bleiben, während draußen die Sonne so einladend lachte?

Ihr Weidenkorb, den sie in einiger Entfernung abgestellt hatte, war gefüllt mit den Pflanzen, die Anna Welser ihr zu sammeln aufgetragen hatte. Hatte sie sich früher noch an Skizzen orientieren müssen, um das Gewünschte heimzubringen, so war sie inzwischen selbst zur Kundigen geworden. Sogar ausgefallene Gewächse erkannte sie in der Regel auf Anhieb und wusste, wie man sie in der Krankenpflege anwenden konnte. Heute waren ein paar ganz besondere Schätze darunter: Neben Spitzwegerich für die Bronchien und Giersch, der Bettlägerigen die verlorene Kraft zurückgibt, lagen das blutreinigende Barbarakraut. Dazu kamen Silberdisteln, die harntreibend wirkten, Vogelmiere, die beim Abstillen unterstützte, Scharbockskraut, von dem nur die zarten Spitzen genossen werden durften, um Skorbut vorzubeugen, sowie Geißraute, die als liebesanregend und milchfördernd galt.

Inzwischen waren ihre Füße eiskalt und der Kopf wieder klar.

Während drüben im Auenwald Rotkehlchen und Pirol um die Wette trillerten, streckte Philippine sich auf dem Kiesbett aus und schloss die Augen. Allerdings war der steinige Untergrund alles andere als bequem. Sie spürte, wie sie unter den Brüsten zu schwitzen begann, wie eng der Rock einschnitt, weil sie alle über die Wintermonate zu viel und zu fett gegessen hatten, und lockerte Mieder und Rockband, um sich freier zu fühlen. Wäre es nach ihr gegangen, so hätte sie sich am liebsten alles vom Leib gerissen, um in der Sonne zu baden, doch das kam natürlich nicht infrage. Nacktheit galt als sündhaft und verworfen, schon gar außerhalb der eigenen vier Wände. Sogar in die Wanne stieg man nur in der passenden Bekleidung. Manchmal allerdings, in der Stille der nächtlichen Schlafkammer, wagte sie doch, das lästige Hemd abzustreifen und sich zu liebkosen, um ihre Einsamkeit zu vertreiben.

Sofort waren sie wieder zur Stelle, jene halsbrecherischen Träume, gegen die sie machtlos war!

Selbst nach all der Zeit bekam sie ihn nicht aus dem Kopf. Und aus dem Herzen erst recht nicht, obwohl jedes Hoffen sinnlos war.

Als Erzherzog war Ferdinand von Habsburg zum Herrschen geboren und konnte folglich auch nur eine Frau heiraten, die ihm ebenbürtig war. Welten lagen zwischen einem Geschlecht, das Kaiser und Könige hervorgebracht hatte, und der Kaufmannsfamilie, der sie entstammte, mochte sie auch noch so angesehen sein.

Doch was nützte diese Erkenntnis?

Das Herz gehorchte seiner eigenen Sprache, ließ sich weder täuschen noch verbiegen. Verglichen mit Ferdinand waren die Männer, die bislang um sie angehalten hatten, ausnahmslos so austauschbar und farblos, dass sie Philippine wie Schattenfiguren erschienen, die sich von einem Windhauch umblasen ließen.

Hatte sie alle nicht nur Kalkül und Berechnung dazu getrieben, ihr einen Antrag zu machen, anstatt Liebe und Hochachtung? Und waren sie nicht allzu hurtig von dannen gezogen, als offen lag, wie mager ihre Mitgift ausfallen würde?

Das Fazit fiel erschreckend aus.

Der, den sie begehrte, war so unerreichbar wie die Milchstraße am Himmelszelt.

Bewerber, die halbwegs angemessen gewesen wären, hatten aus Geiz oder Feigheit das Weite gesucht.

Jene aber, die unter ihr standen, galten als ›Habnitse‹ und kamen somit erst gar nicht für sie infrage.

