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Für Maruhito Obama war es Liebe auf den ersten Blick. Und - seine Angebetete, die Deutsche Sabrina, hat ihn erhört! Schon bald heiraten sie. Die Hochzeitsfeier gerät zum Albtraum. Wenig später macht sich eine Stalkerin bemerkbar. Zu Sabrinas Entsetzen kennt ihr japanischer Ehemann die Frau. Sehr gut sogar. Immer wieder weist er sie ab, doch Reina Sorihama gibt nicht auf. Sabrina kämpft tapfer gegen die Angst an, Maruhito an diese Frau zu verlieren. Gleichzeitig sucht sie nach einer dauerhaften Lösung, die Stalkerin loszuwerden. Doch Maruhito plädiert dafür, nichts zu unternehmen, selbst dann, als seine Ex es schafft, aus dem Gefängnis heraus weiter zu stalken. Die Nerven liegen blank. Diesen fiktiven Plot erzählen Maruhito, Sabrina und die Stalkerin jeweils aus ihrer Sicht. Einerseits steht der Leser und die Leserin hinter den Opfern, andererseits fiebern er und sie der nächsten Stalkerhandlung entgegen: was hat die Stalkerin sich Neues einfallen lassen?
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Seitenzahl: 520
Veröffentlichungsjahr: 2025
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MARUHITO
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
REINA SORIHAMA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
MARUHITO
SABRINA
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MARUHITO
REINA SORIHAMA
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MARUHITO
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SABRINA
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SABRINA
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MARUHITO
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MARUHITO
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MARUHITO
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MARUHITO
MARUHITO
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SABRINA
SABRINA
REINA SORIHAMA
SABRINA
PERSONEN DER HANDLUNG
Amor banzai!!! Amor, ich danke dir!!! Endlich, endlich war er da. DER Tag in unserem Leben.
»Und was war der bisher schönste Moment in eurer Zweisamkeit?«, kam der Nakōdo, der wie es der Tradition entsprach, durch die Zwei-Stunden-Feier mit Firma und Verwandten führte, zum Höhepunkt. Landesüblich ließ er zunächst mich, den Bräutigam, zu Wort kommen.
»Als ich am achten August 2009 in der Cinema Hall hier in Tōkyō saß und auf den Beginn des Films wartete, da tauchte plötzlich neben mir ein blonder Engel auf. Seither gibt es nur noch schönste Momente für mich«, antwortete ich postwendend und schaute zu Sabrina an meiner Seite.
»Seitdem sind die japanischen und deutschen Schmetterlinge in seinem Bauch nicht mehr zur Ruhe gekommen!« Der Nakōdo klatschte und die Gäste fielen wieder begeistert ein.
»Und nun zu dir, verehrte Braut. Was war für dich der schönste Moment?« Während er das fragte, legte der Nakōdo schon einmal den Finger auf die Taste. Gleich würde er das nächste Foto einspeisen.
Sabrina antwortete strahlend: »Als wir in Chino in der Präfektur Nagano waren und Maruhito-san mir die Jōmon-Venus gezeigt hat. Da hat er nämlich gesagt, dass ich seine Venus bin.«
Im Applaudieren drückte der Nakōdo die Taste.
»Ehhh!?!« »Waaas!?!« »Unglaublich!« »Igitt!«, erschollen die Rufe aus dem Publikum. Fassungslos starrten alle auf die Leinwand. Sabrina erbleichte. Hilfesuchend blickte sie von mir zu ihren Eltern. »Die Nackte, das bin nicht ich«, flüsterte sie mir zu. »Das ist nur mein Kopf. Den Typen unter, äh, mir, äh den, den kenne ich nicht.«
Ich rührte mich keinen Millimeter, starrte auf die Aktszene. Hauptperson meine Sabrina. Es lag in der Luft, alle Anwesenden warteten nur darauf, dass Sperma floss.
Auf der eigenen Hochzeitsfeier hatte ich das Gesicht verloren. Vor den Leuten aus meiner Firma, vor der gesamten Verwandtschaft, vor den Freunden …
*
Die Sonne strahlte und der Himmel leuchtete an diesem Samstag, dem achten August 2009, so blau, so wunderschön blau, wie er selbst in Tōkyō und nur an ganz besonderen Tagen zu sehen ist. Wenn nur diese brüllende Schwüle nicht wäre. Shikata nai. So sind die japanischen Sommer nun einmal. Ich beschloss, mir davon nicht die Laune verderben zu lassen, genehmigte mir noch einen grünen Tee aus Shizuoka mit zehn Eiswürfeln, dann ging ich ins Kino. Dort würde es schön kühl sein. Zu Hause sparte ich nach Möglichkeit Strom. Gerade war ein neuer Film angelaufen, den ich unbedingt sehen wollte. Zwar lief der Film in Japan nicht in Dauerschleife, aber er war prämiert worden und hatte dementsprechend internationale Beachtung gefunden.
Ich war schon früh an der Cinema Hall und einer der ersten, denen Einlass gewährt wurde. Ich suchte mir einen Platz in der Mitte und machte es mir bequem. Ein paar Minuten später, setzte sich jemand nur zwei Plätze weiter entfernt und begann, Popcorn zu essen. Das Geräusch ließ mich zur Seite schauen, nur ganz verstohlen, schließlich ist Popcorn-Essen im Kino nicht verboten. Und da sah ich sie, in Begleitung. Zwei junge Ausländerinnen, vermutlich aus Amerika oder Europa. Mein Herz machte einen regelrechten Sprung. In meinem Inneren tummelten sich die Schmetterlinge. Die Verursacherin hatte engelblondes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte. Vor meinem inneren Auge sah ich mich über dieses Haar streicheln und als meine Hand an der Hüfte angekommen war, strich ich unter den Haaren hindurch wieder Richtung Hals. Und dabei hatte ich sie gerade eben zum ersten Mal und das nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen. So ist es also, das, was man Liebe auf den ersten Blick nennt, flüsterte mir Amor zu. Sofort ansprechen, signalisierten die Schmetterlinge in meinem Bauch, doch da begann bereits die Reklame und die Lichter gingen aus.
In der Geborgenheit der schummrigen Lichtverhältnisse schwenkte mein Kopf immer wieder zur Seite, ich schaute und schaute. Doch der blonde Engel erwiderte meine Blicke nicht. Dann begann der Film und ich übte mich in Selbstdisziplin, konzentrierte mich auf den Inhalt. Als die Protagonistin dem Mann ihres Herzens den ersten Kuss gab, gab es für mich jedoch kein Halten mehr. Demonstrativ sah ich wieder zur Seite. Doch auch diesmal blieb mein Blick ohne Erwiderung. Die innere Leere, die sich nun einstellte, trotz der Erregung, die diese Frau in mir verursachte, ließ mich an Amor zweifeln. Diese Frau! – Endlich war der Abspann zu Ende und die Lichter gingen wieder an. Mein Aufatmen hat man gefühlt durch den ganzen Saal gehört. Jetzt musste es schnell gehen. Und so verlor ich keine Sekunde Zeit. Die beiden waren im Handumdrehen an der Treppe. Ungeachtet der japanischen Sitte, langsam und geordnet das Kino zu verlassen, schob ich die Leute vor mir beiseite und mich an allem, was die holde Blonde und mich trennte, vorbei. Atemlos brachte ich ein »Der Film war wirklich gut, die Kritiken hatten recht« hervor. Etwas Besseres fiel mir partout nicht ein. Und Japanisch hatte ich außerdem gesprochen. Lieber zart etwas in der Landessprache hauchen als auf Englisch einen Fauxpas begehen.
Sie fühlte sich sofort angesprochen und japanisierte zurück: »Ja, es hat sich gelohnt, herzukommen.« Die Begleiterin meines Engels nickte ebenfalls.
Dieses Lächeln! Sie hatte mir ein Lächeln geschenkt! Ich spürte meinen Blutdruck steigen. Mann, ich war aufgeregt wie ein Teenager.
Oh, war ich froh, dass das Gespräch sich ganz natürlich fortsetzte. Und dann der große Moment, als sie ihre Lippen öffnete und ihren Namen sagte: Sabrina. Fast hätte ich nicht mitbekommen, dass ihre Begleitung sich als Bellinda vorstellte. Sofort fühlte ich mich aufgefordert, ebenfalls nur meinen Vornamen zu nennen, obwohl das im Japanischen für einen Mann ungewöhnlich ist. Und dann ließen mich die Schmetterlinge in meinem Bauch alle Vorsicht vergessen und ich fragte die beiden ganz dreist nach ihrem Alter.
Ohne zu zögern antwortete der blonde Engel: »Wir sind beide fünfundzwanzig.« Die Antwort ließ die Gefühle fast mit mir durchgehen. Ich hatte die beiden wesentlich älter eingeschätzt. So war das eben, neben Japanern sahen westliche Ausländer stets älter aus. Ich selbst war gerade dreißig geworden. Das sagte ich vorsichtshalber, nicht dass der Engel mich etwa für einen Teenager hielt, mit dem er nichts anfangen konnte.
