Die Steinbergs - Josephine Siebe - E-Book
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Josephine Siebe

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Beschreibung

In 'Die Steinbergs' erzählt Josephine Siebe die Geschichte einer jungen Familie, die in den Wirren des Zweiten Weltkriegs ums Überleben kämpft. Mit einem einfühlsamen und packenden Schreibstil entführt Siebe die Leser in das Leben der Steinbergs und lässt sie die Ängste und Hoffnungen dieser Zeit hautnah miterleben. Das Buch zeichnet sich durch seine realistische Darstellung der Kriegszeit und die differenzierte Charakterzeichnung aus, die den Leser tief in die Geschichte eintauchen lässt. 'Die Steinbergs' ist ein eindringliches Zeitdokument und zugleich eine packende Familiensaga, die den Leser nicht mehr loslassen wird. Josephine Siebe, als Autorin von zahlreichen erfolgreichen Romanen bekannt, hat mit diesem Werk erneut bewiesen, dass sie das Genre des historischen Romans meisterhaft beherrscht. Ihre intensive Recherche und ihr Gespür für menschliche Emotionen machen 'Die Steinbergs' zu einem beeindruckenden literarischen Werk voller Authentizität und Tiefe. Lesern, die sich für historische Romane und starke Familiengeschichten interessieren, sei 'Die Steinbergs' wärmstens empfohlen. Tauchen Sie ein in das Schicksal der Steinbergs und lassen Sie sich von Josephine Siebes meisterhafter Erzählkunst fesseln.

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Josephine Siebe

Die Steinbergs

Eine Erzählung aus der Zeit der Befreiungskriege
 
EAN 8596547078401
DigiCat, 2022 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel. Gute Hausgenossen.
Zweites Kapitel. Das Schreiberlein des Herrn Advokaten Schnabel.
Drittes Kapitel. Abschiedsstunden.
Viertes Kapitel. Auf Hohensteinberg.
Fünftes Kapitel. Als Fremdling in des Vaters Heimat.
Sechstes Kapitel. Der Tugendbund wird gegründet.
Siebentes Kapitel. Der Tugendbund nimmt ein jähes Ende.
Achtes Kapitel. Einem traurigen Morgen folgen schwere Tage.
Neuntes Kapitel. Auf weiten Wegen ins alte Nest zurück.
Zehntes Kapitel. Nach langer Not zum heiligen Krieg.
Elftes Kapitel. Fürs Vaterland war es auch.
Zwölftes Kapitel. Ausklang.

Erstes Kapitel.Gute Hausgenossen.

Inhaltsverzeichnis

»Richtig ist das nicht mit dem Bengel,« schalt der dicke Bäckermeister Käsmodel und schlurrte aufgeregt in dem kleinen Laden auf und ab, der ein Schiebefenster nach dem Hausflur hin hatte, durch das die Backware verkauft wurde. »Allweil, wenn ich'n brauche, hat er zu lernen, immer zu lernen. Das Gymnasium, scheint's mir, hat ihm den Kopf verdreht.«

»Aber Christian,« beschwichtigte die Frau Bäckermeisterin, die gerade dabei war, Backware in die Körbe zu zählen, »hast es ja selbst gewollt, daß Gottlieb auf die hohe Schule kommt!«

»Na, ja,« murrte der Bäckermeister, »hast allweil recht. Wenn man von drei Jungen nur einen übrig behält, will man an den auch was wenden. Aber mein Herr Vater selig hätte mir schön heimgeleuchtet, wenn ich beim Austragen und Helfen nicht gleich wie der Blitz zur Hand gewesen wäre. Aber unserer, daß Gott erbarm!«

»Mann, Mann, er tut doch nichts Schlimmes,« mahnte die Frau freundlich, »und zum Austragen ist ja Raoul immer bereit.«

»Na freilich,« spottete der Bäcker, »'s ist gut, einen Boten bezahlen bei den schlechten Zeiten, nur weil der Musjeh Sohn nicht mag. Und warum mag er nicht? Weil er sich schämt, Laufjunge für seinen Vater zu sein, seit er auf der Lateinschule mit den feinen Herrchens verkehrt. Solche Alfanzereien hätte mir mein Vater selig kräftig mit dem Stock––«

»So ist's nicht, Vater, das müssen Sie nicht denken!« — Aus einem dunklen Winkel des Lädchens, hinter Mehlsäcken schaute in diesem Augenblick zur grenzenlosen Überraschung seiner Eltern ein keckes, rundes Bubengesicht hervor.

