Die Stadt, das Geld und der Tod - Frank Göhre - E-Book

Die Stadt, das Geld und der Tod E-Book

Frank Göhre

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Beschreibung

»Göhre schreibt Kino.« Friedrich Ani »Frank Göhres Stimme ist einzigartig in der deutschsprachigen Kriminalliteratur.« Sonja Hartl, Zeilenkino Hamburg, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. In einem Park in Eimsbüttel wird die Leiche eines 16jährigen Schülers entdeckt. Er ist an einer hohen Dosis Amphetamine gestorben. Sein Vater Ivo kommt wenige Tage später aus dem Knast – und möchte herausfinden, was hinter dem Tod seines Sohnes steckt. Ivo ist Ende der Achtziger Jahre nach Hamburg gekommen und hat gemeinsam mit seinem Blutsbruder Nicolai Geld auf dem Kiez gemacht. Ivo mit Discotheken und Clubs, Nicolai mit Immobilien. Doch ihre frühere Nähe und Verbundenheit scheint rissig geworden zu sein. Nicolai hütet ein Geheimnis über den Tod von Ivos Sohn, und das hat furchtbare Folgen. In kurzen schnellen Szenen entwirft der Meister des deutschsprachigen Noir ein großes Panorama der dunklen Seiten Hamburgs, hart und erbarmungslos. Von den Vorstadtvillen und bürgerlichen Stadtteilen über den Hafen bis ins tiefste Milieu, von Grenzen überschreitender Lust bis zu kaltblütigen Morden. Das schnelle Geld dunkler Geschäfte trifft das alte Geld hanseatischer Kaufmannsfamilien. Und mittendrin zwei Freunde, um die ein Imperium zerfällt. »Frank Göhre ist zurück.« 3sat Kulturzeit »Mit wenigen Strichen schafft Frank Göhre eine packende Noir-Atmosphäre.« Karsten Herrmann, Literaturkritik.de Für seinen letzten Roman »Verdammte Liebe Amsterdam« wurde Frank Göhre mit dem Deutschen Krimipreis 2020 und dem Stuttgarter Krimipreis 2021 ausgezeichnet.

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Seitenzahl: 148

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Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2021

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Redaktion: Jan Karsten

Covergestaltung: Cordula Schmidt Design, Hamburg

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: September 2021

ISBN 978-3-95988-199-9

Über das Buch

Hamburg, im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. In einem Park in Eimsbüttel wird die Leiche eines 16-jährigen Schülers entdeckt. Er ist an einer hohen Dosis Amphetamine gestorben. Sein Vater Ivo kommt wenige Tage später aus dem Knast – und möchte herausfinden, was hinter dem Tod seines Sohnes steckt.

Ivo ist Ende der Achtzigerjahre nach Hamburg gekommen und hat gemeinsam mit seinem Blutsbruder Nicolai Geld auf dem Kiez gemacht. Ivo mit Diskotheken und Clubs, Nicolai mit Immobilien. Doch ihre frühere Nähe und Verbundenheit scheint rissig geworden zu sein. Nicolai hütet ein Geheimnis über den Tod von Ivos Sohn, und das hat furchtbare Folgen.

In kurzen schnellen Szenen entwirft der Meister des deutschsprachigen Noir ein großes Panorama der dunklen Seiten Hamburgs, hart und erbarmungslos. Von den Vorstadtvillen und bürgerlichen Stadtteilen über den Hafen bis ins tiefste Milieu, von Grenzen überschreitender Lust bis zu kaltblütigen Morden. Das schnelle Geld dunkler Geschäfte trifft das alte Geld hanseatischer Kaufmannsfamilien. Und mittendrin zwei Freunde, um die ein Imperium zerfällt.

