Die Seele - Thomas Werner - E-Book

Die Seele E-Book

Thomas Werner

4,9

Beschreibung

Seit frühesten Zeiten fragt der Mensch nach seiner Herkunft, nach seinem Ursprung: Wer bin ich? Woher komme ich? Und: Wohin gehe ich? Antworten auf diese Fragen sollen den Sinn des Lebens klären und wurden zentraler Bestandteil der antiken Philosophie. Ein zentrales Thema ist dabei Die Seele, die zu ergründen ohne die Berücksichtigung einer mythischen Komponente nicht möglich ist. Verstand und Logik allein reichen nicht aus, um den Menschen in seiner irdischen und kosmischen Wesenswirklichkeit darzustellen. Wahre Philosophie erkennt die Begrenzungen des menschlichen Verstandes und schließt daher Mythen, aus dem göttlichen Urgrund stammend, mit in ihre Betrachtungsweise ein. Thomas Werner stellt dies in seinem Buch eindrucksvoll heraus. Er nimmt den Leser mit in die Welt der Philosophie, die in vielfältiger Weise zu beschreiben versucht, was Die Seele ist. Dabei kommt klar zum Ausdruck, dass Philosophie im platonischen Sinne kein reines theoretisches Gedankengebäude ist, sondern dass das Leben an sich im Zentrum steht.

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Platons Vorstellung von Welt und Menschheit

2.1. Das Erwachen des inneren Menschen

2.2. Der innere und der äußere Mensch

2.3. Das Lebensprinzip Seele

2.4. Die vier Bewusstseinsebenen im Leben des Menschen

2.5. Vom Dunstfeld des Sichtbaren zur Klarheit des Denkbaren

2.6. Der Weg der Seele in der Schule der Philosophie

2.6.1. Erkenntnis vom Seelenweg

2.6.2. Seelenbildung

2.6.3. Der Mensch als Demiurg seines Mikrokosmos

2.7. Das Seiende

2.8. Von der Bedeutung des Eros in Platons Philosophie

2.9. Die essentiellen Elemente von Platons Philosophie

3. Ergänzende Gedanken zur philosophischen Praxis

3.1. Die Bedeutung des Wortes in Wissen und Weisheit

3.2. Philosophie als Lebenspraxis

4. Plotins Philosophie auf den Spuren Platons

4.1. Platon, Philosoph der ersten Stunde

4.2. Elementare Voraussetzungen zum Erkennen philosophischer Weisheiten

4.3. Vom Wesen des Einen

4.4. Selbsterkenntnis – Erkenntnis vom Seinszustand und vom Selbst

4.5. Die Wiedererlangung des Bewusstseins vom Urbild

4.6. Die Seele als Lebensprinzip

4.7. Erkenntnis vom Weg sowie vom Sinn und Ziel

4.8. Das Sein und das Werden

4.9. Zeit und Ewigkeit in der Seele

4.9.1. Das Wesen der Ewigkeit

4.9.2. Das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit

4.9.3. Die Seele im Wirkungsfeld der Materie

5. Jamblich und die Schule des Pythagoras

5.1. Selbsterkenntnis und Seelenbewusstsein

5.2. Theurgie und Logos, Glauben und Wissenschaft, Platonismus als Religion

5.3. Pythagoras als Weisheitslehrer

5.4. Philosophie als Erlösungslehre

5.5. Philosophie als Fundament der Erziehung

5.6. Das pythagoreische Leben

6. Das Eine und das Seiende bei Cusanus

6.1. Vom Sein und vom Wesen des Einen und seine Beziehung zum Menschen

6.2. Von der Wirkung des Einen in der dinglichen Welt

6.3. Die Weisheit als geistige Speise der Philosophen

6.4. Über den Ursprung

6.5. Über die Vernunft

7. Ficinos Deutung des Glücks

7.1. Vom Seelenbewusstsein

7.2. Vom Seelenbewusstsein des Körpers zum Seelenbewusstsein der unsterblichen Seele, zu Gott

7.3. Vom göttlichen Geist

7.4. Wege des individuellen Bewusstseins

7.5. Das neue Bewusstsein der Glückseligkeit

8. Philosophie als Tätigkeit und angewandte Weisheit

8.1. Philosophisches Leben

8.2. Der innere Mensch als Seelenfunke

8.3. Das Wesen der Seele

8.4. Weisheit und Wissen

8.5. Die Ideenlehre als Grundstein der Weisheit

9. Literaturhinweise

Thomas Werner: Die Seele. Vorstellungen und Bekenntnisse der Philosophie

© 2013 Verlag Zeitenwende

Dresdner Straße 90

01454 Radeberg

www.verlag-zeitenwende.de

[email protected]

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen und multimedialen Wiedergabe sowie der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.

Covergestaltung: Verlag ZeitenwendeErstellung E-Book: Verlag Zeitenwende

ISBN 978-3-934291-83-6

Über den Autor

Thomas Werner, 1942 in Schaffhausen (Schweiz) geboren, studierte in St. Gallen und Paris Wirtschaftswissenschaften. Nach dem Abschluss 1967 war er über drei Jahrzehnte im Finanzbereich eines großen Konzerns in der Schweiz und in den USA tätig. Neben seiner beruflichen Tätigkeit befasst er sich seit über 30 Jahren mit Philosophie, den Weisheitslehren der Antike und deren Wirkung in der Renaissance. 2009 publizierte er ein Buch über die Philosophie Platons.

1. Einleitung

Seit frühesten Zeiten stellt sich der Mensch Fragen zu seiner Herkunft, zu seinem Ursprung: Wer bin ich? Woher komme ich? Und wohin gehe ich? Antworten darauf sollen den Sinn des Lebens klären und sind bereits in den ältesten Schriften gegeben worden. Fragen, die den Menschen zu jeder Zeit beschäftigen, stehen am Anfang jeder philosophischen Betätigung. Wer diese nicht kennt, weil ihm sein Lebenssinn klar ist, wird sich auch nicht um Antworten bemühen.

Dichter, Denker, Philosophen und Abgesandte (von ihren Schülern als göttlich bezeichnet, zum Beispiel Jesus und Buddha) haben zu allen Zeiten das Wesen des Menschen sowie die Bedeutung und den Sinn des Lebens erklärt. Einsichtigen wie Platon war dabei bewusst: eine Vorstellung vom Wesen des Menschen zu entwerfen, ohne eine mythische Komponente zu berücksichtigen, trifft seinen Wesenskern nicht. In der Antike erfolgte die Wesenbeschreibung der Welt und der Menschheit oft durch Mythen. Es wurde erkannt, dass Verstand und Logik nicht ausreichen, um den Menschen in seiner irdischen und kosmischen Wesenswirklichkeit darzustellen. So ist ein Mythos eine Erzählung, mit welcher der Sinn des menschlichen Lebens in allegorischen Darstellungen vermittelt wird, sie gründet auf alten, immer geltenden Vorkommnissen und nicht auf logisch begründbaren Ursachen.

Als erste Aufforderung zum Erlangen von Weisheit galt bereits in der frühen Antike: »Mensch, erkenne dich selbst!« Selbsterkenntnis zu erlangen, war eine lebensfüllende Aufgabe, um die sich Philosophen und Denker vor allen anderen naturnotwendigen Pflichten bemühten. Mit Philosophie, mit der Liebe zur Weisheit, wurde die Frage nach dem Wesen des Menschen mittels logischer Denkprozesse zu entschlüsseln versucht. Platon hat jedoch in seinem »7. Brief« (341c ff), unmissverständlich dargelegt, dass über den Inhalt seiner philosophischen Bestrebungen keine sprachliche Darstellung möglich ist:

»Es lässt sich nicht in Worte fassen, sondern aus langer Zeit fortgesetztem, dem Gegenstand gewidmeten wissenschaftlichen Verkehr und aus entsprechender Lebensgemeinschaft tritt es plötzlich in der Seele hervor wie durch einen abspringenden Funken entzündetes Licht und nährt sich dann durch sich selbst.«

Wahre Philosophie erkennt die Begrenzungen des menschlichen Verstandes und schließt daher aus dem göttlichen Urgrund stammende Mythen mit in ihre Betrachtungsweise ein. Weisheit ist der Schlüssel, der Zugang zur Vernunft und zum Mythos ermöglicht, und Weisheit kann erfahren werden durch eine sokratische Lebenshaltung, vom Wissen nichts zu wissen. Dieses Nichtwissen bezieht sich auf die Welt des Ursprungs der Seele, die außerhalb der sinnlich erfahrbaren Welt ist, und auf die Begrenzungen des logischen Denkens, mit welchem der Ursprung nicht erklärt werden kann. Ohne die Erkenntnis von der eigenen Unwissenheit bleibt der Zugang zu wahrer Weisheit verschlossen – diese Einsicht ist erforderlich, um die Bedeutung der Weisheitserkenntnis für Bewusstsein und Selbsterkenntnis zu erfassen.

