Die schönsten Liebesbriefe der deutschen Literatur - Eduard Mörike - E-Book
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Eduard Mörike

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die schönsten Liebesbriefe der deutschen Literatur" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Eduard Friedrich Mörike (1804-1875) war ein deutscher Lyriker der Schwäbischen Schule, Erzähler und Übersetzer. Mörikes Briefe an Luise waren aus der Zeit ihrer 4jährigen Verlobungszeit. Aus dem Buch: "Nun sind sie vorüber, die festlichen Tage, die Du, o bestes Herz, mit so viel Wehmut hattest herankommen sehen, und ich kann es wohl mitfühlen, wie Du und die geliebten Deinigen alle sich nur zögernd von dem nun scheidenden Jahre losreißen, so viel Jammer es auch brachte! Der selige Vater hatte noch teil an seinen ersten Monaten genommen, und so schienen wir durch den eingebildeten Faden dieses doppelt ehrwürdigen Jahres noch mit seiner Gegenwart zusammenzuhängen, während jetzt eine neue Zeit beginnt, deren Schwelle er nicht mit uns betritt, deren Schwelle er nicht heiligt. Aber das sind Vorstellungen einer kleinlichen Phantasie; die vollkommene Liebe hat wenig mit der Zeit zu schaffen, und - Du hast das selber angedeutet - wenn wir in seinem Geiste leben, ist unsre Zukunft auch durch ihn geweiht."

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Eduard Mörike

Die schönsten Liebesbriefe der deutschen Literatur

Briefe an Luise Rau

e-artnow, 2015
ISBN 978-80-268-3453-3

Inhaltsverzeichnis

Cover
Titelblatt
Text

Briefe an Luise Rau

Plattenhardt, den 2. September 1829 3 Uhr nachmittags

Mein Kind!

Daß man die Reise von Bonlanden bis Plattenhardt ohne große Fährlichkeit zurücklegen kann, das versteht sich eigentlich bei jedermann, ausgenommen bei Bauern und Schulmeistern, die vom Markt heimkommen, und bei Vikarien, die warm von der Liebsten Munde schieden. Indessen begegnete mir nichts. Um halb elf Uhr war ich an Ort und Stelle. Die lieben Deinigen hatten mich bänglich erwartet; sie waren seit heute früh nicht vom Fenster weggekommen, und ein erwärmender Tee stand schon bereit. Ich weiß nicht, was für eine seltsame Empfindung mich beim Eintritt ins Zimmer anwehte, und die liebe Rike hätte mich beinahe erschreckt, indem sie scherzend sagte: »Merkten Sie denn nichts im Hausöhrn? Wir haben schon angefangen auszuziehn!« Es war aber nichts, als daß man das Mostgerät herausschob. Ich erzählte das Nötigste im Flug, hörte was etwa Neues vorgefallen und mußte endlich darauf denken, mir meine Braut ein wenig aus dem Sinn zu schlagen, um einer andern (nämlich einer gewissen Anna Maria Mägle, Tochter des J. G. Mägle, Bürgers und Fleckenschützens dahier) eine fromme Cour zu machen.

Du erstaunst über das schlechte Papier, worauf ich unsere Korrespondenz mit Dir einleite – aber 1. hab ich für jetzt kein anderes, 2. ist es der antiken Sitte analog, daß einsam trauernde Liebhaber den Bart (und also auch das Papier) nicht beschneiden, 3. ist mein Brief nur das Makulatur-Kouvert zu einem äußerst feinen Gratulationsschreiben das hier uneröffnet beiliegt. Es ist ohne Zweifel ein carmen von Fritz Vischer, das ich zu lesen recht begierig bin. Schicks uns doch zur gemeinschaftlichen Erbauung durch die Botin, etwa in einer Abschrift von Louis!

Montag waren die Grötzinger hier. Gestern Visite bei Benkisers, wo sich die liebe Mutter und liebe Rike nicht wenig über die Dorfunterhaltung der Frau geärgert haben. Weißt, wir bekamen ja auch ein delikates Stückchen in Bonlanden auf den Weg.

Über unsern Besuch in Köngen, den sie schon vereitelt glaubten, waren die lieben Deinigen höchlich erfreut. Du werdest doch auch das Spezialathaus und die Helferin nicht versäumen!