»Mit wenigen Strichen schafft Frank Göhre eine packende Noir-Atmosphäre.« Karsten Herrmann, Literaturkritik.de

»Göhre erzählt knapp, auf den Punkt, ohne aufwendige Kunstgriffe, aber mit hohem Bewusstsein dafür, was er tut. Die Lakonie und Ironie, die grimmige Komik des Textes sind nicht unterstrichen, sie sind wie beiläufig eingearbeitet und wirken genau deswegen. Die politische Dimension … steckt in seiner literarischen Haltung … sein Blick ist der Blick „von unten“. Göhre ist vielleicht der letzte deutsche Hardboiled-Autor – und er ist so gut, wie er am Anfang seiner Karriere war.« Thomas Wörtche, Deutschlandradio Kultur

Über den Autor

Frank Göhre, geboren 1943, aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt in Hamburg. Gleich sein erster Krimi, »Der Schrei des Schmetterlings« (1986) – Auftakt der inzwischen legendären Kiez Trilogie –, wurde mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, ebenso wie sein Roman »Der Auserwählte« von 2010. Frank Göhre gab das Gesamtwerk des Schweizer Autors Friedrich Glauser neu heraus und schrieb seinen Lebensroman »Mo«. Mit Alf Mayer veröffentlichte er Bücher über Ed McBain (»Cops in the City«) und Elmore Leonard (»King of Cool«). Zu seinen Drehbucharbeiten zählen »Abwärts« (mit Götz George) und »St. Pauli Nacht« (Deutscher Drehbuchpreis, verfilmt von Sönke Wortmann).

Frank Göhre

Die Stadt, das Geld und der Tod

Kriminalroman

Der Familienclan

Nicolai Radu – Immobilienkaufmann

Lucian – Nicolais Bruder, Gebrauchtwagenhändler

Dragon – Lucians Sohn, Discobetreiber

Valea – Nicolais und Lucians jüngere Schwes­ter, Juristin

Pjeter – Chauffeur und Bodyguard

Ivo – Nicolais Partner

Mirela – Haushälterin bei Nicolai

Der Cousin – der Mann in den Karpaten

Die Pokerrunde

Matthias Unger – Rechtsanwalt

Jo Gabler – Chefredakteur

Martin Hirst – Zweisternekoch

Angehörige und andere

Hanna – Nicolais Frau

Peter Pietsch – Hannas Vater, Kaffeegroßhändler

Rainer Pohlmann – Leiter einer Sparda-Bank-Filiale

Kristina – Arzthelferin, Ivos Ex

David – Kristinas und Ivos Sohn

Sylvia – Ungers Frau

Christiane – Sylvias jüngere Schwester

Gigi – Jo Gablers Lover

Damals.

Damals in Hamburg.

PROLOG

In den frühen Morgenstunden des 19. März, drei Tage vor Ostern, wird im Eimsbütteler Park am Weiher die Leiche eines Jugendlichen entdeckt.

Sie liegt am Wegrand.

Wie hingestürzt. Die Arme weit nach vorn gestreckt.

Das Gesicht in einer Pfütze. Im Dreck.

Auf der Jeansjacke Taubenschiss. Ein Sneaker ist über die Ferse gerutscht.

Der Tote wird als David Wójcik, sechzehn, Sohn der alleinerziehenden Praxishelferin Kristina Wójcik identifiziert. Er weist keinerlei Anzeichen körperlicher Gewalt auf. Bei der Obduktion aber wird in seinem Blut eine größere Dosis Amphetamine festgestellt, die offenbar zu einem Herztod geführt hat.

Ein Drogentoter mehr in der Statistik der Freien und Hansestadt.

Davids leiblicher Vater ist der Rumäne Ivo Jasari, neununddreißig, geboren in einem abgelegenen Dorf in den Karpaten. Er sitzt wegen schwerer Körperverletzung mit Todesfolge in Zusammenhang mit dem Schmuggel von Luxusartikeln fünfeinhalb Jahre in Santa Fu, der Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, ab.

Ivo ist vor vielen Jahren an einem der heißesten Tage nach Hamburg gekommen, an den Händen noch frisches Blut. Es ist keine vierundzwanzig Stunden her, dass er in seinem Sechshundert-Seelen-Bergdorf den Friseur mit zwei aus kurzer Distanz abgefeuerten Schüssen ge­tötet hat. Er habe die Ehre seiner Schwester beschmutzt. So ist es Ivo zugetragen worden. Seine von Weinkrämpfen geschüttelte Schwester hat selbst kein klares Wort herausgebracht. Das hat ihm als Beweis gereicht.

Ivo hat den von seinem Vater hinterlassenen Armeerevolver aus dem Versteck geholt und nach der Mittagsruhe dem Friseur das Hirn weggepustet.