Die Wahrheit vom Menschen, von seinem Wesen und seiner Aufgabe im irdischen Lebensfeld ist zu allen Zeiten dieselbe geblieben, denn sonst wäre es nicht die Wahrheit. Allerdings wurde sie, seit Schriftstücke darüber verfasst wurden, nur von wenigen zur Kenntnis genommen und droht, der Menschheit abhandenzukommen, da sie sich mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit der Wahrheit über ihren Seinsgrund. Erschwerend wirkt, dass diese Wahrheit über die Zeiten aus verschiedenen Blickfeldern dargestellt wurde und dadurch der Eindruck entstehen kann, dass es sich um verschiedene Wahrheiten handelt, diese also nicht in der Einheit sei. Die in unterschiedliche Wortkleider gehüllte Wahrheit mag in der Außenansicht als Vielheit erscheinen, ihre Innenansicht aber ist in der Einheit, stammt aus dem Einen, denn sonst kann es sich nicht um die Wahrheit handeln. – Als Schriften der Wahrheit, soweit sie mit Worten angedeutet werden kann, sind zunächst die alten Texte der Veden und Upanischaden (500-1200 v. Chr.) zu nennen, sodann Zarathustra (600 v. Chr.) und die Philosophen von Pythagoras bis Platon (350-550 v. Chr.) sowie die philosophischen Wortmeldungen in der neueren Zeit. Auch wirken Mysterienschulen seit der Antike bis in die heutige Zeit, um auf die Wahrheit hinzuweisen. Schließlich kann über eine lange Periode unter dem Stichwort »Gnostizismus« ein Welt- und Menschbild in Erfahrung gebracht werden, welches auch aus dem Evangelium von Jesus dem Christus (»Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.«) herausgelesen werden kann. Die gnostische Interpretation zeigt allerdings in wesentlichen Aspekten keine Übereinstimmung mit den Deutungen der christlichen Religionsgemeinschaften und den Auslegungen aus den theologischen Fakultäten, welche die kirchlichen Thesen untermauern. Ebenso bleibt die an den Universitäten gelehrte Philosophie, insbesondere die von Aristoteles geprägte, von Kritik nicht verschont, so gelangt zum Beispiel Arthur Schoppenhauer in seiner Schrift über die Universitätsphilosophie zur Erkenntnis, dass diese der Wahrheit nur eine sekundäre Stelle zubilligt. Pierre Hadot, ein Philosoph der neueren Zeit (1930-2011), äußert sich klar zur Bedeutung der Universitätsphilosophie: »Die Philosophie, die heute auf den Universitäten gelehrt wird, ist vollkommen unverständlich und somit für den normalen Menschen unwichtig.« In der Weihnachtspredigt von Joseph Ratzinger aus dem Jahre 2010 wird eine Spur der Wahrheit verkündet, wenn dem Gläubigen geraten wird, Christus so ähnlich wie möglich zu werden. Die kirchliche Antwort, wie dieses Werden zu verstehen ist und auf welche Weise dieses Ziel erreicht werden kann, lässt aber die erforderliche Klarheit vermissen.

Auf dem Grund der antiken Erbschaft, oft nur als Trümmerfeld erkennbar, kann in akademischen und auch in als Mysterienschulen bezeichneten Institutionen nach den vergessenen Schätzen gesucht werden, von welchen dem Leser in diesem Werk eine Auswahl vorgestellt wird. Dass auf der Suche nach der Wahrheit der Glaube eine wichtige Stelle einnimmt, darf nicht überraschen. Zunächst steht die Frage der Bedeutung des Glaubens im Raum, dann aber auch, falls etwas Wahres in den alten Mythen zu finden sein sollte, die Frage, auf welche Weise das in den Schulen der Philosophie genannte Ziel erreicht werden kann, nämlich die Übereinstimmung des Wesens des Menschen mit Gott.

Ein solches Ziel kann jedoch für den Menschen des 21. Jahrhunderts nicht wörtlich verstanden werden, denn der bekannte natürliche Mensch hat nicht im Entferntesten eine Verwandtschaft mit dem Wesen Gottes, er hat nicht mal eine Vorstellung davon. Und dennoch soll dieser Mensch nach Ablauf seiner irdischen Daseinszeit und Wirkungsphase in einen Himmel hineingehen dürfen, von dem im Evangelium gezeugt wird. Warum das nicht geschehen kann oder unter welchen Umständen ein solches Ziel erreicht werden könnte, soll im Folgenden erläutert werden. Dabei beschränkt sich dieses Buch auf Schriften mit vorwiegend philosophischem Inhalt, in welchen verborgene Schätze der Weisheit gefunden werden können; von einigen Philosophen (Meister Eckhart, Cusanus, Marsilio Ficino) wurden Gedanken zum Schulterschluss zwischen der Philosophie und den Schriften des Neuen Testaments hinzugefügt.

Philosophie bedeutet Liebe zur Weisheit – und Weisheit liegt jenseits des wissenschaftlichen Wissens, denn sie erfüllt sich als eine nicht übertragbare innere Erfahrung. Den Zugang zu dieser Erfahrung muss jeder Mensch in sich selbst finden. Weisheit kann erworben werden, indem sich ein Mensch um den Weg zur Eintrittspforte in ein Denkgebäude bemüht und dann den darin zu befolgenden Gedankenpfad aufspürt und beschreitet. Als Folge der daraus erworbenen Erkenntnis wird er sich eine neue Lebenshaltung aneignen. Das neue Denken, befreit von der alten Selbstbehauptungsmentalität, ermöglicht es ihm, Erfahrungen aus dem Innenraum der Seele zu erleben.

Der platonische Sokrates lässt seine Schüler wissen, dass die Seele, das Zentrum des Bewusstseins, der Ort menschlichen Bemühens um Erkenntnis sein sollte und nicht etwa der biologische Mensch und die äußere sichtbare Welt. H. P. Blavatsky hat in ihrem Büchlein »Die Stimme der Stille« die Essenz buddhistischer Weisheit, aus Quellen tibetanischer Klöster, in verständlicher Weise wiedergegeben. Die Seele des Menschen ist dieser Darstellung zufolge in ihrem aktuellen Seinszustand in einem irdischen Körper gefangen und wird beherrscht vom sterblichen König »Ich«. Das wahre Wesen der Seele des Ursprungs, im Zustand des Friedens und der Glückseligkeit im Lande der Stille, kann in der körperlichen Abhängigkeit niemals ins Bewusstsein treten, solange die Seele im Bewusstsein trügerischer Eindrücke der irdischen Außenwelt verharrt. Die Aufgabe des diese Situation erkennenden Menschen ist es, einen Weg zu suchen für die Befreiung der Seele aus den irdischen Bindungen. Die Befolgung der Lebensregeln der buddhistischen Tradition soll dazu führen, dass die Seele sich ihres ursprünglichen Zustandes wiederum bewusst werden kann.