»Arbeitet ihr hier?« Ein Versuch mit der vertrauten Anrede. Keine der beiden zuckte auch nur mit der Wimper.
»Ja, wir hatten das Glück, direkt nach dem Uniabschluss eine Stelle zu finden, und das in Tōkyō«, antwortete Bellinda sofort.
»Aha, ihr seid Kolleginnen?« Mit dieser Schlussfolgerung lag ich richtig.
»Unser Arbeitgeber leistet einen Beitrag zur Förderung der Kultur und spendiert seinen Arbeitnehmern einmal pro Monat einen Kinobesuch.«
»Das ist ja eine nette Art. Dann habt ihr wohl kaum Überstunden zu machen?« Ich musste sofort herausfinden, ob sie Zeit für mich haben würde. Es musste nur noch ein günstiger Moment kommen.
»Manchmal schon, aber es hält sich in Grenzen«, kam die erfreuliche Antwort. »Und du?«, wollte der blonde Engel umgekehrt wissen.
»Ich lebe und arbeite auch in Tōkyō. Leider ist mein Arbeitgeber nicht so spendabel.«
Wir mussten alle lachen. Es war eine tolle Atmosphäre. Dann sagte ich den alles entscheidenden Satz:
»Hättet ihr nicht Zeit und Lust auf einen gemeinsamen Kaffee?« Ich verspürte dabei wieder dieses Herzklopfen.
»Das ist eine gute Idee«, stimmten Sabrina und Bellinda zu.
Diese Erleichterung! Schon bald würde ich sie daten. Jetzt durfte nichts schiefgehen. Wir gingen in das Cafè nur ein paar Schritte weiter. Chainten. Allgegenwärtig in Tōkyō. Nicht der große Renner, aber zum Kennenlernen bestens geeignet. Wir hatten Glück und fanden sofort einen Platz.
Unsere Münder standen nicht still, es war sehr nett. Doch dann überkam mich die Angst, vielleicht doch etwas aufdringlich zu sein und so leitete ich nach einer Stunde das Ende dieses ersten Treffens ein. Vielleicht war ich als Japaner zu vorsichtig. Aber auch die Deutschen sagen ja Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Und in einer solchen befand sich meine neue Beziehung, beziehungsweise das, was hoffentlich eine werden würde.
Amüsiert stellte ich schließlich fest, dass ich, während ich in Gedanken zu versinken drohte, Sabrina unentwegt angeschaut hatte. Wie ein ertappter Schuljunge lenkte ich meinen Blick einmal kurz zu Bellinda, nur um sofort wieder Sabrina anzuschauen. Ich sagte:
»Bevor wir diese Runde auflösen, wie wäre es, wenn wir unsere Mail-adressen austauschten?«
»Oh ja, dann können wir uns den nächsten Film wieder gemeinsam ansehen«, stimmten Sabrina und Bellinda mir sofort zu. Mann war ich aufgeregt. Mir zitterten regelrecht die Finger, als ich ihre Adressen notierte. Ich war viel zu aufgewühlt, um sofort nach Hause zu fahren, und so ging ich noch einmal quer durch den Park in Sichtweite von Chainten. Ich spürte ihre Blicke in meinem Rücken. Diese Schwüle und dazu mein pochendes Herz. Alle paar Meter wischte ich mir den Schweiß vom Gesicht. Schließlich lenkte ich meine Schritte nach links. Bis zum Museum waren es schließlich nur noch ein paar Schritte.
Von der Ausstellung habe ich kaum etwas mitbekommen. Auch dass der Schweiß an meinem Körper in den Räumen schnell wieder trocknete, bemerkte ich nicht. Wohin ich auch schaute, überall sah ich nur sie.
Langsam lief ich an den ersten Gemälden vorbei. Nirgendwo blieb mein Blick hängen. Nichts interessierte mich. Ich ging weiter, von einer Sabrina zur nächsten. Doch gegen Ende der Ausstellung fesselte etwas meinen Blick, eine Sitzbank aus Holz. Schlicht mit sanft abgerundeten Kanten.
Sofort sah ich mich und Sabrina auf dieser Bank sitzen, deren Rückenlehne die einzige auffällige Zierde war, dreigeteilt in gekonnter Schnitzarbeit. Es war dieses Bild, das ich mit nach Hause nahm.
*
Zwei Wochen lang gingen wir zu dritt aus, Bettina, Maruhito und ich. Mal trafen wir uns zum Essen in einem netten Restaurant, mal fuhr er uns mit dem Auto aus Tōkyō heraus und wir genossen den Anblick der Berglandschaft, die das Land prägte. Dann kam der Tag, an dem Bettina nicht konnte. Ich wusste, dass dies Maruhitos und mein Schicksalstag werden könnte.
Er rief mich an. Nein, nicht trotzdem, gerade deshalb. Das brauchte er nicht zu sagen. Ich spürte es mit jeder Faser meines Herzens. Den Ausflugsort hatte er sich sehr genau überlegt.
»Was hältst du von einem Besuch bei der Jōmon-Venus?«, fragte er mich.
»Die Jōmon-Venus?« Meine Neugierde war geweckt.
»Das ist eine Tonfigur aus der Mitte der Jōmon-Zeit. Sie ist etwa dreitausend bis zweitausend vor Christus entstanden«, versuchte Maruhito sachlich zu bleiben. Seine Stimme verriet ihn trotzdem.
»Und wo steht sie?«, wollte ich wissen.
»In einem kleinen Museum in Chino, in der Präfektur Nagano.«
»Bei Nagano fällt mir sofort Hakuba ein, wo 1998 die Olympischen Winterspiele stattfanden«, erklärte ich.
»Seit 1995 ist die Jōmon-Venus sogar Nationalschatz«, fuhr er fort. Dann wurde er konkret: »Wie wäre es mit nächstem Sonntag? Ich könnte dich um acht Uhr abholen.«
»Ja gerne, so machen wir das.« Ich freute mich. Ein Tag, den wir in trauter Zweisamkeit verbringen würden.
*
Der Sonntag kam und natürlich war ich superpünktlich. Es war eine weite Fahrt, doch um die Mittagszeit erreichten wir unser Ziel. Wir schauten uns zunächst ein wenig um, dann gingen wir ins Museum, von Vitrine zu Vitrine.
Im zweiten Raum stand sie. Siebenundzwanzig Zentimeter klein, überdimensional starke Ober- und Unterschenkel, zwei winzigkleine spitze Brüste. Dazu trug sie eine Kopfbedeckung, die oben vollständig abgeflacht war. Vielleicht der Vor-Vorläufer der Baskenmütze? Dann wäre Japan schon in grauer Vorzeit Modevorreiter gewesen. Gerade wollte ich Sabrina auf die antike Schönheit einstimmen, da kam aus ihrem zarten Mund ein:
»Was ist das?« Im Takt dazu klirrten die Glasflächen an den Vitrinen.
»Jishin. Ein Erdbeben«, erklärte ich ihr ruhig. Schnell fügte ich hinzu: »Aber kein starkes. Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Woher willst du das wissen?« Ihre Stimme verriet leichte Panik. Wie würde ein deutscher Mann die Dame seines Herzens wohl in so einer Situation beruhigen?
Ich sagte: »Mit den Jahren bekommt man ein Gefühl dafür. Wirklich starke Beben sind zum Glück selten.« Dabei schaute ich ihr unentwegt in ihre wunderschönen Augen und genoss es, dass meine Ruhe sich offenbar auf Sabrina übertrug.
»Ach so. Das war jetzt aber eine Japan-Lektion, die meine Knie hat erzittern lassen.« Nun lächelte sie schon wieder.
Ich wartete noch zwei Minuten. »Siehst du, es hat schon wieder aufgehört.«
Wir blieben noch etwas länger vor der Vitrine stehen. Gerade hatte ich Sabrina die Angst vor dem Erdbeben genommen. Ganz sicher ein Pluspunkt auf ihrem Maruhito-Konto. Für heute hatte ich mir vorgenommen, ihr meine Liebe zu gestehen. Es war schon kurz vor Mittag. Doch bislang hatte ich noch keinen Pieps herausbekommen. Die Jōmon-Venus schien mir zuzuzwinkern: Jetzt oder nie. Und Sabrina schien förmlich auf meine Offenbarung zu warten. Woran machte ich das aus? Egal, wirklich Verliebte spüren so etwas. Bevor mich der Mut wieder verließ, strahlte ich Sabrina an: »Und du bist meine Neuzeit-Venus!«
Ganz sicher hatte sie gespürt, dass mein Herz ein Zögern nicht ausgehalten hätte. Postwendend sagte sie mit ihrer Engelsstimme: »Na hoffentlich gleicht sich mein Körper nicht dieser Skulptur vor uns an«. Ein Lachen nur für mich. »Dann wäre ich ziemlich aus der Mode gefallen.«
Es war so schön. Das Museum war abgelegen. Momentan waren nur wir beide im Raum und bewunderten die jahrtausendealte holzfarbene Tonfigur. Als Antwort auf meine vermutlich ziemlich japanische Liebeserklärung lehnte Sabrina ihren Kopf an meine Schulter. Ich war sehr stolz, dass ich größer war als sie. Die meisten Japanerinnen überragte sie, auch die meisten Männer. Ich schaute mich vorsichtig im Raum um, dann nahm ich allen Mut zusammen und gab Sabrina den ersten Kuss. Ganz schnell, aber nicht flüchtig. Dann flüsterte ich ihr, wieder auf Japanisch, ins Ohr: »Und heute Abend zeige ich dir die Venus am Sternenhimmel. Die heißt auf japanisch Kinsei, Goldstern. Von der Erde aus gesehen ist sie nicht weit vom Mond entfernt und scheint so hell, dass man sie mit bloßem Auge sehen kann.«
Mehr traute ich mich nicht, schlenderte möglichst gelassen zur nächsten Figur. Ich Trottel. Damit war die romantische Stimmung vorüber. Zu allem Überfluss betrat dann auch noch eine japanische Familie den Raum und stellte sich direkt vor die Jōmon-Venus. Pech gehabt.