»Daß dich das Mäuschen beißt!« schrie der dicke Bäckermeister wütend, ergriff im Eifer einen langen Holzlöffel, der ihm gerade zur Hand lag, und wollte damit seinem Sohne etwas unsanft um die Ohren fahren.

»Christian,« bat die Frau etwas ängstlich und hielt ihren Mann am weißen Kittel fest, »hör' doch den Jungen erst an!«

Der war furchtlos aus seinem Versteck hervorgekrochen; er sah weiß und bemehlt aus, wie ein rechter Bäckerbub, selbst die Wimpern, die die trotzigen, ehrlichen Blauaugen überschatteten, schimmerten weiß.

»Ich will's dem Herrn Vater bekennen, warum ich nicht Austräger sein mag,« rief der kräftige, stämmige Bursche unerschrocken, »es ist wegen dem Raoul, nicht wegen der feinen Mitschüler, wie's der Herr Vater denkt. Der Raoul ist über jeden Groschen glücklich, den er seiner Mutter bringen kann; schenken läßt er sich nichts, aber verdienen ist was anders, und darum —«

»Siehst du, Christian,« sagte die Bäckermeisterin, und ein Freudenschein lag auf ihrem Gesicht, »unser Junge meint's gut.«

»Na freilich, der reine Engel ist's, nur schade, daß man's so selten merkt, ist aus seines Vaters Tasche heraus großmütig, faulenzt aus lauter Freundschaft,« brummelte Meister Käsmodel, der es nicht zeigen wollte, wie weich es ihm eigentlich ums Herz war.

Gottlieb aber kannte seinen Vater und wußte schon, daß der Zorn verraucht war, und so rief er vergnügt: »Ich denke, den Herrn Vater machen die paar Groschen nicht zum armen Mann, und er gönnt Raoul schon den kleinen Verdienst.«

»Na ja, na ja, meinetwegen. Ein Jammer ist's ja, so eine feine, vornehme Frau, der's wahrhaftig anders an der Wiege gesungen wurde, und muß sich so kümmerlich durchs Leben bringen. Na ja, ja, meinetwegen, lauf, Gottlieb, und hol' deinen Freund. Nee nee, 's soll keiner vom Meister Käsmodel sagen, daß er nicht gern hilft, wenn er kann!«

Gottlieb war schon, ehe der Vater noch recht seine Rede beendet hatte, durch die Tür aus den Hausflur geschlüpft, und mit einer Schnelligkeit, die wohl niemand seiner kurzen, gedrungenen Gestalt zugetraut hätte, stürmte er die Treppen in dem alten, himmelhohen Haus empor. Oben gab es zuletzt nur eine Leitertreppe, auch sie kletterte er mit Windeseile hinan. Vor einer niedrigen Türe blieb er aber dann einige Sekunden pustend stehen und klopfte nun leise und vorsichtig. Doppelstimmig klang es von drinnen »herein«, und als Gottlieb rasch eintrat, scholl es ihm entgegen. »Gottlieb ist's, ich dachte es mir schon!«

Ein schlanker, etwa dreizehnjähriger Knabe, der den Bäckerssohn um einen Kopf überragte und in seiner ärmlichen, abgetragenen Kleidung fast wie ein verwunschener Prinz aussah, kam eilig herbei, und in seinen dunklen Augen blitzte es wie Hoffnung auf: »Soll ich kommen?«

Gottlieb nickte und sagte, verlegen sich durch seinen Strubbelkopf fahrend: »Es ist schon nötig, bist nicht böse drüber, nein?«

Und ohne eine Antwort abzuwarten, ging Gottlieb Käsmodel rasch durch das Zimmer und verbeugte sich, so gut er es zuwege brachte, und so tief, daß sein dichter, blonder Haarschopf beinahe den Boden fegte, vor einer Dame, die an einem der beiden kleinen Fenster saß und das verdämmernde Licht des kurzen Wintertages noch emsig zu ihrer Näharbeit ausnützte.