In dem vorliegenden Buch wird versucht, den Seelenweg aus der Perspektive der antiken Philosophie und der abendländischen Tradition vor das Bewusstsein des Lesers zu stellen. Die von Platon vorgestellte denkbare Welt, die wahre seiende Welt, ist in der Seele erfahrbar. Es ist die Welt des Wortes und der Gedanken. Darin befinden sich das Gute und das Vollkommene. Wenn diese Welt vom Bewusstsein ergriffen werden kann, ist der Mensch im Sein angelangt. Es ist die Welt, die durch den Geist in die Seele übertragen wird; dies findet im Innenraum der Seele statt. Damit dies möglich ist, der Mensch also in diese Welt eintreten kann, ist ein »Eintrittspreis« zu entrichten, und dieser besteht darin, die Seele von ihrer irdischen Bindung zu befreien. Die »Eintrittskarte« kann erworben werden durch das Studium der Weisheitslehren und deren Anwendung im aktuellen Sein. Das Leben, dem Vergänglichen gewidmet, ist abzulösen durch eines, das im Wissen um die ewigen Prinzipien und Gesetze geführt wird. Während das Vergängliche auch im nachhaltig organisierten modernen Leben immer vergänglich bleibt, kann das Ewigkeitsleben durch Seelenbildung erforscht und nach dessen Kenntnisnahme durch Anwendung begriffen werden. Wenn die gedachte Welt des Guten vor dem Seelenauge des um sie Bemühenden ununterbrochen aufleuchtet, kann sich der Kandidat auf gutem Wege wissen.

Wahrheitserkenntnis kann auf dem Weg von der Schule der Weisheit zum Tempel der Weisheit gefunden werden. Weisheit bedeutet, mittels glaubhafter Erklärungen Einblick in eine Welt zu erhalten, welche von Platon als denkbare Welt der Ideen und in der Offenbarung des Johannes als neue Erde und neuer Himmel bezeichnet wird (Offenbarung 21.1: »Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde …«; Anmerkung: Das Wort »neu« im Text der Offenbarung bezieht sich allein auf die Perspektive des irdischen Menschen, als etwas, das dem Menschen in seiner Seele, in seinem Bewusstseinsfeld offenbart wird, von welchem er in der sinnlichen Erfahrungswelt jedoch keine Kenntnis erwerben kann).

Mit Tempel ist ein abgeschlossener Raum (Wohnung Gottes) gemeint, in dem die äußere Welt keinen Zugang hat und nur die Kräfte und Intentionen des Einen und des Ursprungs eingelassen werden. Und es gilt, diesen Tempel im Menschen selbst zu entdecken. (1. Korinther 3.16: »Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid.«)

Schatzsuche schließlich bedeutet, dass nach etwas Ausschau gehalten wird, das äußerst wertvoll sein muss und das nicht überall und vielerorts verfügbar ist, sondern mühsam und methodisch gesucht werden muss. Ein Schatzsucher ist daher ein Mensch, der nach etwas sehr Wertvollem sucht. Er weiß, dass es existiert, er hat es aber noch nicht gefunden. Er beginnt daher mit der Suche, er schließt sich einer Schule der Weisheit an, um dort Kenntnis zu erlangen, wie er zum Tempel in seinem eigenen innersten Wesen vordringen kann, um dort einen Schatz des Geistes zu finden. Er sucht dabei nach einem unvergänglichen und unzerstörbaren lebendigen Hort vollendeter Schönheit.

In diesem Streifzug durch die Philosophie von Platon (4. Jh. v. Chr.) bis Marsilio Ficino (15. Jh.) wird der Versuch unternommen, Wege und Methoden aufzuzeigen, wie ein solcher Schatz geborgen werden kann. Beim Studium der Werke dieser Philosophen kann erkannt werden, dass es zwischen der Philosophie und dem Neuen Testament keinen wesentlichen Unterschied hinsichtlich des Bedeutungsmittelpunktes gibt. Der suchende Mensch wird feststellen können, dass der Weg zur Wahrheitserkenntnis derselbe ist. Er ist jeweils in ein Wortkleid gehüllt, welches der Ausdrucksweise der jeweiligen Weisheitsquelle angehört. Die darin aufgeführten Ziele für den Menschen sowie die Empfehlungen für das tätige Leben, um diese zu erreichen, und die Bedeutung der sichtbaren Welt für den Menschen werden in ähnlicher Weise und oft in Gleichnissen dargestellt. Philosophische Betrachtungen, in logischer Gedankenfolge begründet, vermögen das Verständnis für die Sichtweise des Evangeliums zu vertiefen.

Die Auswahl der in diesem Buch zitierten Textstellen muss sich notwendigerweise auf diejenigen Teile beschränken, welche einen direkten Bezug zum Thema Wahrheit erlauben. Dem Urteil des Lesers bleibt es überlassen, ob er an seiner eigenen bisherigen Vorstellung haften bleibt oder ob er die Gedanken von weisheitsliebenden Menschen von über 2.500 Jahren Geschichte des geschriebenen Wortes in das eigene Weltbild integrieren möchte. Erkenntnis zu vermitteln vom wahren Wesen des Menschen, hängt nun nicht allein davon ab, ob ein Autor einen Sachverhalt überzeugend darlegen kann, sondern es betrifft ebenso sehr den Leser selbst, ob dieser sich für das Textverständnis öffnet oder ob er auf seiner bisherigen Erkenntnisstufe verharrt. Die äußere Welt ist immer dieselbe, sie bildet sich jedoch in unterschiedlicher Weise im Bewusstsein des Menschen ab. Er bleibt dem einmal erkannten eigenen Weltbild verbunden und kann sich nur davon lösen, wenn er durch Erfahrung sein Bild von Welt und Mensch selbst korrigiert.

Die durch die Sprache vermittelte Ansicht der inneren Welt wird von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich aufgenommen. Und die Unterschiede im Verständnis für die innere Welt sind deutlich größer als die mit Worten ausgedrückten Vorstellungsbilder der äußeren Welt. Von den Schwierigkeiten des Menschen, diese gedachte Welt des Wortes zu begreifen, zeugt bereits das Johannes-Evangelium (Johannes 1.5: »…und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht angenommen.«). Das richtige Verständnis von Wahrheit liegt daher nicht in geschriebener Sprache, sondern im Bemühen eines suchenden Menschen, diese Wahrheit in sich selbst zu finden. Texte können lediglich einen Beitrag leisten, um diesen Findungsprozess beim Sucher zu unterstützen.

Der Mensch, bestehend aus Körper und Seele, muss in Gedanken auf seinen Wesenskern reduziert werden; dessen Erkennen bedeutet Selbsterkenntnis. Wesenskern bedeutet das, was des Menschen Wesen ausmacht, und dieser ist zu ergründen, nur in ihm wird der Ursprung des Menschen aus der Welt des Guten ersichtlich. Der Erforschung des Wesenskerns muss die ganze Aufmerksamkeit geschenkt werden, denn in ihm zeigt sich die Wahrheit. Dieser Teil des Menschen wird in vielen Schriften als in der Seele seiend bezeichnet. Die Seele, und darin besteht das Problem, kann nun nicht in vollem Umfang unmittelbar ins Bewusstsein gerufen werden, denn Seelenerkenntnis ist Selbsterkenntnis, und diese wiederum kann nicht eine Erkenntnis sein, welche einem ständigen Wandel unterworfen ist. Es geht auch nicht um individuelle Wesensmerkmale, sondern um generelle, allgemeine Wesenszüge, die für alle Menschen Gültigkeit haben. Selbsterkenntnis muss sich auf festen Grund stützen können, und dieser liegt in der Erkenntnis von der Abstammung des menschlichen Wesenskerns vom Ursprung und nicht in der Kenntnis eines Familienstammbaums, der über zwanzig oder mehr Generationen reicht.

Das Selbstbewusstsein des Menschen bildet sich zunächst aufgrund seiner Körpergestalt, seines unwesentlichen, sichtbaren Teils, des den Tieren verwandten Körpers. Sodann wird ein Seelenbewusstsein erfahren, das weitgehend auf diesen Körper ausgerichtet ist – und auf seine in der Sinnenwelt brauchbaren Fähigkeiten und das logische Denkvermögen. Diese Fähigkeiten werden in einem auf die sichtbare Natur Bezug nehmenden Bildungsprogramm gefördert mit dem Ziel, das irdische Leben erträglicher zu gestalten, die Talente der Persönlichkeit zu entwickeln, das Selbstwertgefühl zu erhöhen und um allenfalls einen Lustgewinn zu erfahren. Erst im Denken und der Vernunfterkenntnis kann der Bewusstseinsdurchbruch zum Wesen in der Seele gefunden werden, und dieses Wesen ist der reine Denker, der für dieses Denken nicht die vergängliche Sinnenwelt als Gerüst verwendet, sondern die Welt des seienden Geistes.