Am nächsten Tag sitzt er bereits in einer Maschine der Tarom nach Wien und trifft am frühen Abend in Hamburg ein. Den Flug hat der im Nachbarort le­bende Cousin gebucht. In seiner Kfz-Werkstatt hat Ivo die letzten Monate gearbeitet, und von ihm wird er auch dem Verwandten im hohen Norden angekündigt.

Und so steht er dann in der Wohnung über einer Kiezkneipe einem etwas übergewichtigen Nicolai Radu gegenüber, der unausgeschlafen und noch unrasiert ist und einen grellfarbenen Sportanzug aus irgend­einem dünnen Stoff trägt. Er wird von ihm begrüßt, als wären sie alte Kumpel, ey, du, alles klar? Hau dich irgendwohin, willste was rauchen? Und aus einem der Zimmer kommt eine nur mit einem Höschen bekleidete Frau hinzu, greift Nicolai in den Schritt und lacht schrill.

Für Ivo ist das alles sehr verwirrend.

Später am Abend, es ist noch hell, und vor der Kneipe stehen ’ne Menge Leute rum, die ihr Bier trinken und lautstark palavern, nimmt Nicolai ihn mit auf seine Tour durch die Spielhallen, zeigt ihm diesen und jenen Automaten und einige Tricks beim Risikospiel. Da sind vor allem ein waches Auge und schnelle Reaktion gefordert, und Ivo, das stellt sich gleich von Anfang an heraus, verfügt über beides.

So verbringt er die erste Zeit als Nicolais Begleiter, kommt dabei aber nicht weit über das Viertel hinaus. Er kann ein paar Scheine bunkern, einen Betrag, den er nach und nach aufstockt, und wird im Milieu schon bald als »flinker Finger« bekannt.

An Nicolais Seite steigt er dann auch in bis zum Morgengrauen andauernde Pokerrunden ein, was nicht immer glatt verläuft. Scheiß Kanacken, bekommen sie zu hören, Zigeunerpack, wenn sie wieder einmal groß abgegriffen haben, und oft bleibt es nicht bei diesen verbalen Attacken, Springmesser schnappen auf, oder in der Hand von ­irgendeinem Arschloch schimmert plötzlich eine Automatik, Penner durch die Bank, die kein noch so gutes Blatt richtig ausspielen können, es einfach nicht draufhaben.

Manchmal, vor allem aber an den Wochenenden, hängen sie die letzten Stunden im Top Ten oder im Trinity auf der zu der Zeit noch geilen Meile ab, protzen mit ihrer Kohle und auch mit Dope, geben sich ansonsten cool und knallen die heißesten Bräute, Nicolai immer schön bei sich zu Hause in der Kiste, während Ivo so manche Nummer an den Mülltonnen in irgendeinem Hinterhof schieben muss … Rock, Rock your baby … Do it.

Nicolai, der Glückliche, und Ivo, der flinke Finger.

Die Zeit vergeht wie im Flug. Ivo kommt inzwischen ganz gut zurecht in der City of Sin, dem Tor zur Welt, weit offen für alles und jeden, für jemanden wie ihn. Es sind super Jahre, alles easy.

Dann wird es Herbst, der Winter kündigt sich an, und es soll in diesem Jahr ein harter Winter werden, mit Schnee und Eis und zugefrorener Alster.

Ivo kauft sich warme und vor allem elegantere Klamotten, feines Tuch, und einen knöchellangen pelzgefütterten Wildledermantel. Darin eingehüllt schlit­tert er in der Silvesternacht Arm in Arm mit Nico­lai vom Man Wah, wo sie gegessen haben, rüber ins Blue Sky, wo sie schon mehrere Male aufgeschlagen sind.

Nicolai ordert Champagner und informiert Ivo mehr beiläufig darüber, dass der Laden von Punkt zwölf Uhr an zu fünfzig Prozent ihm gehöre, eine damit eingelöste Spielschuld des bisherigen Betreibers, eines im Milieu ohnehin nicht mehr sonderlich gut angesehenen Gastronomen.

Er lacht, schlägt Ivo locker auf die Schulter und tönt, Bruder, das ist erst der Anfang, wir steigen noch ganz groß ein, glaub mir, Bruder, glaub mir, ich hab da was an der Hand, das läuft wie von selbst, verlass dich drauf.

