Die Sternwolkenallee - Stephan Hemming - E-Book
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Die Sternwolkenallee E-Book

Stephan Hemming

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Beschreibung

Es vergeht keine Nacht, in der Ellis nicht davon träumt, ein Abenteuer zu erleben. Eines, das sein Leben verändert. Stattdessen wird er in einen Krieg geschickt. Als er am Abend vor der Abfahrt Meera kennenlernt, steht Ellis’ Welt kopf.

Nach seiner Rückkehr fast ein Jahr später ist Meera fort.

Es ist der Beginn eines Abenteuers, das ihn in eine geheimnisvolle Welt führt. Und obwohl er auf seiner Reise unerwartete Hilfe bekommt, muss er erkennen, dass Meera wiederzufinden nicht allein in seiner Macht liegt.

Ein Märchen der ganz besonderen Art.



Das sagen Leserinnen auf Lovelybooks.de:
"Es hat mich komplett verzaubert."

"Ich habe jede Seite, von der ersten bis zur letzten, einfach nur genossen."

"Ehrlich gesagt habe ich bislang noch nichts vergleichbares gelesen."

"Durch den malerischen Schreibstil, der super zu der traumhaften Welt passt, kann man sich alles sehr schön vorstellen und es ist einfach bezaubernd zu lesen."

"Ein magisches Buch, das durch seinen poetischen Schreibstil und fantasievollen Inhalt überzeugt!"

"Die Sternwolkenallee ist ein Buch, das seinesgleichen sucht."

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Die Sternwolkenallee

Stephan Hemming

ISBN: 9783754622926

Alle Rechte vorbehalten.

Überarbeitete Neuauflage 2021

Originalausgabe erschienen 2019 unter dem Titel

„Vom Glück, Pech und der Unendlichkeit dazwischen“

Lektorat: Lisa Reim-Benke, Bayreuth, www.lektorat-reim.de

Umschlaggestaltung und Satz: chaela (www.chaela.de)

Satz des E-Books: Ambra Kerr

Stephan Hemming

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden

www.stephan-hemming.com

Inhalt

Vorwort

Prolog

Kapitel 1

1. Bessere Zeiten

2. Ein vertrauter Feind

3. Penny und der gefallene Riese

4. Das Ende des Sommers

5. Meera

Kapitel 2

6. Sayonez

7. Grace-upon-Hills

8. Ein Echo

9. Hoffnung

Kapitel 3

10. Eine neue Welt

11. Ein wenig anders

12. Früher oder später

13. Das Salz des Meeres

14. Versunken und verloren

15. Die Zeitmaschine

16. Ungewissheit

Kapitel 4

17. Der König der Sonne

18. Leuchtende Freunde

19. Der Preis der Freiheit

20. Das verlorene Königreich

21. Der geeignete Moment

22. Der Aufstand

23. Burgen aus Luft und Sand

24. Ein und Alles

Kapitel 5

25. Nachtlos

26. Allein?

27. Eine Welt aus Eis

28. Das Tal der Monster

29. Nur eine Illusion

30. Prélude

31. Die Maschine

32. Flucht zu den Bergen

33. Das Ende

Kapitel 6

34. Der Anfang

35. Die Sternwolkenallee

Epilog

Eine neue Reise wartet

Über den Autor

Vorwort

Bevor du umblätterst, um Ellis auf seiner Reise zu begleiten, lass mich dir noch ein paar Worte mit auf den Weg geben.

Vergiss unter keinen Umständen, dass sich diese Geschichte in einer anderen Welt genau so zugetragen hat. Wenn Ellis könnte, er würde es dir bestätigen. Nimm stattdessen mein Versprechen und glaube mir jede Zeile.

Die Geschichte soll dir Freude bringen. Wenn du zwischen all den Buchstaben aber etwas findest, das dein Leben bereichert, dann behalte es einfach. Nur deswegen habe ich es dorthingelegt.

Ganz wichtig und zu guter Letzt:

Nur weil Ellis etwas Außergewöhnliches erlebt, muss das nicht bedeuten, dass er träumt. Oder ist es dir noch nie passiert, dass du an einem gewöhnlichen Dienstagnachmittag während eines Spaziergangs über das Meer durch eine Farbwolke gelaufen bist und dich gefragt hast, warum sie nach Mandarinen und nicht nach Kirschen riecht?