Die Welt des Geistes und wie davon Bewusstsein erworben werden kann, ist in den Bildungsprogrammen der modernen Welt bestenfalls in homöopathischen Dosen erkennbar. Nicht nur was die primäre Bildung anbelangt, auch im Geist des gesamten Kultur- und Wirtschaftsbetriebes kann ein großer Mangel an Vernunft festgestellt werden. Die Vernunftlosigkeit zeigt sich nicht nur im ungezügelten materiellen Wachstumsstreben, sondern auch in der Organisation des Sozialgefüges, das, dem Prinzip der Selbstbehauptung gehorchend, zwischen den Menschen Spannungen unterschiedlichster Intensitäten auslöst, die sich in höchst unvernünftiger Weise entladen. Hat ein Mensch jedoch das Gerüst des seienden Geistes in sich wiederhergestellt, so wird er sein Handlungsleben daran und nicht an der Außenwelt orientieren können. Seine unsterbliche Seele ist wieder erwacht.

Die auf Wahrheit bedachten philosophischen und theologischen Wissenschaften beabsichtigen, durch Suche in alten Texten und durch Systematisierung oder durch Formulierung neuer Ordnungskriterien und mittels logischer Beweisführung neue Feststellungen zu vermitteln. Die neuesten Erkenntnisse und Einsichten werden in der Folge über diejenigen der alten gestellt, da die neueste Forschung ja auf der älteren aufbaut. Von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beeinflusst, wird auch in den Geisteswissenschaften nach neuen Einsichten gesucht. Aber es gibt nichts Neues unter der Sonne im Bereich der Philosophie. In diesem Sinne begriff der Philosoph Whitehead, dass alle neuere Philosophie, soweit sich diese innerhalb der Grenzen der Wahrheit bewegt, nur Fußnoten zu platonisch-sokratischen Erkenntnissen sind.

Die in der sichtbaren Welt geltenden Prinzipien sind überall in ihr erkennbar, ihre Wirksamkeit kann als eine Mischung aus Chaos und Ordnung erfahren werden. Harmonie und Ordnung zeigen sich zum Beispiel im Verlauf der Sternenbahnen und in den Harmoniegesetzen der Musik. Und natürlich gibt es Menschen, die unmittelbar Zugang zu diesen Gesetzen haben, beispielsweise sind Komponisten in der Lage, universelle Gesetze im Ton darstellbar zu verdeutlichen.

Harmonie zeigt sich auch in der Natur, in der Schönheit der Pflanzen- und der Tierwelt, man denke an Blumen, Schmetterlinge, Fische und Vögel. Das Betrachten der Farb- und Formkompositionen in allen Bereichen der Natur sorgt im Menschen für ein Empfinden von Seligkeit. Die mit den Sinnesorganen erkannten Prinzipien der Ordnung und der Vernunft als Handschrift des Einen können mit dem menschlichen Denkvermögen verstanden werden. Ebenso wird aber erkannt, dass diese sichtbare Ordnung im Gefüge ihrer materiellen Darstellung nicht von bleibender Substanz ist, sondern sich in ständigem Wandel aufs Neue beweisen muss. Aus der Ewigkeit stammend sind also nicht die sichtbaren Formen und hörbaren Schallwellen, sondern die diese Formen bewirkenden Prinzipien, von Platon als Ideen bezeichnet. Diese können nur mittels des Denkens erkannt werden, sie tragen das Merkmal des ewig Seienden, während ihr materielles Bild den Naturgesetzen gehorchen muss. So wird das erste und dominierende Prinzip der Natur als Werden bezeichnet. Was aber werdend ist, vergeht auch wieder. Ein Seiendes ist daher ein Prinzip oder eine Idee, das immer existiert und unvergänglich ist, da Prinzipien und Ideen nicht an Manifestationen in der sichtbaren Natur gebunden sind. Für Platon ist die ewig seiende Welt der Ideen die des Ursprungs. Diese Welt, mit den Sinnen nicht wahrnehmbar, kann nur mittels des Denkens und der Wiedererinnerung der Seele an ihren vormaligen Zustand erkannt werden.

Die Naturgesetze zeigen deutlich die Prinzipien der natürlichen Notwendigkeiten auf, welchen die gesamte sichtbare Welt unterworfen ist. Für Mensch und Tierwelt gilt deutlich das Prinzip »friss oder stirb«, das schon in frühester Zeit als unumstößlich angesehen wurde. Charles Darwin (1809-1882) hat diese Gesetzmäßigkeit in der ganzen biologischen Welt als Notwendigkeit erkannt und beschrieben, wobei zwei Grundprinzipien herausgestellt werden können: Selbstbehauptung und Anpassungsfähigkeit. Letztere ist notwendig zur Selbstbehauptung, aber auch zur Assimilierung an langfristige Veränderungen in der Außenwelt, im irdischen und kosmischen Lebensraum. Das Prinzip der Selbstbehauptung ist nun in der ganzen Natur sehr deutlich erkennbar, bei den Pflanzen, den niederen und höherentwickelten Tieren und beim Menschen. Es führt dazu, dass alle Lebewesen zunächst nur ihren eigenen Lebensraum sichern. Sie alle nehmen in keiner Weise Rücksicht auf das Territorium und die Entfaltung anderer Lebewesen, falls der eigene Lebensraum und der der eigenen Art beeinträchtigt werden. Jeder lebt auf Kosten anderer: der Mensch auf denen der Tiere und Pflanzen, die Tiere auf denen anderer Tiere und der Pflanzen. Selbst Pflanzen verdrängen andere Pflanzen, was sichtbar ist im Urwald oder in der Verwaldung von Gebieten, die vom Menschen, der noch um eine gewisse Ordnung besorgt war, verlassen wurden. Pflanzen und Tiere beachten nur ihr unmittelbares Umfeld und breiten sich ohne Rücksicht auf andere Lebewesen aus, wenn sie es aufgrund ihrer relativen Stärke vermögen. Es ist offensichtlich, dass die in der Natur geltenden Prinzipien unmöglich als Teil der göttlichen Ideenwelt des Guten, Gerechten und Schönen verstanden werden können.

Der Mensch ist nun das einzige Wesen, welches die Wirkung und das Zusammenspiel dieser Kräfte erkennen und eine Vorstellung vom Universum und der sich darin zeigenden Wesen bilden und beurteilen kann. Durch Schaffung einer Ordnung könnte er Rücksicht nehmen auf die Mitbewohner und das Zusammenleben nach der bestmöglichen Weise organisieren. In einem solchen Gefüge aus Vernunft und Verstand könnten Ordnungsprinzipien ihre Wirkung entfalten, die es jedem Teilnehmer erlauben würden, nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu leben, Selbsterkenntnis zu erlangen und seine Seele nach dem ihr zukommenden Ziel hinzuführen.

Ohne zu übertreiben kann festgestellt werden, dass zu allen Zeiten in allen Lebensbereichen das Prinzip der Selbstbehauptung dominierte. Es hat immer wieder zu Chaos und Krieg geführt. Dieses Naturgesetz kann im irdischen Bereich nicht ausgerottet werden, es ist systemimmanent. – Die moderne Gesellschaft mit ihrem auf die Spitze getriebenen Individualismus macht die Selbstbehauptung im Erwerbsleben, in der politischen Auseinandersetzung sowie auch im Kunst- und Kulturbetrieb zur vorherrschenden Kraft, welche diejenigen, die dieses Prinzip, auch im Hinblick auf die Entwicklung der eigenen Seele, nicht anwenden wollen, in die zweite Reihe versetzt. Ihnen wird durch den modernen Raubritterkapitalismus ein Verhalten aufgezwungen, das in größtem Gegensatz steht zu einem anderen Gesetz, das der Menschheit von weisen Menschen schon in frühesten Zeiten vorgestellt und von vielen auch in der eigenen Seele als für den Menschen maßgebend erkannt wurde. Dieses Gesetz, deutlich in den Schriften der Philosophen und im Neuen Testament erläutert, zeigt dem Menschen eine Entwicklungsmöglichkeit auf, die vollkommen außerhalb der materiellen Welt liegt: die Entfaltung der Seele im Geist.