*
Fortan trafen wir uns in jeder freien Minute. Und die waren gezählt. Die Arbeit hatte uns beide fest im Griff. Mal gingen wir ins Museum, mal ins Kino, mal einfach nur spazieren. Es gab so viele Stellen in Tōkyō, die ich noch nicht kannte.
Mitte September schließlich fuhren wir nach Saitama zum Kinchakuda, das berühmt für seine Higanbana, die Lycoris radiata, ist. Ganze Blütenfelder erfreuten das Auge, unterbrochen von den Bäumen, um die herum sie standen. Blumen ohne Blätter, nur mit Blütenblättern an langen grünen Stengeln.
Wieder mietete Maruhito ein Auto und holte mich ab. Ausflugsziele in und um Tōkyō waren sehr schnell überlaufen. Und so staute es sich schon mehrere Kilometer vor dem Ziel stark. Stop and go. Mir war klar: in Zielnähe hatten wir keine Chance auf einen Parkplatz.
»Bist du einem kleinen Spaziergang nicht abgeneigt? Dann stelle ich den Wagen auf den nächsten öffentlichen Parkplatz und wir laufen den Rest des Weges«, schlug Maruhito vor.
»An allen Autos vorbei?«, wollte ich nur wissen.
»An allen Autos vorbei«, bestätigte er.
Direkt am nächsten Parkplatz stellte er den Wagen ab.
Nach etwa einer dreiviertel Stunde Fußmarsch kamen die ersten Vorboten in Sicht. »Ich sehe schon überall rot«, lachte ich.
Er sagte: »Kein Wunder. Fünf Millionen Blüten sollen es sein.«
»So viele?« Ich konnte es kaum erwarten, in das Blütenmeer einzutauchen.
»Higanbana gibt es auch in weiß, nur hier so gut wie nicht«, erklärte er. »Die heißen übrigens auch Manjushage.«
»Aha, wie Chrysantheme und Asta.« Maruhito wirkte überrascht, vielleicht sogar ein wenig enttäuscht, dass diese doppelte Bennenung von Blumen nichts typisch Japanisches war. Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen, wenigstens nicht so spontan.
Dann kamen wir an den Eingang.
»Fünfhundert Yen Eintritt verlangten sie um die Jahreszeit, ganz schön viel, wenn man bedenkt, dass man dort sonst kostenlos spazierengehen kann«, erklärte Maruhito mir.
Der Bereich war nur für die Blütezeit abgesperrt. Es sah alles etwas provisorisch aus.
Wir begannen sofort zu fotografieren, anfangs die Blumen, dann uns gegenseitig und schließlich ein Selfie zu zweit. Und dann, als wir vor einer der raren Stauden mit weißen Higanbana stehenblieben, fasste er ganz vorsichtig nach meiner Hand. Ich ließ es geschehen. Da drückte er meine Hand noch einmal. Ganz sanft. Ich erwiderte den Druck. Jeder sah den strahlenden Blick des anderen. Es war das Glück pur, das durch unsere Körper rauschte. Offenbar war uns Hotei, die japanische Glücksgottheit, gewogen. Wir liefen ein Stück weiter, hielten inne und lauschten den Zikaden.
Maruhito sagte: »Da, an dem Baumstamm, das ist eine Abura-semi.«
Ich brauchte etwas, bis ich die gut getarnte Zikade auf dem rauen Untergrund ausmachen konnte.
»Mit der Zeit bekommst du einen Blick dafür«, versicherte er.
Ein paar Schritte weiter zeigte er auf viele kleine hellbraune Hüllen an einem Baumstamm in Augenhöhe. »Diese Außenhäute bleiben übrig, wenn eine Nymphe geschlüpft ist. Meist findet man diese Überreste nur einzeln.« Ich neigte den Kopf und genoss es, ihm zuzuhören.
»Zikaden legen ihre Eier auf den Bäumen ab. Von dort fallen sie auf die Erde und gelangen unter die Erde. Erst nach Jahren, bei manchen Arten sind es fünf, bei anderen dreizehn oder sogar siebzehn Jahre, kriechen die Larven wieder an die Oberfläche und krabbeln die Bäume hoch. Dort schlüpfen sie und hinterlassen diese Nukegara.« Ich sog das Glücksgefühl in mich hinein.
Erneut fasste er ganz vorsichtig nach meiner Hand, gerade so, als hätte er immer noch ein wenig Angst, dass ich sie zurückziehen könnte. Ich tat es nicht. Da drückte er meine Hand wieder ganz sanft und ich erwiderte den Druck auch diesmal.
Es wurde Mittagszeit.
»Wo sollen wir essen? Hier an den Ständen, die für die Zeit der Blüte hier stehen, oder sollen wir weiterfahren und uns ein Restaurant suchen?«
Seine Frage beantwortete ich mit einer Gegenfrage: »Was gibt es denn hier? Ein paar Sitzgelegenheiten sind ja vorhanden.«
»Gebratene Soba-Nudeln, und Tako-yaki, Teigbällchen mit Tintenfisch.« Er schaute mich skeptisch an, suchte in meinem Gesicht nach einem Hinweis darauf, ob das nicht vielleicht doch zu japanisch war. Doch ich sagte sofort:
»Oh, Tako-yaki esse ich für mein Leben gern!«
»Dann lass uns eine Portion davon nehmen. Die teilen wir uns, und anschließend gehen wir in ein Restaurant richtig essen. Denn von den Tako-yaki allein wird man nicht wirklich satt«, schlug er vor.
»Super, so machen wir das!«, stimmte ich sofort zu.
Wir mussten eine halbe Stunde anstehen. Der Andrang war riesig. Aber es war aufregend, als wir die Teigbällchen mit Tintenfisch vom selben Plastikteller aßen.
Die Chance dieser guten Stimmung nutzte er und fragte mich, »Was meinst du, ob wir nächstes Wochenende wieder etwas unternehmen sollen?
Mein verliebter Blick war bestimmt schon Zustimmung genug. Trotzdem sagte ich: »Oh, das können wir gerne machen!« Dabei rückte ich ein Stückchen näher an ihn heran.
*
Das Zusammensein mit Sabrina war immer unendlich harmonisch. Meine Gefühle für sie waren so intensiv, sie stellten alles in den Schatten, was ich bis dahin erlebt hatte. Und ich war mir sicher, dass auch sie dieselben starken Gefühle für mich hegte. Sabrina war die erste Frau, bei der ich an Heirat dachte, gestand ich mir ein. So besonders war sie für mich. Wir kannten uns erst gut vier Monate, doch ich, sonst stets der Zögerer, war mir meiner Gefühle für sie absolut sicher.
Und auch ihrer Gefühle für mich.
Dann mache ich nun Nägel mit Köpfen, beschloss ich und sah mich noch am selben Tag bei einem Juwelier um. Dem Preisschild war zu entnehmen, dass es sich um einen Aktionspreis handelte. Das erleichterte mir die Entscheidung.
Sorgfältig wählte ich das Datum aus. Der 25. Dezember sollte unser Tag werden. Gut vorbereitet kam ich zu unserem Date. Im Restaurant wollten wir ein köstliches Abendessen genießen. Das Besondere an dem Restaurant ist, dass es sich ganz langsam dreht, so dass die Aussicht sich ständig ändert, ein dreihundertsechzig-Grad-Panorama um den Bahnhof Tōkyō. Sabrina war begeistert, das Essen ein Gedicht. Genüsslich schleckte sie sich die Lippen. Und ich fragte mich, ob das eine deutsche Manier war oder eine eindeutige Aufforderung.
Ich wartete bis zum Dessert, dann zückte ich den Ring und überreichte ihn ihr.
»Dieses Dunkelblau. Und dieser Schliff! Ist das ein Saphir?«, fragte sie und hielt den Atem an.
»Ja, aus Tansania«, sagte ich während ich ihr den Ring auf den Finger schob.
Sie strahlte mich an.
