Die Schwarze Madonna von Montserrat - Uwe Rademacher - E-Book

Die Schwarze Madonna von Montserrat E-Book

Uwe Rademacher

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Tauche ein in das spannende Leben eines Bestsellerautors in Katalonien und genieße einen spritzigen Spanien-Krimi! Ein ruhiges Leben in seiner geliebten Finca an der Costa Brava? Nicht für Arthur Crawley, der in Ruhe an seinem neuen Buch arbeiten sollte. Würde nicht eine Leiche in seinem Pool schwimmen, könnte er mit seiner Gefährtin Alicia und der Adoptivtochter Luisa an seiner Seite vielleicht das vorgegebene Ziel schaffen. Die Schwarze Madonna von Montserrat, der wertvollste Kunstschatz Kataloniens, soll gestohlen werden? Dass der Eigenbrötler Arthur eigentlich nichts damit am Hut haben möchte, steht außer Frage. Dennoch wird er immer tiefer hineingezogen in ein Verbrechen, das die gläubigen Menschen in Katalonien tief bestürzen würde. Wer wäre er, wenn er die Augen vor dieser Katastrophe verschließen würde? Ist selbst die Polizei in das Verbrechen verstrickt? Mit vollem Einsatz und allen ihm verfügbaren Mitteln wirkt Arthur sogar zusammen mit seinem zunächst verfeindeten Inspektor Robles mit, der niemandem mehr vertrauen kann. Eine heikle Situation wird von der nächsten abgelöst …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für meine Eltern,

die dieses Buch sicher geliebt hätten.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Neue Nachbarn

Dunkle Wolken ziehen auf

Stellungskrieg

Wiedersehen mit einem alten Bekannten

Unsichtbare Fallen

Vendetta

The Final Countdown

Kriegsrat

Die dunkle Seite der Macht

Vor- und Nachteile eines Handys

Die rote Flut

Eulen und andere Nachtschwärmer

Nackte Verzweiflung

Götterdämmerung I

Schattenspiele

Montserrat

Die Stunde der Wahrheit

Der Tag X

Luftballons und Luftschlösser

Götterdämmerung II

Ein Verehrer kommt selten allein

Kein Ort der Stille

Wir setzen alles auf Rot

Showtime

Am anderen Ufer der Nacht

Die Wunder der Technik

Der Schleier hebt sich

In den Gassen von Pals

Die Macht der Kleinen Braunen

Das Lied aller Lieder

Was am Ende des Tages bleibt

Personenregister

Impressum

Prolog

Endlich war die Tortur vorüber!

Acht Lesungen in Good Old Britain, sieben in Deutschland, das alles in knapp drei Wochen. Prost Mahlzeit, ich war so was von bedient. Immerhin war ich keine dreißig mehr, sondern kurz vor meinem dreiundsechzigsten Geburtstag. Nun gut, die Fortsetzung meines Fantasy-Epos Die Insel-Chroniken wollte vermarktet werden, also hatte mich meine Agentin Audrey Parker auf eine Lesereise geschickt. Arthur Crawley liest … Signierstunde inklusive.

»Na, mein geliebter Brummbär.« Alicia Nuñez, ihres Zeichens Bäckerin und Inhaberin des Pa y Vi in Platja D’Aro und seit einem Jahr meine Lebensgefährtin, nahm gutmütig schmunzelnd meine Hand. »Jetzt haben wir es doch geschafft – kein Grund mehr, so ein Gesicht zu ziehen. Ich kann die Landebahn schon erkennen.«

Der Flughafen Josep Tarradellas Barcelona-El Prat war tatsächlich bereits gut zu sehen. Ich sehnte mich nach gelassener Ruhe in unserer Finca und freute mich wie bescheuert auf das Wiedersehen mit meiner Adoptivtochter Luisa. Gott, was hatten wir im letzten Jahr nicht alles zusammen durchgestanden.

»Ich werde unter einem furchtbaren Jetlag leiden«, kündigte ich seufzend an.

»Sicher, so ein Langstreckenflug von fast zwei Stunden ist schon eine gewaltige Hausnummer. Du armer, armer Mann. Soll ich Luisa anrufen, damit sie einen Rollstuhl besorgt?« Alicia konnte ein Lachen kaum unterdrücken.

»Unterstehe dich.« Ich versuchte, meinen Körper zu straffen. »Ich werde mich zusammenreißen.«

Sie kniff ihr linkes Auge zusammen. »Du bist mein Held, Arty.«

Was man als leicht angegrauter Schriftsteller nicht alles ertragen muss. Aber für kein Geld der Welt hätte man mich zu einem anderen Leben überreden können. Alicia war mein Stern, mein Licht, meine späte große Liebe.

Der Flieger setzte sanft auf. Die Sonne schien über der schönsten Großstadt der Welt. Sollten die Amis ihr niemals schlafendes New York behalten, die Frenchies die Stadt der Liebe und die Römer ihre alten Steine – für mich war Barcelona das Juwel unter der Sonne.

Hand in Hand trabten wir die Gangway hinunter. Mitte Juni, die Sonne brezelte schon ordentlich aus einem wolkenlosen blauen Himmel auf uns herab. Die Gepäckabfertigung funktionierte ausnahmsweise mal perfekt. Ich sah Luisa schon von Weitem winken.

»Ich glaube, sie ist noch ein Stück gewachsen.« Ich konnte es kaum erwarten, sie in meine Arme zu nehmen.

»Klar, mit fast fünfundzwanzig ist sie ja noch voll in der Entwicklung.« So locker und schelmisch war Alicia erst seit kurzer Zeit. Der tragische Tod ihres Mannes Victor lag jetzt etwa ein Jahr zurück. Der Kerl war ein Säufer und ein Schläger gewesen, trotzdem blieb ein Schatten zurück, zurückzuführen auf die unrühmlichen Umstände, die zu seinem Ableben geführt hatten. »Sieh mal, Audrey ist auch da«, freute sich Alicia.

Luisa umarmte mich fest, pflasterte mein Gesicht mit dicken Schmatzern zu. Ihre blonden Haare reichten fast bis zur Hüfte. Vor meinem inneren Auge sah ich sie verschwitzt und am Ende ihrer Kräfte vor meiner Finca stehen, mein größter Fan, mit genau einem Euro sechzig Barvermögen, auf der Flucht vor ihrem Freund, der das Mädchen in die Prostitution zwingen wollte.

»Padre, was habe ich dich vermisst.« Ihre blauen Augen leuchteten fröhlich. »Endlich ist das Dreamteam wieder vollständig.« Schon wandte sich der Wirbelwind Alicia zu. »Dich natürlich auch, Alicia. Im Laden ist alles glatt gegangen. Wir haben jede Menge Kohle verdient. Carmina hat sich echt gemacht, denkt neuerdings richtig mit. Ach ja, der Rioja ist fast alle …«

»Ich habe nichts anderes erwartet.« Alicia strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht. »Madre mia, du bist noch hübscher geworden, princesa.«

Verlegen sah Luisa zu Boden.

Jetzt war meine Agentin an der Reihe. Mehr als einen Augenblick lang standen wir uns stumm gegenüber, dann wagte ich es, die linke Braue anzuheben. »Und?«, fragte ich kläglich.

»Maestro, was soll ich sagen?« Verdammt, sie ließ mich zappeln. »Du hast die Insel gerockt.« Erleichtert atmete ich auf. »Und die Alemannen auch. Guck mal eben weg, Alicia.« Unvorbereitet bekam ich einen dicken Kuss. »Super Kritiken in England, wohlwollende Besprechungen im Sauerkrautland. Läuft!«

»Das müssen wir feiern«, forderte ich aufgekratzt.

»Aber der Jetlag …«, erinnerte Alicia mich feixend.

»Jetlag …?« Luisa zog irritiert die Stirn kraus.

»Ach, woher denn«, wehrte ich generös ab. »Schlaf wird überbewertet.«

In bester katalanischer Tradition laut schwatzend verließen wir den Flughafen. Audrey hatte den Jeep ihrer Freundin Flores Rubio ausgeliehen. Ich durfte vorn sitzen. Das Privileg des Alterspräsidenten. Schon waren wir auf der autopista.

»Ich habe einen Song von einer deiner Kultbands gecovert.« Luisas gerötetes Gesicht in meinem Nacken. »Schmeiß mal das Radio an. Der Stick ist schon drin. Die Aufnahme ist mit dem Handy gemacht, also nur so lala.«

Neugierig schaltete ich ein. Ein starkes, virtuoses Gitarren-Intro, dann Luisas einfühlsame Stimme. Endlich konnte ich den Song identifizieren.

»Wow, das ist ja Return To Fantasy von Uriah Heep! Du machst aus der Rocknummer eine Ballade – Das ist … genial!« Ich drehte mich zu ihr herum. Sie leuchtete vor Begeisterung.

»Siehst du.« Audrey schob ihre Sonnenbrille hoch. »Ich wusste doch, dass du den alten Siebziger-Jahre-Veteranen damit begeistern kannst.«

Bis der Jeep in Calonge den Berg hinauf zu meiner Finca erklommen hatte, lief Luisas neues Werk gefühlt hundert Mal. Audrey parkte direkt vor dem Törchen. Ich stieg aus, traute meinen Augen nicht.

»Was, bei unserer Hohen Mutter, ist das denn?« Ich wies anklagend auf zwei schwarze SUVs, die am Rand des Wendehammers parkten. Seit der letzte russische Eigentümer sturzbetrunken in seinem Pool ersoffen war, stand die gegenüberliegende Finca leer. Die wunderbare Periode der Abgeschiedenheit schien beendet zu sein. »Das sind doch hoffentlich nur ein paar Urlauber, die bald wieder verschwinden«, wagte ich zu hoffen.

»Nee, leider nicht.« Audrey, die zusammen mit Luisa und der Veterinärin Flores eine Villa unterhalb der meinen bewohnte, schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, die haben die Hütte gekauft.«

»Was heißt denn die?« Irgendwie wollte mir ihr Tonfall nicht gefallen.