Inzwischen kannte halb Augsburg die wahren Gründe, aus denen Franz Welser sich nach Ravensburg abgesetzt hatte. Ihr Vater galt als Schönling, der mehr und mehr mit den Evangelischen liebäugelte, was manche ihm zutiefst verübelten. Von seinem mangelnden Geschäftssinn freilich hörte man noch Bedenklicheres. Kein Vergleich mit seinem Bruder Bartholomäus, der das Familienunternehmen mit straffer Hand geführt und inzwischen an seinen Sohn Christoph weitergegeben hatte!

Wenngleich die großen Zeiten des Kontinente übergreifenden Welser Imperiums inzwischen vorbei waren, so zog Onkel Bartholomé, wie Philippine ihn stets liebevoll genannt hatte, von seinem Alterssitz in Amberg aus noch immer die Fäden, auch wenn seine Hände zittrig wurden und ihm bisweilen ganz den Dienst versagten.

Sein Bruder Franz dagegen, ihr Vater, um dreizehn Jahre jünger, galt als verschwenderisch, ein Luftikus, der zwar reich, aber gewiss nicht aus Liebe geheiratet hatte, von Jugend an den schönen Dingen des Lebens inniger zugetan als klaren Ziffern. Je mehr sein Alter voranschritt, desto weniger schien er bereit, sich weiterhin familiären Zwängen zu beugen. Anna und Philippine bekamen es an den Zahlungen aus Ravensburg zu spüren, die immer spärlicher tröpfelten, ebenso wie an seinen kurzen, zerstreuten Briefen, die allenfalls zu hohen Feiertagen eintrudelten.

Doch das war bei Weitem nicht das Schlimmste.

Die Leute zerrissen sich das Maul über die unübersehbare Schar der Augsburger Bastarde ihres Vaters. Manchmal graute Philippine regelrecht davor, einem weiteren seiner ›Kegel‹ zu begegnen, wie die Unehelichen abfällig genannt wurden, und in einem neuen Gesicht Züge des abwesenden Vaters entdecken zu müssen.

Kein Wunder, dass die stolze Anna Welser inzwischen allem Fleischlichen abgeschworen hatte und einzig und allein für ihre Heilkräuter lebte! Sie hatte Witwenschwarz angelegt, obwohl ihr Ehemann keineswegs tot war, sondern putzmunter in einer anderen Stadt das Leben führte, nach dem es ihn offenbar seit jeher gelüstet hatte. Was er damit allerdings seiner Tochter antat, schien ihn dabei nicht weiter zu kümmern ...

Seltsam prustende Geräusche rissen Philippine aus ihren Grübeleien.

Vor ihr stand ein junger Mann, tropfnass, der schallend zu lachen begann, als er ihr erschrockenes Gesicht sah.

»Der Himmel muss es wahrlich gut mit mir meinen!«, rief er. »Welch wunderbares Geschick hätte mich sonst ausgerechnet hierher geführt?«

Sein muskulöser Oberkörper war nackt, und auch die helle Bruche, die er als einziges Kleidungsstück trug, stellte seinen gut gebauten Körper mehr zur Schau, als ihn zu verhüllen.

Bis auf die Brüder, und das lag viele Jahre zurück, hatte sie nie zuvor einen so spärlich bekleideten Mann zu Gesicht bekommen. Sie konnte nicht anders, als ihn weiter anzustarren, was ihn nur noch mehr zu amüsieren schien. Dann erst fielen ihr das aufgeschnürte Mieder und ihr halb gelöstes Taillenband ein, doch beides konnte sie jetzt beim besten Willen nicht mehr in Ordnung bringen.

»Erkennt Ihr mich denn gar nicht wieder?«, fuhr er fort. »Der Dachausbau im Peutingerhaus vor einigen Jahren, Ihr müsst Euch doch daran erinnern! Ich war es, der Euch diese schöne Stube gezimmert hat. Tag für Tag sind wir uns dort über den Weg gelaufen. Denkt Ihr denn gar nicht mehr an mich, wenn Ihr im Winter Eure Finger am Ofen wärmt?«

Natürlich – der Zimmermann, der sie so begehrlich gemustert hatte, als sei sie seinesgleichen! Und dennoch hatten seine unverschämten Blicke ihr gefallen, allein schon deshalb, weil er eine gewisse Ähnlichkeit mit Ferdinand besaß.