Ausgestattet mit Verstandesvermögen und Vernunft kann der Mensch Selbsterkenntnis erlangen, die ihm die Einsicht ermöglicht, dass er über das Vermögen der Freiheit verfügt. Er kann sich – im Unterschied zu den Tieren, deren Leben vollständig durch die Naturgesetze bestimmt ist – dem Liebesgesetz unterstellen und dieses für seine Lebensführung anwenden. Dieses in vollkommenem Gegensatz zur Selbstbehauptung stehende Gesetz ist das der Welt des Guten und Gerechten. Platon hat diese mittels des Denkens erkennbare Welt als schön und seiend bezeichnet und in seiner Ideenlehre der Menschheit vorgestellt. Aber die Welt hat das Licht, das ist das Bewusstsein von Weisheit, sei es im Sinne der Ideen des Guten und Gerechten oder im Wort, das am Anfang steht (Johannes 1.1), nicht angenommen. Der Mensch lebt wie in einer Höhle im Dunkeln und kann die Bedeutung des Lichtscheins, der von außen eindringt, nicht erfassen. Was die Geistesbildung anbelangt, so lebt er noch immer im Bewusstsein des ptolemäischen Weltbildes und hat die Vorstellungen von Kopernikus und Einstein noch nicht zur Kenntnis genommen.

Was ist Weisheit? Sie ist dasjenige Gut, welches einerseits aufzeigt, wie Wahrheit über den Menschen und seinen Zustand im irdischen Feld erworben werden kann. Andererseits beleuchtet Weisheit des Menschen Möglichkeit, Bewusstsein vom denkbaren überirdischen Feld zu erlangen. Der Suchende kann darin einen Lebensweg erblicken, der ihn vom Zustand des Werdens in den Zustand des Seins führt, der Glückseligkeit in der erkannten Lebensführung in Dienstbarkeit bedeutet. Die Dienstbarkeit erfolgt an der eigenen Seele durch Gerechtigkeit und Ruhe – und an der Menschheit, indem die erkannte Weisheit weitervermittelt wird.

Wissen ist nichts anderes als die Beschreibung der Dinge in der Seele (Thomas von Aquin: »De veritate«, XI, 11). Was in der Seele haften bleibt, ist Wissen. Wird etwas verstanden, das zum bürgerlichen Leben erforderlich ist, so ist es vergängliches Wissen. Unvergängliches Wissen dagegen ist Weisheit, und Weisheit hat immer Gültigkeit. Sie ist etwas Ewiges, aus der göttlichen Welt kommendes Wissen, das Wissen des Geistes. Philosophieren ist Denktätigkeit zur Erlangung von Weisheit. Dabei muss sich aber der Denker mit in diesen Prozess einbeziehen und sich selbst in einem Werdegang der Selbsterkenntnis nicht schonen, insbesondere, wenn er erkennt, was ihn hindert, zu dieser Weisheit durchzudringen.

Ziel dieses Buches kann es nicht sein, eine umfassende Darstellung des Gedankenweges aufzuzeigen, der erforderlich ist, um dem Menschen Wege zur Selbsterkenntnis zu vermitteln, um in sich die wahre Bedeutung des Menschseins zu erkennen. Die Auswahl und der Umfang der vorgestellten Denker sind sehr selektiv und weit von einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise entfernt. Es geht einzig darum, im interessierten Leser ein Wahrheitslicht zu entzünden und Hinweise zu vermitteln, wie dieses strahlend bleiben kann. Der Fokus ist vor allem darauf gerichtet:

1. Im Seelenkern des Menschen ist der platonische Funkensprung zu entfachen, um eine Vorstellung von der Unsterblichkeit seines innersten Wesens zu erwirken und Ursprung und Abstammung dieses Seelenwesens zu erkennen.2. Für diejenigen, die etwas von dieser Vorstellung erfahren, soll auf den Weg hingewiesen werden, der in Gedanken verfolgt werden kann, um die Bewusstwerdung von der unsterblichen Seele im eigenen Wesen weiter zu verdeutlichen und um die eigene Lebenspraxis an den Gesetzen der Ewigkeit auszurichten.

Den Weg zu beschreiten, ist allein die Aufgabe des Lesers, dazu kann ein Autor lediglich mit Hinweisen beitragen, die in der über zweitausendjährigen Geschichte der Philosophie dokumentiert sind. Diese Anhaltspunkte können als Schätze verstanden werden, die große Menschen der Nachwelt hinterlassen haben. Gebrauch von ihnen zu machen, kann aber allein derjenige, der sich um sie bemüht.

In diesem Buch soll versucht werden, ausgehend vom Werk Platons den Beitrag der Philosophie zur Wahrheitserkenntnis für Menschen der aktuellen Generationen darzulegen. Dabei sind diejenigen Philosophen ausgewählt und auch diejenigen Teile ihrer Philosophie erörtert, die aus der Sicht des Autors das Werk Platons ergänzen und in den wesentlichen Aussagen mit dessen Werk übereinstimmen. Die vorliegende Analyse beschränkt sich daher auf eine Auswahl derjenigen Philosophen, die den von Platon dargestellten Weg als wahr ansahen und aus ihrer Sicht beleuchteten zum Wohle der Mitmenschen, damit auch diese den universellen Pfad erkennen und beschreiten können.

Zur philosophiegeschichtlichen Positionierung seien die Lebensdaten der in diesem Buch vorgestellten Philosophen kurz festgehalten, um den Beginn ihres zeitlosen Wirkens festzuhalten.

Platon (* 428/427 v. Chr. in Athen; † 348/347 v. Chr. in Athen) war Philosoph und Schüler des Sokrates, dessen Denken und Methode er in vielen seiner Werke schilderte. Platons Untersuchungen im Bemühen um Wahrheit hat er in Dialogform niedergeschrieben. Zentrale Themen seiner Philosophie sind in seinen Schriften über die Ideenlehre und seinen Erklärungen über die unsterbliche Seele festgehalten. Platon gründete die Platonische Akademie, die älteste institutionelle Philosophenschule Griechenlands, von der aus sich der Platonismus über die antike Welt verbreitete.

Plotin (* 205; † 270 Kampanien) war ein antiker Philosoph und Begründer des Neuplatonismus. Ab 244 lebte er in Rom, wo er eine Philosophenschule gründete. Plotin betrachtete sich nicht als Entdecker und Verkünder einer neuen Wahrheit, sondern als getreuen Interpreten der Lehre Platons, die nach seiner Überzeugung im Prinzip bereits alle wesentlichen Erkenntnisse enthielt. Das Ziel seiner philosophischen Bemühungen bestand in der Annäherung an das Eine, das Grundprinzip der gesamten Wirklichkeit, bis hin zur Erfahrung der Vereinigung mit dem Einen, wofür er eine konsequent philosophische Lebensführung als Voraussetzung als wichtiger erachtete als das diskursive Philosophieren.

Jamblich (* um 240/245 in Chalkis; † um 320/325 n. Chr.), ein Philosoph, sowohl Neuplatoniker als auch Neupythagoreer, aus Syrien. Er teilte die schon im 2. Jahrhundert n. Chr. bei Neuplatonikern und Neupythagoreern verbreitete Überzeugung, dass zwischen den Lehren des Pythagoras und denen Platons inhaltlich keine Unterschiede bestehen. Er meinte, dass die pythagoreisch-platonische Philosophie die Wahrheit schlechthin ausdrücke. Pythagoras sah er als einen Erlöser an, der in die materielle Welt hinabgestiegen sei, um den Menschen das heilbringende Gut der Philosophie darzureichen.

Nikolaus von Kues, lat. Cusanus (* 1401 in Kues an der Mosel; † 1464 in Todi, Umbrien), war ein berühmter universal gebildeter deutscher Philosoph, Theologe und Mathematiker. Als Philosoph stand Cusanus in der Tradition des Neuplatonismus, dessen Gedankengut er sowohl aus antikem als auch aus mittelalterlichem Schrifttum aufnahm. Sein Denken kreiste um das Konzept des Zusammenfalls der Gegensätze zu einer Einheit, in der sich die Widersprüche zwischen scheinbar Unvereinbarem auflösen. Metaphysisch und theologisch sah er in Gott den Ort dieser Einheit.