»Na ja, es sind wohl mindestens drei Männer. Wie soll ich es sagen, Arty? Die sind ein bisschen … unheimlich.«

»Definiere unheimlich!«

»Ihr solltet euch selbst ein Bild von den Herrschaften machen. Es ist Montag, das Samal hat geschlossen. Javier und Catalina haben alles für deine triumphale Rückkehr vorbereitet. Also, duschen, umziehen, ein anderes Gesicht aufsetzen, und dann ab die Post. Du wolltest doch feiern.«

Ich warf einen letzten grimmigen Blick auf die schwarzen PS-Schleudern, dann begrüßte ich erst einmal unsere fünf Mitbewohner. Fein aufgereiht saß die Katzenbande parat – Joschi, Luzifer, Trine, Manita und der dicke Karlo.

Wunderbar, wieder zu Hause zu sein.

Neue Nachbarn

Es wurde eine feucht-fröhliche Wiedersehensparty. Fast alle unsere Freunde waren da: unsere Gastgeber Javier und Catalina Esteban, die Besitzer des Restaurants Samal, Sergio und Esteva Montanes, die meine Lieblingsbar, den Cactus, bewirtschafteten. Natürlich durfte auch Audreys Lebensgefährtin Flores nicht fehlen. Javier hatte eine fantastische Arroz Negro, eine schwarze Paella, vorbereitet. Tintenfischstreifen und Gambas auf schwarz eingefärbtem Rundkornreis. Dazu frische Zitronenscheiben und ein verboten guter Cariñena, ein kraftvoller Rotwein aus der Region.

Weit nach Mitternacht quetschten sich die drei Bewohnerinnen der Casa Tres Mujeres (Luisa, Flores und Audrey), Alicia und ich in den Jeep der Veterinärin, die sich freiwillig angeboten hatte, in dieser Nacht der Heimkehr die Chauffeurin zu sein.

Alicia und ich stiegen am Haus der drei Frauen aus, wir bewältigten die letzte sanfte Serpentine zu Fuß. Ein fast voller Mond zauberte ein überirdisches Licht über die Bucht von Palamos. Alicia hakte sich bei mir ein. Die kleine Trine hatte uns bemerkt, flitzte durch den hängenden Garten herunter auf die Straße, maunzte zur Begrüßung und lief dann geschmeidig neben uns her. Im Wendehammer fiel unser Blick auf die neuerdings bewohnte Casa gegenüber.

Der Schotter unter unseren Espadrilles knirschte, aber da war noch ein ganz anderes Geräusch.

»Hörst du das?«, flüsterte ich, plötzlich hellwach. »Das kommt doch aus der Hütte drüben.« Hinter den zugezogenen Fensterläden flackerte es. Kaminfeuer bei den Temperaturen?

»Aber was soll das sein? Ist es eine Art … Gesang?« Ich spürte Alicias Schaudern und wahrlich, diese getragenen Stimmen waren unheimlich. »Das erinnert mich an die Gesänge von Mönchen. Ich verstehe allerdings kein Wort.«

»Ja, das trifft es ziemlich gut«, stimmte ich zu. »Allerdings sind das wohl Mönche, die entweder schlechten Stoff genommen haben oder aber kurz vor dem Abstieg in die Hölle stehen. Trine scheint der Sound auch nicht zu gefallen.« Das Kätzchen machte einen ordentlichen Buckel.

Unwillkürlich waren wir vor unserem Gartentörchen stehengeblieben. Die Stimmen vereinten sich zu einem monotonen Summen, als würde ein Schwarm Hummeln vorbeiziehen, dann ein tiefes, erdiges Grollen, gefolgt von herzzerreißendem Schluchzen, ehe sich Stille auf dem Plateau breit machte.

»Das ist gruselig. Lass uns bitte reingehen, Arthur.«

Der Zauber des Abends war dahin. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals solch einen verstörenden Gesang gehört zu haben. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich die Tür unserer Finca abschloss und auch noch den Sperrriegel zuschob.

Wenn die Morgensonne die Wellenkronen wie Diamanten funkeln lässt, sieht die Welt vollkommen aus. Eine leichte, vom Meer kommende Brise fuhr durch mein ungekämmtes Haar. Ein kurzer Blick hinüber zur Casa Gorbatschow, nun, wahrscheinlich hieß der Kasten jetzt Casa Frankenstein. Alles ruhig. Vielleicht hatten wir doch ein wenig überreagiert, schließlich war der Wein reichlich geflossen. Erst mal Teewasser aufsetzen. Ein duftender Earl Grey, dann würde die Welt wieder im Gleichgewicht sein.

Alicia kam, noch schlaftrunken, in die Küche geschlurft. Strähnen ihrer schulterlangen dunkelbraunen Haare fielen ihr ins Gesicht. Eine Königin, bezaubernd, auch in meinem schlabbrigen Barça-T-Shirt.

»Ich weiß, ich bin noch nicht vorzeigbar.« Lächelnd versuchte sie ein Gähnen zu unterdrücken.

»Du bist immer perfekt, mi ángel.«

»Ach, ihr Schriftsteller, immer ein passendes Kompliment parat. Sag, wann warst du eigentlich das letzte Mal beim Friseur?«

Schuldbewusst runzelte ich die Stirn. »Ist wohl schon ein paar Tage her.«

»Eher ein paar Wochen. Komm her, du Zausel.«

Wir umarmten uns still. Wunderbare Augenblicke, aber auch Momente, in denen wir uns daran erinnerten, was im letzten Jahr geschehen war. Unsere verbotene Liebe, die Rachepläne ihres schrecklichen Ehemannes, der geschworen hatte, mich umzubringen, nachdem wir aufgeflogen waren. Alicias verzweifelte Reaktion, das Küchenmesser, das sie Victor in die Brust gerammt hatte, nur um mich zu schützen. Meine Tollpatschigkeit, die letztendlich zu seinem Tod führte, als ich versuchte, das Messer aus seinem Körper zu ziehen, dabei aber ausrutschte und es stattdessen tiefer in den Brustkorb getrieben hatte. Ein gestohlenes Glück? Ich war freigesprochen worden, aber dennoch, dieser Schatten würde für den Rest unserer Leben bleiben.

»Alles gut?« Alicias braune Augen wussten mich so gut zu lesen.

»Ich liebe dich.«

Sie nickte sanft. »Ich weiß.« Ihre Fingerkuppen strichen über meine stoppelige Wange. »Wir sind Sünder, du und ich.«

»Aber liebenswerte Sünder. Wir beide wollten das nicht, wir wollten nur …« Ihr Kuss raubte mir die Sinne. Er war voller Zuversicht.

»Wenn wir einst diese Welt verlassen, dann wünsche ich mir nur, dass wir gemeinsam in einem Topf der Hölle schmoren. Mit dir zusammen kann ich alles ertragen, Arthur Crawley.«

»So soll es sein«, gab ich rau zurück. »Wie sieht der Plan für heute aus?«

»Es ist noch früh, Carmina kann den Laden aufmachen.«

»Na, so was, das ist ja mal ein genialer Plan, milady.«

»Grins nicht so anzüglich, el escribar.«

Kurz vor vier hörte ich erfreut Alicias Roller die Straße hinauftuckern. Ungewöhnlich, denn sie blieb im Regelfall bis zur Schließung des Pa y Vi, und das war Anfang Juni meistens gegen einundzwanzig Uhr. Die Vorsaison war angebrochen, das hieß, jede Menge Familien mit noch nicht schulpflichtigen Kindern und Rentner bevölkerten die Hotels und Campingplätze in und rund um Platja D’Aro.

Alicia balancierte eine große Pappschachtel in der rechten und eine Tüte mit Baguettes in der linken Hand.

»Klasse, Kuchen!«, freute ich mich.

»Nicht für uns, Leckermaul.« Sie drückte mir den Karton in die Hände. »Das ist für unsere neuen Nachbarn.«

»Ach …«, brummte ich enttäuscht.

»Ich dachte, wir stellen uns mal vor. Dann sehen wir, mit wem wir es zu tun haben. Vielleicht sind die ganz nett.«

»Wer so schräg singt, kann nicht nett sein«, stellte ich richtig. »Aber die Idee ist trotzdem in Ordnung. Es ist immer gut, wenn man seinen Feind kennt.«

»Ach, Arty, sei unvoreingenommen, bestimmt entpuppen sich die Herren als liebenswerte Menschen.«

Ich schnüffelte an dem Gebäck. »Auch noch manzanas, mein Lieblingskuchen, bestimmt mit Äpfeln vom Markt! Das ist gemein!«

»Jetzt hör auf zu maulen.« Alicia schob mich und den Apfelkuchen in die Casa. »Zieh dir ein frisches Hemd an, dann machen wir unsere Aufwartung.«

Manita und Joschi blickten mich erwartungsvoll an. »Ihr braucht gar nicht so große Augen zu machen, das Leckerli ist nicht für uns.«

Im Gegensatz zu unserer Casa verfügte der neu verkaufte Bungalow über keinen Vorgarten. Überhaupt sah alles richtig heruntergekommen aus. Die beiden SUVs parkten noch immer an derselben Stelle. Auch hatte ich, trotz ziemlich lückenloser Observation den Tag über, keinen der Bewohner in Augenschein nehmen dürfen.

Alicia betätigte den Klingelknopf. Nichts läutete.

»Vielleicht haben die noch keinen Strom«, vermutete sie.

Also, klopfen. Dreimal. Keine Reaktion. Meine Hoffnung auf frischen Apfelkuchen stieg, aber Alicia ließ nicht locker. Gerade wollte ich vorschlagen, aufzugeben, da öffnete sich die Tür. Ein Schrank von einem Mann, ganz in Schwarz gekleidet, füllte fast den Türrahmen aus. Lange Hose, langärmeliger Rollkragenpullover. Mir brach schon vom Hingucken der Schweiß aus. Irgendwie erinnerte mich der Typ an den Beißer aus diversen James-Bond-Filmen. Fehlte eigentlich nur noch das Metallgebiss.