»Damals trugt Ihr Wams und Schuhe und habt zumindest versucht, Euch halbwegs anständig aufzuführen«, erwiderte sie. »Jetzt aber steigt Ihr wie Poseidon höchstpersönlich aus dem Lech ...«

»In Wams und Schuhen schwimmt es sich nun mal leider ziemlich schlecht«, unterbrach er sie. »Mein Kleiderbündel liegt ein Stück flussaufwärts am Ufer. Ich geh es holen, sobald ich mich aufgewärmt habe. Aber jetzt muss ich erst einmal eine ganze Weile in die Sonne.« Er schüttelte sich wie ein nasser Welpe. »Brrr – ich hab den Biss des Frühlings unterschätzt. Das war eisig kalt!«

Jetzt musste sie wider Willen lachen, was ihn zu ermutigen schien.

»Ich darf doch?« Er setzte sich neben sie auf die Kiesbank, so ungeniert, als trüge er Schaube und Beinlinge, um sie von Neuem zu mustern. »Wie ist es Euch inzwischen ergangen? Erzählt mir von Euch, schöne Philippine! Denn diesen Namen tragt Ihr zu Recht.«

Sie rückte ein Stück zur Seite, ebenso geschmeichelt wie verlegen. Um ein Haar hätten sie sich berührt.

»Was bin ich bloß für ein Flegel«, sagte er kopfschüttelnd. »Ihr wisst ja sicherlich nicht einmal mehr, mit wem Ihr es zu tun habt! Caspar ist mein Name. Caspar Reinhard. War ein paar Jahre lang auf der Walz, in fernen Städten und Regionen, wie es in unserem Handwerk eben so üblich ist. Doch jetzt bin ich wieder da. Das Wasser, mein Lebenselixier, hat mich zurück nach Augsburg gezogen. Und jetzt verdanke ich ihm sogar die Ehre, Euch erneut zu begegnen!«

Die Tropfen auf seiner Haut glitzerten, was ihr gefiel. Er schien sich öfters in der Sonne aufzuhalten, denn seine Schultern schimmerten in einem warmen Bronzeton, der Philippine an eine antike Schale erinnerte.

Einen Lidschlag lang stellte sie sich vor, es seien seine Schultern. Und er säße hier allein mit ihr am Fluss.

Ob Ferdinand sie auch ›schöne Philippine‹ genannt hätte?

Sie erschrak über ihre Gedanken.

Wenn sie nicht aufpasste, würde sie noch wunderlich werden, eine alte Jungfer, die sich Tagträumen und verrückten Fantasien hingab, die doch niemals wahr werden konnten.

»Ich muss zurück.« Sie erhob sich vorsichtig. Zum Glück blieb der Rock an seinem Platz, und auch das Mieder verrutschte nicht weiter, was sie ebenfalls erleichtert bemerkte. »Meine Mutter erwartet mich. Und mein Korb ...«

Blitzschnell war er aufgesprungen und brachte ihn ihr.

»Kräuterzeug.« Er hing seine Nase in den Korb und schnüffelte genüsslich. »Sogar jede Menge Kräuterzeug! Vogelmiere sehe ich da, Disteln – und das gute, alte Pestilenzkraut! Gibt es da etwa einen heimlichen Schatz, von dem Ihr träumt? Dann wüsste ich wahrlich etwas Besseres für Euch!«

»Unsinn!«, widersprach sie. »Das ist alles für meine Mutter bestimmt. Ihre Heilpflanzensammlung wächst und wächst.«

Er nickte, wirkte seltsam erleichtert.

»Dann ist es also wahr, was man sich in Augsburg erzählt: dass Anna Welserin inzwischen eine halbe Apothekerin geworden ist, und ihre liebreizende Tochter Pippa noch immer auf den Richtigen wartet ...«

Das ging entschieden zu weit!

Sie riss ihm den Korb aus der Hand, angelte nach Strümpfen und Schuhen. Den Gefallen, das Kleid zu heben und ihre Beine zu zeigen, würde sie ihm nicht erweisen. Auch so schienen seine Augen schon Löcher in das Leinen zu bohren, so neugierig waren sie auf sie gerichtet.