Ehe ein falsches Wort die Atmosphäre stören konnte, stellte ich die alles entscheidende Frage: »Willst du mich heiraten?«
Sabrina blickte abwechselnd auf den Ring und auf mich. Ich wollte kein Schweigen aufkommen lassen und sagte: »Ich weiß, wir kennen uns noch nicht so lange. Aber ich bin mir meiner Gefühle für dich ganz sicher.« Zunächst sagte sie nichts. Sie lächelte nur ihr einmaliges Lächeln.
Dann hauchte sie »Ja, ich will dich heiraten.« Dabei stand sie auf und beugte sich über den Tisch, wobei sie ihren Mund spitzte.
Oh Mann, war mir das peinlich. Ich spürte richtig, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Ich stammelte nur: »Aber doch nicht hier vor allen Leuten!«
Was war ich froh, dass sie sich einfach wieder setzte und nur leise lachte: »Das wird ja eine gute Ehe, wenn wir uns schon bei dem Verlobungskuss nicht einig sind!« Und nach einer kleinen Pause fügte sie sanft hinzu: »Das ist das schönste Weihnachten meines Lebens.« Dann machte sie eine kleine Kunstpause. »Übrigens ist in Deutschland der Hauptevent zu Weihnachten der 24. Dezember, Heiligabend.«
Au weia. Das war gestern. Wirklich unglaublich. Kaum hatte ich den Mund aufgemacht, da kritisierte meine Zukünftige an mir herum. Zum Glück hatte ich schon genug deutsche Firmenkontakte, so dass ich das nicht persönlich nahm. Ihre Reaktion löste umgekehrt meine Zunge. »Na, Hauptsache, unsere Körper schütten genug von dem Hormon Oxytocin aus«, sagte ich.
»Was meinst du denn damit?«, wollte sie wissen.
»Das ist das Hormon, das bei Mensch und Tier bewirkt, dass sie sich dem Partner und Kindern besonders zuneigen.«
»So ähnlich wie Dopamin?«
»Noch viel stärker als das Glückshormon!«
»Dann auf das Beziehungshormon!« Damit hob, nun meine, Sabrina ihr Weinglas und prostete mir zu. Wir stießen an, ganz vorsichtig: »Kampai! Auf uns!«, sagten wir fast gleichzeitig. Alles verlief so harmonisch zwischen uns. Nicht die kleinste Unstimmigkeit. Wir werden ein Traumpaar, das war mir in diesem Moment klar.
*
»Ach Sabi, ich bin doch nicht dagegen, dass du heiratest«, sagte meine Mutter nun schon zum xten Mal.
»Aber es klingt so, Muttchen«, insistierte ich.
»Ich sage doch nur, du kennst diesen Maruhito O … Wie war noch gleich sein Nachname?«
»Obihara.«
»Also, diesen Maruhito Obihara doch noch gar nicht. Ihr geht doch erst ein paar Wochen miteinander aus. Natürlich mache ich mir da Sorgen. Große sogar. Und in Japan soll doch alles so anders sein.«
»Aber ihr kommt doch zur Hochzeit?«, bog ich die weitere Diskussion ab.
»Na klar. Aber lieber erst nächstes Jahr oder so.«
»Na also. Nun lachst du schon wieder«, stellte ich befreit fest. »Das ist halt so bei Liebe auf den ersten Blick. Wie war das eigentlich bei Paps und dir? Auf den wievielten Blick hat es bei euch gefunkt?« Ich hoffte, meine Mutter damit ein wenig in die Defensive drängen zu können.
»Wir kannten uns schon etwa zwei Jahre. Also lange genug, dass wir uns sicher sein konnten, ein Leben lang miteinander gut auszukommen.«
»Bist du eigentlich immer noch verliebt in Paps? Und er in dich?«
»Ich glaube schon. Aber wir haben einander auf Herz und Nieren geprüft, bevor wir uns das Ja-Wort gegeben haben.« Meine Mutter konnte wirklich beharrlich sein.
»Und? Haben wir trotzdem euren Segen?«
»Ach mein Kind.«
»???« Meine Frage stand unüberhörbar im Raum.
»Natürlich wünschen wir euch alles Gute, auch wenn ihr alles so überstürzt. Du bist doch nicht schwanger, oder?«
Was für ein Gedankensprung! »Nein, nein. Mit Enkelkindern hat unsere Entscheidung nichts zu tun. – Aber schön, dass du wieder lachen kannst.«
Wir redeten noch eine Weile über Gott und die Welt und in mir machte sich Unruhe breit. Meine Mutter hatte gesprochen wie eine Kassandra. Bisher hatte sie immer Recht behalten. An dem Tag, als mein Vater den schweren Unfall hatte, hatte sie ihn nicht aus dem Haus gehen lassen wollen, als ihre Mutter starb, hatte sie sie spontan besucht und gefunden, und und und. Aber mein Maruhito? Nein, sie musste sich irren.
*
Schon am darauffolgenden Wochenende begannen wir mit den Hochzeitsvorbereitungen. Ich konnte es kaum erwarten, war der glücklichste Mann der Welt. Alles in mir war beseelt von dem Wunsch, diesen blonden Engel für den Rest meines Lebens an mich zu binden.
Und dann – endlich, am 29. Mai - die Hochzeitsfeier. Ich konnte das Ende kaum erwarten. Dann würde ich Sabrina über die Schwelle zu unserer gemeinsamen Wohnung tragen. Ganz wie im traditionellen Deutschland. Ich hatte heimlich Gewichte stemmen geübt, damit ich meine schwere deutsche Frau mit meinen zarten japanischen Armen souverän hochheben konnte. Zum Glück hatte sie nur Kleidergröße 38. Und dann das. Mitten im schönsten Moment unserer Hochzeitsfeier diese Demütigung. Immer wieder fragte ich mich, wer steckt dahinter? Wer? Wen hatte ich mir zum Feind gemacht? Wer hatte die süffisanten Fotos von Sabrina vor der Hochzeitsgesellschaft enthüllt? Niemandem in meinem Bekanntenkreis traute ich solch eine Tat zu. Wieder und wieder stellte ich sogar Überlegungen an, ob das gar nicht mir gegolten haben könnte. Dann hätte ich eine Frau geheiratet, die einen Feind mit in die Ehe gebracht hat. Aber nein, Sabrina versicherte mir immer wieder, sie wüsste nicht, wer aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis zu so etwas fähig sein könnte.
Das Bild vor meinem inneren Auge wollte nicht weichen. Stets driftete es zu dem Nakōdo ab, wie er die Taste drückte. Und dazu die Reaktionen aus dem Publikum:
»Ehhh!?!« »Waaas!?!« »Unglaublich!« »Igitt!«
Dazu die verzweifelten Worte Sabrinas: »Das bin nicht ich. Das ist nur mein Kopf. Den Mann neben mir im Bett, den kenne ich nicht.«
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Dann kam mein Schwiegervater und stellte ganz souverän den Apparat aus. Er blickte einmal streng in die Runde, dann ging die Feier weiter, als wäre nichts gewesen.
Ich grübelte seither täglich, wie konnte so etwas möglich sein. Das hätten die Veranstalter im Vorfeld feststellen müssen. So ein Foto, das hätten sie doch nicht zeigen dürfen. Irgendeinem hätte es verdammt noch einmal auffallen müssen!
*
Vollkommen irritiert wiederholte ich Maruhitos Worte, wie ein Papagei: »Ich habe beschlossen, wir kaufen uns ein Haus.«
»Ja, aber, wir sind doch gerade erst hier in diese Wohnung eingezogen«, widersprach ich sofort, als die Bedeutung seiner Worte mein Gehirn erreicht hatten.
Doch statt einer Erklärung bekräftigte Maruhito nur »Ja. Das habe ich so beschlossen.«
Oh nein, bitte nicht. Ein handfester Ehekrach direkt nach der Hochzeit. Ganz vorsichtig und mit dem zartesten Lächeln zu dem ich in dem Moment fähig war, fragte ich, »Wann hast du das beschlossen? Wir haben doch gestern erst geheiratet.«
Statt einer Antwort sagte Maruhito nur: »Ich dachte, du freust dich darüber.«
Da kam mir der Gedanke, dass mein Mann womöglich aus dieser Wohnung fliehen wollte. Schließlich sprach er pausenlos von den Ereignissen auf der Hochzeitsfeier. Meine verhaltene Reaktion war offenbar nicht in seinem Sinne. Aber hatte er wirklich Begeisterung erwartet? Hätte ich ihm etwa um den Hals fallen sollte? Mein fragender Blick fixierte seine Lippen. Und so erklärte er:
»Die Miete ist zu teuer und in Japan geht der Mietvertrag nur über zwei Jahre, dann werden bei der Verlängerung wieder Zusatzgebühren an den Vermieter fällig. Da finde ich, rechnet sich ein Haus eher.«
»Und wenn wir es uns eines Tages anders überlegen, können wir es ja weiterverkaufen«, sagte ich, immer noch um jeden Preis den Kollisionskurs vermeidend. Doch mein Bemühen kam nicht rüber.
»Das ist ein zu großer Verlust«, wehrte Maruhito den Gedanken sofort ab.
