Die sonderbare Pilzvergiftung - Thomas Regnery - E-Book

Die sonderbare Pilzvergiftung E-Book

Thomas Regnery

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Beschreibung

Gregor Mützel aus Hillesheim ist ein Profi auf dem Gebiet der Pilze. Als geprüfter Sachverständiger für Speise- und Giftpilze wird er von den umliegenden Krankenhäusern regelmäßig um Hilfe bei der Diagnose von Pilzvergiftungen gebeten. So auch in der Nacht zum anstehenden Wochenende. Was wie eine einfache Verstimmung des Verdauungstraktes erscheint, entwickelt sich zu einem echt schwierigen Fall. Zu Gregors Erstaunen liegen gleiche Fälle in zwei weiteren Eifeler Krankenhäusern vor. Die Symptomatik ist für Giftpilze untypisch, doch da alle Betroffenen die gleichen Pilze gesammelt haben und dieselben Symptome zeigen, kann Gregor die Sache nicht einfach abhaken. Die Suche nach dem pilzigen Übeltäter beginnt. Zu allem Überfluss entwickelt sich die Situation zu einem Wettlauf gegen die Zeit, denn den Patienten geht es immer schlechter …

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DIE SONDERBARE PILZVERGIFTUNG

THOMAS REGNERY

DIE SONDERBARE PILZVERGIFTUNG

Der Abhang war steil. Das junge Ehepaar aus Fleringen hatte Mühe, einigermaßen sicheren Schrittes dem ausgetrockneten Bachlauf zu folgen, der das Zentrum einer Furche bildete, die an der Ostseite der Kyll auf den bekannten Eifeler Fluss zulief. Immer wieder rutschten die beiden mit ihren Wanderstiefeln über den Grund, wobei etwas Staub vom Boden aufgewirbelt wurde. Das Falllaub der umstehenden Eichen zersplitterte förmlich unter ihren Füßen.

»Ich weiß nicht, ob sich das überhaupt lohnt«, murmelte die Frau skeptisch. Ihr Mann sagte zunächst nichts. Er kniff die Lippen zusammen und setzte seinen Weg ins Tal hinab fort.

»Überall ist es furztrocken«, beschrieb seine Partnerin die Lage. »Wenn schon auf Weißenseifen und im Remmelbachtal nichts zu finden ist, was soll es dann ausgerechnet hier geben?«

Der Endzwanziger trottete schweigend weiter. Seine Frau, die sich halbrechts hinter ihm befand, wechselte in einen leicht ärgerlichen Tonfall.

»Jonas Streicher, ich habe dich was gefragt!«

Da endlich blieb der Mann stehen und wandte sich seiner Frau zu. Er nahm zwei tiefe Atemzüge, dann sprach er: »Jasmin, Schatz, ich weiß, dir tun die Füße weh. Und ich hab auch langsam keinen Bock mehr. Nur noch diese eine Stelle. Wenn da nichts ist, fahren wir heim, okay?«

»Gut, einverstanden«, nickte Jasmin. »Aber das war nicht meine Frage.«

»Was war dann deine Frage?«, kam es von Jonas zurück. Jasmin hob ihre Arme an, ließ aber nur die linke Handfläche gegen ihren Oberschenkel fallen, da sie in der rechten Hand ein Drahtkörbchen hielt. Gleichzeitig atmete sie seufzend aus und sah für einen Moment ungläubig lächelnd und kopfschüttelnd in die Ferne.

»So hörst du mir zu!«, stieß sie hervor. »Ich sagte: Wenn wir schon auf Weißenseifen und im Remmelbachtal nichts gefunden haben, was soll dann ausgerechnet hier stehen? … Ich meine, der Sommer ist unglaublich heiß. Es hat kein bisschen geregnet. Selbst jetzt, so früh am Morgen, ist der Boden staubtrocken. Meinst du nicht auch, dass es dieses Jahr zwecklos ist?«

Jonas blickte sich nachdenklich in alle Richtungen um. Seine Frau lag mit jedem Wort richtig. Es war entmutigend. Zumindest an der Stelle, an der sie sich gerade aufhielten. Schließlich schaute Jonas ins Tal hinunter.

»Hör zu«, wandte er sich entschlossen Jasmin zu. »Weißenseifen, Remmelbachtal, Braunebachtal … Das sind alles Gebiete, die jeder kennt, der in der Eifel mal ein Pilzseminar mitgemacht hat. Wenn dann mal schlechtes Pilzwetter ist, sind das die einzigen Stellen, an denen oft noch ein bisschen was zu finden ist. Klar, dass dann alles da hinrennt, oder? Dann ist da eins-zwei-drei alles abgeerntet. Aber hier, in einem ähnlichen Tal, wo in der Regel kaum jemand hingeht, da sollten die Chancen doch besser stehen, meinst du nicht auch? Ich wette, weiter unten, näher an der Kyll, wo es permanent ein bisschen feuchter ist, da finden wir was!«

Die Ansprache wirkte motivierend, und zwar auf beide. Jonas und Jasmin nickten sich zackig zu und nahmen ihre Schritte wieder auf. Nach einer Weile änderte sich die Umgebung. Der Bachlauf wurde zusehends flacher und steuerte auf einen mit Fichten umsäumten Bereich zu. Hier und da wies er die ersten Pfützen auf.