Es sind heruntergekommene Mietshäuser in den Seitenstraßen am Rand des Viertels, die Nicolai nach und nach erwirbt, während Ivo im Blue Sky allmählich ­allein das Sagen hat und es letztlich ganz übernimmt.

Er engagiert Landsleute als Türsteher und Aufpasser, harte Jungs aus den Karpaten, die weder Angst noch Respekt vor den großen Nummern im Milieu haben und sich rasch die Kontrolle über einige Bars und Kneipen verschaffen und auch im Sex-Laufhaus mitmischen, eine schon bald gefürchtete Gang.

Die Rumänen! Die Rumänen! Die Rumänen erobern den Kiez!

Und der Mond wirft sein Licht auf das blutgesprenkelte Pflaster vor den Spielhöllen und Diskotheken, spiegelt sich im Fluss, Nacht für Nacht, über Hamburg und anderswo.

Das von Nicolai verwaltete Geld stapelt sich, wird in weitere, neue Objekte investiert und ist in Bankschließfächern deponiert. Ein Teil wird in die Heimat transferiert. Zum Cousin, dem Paten in den Karpaten. Es geht voran, immer weiter voran.

Gelegentlich aber gibt es dann doch Zoff in einem der von Schicksen und Schnöseln aus gutem Haus frequentierten Clubs oder auch auf der Straße, und Ivo fängt sich etliche Anzeigen ein – Vorladungen, Verwarnungen, Geldbußen. Das summiert sich, und Nicolai muss ein ernstes Wort mit ihm reden. Er hat nämlich was mit einer Soliden laufen, Tochter des den Sozis ­nahestehenden Kaufmanns Peter Pietsch, ein in der Stadt hoch angesehener Kaffeeimporteur, Initiator diverser Spendengalas, also halt dich zurück, Bruder, warnt er seinen Kumpel, kein Stress.

Seit über vierzig Jahren schon regieren die Sozialdemokraten die Freie und Hansestadt Hamburg, und nirgendwo sonst im Land bestimmen Seilschaften, Kumpaneien und Ämtermissbrauch den Alltag so sehr wie in dieser Stadt. Es gibt keine Behörde, keine Stiftung und kein staatsnahes Unternehmen, auf die sich der Einfluss der Partei nicht ausgedehnt hat. Die politische Elite ist total verfilzt und versumpft, weiß Nicolai und will mitmischen, er hat die Sprache derer, die in der Stadt das Sagen haben, schnell gelernt: ­Pleased to meet you / Hope you guess my name / But what’s puzzling you / Is the ­nature of my game …

Im Sommer ist es dann so weit, dass Nicolai seine Hanna heiratet, und Ivo, mit modisch geschnittenem Haar, Dreitagebart und dem Anlass entsprechend festlich gekleidet, darf Trauzeuge sein. Er ist mit einer polnischen Tresenbedienung auf dem Fest im über dem Fluss liegenden Kamphüs erschienen, mit Kristina, einer lockeren Beziehung, null Problem also, sie macht sich auch schon mal für andere lang.

Doch Monate später konfrontiert sie ihn mit der Ansage, von ihm schwanger zu sein, zweifelsfrei. Das passt ihm irgendwie überhaupt nicht in den Kram, nein danke, besten Dank auch, aber Kristina beharrt darauf, das Kind zur Welt zu bringen, egal ob mit ihm oder ohne ihn als Vater. Also nickt Ivo schließlich ab. Ist ja ohnehin ihr Ding, was sagst du, Bruder, nun sag schon?

DAS HANDYVIDEO

1 Das Osterwochenende nach Davids Tod ist weitgehend sonnig bei milden Temperaturen. Die Ostseestrände und Nordseebäder sind gut besucht. In Hamburg sind Spaziergänge an Alster und Elbe an­gesagt, Fischbrötchen auf der Großen Elbstraße und der Jazzfrühschoppen in der Fabrik, Dixieland, Pinkeljazz.

Am Dienstag nach den Feiertagen meldet sich am späten Abend ein Mann, ein Schwarzafrikaner unbestimmten Alters, bei dem inzwischen dreiundvierzigjährigen Immobilienkönig Nicolai Radu.