Prolog

Das Ende. Genauso fühlte es sich an. Dunkel und verschwommen, wenngleich er überlegte, ob es sich bei den an ihm vorüberziehenden Nebelschwaden um verrauchte Erinnerungen oder Wolken handelte. Ein eisiger Wind pfiff ihm in den Nacken, vorbei an der Kapuze hinein ins Innere der Jacke und machte auch vor seinen Ohren nicht halt.

Das gefrorene Gestein der Bergwand schoss kerzengrade hinauf in den Himmel. Hart, kantig und scharf. Ellis zog den Kopf ein und sah zu den Fingern seiner rechten, danach zu jenen an der linken Hand. Sie waren dreckig und aufgescheuert, Blut rann an ihnen hinab. Dass er keine Schmerzen hatte, war erfreulich und besorgniserregend gleichermaßen. Sie waren derart steifgefroren, dass er sie kaum mehr spürte.

So eng wie möglich presste er sich an die Felswand, verlagerte sein Gewicht auf den Fuß, der den stabileren Stand versprach, und widmete seine Aufmerksamkeit dem Abgrund. Nicht die beste Idee, wie sich herausstellte, denn prompt meldete sich seine Höhenangst zu Wort.

»Ein Albtraum«, murmelte er. »Ein ganz, ganz böser Traum.«

Ellis hielt die Luft an. Sein Magen verkrampfte, so wie sein Nacken und jeder Muskel seines Körpers. Unter ihm lag eine verschwommene Welt. In der Dunkelheit waren die Lichter von Siedlungen oder Städten zu sehen; mehr ließ sich von hier oben nicht erkennen. Überhaupt so weit gekommen zu sein – er hätte es niemals für möglich gehalten.

Eine Windböe mit gefrorenen Eiskristallen im Gepäck riss ihn aus den Gedanken. Abermals drehte er den Kopf und sah hinauf. Schwarze Wolken wirbelten in hellgraue, ohne die geringste Absicht, sich farblich in der Mitte treffen zu wollen. Weder Sonne noch Mond waren zu sehen.

War es Tag oder Nacht?

Oben oder unten?

Winter oder Nordpol?

Ellis stöhnte, stocherte mit der Fußspitze nach dem nächsten Felsvorsprung und drückte sich an ihm hinauf.

Weiter.

Und weiter.

Und immer weiter.

Da war etwas – etwas, das ihn antrieb, jede Mühe wert, obwohl er nicht wusste, was es war. Jedes Mal, wenn er vor Erschöpfung nicht mehr konnte, die Hoffnung verlor und mit ihr allen Mut, meldete es sich und flüsterte ihm, dass es einen Grund gab, warum er hier war. Wenn er Glück hätte, einen guten. Wenn er allerdings Pech hätte …

Plötzlich und unerwartet zitterte die Felswand, bebte, schwang vor und zurück. Mit einem knirschenden Geräusch teilte sich das Gestein vor seiner Brust, ein Spalt riss auf wie das gierige Maul eines Ungeheuers. Als wäre der Schreck noch nicht genug, verlor Ellis den Halt und stürzte, strampelte hilflos mit den Armen und schrie etwas, das so klang, als fänden gleich fünf Flüche in nur einem langgezogenen Wort Platz.

Ein Griff, fest wie eine Schraubzwinge, umschloss sein Handgelenk. Zuerst nahm er es nicht wahr, da er zu sehr mit Schreien und Strampeln beschäftigt war. Dann aber zog ihn jemand mit einem kräftigen Ruck in die Höhe, wo er auf einer steinigen Plattform liegenblieb. Seiner Rettung noch nicht bewusst, erkannte Ellis seinen Freund.

»Nicht schlecht«, sagte Dun mit vor Anerkennung vorgezogener Unterlippe. »Ist das von dir? Mir gefällt die Verbindung aus gequengeltem Hilferuf und …«

Ellis verstand nicht. »Was – was meinst du?«

Dun grinste und wiederholte das Wort mehrere Male, das sich als wahrer Zungenbrecher herausstellte.