»Siehst du?«, jubelte Jonas. »Hier wird’s feuchter! Genau, wie ich vermutet habe.«

Jasmin schaute sich entzückt um.

»Das sieht ja märchenhaft aus!«, schwärmte sie. »Wie der Bach sich zwischen den Bäumen durchschlängelt. Wer hätte gedacht, dass es in der Nähe einen so schönen Ort gibt?«

Jonas‘ Augen scannten längst den dunklen Waldboden links und rechts des Baches. Sein Blick schwenkte hin und her und her und hin. An einem verrottenden Fichtenzapfen blieb er hängen.

»Ha!«, triumphierte Jonas lautstark. Jasmin rückte zu ihm auf, und gemeinsam bückten sie sich hinab.

»Na, Frau Streicher, was sagen Sie nun?«

»Das ist ein Pilz.«

»Exakt.«

»Ein winziger Pilz.«

»Schon.«

»Ein sehr winziger Pilz.«

»Jo ... Aber ein Pilz!«

Jasmin richtete sich wieder auf. Sie schmunzelte und sprach: »Ich bin überwältigt. Haben wir genug Körbe mit? Ich hoffe, ich bekomme noch etwas im Gefrierfach freigeräumt.«

»Jetzt lass doch mal!«, meckerte Jonas im Aufstehen. »Siehst du nicht, was das bedeutet? Wir haben einen Pilz gefunden! Das heißt, es gibt hier unten Pilze! Also, halt die Klüsen offen und komm mit!«

Sie zogen weiter.

»Und was war das jetzt für einer?«, wollte Jasmin wissen.

»Keine Ahnung«, gab Jonas zurück. »Irgendein kleiner Brauner.«

»Also nicht essbar.«

»Das weiß ich nicht. Es ist eben ein kleiner Brauner. Du weißt doch, was der Herr Mützel immer sagt: Kleine Braune, kleine Weiße, alles Scheiße.«

»Komm mir nicht mit dem.«

»Wieso? Was hast du gegen ihn? Er ist ein erstklassiger Pilzexperte. Und seine Seminare sind immer voll belegt. Du hast letztes Jahr selbst noch gesagt, wie viel du bei ihm mitgenommen hast.«

»Ja, schon. Aber ich mag seine Art nicht. Er ist immer so sarkastisch.«

»Er ist der Beste weit und breit. Er kann es sich leisten, sarkastisch zu sein.«

»Einmal hat meine Schwester ein Seminar bei ihm mitgemacht. Ein Tagesseminar mit anschließender Verkostung der gefundenen Pilze. Weißt du, was er am Ende des Tages gemacht hat? Er hat zum Abschied der ganzen Gruppe ‚angenehme Verwesung‘ gewünscht.«

Jonas‘ Lachen hallte von den Flanken des Tals wider.

»War doch lustig!«, feixte er.

»Mit sowas macht man keine Witze«, hielt Jasmin dagegen.

»Du warst doch vorhin selber sarkastisch. Mit dem Gefrierfach und so.«

»Nein. Das war ironisch. Das ist etwas anderes.«

»Wo ist der Unterschied?«

»Wenn man ironisch ist, macht man Spaß. Wenn man sarkastisch ist, meint man es ernst.«

»Sicher, dass das die richtige Definition ist?«

»Ist doch egal. Ich sehe es jedenfalls so.«

Damit machte Jasmin ein paar zügige Schritte nach vorne, wobei sie einige Meter Abstand zu ihrem Mann gewann. Jonas gluckste still in sich hinein und sprang über den Bachlauf, um auf seiner linken Seite nach Pilzen zu suchen. Sie beide folgten dem schmalen Gewässer weiter in Richtung Mündung.

»Oh!«, rief Jasmin plötzlich aus. »Hier haben wir einen weiteren Feuchtigkeitsanzeiger!«

»Was für einen?«, erkundigte sich Jonas, ebenfalls rufend.

»Eine Nacktschnecke«, meldete Jasmin. »Oh mein Gott, sogar mehrere! Und da, noch welche! Wie ungewöhnlich.«

»Ungewöhnlich, aber gut. Wo viele Schnecken sind, ist reichlich Feuchte vorhanden.«

»Aber sind die nicht giftig?«

»Warum sollen die giftig sein?«

»Die haben doch neulich was über die Spanische Wegschnecke gebracht. Da meinte jemand, dass die giftig wären. Von schweren allergischen Reaktionen war die Rede.«

»Dann pack sie halt nicht an.«

»Seh ich so aus? Nein. Ich denk mir nur, was, wenn die über Pilze kriechen?«

»Ich hab noch nie davon gehört, dass das gefährlich wäre. Lass dich nicht kirre machen!«

»Ich mein ja auch nur.«

Mit jedem Schritt bachabwärts nahm die Feuchte im Boden zu. Bei den herrschenden warmen Temperaturen hatte dies merkliche Auswirkungen auf die Luftfeuchte. Immer wieder schwirrte dem Paar ein Schwarm Gnitzen um die Ohren. Recht häufig mischten sich nun Buchen unter den Baumbestand, und mehr und mehr fanden sich Stellen, die mit Giersch bewachsen waren.