»Spart Euch die Schmeicheleien für bessere Gelegenheiten auf«, sagte Philippine scharf. Ihren Spitznamen, ausschließlich der Familie vorbehalten, musste er damals irgendwann aufgeschnappt haben, was sie störte und gleichzeitig merkwürdig atemlos machte. »Und jetzt lasst mich vorbei!«

Breitbeinig versperrte er ihr den Weg.

»Nur, wenn du wiederkommst! Du wirst doch wiederkommen?«, sagte er leise. »Morgen zum Beispiel? Oder übermorgen? Der Frühling hat gerade erst richtig begonnen.«

»Vergesst es.« Wie kam er dazu, ihr gegenüber das vertrauliche Du zu verwenden? Er, ein einfacher Zimmermann, während sie doch aus einer der besten Familien der Stadt stammte!

»Und wenn ich herzlichst darum bitte?« Er roch nach Fluss, nach Sonne, nach Leben. Seinen Fehler machte er schnell wieder wett. »Würdet Ihr es Euch dann vielleicht doch noch einmal überlegen?«

Sie hätte mit Fäusten auf ihn einschlagen mögen, weil er sie die Einsamkeit so überdeutlich spüren ließ. Niemals würde sie mit Ferdinand zusammenkommen – warum musste ausgerechnet er sie an diesem strahlenden Frühlingstag daran erinnern?

Stumm schüttelte Philippine den Kopf.

Erneut ein Blick von ihm, den sie wie ein Messer empfand, weil er abermals ihr Innerstes aufriss und bloßlegte, was sie doch unter allen Umständen verbergen wollte.

Dann trat Caspar zur Seite und gab den Weg endlich frei.

Augsburg, 5. Mai 1556

Immer, wenn ich im Leben nicht mehr so recht weiterweiß, greife ich zu Feder und Tinte. Leider habe ich die alten Aufzeichnungen in einem Wutanfall verbrannt, was ich heute bedaure, aber nicht mehr rückgängig machen kann. Mit diesem neuen Tagebuch werde ich sorgfältiger umgehen, das habe ich mir geschworen.

So vieles geht mir im Kopf herum!

Vielleicht wird es leichter, das innerliche Wirrwarr ein wenig zu ordnen, wenn ich meine Gedanken zu Papier bringe.

Schöne Philippine, so hat dieser dreiste Zimmermann mich genannt – einzig und allein, um mir zu schmeicheln, wie schon andere vor ihm.

Beeindrucken lasse ich mich trotzdem nicht davon. Denn ich kenne ja mein Spiegelbild, weiß ganz genau, wer ich bin.

Ich war nicht einmal schön, als ich sechzehn war, und bin es heute ebenso wenig. Meine Haut mag zart sein, doch wer behauptet, sie sei so durchscheinend, dass man sehen könne, wie Rotwein durch meine Kehle rinnt, ist ein Lügner. Ich mag meine blauen Augen und die feinen Haare, die kraus werden, wenn draußen Nebel aufzieht. Vor allem aber meine Hände, die immer in Bewegung sind.

Doch was sollte daran schon Besonderes sein?

Es ist etwas anderes, das ihnen an mir gefällt. Angeblich eine Art Strahlen, das von mir ausgeht, sobald ich gelöst und heiterer Stimmung bin, so hat Tante Kat es einmal liebevoll ausgedrückt, etwas Helles, Leuchtendes, das ansteckend wirkt.

Wenn sie so über mich reden, macht es mich froh.

Aber ich bilde mir nichts darauf ein.

Denn so manches an mir ist ganz und gar nicht makellos.

Meine großen Füße zum Beispiel, die runden Hüften, die es mir schwer machen, die Kleider so eng zu tragen, wie die Mode es vorschreibt. Erst recht dieser unsägliche Schweif winziger Leberflecke, den ich von Geburt an auf dem Rücken habe und als Brandmal empfinde, auch wenn ich ihn selbst nicht sehen kann! Jedes Mal hat Regina mich damit aufgezogen, wenn wir als Kinder gemeinsam in der Wanne saßen und darauf warteten, abgeschrubbt zu werden. Noch mehr allerdings stört mich, dass meine Brüste unterschiedlich groß sind, wenngleich das zum Glück angezogen nicht weiter auffällt. Und vieles, vieles andere mehr ...