»Hola, Señor.« Alicia setzte ihr umwerfendes Lächeln auf. »Wir sind ihre Nachbarn aus der Casa dort drüben.« Keine Reaktion. »Wir wollten uns nur kurz vorstellen. Zur Begrüßung haben wir was Leckeres mitgebracht. Wir hoffen, Sie mögen Apfelkuchen.«

»Es ist gut, Bruder Jorge, du kannst Bruder Jaime im Garten zur Hand gehen.« Das Muskelpaket wurde von einem drahtigen Leuchtturm abgelöst. Ich schätzte den Mann auf gut zwei Meter. Das Outfit allerdings war identisch. Offensichtlich Geistliche, womöglich irgendein Orden. Jetzt erklärte sich der gruselige Singsang der vergangenen Nacht. »Sie müssen Bruder Jorges Auftreten entschuldigen. Er und Bruder Jaime haben ein Schweigegelübde abgelegt.«

»Wer weiß, wozu das gut ist. Die meisten Fehler werden heutzutage beim Sprechen gemacht«, versuchte ich einen Scherz. Ein eisiger Blick war der Dank.

»Sie sind dann wohl dieser Schriftsteller.« Worte wie giftige Pfeile. »Arthur Crawley, wenn ich mich nicht irre, der Verfasser der sogenannten Insel-Chroniken. Ein gar schändliches Werk.«

»Und Sie wollen also einen Fanclub in der Mas Cabanes für mich gründen?«

»Ihre Ironie können Sie sich sparen, Ihre Bücher sind flach, ohne jeglichen Esprit, total überflüssig. Zu viele Worte für eine papierdünne Story.«

»Was missfällt Ihnen denn an Señor Crawleys Werk?«, fragte Alicia beschwichtigend. »Wir sind immer dankbar für konstruktive Kritik.«

»Schlicht gesagt … alles. Tausende Seiten für eine fiktive Wasserwelt, die ein einziger Sündenpfuhl ist. Ein alternder Offizier, der es mit seiner Ziehtochter treibt, Kriege zu Land und auf dem Wasser, gleichgeschlechtliche Unzucht, pornographische Szenen …« Der Geistliche verzog sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Diese frivolen Einschübe sind vollkommen unangebracht.«

»Die haben Ihnen doch sicher besonders gut gefallen«, unterbrach ich ihn provozierend. Also, das war alles andere als ein guter Start nachbarschaftlicher Beziehungen.

»Mit solchem Schund verderben Sie die Menschen nur. Man sollte solcherlei Machwerke verbrennen.«

»Ach ja, hatten wir das nicht schon des Öfteren in der Geschichte der Menschheit? Mir würden da ein paar Ereignisse einfallen. Ihr Verein war da meistens ganz weit vorne.« Ich war wirklich auf hundertachtzig. Verdammte scheinheilige Bande! »Alles weg, was nicht in die eigene Ideologie passt. Super! Meine fiktive Welt ist nur ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.« Unsere Blicke begegneten sich auf wenig freundschaftliche Weise. Ich atmete dreimal tief durch. »Wie heißen Sie eigentlich?«

»Mein Name ist Bruder Malachias. Sie mögen wohl keine Kritik?«

»Wie gesagt … nur konstruktive. Wollen Sie jetzt den Kuchen oder nicht?«

»Auf solcherart Genüsse verzichten wir natürlich.« Malachias verschränkte seine Finger und bog die Hände nach außen, sodass ein ungesundes Knacken zu hören war.

»Prima, mehr Süßes für uns und unsere Katzen.«

»Nur zu, geben Sie sich ruhig der Völlerei hin«, beschied unser neuer Nachbar ironisch. »Das wird sicher ihr Leben verkürzen.«

»Darf ich fragen, warum drei Ordensbrüder eine Finca in diesem Touristengebiet gekauft haben?« Alicia versuchte, sachlich zu bleiben. »Welcher Gemeinschaft gehören Sie eigentlich an?«

»Viele Fragen von einer in Ungnade lebenden Witwe.« Er lachte trocken. »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.«

Grau, die verdammten Augen sind aschgrau, schoss es mir durch den Kopf. Ich erinnerte mich nicht daran, jemals so eiskalte Augen gesehen zu haben. Und wieso weiß der Kerl so viel von uns?

»Fragen einer interessierten Anwohnerin«, gab Alicia, wenig beeindruckt, zurück. »Aber Sie müssen nicht antworten, es gibt hinreichend andere Quellen.« Sie lächelte verbindlich. »Und meine Beziehung zu diesem wunderbaren Autor geht Sie einen feuchten Kehricht an.«

Joschi scharwenzelte um meine Beine, dann baute er sich vor dem schwarzen Mann auf und fauchte angriffslustig. Dafür hatte sich mein Kater eine Sonderration Salami verdient.

»Sehen Sie, mein lieber Malachias, unser Chefkater mag Sie nicht. Tiere haben einen tollen Instinkt, finden Sie nicht auch?«

Erhobenen Hauptes marschierten wir drei zurück in unsere Festung.

Um einundzwanzig Uhr war die Familie zum Abendessen vereint. Ich hatte den ganzen Tag über keine vernünftige Zeile zustande gebracht. Der fünfte Band der Chroniken war in Arbeit, nun, sagen wir lieber, es ging in Mäuseschritten voran, aber immerhin hatte mir mein Verleger achtzehn Monate zugestanden, von denen erst zwei vergangen waren. Die Begegnung mit den gruseligen Nachbarn ging mir nicht aus dem Kopf. Da stimmte doch vorne und hinten nichts. Drei verschrobene Ordensmänner in einer Siedlung voller Touristen – also wirklich! Diese Gleichung wollte mir nicht aufgehen.

Gedankenverloren rührte ich in dem Topf mit einer Currycreme für die ausgelösten Muscheln, die in einer großen Pfanne köchelten. Luisa und Alicia trugen Oliven, getrocknete Tomaten und Pimientos (kleine gebratene Paprika) hinunter zum Pool, dazu servierte ich Salzgebäck und einen leichten Rosé.

Ich öffnete die gut gekühlte Flasche und goss ein. Die beiden Frauen warfen sich verschwörerische Blicke zu. Da war eindeutig was im Busch. Wir stießen an, dann platzte es aus mir heraus: »Also schön, was ist hier los?«

»Ich habe uns bei Luna Moreno zum Sardana-Kurs angemeldet«, verkündete Luisa.

»Das ist ein Witz, oder?« Die Sardana ist ein katalanischer Volkstanz, der eine äußerst komplizierte Schrittfolge verlangt. »Luisa, ich habe zwei linke Füße, ich kann schon keinen simplen Foxtrott. Das überfordert mich total.«

»Ich bin ja bei dir.« Alicia verkniff sich derweil ein Lachen.

»Diese ganzen Schritte kann ich mir keinesfalls merken«, argumentierte ich.

»Dazu gehen wir ja in die Schule, Väterchen.«

»Das ist ja der helle Wahnsinn. Nun sag doch auch mal was, Alicia.«

»Ich finde die Idee ausgesprochen gut. Du lebst in Katalonien, du liebst Land und Leute, da liegt es nicht fern, sich mal mit den Sitten und Gebräuchen vertrauter zu machen.«

»Ihr seid ja beide übergeschnappt. Das wird eine Katastrophe.«

»Luna freut sich schon auf den Autor und Herrn Stadtrat«, feixte Luisa.

»Ich könnte mich weigern.« Okay, das war nur noch ein Rückzugsgefecht.

»Ja, könntest du, Weichei.« Sie verabreichte mir einen Kuss auf die Wange. »Aber du kannst doch deine Lieblingsfrauen nicht dermaßen enttäuschen.«

»Ach, kommt schon, kann ich nicht was anderes machen?«, flehte ich.

»Klar, du kannst lernen, die Flabiol (Einhandflöte) zu spielen, ersatzweise auch ein Fagott«, bot Luisa an.

»Großartige Alternativen. Ich melde mich einfach krank.«

»Dann bekommst du einen doppelten Brandy, und es geht wieder«, beschied Alicia trocken.

»Du wirst mit mir üben, und ich werde deine Zehen platt treten«, drohte ich ihr. »Und du auch, junges Fräulein. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.«

»Im nächsten Sommer können wir endlich guten Gewissens auf der Plaza Santa Maria mitmachen«, frohlockte Luisa. »Das ist doch mal ein Ziel.«

»Pferden kann man auch nicht das Fliegen beibringen.«

»In Fantasy-Romanen schon.«

Dieses Mädchen war einfach nicht mundtot zu bekommen. Ich würde mich wohl oder übel in mein Schicksal fügen müssen. Tanzen. Nun sei nicht so ein sturer Bock, schalt mich mein Unterbewusstsein. Das wird bestimmt lustig.

»Was ist das für ein Ding mit diesen schwarzen Eroberern da drüben?«, fragte Luisa.

»Tja, wenn wir das mal wüssten. Die passen hierher wie Engelbert Humperdinck zu AC/DC.« Ich schüttelte griesgrämig den Kopf. »Apropos, Kleine, ich habe ein Studio in Girona aufgetan, die haben noch Termine frei.«

»Auweia, es wird ernst.« Luisa atmete schwer durch.

»Das wird es. Du bist großartig, es ist an der Zeit, ein Demo-Tape aufzunehmen. Danach werde ich Audrey einspannen. Sie hat sicher ein paar lohnenswerte Kontakte im Ärmel.«

»Ich weiß nicht, ob ich gut genug bin.«

Das war typisch für sie. Selbstbewusstsein gehört nicht zu ihren hervorstechenden Eigenschaften. Daran waren sicher auch die schrecklichen Erlebnisse mit ihrem Ex-Lover Steve Ford schuld. Wie konnte man nur auf die perverse Idee kommen, dieses wunderbare Menschenkind in die Prostitution zu zwingen.

»Papperlapapp«, wehrte ich entschieden ab. »Wer sich zutraut, die Sardana zu lernen, der kann auch ins Studio gehen, Gitarre spielen und singen.«

»Der ist echt streng geworden, findest du nicht auch?«, wandte sich Luisa an Alicia.

»Manche Männer werden im Alter milde, andere garstig und starrsinnig.« Nun bekam ich einen Kuss von meiner Lebensgefährtin. »Ich denke, mit diesem Exemplar lässt es sich aushalten.«

»Muchas gracias.«

Man muss wissen, wann es an der Zeit ist zu kapitulieren.

Dunkle Wolken ziehen auf

Am nächsten Vormittag absolvierte ich meinen Pflichtbesuch im Rathaus von Calonge, immerhin war ich seit einem Jahr gewählter Stadtrat.