Trotzdem auch sie schlicht, ja ärmlich gekleidet war, würde jeder in dieser schlanken Frau die vornehme Dame erkannt haben. Sie, der Knabe und ein paar von blitzenden Goldrahmen umfaßte Ölbilder nahmen sich ganz fremd in der Stube mit den schiefen Wänden, den kleinen Fenstern und dem ärmlichen Hausrat aus.

»Darf Raoul kommen?« fragte Gottlieb, der ganz unwillkürlich hier immer etwas seine laute Stimme dämpfte.

Über das sehr blasse Gesicht der Frau, auf dem Kummer und Sorge noch nicht die einstige strahlende Schönheit verwischt hatten, glitt ein wehes Lächeln. »Gewiß gern, lieber Gottlieb,« sagte sie unendlich sanft, »und grüße die Eltern!«

Gottlieb Käsmodel verneigte sich noch einmal so tief, daß er nun beinahe nicht wieder in die Höhe gekommen wäre, Raoul von Steinberg küßte seiner Mutter ehrfurchtsvoll die Hand, und dann eilten die Knaben hinaus, leise und gemessen durch das Zimmer, die Treppen aber polterten sie gar geschwind hinab.

»Wenn du fertig bist, kommst du in meine Kammer,« bat Gottlieb, »ich warte mit den Aufgaben.«

Raoul nickte nur und schlüpfte eilfertig durch den Hausflur in das Lädchen. Dort hatte die Bäckermeisterin zwei große Körbe mit Backwaren gefüllt, und Raoul bekam die Weisung, dahin und dorthin dies und das zu tragen. »Ein Bäckerjunge muß aber zeigen, daß die Ware gut ist, und was essen,« sagte die Frau gutmütig und steckte dem schlanken Knaben ein paar recht große Wecken zu. Einer hätte wohl genügt, um einen gesunden Bubenappetit zu stillen, aber die Meisterin wußte, daß der andere hinauf wanderte in das Dachzimmer und dort eine Mahlzeit der Frau von Steinberg bildete. Raoul teilte immer mit der Mutter, mochten die Bissen noch so klein und der Hunger noch so groß sein.

Während Raoul von Steinberg an diesem etwas trüben Januartag des Jahres 1811 durch die engen Straßen der alten Stadt Leipzig lief und die bestellte Ware Meister Käsmodels Kunden zutrug, vollendete seine Mutter eine vielfach gefältelte Frauenhaube. So mühsam die Arbeit war, sie ließ ihr doch Zeit genug, mit ihren Gedanken in die Vergangenheit zu eilen. Die Gegenwart war so trübe, und die Zukunft lag so schwer und hoffnungslos vor der Frau, daß ihr die glückliche Vergangenheit wie ein blumenreiches Gärtlein war, in dem sie nach des Tages Last und Mühe still einherging.