Marsilio Ficino (*1433 Toscana; † 1499 in Florenz) war Humanist und Philosoph, der mit seinen Übersetzungen und Kommentaren maßgeblich zur Bekanntheit Platons und des Platonismus in seiner Epoche beitrug; sein vom Neuplatonismus Plotins geprägtes Platon-Verständnis wurde für die Neuzeit wegweisend. Er war Mentor der »Platonischen Akademie« in Careggi bei Florenz, einem informellen Kreis seiner Schüler, die er »Akademiker« nannte. Sein Wirken wurde unterstützt von der Familie Medici.

2. Platons Vorstellung von Welt und Menschheit

2.1. Das Erwachen des inneren Menschen

Platon hat der Menschheit vor 2.400 Jahren ein Welt- und Menschenbild vorgestellt, welches er als eine Darstellung bezeichnete, der man ein höchstes Maß an Wahrscheinlichkeit zukommen lassen könne. Diese Wahrheit kann gefunden werden durch das Beschreiten eines geistigen Weges in der eigenen Seele. Platon und Sokrates dienen dabei als Dschungelführer im Durcheinander des eigenen Inneren. Platons Werk hat Unzählige dazu inspiriert, den in den Gleichnissen erklärten Weg zur Erkenntnis der Wahrheit zu beschreiten. Spätere Philosophen haben Platons Sichtweise zum Teil verdeutlicht und weitere Gesichtspunkte hinzugefügt, um die Menschen dazu anzuregen, einen Weg der Bewusstseinsentwicklung zu finden und auch zu beschreiten. Die dabei verwendeten allegorischen Bilder können hilfreich sein, die Gefahr ist aber nicht auszuschließen, dass neue Missverständnisse entstehen und der Mensch in der Täuschung (Höhle) verbleibt.

In diesem Buch werden Teile einiger Werke späterer Philosophen der platonischen Tradition analysiert, um dem Leser zusätzliche Hinweise zu vermitteln, wie das Kleinod der Mysterien gefunden werden kann. – Sokratisches philosophieren nach Platon ist ein Gespräch mit sich selbst; der äußere Mensch spricht mit dem inneren Menschen. Die Schüler der Philosophie werden, um Weisheit erlangen zu können, einem Denkprozess folgen müssen, der jenseits des herkömmlichen Denkens angesiedelt ist. Für Cusanus ist das Philosophieren das Betreiben der »Jagd nach der Weisheit«, denn diese ist die geistige Speise der Philosophen. Die erkannte Weisheit bedeutet für Philosophen nicht, die Sicht der Dinge dogmatisch zu verlautbaren, sondern einen Denkprozess zu erklären, den jeder Mensch in sich selbst durchführen muss, um diese Weisheit zu erlangen. Der Leser muss sich eine Urteilsfähigkeit aneignen und selbst in der Lage sein, prüfen zu können, ob eine solche philosophische oder in heiligen Schriften verkündete Vorstellung der Wahrheit entspricht und ob diese bei ihm die notwendige Einsicht bewirken kann, in welcher Weise er sein Leben gestalten kann.

Das Ziel der Philosophie besteht darin, Vorstellungen zu entwerfen vom Menschen, seinem Wesen, seiner Aufgabe in diesem Lebensfeld, um in ihm Denkprozesse auszulösen für eine der Vernunft entsprechenden Lebensgestaltung. Instrumente, die er bei dieser Suche verwenden kann, sind der Verstand und angewandte Logik. Mit deren Hilfe kann er seine fundamentale Unwissenheit, was den Sinn des Lebens anbelangt, begreifen. Diese Erkenntnis formt ihn zum Sucher nach Kenntnis von der Wahrheit. Dafür wird er auch die Bereitschaft zeigen, Vorstellungen zu übernehmen, die auch außerhalb des mit der Logik Erklärbaren gefunden werden können. Der Verstand erlaubt, die Bedeutung der mittels der Sinnesorgane wahrgenommenen Phänomene zu ordnen.

Die Interpretation der Bedeutung der sichtbaren Welt für den Menschen war nie einheitlich und löste beziehungsweise löst immer wieder Streit unter den Menschen aus. Die Philosophie versucht, dieses Problem mittels rationaler Begründungen zu entschärfen, um beim Interessierten vernunftgemäße Einsichten zu bewirken. Rationale Begründungen allein sind dafür aber nicht ausreichend. Auch die Philosophie kommt nicht ohne Glaubenskomponente aus, denn der Ursprung, aus dem alles stammt, kann nicht begründet werden, er trägt den Grund in sich selbst. – Je umfangreicher die Begründungen sind, umso geringer wird die Glaubenskomponente ausfallen. Glauben darf aber nicht als blinder Glauben verstanden werden, sondern als Einstellung zu einem Sachverhalt, der einleuchtend, aber nicht vollständig begründbar ist. Das Erreichen des Zieles, Selbsterkenntnis vom Wesen des Menschen zu erlangen, gelingt der Philosophie allein mit Logik nicht. Zu solcher Erkenntnis vom Urgrund wird letztlich auch intuitives Erkennten notwendig sein. Von Platon wird eine solche Erfahrung als Funkensprung in der Seele oder als aufkeimende Erinnerung an einen vormaligen Seelenzustand gedeutet.

Auch der gebildete Mensch des 21. Jahrhundert darf nicht vergessen, dass, was die Vorstellungen vom Wesen des Menschen anbelangt, der Satz gilt: »Es gibt nichts Neues unter der Sonne.« Die Erkenntnis von der Wahrheit bleibt dieselbe, ob diese nun vor Tausenden von Jahren oder heute erlangt wurde. Wahrheit bleibt Wahrheit, neu ist oft nur das Wortgerüst, in das sie gestellt wird. Die Philosophen der Antike und auch späterer Zeiten haben mit ihren Beiträgen das »Bild« vervollständigt, das zu erklärende Urbild bleibt jedoch immer dasselbe. In diesem Sinne wird versucht, die Beiträge der Philosophie zu deuten. Platon hat bereits eine umfassende Darstellung von Welt, Menschheit und dem göttlichen Ursprung von allem, was ist, in seinen Schriften festgehalten, womit man es bewenden lassen könnte. Auch von den großen Religionsgemeinschaften wurden der Menschheit Vorstellungen überlassen und in Worten festgehalten, soweit sich diese mit Worten erklären lassen. Zudem haben Philosophenschulen der Antike und auch spätere Schulen die eine für den Menschen geltende unumstößliche Wahrheit mit eigenen Worten dargestellt.

In christlichen Schriften wird ein Mysterium dargestellt, das von einer dafür empfänglichen Seele ohne weitere Begründung als wahr erkannt werden kann. In der Philosophie dagegen wird der mittels des Denkvermögens möglichen rationalen Begründung ein hoher Stellenwert beigemessen. Der Urgrund jedoch, aus welchem alles stammt, kann nicht erklärt werden. Es bedarf immer eines Interessenten mit einem erkennenden Glauben in seiner Seele, um die philosophische Vorstellung zu verstehen.

Zu allen Zeiten wurden Ideen entwickelt vom Wesen des Menschen. Was ist der Mensch? Woher kommt er? Wohin geht er? In welchem Umfeld befindet er sich? Die auf diese Fragen gefundenen Antworten beziehungsweise entworfenen Ansichten basierten einerseits auf der Denkfähigkeit, das heißt auf Vorstellungen, die mittels des Denkvermögens entwickelt wurden. Anderseits stammen sie aus Mythen, welche von den Alten überliefert wurden. Wer aber waren diese Alten? Es waren nach Platon Menschen, die noch über direkte Kontakte zur Götterwelt verfügten, Menschen, die an der Hand Gottes gingen und die noch von einer Welt Kunde bringen konnten, ohne diese begründen zu müssen, denn sie erkannten unmittelbar und wussten.

Philosophieren bedeutet, sich Zeit zu nehmen für ein Thema, einen Gedanken, eine Vorstellung. Und damit eine philosophische Erklärung auch verstanden werden kann, ist Muse erforderlich. Das Erkennen des inneren Menschen im Menschen selbst ist ein Prozess, der lange dauern kann, durch den aber deutlich wird, dass der innere der wahre Mensch ist. Dieses innere Wesen wird an anderer Stelle auch als unsterbliche Seele bezeichnet; wobei festzuhalten ist, dass Begriffe nicht von Bedeutung sind, sondern allein die Erkenntnis vom Wesen dieses inneren Menschen, der unmittelbar Zugang zu den Intentionen des Geistes hat. Er ist verwandt mit dem Einen (von den antiken Philosophen als Gott bezeichnet) und stammt aus dem Ursprung, er hat aber keine Verwandtschaft mit dem bekannten körperlichen Menschen.

