Die Sehnsucht des Igels - Toon Tellegen - E-Book

Die Sehnsucht des Igels E-Book

Toon Tellegen

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Beschreibung

»Liebe Tiere, hiermit lade ich euch alle zu mir ein. Besucht mich mal. Aber wenn keiner vorbeikommen will, ist mir das auch recht.« Der Igel fühlt sich oft einsam. Er könnte seine Tierfreunde zu sich nach Hause einladen. Den Brief hat er schon geschrieben – aber soll er ihn wirklich verschicken? Fürchten sich die Tiere nicht vor seinen Stacheln? Hat er überhaupt genügend Teetassen? Vor dem immer gut gelaunten Maikäfer muss er sich unter dem Tisch verkriechen, vor dem tanzenden Elefanten an die Lampe retten, und die Schildkröte und die Schnecke kommen eh zu spät. So malt der Igel alles schwarz, bis an einem Tag ganz unerwarteter Besuch vor seiner Türe steht...

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Seitenzahl: 113

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Toon Tellegen, 1941 in den Niederlanden geboren, arbeitete als Arzt in Kenia und ließ sich als Lyriker in Amsterdam nieder. Heute ist er einer der bekanntesten Schriftsteller der Niederlande. Seine ausgezeichneten Kinderbücher sind auch hierzulande beliebt. Seine lebenskluge und lustige Tierreihe um Igel, Grille und Elefant für Erwachsene hat sich weltweit mehr als 1,5 Millionen Mal verkauft.

Birgit Erdmann wurde 1969 geboren, studierte Kunstgeschichte und Niederlandistik und war anschließend Mitarbeiterin der Kulturabteilung der Niederländischen Botschaft in Berlin. Seit 2010 arbeitet sie als freie Übersetzerin.

Joris Bas Backer wurde 1981 in den Niederlanden geboren. Seit 2003 arbeitet er als Comic-Künstler und Illustrator in Berlin. Für seine Kurzcomics wurde er für den Plastieken Plunk und den GINCO Award nominiert.

Der Igel fühlt sich einsam. Er könnte seine Tierfreunde zu sich nach Hause einladen. Den Brief hat er schon geschrieben – aber soll er ihn wirklich verschicken? Seine Stacheln sehen zum Fürchten aus. Vor dem tanzenden Elefanten muss er sich an die Lampe retten, das Lied der Nachtigall lässt ihn weinen, und die Schildkröte und die Schnecke kommen eh zu spät. So malt der Igel alles schwarz, bis an einem Tag ganz unerwarteter Besuch vor seiner Türe steht …

Band 1 der fabelhaften Tierwelt von Toon Tellegen

Toon Tellegen

Die Sehnsucht des Igels

Aus dem Niederländischenvon Birgit Erdmann

Mit Illustrationenvon Joris Bas Backer

kanon verlag

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

1.

Eines Tages, es war im Spätherbst, saß der Igel am Fenster und schaute hinaus.

Er war allein, bekam nie Besuch, und wenn doch zufällig ein Tier an seinem Haus vorbeiging und dachte, Ach, wohnt hier nicht der Igel?, und anklopfte, dann tat er so, als schliefe er oder zauderte zu lang, bis er die Tür öffnete, sodass der Besucher längst fort war.

Er drückte die Nase an die Scheibe, kniff die Augen zu und dachte an alle Tiere, die er kannte und die sich ständig gegenseitig besuchten, einfach nur so, auch wenn niemand Geburtstag hatte und es keinen anderen Grund gab, miteinander zu feiern. Vielleicht sollte ich sie einmal einladen …, dachte er.

Noch nie hatte er irgendwen eingeladen.

Er öffnete die Augen und kratzte sich zwischen seinen Stacheln am Hinterkopf, dachte noch eine Weile nach und schrieb dann einen Brief:

Liebe Tiere,

hiermit lade ich euch alle zu mir ein.

Besucht mich mal.

Er knabberte an seinem Stift, kratzte sich abermals am Hinterkopf und schrieb darunter:

Aber wenn keiner vorbeikommen will, ist mir das auch recht.

Er runzelte die Stirn.