Wie kamst Du nach Hause? Trockenen Fußes gewiß und trockenen Auges noch gewisser. Fünf Tage weiß ich mich schon auch zu trösten, aber das ist immer noch eine gar zu leichte Vorschule für die Zukunft. –

In der Scheuer meinem Fenster gegenüber hör ich dreschen: ein traulicher, winterlicher Klang, nach dessen Takte das Herz sich so recht genügsam einspinnen kann! Ich knüpfe immer einen ganzen Schwarm von wehmütig süßen Erinnerungen an diesen Ton, die bis in meine tiefe Kindheit fortlaufen. Dieselbe einförmige Melodie, die mir alle Herbste meines Lebens wieder neu war, – wie wunderbar überrascht sie mich in dieser entscheidenden Epoche! Sie mahnt mich an alles, was in zwanzig Jahren an mir vorüberging, was ich gefunden und verloren habe, was an mir verändert wurde, und was unveränderlich, wie die Totalempfindung meines ursprünglichen Wesens, an mir geblieben ist. Da fühl ich so deutlich, wie vieles bloß als zufälliges Mittel zur Entwicklung des innern Menschen Wert hatte, das man lange Zeit als höchsten Glanzpunkt des Wesens selber wert und heilig gehalten; und doch mußte es vergehen, und man hat noch von Glück zu sagen, wenn die Alles enttäuschende Zeit nicht den ganzen Goldfirnis von den Gestalten abstreifte, wenn man immer noch den Mut haben darf, die alten Zaubergärten zu durchwandeln und an manches verwitterte Monument die nachträumende Stirne anzulehnen. Aber dabei kann einem nur dann wohl werden, wenn das neue Paradies schon angelegt und bereit ist, das uns für alle Vergangenheit entschädigen soll. So ist mir, so darf es auch Dir sein. Mein Kind! wann werd ich denn aufhören können, mich immer aufs Neue wieder über Dich und mich zu verwundern und zu fragen: wie ist das Alles geschehen?! Aber ich wollte, die Zeit käme nie, wo ich das nimmer frage! Ich meine, das wäre schon ein Vorbote des Todes unserer Liebe. Oder muß die Liebe nicht mit jedem neuen Morgen über sich selber, als über ein Wunder, erstaunen und freudig zusammenschrecken? Ist sie bei Dir anderer Art? Es mag sein, und ich glaube es fast, aber es macht mir nicht bange.

»Gerne denk ich mir Dich stets als ein eigenes Kind.«

Ich muß abbrechen, sonst mach ich Dir den Kopf toll mit Ergießungen, die Du nicht liebst. Morgen nachts neun Uhr wird meinSchattenim Widerschein Eures Lichts an der Kirchenwand neben dem Deinigen erscheinen; da sprich ein wenig mit ihm! ich wills in der Ferne hören. Hab ich doch heut schon mit Deinem blaugestreiftenKleidleise Gespräche geführt, das vor dem mittleren Fenster in der Wohnstube an der Stange trocknet. Wäre es nicht so gar hübsch gewaschen, ich hätte es wohl geküßt in der phantastischen Hoffnung, daß noch ein paar geistige Atome Deines Wesens in den Fäden steckten. (Lachst Du?)

Schreib mir doch auch einige Zeilen – es braucht nicht viel ordentlicher und vernünftiger zu sein, als dies mein Geschreib. Der lieben Mutter sage nur, sie möchte doch der guten Eike die Grille ausreden, als ob sie am Sonntag über Nacht geniere. Sie will in Grötzingen bleiben usw. Das hieße uns recht die Freude verderben.

Diesen Mittag erwarteten wir halb die Bernhäuser Mädchen – sie versprachens auf diese Tage, aber sie werden wohl erst dich hier wissen wollen.

Rike wird ein und anderes für Dich beilegen, unter Andern) auch die betrübte Neuigkeit, daß Jette den Herbstnichtheraufkommt! Das ist gar zu ärgerlich! Sie treibt ihre Pflichten gegen Kerns doch zu weit. –

Ich habe vergessen, die liebe Mutter im Namen der Deinigen um den Kempis zu bitten. Sie möchte ihn doch der Botin mitgeben!