Erleichtert atmete Ellis aus. Es war Dun. Wenn er sich auf einen Menschen verlassen konnte, dann auf ihn.

Hier oben, auf der Spitze des Berges, war es ungleich kälter als an der Wand. Frostiger Wind wehte aus allen Richtungen auf sie ein. Ellis erhob sich, zog die Jacke enger und schob die Hände in die Ärmel. Vielleicht würden aus den Eisklumpen irgendwann ja wieder Finger werden? Wie er so dastand, endlich am Ziel und noch dazu weitestgehend unversehrt, keimte ein Gefühl in ihm auf. Verwunderung. Was hatte er hier verloren?

»Wo sind wir?«, fragte er, wofür er sogar sein Zähneklappern unterbrach.

»Auf einem Berg«, antwortete Dun. »Du bist ihn eben hochgeklettert, schon vergessen?«

Ellis stöhnte. Dass er keine hilfreichere Antwort von ihm bekäme, hätte er sich denken können. »Gut, dann anders: Weshalb sind wir hier?«

Dun klopfte ihm auf die Schulter und legte einen Arm um sie. Gemeinsam drehten sie sich im Uhrzeigersinn und kamen in der entgegengesetzten Richtung zum Stehen. Er streckte den Arm aus, danach den Zeigefinger. »Deswegen.«

Sogleich weiteten sich Ellis’ Augen. Ihm fehlten die Worte. So etwas hatte er noch niemals zuvor gesehen. Am Horizont vor ihnen ragten Berge bis hinauf in die Wolken, ohne dort zu enden. Das Besondere aber war nicht etwa ihre Höhe, nein: Sie waren aus Glas. Geschliffener, spitz nach oben zulaufender, spiegelglatter Kristall. Ein Leuchten und Funkeln umgab die Bergwände, kühl wie Nordlichter. Hinter den Wolken zuckten grünliche, bläuliche und violette Wellenmuster. Umherschwirrende Eiskristalle flimmerten in allen Farben des Regenbogens. Der Anblick war unwirklich, beinahe wie aus einem Traum. Trotz ihrer gläsernen Oberfläche gaben die Berge nicht preis, was dahinter lag. Wer es sehen wollte, müsste kommen und selbst nachschauen.

Dun zog ihn zu sich. »Ganz richtig. Dorthin musst du gehen.«

»Ich? Kommst du etwa nicht mit?«

Ein Kopfschütteln.

»Wa-warum?«, stammelte Ellis. »Weshalb bin ich dann überhaupt hier hochgeklettert? Und – und wie soll ich dorthin kommen? Ich sehe nirgends einen Weg, der …«

Sein Freund unterbrach ihn. »Mach dir keine Gedanken, den zeig ich dir.«

Er führte ihn die wenigen Schritte zum Abgrund und beugte sich hinüber. Obwohl die glühenden Berge in weiter Ferne lagen, erhellte ihr Strahlen den Erdboden. Dort unten schien eine Eisdecke zu sein, auf der Schneeböen hin und her sausten. Duns Fingerspitze pickte auf einen Punkt zwischen zwei Schatten, die offenbar von Bäumen stammten. Was sie in dieser lebensfeindlichen Umgebung zu suchen hatten, blieb ihr Geheimnis. »Fang dort an.«

»Warum gerade dort?« Ellis’ Körper verkrampfte. »Und … und … ich hab Bauchschmerzen, wenn ich an den Abstieg denke.«

»Der Weg nach unten wird ein Kinderspiel, das darfst du mir glauben.«

Ellis blies Luft aus spitzen Lippen. »Danke. Was würde ich nur ohne dich …«

Bevor er den Satz beenden konnte, schleuderte ihn ein Stoß über die Kuppe. Während er in die Tiefe stürzte, sah er hinauf zu seinem immer kleiner werdenden Freund, der ihm zum Abschied zuwinkte.