»Señor Crawley, auf ein Wort.« Carles Gonzales Garcia, seit mehr als zwanzig Jahren Bürgermeister der Gemeinde. »Ich habe schlechte Nachrichten für uns alle, aber insbesondere für Sie.«

»Tja, das ist ja mal was Neues. Wo drückt denn der Schuh?«

»Sie haben Reyes entlassen.«

»Was? Wie ist das denn möglich?«

Gerard Reyes, ein korrupter Bauunternehmer, der versucht hatte, mir den Mord an Victor Nuñez durch gekaufte Zeugenaussagen in die Schuhe zu schieben, um mich hinter Gitter zu bringen. Zum Glück konnten seine Machenschaften aufgedeckt werden, ich wurde freigesprochen und er zu fünf Jahren ohne Bewährung verurteilt. Okay, wir hatten ihm im Vorfeld ein Millionengeschäft mit einem chinesischen Investor versaut, aber bitte … ein Hotelklotz auf unserer wunderbaren Plaza vor der alten Kirche? Das konnten wir nicht zulassen.

»Irgendein Verfahrensfehler.« Garcia wirkte heute noch kleiner und schmächtiger als sonst. »Sie haben seine Strafe nicht aufgehoben, aber auf Bewährung abgemildert. Das ist nicht gut, Arthur. Auf jeden Fall ist der Verbrecher draußen, und er schwingt verdammt große Reden. Er hat angekündigt, die Gemeinde Calonge und deren gewählte Vertreter fertig zu machen. Der ist richtig sauer auf uns.«

»So, und was heißt das konkret?«

»Wenn ich das wüsste, wäre mir wohler.«

»Carles, ich finde, wir sollten Ruhe bewahren, sicher ist Reyes mit Auflagen entlassen worden. Er wird sich hüten, über die Stränge zu schlagen, weil er sonst schnell wieder im Knast sitzt. Womöglich muss er sogar eine Fußfessel tragen.«

»Er ist ein Scheißkerl.«

»Klar, das ist er, aber das wussten wir doch schon vorher.«

»Ich dachte, Sie könnten vielleicht was tun, Arthur.« Hoffnungsvolle Augen blickten mich an.

»Ich? Aber was denn?« Ich war wirklich verblüfft, schließlich war ich Schriftsteller und kein Zauberer.

»Wir müssen uns schützen.« Gonzales wirkte richtig ängstlich.

»Wollen Sie Bodyguards?«

»Das gibt der Haushalt nicht her, das müssten Sie doch wissen.«

»Meiner auch nicht, ich muss erst mal Bücher verkaufen.«

»Ach, Herr Stadtrat. In diesen schweren Zeiten müssen wir zusammenhalten. Wir müssen ihn im Auge behalten, Reyes plant ganz sicher einen Rachefeldzug. Wir sollten ihn nicht unterschätzen.«

»Hört denn dieser Mist niemals auf?«, seufzte ich.

»Der Herr nimmt, und der Herr gibt«, psalmodierte er ergriffen.

Ich wusste nicht so genau, ob mich das beruhigen oder eher aufregen sollte.

»Na schön, bleiben wir wachsam.« Was Besseres fiel mir gerade nicht ein.

Nach meiner Runde im Rathaus tuckerte ich gemütlich mit meinem Méhari hinunter nach Platja. Der gelbe Plastikbomber hielt noch immer durch. Zwar gurgelte der Motor oft schwindsüchtig vor sich hin, aber er ließ mich nicht im Stich. Ich stibitzte eine Ensaimada, die mallorquinische Hefeteigschnecke, aus dem Pa Y Vi, was mir einen strengen Verweis der Inhaberin einbrachte, und schlenderte an der Promenade Richtung Friends, der wunderbaren Strandbar, die von meiner Freundin Mareike Jannike bewirtschaftet wurde.

»Hola, Arthur«, begrüßte mich die blonde Holländerin, es folgten die üblichen Schmatzer auf beide Wangen. »Was treibt dich so früh in die Stadt, du verlässt doch sonst deinen geliebten Berg erst nach der Siesta.« Das war in den Sommermonaten so gegen siebzehn Uhr. »Kaffee?«

»Unbedingt.« Ich fläzte mich gemütlich in eine der Couchen. »Ich bin als Ermittler unterwegs.«

»Du schreibst jetzt einen Krimi?«, wunderte sie sich.

»Nee, das Genre liegt mir nicht. Die Finca gegenüber wurde offensichtlich verkauft. Da hausen drei gruselige Gesellen, irgendwelche Ordensbrüder.«

»Lieber Himmel! Seit ich damals Der schwarze Abt gesehen habe, sind mir Mönche unheimlich. War eine deutsche Edgar Wallace-Verfilmung.«

»Du sagst es. Ich habe den Schinken auch geschaut, war für die sechziger Jahre gar nicht mal übel. Weißt du, ich versuche rauszubekommen, welcher Immobilienhai die Casa verkauft hat, und an wen genau.«

Der Kaffee wurde serviert, schwarzes Gold, mit einem ordentlichen Schuss Milch für den verweichlichten Briten. Mareike runzelte skeptisch die Stirn.

»Versuch’s mal bei Jesus Fuentes, der ist ganz gut im Geschäft.«

»Danke für den Tipp!«

Auf der Hauptstraße erspähte mich Audrey. Seit geraumer Zeit ließ sie ihre dunkelblonden Haare wachsen. Heute sah ich sie zum ersten Mal mit einem kunstvoll geflochtenen Zopf, in den ein grünes Band eingearbeitet war.

Sie sah mich fragend an. »Und …?«

»Wahnsinn, das ist … mega sexy«, verkündete ich, ehrlich beeindruckt.

»Findet Flores auch.«

Täuschte ich mich, oder war da eine leichte Röte auf ihrem Gesicht? Nach unzähligen, mehr oder weniger glamourösen Abenteuern mit Männern hatte sich meine Agentin im letzten Sommer in die Veterinärin des Ortes verliebt: Flores Rubio, der rettende Engel meiner fünf Katzen. Die beiden gaben ein wundervolles Paar ab. Beide Ende dreißig, Audrey verboten blond, Flores ein schwarzer Teufel.

»Warum sitzt du nicht am Computer und schreibst?« Sie tippte nachdrücklich auf ihre Armbanduhr. »Kurz nach elf.«

»Alte Sklaventreiberin«, beschwerte ich mich halbherzig. »Ich habe im Moment andere Sorgen.«

»Die Mönche.«

»Liebe Güte, weiß das eigentlich schon ganz Platja?«

»Das ist Tagesgespräch, mein Lieber. El escribar und die schwarzen Mönche.« Sie grinste unverschämt. »Bau doch mal einen mysteriösen Orden in das nächste Buch ein. Kommt immer gut.«

»Du bist ein nie versiegender Quell an Inspirationen, Audrey.«

»Deshalb liebst du mich doch.« Sie blinzelte vergnügt. Es schien ihr wirklich richtig gut zu gehen, was mich überaus freute.

»Unter anderem. Jetzt muss ich aber los. Ach … du kannst auch mal was tun für die vielen Euros, die du durch mich verdienst. Luisa und ich gehen nächste Woche in ein Studio in Girona. Wir nehmen ein Demo-Tape auf.«

»Wunderbar, was spielst du denn? Ukulele?«

»Agent Parker …«

»Schon gut«, lenkte sie ein. »Das hat deine Kleine wirklich verdient. Sie ist toll, nein, wirklich großartig, und ja … ich lasse meine Beziehungen spielen. Wäre doch gelacht, wenn wir sie nicht bei einem Label unterbringen könnten.«

»Ich liebe es, wenn du meine Gedanken liest.«

»Ist alles inklusive, Arty.« Diesmal nur ein Kuss, immerhin. »Ehe ich es vergesse, du hast Flores’ Geburtstag auf dem Schirm, oder?«

»Ähm …« Verdammt, natürlich nicht. »Aber sicher.«

»Ach, Arty, komm schon, Samstag im Drei-Mädel-Haus. Das ist gefühlt die hundertste Erinnerung.« Herrje, wer kann sich auch schon so viele Termine merken? »Bin auf dein, beziehungsweise, euer Geschenk gespannt.«

Geschenk?

Auweia. Ich setzte alle meine Hoffnung auf Alicia.

Agentes Inmobiliarios Fuentes verkündete ein grell angeleuchtetes Schild oberhalb des großen Fensters, in dem Dutzende Inserate von zum Verkauf stehenden Fincas und Appartements zu bewundern waren.

»Ah, Señor Crawley, welch Glanz in meiner bescheidenen Agentur! Ich freue mich sehr, dass wir uns endlich einmal persönlich kennenlernen.« Jesus Fuentes schüttelte mir ausdauernd beide Hände. Ich schätzte den elegant in einen beigen Sommeranzug gekleideten Mann auf etwa vierzig Jahre. Hervorstechendes Merkmal war eine Art Kinnbärtchen, das nicht so recht zum Gesamtbild passen wollte. »Ich hoffe doch, dass der vierte Band der Chroniken endlich übersetzt wird. Meine beiden Söhne scharren schon mit den Hufen.«

»Das hoffe ich auch.«

Das tat ich tatsächlich. Ich musste mal ein ernstes Wort mit meinem Verleger wechseln. Überlass das lieber Audrey, die ist knallhart. Auch wieder wahr.

»Wollen Sie womöglich Großgrundbesitzer werden und ein drittes Haus kaufen?« Jetzt war der Mann zum Hai mutiert, der fette Beute witterte.

»Ich muss Sie enttäuschen, Señor Fuentes. Ich bin nur wegen einer Auskunft hier.« Und schon war die Enttäuschung greifbar. »Es geht um die Finca oben in der Mas Cabanes, direkt gegenüber meiner Behausung.«

»Die Hütte des abgesoffenen Russen.«

»Ganz genau. Ist der Verkauf womöglich über Ihre Agentur gelaufen?«

Jesus Fuentes tänzelte um seinen Schreibtisch herum, setzte sich und bot mir einen Besucherstuhl an. Unvermittelt standen zwei Cognacschwenker auf der Arbeitsplatte, die der Makler unanständig großzügig vollgoss.