Frau Madeleine von Steinberg war eine Französin von Geburt. Sie entstammte einer sehr vornehmen Emigrantenfamilie, die sich vor den Schrecken der Revolution erst in eine kleine rheinische Stadt, dann nach Dresden geflüchtet hatte. In dieser schönen, heiteren Stadt verlebte Madeleine ihre Mädchenjahre. Ihr Vater hatte wenigstens einen Teil seines Vermögens gerettet, und zwar so viel, daß die Familie ohne Sorgen leben konnte. Ein Vetter der Gräfin hatte ein hohes Amt am sächsischen Hofe inne. In seinem Hause und durch seine Vermittlung wurde Madeleine in die Gesellschaft eingeführt, und auf einem Balle lernte sie auch ihren nachherigen Gatten, Georg Wilhelm von Steinberg, kennen. Dieser, Ostpreuße von Geburt, hielt sich nur kurze Zeit in Dresden auf; als er ging, bat er Madeleines Vater um die Hand seiner Tochter. Doch der wies ihn ab, er sagte, er wolle keinen Preußen zum Schwiegersohn. Die Mutter, der das feste, ehrenhafte Wesen dieses preußischen Junkers gut gefiel, tröstete: »Abwarten! Die Zeit mildert wohl des Vaters Sinn!« Aber ehe dies geschah, starb der Graf, gerade als sich sein Sohn nach Frankreich begeben hatte, um dort zu versuchen, die reichen Güter der Familie zurückzugewinnen, denn der wilde Brand der Revolution war im Erlöschen. Die Gräfin, eine zarte, schwächliche Frau, war müde von allem Leid, sie wollte ihre junge Tochter in gutem Schutz wissen, und so durfte diese dem abgewiesenen Freier schreiben, daß einer Heirat nichts mehr im Wege stand. Nach wenigen Wochen schon wurde Madeleine Georg Wilhelm von Steinbergs Gattin, und wieder nach wenigen Wochen stand sie am Sarge der Mutter.

Das junge Ehepaar siedelte nach Berlin über; Herr von Steinberg war preußischer Offizier und stand in der Hauptstadt. Madeleine hatte nicht geahnt, daß gleich ihrem Vater auch die Familie ihres Mannes die Heirat ungern gesehen hatte. In diese alte preußische Familie passe keine Französin hinein, hatte die Mutter ihres Mannes geschrieben. Diese, eine stolze, durch ein schweres Leben herb und verschlossen gewordene Frau, hatte den herzlichen, um Liebe bittenden Brief der Schwiegertochter nur kühl erwidert. Vielleicht wäre es Frau Madeleine gelungen, nach und nach die Liebe und das Vertrauen der neuen Verwandten zu erringen, sie war aber scheu, und ein hartes Wort schreckte sie gleich zurück. Ihr Gatte zürnte den Verwandten, er bat auch nicht weiter, ja die Vorwürfe der Mutter verletzten ihn so, daß er zuletzt gar nicht mehr schrieb, und zu einer Fahrt in die Heimat kam es auch nicht. Doch auch Madeleines eigener Bruder zürnte ihr: er wieder haßte den Preußen, und sein Haß ging so weit, daß er der Schwester das Erbteil entzog.

Mit Sorge und Leid begann die junge Ehe, und doch war sie unendlich glücklich; die Jahre, die Madeleine an der Seite ihres Mannes verlebt hatte, waren für sie der reiche, köstliche Blumengarten, in den ihre Seele immer wieder zurückkehrte. Dann kam der Krieg von 1806/1807. Bei Saalfeld wurde Rittmeister von Steinberg schwer verwundet. Einem Freund von ihm gelang es, den Verwundeten zu retten und ihn nach Leipzig zu schaffen. Dort fand Frau Madeleine den Gatten, dort pflegte sie ihn die letzten schweren Monate seines Lebens, dort starb er, und nach seinem Tode blieb die Witwe mit ihrem einzigen Kinde, einem Knaben, in der Stadt.

Die Krankheit, der Krieg und eigenes schweres Leiden raubten der Witwe das geringe Vermögen, und zwei Jahre nach dem Tode ihres Mannes befand sie sich in den ärmlichsten Verhältnissen. Sie wandte sich mit der Bitte um Hilfe an ihren Bruder, der inzwischen in Napoleons Dienst getreten war und alle seine Güter zurückerhalten hatte. Ein hartes Nein war die Antwort. »Ich will dir nur helfen, wenn du hier in dein Vaterland zurückkehrst und deinen Sohn als Franzosen erziehst,« schrieb er, doch Frau Madeleine hatte dem Gatten gelobt, den Sohn in der Heimat zu erziehen, und sie hielt ihr Wort.