Klang das nicht so, als ob er eigentlich gar keinen Besuch wolle? Oder kommen sie dann erst recht, bevor er es sich anders überlegte? Er ändert doch andauernd seine Meinung, denken sie …

Was soll ich nur tun?, dachte der Igel.

Er legte den Brief in eine Schublade und schüttelte den Kopf. Ich verschicke ihn nicht, dachte er. Noch nicht.

2.

Noch nicht. Der Igel setzte sich wieder ans Fenster und dachte über diese beiden Worte nach.

Sie spukten ihm im Kopf herum. Noch blickte sich schüchtern um. Nicht drehte sich langsam im Kreis.

Der Igel schloss die Augen. So kann ich sie besser beobachten, dachte er. Nicht klammerte sich an Noch, und Noch schmiegte sich an Nicht. Sie tanzten, hatten nur Augen füreinander.

Plötzlich ging die Tür auf. Das ist Lange, dachte der Igel. Er erkannte ihn an seinem Mantel, dessen Schöße hinter ihm her flatterten.

Lange ging auf Noch und Nicht zu, zwängte sich zwischen die beiden und tanzte drauflos.

Der Igel seufzte. Ihm war, als hätte Lange noch etwas mitgebracht. Etwas Unsichtbares. Etwas, das da ist und gleichzeitig nicht da ist.

Möglich, dachte er. Das ist Möglich, denn Möglich ist unsichtbar.

Nach einer Weile ging Lange wieder weg, dafür tauchte Ewig auf. Sie trug eine dickwattierte Winterjacke und einen Hut. Auch er zwängte sich zwischen Noch und Nicht, trieb sie auseinander.

Das Herz des Igels pochte. Quer durch seine Gedanken tanzten sie auf ihn zu, sie erwarteten irgendetwas von ihm, wollten etwas von ihm. Nur was?

Zu dritt sprangen sie auf den Tisch und tanzten, immer schneller und wilder. Der Igel konnte kaum hinsehen. Doch plötzlich war Ewig verschwunden.

Noch und Nicht sprangen vom Tisch und standen unschlüssig im Zimmer. Sie schauten sich an. Weitertanzen? Noch zog eine Augenbraue hoch, er wollte schon, aber Nicht schüttelte den Kopf.

Von draußen drang Lärm herein. Die Tür wurde aufgerissen und Eines schönen Tages trat ein. Er war übermütig, hüpfte und kicherte. Er hatte eine komische rote Feder auf dem Kopf.

Er packte Noch und Nicht, und im selben Augenblick legte sich sein Übermut. Dann drehten sie sich sachte wiegend im Kreis.

Im Zimmer war es mittlerweile dunkel.

Noch Nicht. Eines schönen Tages, dachte der Igel. Nicht Eines schönen Tages Noch. Noch Eines schönen Tages Nicht.

Und unversehens strahlten sie, wie sie sich da drehten, und der Igel dachte: Tanzt nur, tanzt, tanzt. Denn hinter diesen Worten war alles schwarz.

3.

Unfug, dachte der Igel, und öffnete die Augen. Hör auf damit. Hier geht es um Besuch, und Besuch muss man ernst nehmen.

Er legte sich ins Bett und dachte an den Brief in der Schublade.

Vielleicht sagen ja alle ab, dachte er. Bestimmt haben sie auch gute Gründe dafür.

Er sah schon Dutzende Briefe unter seiner Tür hindurch hereinflattern. Er bückte sich und las einen nach dem anderen:

»Wenn ich irgendwo eingeladen bin, erwarte ich einen dreistöckigen Honigkuchen mit Zuckerglasur und einer Fontäne obendrauf, aus der Schlagsahne spritzt, und darüber einen Schokoladenhimmel, also glaube ich nicht, dass ich dich besuchen komme.«

»Ich war doch gerade erst da, aber du hast nicht aufgemacht, durchs Fenster konnte ich sehen, wie du schnell unter das Bett gekrochen bist.«

»Vielen Dank für die Einladung! Dich besuchen! Wie schrecklich schön! Ich bin in die Luft gesprungen, als ich deinen Brief gelesen habe! Der Igel. Eine Stippvisite beim Igel … Aber ich werde nicht kommen.«

»Ich glaube nicht, dass ich komme, mir fällt nur noch keine Ausrede ein.«

»Ich komme. In Gedanken.«

»Herzliche Grüße, statt eines Besuchs.«

Er seufzte. Natürlich wird niemand zu Besuch kommen.