Nicolai bewohnt mit seiner Frau Hanna, geborene Pietsch, Chauffeur und Hauspersonal eine dreigeschossige Jugendstilvilla am Harvestehuder Weg. Baujahr 1911. Fünfhundertachtzig Quadratmeter Wohn­fläche mit Einliegerwohnung und Garten.

Der Kaufpreis nicht bekannt.

Nicolais privates Büro ist im dritten Stock, mit Blick auf die Alster.

Technik dominiert. An der Wand ein großforma­tiger Daniel Richter.

Der Mann erzählt Nicolai und seinem Chauffeur Pje­­ter eine Geschichte mit vielen Andeutungen und An­spielungen auf Hamburger Prominente. Er belegt das mit der Aufnahme eines Handyvideos. Das sei zu erwerben. Es gebe keine Kopien.

Der Mann nennt einen vierstelligen Betrag und deutet mit einem schiefen Lächeln an, darüber könne man aber auch verhandeln.

Nicolai betrachtet die Aufnahme genau. Kneift die Augen zusammen, sieht noch einmal hin. Er lässt sich nicht anmerken, was die Bilder bei ihm auslösen. Nicht ein Muskel zuckt in seinem Gesicht. Er lehnt sich in ­seinem Stuhl zurück, hat noch Fragen. Fragen nach Details.

Die Antworten scheinen ihn zu befriedigen. Er seufzt jetzt. Er dankt.

Er nennt den Betrag, den er zu zahlen bereit ist, wechselt mit seinem Chauffeur einen Blick.

Pjeter tritt hinter den Mann. Er wirft ihm eine Drahtschlinge über den Kopf, erdrosselt ihn damit.

»Schaff das Arschloch weg«, sagt Nicolai. »Du weißt, was du zu tun hast.« Er legt das Handy des Schwar­zen in die Schreibtischschublade. »Wann kommt Ivo raus?«

»Vorzeitig. Nächste Woche.«

»Dann solltest du das umgehend erledigen.«

Als Pjeter gegangen ist, tritt er ans Fenster und schaut über die Alster auf die Lichter der City. Er liebt diesen Blick, er liebt diese Stadt, die nun schon seit vielen Jahren seine Heimat ist. Was er auf dem Handy gesehen hat, geht ihm nicht aus dem Kopf. Es sticht wie mit glühendem Eisen, es schmerzt. Es zerreißt ihn. Er möchte schreien vor Schmerz. Er schreit nicht, obwohl ihn jetzt niemand hören würde.

2 Nicolai betritt Hannas Zimmer. Der Fernseher läuft. Merkwürdige Gestalten zischen über Meer und Gebirge. Flügeltiere speien und grunzen. Nicolai schaltet die Scheiße aus.

Hanna sitzt in ihrem hohen Sessel, den Kopf gesenkt, das Weinglas ist ihr aus der Hand geglitten. Sie ist eingenickt.

Nicolai betrachtet sie. Er sieht in ihr immer noch die junge, lebensfrohe Frau, die er begehrt, die er liebt. Das blonde Mädel mit dem Hamburger Schnack. Doch sie ist krank geworden, Brustkrebs, Operation und noch andauernde Chemo. Sie ist erschöpft. Wenn sie von der Behandlung zurückkommt, legt sie sich hin, schottet sich ab. Sie will niemanden sehen, sie will nicht reden. Sie trinkt. Trinkt ihren Weißwein entgegen allen ärztlichen Ratschlägen. Das ist nicht gut, tut ihr nicht gut, und sie weiß es. Sein Hals wird eng. Er schluckt, die Augen werden feucht.

»Liebes, du darfst nicht schon gehen«, sagt er leise, »ich brauche dich doch.« Er haucht ihr einen Kuss auf die Stirn, drückt ihre Hand. »Du wirst Gesellschaft bekommen, bald schon. Das wird dich ein wenig aufmuntern.«

Hanna murmelt etwas Unverständliches.

Nicolai nickt zuversichtlich. Er bringt sie zu Bett.

Es ist spät geworden. Auch er ist müde. Er geht nach nebenan in sein Schlafzimmer und hofft auf einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Vergessen. Vergessen können.