Kapitel 1

1

Bessere Zeiten

Dicke Tropfen prasselten auf die zerknitterte Plane aus olivgrünem Kunststoff. Trostlos untertrieb den Anblick, so triefend und schlaff, wie sie da hing, und nicht mehr als ein löchriges Häufchen Elend abgab, das sich in einem Gestank aus Schimmel und trüben Gedanken suhlte. Wer ihn in die Nase bekam, dachte unweigerlich an eine Sommerwiese – das nämlich war der Duft, den man sich stattdessen wünschte.

Bienen, die von Blume zu Blume summten.

Gelbe Vögel, die mit roten zwitscherten.

Ein Lagerfeuer, knisterndes Holz. Die Luft trug eine rauchige Note.

Kinder rannten einem Ball hinterher und lachten.

Wünsche. Immer meldeten sie sich gerade dann zu Wort, wenn die Realität nicht weiter von ihnen entfernt sein konnte.

Ellis riss die Augen auf. Seine Blicke rasten panisch umher und durchwühlten den Schlamassel, in dem er bis zu den Knien steckte. Matsch, Regen und Wind. Letzterer hielt sich für arglos, machte alles aber nur schlimmer. Dennoch atmete Ellis erleichtert aus. So mies sich die Situation auch darstellte; sie war besser, als von einem Berg hinabzustürzen. Mit einem flauen Gefühl im Magen zog er sich den müffelnden Kunststofffetzen über den Kopf und seufzte. Nicht mal die Plane vermochte dem Regen etwas entgegenzusetzen. Besonders hartnäckige Tropfen ließen sich von ihr erst recht nicht aufhalten und klopften nervensägig auf den Stahlhelm.

Tok. Tok.

Der Sommer fühlte sich auf der Haut wie November an. Dunkelgrau schwebten die Wolken dorthin, wo Ellis sein Zuhause vermutete: viel zu weit hinter sich. Die gegenüberliegende Seite des etwa zwei Meter tiefen Schützengrabens war keine drei Schritte entfernt. Wasserfälle schossen über den Rand und füllten ihn unaufhörlich mit Schlamm und erdig-brauner Brühe, während seine Stiefel im Morast versanken. Ellis zitterte und sein Zähneklappern vermischte sich mit dem Takt des Regens. So unerbittlich die Sonne tagsüber auf die Erde herunterbrannte, so kalt wurde es, wenn sie bei Nacht verschwand. Seine Finger spürte er kaum noch und schlug sie abwechselnd auf die Oberschenkel.

Ein Dröhnen, plötzlich vibrierte die Erde. Instinktiv tastete er nach seinem Gewehr und umklammerte den kühlen Lauf. Nicht, dass es ihn beruhigt hätte. Um ihn herum erwachte angespannte Geschäftigkeit. Ellis holte tief Luft, schloss die Augen und wartete. Mit pochendem Herzen griff er nach seinem Fernglas und stieg auf das hölzerne Trittbrett zu seinen Füßen, schob vorsichtig den Kopf aus dem Graben und blickte auf ein grässlich entstelltes Feld. Wochenlanger Beschuss hatte es umgepflügt und in eine graubraune Wüstenlandschaft verwandelt. Bäume waren Kanonen gewichen, Bäche Schützengräben.

Vor einer finsteren Wand blinkten Lichter – irgendwo in der Ferne. Sie bewegten sich nicht von der Stelle, was aber nichts bedeuten musste. Wären sie auf direktem Weg hierher, es sähe nicht anders aus.

Kein Mündungsfeuer, keine Explosionen, keine geisterhaften Silhouetten.

Aus Sekunden wurden Minuten bangen Wartens. Dann endlich nahm das Grollen wieder ab, bis nur noch der Wind und der Regen zu hören waren. Heilfroh stieg er vom Schemel und verkroch sich abermals unter der Kunststoffplane.

Während er jeden einzelnen Regentropfen in die heißeste aller Wüsten wünschte, fiel sein Blick auf seinen Freund, der links von ihm an der Wand des Grabens gekauert tief und fest schlief und mit weit geöffnetem Mund gegen das Unwetter anschnarchte. Duns Helm ruhte leicht verdreht auf dem im Nacken liegenden Kopf. Zusammen mit einem nicht ganz so kühnen Gesichtsausdruck wirkte er bestenfalls einfältig. Ellis konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er fand, dass sein Freund den Regenschutz dringender benötigte als er – nicht, dass er ihm noch ertrank. Mit einem Ruck zog er die Plane von sich herunter, breitete sie über ihm aus und befestigte sie mit Metallbolzen am Boden. Sie zappelte einige Male, fügte sich aber in Windeseile der Trostlosigkeit des Augenblicks.