»Wie? Das leuchtet mir nicht ein«, wunderte ich mich.
»Mit jedem Jahr verliert ein Haus an Wert. Auch die Mieten fallen, wenn ein Haus älter wird.«
»Aha.« Nach einer kurzen Pause meinte ich dann, immer noch nur halbherzig: »Nun ja, wir sind zwei Verdiener, da bekommen wir bestimmt einen Kredit.«
»Na klar, die Immobilienfirma hat bestimmt einen Vertrag mit einer Bank«, sagte mein frisch angetrauter Ehemann.
Ich horchte auf. »Servicegesellschaft Japan«, lachte ich dann. »Auf was für Dinge muss ich mich noch einstellen?«, schob ich vorsichtshalber nach, nicht dass Maruhito etwa meinte, ich sei Feuer und Flamme.
»Für den Vertrag zum Hauskauf brauchen wir einen besonderen Stempel. Den muss man eintragen lassen und dann hüten wie seinen Augapfel. So sagt ihr doch, oder?«
Was für eine fremde Welt. Ich nickte bedächtig. Stempelgesellschaft Japan. »Und wenn der Stempel in falsche Hände gerät, ist das Haus futsch«, schlussfolgerte ich im nächsten Moment laut. Sofort änderte sich Maruhitos Gesichtsausdruck.
»Das darf nicht passieren. Du darfst niemals jemandem verraten, wo du diesen Stempel versteckt hältst.«
Ich nickte nur und dachte: Bankschließfach. Wenn es das ganze Land so handhabt, wird schon nichts passieren, beruhigte ich mich selber und sagte nur: »Versprichst du mir etwas?«
»Was immer du willst!« Nun lachte Maruhito wieder -endlich!
»Erklärst du mir immer die Andersartigkeit der Sitten? Gerade habe ich nämlich verstanden, dass ich ohne dich hierzulande aufgeschmissen bin.«
»Wenn es mehr nicht ist«, versprach mir mein japanischer Ehemann, fügte aber sofort verschmitzt hinzu: »Aber nur unter einer Bedingung.«
Ich bekam große Ohren. »Und die wäre?«
»Dass wir zu Hause weiterhin immer Japanisch miteinander sprechen.«
Nun war es an mir, befreit zu lachen. Es gab nichts, was mich an seinen Worten zweifeln ließ.
*
Nachdem Sabrina mir zugestimmt hatte, legte sich meine innere Panik etwas. Ich war auf der Flucht, gestand ich mir ein. Auf der Flucht vor dem großen Unbekannten, der mich bis auf meine Hochzeitsfeier verfolgt hatte.
Die nächsten Wochenenden verbrachten wir mit der Suche nach einem Eigenheim. Einigermaßen zentral sollte es auch sein. Bei unserer Preisvorstellung war die Auswahl nicht allzu groß.
Makler, auch für gebrauchte Immobilien, gibt es in Tōkyō wie Sand am Meer. Und so wurden wir überraschend schnell fündig. Schließlich einigten wir uns auf einen Termin zur gesetzlich vorgeschriebenen zweistündigen Vertragserläuterung und bei der Gelegenheit drückten wir unsere Stempel auf den Vertrag. Was für mich selbstverständlich war, überraschte Sabrina aufs Äußerste: Die Immobilienfirma übernahm alles. Für den Gang zum Grundbuchamt hatte sie jemanden an der Hand, der die Eintragung organisierte. Und sie überwachte den Eingang der Zahlung des Käufers. Nach exakt drei Monaten war es dann soweit, die Schlüssel wurden uns übergeben.
*
Mann, ging das schnell. Kaum hatten wir geheiratet, da nannten wir schon ein kleines Häuschen unser eigen. Schlüsselfertig, wie landesüblich. Wir mussten nur noch unsere Sachen einräumen. Der Umzug fand an einem Sonntag statt. Japanischer ging es nicht. Ich stand vor dem Einbauschrank in meinem Zimmer und räumte die Umzugskartons aus. Wo sollte ich den Vertrag am besten unterbringen? – Eine Viertelstunde stand ich unentschlossen vor dem Schrank, dann glitten meine Gedanken zu der nächsten Aufgabe.
Unser Häuschen hatte zwar keinen Garten, doch vor dem Haus, den kleinen Streifen, den könnten wir begrünen. Dort hatte die Baufirma zwar bereits ein paar Sträucher gepflanzt, die gepflegt werden wollten, aber ich war ganz wild darauf, unserem Minigärtchen meinen persönlichen Stempel aufzudrücken.
»Am besten pflanzen wir noch ein paar Blümchen dazu, damit in jeder Jahreszeit etwas blüht. Was meinst du?«, schlug ich Maruhito vor, der plötzlich vor mir stand.
»Das ist eine gute Idee! Du bist bei uns die Blumenfee. Ich lasse dir da freie Hand.«
»Blumenfee? Vor nicht allzu langer Zeit hast du mich als deine Venus bezeichnet. Habe ich jetzt Karriere gemacht? In deinem Herzen meine ich.«
Mein treuherziger Blick bewirkte, dass Maruhito wieder so richtig schön verlegen wirkte. Solche Art der Konversation war er ganz offensichtlich nicht gewöhnt. »Blumenfee« wiederholte er und grinste dabei verschmitzt.
»Na, hoffentlich werde ich nicht unsichtbar«, lachte ich. Dann kam mir ein anderer Gedanke. Ob das seine Übersetzung aus dem Japanischen war? In Japan bezeichnete man die frisch verheiratete Frau als Hanayome. Hana war die Blume und Yome die Braut. Was für ein süßes Wortspiel hatte Maruhito sich da ausgedacht. Extra für mich.
*
»Was meinst du, was sollen wir den Nachbarn als Einstandsgeschenk kaufen?«
»Als Einstandsgeschenk? Nicht nur ein paar Blümchen?«, entgegnete Sabrina.
»In Japan schenkt man, wenn man umzieht, den neuen Nachbarn eine Kleinigkeit, zum Beispiel ein kleines Handtuch oder etwas Essbares, Tee oder Ähnliches.«
»Das ist ja eine nette Geste. Und wie viele Nachbarn werden damit bedacht?«
»Nur die direkten, also die rechts und links und die drei Parteien gegenüber.«
»Die von gegenüber auch? Das ist ja interessant.« Dann überlegte sie: »Hmmm. Was sollen wir ihnen schenken?«
»Ich persönlich ziehe Lebensmittel vor«, half ich ihr ein wenig.
»Wie wäre es mit schwarzem Tee?«, kam der Vorschlag von Sabrina. »Vielleicht finden wir ja ostfriesischen. Ihr Japaner liebt es doch, Geschenke aus der Heimat zu machen.«
Die Idee gefiel mir. »Dann treffen wir uns morgen nach der Arbeit im Kaufhaus Momoya. Zünftig eingepackt sollte das Geschenk nämlich auch sein.«
Damit regte ich ihre Japanbegeisterung an. »Oh ja, ihr Japaner legt sehr viel Wert auf Verpackungen. Ihr seid darin wahre Weltmeister.«
Ihre Worte zauberten ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich wusste, das liebte sie an mir. Wobei ich hoffte, dass sie nicht allzu enttäuscht sein würde, wenn sie eines Tages den Unterschied zwischen tatemae, also den nur vorgetäuschten Gefühlen und honne, den ehrlich gemeinten, erkannte. Manch ein Ausländer war schon an dieser Erkenntnis gescheitert. Und natürlich hoffte ich, dass sie merkte, dass ihre Begeisterung für Japan mich glücklich machte.
»Zum Haus hätte ich noch eine Idee«, fuhr Sabrina fort. »Wir könnten die Fenster verspiegeln lassen. Das ersetzt die Gardinen. Wo wir doch im Wohnzimmer bodentiefe Fenster haben.«
»Keine Gardinen? Das ist für mich gewöhnungsbedürftig«, entgegnete ich, der den Begriff interkulturelle Andersartigkeit bisher nur als Fremdwort kannte. Ich hatte zuvor in einer Mietwohnung mit ausschließlich matten Fensterscheiben gewohnt. Sabrinas Kommentar dazu: »Wie im Gefängnis!«
»So verhindern wir Nachbarschaftskonflikte«, hatte ich ihr erklärt.
»Wie meinst du das? Gibt es hier so viele Leute, die verdächtig herumschleichen?«, hatte sie sofort wissen wollen.
Nun war ich derjenige gewesen, der nicht mehr wechseln konnte. »Nein, nein, so ist es nun auch wieder nicht«, hatte ich gestammelt.
Daran musste ich jetzt denken und lächelte stumm vor mich hin.
Meine mangelnde Gegenrede verstand Sabrina in ihrem Sinn und rief, natürlich für meine japanischen Ohren ein wenig zu laut: »Du bist ein Schatz.« Zum Glück sagte sie es auf Deutsch, wäre auf Japanisch auch schlecht möglich gewesen, wir bezeichnen unsere Lieben nicht als Schätze. Und Gefühlsausbrüche wie diesen, den ich dann erlebte, sind uns ebenfalls fremd. Als ihre Arme mich wieder freigaben, sagte sie: »Dann schlage ich vor, das Fenster zu meinem Zimmer, dein Arbeitszimmer und die Wohnzimmerfenster mit Spiegelfolie bekleben zu lassen. Mein Fenster zeigt ja auf die Straße, das kleine Fenster im Wohnzimmer auch, das große zeigt auf das freie Feld direkt hinter dem Haus.« Sabrina war gar nicht mehr zu bremsen.