Nun adieu! Hast Du Louis meine Aufträge gesagt? Lebet Alle wohl! Tausendmal geküßt von

Deinem treuen Eduard

Nürtingen, den 5. November 1829 Nachts 9 Uhr

Wenn Du über mein Ausbleiben unzufrieden bist, Herzenskind, so hast Du eher mit dem Himmel und mit meiner Mutter zu rechten, als mit mir; denn jener regnete heut unmäßig, und diese wollte mich schlechterdings nicht ziehen lassen, weil ich mich gegenwärtig mit meiner dummen Disposition zu Kopfweh und dergleichen der Nässe nicht aussetzen dürfe. Ich werde nun morgen bei Zeit nach Plattenhardt zurückfahren, muß aber, wie der Fuhrmann behauptet, darauf verzichten, den Weg über Grötzingen zu nehmen. Das ist mir bitter und leid genug; ich kanns kaum niederschlucken, so ohne Deinen Segen in meine Einsamkeit einrücken zu müssen, – mir ist, als wäre eine Lücke zwischen uns, als hätten wir das schöne Zusammenleben in Plattenhardt nicht vollständig abgeschlossen durch ein letztes beruhigendes Wort, womit wir die Summe dieser glücklichen und entscheidungsvollen Zeit noch einmal hätten ziehen sollen. Geht Dirs nicht ebenso? ist Dein Gefühl befriedigt? Ich meine, wir hätten uns noch manches ins geheimere Ohr zu sagen gehabt, ich hätte Dir noch einmal recht tief auf den Grund Deiner Augen sehen und Alles das noch zuletzt mit einem Blick ergreifen sollen, was diese fünf Monate, die bedeutungsvollsten meines Lebens, in sich faßten. So ein sonderbares Bedürfnis ists mir, die Epochen meines Daseins immer zu registrieren und durchs Bewußtsein abzurunden, ehe ich eine neue antrete.

Im letzteren Fall bin ich auch wirklich. Doch betracht ich diese fünf Monate am füglichsten als Ouvertüre zu einer neuen Zeit. Das glänzende Finale einer alten sind sie gewiß nicht. Ich weiß nicht, welch ein Geist des Widerspruchs mich am Tage Eures Abzugs zwang, die wehmütige Stimme nicht zum Wort kommen zu lassen, die aus dem Hintergrunde meines Innersten hervorklagte. Aber Ihr Lieben, die Ihr Euch gleich durch willige Tränen helfen könnet, solltet nur sehen, wie unsereiner nachher, wenn er allein ist und keinen Gegenstand zur Reibung hat, so bitterlich für die unnatürliche Verleugnung eines solchen Gefühles büßen muß – Laß gut sein; – kennst Du mich doch! Nun möcht ich aber gar zu gern wissen, wie Ihr Euch zurecht findet – die liebe Mutter – Schwesterchen Friederike (ich kann sie schon nicht anders schreiben)? möchte das Eckchen, das warme Plätzchen kennen, wo Ihr Euch abends zusammentut – ob Euch der Ofen, die Wände bald vertraulich anlugen? usw. Das Alles soll mir vorläufig ein Briefchen von Dir sagen, das »die getreue Haushälterin« vielleicht nächstens bei Gelegenheit abholt. Ich für meine Person werde mir im Pfarrhaus zu Plattenhardt selber nicht anders als wie ein Abgeschiedener erscheinen, aber oft genug will ich die lieblichen Gespenster des Hauses um mich versammeln und mit ihnen tun, als wärs noch das Alte. Das Erste, was ich Jungfer Magdalis frage, ist, ob sie nicht spinnen kann? Dies sollte mir eine gar behagliche, heimliche Empfindung an den langen, langen Abenden geben, und ich will mir dann zur einförmigen Spindelmelodie unsre Vergangenheit wie ein süßes Märchen hundertmal vorsingen. Diese Herrlichkeit wird über vierzehn Tage währen, denn, wie ich höre, soll Herr Scholl bald an Ort und Stelle ziehen müssen. – Über meine Zukunft frag ich vergeblich »der Vögel Zug und das Eingeweide der Tiere« – auch denke ich sie außer den Göttern niemanden zu empfehlen. Herr Konsistorialrat Flatt könnte sich mit mir auf eine ähnliche Art wie mit jenem Unglücklichen vergessen und mich mit Sack und Pack vor das Pfarrhaus in Grötzingen schicken, wo kein Mensch einen Vikar braucht, als jemand, der eben keinen zu halten befugt ist. –

Bei meinem guten Mütterlein hab ich nun doch einmal wieder ein paar recht gute Tage zugebracht.