Sofort trommelten unzählige Regentropfensoldaten gegen Ellis’ jetzt schutzlosen Helm. Trotzig zuckte er mit den Schultern, als machte es ihm nichts aus. Sollten sie doch, er war eh schon durchnässt bis auf die Knochen. Wenn sich morgen früh die Sonne um sie kümmerte und verdunsten ließ, wäre er es, der lachte. Bis dahin würde er ganz einfach die Arme vor der Brust verschränken …

Tok.

… den Kopf an die Wand lehnen …

Tok.

… und warten.

Tok. Tok.

Eins stand fest: Solange Dun bei ihm war, konnte ihm nichts geschehen. Wenigstens eine Gewissheit in dieser farblosen Zeit, die oft sogar die Vergangenheit zu einem grauen Stummfilm werden ließ. Oft. Aber nicht immer. Manche Erinnerungen verblassten niemals. So wie ihre allererste Begegnung. Dun und er waren sich gerade erst über den Weg gelaufen, als jenes dicke Kind auch schon schnaufend auf seinem Bauch hockte und – als sei das sein gutes Recht – auf Ellis eindrosch. Die Hofaufsicht des städtischen Kindergartens löste sich nur transusig von ihrem Gespräch mit dem Hausmeister und befreite ihn aus seiner misslichen Lage. Beide Streithähne konnten mit dem Ausgang der Diskussion gut leben. Dun hatte ausgesprochen, was er sagen wollte, und auch der Unterlegene beschwerte sich nicht – schließlich hatte er den Meinungsaustausch glorreich überlebt.

Ihr nächstes Zusammentreffen sollte bis zur Grundschule auf sich warten lassen. Dun hatte weiter an Gewicht zugelegt, und gleiches war mit seinem Jähzorn geschehen. Bis eines Tages ein Junge, den er von irgendwoher zu kennen glaubte, vor ihm stand und mit gesenktem Kopf die Hand entgegenstreckte.

»Ich bin Ellis Galfort. Mit einem T am Ende, das man zwar schreibt, aber nicht spricht.«

Dun bestaunte die sich ihm zaghaft nähernde Hand. Entweder war dieser Galfort ohne T ausgesprochen mutig, dumm oder lebensmüde. Was es auch war, er verdiente es, angehört zu werden. Mit verschränkten Armen und zusammengekniffenen Lidern beäugte Dun den vor ihm stehenden Winzling.

»Und wenn du mich nicht noch einmal verprügelst, dann sind wir jetzt Freunde«, beendete Ellis sein Mehr-als-Friedensangebot. Die Welt konnte so einfach sein. Zuerst hob er den Blick, danach den Kopf und schaute in das runde Gesicht des sprachlosen Dunkan mit K, wartend und nervös blinzelnd.

Eindeutig ließen sich der offene Mund und die gerunzelte Stirn nicht interpretieren. Allmählich aber, so glaubte er, wurden Duns Gesichtszüge freundlicher. Da, er lächelte sogar, und Ellis atmete erleichtert aus.

Keine drei Sekunden später lag er mit blutender Nase auf dem Boden des Schulhofs.

Tok.

Dun lächelte noch immer.

Freunde wurden sie trotzdem.

Ein greller Blitz jagte über den Nachthimmel. Ellis zuckte zusammen und griff sich erschrocken an die Nase. Lautes Donnern, das ihn an eine Explosion erinnerte, folgte nur leicht versetzt. Das Unwetter steigerte sich zu einem Orkan. Regentropfenarmeen peitschten auf den Untergrund und taten so, als wäre das Dröhnen der Donnerschläge ihr Verdienst. Auch der Wind blies immer grausiger.