Dafür kann ich klar denken und gut rechnen, was ich im Kontor meines Onkels viele Male unter Beweis gestellt habe. Ich beherrsche leidlich Latein und kann die Laute schlagen. Wie gern würde ich in ferne Länder aufbrechen, wie meine Vorfahren es getan haben – stattdessen bin ich hier eingesperrt wie in einem Käfig.

Meine Gefühle sind weder wechselhaft noch oberflächlich, wie man es uns Frauenzimmern so gern nachsagt. Ich kann lieben und hassen wie ein Kerl, so hat Onkel Bartholomé es ausgedrückt. Vielleicht hat er sich deshalb mehr als einmal gewünscht, ich sei als Mann geboren und könnte somit eines Tages seine Nachfolge im Unternehmen antreten.

Was er mir nicht alles beigebracht hat!

Manchmal denke ich, zu viel für eine Frau, die trotz all dieses Wissens ja schließlich doch eingeschnürt bleibt, bis ihr die Luft knapp wird. Allerdings ertrage ich diese Enge immer weniger, erst recht nicht, seitdem ich Caspar begegnet bin ...

Natürlich bin ich nach jener ersten Begegnung nicht mehr an den Lech gegangen – ein paar quälende Tage lang, in denen ich mich mit häuslichen Nichtigkeiten abzulenken versuchte, bis ich das Gefühl hatte, dass Flammen in meinen Beinen züngeln.

Zum Glück braucht meine Mutter Nachschub, Wermut für Magen und Augen sowie Gottesgnadenkraut, um die Wassersucht einer Nachbarin zu kurieren. Sie scheint erstaunt, dass ich bereit bin, mich ohne zu Murren abermals auf die Kräutersuche zu begeben, hat aber zum Glück nicht weiter nachgefragt.

Er ist nicht da, als ich die Kiesbank ansteuere, was mich zunächst erleichtert. Ich lasse mich auf die Steine sinken, starre auf den Fluss.

Wozu bin ich eigentlich hier, wo mein ganzes Sinnen und Trachten doch einzig und allein Ferdinand gilt?

Jener Abend in Schloss Bresnitz wird in mir sein, solange ich lebe.

Seine Augen, seine Gestalt, seine Stimme, in der eine ganze Welt liegt!

Es waren nur ein paar Tänze, ein Lachen, als wir miteinander ins Gespräch kamen. Doch wäre es nach mir gegangen, es hätte auch so viel mehr sein können.

Als ob meine Seele angekommen sei. Ein zu Hause sein, wie ich es mir immer gewünscht hatte.

Ob Ferdinand auch noch an mich denkt?

Mein Herz sagt ja – mein Verstand jedoch behauptet das Gegenteil.

Tante Kat hat versucht, mich zur Vernunft zu bringen, aber wie sollte ihr das gelingen? Als ich im Morgengrauen am Fenster stand und beobachtete, wie er hoch zu Ross nach Prag aufbrach, hatte ich das Gefühl, in Stücke zu brechen, weil es für mich ein Abschied für immer war. Seitdem erscheint mir das Bürgerkleid, auf das ich bislang so stolz war, wie ein Leichenhemd. Es zieht mich herab, macht mich so bleiern, dass ich niemals zu ihm werde fliegen können ...

Caspar kommt also zur Kiesbank, als ich schon wieder gehen will, dieses Mal anständig gewandet. Ein schmucker Mann, ich glaube, er weiß sehr wohl, wie gut er aussieht.

Und wie er reden kann!

Vom Wasser erzählt er mir, das er lenken und bändigen möchte. Immer begeisterter wird er dabei, und ich tue so, als würde ich eifrig zuhören. Zum Abschied schenkt er mir ein hübsches blaues Seidensäckchen.

Vergiss dein nutzloses Geißkraut. Nimm lieber das hier!

Die Wurzel der Belladonna! Bislang kenne ich sie nur von Zeichnungen. Ein überaus gefährliches Gewächs. Wer von ihren Früchten kostet, muss sterben, das habe ich schon als Kind gelernt.