Die Verwandten ihres Mannes um Hilfe zu bitten, wagte sie nach dieser harten Abweisung des einzigen Bruders gar nicht mehr, dazu war sie zu scheu und zaghaft, so nahm sie tapfer allein den Kampf mit dem Leben auf. Sie blieb in Leipzig, bezog mit ihrem Sohne eine Mansardenstube im Hause des Bäckermeisters Käsmodel und versuchte sich mit feinen Putzarbeiten zu ernähren. Es wäre ihr wohl auch ganz gut gegangen, denn sie war geschickt und erwarb sich bald einige Kunden, doch die Zeiten waren schlecht, und dazu kamen wochenlange Krankheiten, die sie oft arbeitsunfähig machten. Das wenige Geld, das sie besaß, mußte nach und nach verbraucht werden, und mit heißer Angst dachte sie manchmal an die Zukunft. Was sollte aus ihrem Sohn werden? Sie erzog den Knaben, dem Wort getreu, das sie ihrem sterbenden Manne gegeben hatte, im Sinne seines Vaters. Sie selbst besaß nur noch eine blasse Erinnerung an ihr schönes Heimatland, an das Schloß ihres Vaters an den Ufern der Loire und das Palais in Paris. Die neue Herrschaft in Frankreich, Napoleons Eroberungszüge erfüllten ihre sanfte Seele mit Schrecken. Ihr Mann war im Kampf gegen den unersättlichen Eroberer gefallen, sie sah, welch namenloses Leid dieser gewissenlose Emporkömmling über die Länder brachte, und ihr Herz blutete vor Mitgefühl mit den gepeinigten, zertretenen Völkern. Napoleon war für sie nicht der Kaiser von Frankreich, dieses schönen, anmutigen Landes, das ihr wie ein Märchenland in der Erinnerung lebte, er war ihr ein böser Dämon, der Not, namenloses Leiden über die Menschen brachte. In dieser Anschauung wuchs Raoul auf; ein tiefer Haß gegen den Völkervernichter, ein heißes Mitleid mit denen, die unter seiner Tyrannei litten, wurde groß in dem Herzen des Knaben. —

Die Dämmerung hatte nach und nach das Mansardenzimmer Frau von Steinbergs in Dunkel gehüllt, nur am Fenster hing noch ein matter Lichtschein, zu schwach aber, um bei ihm weiter arbeiten zu können. Erschöpft ließ die Frau die Arbeit sinken; Brust und Rücken taten ihr weh, und fröstelnd zog sie das dünne Tuch um ihre Schultern. Es war kalt im Zimmer, in dem Öfchen war das Feuer ausgegangen, und draußen wehte ein scharfer, harter Nordwind. Doch Brennholz kostete Geld, Nahrung, Kleidung, alles kostete Geld, und der Verdienst war gering. Ein paar Goldstücke lagen freilich noch in dem Kasten, in dem Frau Madeleine den Trauring ihres Mannes, sein Bild, eine Haarlocke von ihm und ähnliche Erinnerungen aufbewahrte, aber dieser Notgroschen sollte, mußte für Raoul bleiben. »Wenn ich nicht mehr lebe,« dachte die Frau müde.

Draußen polterte wieder jemand die Stiegen herauf, es klopfte, und einen Augenblick später trat breit und behaglich, ein bammelndes Laternchen in der Hand, die Bäckermeisterin Käsmodel in das Zimmer. »Nichts für ungut, wenn ich störe,« sagte sie freundlich, »ich wollte nur sagen, daß es in unserer Backstube kuchenwarm ist, und daß es eigentlich jammerschade ist, daß Feuer und Licht nicht genug ausgenutzt werden. Na, und dann, Frau von Steinberg wissen, wie himmelgern ich so 'n kleinen Tratsch mache. 'n bißchen was von Dresden hören, darüber geht nur nichts. Wär's gar so unbescheiden, wenn ich bitten tät, auf ein Stündchen herunterzukommen?«

Madeleine von Steinberg sah die Bäckermeisterin dankbar an, die im Lichtschein ihres Laternchens an der Türe stand und die blasse Frau anschaute, just als möchte sie sagen: Komm, du armes, krankes Menschenkind, laß dich lieb haben von mir und dir was Gutes tun!