Eine Beschreibung dieses inneren Menschen ist nicht möglich. Er kann sich aber in einem Menschen offenbaren, wenn dieser Weisheit zur Kenntnis nimmt und umsetzt, um in sich einen Denkprozess auszulösen, damit sein Bewusstsein geöffnet wird für die Wahrheit. Diesen Prozess der Bewusstseinsentwicklung muss jeder Mensch in sich selbst durchführen; das Zentrum des Werkplatzes dafür ist die eigene Seele.

Die Eigenart aller Menschen drückt sich in der Persönlichkeit aus, wobei die Persönlichkeitsunterschiede ebenso beträchtlich sind wie die Verschiedenheit der sichtbaren Menschen. Es gibt in höchstem Grade intelligente, dumme, mutige, feige, sanftmütige, psychisch und physisch kranke, gesunde, selbstbewusste Menschen und weitere tausendfache Differenzierungen. Es ist offensichtlich, dass keine zwei Menschen sich gleich sind und dass die Vielfalt nicht nur erkennen lässt, dass es offenbar keinen idealen Typus gibt, sondern dass dieser naturgeborene Mensch auch in keiner Hinsicht der aus dem göttlichen Urgrund stammende Mensch sein kann, sondern höchstens eine schlechte Karikatur vom wahren Typus Mensch. Auch Darwin wusste, dass der sichtbare physische Mensch nicht die Krone der Schöpfung sein kann, sondern lediglich als der letzte Ast am Baum des biologischen Lebens zu verstehen ist, verwandt mit den Tieren. So erkennen reine Darwinisten den heutigen Menschen als ein Selektionsprodukt, entstanden aus einer Mischung aus Stärke und Anpassungsfähigkeit, was heißt: nur der Stärkere und Anpassungsfähigere überlebt. Das Prinzip dieser Lebensform und -haltung ist die Selbstbehauptung auf Kosten des Lebens und/oder der Lebensweise anderer und hat mit Einschränkungen auch Eingang gefunden in die Gesellschaftsordnungen der Völker aller Zeiten. Selbst die heutige Ordnung von demokratisch bestimmter Marktwirtschaft hat dieses Prinzip legitimiert und lediglich durch den Einschub einiger sozialer Komponenten eingeschränkt.

Vom Einzeller über den Dinosaurier zum Säugetier ist schließlich ein Mensch entstanden, sagt man. Was aber zu diesem Menschen gehört, ist damit noch nicht erklärt, ebenso wenig sind Gründe genannt, weshalb ein Mensch in dieser Form ins Dasein kam. Nur das Wie ist erklärt, nicht aber das Warum. Mit der Sichtweise der Naturwissenschaften können die Gesetze der Natur (Mathematik, Physik, Chemie, Biologie und Evolution) erkannt werden. Mit der Erkenntnis dieser Gesetze und Ordnungsprinzipien kann auch verstanden werden, dass mit diesen weder der Ursprung der Entstehung der Materie noch die des ersten biologischen Lebewesens erklärt werden kann. Ebenso wenig kann der Sinn und das Lebensziel des am höchsten entwickelten Lebewesens gedeutet werden. Weiterhin ist nicht begreiflich gemacht, wer diese Gesetze und Ordnungsprinzipien geschaffen hat und zu welchem Zweck.

Die Überwindung der sichtbaren Natur mit ihren Gesetzmäßigkeiten von Wachstum, Blüte und Vergänglichkeit ist mit Hilfe der umfangreichsten Kenntnisse dieser Ordnungsprinzipien nicht möglich. Die Teilhaber an diesem System, ob Mensch oder andere Lebewesen, ja selbst der ganze sichtbare Kosmos, sind die Gefangenen dieses Systems. Bleibt ein Mensch auf der Betrachtungsebene der Naturgesetze stehen, so begreift er sich als ein Wesen, das ausschließlich dieser sichtbaren Natur angehört. Eine solche Betrachtungsweise darf als beschränkt bezeichnet werden, denn der Mensch, ausgestattet mit einem vernünftigen Verstand, ist zweifellos als etwas Höheres einzuschätzen, als etwa Tiere, die unschwer erkennbar den Naturgesetzen in keiner Weise entrinnen können.

Der körperliche Mensch jedoch, wenn auch etwa als kochender Affe bezeichnet, hat im Unterschied zum Affen die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und damit zur Erkenntnis eines Lebenszieles, eines Zieles also, das seinem Leben eine Richtung gibt. Dass dieses in keiner Hinsicht biologischer Natur zu sein braucht und daher außerhalb der darwinschen Betrachtungen gesucht werden muss, ist für jene klar, die ihre Beobachtungen auf die unsichtbare Seele richten und den Menschen nicht nur mit den Sinnesorganen wahrnehmen, sondern mittels des Denkens und der Vernunft zu erfassen trachten. Sie suchen, Erkenntnis mit dem vernünftigen Verstand zu erlangen, einer geschenkten Fähigkeit der Seele. Diese im Menschen erkennbare Vernunft besitzt die höchste Verwandtschaft zur göttlichen Welt.

Die ganze sichtbare Welt ist aus der Perspektive der Vernunft kein Endziel. Zweck und Ziel des Seins liegen außerhalb der sichtbaren Welt in einer unvergänglichen geistigen Welt. Mit anderen Worten, das Lebensziel des Menschen muss außerhalb der zeit-räumlichen Welt gesucht werden. Diese Vorstellung ist für Wesen ohne ausreichendes Denkvermögen nicht erklärbar, und für die meisten Menschen gehört sie wohl auch ins Reich realitätsferner Fantasie. Dass viele Menschen über Denkvermögen mit Verstand verfügen, ist unbestritten, ob dieser Verstand aber mit Vernunft gepaart ist, ist nicht offensichtlich.

Es stellt sich daher die Frage: Gibt es überhaupt eine Welt, die nur mit Gedanken erfasst werden kann? Deren Existenz ist auf zweierlei Arten erkennbar, einerseits mittels der am irdischen anhaftenden Eigenschaften wie Schönheit, Gerechtigkeit, Liebe und Güte, von Platon als unvergängliche Ideen bezeichnet, mündend in der Idee des Guten, der höchsten erkennbaren Idee, sowie im weiteren in den Gesetzen der Mathematik, die ewige Gültigkeit besitzen, unbesehen davon, ob sie in der Raum-Zeit-Welt abgebildet werden oder nicht. Andererseits kann diese Welt nur in einem Wesen mit Denkvermögen »abgebildet« werden, das auch die Fähigkeit hat, diese Ideen zu erkennen.

Von der Existenz einer denkbaren Welt und von der Anwesenheit des Bewusstseins von dieser Welt im Menschen zeugen viele Philosophen und Künstler. »Ich denke, also bin ich.« (Descartes) »Alles Denkbare existiert.« (Picasso) »Diese Ideen sind denkbar, also sind sie.« (Platon) – Diese Denker zeugen mit ihren Vorstellungen von der Existenz rein denkbarer Dinge. Andere Philosophen wiederum, beispielsweise Aristoteles, haben die Ideen nur als im Innenraum des Menschen existierend verstanden und die Existenz einer denkbaren Welt außerhalb dieses Innenraumes verneint. Diese Auffassung konnte von Cusanus nicht geteilt werden, ist doch in seiner Philosophie der Ursprung allen Seins rein geistiger Natur und den Ideen gleich. Diese »Ideen« existieren also immer, sie waren bereits wirksam, bevor biologische Menschen evolutiv entstanden sind. Ideen sind die Denkstrukturen und das Lebensgebiet des inneren Menschen, welcher als Ewigkeitswesen immer existiert. Die denkbare Welt ist daher die höchste Realität und Ewigkeit und nicht nur ein Gebilde, das sich im Denkvermögen des Persönlichkeitsmenschen zeigt. Der Mensch kann aber von der Existenz des inneren Menschen Kenntnis nehmen. Sein Denkvermögen ist jedoch wie er selbst Bestandteil der zeit-räumlichen Welt.