3 In der Nacht zum Samstag kommt es um 3.18 Uhr in den hinteren Räumen des vorwiegend von Schwar­zen frequentierten Dancing Clubs am Eimsbütteler Park zu einer Explosion.

Feuer bricht aus. Schwarzer Rauch steigt auf.

Die beiden Pächter und Betreiber des Clubs, ein Portugiese und seine deutsche Partnerin, sowie die studentische Tresenbedienung kommen dabei ums Leben. Die zu diesem Zeitpunkt letzten Gäste können sich ins Freie retten. Einige mit lediglich geringfügigen Verletzungen.

4 Das Tor der Strafvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, Santa Fu, öffnet sich. Ivo tritt heraus, ein mittelgroßer, hagerer Mann mit schmalem Gesicht, dichtem schwarzem Haar und Schnäuzer, bekleidet mit einem grauen Zweireiher, offenem Hemd und blank gewienerten schwarzen Schuhen.

Er sieht elend aus.

Pjeter steigt aus seinem Range Rover und geht ihm mit weit ausgebreiteten Armen entgegen.

Er umarmt und küsst ihn auf beide Wangen.

»Nicolai erwartet dich«, sagt er.

»Fahr mich zu Kristina«, sagt Ivo.

Kristina öffnet ihm. Sie ist schmaler geworden, hat ihr Haar weißblond gefärbt, eine Kurzhaarfrisur, ein Herrenschnitt mit einem akkurat gezogenen Scheitel links. Ivo checkt einen Moment zu lange ihre Figur, die sich unter dem Shirt abzeichnenden hochgepushten Brüste.

Ihr Blick verdüstert sich.

Wortlos gibt sie ihm zu verstehen einzutreten und geht vor.

Die Küche ist neu eingerichtet, viel Metall und Glas, die Wand über dem Herd ist blau gestrichen.

Ivo setzt sich an den runden Esstisch und kramt sein Tabakpäckchen hervor. Routiniert dreht er sich eine Kippe, klickt sein Zippo auf. Kristina schenkt Kaffee ein.

»Es gibt nichts, was du nicht schon weißt«, sagt sie und stellt ihm den Becher hin.

»Wie war er? Ich meine, der Junge.«

»Dein Sohn.« Kristina bleibt ihm gegenüber stehen, hält ihren Becher mit beiden Händen, ihr Blick geht ins Leere. »Er war dein Sohn. Mehr kann man eigentlich nicht sagen. Im Guten wie auch sonst. Er hat zuletzt oft nach dir gefragt.«

»Warum ist er nicht mal im Knast aufgetaucht?«

Kristina zuckt die Achseln.

»Ich hab ihn nicht gehindert.«

»Super Antwort.«

»Glaub ja nicht, ich hätte es leicht mit ihm gehabt. Er hat sich nichts sagen lassen. Von mir nicht, in der Schule nicht. Von niemandem.«

»Okay«, sagt Ivo. »Okay. Hatte er Freunde, vielleicht schon ’ne Freundin, ’ne Clique, mit der er rumgezogen ist?«

»Ich kenne nur einen Björn. Bei dem war er einige Male. Hat er jedenfalls gesagt. Irgendwo in Övelgönne, direkt an der Elbe.«

»Hat der sich bei dir gemeldet?«

»Nein«, sagt Kristina. »Warum auch? David ist tot, gestorben wie ein elender Junkie. Frag du dich lieber, wer ihn an das Dreckzeug gebracht hat, frag deine Leute!«

Ivo presst die Lippen fest aufeinander. Er fühlt eine unsägliche Wut in sich aufsteigen, kann sie nur mühsam unterdrücken. Am liebsten würde er der Alten eine reinhauen, dieser blöden Schlampe, die es nicht einmal hinkriegt, ihren Sohn unter Kontrolle zu ­halten.

5 Ein milder Abend. Eine Luft wie Seide. Auch das hat die Hansestadt im Programm. Auf der Krugkoppelbrücke spielt eine ältere Dame Saxofon. Hinreißend schön.

Ab neunzehn Uhr fahren am Harvestehuder Weg nach und nach Luxuslimousinen, Cabrios, Harley’s und Taxis vor.