Er lacht, als ich das sage, versucht, meine Furcht zu zerstreuen.

Die Wurzel ist ungiftig. Du brauchst also keine Angst zu haben! Sie kräftigt die Erinnerung und soll, so sagt man, Liebende verbinden.

Liebende – beinahe hätte ich ihm mitten ins Gesicht gelacht. Es gibt nur einen Einzigen, mit dem mich diese Gefühle verbinden.

Ich stecke das Säckchen trotzdem ein, um ihn nicht zu kränken, und nehme mir vor, bei Gelegenheit meine Mutter ausführlich darüber auszufragen.

Dazu ist es allerdings bislang noch nicht gekommen.

Stattdessen wächst meine Unruhe.

Kann diese Wurzel daran schuld sein? Bringt sie mich dazu, Caspar wiedersehen zu wollen?

Ich habe mich von ihm küssen lassen ...

Meine Beine zittern noch immer, wenn ich daran denke, seine Lippen aber sind warm und fest, und die Hände bleiben zwar zahm, wissen aber dennoch, was sie zu tun haben.

Wenn jemand uns beobachtet hat?

Allein bei dieser Vorstellung könnte ich auf der Stelle sterben ...

Kapitel IIBelladonna

Atropa belladonna auch genannt Irrbeere, Taumelstrauch, Teufelsbeere, Schlafkirsche

Positive Wirkung:

Hilft bei Magen- und Darmschmerzen, sowie Augenkrankheiten

Negative Wirkung:

Hochgiftig!, Erbrechen, Schwindel, Halluzinationen, Abortivum

Augsburg, Mai 1556

Wenn sie beim Betreten des Welserhauses die Augen schloss, war alles wieder wie früher. Ein einzigartiges Gemisch an Gerüchen drohte ihre Sinne zu überfluten: Safran und Pfeffer konnte sie ausmachen, Lavendel, Zimt und Kamille. Dazu kamen Leder, Sackleinen und Hanf, Wagenschmiere und Pferdemist. Der Duft nach Freiheit, Waghalsigkeit – und Untergang.

Wie mutig und rücksichtslos waren ihre Vorfahren im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in die Ferne aufgebrochen!

Städte hatten sie gegründet und Festungen erbaut, Kolonialisten angesiedelt und Einheimische gnadenlos geknechtet. Tief waren sie eingedrungen in den wilden, unerforschten Kontinent – allerdings ohne ›El Dorado‹ zu entdecken, jenes sagenumwobene Goldland, von dem sie so lange geträumt hatten. Der Preis, den sie dafür bezahlen mussten, war hoch. Onkel Bartholomé büßte nicht nur einen Großteil des Vermögens ein, sondern verlor auch seinen ältesten Sohn. Bartholomäus, der als Sechster dieses Namens die Linie weiterführen sollte, geriet in einen Hinterhalt und wurde zusammen mit seinem Begleiter Philipp von Hutten brutal gemeuchelt. Vom reichen Dutzend seiner Kinder hatte er ihn am meisten geliebt, auch und vielleicht sogar, weil er wusste, wie draufgängerisch, maßlos und unüberlegt der Sohn sein konnte.

Als die Nachricht von Bartholomäus’ Tod nach Monaten Augsburg erreichte, wurde das Firmenoberhaupt über Nacht zum alten Mann, dessen Kopf zu wackeln begann, als weigere er sich, zu fassen, was inzwischen geschehen war, wenngleich sein Gehirn noch immer mit der Präzision eines Uhrwerks zu arbeiten vermochte.

An seiner Stelle saß nun Christoph im Kontor, der weder in Gestalt noch im Wesen Ähnlichkeit mit seinem Vater besaß. Niemand wusste, wie er die Brüder dazu gebracht hatte, ihm diesen Vortritt zu lassen. Doch innerhalb der Familie kursierte dazu eine Reihe hässlicher Gerüchte.

Philippine strich sich das Haar aus der Stirn, als sie die Hand auf die Klinke legte. Sie trug ihr bestes Kleid aus rosenfarbenem Taft – und fühlte sich trotzdem elend. Diese Bettelgänge, zu denen die Mutter sie immer wieder verpflichtete, waren ihr aus tiefstem Herzen zuwider. Aber blieb ihnen etwas anderes übrig, da Franz Welser ja kaum noch für ihren Unterhalt aufkam?