Im Dialog »Timaios« hat Platon den Menschen als zweifaches Wesen beschrieben: aus Körper und Seele sowie aus Geist (Idee) und Seele bestehend. Der Mensch ist ein Angehöriger zweier Welten, jener der Vergänglichkeit und jener der Ewigkeit. Diese Zweifachheit wurde von Goethe mit »Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust« ausgedrückt, »die eine ganz dem Irdischen zugewandt, die andere nach dem Himmel strebend«. Meister Eckhart sprach vom inneren und vom äußeren Menschen. Die Erkenntnis von dieser Zweifachheit ist das Ergebnis einer Denkarbeit einerseits und einem Licht in der Seele (Platon: »7. Brief«), welches aufleuchtet und den Blick von der eigenen Person abwendet und die Existenz einer reinen Seelenwelt erkennen lässt. In dieser Seelenwelt steht nicht ein »Ich« im Vordergrund, sondern ein Wesen, das das Lebensfeld mit anderen teilt und seine Handlungen in Liebe und Gerechtigkeit ausführt. Dieses Leben aus der Vernunft rührt her vom Wissen um die Abstammung alles Lebenden von einem gemeinsamen einheitlichen Ursprung. Die Erkenntnis von der eigenen, zwei Welten angehörenden Seele erlaubt es, zwischen zwei Ordnungen unterscheiden zu können, denen der Mensch unausweichlich ausgeliefert ist, nach welchen er sein Leben auszurichten hat.

Die als erste wahrnehmbare Ordnung betrifft die sichtbare Welt, hier gilt das Recht des Stärkeren und Anpassungsfähigeren, der Eigennutz steht vor dem Nutzen des andern. Die zweite Ordnung betrifft eine nur mittels des Denkens zu erfassende Welt, erfahrbar im Liebesgesetz (Johannes 13.34-35) und der Welt des Neuen Testaments sowie in der Idee des Guten. Diese Ordnung ist in Spuren auch in der sichtbaren Welt erkennbar, jedoch darin nur beschränkt anwendbar, da die physische Welt von den Kräften der sichtbaren Natur dominiert wird. Zwischen den beiden Ordnungen steht ein Trennstrich, sie sind nicht miteinander vereinbar und auch nicht vergleichbar. Im Dialog »Parmenides« schreibt Platon, dass sie nichts miteinander zu tun haben.

Der Mensch aber kann beide Ordnungen nicht nur erkennen, sie sind in ihm wirksam: das Naturgesetz, dem er sich bis zu einem gewissen Grad notwendigerweise beugen muss, und das Liebesgesetz, das er freiwillig befolgen kann. Ersteres ist vergänglich, nach der Auflösung der sichtbaren Natur verschwindet auch dieses Gesetz, denn es existiert kein Wesen mehr, das unter dieses gestellt werden könnte. Das nach der Ordnung des Guten anwendbare Liebesgesetz jedoch hat ewige Gültigkeit, es betrifft die materielle Welt nicht. Dieses Gesetz existiert, egal, ob ein Mensch von ihm weiß oder nicht und ob er es anwendet oder nicht.

Eine Seele, die ein ewig seiendes Gesetz befolgt und verinnerlicht, hat damit Anteil an etwas Ewigem. Das ewige Seelenleben ist also nur für solche Seelen gewährleistet, welche auch das dem Menschen gewährte und von ihm erkennbare Liebesgesetz befolgen. Eine in dieser Ordnung lebende Seele, das heißt ein Mensch, der dieses Gesetz in sich erkennt als das wahre höchste Prinzip , hat Anteil an der Ewigkeit, hat Ewigkeitsbewusstsein erlangt.

Die Naturwissenschaften, genauer die Biologie im darwinschen Sinne, beweisen immer wieder, dass die sichtbare Welt in keinerlei Hinsicht von der Vernunft bewegt wird und nicht der göttlichen Uridee entstammt und daher nicht dafür gedacht ist, um darin die göttliche Absicht zu realisieren. Sie ist vielmehr ein Hinweis, dass die göttliche Welt außerhalb der sichtbaren gesucht werden muss. Die göttlichen Prinzipien sind nicht in ihr enthalten, sondern nur im Menschen, im unsterblichen Teil seiner Seele; davon kann er Bewusstsein erlangen, wenn er den Zugang zu diesem Seelenteil findet.

Die Philosophie befasst sich mit der reinen, unvergänglichen Gedankenwelt als dem Zielbereich, zu dem sich der Mensch begeben kann. Erkennt ein Mensch seinen verwandtschaftlichen Anteil an der Welt des Guten, so wird er diese Affinität aktivieren und seine Zugehörigkeit zur Tierwelt auf ein naturnotwendiges Maß reduzieren.

Der wahre Mensch, mittels des reinen Denkens vorstellbar, muss daher außerhalb der biologischen Struktur, der ganzen sichtbaren Natur gesucht werden. Denn diese vergängliche Natur, von Darwin und Einstein erklärt, ist eine Welt der Gefangenschaft: Gefangen in den Naturgesetzen muss ein notwendiger Lebensrhythmus befolgt werden, der unausweichlich in den Tod führt. Aber was ist das für ein Tod? Es ist der Tod eines Bewusstseins, das sich vollständig an die physische Natur mit ihren Gesetzen geklammert hat und nach deren Untergang nicht mehr existieren kann.

Wo aber lässt sich der wahre Mensch finden? Die Philosophie versucht, auf diese Frage Antworten bereitzustellen, indem nach seinem Ursprung, seinen Wesensmerkmalen und seinen Entwicklungsperspektiven gefragt wird. Auf diesem Weg des Denkens sollte der Mangel an Perspektive der biologischen Ordnung für den denkenden Menschen erkannt und verlassen werden, um in die Harmonie der Welt des Guten einzutreten. Das Lebensziel wird dann darin bestehen, Erkenntnis von einer unvergänglichen göttlichen Ordnung zu erlangen, um nach deren Gesetzen zu leben. Diese Ordnung findet sich im Liebesgesetz, dargestellt in vielen Schriften der großen Denker und in den heiligen Schriften. Der Mensch besitzt die Freiheit, dieses Gesetz kennenzulernen und anzuwenden; Richtet er sein Leben auf dieses aus, so schafft er Freiheit für den inneren Menschen. Eine wichtige Aufgabe in den Bildungsstätten der Philosophie war es, nachdem im Herzen eines Menschen der Funken entzündet wurde, Wege aufzuzeigen, wie vom inneren Menschen Bewusstsein erlangt werden kann. Wenn ein Mensch in sich Spuren des inneren Menschen erkennt, so können Methoden aufgezeigt werden, damit der Erkennende in der eigenen Seele Raum schafft zum Erkennen dieses Anderen in sich.

Im Sokrates offenbarte sich der innere Mensch. Er nannte diese innere Stimme »Daimonion« (griechisch: »göttliches Wesen«), die ihn leitete, dem Guten zu dienen und dessen Kraft anzuwenden. Zum Erkennen des Guten sind zwei Impulse notwendig: einerseits die Vernunft, die mittels Bildung des Denkens ins Bewusstsein gelangt (sie sind in vielen Dialogen Platons enthalten), anderseits die Liebe zum Guten, sie entsteht aus der Umwendung des Begehrens in der Seele, weg von der Zuwendung zu irdischen Dingen und hin zu den Gegenständen des Denkens und dem Seienden (von Platon zum Beispiel dargestellt im Dialog »Symposion«). Der Arbeitsplatz, um diese Umwendung zu vollziehen, ist die Seele, der Innenraum des Menschen.

2.2. Der innere und der äußere Mensch

Der sokratische Daimonion, von Platon als innere Stimme des Philosophen dargestellt, erlaubte Sokrates, das Wesen »Mensch« zu ergründen. Er suchte daher schon von Jugend an nach vernünftigen Begründungen von Welt und Menschheit und gelangte zum Schluss, dass die unsterbliche Seele, als des Menschen innerstes Wesen, der wahre Mensch sei und nicht die sichtbare vergängliche Persönlichkeit. In Platons Dialog »Alkibiades 1«