»Ob das Mehrfamilienhaus neben uns schon älter ist? Sieht zwar frisch gestrichen aus, aber das Schild »Zu vermieten« ist schon ziemlich ramponiert.«
»Es ist garantiert schon älter. Zwei Parteien haben die Waschmaschine noch neben dem Eingang stehen«, erklärte ich.
»Warum das?«
Sabrina war so bezaubernd, wenn ihre Grübchen um den Mund Unverständnis zeigten.
»Die Wohnungen waren zu klein, da nimmt eine Waschmaschine zu viel Platz weg.«
»Wow. Da hätte ich ständig Angst, dass sie geklaut wird«, lachte Sabrina.
»Das kam wohl nicht vor. - Früher war dies hier übrigens einmal Großgrundbesitz. – Hier, diese Karte war letztens in der Zeitung.«
Sofort beugte Sabrina sich darüber. Ihre langen Haare schob ich sanft von der Karte. Der Duft ihres Shampoos aus Deutschland war betörend. Zart strich ich ihr über den schlanken Rücken bis zum Po.
»Doch nicht jetzt«, stupste sie meine Hand verspielt beiseite.
»Ja, und damit stirbt allmählich die Landwirtschaft in Tōkyō aus«, wurde ich wieder sachlich.
»Schade, gerade das ist etwas, das Tōkyō von anderen Metropolen unterscheidet«, sagte sie.
»Zudem baut man hier jetzt auch richtige Hochhäuser. Regelrechte Wolkenkratzer.«
»Ob die wohl wirklich einem starken Erdbeben standhalten?« Sabrina schaute mich zweifelnd an.
»Ja, die Erdbebentechnik soll inzwischen so weit fortgeschritten sein, dass solche Bauten genehmigt werden.«
Sabrina schaute mich traurig an. Ich wollte sie trösten und wusste dennoch, dass es nicht originell war: »So ist nun einmal der Lauf der Welt.«
*
Am Tag nach dem Umzug bewaffneten wir uns mit dem Ostfriesentee, der nett verpackt in einer kleinen Papiertragetasche steckte, und stellten uns den Nachbarn vor. Eine gute Nachbarschaft war uns wichtig.
»Wenn wir uns mit den Nachbarn gut stellen, können wir auch Blumen im Haus haben«, freute ich mich, als wir wieder in unserem Wohnzimmer standen. »Wir geben dann einfach den Nachbarn den Schlüssel, wenn wir wegfahren.«
Maruhitos Kopf flog in meine Richtung. Er klappte den Mund auf und wieder zu, und das zweimal hintereinander. Dabei machte er ein Gesicht, das mich zum Lachen reizte.
»Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, wollte ich wissen.
»Das macht man in Japan nicht. Man gibt fremden Leuten nicht den Haustürschlüssel.«
»Oh, das überrascht mich.« Sofort verging mir das Lachen. »In Deutschland ist das vollkommen normal«, sagte ich wie zur Entschuldigung.
»Das überrascht mich jetzt«, erwiderte Maruhito.
Nun mussten wir beide lachen. Weil er aber immer noch einen undefinierbaren Gesichtsausdruck zeigte, fasste ich ihn einmal an den Händen und zog ihn tanzend im Kreis herum. Ich wusste, dass meine langen blonden Haare dabei wild fliegen würden, und ich wusste, dass Maruhito das sehr liebte. Schließlich waren wir beide ganz außer Atem. Dann lagen wir uns in den Armen. Das Leben konnte so schön sein!
*
Trautes Heim, Glück allein. Doch dieses unbeschwerte Glück sollte nicht lange währen. Schon zwei Wochen nach unserem Einzug machte ich eine Beobachtung. Sofort rief ich den Mann, von dem ich sicher war, wir würden für den Rest unseres Lebens an einem Strang ziehen.
»Maruhito-san, sieh doch einmal aus dem Fenster. Da steht schon wieder diese Frau. Gestern und vorgestern war sie auch da. Ich glaube, sie beobachtet uns.«
Wie ich es erwartete hatte, folgte Maruhitos Blick meinem Zeigefinger. Er blickte aus dem Fenster und - zuckte sichtlich zusammen. Ich beobachtete nun meinen Mann, wie er offenbar nach Worten rang. Ich wartete ab. Mit jeder Sekunde wuchs meine Anspannung. Schließlich sagte Maruhito: »Kümmere dich nicht weiter um sie.«
Überrascht schaute ich ihn an. »Sie will aber von allen gesehen werden, so wie sie dort steht. Sie verhält sich komisch. Gestern stand sie sogar im strömenden Regen dort.« Dann kam mir eine Eingebung. »Oder kennst du sie?«
Statt einer Antwort schaute Maruhito wie gebannt weiter nach draußen. Er taxierte die Frau regelrecht.
»Nun sag schon, kennst du sie?«
Maruhito druckste herum.
»Kennst du sie?«, wiederholte ich meine Frage ein weiteres Mal, diesmal mit Nachdruck.
»Wenn du mich so fragst, ja.« Ich dachte, ich höre nicht richtig.
»Woher denn?«, wollte ich sofort wissen.
»Wir waren befreundet, bevor wir beiden uns kennengelernt haben.«
Nein! Maruhito kannte diese Frau nicht nur, er war … Meine Gedanken wechselten in Kapriolen.
»Willst du damit sagen, ich habe dich ihr ausgespannt?«, fragte ich nach.
»Ja, so kann man das wohl ausdrücken.«
»Aber davon hast du mir nie etwas gesagt!« Meine Stimme überschlug sich.
»Sie hat sich ja bisher auch nicht komisch verhalten. Sie ist für mich Vergangenheit.«
»Aber diese Frau da draußen, die ist Gegenwart.«
»Nun werde doch nicht gleich ironisch. Das kann ich überhaupt nicht gut ab.« Der Unterton in der Stimme meines Mannes sagte mir, dass ich zu deutsch reagiert hatte.
»Diese Frau ist passé für mich. Das ist wirklich so. Das musst du mir glauben.«
Sein Blick. So ein typisch japanisches Pokerface. Undurchdringlich. Und doch spürte ich seine innere Anspannung. Ich hatte keine Worte. Nur um irgendeine Reaktion zu zeigen, nickte ich bedächtig. Ich glaubte ihm. Diese Frau war für ihn Vergangenheit.
*
Soweit war ich bei der Wahrheit geblieben. Doch verschwieg ich Sabrina, dass ich erst Schluss gemacht hatte, als der Heiratstermin mit ihr bereits feststand. Immer wieder hatte ich ihretwegen meiner Ex abgesagt, obwohl ich ihre Eifersucht fürchtete wie die Christenwelt den Teufel. In mir machten sich Schuldgefühle breit. Vielleicht haben wir doch zu überstürzt ein Haus gekauft, vielleicht hätte ich den Ärger voraussehen und die Heirat mit Sabrina verschieben sollen. Hätte, hätte, hätte. Doch nun war es zu spät. Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen.
Sie glaubte mir. Und dennoch rutschte es ihr heraus: »Na, und warum hat sie dann in Erfahrung gebracht, wo du wohnst und zeigt sich mir?« Erschrocken drosselte Sabrina ihre Stimme. Trotzdem klang sie noch nicht wieder neutral. Sie wollte offenbar keinen Streit. Das war gut so. Noch nie hatten wir gestritten. Wir waren jung verheiratet und verliebt. Das durfte sich nicht ändern. Ich zwang mich zu einem Lächeln.
»Das weiß ich auch nicht. Aber das mit ihr war nichts Ernstes. Ich habe sie noch nicht einmal meinen Eltern vorgestellt.« Sofort ging Sabrina darauf ein und wollte wissen:
»Hat sie dich denn ihren Eltern vorgestellt?«
Hoffentlich würde die Wahrheit nicht zu einem Problem.
»Nein, die waren schon tot, bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, sagte ich.
»Hmmm. Willst du einmal rausgehen und mit ihr sprechen?«
Ich schüttelte den Kopf. Was hätte ich auch sagen sollen? Sie machte ja nichts. Sie stand nur auf einer öffentlichen Straße. Ich hoffte inständig, dass sie es dabei belassen würde.
Meinen mangelnden Tatendrang nahm Sabrina zum Anlass sich anzubieten. »Oder soll ich mit ihr sprechen?«
Ruckartig löste ich den Blick von meiner Ex und starrte Sabrina an. Doch ihre Stimme hatte die gewohnte Neutralität wiedererlangt. Innerlich atmete ich auf. Dann schaute Sabrina mich direkt an. Erwartung, aber auch ein wenig Kampfeslust lagen in diesem Blick.