Diese Szene wiederholte sich allabendlich: immer wenn es dunkel und kalt in der Kammer wurde, holte die Meisterin ihre Hausgenossin in die warme Stube hinab, in der es so kräftig nach Mehl und nach frischem Brot roch. Dann saßen die Frauen bis zum Nachtmahl zusammen, wohl noch darüber hinaus, denn oft baten die Bäckersleute, es sei doch gerade so gemütlich, da könnte Frau von Steinberg doch ein Häppchen mitessen, es sei ihnen dies eine besondere Ehre. Anfangs hatte sich die Frau gegen diese stille, versteckte Wohltätigkeit gewehrt, hatte nichts, auch gar nichts annehmen wollen, aber jetzt war sie so müde und niedergeschlagen; die Einsamkeit lastete so schwer auf ihr, daß sie aufatmete, wenn die Meisterin Käsmodel mit ihrem Laternchen erschien.

Auch heute raffte Madeleine von Steinberg hastig ihre Näherei zusammen und folgte der freundlichen Hausgenossin die steilen Treppen hinab in das durch das Ofenfeuer und eine Unschlittkerze traulich erhellte Stübchen. Die Meisterin strickte und bewunderte dazwischen höchlichst die Fältchen, Tollen und Schleifen, die unter Frau von Steinbergs geschickten Händen entstanden. »'s ist wirklich zum Anbeißen adrett, was Sie da nähen, aber freilich, die Lust vergeht einem schon an solchen Dingen, eine gar so böse Zeit ist's.« Die Bäckermeisterin seufzte tief. »Wohin man hört, gibt's Kummer. Draußen auf den Landstraßen soll man seines Lebens nicht mehr sicher sein.«

Am Schiebefensterchen nach dem Hausflur hin bimmelte die Klingel, und ein von der Luft gerötetes Mädchengesicht erschien daran. Ein Brot wurde verlangt, die Meisterin reichte es hinaus und erkundigte sich dabei gleich, ob die Madame Preußer wieder wohlauf sei.

»Die Madame ist wieder beisammen,« erzählte die Magd, »aber der Herr, der Herr! Gestern hab' ich ihn sagen hören, an nichts hätt' er mehr Freude, seit die Franzosenbagasch« —

»Halt Sie das Maul,« fuhr die sonst so sanftmütige Meisterin Käsmodel die Magd heftig an, »so was hört mer nicht, und wenn mer's hört, sagt mersch nicht! Verstanden?«

Die Magd riß ihre großen wasserblauen Augen weit auf vor Schreck, und ganz kleinlaut versicherte sie: »Ich sag nischte mehr, nie nich.«

»Das ist auch am besten,« brummte die Bäckermeisterin und wandte sich einer neuen Kundin zu, einem schmächtigen, verhutzelten Weiblein, das ganz scheu in eine Ecke gedrückt im dunklen Flur stand und kaum an das Schiebefensterchen zu treten wagte. »Na, was gibt's, Schmidten, soll's ein Brot sein?«

Die Frau wartete erst, bis die stattliche Magd gegangen war, dann trat sie vor und flüsterte mit heiserer, ängstlicher Stimme: »Wenn Se mer's borgen täten, Frau Meistern, nich en Groschen hab' ich im Haus!«

Die Bäckerin seufzte, und ihr Blick überflog die auf den Ständern aufgereihten Brote. Wie manches ging davon weg ohne Bezahlung. Ihr Mann schalt oft, sie sei zu weichherzig, bringe sie alle noch an den Bettelstab, aber was sollte sie tun? Die Frau dort am Schiebefensterchen hatte fünf Kinder daheim. Wo ihr Mann geblieben war, wußte niemand; er war in die Fremde gezogen, um einen Verdienst zu finden, als die harten Zeiten anfingen, und dort war er verschollen, vielleicht gestorben.