Er stapelte die Briefe neben seinem Bett und drehte sich auf den Rücken. Er war erleichtert und traurig zugleich. Die Einsamkeit gehört zu mir, dachte er, genau wie meine Stacheln. Hätte ich doch Flügel und keine Stacheln, dann flöge ich überall hin und sehnte mich nach gar nichts mehr.

Er wollte schlafen. Aber er war hellwach. Vielleicht kommen sie ja doch, dachte er.

Er erschauderte, stand wieder auf und machte Tee. Eine große Kanne. Für sich allein.

4.

Als er den Tee getrunken hatte, nahm er den Brief aus der Schublade und las ihn noch einmal.

Vielleicht kommen sie ja morgen schon, dachte er. In aller Frühe. Alle auf einmal.

Ihm wurde warm, er legte den Brief zur Seite. Er hörte, wie die Tiere sich näherten, der Wald bebte vor Aufregung.

Sie drängelten vor seiner Tür und riefen im Chor: »Igel! Hier sind wir! Deine Gäste sind da! Danke für die Einladung! Alle sind gekommen! Keiner fehlt!«

Sie stießen die Tür auf und stürmten ins Zimmer. Die meisten liefen, flogen oder krochen, aber der Hecht und der Karpfen und kurz darauf auch der Wal, sie schwappten mit einer Flutwelle ins Haus, die sie eigens für diesen Anlass mitgebracht hatten.

»Wie gemütlich, Igel!«, riefen sie. »Gibt es auch Tee? Und Kuchen?«

Es waren zu viele Tiere, er hatte nicht genug Teetassen. Und er hatte nur einen trockenen kleinen Kuchen. Der Igel machte eine hilflose Geste.

»Ist nicht schlimm«, riefen sie, »dann tanzen wir eben.«

Sie legten sich die Arme um die Schultern, sangen »wir sind der Besuch, der Besuch vom Igel. Wir sind alle da und brauchen keinen Tee«, und tanzten um seinen Tisch herum.

»Aber habt ihr denn keine Angst vor mir?«, fragte er und stellte seine Stacheln kerzengerade auf.

»Aber nein«, riefen sie. »Wir sind viel zu froh, um Angst zu haben.«

Auf einmal krachten sie tanzend durch den Fußboden. Aus dem Loch krochen der Maulwurf und der Regenwurm. Sie riefen, dass sie ihn auch besuchen wollten. Sie hatten Matschkuchen mitgebracht und sagten, er würde sich viele Jahre halten, sie könnten ihn aber auch gleich essen.

»Wer hätte das gedacht?«, wurde gerufen.

Ich nicht, dachte der Igel. Er schlich nach draußen und verkroch sich hinterm Haus im Gebüsch.

Einen Moment später hörten die Tiere auf zu tanzen. Sie vermissten ihn.

»Igel, Igel!«, riefen sie.

Ihre Rufe schallten bis weit über den Wald hinaus, sodass sogar das Kamel und die Termiten aus der Wüste angerannt kamen. Solch ein Spektakel wollten sie nicht verpassen.

»Igel, Igel, Igel …«, riefen und riefen sie. Unablässig.

Aber der Igel krabbelte nur noch tiefer ins Gebüsch.

Er schüttelte den Kopf, machte aus »euch alle« »einen von euch«, stellte noch ein »höchstens« davor, und las sich den Brief noch einmal durch.

5.

Nein, dachte er dann, wenn er Pech hatte, könnten so immer noch alle zugleich auftauchen.

Er knabberte an seinem Stift und dachte eine Weile nach. Wenn ich den Brief erst gar nicht verschicke, kommt auch niemand vorbei. Das ist sicher. Keiner kommt einfach so vorbei, ungebeten.

Tiefe Runzeln erschienen auf seiner Stirn. Sie haben nämlich doch Angst vor mir, dachte er. Sie trauen sich nur nicht, das zuzugeben. So großen Respekt haben sie vor mir. Aber wenn sie sich untereinander treffen, sagen sie, dass sie mich unter keinen Umständen besuchen würden. Niemals.