Den heutigen Abend bei der Professorin Krehl, meiner ehrlichen Patronin, wo ich im Geist die liebe Rike – sags ihr – recht lebhaft zu einem Glas Bier zu Gaste bat.

Klärchen läßt Dich insbesondre grüßen. Sie hat gegenwärtig eine artige junge Katze, mit der sie ganz menschlich konversiert, und von der sie heut in allem Ernst versicherte, »sie hätte Vernunft und Verstand und freien Willen«. – Louis grüßt bestens.

Der lieben Mutter sage doch, in meiner Abwesenheit sei nichts Amtliches vorgefallen, wie mir heute die Botin rapportierte. –

(A propos, heute Nacht jagte mich der Traum in einen entsetzlichen Amtseifer. Ich hielt Kinderlehre in der – völlig verwandelten – Kirche zu Plattenhardt; ein mir auch ganz fremder junger Provisor spielte dazwischenpour son plaisirganz lustig die Orgel, was mich so aufbrachte, daß ich ihn jählings von der Höhe herunterspringen ließ.)

Der neue Herr Pfarrer soll früher als ein sehr angenehmer und ungemein launiger, witziger Mann bekannt gewesen sein. Onkel Neuffer, der ihn jedoch nicht näher kannte, traf ihn noch als Repetent in Tübingen. Er ist ein Verwandter unseres hiesigen Hausherrn, der deswegen nächstens einige Vorkehrungen in Plattenhardt treffen und zugleich meine Mutter mitnehmen will.

Für Zucker, Kaffee und dergl. ist gesorgt. Nun schließ ich. Küsse die beste Mama, grüße Alles und sei Du, mein Teuerstes! tausendmal geküßt von mir.

Gute Nacht, Du mein Tag-und Nachtgedanke! Liebe mich,

Deinen treuen Eduard

Dir Alleine

Was ich dich noch besonders bitten will, ist: laß Dich den bewußten Gegenstand unseres Gesprächs im Garten (heute vor acht Tagen) nicht allzusehr anfechten; es ist mir nicht wohl, wenn ich Dich über etwas unvergnügt weiß. Halte Dich, Du weißt wohl, woran. –

Fritz verbot mir, den Hauptinhalt seines Briefs, der im Grunde darauf hinausläuft, daß er völlig in Lotten R. verliebt ist, jemandem mitzuteilen; doch Du wirst ihn diesfalls schonen. Im Ganzen glaub ich, wird diese kleine Herzensrevolution ihm nicht schaden. Die Schweizerluft kann auch ein bißchen anfrischen.

Er sagt von so manchen Zwistigkeiten, die bei den Beiden vorkommen, was freilich kein gutes Zeichen wäre. –

Plattenhardt, den 9. November 1829

Es ist nachts elf Uhr; ich war schon zu Bette, konnte aber nicht in Schlaf kommen, zündete Licht an und rede nun noch ein wenig mit Dir; morgen früh hätt ich den Bauern ohnehin nicht fortgelassen, ohne Dir für Dein Gestriges gedankt zu haben. Ja, Dein gestriges Briefchen! Sieh, mein Kind, ich sage Dir – und das mußt Du buchstäblich für Wahrheit nehmen, ich habe nie in meinem Leben, daß ich wüßte, ein geschrieben Wort gelesen, das’ mein ganzes Wesen so entzückt, so rein über sich selbst erhoben hätte wie dies! Was soll ich noch weiter sagen? Amen also, und glaube Du’s.

Höchst merkwürdig war mir das wunderbare Zusammentreffen unseres Nachblickens, wovon Du schreibst, um so mehr, als ich mich nur dies Einzige Mal umkehrte und demnach in eben dem Augenblick, da Du ans Fenster tratst. »Wunder hat die Liebe viel«, sagt Herr Ludwig Uhland.