»Da, Schmidten, Gott segne es ihr und den Kindern,« sagte die Meisterin und legte rasch eins der Brote in die verlangend ausgestreckte Hand der Frau. Dann schloß sie, da keine Kunden mehr draußen standen, geschwind das Schiebefensterchen und kehrte zu ihrem Gast zurück.

Die beiden Frauen waren nach Stand und Bildung sehr verschieden voneinander, denn als Madeleine von Steinberg noch in Dresden die glänzenden Feste der Hofgesellschaft mitgemacht hatte, war Frau Käsmodel eine flinke, fröhliche Magd im Pfarrhause an der Kirche von St. Thomä gewesen, aber trotzdem verstanden sie sich gut mitsammen. Frau von Steinberg kannte Not und Entbehrung aus Erfahrung. Die Bäckermeisterin hatte zwar noch nie um ihr tägliches Brot gebangt, aber sie sah, wie ringsum die Armut wuchs, wie die Zeiten schlechter und schlechter wurden. Sie hatte auch tiefes Mutterleid erfahren: zwei Kinder waren ihr gestorben, und so wußten sich die beiden Frauen mancherlei zu sagen. Der Meisterin Käsmodel konnte die zarte, langsam dahinsiechende Bewohnerin aus der Mansarde auch von ihrer Sorge um ihres einzigen Kindes Zukunft sprechen.

Während die Mütter mal wieder über ihre Kinder sprachen, — die Bäckersleute besaßen noch zwei dralle runde Mädels von drei und vier Jahren, — saßen die beiden Buben zusammen auf einem Bänkchen im Backofenwinkel und lernten, daß ihnen die Köpfe rauchten. Seit einem Jahre besuchte Gottlieb das Gymnasium. Meister Käsmodel wollte seinem Buben eine gute Bildung geben lassen, er pflegte zu sagen: »Du mußt ebenso gescheit werden wie drei!« Zu dieser großen Gescheitheit verspürte Gottlieb nun freilich keine allzu große Lust, und er wäre vielleicht etwas schwer über die Anfänge der lateinischen Sprache hinweggekommen, wenn Raoul nicht gewesen wäre. Frau von Steinberg, die selbst eine sehr gute Bildung genossen hatte, unterrichtete ihren Sohn selbst; es war ihr unmöglich, ihn auf eine höhere Schule zu schicken. Als der Sohn heranwuchs, sah sie freilich, daß es zu wenig war, was sie den glänzend begabten Knaben lehren konnte, allein Raoul war so lerneifrig, daß er selbst voll Eifer aus den wenigen Büchern, die er besaß, lernte, was er vermochte. »Ich wollte, du könntest statt meiner dies alberne Latein lernen!« murrte Gottlieb einmal, als er seufzend und stöhnend die ersten Gymnasiumstage hinter sich hatte.

»Ich will mit dir lernen,« sagte Raoul dienstwillig, »vielleicht wird es dir dann leichter!«

Gottlieb hatte das Anerbieten gern angenommen, und seitdem arbeiteten die Knaben zusammen und merkten bald, daß sie beide Vorteil davon hatten. Was der Bäckerssohn in der Schule gelernt hatte, teilte er dem Freunde mit. Dabei wurde ihm selbst manchmal erst klar, was er nicht verstanden hatte; er paßte auch besser auf, um sich seiner Dummheit nicht schämen zu müssen, und wußte er einmal gar nicht weiter, dann fand sicher Raoul aus den Büchern den richtigen Weg, und so umschifften beide gemeinsam manche Klippe der lateinischen Grammatik und der andern Lehrbücher. Raoul sagte oft sehr vergnügt zu seiner Mutter: »Es ist beinahe so gut, als ob ich selbst auf das Gymnasium ginge.«