»Ich besuche jeden, außer den Igel …«

»Den Igel? Auf keinen Fall.«

»Diese Stacheln …«

»Ja, diese schauderhaften Stacheln …«

»Wozu braucht er die eigentlich?«

»Keine Ahnung.«

»Um uns abzuschrecken.«

»Wirklich?«

»Klar.«

Der Igel legte den Brief wieder in die Schublade.

Es stimmt ja, dachte er. Ich sehe schrecklich aus. Er zitterte, und seine Stacheln schwankten hin und her.

Er fühlte sich, als würde jemand in seinem Inneren herumrennen und überall rütteln, weil er raus wollte. Aber ich bin nicht schrecklich!, dachte er.

Am liebsten würde er die Haustür öffnen, sich draußen auf die Zehenspitzen stellen und rufen: »Tiere! Ich bin’s! Der Igel! Ich bin sehr nett! Ich will euch nicht erschrecken!«

Dann würden sie ihm antworten: »Igel! Du hast recht! Du erschreckst uns nicht! Das kannst du gar nicht! Deine Stacheln machen nicht viel her. Wenn du uns einlädst, kommen wir alle gern zu Besuch.«

Der Igel spürte noch tiefere Runzeln zwischen den Stacheln auf seiner Stirn und setzte eine Fußnote unter den Brief:

Meine Stacheln machen nicht viel her.

Er knabberte an seinem Stift, dachte lang nach und legte den Brief wieder in die Schublade.

Meine Stacheln machen sehr wohl viel her, dachte er. Sehr viel sogar.

Er nickte. Jedenfalls mehr als ich.

6.

Bestimmt besuchen sich die Tiere gerade alle gegenseitig, dachte er kurze Zeit später. Bestimmt fragen sie in diesem Moment: »Nur so unter uns, besuchst du demnächst zufällig den Igel?«

»Nein, und du?«

»Nein, ich auch nicht, er hat mich ja nicht eingeladen.«

»Mich auch nicht.«

»Irgendwie schade, oder?«

»Ja, wirklich sehr schade.«

»Aber wenn er mich einlädt, gehe ich hin.«

»Ich auch.«

»Nun, das hat er selbst in der Hand.«

»Ja. Wenn er uns nicht einlädt, laden wir ihn auch nicht ein.«

»Nein, das lassen wir schön bleiben.«

Sie zucken die Schultern. Jetzt. In diesem Augenblick. Überall. Im Wald. Auf hoher See. In der Wüste. Über den Wolken. Alle besuchen sie sich. Nur mich besucht keiner. Sie tanzen und reden dabei über mich und zucken die Schultern.

Der Igel wurde tieftraurig und ging nach draußen, lauschte, ob irgendwo festliche Musik spielte.

Aber im Wald war alles still. Weit entfernt hörte er den Elefanten aus einem Baum fallen, in der Nähe quakte nur der Frosch ein paar Noten, festlich klang das aber nicht. Nirgends gab es ein Anzeichen von einem Fest ohne ihn.

Da dachte er: Vielleicht haben die ewigen Besuche ein Ende und sind seit heute verboten.

Er stellte sich riesige Schilder vor:

AB HEUTE STRENGSTENS VERBOTEN:

BESUCHE ABZUSTATTEN

und

AB HEUTE STRENGSTENS VERBOTEN:

BESUCHER ZU EMPFANGEN

Vielleicht schreibt man jetzt lieber Briefe, aber auch die werden immer weniger und immer kürzer:

Hallo Igel,

Das ist alles.

und:

Liebe Fliege,

Ich

nichts weiter.

Dann müsste er wenigstens niemanden einladen.

Er spitzte die Ohren. Er meinte, überall in der Ferne die Tiere seufzen zu hören, denn sie waren sehr traurig, taten sie doch nichts lieber, als Besuche abzustatten.

Doch Verbot ist Verbot.

Was soll ich bloß tun?, dachte er. Er holte den Brief aus der Schublade, las ihn zweimal durch, betrachtete seine Zehen, dachte nach und legte ihn wieder zurück.

Keine Ahnung, dachte er.

7.

Der Igel stand vor seinem Schrank, dachte an den Brief in der Schublade und schüttelte den Kopf. Doch sogleich überkam ihn ein neues Gefühl, er nickte, schüttelte erneut den Kopf, nickte wieder.