Kaum hatt ich Deinen Brief bis auf den letzten verborgensten Honigtropfen ausgesogen und jede Silbe, jeden leisen Gedankenübergang mikroskopisch durchdrungen, so hör ich auf dem Gang eine derbe Stimme, die nach mir fragt. Ein Abendbesuch von Herrn Benkiser. Ich gestehe, daß meine Stirn sich ein wenig verzog, bis die Stimme im Zimmer war und ich das angenehmste Gesicht von der Welt machen mußte. Sage nur der lieben Mama und Rike (Friderike will mir doch etwas zu kostbar werden), ich sei hinlänglich gestraft für meine Unhöflichkeit an jenem frühern Abend, denn die Visite, blieb wieder bis dreiviertel auf elf Uhr, und ich durfte diesmal die Figur am Ofen nicht wohl spielen. Ich schwätzte recht brav, entwickelte sogar die Lehre vom Somnambulismus, und mein Gast ließ sich auch auf seine Art hierüber vernehmen. Eine seiner Perioden hab ich mir wörtlich gemerkt. »Es ist bedenklich, ja, ja! wenn man nämlich die Sach bedenken tut. – Aber, Herr Vikar, es glauben heutigstags viele Menschen gar nichts mehr, kein Gott nicht einmal, und nach’m Tod seis halt aus – und doch, wenn man nur z. B. d’ G’stirn betrachet – ‘s könnts ja jeder aus seim eigeneLeib, seine Sinnen, nämlich seim Verstand abnehmen! – ‘s ist drum bedenklich, wenn man des Ding so bedenkt.« Und als in der Weise nacheinander fort. – Nach zehn Uhr stand ich einmal mit einem erzwungenen Gähnen rasch vom Stuhl auf. Herr Benkiser blieb aber ruhig sitzen, und als er sich zuletzt doch empfahl, gab er mir auf der Treppe nicht undeutlich zu verstehen, daß ich dasselbe Amusement künftig recht oft haben werde. Nun nahm ich Deine Worte noch einmal vor und las dann noch eine Stunde in Eschenmayer. Meinem lieben Schwager Denk laß ich sagen, daß das Buch auf jeden Fall ungemein interessant und lesenswürdig sei, daß es mich übrigens ebenso sehr abstoße als anziehe. So viel herrliche, weite Ansichten und doch wieder so viel unerträglich Enges! Ich schrieb einige Proben für Denk ab, werde ihm aber, womöglich, das Buch noch selbst mitteilen. Grüß ihn, seine liebe Frau und Alles aufs Zärtlichste. Schreib mir auch von der Stimmung der besten Mutter. Gut, daß Du nach Nürtingen gehst! ich mags der meinigen so gönnen. Liebe sie nur recht von Herzen, sie verdients. An Onkel Georgii hab ich geschrieben. Tat ich recht, von Dir folgendes zu sagen? »Luise, welche Sie durch mich so liebevoll auf die Gesinnung ihres seligen Vaters hinweisen lassen (ein Auftrag, den ich gewiß mit Freuden vollziehe) – sagt mir jedesmal mit großer Bedeutung von der Ähnlichkeit, welche sie zwischen Ihnen und dem Verewigten finden will, und ich führe dies hier an, um die gedoppelte Achtung zu bezeichnen, womit sie Ihnen ergeben ist.«

(Etwas später)

Jetzt gute Nacht, Luise!meineLuise! – Dieser Name läuft, wie ein sanftes Echo, den Tag über und die Nacht durch mein Innerstes. Es ist eine heilige Stille um mich. Draußen liegt alles klar, wie am Tag. Der Mond zeichnet die drei vordem Fenster hell auf den Boden der lieben Stube, worein diesen Augenblick vielleicht ein lebendiger Traum Dich mit mir einführt – vielleicht ist jetzt ein heller Sommermorgen unter Deinem geschlossenen Augenlide – ach, wie einst, wenn ich früh herüber kam und Dich allein bei der Arbeit schon unterm Fenster sitzend fand, selber blühend Du wie der Morgen – wir sind einander noch fremde, höfliche Gestalten –

Du grüßest mich halblaut von fern – – Erwach! Erwache, mein Kind, und gedenke, daß ich Dein geworden bin seit jener kurzen Zeit! –

Welch eine unbeschreiblich schöne Nacht! – Ich öffne ein Fenster, höre die Melodie des Brunnens – blicke aufs Gärtchen hinunter – alles so leicht, so geistig in Schatten und Licht! Wie schwimmend sind alle Gegenstände.