»Das Objekt hatte ich seit dem Dahinscheiden des Oligarchen in meiner Obhut.« Volltreffer, ich war am richtigen Ort. »Niemand wollte die Finca – schlechtes Karma, böses Omen, russische Geister, Sie verstehen.« Ich nickte brav. »Dann kamen vor etwa einer Woche diese drei schwarzen Geier zu mir. Ich traue mich kaum, es zuzugeben, aber ich habe die ganz schön über den Tisch gezogen. Die haben fast das Doppelte des ausgeschilderten Betrags bezahlt. Wahrscheinlich hätte ich noch höher gehen können, aber na ja, es sind halt Kirchenmänner.«

»Die zahlen eben nur das Doppelte.« Ich lächelte verschwörerisch.

»Man muss sehen, wo man bleibt. Ich habe zwei Kinder und eine Frau, die alle drei Wochen nach Barcelona zum Shoppen fährt.«

»Ich fühle mit Ihnen.«

»Salud!« Wir stießen an wie zwei alte Kumpel.

»Was ich gerne wüsste, Señor Fuentes, ist, wer den Kaufvertrag unterschrieben hat und woher die viele Kohle für die Russenvilla kommt.«

Er zupfte an seinem Bärtchen. »Sie wissen schon, dass ich solche Informationen nicht an unbeteiligte Dritte weitergeben darf, oder?«

»Zwei handsignierte Erstausgaben von Band vier.«

»Und eine Stunde Interview mit meinen beiden Jungs.« Fuentes lächelte leutselig. Ein echter Feilscher vor dem Herrn. »Wie gesagt: sind echte Fans.«

»Abgemacht.« Wir stießen wieder an. So viel Brandy vor zwölf ist nicht gut, aber was tut man nicht alles, um ans Ziel zu kommen. »Also, wer steckt dahinter?«

»Unterschrieben hat den Vertrag ein gewisser Gabriel Soler, allerdings nicht persönlich vor Ort, ich habe den Wisch nur unterschrieben zurückbekommen.«

»Der Name sagt mir nichts«, musste ich zugeben.

»Seines Zeichens der Abt des Klosters von Montserrat.«

»Das ist ja ...« Ich war total perplex. Vor Jahren schon hatte ich das gut einhundertvierzig Kilometer entfernte Benediktinerkloster besucht. Ein Touristenmagnet und eine Wallfahrtsstätte. La Moreneta, die Kleine Braune, eine schwarze Madonna, befand sich in der Apsis des Klosters. Die Schutzheilige Kataloniens.

»Tja, ich habe mich auch gewundert, allerdings war ich mehr als begeistert, das Objekt endlich verkaufen zu können.« Fuentes zuckte mit den Schultern. »Vielleicht suchen die einen Erholungsort für verdiente Mönche, wer weiß?« Seine Haltung machte sehr deutlich, dass ihn die Hintergründe des Verkaufs nicht die Bohne interessierten.

»Ich danke Ihnen für die Informationen, Señor Fuentes.«

»De nada, Señor Crawley. Und wenn Sie mal wieder was kaufen wollen, wissen Sie, wo Sie mich finden.« Immerhin war ich einen kleinen Schritt weitergekommen. Der Abt von Montserrat! Das war ja mal ein Ding. »Wann kommt eigentlich endlich die spanische Übersetzung von Band vier?«

Gute Frage.

Stellungskrieg

»Ah, das ist ja mein Lieblingsautor.« Mein Verleger Herbert Wegener schien in bester Stimmung zu sein. Also passten die Verkaufszahlen anscheinend. »Ich hoffe doch, Sie kommen mit der Fortsetzung gut voran, Arthur.«

»Ja, sicher, aber deswegen rufe ich nicht an.«

»Sondern?« Jetzt bekam die Stimme einen lauernden Unterton.

»Ich hätte gern gewusst, wann der vierte Teil der Chroniken in Spanien auf den Markt kommt«, erklärte ich.

»Gut, dass wir darüber sprechen.«

Ach wirklich, dachte ich. Das Gegenteil schien mir der Fall zu sein. »Wir stecken da in einer Zwickmühle.«

»Das wäre mir neu. Das Buch verkauft sich mehr als gut«, gab ich misstrauisch zurück. »Ich sehe keine Zwickmühle.«

»Im Königreich, den Vereinigten Staaten, überall dort, wo man der englischen Sprache mächtig ist, und im deutschsprachigen Raum.« Ich hörte Wegener angestrengt schnaufen. »Wissen Sie eigentlich, was es kostet, ihr Mammutwerk ins Spanische zu übersetzen?«

»Nein, weiß ich nicht, ist schließlich Ihre Baustelle.« So langsam erhöhte sich mein Stresspegel.

»Knapp dreizehn Euro pro Seite.« Er schluchzte ein wenig.

»So? Na und?«

»Band vier – Auferstehung – umfasst neunhundertzwanzig Seiten.«

»Da sehen Sie mal, was ich mir für eine Mühe gemacht habe. Da bekommen die Leute was für ihr Geld.«

»Arthur, das sind fast zwölftausend Euro, nur für die Übersetzung! Und das Papier kostet heutzutage ein Vermögen.«

»Gut angelegtes Geld.« Was sollte das bedeuten? Wollte er meine Fortsetzung den Spaniern vorenthalten? »Jeder zweite Bewohner von Calonge und Platja D’Aro wartet darauf, das Buch erwerben zu können.«

»Aber auch nur dort, Arthur, fast nur dort. In Barcelona und Umgebung haben wir ja noch ein bisschen was von der Trilogie verkauft, aber darüber hinaus leider nicht. Die Iberer stehen nicht so auf Fantasy. Die spanische Ausgabe hat kaum die Unkosten gedeckt.« Wegener seufzte tief. »Sehen Sie, Arthur, wir müssen der Wahrheit ins Auge blicken. Ich bin wirklich stolz darauf, die Chroniken verlegen zu dürfen, aber ich bin auch Geschäftsmann, und wenn ein Produkt droht, rote Zahlen zu schreiben, dann muss ich eingreifen.«

»Sie wollen mein viertes Buch in Spanien nicht auf den Markt bringen?«, resümierte ich geschockt. »Das glaube ich doch wohl nicht.«

»Mein Herz blutet.«

»Sie können froh sein, dass ich nicht vor Ort bin, sonst würde nämlich jetzt Ihre Nase bluten.«

»Also wirklich, Arthur, wir müssen realistisch denken.«

»Ich schreibe Fantasy-Romane, Herbert. Da ist Realismus nicht gefragt. Ich sage es nur einmal, also sollten Sie mir jetzt gut zuhören.« Ich war jetzt richtig in Fahrt. »Wissen Sie, was huelga übersetzt heißt?«

»Ähm … nein.«

»Streik, mein Guter. In selbigen trete ich ab sofort, und zwar unbefristet, wenn Band vier nicht ins Spanische übersetzt wird. Ergo können Sie sich Band fünf in die Haare schmieren.«

Schweigen in der Leitung. Ich hörte sein hektisches, ungesundes Atmen. »Ich würde nur ungern an den von Ihnen unterschriebenen Vertrag erinnern, Arthur.«

»Dann lassen Sie es doch einfach«, gab ich wütend zurück.

»Aber darin verpflichten Sie sich, innerhalb der nächsten fünf Jahre zwei weitere Bände zu verfassen. Das wären dann die Bände fünf und sechs.«

Mein vor Wut und Enttäuschung auf Hochtouren arbeitender Verstand ermutigte mich, ernsthaften Widerstand zu leisten. »Da steht aber nichts über den Umfang, wenn ich nicht irre, keine Vorgaben in dieser Hinsicht.«

»Was wollen Sie damit andeuten?«, fragte er verunsichert.

»So ein Buch kann auch mal nur … sagen wir: fünfzig Seiten umfassen. So ’ne Art verlängerte Short Story.«

»Das ist nicht Ihr Ernst!«

»Lassen Sie die Auferstehung übersetzen und drucken, dann bleiben wir beste Freunde, Herbert«, schlug ich zuckersüß vor. »Klappt das nicht, schicke ich Audrey sofort nach Manchester.« Kunstpause. »Sie wissen ja, was das heißt. Himmel, ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken.«

»Mister Crawley, Sie sind ein verdammt harter Hund.«

»Autoren haben es nicht leicht, Mister Wegener.«

»Sie treiben mich, und damit auch sich selbst, in den Ruin!«, lamentierte mein Verleger, aber es war nur noch ein Rückzugsgefecht. »Ich sehe uns schon unter einer Brücke hausen und kalte Bohnen aus verbeulten Dosen mümmeln, dazu Wasser aus der Themse und drei Tage alte Brotkanten.«

»Mir kommen die Tränen.«

»Na schön, aber nur einfaches Papier, keine Illustrationen im Innenteil, kein Inhaltsverzeichnis.« Spiel, Satz und Sieg Crawley, jubilierte ich innerlich. »Vielleicht könnten Sie sich mit einem Obolus beteiligen.«

»Ich rufe meine Agentin mal an.«

Ein sattes Schnaufen. »Ich wünsche einen kreativen Sommer.« Aufgelegt.

Na bitte … geht doch!

In meiner Finca versorgte ich zunächst die Katzenbande, dann startete ich meinen PC. Gabriel Soler, Benediktinerabt in Montserrat. Das World Wide Web findet immer was. Ich hörte Luisas Roller auf dem Schotter im Wendekreis. Leicht erhitzt stürmte der Wirbelwind in mein Arbeitszimmer.

»Gute Güte, wer ist der Kerl?«

Sie sah mir über die Schulter, schlang beide Arme um meine Brust und gab mir einen feuchten Kuss auf die Wange. Mein Herz tat einen liebevollen Sprung. Wir kannten uns jetzt erst ein gutes Jahr, aber ich mochte mir ein Leben ohne diese wunderbare junge Frau nicht vorstellen. In manchen Nächten wachte ich noch immer schweißgebadet auf und sah sie, gefesselt an einen Holzbalken, nackt, die Augen verbunden, geknebelt. Es gelang Audrey und mir, sie zu befreien, ehe ihr Peiniger sie missbrauchen oder umbringen konnte. Das Trauma allerdings wirkte nach.

»Der Boss vom Kloster Montserrat«, antwortete ich.