Am liebsten wäre ich in ein anderes Zimmer gelaufen. Aber ich hielt diesem Blick stand. Vermutlich deshalb begann Sabrina wieder zu lächeln. Auch ich lächelte versöhnlich, froh, dass Sabrina mir keine Szene machte. Ich hatte schon viel von dem Temperament gehört, das deutsche Frauen beim Streiten entwickeln sollen.
Ich nahm den Faden wieder auf und sagte, »Nein, noch sprich bitte auch du nicht mit ihr. Wir warten erst einmal ab. Vielleicht kommt sie ja nicht wieder.« Ich hoffte, dass Sabrina Ruhe gab. Sofort hatte ich die Szene vor Augen, als ich zwei Mal hintereinander verspätet zu meiner Ex kam. Kaum hatte sie mir aufgemacht, kippte sie mir noch heißen Tee ins Gesicht.
»Was …?«, mehr bekam ich nicht heraus. Da hielt sie mir auch schon den Mund zu. Im nächsten Moment fuhr sie mit Aloe-Extrakt über mein Gesicht, damit nicht etwa Brandblasen zurückblieben. In Wut war sie vollkommen unberechenbar. Also lieber zunächst passiv bleiben.
»Wie gut, dass wir unsere Telefonnummer für das Festnetztelefon nicht im Telefonverzeichnis haben eintragen lassen. Mir ist ihr Verhalten jedenfalls nicht geheuer«, holte Sabrina mich in die Gegenwart zurück.
»Meine Handynummer hat sie zwar, die hat sich ja nicht geändert, bislang hat sie sich aber nicht gemeldet. Wie gesagt, ich denke, wir sollten sie einfach ignorieren.« Ich sagte dies so ruhig wie möglich. In Wahrheit hatte mich eine innere Unruhe gepackt.
»Dann hoffe ich einmal, dass du recht behältst.« Sabrina schaute noch einmal aus dem Fenster und erneut öffnete sich ihr Mund: »Dieser Gesichtsausdruck, den die Frau draufhat!«
Im Sprechen riss sie ihren Blick endgültig los, nahm ihre Tasche und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Seit wir geheiratet hatten, unterrichtete sie Deutsch an einer Universität in Tōkyō. Dorthin fuhr sie eine Stunde mit der Bahn und brauchte noch nicht einmal umzusteigen. Für Tōkyōter Verhältnisse der reinste Luxus.
Obwohl sie jetzt nicht mehr zu sehen war, sah ich meine Ex immer noch vor mir. Sie hatte jetzt die Haare abgeschnitten. Stand ihr gut, fand ich. Aber das würde ich niemals über die Lippen bringen. Und ihre Kleidung. Vom Nobelsten. Sogar die Brille sah aus, als wäre sie mit Diamanten besetzt. Das war früher anders gewesen. Wollte sie mir damit etwas sagen?
*
Als ich aus dem Haus ging, winkte ich noch einmal Maruhito hinter dem verspiegelten Fenster zu. Ich war sicher, dass er noch dort stand. Ob er zurückwinkte, konnte ich natürlich nicht sehen. Mein Herz klopfte schneller bei dem Gedanken, direkt an dieser Frau vorbeigehen zu müssen. Ich würde sie ignorieren. Zeit, sich mit ihr auseinanderzusetzen, hatte ich jetzt ohnehin nicht. Ich musste meine Bahn bekommen. Auch als ich schon um die nächste Ecke gebogen war, drehte ich mich immer wieder um und hielt Ausschau nach dieser Frau. Was sollte ich tun, wenn ich auf sie stieß? Ich spielte in Gedanken verschiedene Szenarien durch. Hoffentlich begegnete ich ihr nicht. Ich schickte erneut ein Stoßgebet zum Himmel und hatte Glück. Maruhitos Ex war wie vom Erdboden verschluckt.
Eigentlich hätte mich das beruhigen müssen, stattdessen schaute ich mich ständig um. Wohin war diese Frau wohl verschwunden? Ob sie jetzt wieder vor unserem Haus stand? Ob Maruhito wohl jetzt mit ihr sprach? Andererseits muss er auch gleich zur Arbeit. Aber nein, er hatte sich doch heute einen Tag frei genommen. Das war jedoch, bevor wir die Frau gesehen hatten. Oder, kam mir ein neuer Gedanke, hatte er diese Frau bereits vor mir entdeckt und sich deshalb frei genommen? Nein, das hätte er mir gesagt, sagte ich mir, entsetzt von meinen Gedanken.
*
Als Sabrina das Haus verlassen hatte, begann ich mit der Hausarbeit. Ich wusste, dass meine Frau das nicht als selbstverständlich ansah, sondern als ein Zeichen meiner Sympathie und Liebe für sie. Ich betrachtete unser Hochzeitsfoto und merkte, wie meine Gesichtszüge weicher wurden. Sabrina hatte darauf bestanden, dass wir es eingerahmt auf die Anrichte stellten. Ich empfand das als Gefühlsduselei, doch meine Frau ließ sich nicht davon abbringen. Und nun stand ich just vor diesem Foto und meine Gedanken begannen abzuschweifen, zurück zu meiner Ex-Freundin, nein Verlobten. Was wollte sie von mir? Ich schüttelte mich leicht, so als ob ich damit die unliebsamen Gedanken fortschütteln könnte, und räumte den Abfall zusammen. In Plastiktüten brachte ich ihn an die Straßenecke zum Müllplatz. Dienstags und freitags wurde der brennbare abgeholt. Die Nachbarn hatten bereits ihren Abfall dort deponiert. Diese Woche waren Sabrina und ich an der Reihe und mussten den Gomiba nach der Abfuhr reinigen. Normalerweise machte das Sabrina, doch heute, da ich frei hatte, würde ich das übernehmen. Insbesondere die Nachbarinnen achteten sehr streng darauf, dass alle in der kleinen Straße ihrer Reinigungspflicht nachkamen. War eine nachlässig, hängten sie das Krähennetz schief über die Mülltüten, um ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen. Und ohne solch ein stabiles Netz zerfledderten die bösen Raben die Mülltüten auf der Suche nach Essensresten ihrer menschlichen Zeitgenossen.
Bevor ich ins Haus ging, schaute ich an der Kreuzung noch einmal die Straße hinauf und hinunter. Ich atmete tief durch und dachte: die kommt garantiert wieder, und genauso zweifellos wieder bis an unser Haus. Ich konnte nur hoffen, dass meine Sabrina es locker nahm. Warum tauchte meine Ex gerade jetzt auf, jetzt, wo Sabrina und ich die ersten Nachbarschaftskontakte geknüpft hatten? Wieder schüttelte ich mich, ging ins Haus. Ich brauchte Abwechslung und stellte das Radio an.
… meine Tochter traute sich noch nicht einmal mehr, ihre Wäsche auf dem Balkon aufzuhängen. Verzweifeltes Schluchzen war zu hören. Meine Kleine, wofür hat sie bloß ständig Anzeige erstattet? Trotzdem haben sie ihr nicht geholfen. Tot ist sie. Mausetot. Und wieder nur Schluchzen. Endlich schärfere Gesetze gegen Stalking. Dann wäre der Tod meiner Tochter wenigstens nicht umsonst.
Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen. Ich suchte einen anderen Sender. Umweltpolitik.
*
Endlich am Bahnhof, oh, der Zug wartete schon. Ein Blick auf die Anzeigetafel. Doch, es war der richtige, der um acht Uhr drei. Kaum zu glauben, dass ich den noch erreicht hatte. Ich spürte Blicke in meinem Rücken. Unwillkürlich schaute ich mich auf dem Bahnsteig um. Keine Ex zu sehen. Ob sie wohl noch vor unserem Haus herumlungerte? Maruhito war allein zu Hause. Ob er doch mit ihr sprach? Dieser Gedanke wollte sich diesmal nicht verdrängen lassen. Rasch zog ich mein Handy aus der Tasche und tippte mit zitternden Fingern: »Ist die Frau noch da? Schau doch bitte nach, es lässt mir keine Ruhe. Ich habe sie auf dem Weg zum Bahnhof nicht gesehen.«
»Nein, sie ist weg«, kam postwendend die Antwort.
»Vielleicht kannst du ja im Laufe des Tages checken, ob sie da ist. Ich habe ein komisches Bauchgefühl.«
»Alles klar. Mach dir keine Sorgen.«
Schnell zog ich mein Deutschbuch aus der Tasche und ging in Gedanken den Unterrichtsablauf der ersten Stunde am Morgen noch einmal durch.
*
Aus der Deckung heraus beobachtete ich, wie die Frau, die mir meinen Zukünftigen weggeschnappt hatte, in die Bahn stieg.
Die Bahn fuhr an und ich wusste, ich konnte wieder unter der Treppe hervorkommen. Zum Glück hatten wir in der Firma Gleitzeit, so dass ich morgens zeitlich relativ ungebunden war. Hauptsache, ich war bis zehn Uhr an der Stechuhr.
In Shinjuku stieg ich um.