Christoph blickte nur kurz auf, nachdem sie eingetreten war, dann führte er in Seelenruhe seine Liste weiter. Drei weitere Männer arbeiteten an den langen Tischen, erfahrene Buchhalter, dem Unternehmen seit Jahren treu ergeben. Neben seinem Tintenfass stand ein großer Humpen Bier. Sein Wanst, der sich unter dem Wams aus braunem Samt wölbte, verriet diese Vorliebe.

»Welchem Umstand verdanke ich deinen Besuch?« Er legte ein leeres Blatt über seine Aufzeichnungen, als fürchte er, sie könne etwas erspähen, das nicht für ihre Augen bestimmt sei. »Ist euch schon wieder das Geld ausgegangen?«

Wie sie es hasste, vor allen so angeredet zu werden!

Sie kannte diese Räume beileibe nicht nur als Besucherin oder Bittstellerin. Ihr Onkel hatte sie oftmals hierher eingeladen, um ihm beim Rechnen oder Kalkulieren zu helfen. Die neue Art der Buchführung beherrschte sie im Schlaf. Keiner seiner zahlreichen leiblichen Töchter hatte er dieses Privileg zuteilwerden lassen. Wäre sie ein Mann und kein Weib, säße womöglich sie auf dem abgewetzten Lederstuhl!

»Wollen wir nicht lieber für einen Augenblick nach nebenan gehen?«, erwiderte sie so ruhig wie möglich. »Dort wären wir ungestört.«

»Ich habe keinerlei Geheimnisse vor meinen Leuten«, sagte Christoph, und die Lüge kam geschmeidig über seine Lippen. »Jeder Gulden, der unsere Schatullen verlässt, wird bis zum letzten Heller in unseren Büchern verzeichnet. Wir ständen heute anders da, hätte Vater nicht diese unglückliche Vorliebe für schwarze Kassen und bodenlose Wagnisse gehabt, die uns fast an den Rand des Ruins getrieben haben. Sogar meine Brüder teilen inzwischen diese Ansicht.«

»Onkel Bartholomé war und ist ein großer Mann mit eigenen Regeln«, erwiderte Philippine, noch immer mühsam gefasst. »Der so vieles für unsere Familie erreicht hat. Hätte er nicht klug und mutig das Unternehmen vorangetrieben, du würdest heute wohl kaum ...«

Sie biss sich auf die Zunge. Sie war hier, um Hilfe zu erbitten und legte sich schon nach den ersten Sätzen mit Christoph an!

Aber so war es gewesen, seitdem sie denken konnte.

Schon als kleines Mädchen hatte sie mit ihm gestritten oder lieber noch schleunigst das Weite gesucht, sobald der um zehn Jahre Ältere auf sie zustrebte. Dass die Pocken ihn in jungen Jahren gezeichnet hatten, hatte sie dabei noch am wenigsten gestört. Viel mehr waren es seine Grobheiten, die sie abstießen, die großen Worte, die er um alles machte. Christophs vorgebliche Neckereien waren in Wirklichkeit Püffe gewesen, die blaue Flecken auf ihrer Haut hinterließen; was er unter Kitzeln verstand, hatte sie stets als unangenehmes Zwicken empfunden. Doch während sie seine Nähe nach Möglichkeit mied, unternahm er vielfältige Anstrengungen, um ihre Gesellschaft zu suchen. Kaum war sie herangewachsen, hatte er sich offenbar unsterblich in sie verliebt. Mehr als einen missglückten Kussversuch seinerseits hatte es allerdings niemals zwischen ihnen gegeben. Anna Welser, der sie aufgelöst davon berichtet hatte, wusste dafür zu sorgen, dass Christoph seine junge Base nicht mehr zu Gesicht bekam, bis er endlich eine passendere Braut heimgeführt hatte.

»Also?«, sagte er schnarrend. »Wie viel ist es dieses Mal, geschätzte Pippa?«

Inzwischen starrten alle Buchhalter sie an.