An diesem Abend hatten sich die Buben beide in die Geheimnisse der römischen Geschichte vertieft. Gottlieb ein wenig unlustig, er sah nämlich nicht ein, warum ein zukünftiger ehrsamer Bäckermeister die römischen Könige, Volkstribunen und Kaiser mit Namen kennen mußte, und daß er einmal Vater Käsmodels Beruf ergreifen würde, stand bei ihm fest. »Du,« brummte er und stieß den Kameraden an, »die kaufen doch mal keine Brote und Wecken bei mir, warum soll ich sie nun alle kennen?«

Raoul sah mit seinen ernsten Augen nachdenklich auf den Freund und sagte träumerisch: »Ich wollte, ich wär' ein Römer!«

»Nee,« rief Gottlieb verdutzt, »das hab' ich mir noch nie gewünscht, aber weißte, Soldat möchte ich werden und dem Napoljong feste de Jacke verhauen; dazu brauch' ich doch aber nicht alle diese eklichen Namen zu wissen.«

Das stimmte nun freilich, und der sonst so lerneifrige Raoul ließ auch für ein Weilchen das Buch sinken, denn jetzt waren die Knaben wieder mal bei dem allerbeliebtesten Gespräch angelangt: Napoleon und seine Kriege. Im Hause Meister Käsmodels war man alleweg gut deutsch gesinnt. Das Kriechen und Katzbuckeln vor Frankreich, das Verherrlichen des gewissenlosen Eroberers, das auch in Leipzig leider in manchen guten Bürgersfamilien geübt wurde, war dem ehrlichen, aufrichtigen Bäckermeister in der Seele zuwider. Er war zwar ein schlichter, ungelehrter Mann, aber er hatte einen hellen, klaren Verstand, und voll Schmerz sah er, wie tief der deutsche Stolz, das deutsche Vaterlandsgefühl am Boden lag; nach den Reden mancher Bürger hätte man meinen müssen, Sachsen gehöre von Gottes und Rechts wegen zu Frankreich. In widerlich schmeichelnden Lobeshymnen sang man Bonapartes Lob, und man hatte ganz vergessen, daß es Deutsche waren, Stammesgenossen, die von Napoleon geknechtet wurden. Der Kaiserhaß, der Abscheu vor dem französischen Übermut hinderte dabei die Bäckersleute nicht, ihrer Hausgenossin, der Französin, in Treue hilfreich beizustehen. »Denn,« pflegte der Meister Käsmodel zu sagen, »der einzelne Mensch, der meine Hilfe braucht, ist alleweil mein Nächster, und wenn man über ein Volk auch gerade vor Wut bersten möchte, kommt uns einer davon in die Quere, so ist es eben Christenpflicht zu helfen, wenn man kann. Na, und so'n armes Weiberseelchen hat in der lieben Gotteswelt noch keinem ein Unrecht getan. Pfui Teufel, wäre das ruppig, der nicht beizustehen!«

In diesem Geist wuchsen die Kinder auf, und sie vertrugen sich so gut zusammen, daß nie ein Streit die Freundschaft trübte. Gottlieb bewunderte Raoul restlos. Der war ein Idealist, ein Feuerkopf, der von hohen Taten träumte, und manchmal staunte der praktische, ein bißchen schwerfällige Bäckerssohn über des Freundes kühne, hochfliegende Zukunftspläne.

»Warum ist man nur noch so jung!« schrie Raoul plötzlich in hellflammender Tatensehnsucht auf.

»Allweil nu möcht ich wissen, warum der Musjeh zu jung ist?« fragte Meister Käsmodel, der gerade wieder eintrat. »Jugend ist alleweil der einzige Fehler, von dem man jeden Tag 'n Linschen ablegt.«

»Ich möchte groß sein, Soldat sein und in den Kampf gegen Napoleon ziehen können!« rief Raoul.

»Jetzt ist Frieden,« brummte der Meister, »Frieden, ihr Bengels, aber merkt's: alleweil ist's mit dem Frieden jetzt so wie mit meiner Backofenglut. Wenn ich nicht backe, decke ich Asche drauf, viel Asche, und nachher, wenn ich wieder Feuer brauche, stöbere ich die Asche weg, ein paar Scheite drauf, und heissa, das Feuer brennt!«