Könnt ich Dich eine Minute lang haben! Nicht einen Kuß gäben wir uns – sondern stille, staunend, andachtvoll sah’ ich Dich mir an die Seite gezaubert wie eine leichte Verkörperung meines heiligsten Gedankens, die ich nicht zu berühren wage, die leisen Trittes wieder entweicht, aber in mir eine unnennbare Seligkeit zurückläßt, die mich in den Schlaf hinüber begleitet.

Ist mir aber nicht jetzt schon so zu Mute? Tritt, o Kind, diesen Augenblick herein! und ich will nicht erschrecken, will nicht fragen: Bist Du Luftbild oder Leben? Ich wäre auf jedes Wunder gefaßt – – Zwölf Uhr. Schlaf wohl!

Plattenhardt, den 26. November 1829 Abends bei Licht

Herzchen! Ich kam heute insofern ganz gut hier an, als ich weder Hals noch Bein gebrochen habe, noch auch von dem mörderischen Kerl eingeholt wurde, der uns damals im Grötzinger Wald pfiff; aber ich muß noch zu sehr von Deinem Wiedersehen berauscht gewesen sein, denn ich machte einen verdammt unnötigen Abstecher seitwärts von der Straße, kam endlich vor einem wildfremden Orte an, wo ich Räuber und Menschenfresser vermutete; auf meine Frage: Wie heißt denn das Ne – das Dorf da? hieß es aber zum Glück bloß »Harthausen«. Ich tat, als gehörte das ganz in meinen Reiseplan, und verbiß meinen Zorn. Ein hundert Schritte vor dem Ort begegnete mir eine Herd Schafe, die ihr kärgliches Gräslein gar geduldig aus dem hartgefrornen Schnee rupften; der Anblick gab mir plötzlich meine Ruhe wieder; ich dachte an eine ähnliche fromme Begegnung, die ich noch erst an Deiner Seite bei Nürtingen gehabt. Das ist eine Kleinigkeit, tat mir aber doch in der Seele wohl.

Liebs Kind, ich empfand es diesmal recht, welch ein reines Naturwesen doch der sonst so verpönte Winter an sich hat! wie auch er es versteht, einem das Herz weit zu machen. Siehst Du so von der Höhe die langen weißen Flächen, die blauen Albgürtel im zarten Nebel, die einzeln hervorstechenden Turmspitzen stiller Dörflein, – all das hoch überwölbt von der klarsten, gesündesten Luft, so teilt sich Dir ein Gefühl von Lust und Stärke mit, das wohl bald zu einer gewissen Feierlichkeit steigt, wie ein weichlicher Frühling sie kaum geben kann. Und wenn ich so hin ging in meinen Gedanken an Dich, so war es, als nähme all das reine Weiß eine leise Rosenfarbe an – ich fühlte Dich in Deiner ganzen Unschuld und fühlte dann mich selber so.– –

Du lächelst über meinen winterfrohen Enthusiasmus und greifst nach Deinem verbundnen Finger, dem die Jahrszeit nicht wohl bekommt – das fällt mir eben ein, und Du hast recht, ich wäre versucht, die obige Apostrophe mit breiter Feder durchzustreichen; der Gukuk hole den Winter, wenn er meinem Kind weh tut. Aberernstlich, was macht der Schmerzenssohn ? Ich bitte Dich, flüstre siebenmal meinen Namen drüber weg! Gib acht! er heilt. O Liebste – ich höre Dich diesen Augenblick leibhaftig zu lieb Mutterchen und Eike sagen: »Ja, ich glaubs, Dir wisset nicht, wie weh das tut!«

Glaubst Du, ich wollte auf alle zehn Finger und auf alle zehn Zehen meiner Füße mir ein Rauchkerzchen stellen und sie alle zwanzig bis auf den Grund ruhig abbrennen lassen, ein süßer Geruch dem Herrn, daß Du verschont bliebest. Frage doch den Denk, was ein gewisser Mucius Scaevola getan. Ich bin seelenvergnügt, Kind, daß ich Dich einmal wieder gehabt habe. Frage die Madel, ob ich nicht sang und musizierte nach Herzenslust. Da strickt sie an meinem Pult, und ich extemporiere soeben:

Da sitzt die gute Madel, Sie ist vom besten Adel, Sie ist und bleibt die Pracht-Madill Und tut halt, was sie will.