Auf dem Weg zu meiner Firma lief die Zeit mit Maruhito noch einmal vor meinem inneren Auge ab. Die Minuten, als er den Schlussstrich zog, ließen mich nicht los. »Ich heirate eine andere«, hatte er gesagt. Einfach so, ganz lapidar. Keinen Moment hatte er auf meine Gefühle Rücksicht genommen. Zunächst hatte ich das für eine dumme Laune gehalten. Aber in dem Moment, als klar war, dass er wirklich Schluss gemacht hatte, da hatte ich mir geschworen, ich würde dafür sorgen, dass wir uns nicht das letzte Mal gesehen haben. Ein letztes Mal wird es für uns nicht geben.
Ich kannte Maruhito gut genug, ich wusste, dass er meinetwegen nicht auf die Hochzeit verzichten würde. Also brauchte ich nichts zu überstürzen. Ich musste mir nur die wesentlichen Informationen besorgen. Seine Mails zu hacken war ein Kinderspiel. Ich hatte schließlich zehn Jahre in der Programmierabteilung gearbeitet. An seine neue Adresse zu kommen, war eine Kleinigkeit. Schließlich wusste ich, wo er arbeitete und wann ungefähr er Feierabend machte. Ich war sehr vorsichtig, aber er unterhielt sich ohnehin angeregt mit einem Kollegen. Trotzdem behielt ich Perücke, Mund- und Nasenschutz auf. Zudem hatte ich mir eine neue Jacke und neue Schuhe gekauft. In dieser Verkleidung konnte ich mich sogar in denselben Waggon trauen. So hatte ich Maruhito immer im Blick. Beim Umsteigen hätte ich ihn in dem Gedränge zur Stoßzeit doch noch fast aus den Augen verloren, ihn, den Mann, der wieder zu mir zurückkommen sollte. Nein, musste! Und dann bin ich einfach mit ihm ausgestiegen. Vollkommen arglos war er direkt nach Hause gegangen, und ich habe ihn bis zu seiner Haustür verfolgt. Als ich sah, wie er die Haustür aufschloss, übermannten mich die Gefühle. Mein erster Impuls war, mit ihm ins Haus zu gehen und diese Sabrina achtkantig rauszuschmeißen.
Natürlich habe ich mir sofort die Adresse notiert. Maruhito und seine ausländische Frau waren so nett, das offizielle Adressschild, das der Kunde beim Hauskauf ausgehändigt bekommt, neben der Klingel anzubringen. Adressen werden nach Stadtviertel, der Nummer des Unterviertels, Nummer des Häuserblocks und der Hausnummer bezeichnet. Von dieser Norm gibt es einige Abweichungen, manchmal haben auch mehrere Häuser dieselbe Hausnummer.
*
Heute achtete ich sehr genau darauf, wann die Müllabfuhr kam, denn dann konnte ich mich, mit Besen und Schaufel in der Hand, länger draußen aufhalten, ohne aufzufallen. Die Zeit nutzte ich, um mich ganz genau umzusehen. Reina Sorihama war nirgendwo zu sehen, stellte ich fest. Das hieß noch gar nichts. Ich kannte sie und wusste, wozu sie fähig war. Womöglich hatte sie vor, uns zu erpressen, nach dem Motto, wenn meine Frau und ich in Ruhe leben wollten, müssen wir dafür bezahlen. Ich spürte, wie meine Kiefer sich aufeinanderpressten. Ich musste die Anspannung loswerden. Ich klappte die Kiefer bewusst auseinander. Doch schon nach ein paar Sekunden bemerkte ich, dass sie wieder angespannt waren. Ich zwang mich, rational zu denken: Ich musste früh morgens und nach Arbeitsschluss wachsam sein. Reina Sorihama arbeitete bis sechs, wenn sich nichts geändert hatte. Das heißt, sie konnte gegen halb acht wieder in unserer Nähe sein. Dann war Sabrina in der Regel schon zu Hause, ich selbst war immer erst zwischen acht und neun zurück. Dann aßen wir gemeinsam zu Abend.
Wie lange Reina Sorihama hier wohl schon herumgeschlichen war? Oder haben wir sie gleich beim ersten Mal gesehen?, fragte ich mich. Aber nein, Sabrina hat sie ja schon mehrfach gesehen, hat sie gesagt. Offenbar wollte sie gesehen werden. Immerhin stellte sie sich vollkommen ungeschützt mitten auf die Kreuzung unserer wenig belebten Straße. Und wieder kreisten meine Gedanken nur um meine Ex. Die vielen Eifersuchtsszenen, die sie mir in den zwei Jahren, die wir zusammen waren, geliefert hatte. Ganz krass war es, als die Kolleginnen mir zum Valentinstag am vierzehnten Februar Giri-schoko, Pralinen schenkten, die traditionell die Kolleginnen am Valentinstag den Kollegen überreichten. Stundenlang fragte sie nach, wie diese Kolleginnen denn zu mir stünden. Anschließend, zur Versöhnung sozusagen, sagte sie jedes Mal, sie wolle ein Kind von mir. Leicht war das nicht immer, bestimmt nicht, denn diese Frau war eine Meisterin der Verführungskunst.
*
Der nächste Tag kam und ich war schon wach, bevor der Wecker schellte. Ich stellte ihn aus und küsste meinen Mann wach. Der schaute mich erst verschlafen an, dann zog er mich zu sich auf seinen Futon. Unter uns nur die Tatamis, die Reisstrohmatten, kein hinderliches Bettgestell.
»Wenn wir doch nur die Zeit anhalten könnten«, seufzte ich.
»Können wir aber nicht, und deshalb erkläre ich für jetzt unsere romantischen Minuten für beendet«, lachte Maruhito. Er zog den Überfuton beiseite.
»Huh, wie kann man nur so unromantisch sein. Und kalt ist es außerdem!«, schalt ich ihn und machte einen Schmollmund.
»So bin ich zu dir«, grinste Maruhito und stand auf.
Er ging zuerst nach unten. An seinen Schritten hörte ich, dass er sofort an das große Fenster ging. Banzai! Hoch lebe die Hellhörigkeit japanischer Einfamilienhäuser. Mit einem Satz war auch ich aus dem Futon und schaute vom Schlafzimmer aus. Zunächst war niemand zu sehen, dann sah ich unsere direkte Nachbarin zur linken Hand, Kawakami-san, die den Abfall zum Müllplatz um die Ecke trug. Sie kam nicht sofort wieder. Vielleicht hatte sie eine andere Nachbarin getroffen. Oder vielleicht hatten die Krähen oder Katzen den Müll zerfleddert und sie räumte auf. Ich wartete noch zwei, drei Minuten, aber dann hörte ich Maruhito in den Vorraum zum Bad gehen. Offenbar putzte er sich die Zähne. Ich musste heute erst gegen Mittag aus dem Haus, hatte nur nachmittags Unterricht. Den Vormittag wollte ich für meine Unterrichtsvorbereitungen nutzen.
Sobald Maruhito aus dem Haus war, brachte ich den Müll weg. Auch ich zog das Krähennetz wieder sorgfältig über die Plastiktüten. Sofort dachte ich an die Frau. Ich schaute mich gründlich um, sogar hinter die Müllbox warf ich einen Blick, doch ich sah niemanden. Falls die Frau wirklich unkoschere Ambitionen hegen sollte, kam sie dennoch offenbar nicht jeden Tag. Ich atmete auf. Andererseits, überlegte ich weiter, musste diese Sorte Mitmensch nicht zwingend jeden Tag ihr Opfer drangsalieren, um als kriminell zu gelten.
Auf dem Weg zum Haus schaute ich in den Briefkasten. Mein Herz klopfte schneller. Dann entspannte ich mich wieder. Bis auf die Zeitung war der Kasten leer. Ich griff danach und ging ins Haus. Zunächst stellte ich eine Maschine Wäsche an, dann setzte ich mich an den Schreibtisch. Eine knappe Stunde hatte ich nun Zeit, bis die Maschine fertig sein würde.
Mein Schreibtisch stand direkt am Fenster, denn dort war es schön hell. Ich begann zu arbeiten. Schließlich gab die Waschmaschine Laut, dass sie fertig war. Ich unterbrach meine Arbeit und hängte die Wäsche auf. Da das Wetter schön war, auf den Balkon. Damit hatte er wenigstens eine Existenzberechtigung. Obwohl er so groß war, war er ein ausschließlicher Wäschebalkon. Länger hielt man sich dort nie auf. Dabei könnten wir einen kleinen Tisch und Stühle daraufstellen. Aber andererseits, sponn ich den Faden weiter, bei der Mückenplage im Sommer würden auch wir vielleicht das Wohnzimmer vorziehen. Dort würden die Fliegengitter vor den Fenstern die ungebetenen Gäste abhalten.
Die Wäsche hing, und ich ging wieder zurück an meinen Schreibtisch. Um halb zwölf schaute ich auf die Uhr. Oh, ich musste Schluss machen, stellte ich fest. Ich aß im Stehen noch schnell ein Butterbrot, hängte im selben Tempo die schon fast trockene Wäsche vom Balkon ins Bad, dann machte