»Was hast du mit dem zu schaffen?«

»Erst mal nichts, aber ich habe herausbekommen, dass er den drei Schwarzröcken die Casa gegenüber gekauft hat.«

»So?« Luisa löste sich von mir. »Klingt merkwürdig. Was treiben denn Mönche hier auf unserem Wohlfühlberg?«

»Genau das ist die Frage. Kannst du uns bitte ein San Miguel aus dem Kühlschrank holen?«

»Ich dachte schon, du fragst nie«, erwidert sie grinsend. »Ich habe heute Abend übrigens einen Auftritt im Samal.«

»Prima, ich schaue mal, was Alicia geplant hat, aber ich denke, wir werden da sein.« Sie reichte mir die gut gekühlte cerveza. Wir stießen an. »Ah, da ist endlich mal ein Bild von Señor Soler, auf dem man ihn gut erkennen kann.«

»Wirkt wie ein Gelehrter«, stellte sie fest. »Die Brille ist allerdings aus den Siebzigern, oder? So ein klobiges, altmodisches Gestell habe ich ja lange nicht mehr gesehen. Ziemlich groß und hager, der Typ. Kahler Schädel, da stehe ich nicht drauf. Immerhin ’ne schicke Kapuze, alles in Schwarz. Was will der gemeine Mönch mehr?«

»Das Kloster ist hundertvierzig Kilometer entfernt. Hier steht, da leben aktuell achtzig Mönche. Drei davon schickt der Abt hier auf unseren Berg und kauft eine überteuerte Finca.« Ich sah Luisa ratlos an. »Da stimmt doch was nicht.«

»Tja, merkwürdig ist das allemal, aber vielleicht gibt es eine ganz einfache logische Erklärung.« Sie schob die blonde Mähne hinter ihre Ohren. Das würde genau zwanzig Sekunden halten. »Ist womöglich so eine Art Belohnung für den zweitausendsten gebeteten Rosenkranz in einem Jahr.« Sie trank ihr Bier aus. »Ich muss jetzt los, noch ein bisschen üben. Audrey ist bei Flores in der Tierklinik, da habe ich sturmfreie Bude.«

»Du hast es ja nicht weit, Kleines.« Wir lächelten uns an.

»Ich mag das, wenn du mich so nennst. Das gibt mir das Gefühl, geliebt und behütet zu sein.« Da war er wieder, der dunkle Schatten der Erinnerung, die Entführung, die Erniedrigung.

»Das bist du. Ich würde Drachen für dich töten.«

»Ja,« flüsterte sie. »Das würdest du. Gegen dich ist dieser Heilige San Jorge nur ein Lakai. Dafür, und für alles andere, was du für mich getan hast, liebe ich dich so sehr.«

»Du bist meine Tochter«, gab ich tief bewegt zurück. Sie lachte schon wieder. »Und jetzt geh üben, ich will dich heute Abend in Höchstform erleben.«

»Zieh dich schnell um, Liebes, wir speisen bei Javier. Luisa tritt um zehn auf.«

Alicia sah mich mit müden Augen an. »Stressiger Tag?«

»Der erste Schwung deiner Landsleute ist da. Die haben mir den halben Laden leergekauft.« Meine Bäckerin schlüpfte elegant aus Rock und Bluse. »Ist ja eigentlich schön, aber bis die sich mal entscheiden. Rioja oder Tempranillo oder doch lieber einen weißen Verdejo? Wie ist denn der Portwein? Kein Wunder, dass das Empire nicht überlebt hat.«

Manita schleppte eine winzige Maus an. In Erwartung einer Belobigung, selbstredend in Form von Nassfutter, sah sie Alicia und mich abwechselnd an.

»Na ja, eine Heldentat war das aber nicht«, kommentierte ich streng. Dennoch öffnete ich die heiß begehrte Dose und schaufelte einen Löffel Hühnchen in Gelee in ihren Napf. »Mehari oder Roller?«, rief ich ins Schlafzimmer.

»Lieber das elegante Cabrio.« Gut, meine zitronengelbe Klapperkiste ein Cabrio zu nennen war gewagt. »Hast du was von unseren Nachbarn gehört?«

»Nada, keinen Mucks. Einer der schrecklichen SUVs war schon weg, als ich aus Platja gekommen bin.« Verdammt, wo hatte ich nur den Wagenschlüssel abgelegt? »Ich muss dir gleich noch berichten, was ich heute recherchiert habe.«

»Oh, Scotland Yard schickt seinen besten Mann.« Ich hörte Alicia leise kichern. »Das blaue oder das gelbe Kleid?«

»Gelb passt zu unserer Luxuskarosse.« Fünf Minuten, und die züchtige Bäckerin hatte sich in einen schwarzhaarigen katalanischen Teufel verwandelt. »Bezaubernd.«

»Na los, Casanova, deine Tochter hat gleich einen Auftritt, und deine Frau verhungert gerade.«

Meine Frau, wie sich das anhörte … einfach großartig!

»Wenn ich nur wüsste …«

»In der Obstschale.« Ein dezentes Schmunzeln.

Der Wagen sprang bereits nach nur drei Zündversuchen an. Um mit der Handkupplung den ersten Gang einzulegen, bedurfte es inzwischen einer gewissen Technik. Ich lenkte den Mehari so nah wie möglich an der Villa Benediktus, wie ich die okkupierte Casa inzwischen nannte, vorbei. Nichts. Alles dunkel. Kein Geräusch, kein Licht in den Fenstern. Vielleicht waren alle drei Brüder mit einem SUV unterwegs.

»Arty?« Ich schreckte aus einer düsteren Version von DerExorzist Teil eins auf. Ein brennendes Kruzifix senkte sich auf eine über dem Bett schwebende Frau im Büßergewand. Nun ja, eigentlich war es Alicias Hand, die sich auf meinen Unterarm legte. »Fahren wir denn heute noch zum Samal?«

Ich ließ den Motor mal richtig aufheulen. Coole Nummer. Im CD-Player steckte das legendäre Live-Konzert No Nukes aus dem Jahr 1982. Ein Event gegen die Aufrüstung mit nuklearen Waffen. Großartige Besetzung: Jackson Browne, Graham Nash, James Taylor, der Boss und viele andere.

»Kannst du morgen frei machen?«, fragte ich.

»Eigentlich nicht. Carmina ist zwar da, aber den ganzen Tag kann ich sie mit dem Laden nicht allein lassen. Langsam geht die Saison richtig los. Worum geht es denn?«

»Ich würde gerne einen Ausflug machen.«

»So?« Alicia klang verwundert. »Wo soll es denn hingehen?«

»Ins Kloster von Montserrat:«

»Arty, das ist eine Schnapsidee. Was versprichst du dir davon?«

»Der Abt hat die Finca gekauft«, trumpfte ich auf. »Ich finde das mehr als merkwürdig.«

»Aha, na und? Was willst du jetzt tun? Den Mann Gottes zur Rede stellen? Hola, ich bin der berühmte Autor Arthur Crawley und ich hätte da mal eine Frage:Wie kommen Sie dazu, die heilige Ruhe auf meinem Berg zu stören?« Sie lachte gutmütig. »Um überhaupt mit dem reden zu können, wirst du wohl einen Termin beantragen müssen, besser gesagt, demütig um eine Audienz bitten.«

»Meinst du?« Alicias Einstellung gegenüber der katholischen Kirche hatte sich nach dem Verrat des Dorfpriesters im letzten Jahr reichlich abgekühlt. »Sollten die nicht zu jeder Zeit für jeden armen Sünder zu sprechen sein?«

»Meinst du dich etwa mit dem armen Sünder? Um all deine Sünden zu beichten, solltest du dir ein Zehnerticket kaufen.« Sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter. »Lass uns doch erstmal ein paar Tage abwarten, mal sehen, was passiert. Wahrscheinlich gar nichts.«

Das Samal war rappelvoll. Ich erkannte nicht wenige junge Leute, die ich schon oft bei Auftritten von Luisa gesehen hatte. Ein erster Fanclub. Wir bestellten Conejo con caracoles, Kaninchen mit Schnecken, eine von Javiers Spezialitäten. Luisa begrüßte uns nur kurz und verschwand dann im Restaurant. Vor jedem Auftritt, und sei er auch noch so klein oder rein privat, war sie angespannt und nervös. Sie brauchte dann einfach Ruhe, um sich zu sammeln. Mir war es bei meinen ersten Lesungen nicht anders ergangen.

Pünktlich um zehn legte sie los. Die Haare hochgesteckt, lange Ohrringe mit bunten Federn verziert, ein schlichtes weißes Kleid, dazu Sandalen mit goldenen Riemchen. Was für ein Anblick. Ich war mal wieder mehr als begeistert.

»Schick, oder?«, flüsterte Alicia mir ins Ohr. »Das Outfit haben wir zusammen ausgesucht.«

Da viele Gäste noch mit den kulinarischen Genüssen beschäftigt waren, verzichtete Luisa zunächst auf Gesang. Sie spielte Stücke von den Gypsy Kings, Eric Clapton und Katie Melua. Etwa eine Stunde später war auch der Nachtisch erledigt. Moonlight Shadow von Cat Stevens, Suzanne von dem großartigen Leonard Cohen – das Publikum war begeistert. Kurz nach Mitternacht war die Terrasse noch immer gut gefüllt. Luisa verabschiedete sich mit einer Zugabe: Hotel California von den Eagles, spanischer Text. Ein Highlight in ihrem Repertoire. Tosender Applaus. Ein gutaussehender junger Mann, Mitte zwanzig, Drei-Tage-Bart, ziemlich weit geöffnetes blaues Hemd und knackig eng sitzenden Shorts, ging zu Luisa auf die kleine Bühne und überreichte ihr einen Strauß roter Rosen.

Sichtlich verlegen ließ sie eine kleine Umarmung und einen Kuss auf die Wange über sich ergehen. Schon war ich aufgestanden. Alicia legte mir eine Hand auf die Schulter.

»Nicht, Arthur, sie hat das im Griff.«

»Wer ist der Kerl?« Luisas Verehrer erinnerte mich fatal an Steve Ford, ihren kriminellen Peiniger.