– Das sind närrische Dinge, gelt? Doch Du denkst nicht, daß ich leichtsinnig bin. Fürwahr, ich habe hier wohl drei wehmütige und ernste Stunden, bis ich wieder eine ganz vergnügte habe. Ich sei aber fröhlich oder ernst, so bist Du bei mir. Denke, wie mir heut beim Umkleiden das schwarze Band und Kreuz auf meiner Brust ins Auge fällt, erschrak ich ganz sonderbar, und eine Sekunde lang standst Du vor mir halb traurig wie eine Nonne. Der Geist des schönen Liedes kam über mich (und wird noch oft über mich kommen), das ich hier in einer Abschrift beilege als Pränumeration für »das schönste«, das Du mir abschreibst. Es ist aus Justinus Kerners »Reiseschatten«. – Nun muß ich noch ein wenig an meine morgende Leichenrede gehen (es ist ein Kind gestorben).

Gute Nacht, Seelchen! ja, eine gute Nacht! Grüße Alles aufs zärtlichste und – was ich Dich bitte, danke in meinem Namen den lieben Denkischen für alles Gute, das ich bei ihnen genossen. – ich vergaß es; – sieh! so ganz nahm ichs schon in der Familien-Liebe hin, als ob sich das von selbst verstünde. Danke der liebsten Mutter nochmals.

Adieu, mein Herz, mein Leben!

Noch eins: ich weiß, Dein böser Finger ist an der linken Hand, deswegen – nicht wahr? nur ein paar Linien! worin Du mir sagst, was Du mir nie genug sagen kannst, – daß Du mich gern hast, daß ich Dich gern habe – das ist das Paternoster, das ich alle Stunden bete.

Luise! schlaf wohl! Ich bin und bin ewig

Dein Getreuer

Das nächstemal also sehe ich Euch hier. Das versprochene Gedicht brauchst Du mirdiesmalnoch nicht zu schicken. Ich lege einen merkwürdigen Brief vom Herrn Pfarrer in Kirchenkirnberg bei.

Plattenhardt, den 2. Dezember 1829 Mittwoch Abend

Für Dich allein

Kaum bin ich hier angelangt, bestes Kind, so gibt es schon wieder Gelegenheit, die Madel nach Grötzingen zu schicken, und ihr ein liebes Wort an Dich mitzugeben. O Herz! wie seltsam hat es die kurze Zeit, als ich von Dir bin, in meinem Innern gewechselt! So lang ich unterwegs war und in der frischen glänzendenWinterluft, wiegten sich meine Gedanken nur in einer Art von glücklicher Dumpfheit hin und her, kaum saß ich zu Haus, so fehlte mirs an allen Ecken und Enden, eine unerklärbare Unruh kam über mich; nicht blos das Heimweh nach Dir, nicht die Starrheit der alten Einsamkeit, nein, eine ganz neue unbekannte Trauer zog mir die Brust zusammen, aber Deine Gegenwart, ein Wort von Dir hätte mir doch allein geholfen. Ich warf mich matt und abgespannt aufs Bette und fand, wie seit langer Zeit nicht, wieder eine Zuflucht in dem Troste unverhaltner Tränen. Es ist das einer von den rätselhaften Augenblicken, von denen es heißt: sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?

Du hast Dich deswegen auch nicht drum zu kümmern und ich hätte füglich nichts davon gesagt, wenn mirs nicht eine Erleichterung, ein Bedürfnis wäre, Dich eben in dieser Wehmut herbei in meine Arme zu ziehen, gerade jetzt Dir zu sagen, wie ganz Du mich durchdringest!