»Schatz!«, rief Jonas plötzlich aufgeregt. »Da sind welche! Komm rüber!«

Jasmin hüpfte über den Bach und hockte sich neben ihrem Mann ab. Der langte bereits nach dem ersten Fund.

»Was sagst du jetzt?«, frohlockte er. »Die ersten Steinpilze. Und? Wer hatte mal wieder den richtigen Riecher? Na, wer?«

»Du!«, kicherte Jasmin und hielt Jonas den Korb hin. Der nahm sein Messer hervor und schnitt den jungen Fruchtkörper längs durch.  

»Klasse!«, freute er sich. »Nicht madig. Guck mal, wie herrlich.«

Jasmin überblickte eifrig die Fundstelle.

»Sieben«, stellte sie fest, nachdem sie gezählt hatte. Sie begann nun ihrerseits, die jüngsten der Fruchtkörper zu ernten. Jonas langte schon nach den größeren Exemplaren.

»Willst du die etwa auch mitnehmen?«, fragte sie.

»Wieso nicht?«, fragte Jonas zurück.

»Na ja … Weil die oben ziemlich abgefressen aussehen.«

»Ist doch nur Schneckenfraß. Ach, ich freu mich schon auf das Steinpilzbrot!«

Jasmin wackelte etwas zögerlich mit dem Kopf, dann half sie weiter bei der Ernte. Die beiden größten Steinpilze waren durchweg wurmstichig, doch mit den kleineren Exemplaren war eines der Drahtkörbchen bereits stattlich gefüllt. Sichtlich zufrieden erhob sich das Paar und setze seinen Weg mit beschwingten Schritten fort. Fürs Abendessen war in jedem Fall gesorgt.

»Biester!«, stieß Jasmin hervor, während sie mit ihrer Hand an ihrem Gesicht vorbeischlug. Jonas stapfte vor ihr durch den Giersch. Seine kurzen Haarsträhnen klebten im Nacken zu dunklen Spitzen zusammen. Mit einem Mal wurden seine Schritte schneller. Jasmin fiel auf, dass er auf einen kräftigen Buchenstumpf zumarschierte. Auf den zweiten Blick erkannte sie, dass der Baumstubben mit kleinen Pilzen übersät war. Jonas ballte seine freie Faust.

»Ja! Stockschwämmchen! Mensch, haben wir ein Glück!«

Hastig fummelte er nach seinem Messer. Dann legte er los und erntete, was das Zeug hielt. Der Baumstumpf war noch nicht zur Hälfte abgeerntet, da war sein Körbchen auch schon voll.

»Das genügt für uns«, nickte er freudig.

»Du bist dir sicher, dass das Stockschwämmchen sind?«, fragte Jasmin vorsichtig.

»Hundertprozent!«, bekräftigte Jonas.

»Dann ist es gut«, meinte Jasmin. »Ich trau mich nämlich noch nicht, die zu bestimmen. Immer wenn ich dran denke, wie gefährlich der Gifthäubling ist, dann verlier ich die Courage.«

»Du darfst nicht immer so ängstlich sein«, sprach Jonas ihr zu. »Es wird um die ganze Verwechselerei auch viel Geschiss gemacht. Klar, man muss ein bisschen aufpassen, aber irgendwann muss man sich auch mal sicher sein. Wir beide gehen jetzt schön gemütlich zum Auto zurück, und daheim tun wir unsere Pilze schön in Ruhe putzen.«

In Gerolstein strebte dieser heiße, sonnige Freitagnachmittag allmählich seinem Ende zu. In der »Schmelbert«, dem Gebiet zwischen dem Wellgendellsknipp und der Lindenstraße, hatten sich einige Einwohner des Wohngebiets im stetig flacher einfallenden Sonnenlicht zusammengefunden. In der Umgebung dieses einen Einfamilienhauses duftete es nach gemähtem Rasen und schmurgelnder Butter. Eine hellblonde Frau mit einem Stapel Teller in der Hand trat aus dem Haus hinaus auf die Terrasse.

»Elena!«, rief sie fröhlich nach drinnen. »Bringst du die Gribotschki?«

Lachend platzierte sie die Teller auf dem Tisch.

»Ich bin so froh, dass wir es gewagt haben!«, strahlte sie. »Wer hätte gedacht, dass wir bei diesem heißen Wetter doch noch genug Pilze fürs Abendbrot finden?«

Kurz darauf erschien eine weitere Frau in der Terrassentür. Sie hatte ein Smartphone in der Hand und scrollte mit dem Zeigefinger der anderen Hand mehrmals auf dem Display nach oben, wobei sie nachdenklich blickte.

»Ludmilla?«, begann sie.

»Ja, Elena?«, antwortete Ludmilla, sich von dem Tellerstapel zu ihrer Freundin umdrehend.