»Keine Ahnung, aber wenn sie Hilfe benötigt, werden wir da sein. Das sieht aber nicht danach aus. Sie muss auch, was Freundschaft und Beziehungen angeht, wieder ins Leben zurückfinden.« Alicia goss mir den Rest Garnacha ein. Der kräftige Rotwein passte vorzüglich zu dem Kaninchen.

»Du hast natürlich recht, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie schon so weit ist«, brummte ich besorgt.

»Erstens kann das nur Luisa selber entscheiden, und zweitens bist du offensichtlich noch nicht bereit, deine Beschützerrolle zu reduzieren.«

Ich nickte, wenig begeistert. Immerhin war der Gigolo wieder zu seiner Clique zurückgekehrt. Luisa bedankte sich ein letztes Mal, hüpfte von der kleinen Außenbühne und verschwand dann im Inneren des Samal. Ein halbvoller Mond beleuchtete die Terrasse.

»Wo stecken eigentlich Audrey und Flores?«, wunderte ich mich. »Die verpassen doch sonst keinen Auftritt.«

»Junge Liebe, Arthur.« Alicia lächelte hintergründig. »Die zwei genießen womöglich mal traute Zweisamkeit in der Casa.«

»Oh, ja, natürlich.«

»Wie süß, du hast rote Ohren bekommen.«

»Du hast deine katholische Prüderie erstaunlich schnell abgelegt«, stellte ich fest. »Das finde ich gut.« Wenn ich an unsere ersten geheimen Zusammentreffen dachte, konnte ich kaum glauben, welch aufgeschlossene, lebenslustige Frau mir gegenübersaß. Die Befreiung von ihrem erdrückenden Macho-Ehemann und den engen Moralvorstellungen der Amtskirche hatte ein Wunder bewirkt.

Langsam löste sich die fröhliche Gesellschaft auf. Javier und Catalina setzten sich zu uns an den Tisch, natürlich nicht ohne eine Flasche Brandy.

»Wir würden gern Luisa für den ganzen Sommer fest buchen, zumindest einen Tag am Wochenende«, eröffnete mir Javier gut gelaunt. »Das war heute Abend der beste Umsatz des Jahres. Sie ist wirklich umwerfend.«

»Nicht wahr?« Ich war wirklich mächtig stolz. »Nächste Woche gehen wir ins Studio nach Girona.«

»Gute Idee, das hat das Mädchen verdient.«

»Kennst du den Charmeur mit den Rosen?«, fragte ich.

Catalina boxte mir spielerisch auf die Brust. »Der misstrauische Papa, hm?«

»Die Kleine hat genug durchgemacht«, verteidigte ich mich.

»Aber die Kleine wird bald fünfundzwanzig, das solltest du, bei allem Verständnis für deine Fürsorge, nicht vergessen. Salud!« Der dunkelbraune, nach Honig und Abenteuer schmeckende Brandy floss warm durch meinen Körper. »Im Übrigen kenne ich den Sonnyboy nicht.«

»Der ist mir zu schnieke.«

»Zum Glück muss er ja nicht dir gefallen, Brummbär«, wandte Alicia ein.

Mein Handy bimmelte. We Will Rock You, mein neuer Klingelton.

»Das ist Audrey.« Ich nahm den Ruf an. »Was kann ich für dich tun? Ist euch etwa das Bier ausgegangen?« Im Gegensatz zu mir war meine Agentin eine passionierte Biertrinkerin. Beim Whiskey waren wir dann wieder auf einem Nenner. »Was?« Ich musste wohl ordentlich erschreckt reagiert haben. Die Blicke aller Anwesenden richteten sich neugierig auf mich. »Na klar, wir kommen sofort.«

»Arty, was ist los?« Alicias Stimme klang ängstlich.

»Nichts Weltbewegendes.«

»So siehst du aber nicht aus, mein Lieber«, bemerkte Javier skeptisch. Auch Luisa war inzwischen zu uns gestoßen. Jetzt wieder in einer blauen Jeans-Shorts und einem Green Day-T-Shirt. »Also, raus damit.«

»In unserem Pool schwimmt eine Leiche.«

Wiedersehen mit einem alten Bekannten

Der ganze Wendehammer war in flackerndes Blaulicht gehüllt. Das sah gespenstisch aus. Drei Streifenwagen und ein ziviles Fahrzeug parkten auf dem Plateau. In meinem Garten verbreiteten auf Stative montierte Scheinwerfer gleißende Helligkeit. Von meinen Katzen war weit und breit nichts zu sehen. Männer und Frauen in hellblauen Schutzanzügen wuselten über das Grundstück. Am Kopfende des Pools, direkt vor der Hollywoodschaukel, lag ein lebloser Körper, daneben knieten zwei Personen, vermutlich die Spurensicherung.

Audrey und Flores kamen uns entgegen. Ein wildes Umarmen. So ist das nun mal im Süden. Erstmal knuddeln, dann sieht man weiter.

Ein kleiner drahtiger, in Ehren ergrauter Mann, stilvoll in einen hellen Leinenanzug mit Krawatte gewandet, kaum auf uns zu.

»Inspektor Robles«, stöhnte ich. »Na klar, wer denn sonst.«

Der Kriminalbeamte aus Girona hatte mich und Alicia im letzten Jahr gnadenlos gejagt. Er war fest davon überzeugt, dass ich, oder wir beide, Alicias Ehemann umgebracht hatten. Damit lag er natürlich nicht falsch, nur war Victors Ableben mehr oder weniger ein Unfall gewesen, welchen wir allerdings nicht zugeben konnten, ohne Gefahr zu laufen, im Gefängnis zu landen. Vor Gericht war ich der Hauptverdächtigte gewesen, aber dank eines famosen Anwalts und einer dilettantischen Beweisführung der Staatsanwaltschaft war ich freigesprochen worden. Der verbissene Ermittler allerdings war weiterhin von meiner Schuld überzeugt. Zum Glück war dieses düstere Kapitel jedoch beendet. Freispruch war Freispruch. Basta.

»Señor Crawley, so sehen wir uns also wieder.« Er strich milde lächelnd über seinen gepflegten Schnauzbart. »Im Schatten einer Leiche.«

»Liebe Güte, sind Sie zum Poeten geworden, Inspektor?«

»Wie ich sehe, haben Sie direkt Ihre ganze Mannschaft zur Verstärkung aufgeboten.« Er nickte den Frauen jovial zu. »Eine lauschige Nacht für ein Bad im Pool, finden Sie nicht auch?«

»Wann können wir ins Haus?«, fragte Alicia. »Wir kommen von einem Konzert und sind todmüde.«

»Señora Nuñez, ich muss Sie enttäuschen. Die Spurensicherung wird sicher noch ein paar Stunden benötigen, wir müssen schließlich noch die gesamte Casa untersuchen.«

»Das glauben Sie wohl selber nicht«, beschwerte ich mich.

»Der Durchsuchungsbeschluss liegt natürlich schon vor. Das digitale Zeitalter hat doch auch Vorteile.« Robles zückte sein Smartphone und hielt mir eine geöffnete Seite unter die Nase. »Das hat alles seine Richtigkeit.«

»Ihr könnt bei uns schlafen«, bot Audrey sofort an. »Dann kann sich der Herr Kommissar richtig austoben.« Sie machte einen reichlich zerzausten, aber nicht weniger kampfbereiten Eindruck.

»Das ist eine gute Idee«, stimmte Alicia sofort zu.

»Na schön«, sagte ich. Kurz kreuzten sich Robles’ und meine Blicke. »Finger weg vom Weinkeller! Ach, noch etwas.« Er wippte auf den Fußballen vor und zurück. Das tat er immer, wenn er nervös war. »Wenn Sie so gut wären, die Katzen zu füttern.«

»Ich muss doch sehr bitten, Mister Crawley!« Schon war ich wieder nur ein Mister und kein Señor mehr.

»Können Sie uns vielleicht schon mehr über das Opfer sagen?«, hakte Audrey nach.

Er schien einen Moment nachzudenken, dann gab er Auskunft. »Allem Anschein nach handelt es sich um einen Geistlichen. Zumindest lässt die Kutte darauf schließen.«

»Ich wusste, dass das Ärger gibt«, bekräftigte ich.

»Ach, Sie kennen womöglich den Mann?« Da war er wieder, der lauernde Terrier, der sich einmal in ein Hosenbein verbeißt und nie mehr loslässt. »Wie wir aus unserer gemeinsamen Geschichte wissen, stehen Sie ja beständig auf dem Kriegsfuß mit Mutter Kirche.«

»Schnee von vorgestern.« Ich deutete auf die Finca Benediktus. »Da wohnen seit ein paar Tagen drei Ordensbrüder, das ist auch schon alles, was ich weiß. Vielleicht haben die irgendwelche dunklen Rituale durchgeführt, dabei ist dann einer geopfert worden.« Die Info über den Abt behielt ich erstmal für mich. »Sie wissen schon, schwarze Magie und Teufelsanbetung.«

»An Ihre gotteslästerlichen Sprüche werde ich mich wohl nie gewöhnen«, erwiderte Robles.

Luisa gähnte laut. »Kann ich meinen Vater jetzt zur Ruhe betten, ist ja nicht mehr der Jüngste, es war für uns alle ein langer Tag.«

»Ich wünsche Ihnen angenehme Träume.« Er wedelte großzügig mit der Hand. Wir waren entlassen. Wie gnädig. Wir gingen die wenigen Schritte hinunter zur Finca der drei Frauen zu Fuß. »Wenn wir den Todeszeitpunkt eingegrenzt haben, werden wir uns über Ihr Alibi unterhalten«, rief uns Robles hinterher.

»Arthur, was ist denn das wieder für eine Geschichte?«, wollte Flores wissen. Sie trug einen sündhaft kurzen Rock und ein bauchfreies Shirt.

»Keine Ahnung, wirklich.« Alicia und Luisa hatten sich bei mir eingehakt. »Ich hoffe nur, dass die Tatzeit uns ein wasserdichtes Alibi beschert, damit wir Robles nicht wieder am Bein haben.«

»Du meinst, er hat die Sache mit Victor noch nicht ad acta gelegt?«, vermutete Luisa.

»Vordergründig sicher, schließlich wurde ich freigesprochen, aber wenn sich die Gelegenheit bietet, wird er alles versuchen, um mich doch noch hinter Gitter zu bringen.« Im Vorgarten erwarteten uns vier verängstigte Katzen. Nur Joschi, der fette Patron der Bande, war nirgends zu sehen.