Mir ist wohl und weh; – da brennt stille das Licht vor mir und wie es ruhiger in meinem Innern wird, hab ich einen von den seltenen und geweihten Momenten, wo der Mensch gleichsam mit angehaltenem Atem auf den Grund der eigenen Seele niederschaut oder den geheimsten Puls seines ahnungsvolleren geistigen Lebens fühlt. –

Liebes Kind! ich schließe, denn ich wüßte Dir fürwahr nicht mehr zu sagen. Heute nehm ich Dich so innig wie noch nie in mein Gebet. Gute Nacht!

Leb wohl! Dein Eduard

Grüße Alles aufs Liebreichste.

[Plattenhardt], den 4. Dezember [1829] Freitag abends

Der Pfarrer von Neuenhaus hat Wort gehalten diesen Nachmittag. Ich begleitete ihn abends und kam auf dem Rückweg in der Dämmerung recht tief ins Nachdenken über vergangne Szenen, wovon diese Büsche, diese Tannen Zeugen gewesen waren. Noch Einmal führte ich die fröhlichen Schattenbilder jenes abenteuerlichen Heimzugs beim Fackelschein vorüber und gedachte des kleinsten Umstands wieder mit glücklicher Wehmut. Weißt, ich sagte damals zu Dir: Was die Bäume rechts und links so gespenstische, verwunderte Gesichter gegen den lachenden Schwarm schneiden, der ihren kaum angefangenen Waldtraum unterbricht und verjagt! Heute sah ich sie wieder darum an, und sie schienen mich zu kennen und untereinander zu flüstern: Warum geht doch dieser heute so allein? – Ach, dacht’ ich, bald seht ihr auch mich nicht mehr! Ich bin der Letzte, der hier wandelt, von denen, deren Stimmen einst an glücklicheren Tagen durch diese grünen Gänge widerhallten. Ich hätte dies laut weinen können, ohne daß auch nur ein leiser Seufzer in einem der kalten Wipfel nachgeklungen oder ein Blättchen es dem andern erzählt hätte – so wenig erwidert die äußre Natur das sonderbare Vertrauen, womit wir sie in Freude und in Schmerz so gerne anzurufen gewohnt sind! Und doch, was konnte sie mir besser als Antwort entgegenhalten, als ein erstorbenes Laub, das einst wieder frisch grünen wird?

Neulich, mein teuerstes Herz, als ich nach dem Abschied von Dir alleine meinen Weg so fort ging und die Nacht wie in immer dichteren Schichten leise niedersank, ich rund um mich keinen Laut mehr hörte, als meinen eigenen Fußtritt, und der Mond auf seinem rein blauen Feld nun sich so ruhig die alte Erde, so ruhig wie vor tausend Jahren auch, beschaute, da dacht ich: Wie viel Elend und Not siehst Du nun in diesem Augenblick hier unten, so weit Menschen nur atmen – und doch, wie viele Seligkeit auch! Ich verdoppelte unwillkürlich meine Schritte, voll von dem Gefühl, daß auch ich einer von den ganz Glücklichen sei! Ich schauderte einen Augenblick vor der Größe und vor der Wirklichkeit meines Glücks; – denn, gibt es nicht solche seltene Momente, wo gleichsam ein rascher Blitz des innersten Bewußtseins und das, was wir besitzen und sind, in seiner ganzen Gestalt sehn läßt – in der überwältigenden Fülle seiner Wirklichkeit, während es dann scheint, als wäre man bisher nur wie in einem gewöhnlichen Traum befangen gewesen? Da ist es mir denn, als rührte plötzlich ein Gott meine Schulter mit der Hand und ich schlüge hell die Augen auf – aber nur, um dann gleichsam wieder von einem wachen Traum in den andern zu stürzen, vergeblich ringend, das Wunder zu begreifen, das mich so glücklich macht. O liebe, liebe Luise, es ist wahrhaftig kein leeres Wort, wenn ich Dir sage, daß ich in solchen Augenblicken mich zu jener himmlischen Genügsamkeit erhoben und fähig fühle, welche in dem bekannten Ausdrucke liegt: »– – Rufe Dein Kind zurück! Ich habe genossen das irdische Glück! ich habe – usw.« –