Wir Zweibeiner diskutierten fast bis drei Uhr morgens, ehe wir kollektiv ins Koma fielen.

Reichlich verkatert hatten sich Alicia und Flores auf den Weg nach Platja gemacht. Die Tierarztpraxis öffnete um zehn und meine Bäckerin den Laden um neun. Audrey kochte die dritte Kanne Kaffee, als es an der Tür klingelte. Fassungslos taxierte ich Horatio Robles. Der Mann sah aus wie das blühende Leben. Frisch rasiert, ein diesmal dunkler Anzug, eine grüne Krawatte, geradezu revolutionär.

»Madre mia, ich denke fast, Sie sind ein Alien«, begrüßte ich den Ermittler. »Schlafen Sie eigentlich nie? Und warum sehen Sie so ekelhaft frisch aus?«

»Disziplin, Señor Crawley. Wahrscheinlich ein Fremdwort für Sie.«

»Ich bin Schriftsteller.«

»Da haben wir ja schon die Erklärung.«

»Kaffee?«, rief Audrey aus der Küche. »Bitte den Herrn Kommissar doch herein, Arthur.«

»Sehr gerne, bitte mit drei Stück Zucker, wenn möglich.« Das kam überraschend. In der Vergangenheit hatte er jegliches Angebot eines Getränks abgelehnt. Ich geleitete ihn durch das Wohn-/Esszimmer auf die südliche Veranda, die noch im Schatten lag, Audrey brachte eine frisch aufgebrühte Kanne Kaffee, Milch und eine Zuckerdose.

»Nach einer ersten Einschätzung des Gerichtsmediziners verstarb der Mann durch einen Genickschuss gestern Abend zwischen einundzwanzig und zweiundzwanzig Uhr.« Ich atmete erleichtert auf. Samal, perfektes Alibi. »Es handelte sich ergo keineswegs um irgendwelche abstrusen Riten, die zum Tod geführt haben, sondern um einen schlichten Mord.«

»Wie langweilig.« Himmel, ich konnte mich aber auch nicht zurückhalten, wenn ich diesem steifen Kerl gegenübersaß. Ich fragte mich ernsthaft, ob Robles jemals in seinem Leben gelacht hatte. »Ich hoffe, Ihre Leute haben mein Haus in einem einwandfreien Zustand hinterlassen. Wann können wir zurück?«

Er schaufelte ordentlich Zucker in seinen Kaffee. »Die Spurensicherung ist heute Morgen fertiggeworden. Sie können also wieder einziehen.«

»Sehr schön.« Audrey setzte sich zu uns. »Wie geht es jetzt weiter?«

»Sie sprachen von drei Ordensbrüdern in der Casa gegenüber.« Er spreizte tatsächlich den kleinen Finger ab, als er die Tasse zum Mund führte. »Ein sehr guter Kaffee, Miss Parker.« Er schob mir ein Foto über den Tisch. »Erkennen Sie in dem Opfer einen der drei Männer?«

»Das ist Bruder Jorge«, bestätigte ich. »Womöglich hat er sein Schweigegelübde gebrochen.«

»Und wird mit dem Tod bestraft?« Robles schnaubte. »Es wurde ein Mensch getötet, da sollten Sie ein wenig mehr Empathie an den Tag legen.«

»Ich ziehe die Schlussfolgerung zurück. Sprechen darf wohl nur Bruder Malachias, ein unangenehmer Zeitgenosse, wenn ich das bemerken darf.«

»Unangenehm? In welcher Hinsicht?«

»Er hasst meine Fantasy-Trilogie.«

»Nun, da ist er sicher nicht der Einzige.« Robles deutete ein Grinsen an. »Aber Spaß beiseite.«

»Spaß?«, japste ich.

Audrey grinste verschmitzt. »Also wirklich, Arty, ich fand Inspektor Robles’ Bemerkung wohlwollend ironisch.« Sie füllte erneut seine Tasse. »Können wir noch irgendwie helfen?«

»Das können Sie in der Tat. Bitte informieren Sie meine Dienststelle unverzüglich, sollten die Ordensbrüder hier auftauchen.« Er reichte uns beiden seine Karte. »Die sind nämlich nicht auffindbar.«

»Werden wir zu Hilfssheriffs ernannt?«, fragte ich.

»Señor Crawley, was werde ich Ihre heiteren und doch so sinnfreien Bemerkungen vermissen, wenn ich in Pension gehe.«

»Was hoffentlich sehr bald der Fall sein wird«, bekräftigte ich.

Fast, aber nur fast, hätte Robles gelacht!

»Sie sollten es in Montserrat versuchen, Inspektor«, schlug ich vor.

»Warum denn das?«

»Ich habe mir erlaubt, etwas zu recherchieren.« Ich beschloss, doch nicht weiter mit meinen Erkenntnissen hinter dem Berg zu halten. »Ich vermute, dass die drei Ordensmännern Benediktiner sind.«

»Und das vermuten Sie, weil …«

»Der Abt des Klosters die Casa bezahlt hat.«

Robles schüttelte den Kopf. »Sie verblüffen mich immer wieder.« Er leerte seine Tasse und erhob sich. »Ich werde der Sache nachgehen, Deputy Crawley.« Bei unserer Hohen Mutter, der Mann besaß ja doch Humor. »Halten Sie bitte die Augen offen. Wie sagen die Engländer doch so treffend: Diesmal sind wir im selben Team. Hasta luego.«

Luisa wankte aus dem Gästezimmer, den rechten Zeigefinger mit einem Papiertaschentuch umwickelt. »Die blöden Rosen haben ätzend scharfe Dornen.«

»Was ist mit deiner Stimme? Klingt wie ein Reibeisen«, stellte Audrey fest.

»Vielleicht ein Brandy zu viel gestern Nacht.« Sie setzte sich zu uns an den Tisch. »Steht heute was auf dem Programm?«

»Wenn du magst, kannst du mich nach Girona begleiten«, schlug ich vor. »Wir können uns das Studio vorab schon mal ansehen.«

»Bin dabei.«

»Dann mal los, der frühe Vogel fängt die Mücken … oder so ähnlich.«

Unsichtbare Fallen

Luisa war regelrecht begeistert von dem kleinen Studio Rock The World, das direkt am Onyar lag, der aus den Bergen hinab in die Ebene fließt und in Girona in den Ter mündet. Alvaro Morata, Manager, Toningenieur und Produzent in Personalunion, hatte tatsächlich schon von meinem Schützling gehört. Schnell waren wir uns einig. Am nächsten Montag gehörte das Studio für einen ganzen Vormittag Luisa. Der Preis war akzeptabel.

Am Abend führte ich meine beiden Herzensdamen aus. Über die Serpentinen der Küstenstraße von Sant Feliu zuckelten wir nach Tossa de Mar. Ziel war das Restaurant Can Sophia in der Altstadt. Von der Terrasse aus hatte man einen herrlichen Blick über die langgezogene Bucht. Als Aperitif bestellten wir ausnahmsweise mal einen französischen Pastis. Alicia und Luisa trugen zu meiner Freude beide ihr Haar offen. Ich hatte wahrhaftig eine Familie, ich konnte es immer noch nicht fassen. Vor einem Jahr noch eine Vision, über die ich herzlich gelacht hätte. Wir stießen an. Die Eiswürfel klimperten hell in den beschlagenen Gläsern. Eine heitere, gelassene Atmosphäre machte sich breit. Genauso hatte ich mir das vorgestellt.

Der Kellner brachte die Vorspeise. Genüsslich löffelten wir unseren Suppeneintopf mit Möhren, Kartoffeln, weißen und gelben Rüben, Sellerie, Lauch und Zwiebeln, fein abgeschmeckt mit Salz, Pfeffer, Petersilie. Basis ist das Espinazo de Pollo, gemeinhin auch Hühnerklein.

»Ich habe einen merkwürdigen Brief von Batista Coreos bekommen«, sagte Alicia ernst.

»So? Was will er denn?«, fragte ich verwundert. Coreos war der Winzer, der ihr die offenen Weine für die sieben riesigen Fässer im Pa y Vi lieferte.

»Er weiß nicht, ob er die gewünschte Menge auf Lager hat.«

»Was ist das für ein Unsinn? Du kaufst seit Jahren bei ihm, außerdem verfügt er über eine verdammt große Anbaufläche, die letzte Ernte war gut. Was soll das also?«

»Ich weiß es noch nicht.« Sie zuckte resignierend mit den Achseln.

»Vielleicht will er einfach mehr Kohle.« Luisas Stimme klang schon wieder nach Reibeisen, dabei hatte sie sich augenscheinlich zurückgehalten.

Der Kellner räumte ab und brachte einen leichten Albariño, einen duftenden, nach Zitrusfrüchten schmeckenden Weißwein aus Galicien.

Luisa nahm nur ein halbes Glas. »Du zahlst, ich fahre.«

»Deal.«

Alicia kramte aus ihrer Handtasche einige Umschläge hervor. »Stört es euch, wenn ich die Post schnell aufmache? Ich bin heute den Tag über zu nichts gekommen, aber dafür haben wir die Bücher glattgezogen.«

»Nur zu, bis zur Paella wird es noch ein Weilchen dauern«, vermutete ich.

Ich saß den beiden Damen gegenüber. Alicia öffnete einige Briefe.

»Das gibt’s doch nicht! Aranxa Colina kann mir keine Backwaren mehr liefern. Sie schreibt, es täte ihr furchtbar leid, aber die Geschäfte mit Kleinabnehmern wie mir wären unrentabel geworden.«

»Dann holen wir die Rohlinge eben woanders«, versuchte ich, sie zu beruhigen.

»Darum geht es nicht, Arthur. Da steckt doch was dahinter, das ist doch nicht normal, nach all den Jahren.«

»Da könntest du recht haben.« Tatsächlich kam auch mir diese zeitgleiche Stornierung von Bestellungen äußerst merkwürdig vor. Ein übler Verdacht keimte in mir auf.

»Woran denkst du denn gerade?«, fragte Alicia.

»Ach, nichts Besonderes.«

»Du bist ein ausnehmend schlechter Lügner.«