Dun bekam unter der Plane nichts von alldem mit. Zwar klatschten die nassen Ecken an den glitschigen Kunststoff, doch weder er noch die Bolzen dachten daran, ihre Posten zu verlassen. Dun hatte etwas an sich, etwas Überzeugendes.

Die Stunden vergingen, und so wie das Gewitter ließ auch der Regen nach, als die ersten Strahlen der Morgensonne durch die Wolken brachen. Unter der Plane kehrte Leben ein. Beine strampelten und traten ins Leere, bevor wild fuchtelnde Arme das miefende Stück Kunststoff von sich herunterrissen.

»Sndasfürneschei…«, nuschelte eine verwundert klingende Stimme. Zwei verschlafene Augen blickten irritiert hinauf.

Ellis zog die Augenbrauen in die Höhe und sah ihn an.

»Hä? ’s is los?«, blieb Dun beharrlich.

»Ach, das war’s schon? Ich dachte, da kommt vielleicht noch was.«

»Pfscht!«, machte Dun, was die sinngemäße Kurzform von »Halt bloß den Mund!« darstellte. In den ersten Minuten nach dem Aufwachen war er für gewöhnlich von allem überfordert, was über einen Schluck Kaffee hinausging. »Hab grad echt gedacht, mich hätte ein Wal verschluckt. Was ist das für ein Ding?« Mit den Fingerspitzen hielt er die vermeintliche Walhaut in die Höhe.

Ellis stutzte. »Ein – Wal? Wie kommst du auf einen …«

Dun schüttelte den Kopf. »Du hast ja keine Ahnung, was ich für einen Schwachsinn geträumt hab. Da waren irgendwelche Farben, überall. Blau und – gelb und so. Lila.« Er atmete mit geschlossenen Lippen aus, die dabei mehrmals aufeinanderschlugen.

»Farben und Wale, interessant«, erwiderte Ellis. »Waren da auch Einhörner? Feenstaub? Vielleicht ein singender Delfin?«

»Kannst mich mal«, brummelte Dun. Misstrauisch schnüffelte er an dem Kunststofffetzen und verzog das Gesicht.

Ellis grinste. »Da ihr euch bereits kennengelernt habt, darf ich nun vorstellen: kein Wal, sondern dein Regenschutz von heute Nacht.«

»Wie? Es – hat geregnet?« Duns Blicke wanderten durch den Graben, wobei er feststellte, dass er in einer matschigen Lache hockte. »Es hat geregnet«, bestätigte er sich selbst und schlug mit der flachen Hand in die Pfütze vor ihm. Dann sprang er auf, streckte sich und gähnte, so laut er konnte, und nickte einem müde vorbeitrottenden Unteroffizier zu, bevor er seinen Freund am Arm packte. »Siehst du? Kaum geht die Sonne auf, machen sich die Wolken aus dem Staub. Das wird ein richtig guter Tag, das spür ich.« Er rückte seinen Helm zurecht und klopfte mehrmals mit den Fingerknöcheln dagegen. »Tok-tok. Ist ja fast wie Topfschlagen, kennst du das noch? Spielen kleine Kinder an Geburtstagen.«

»Haben wir nie. Du fandest das immer kindisch.«

»Echt?« Dun legte die Stirn in Falten. »Hm«, machte er. Damit lag man im Zweifelsfall niemals falsch.

Dun vertrat eine einfache Auffassung. Wer einen Tag als schlecht bezeichnete, gab stets dem Falschen die Schuld. Wenn der Tag die gestellten Erwartungen nicht erfüllte, dann lag das immer an den Erwartungen und nie an ihm. Es war doch so: Wer einem Tag Mehl, Zucker, Butter und Eier gab, bekam nicht zwangsläufig einen Kuchen zurück. Das bedeutete nicht, dass Dun nicht täglich auf eine Marzipantorte hoffte. Nur freute er sich eben nicht weniger, wenn am Abend ein belegtes Brötchen heraussprang.

Ellis dagegen vermied es, zu optimistisch in die Zukunft zu schauen. Nach seiner Erfahrung bedurfte es lediglich eines gewissen Maßes an übersteigerter Vorfreude, damit etwas gründlich in die Hose ging. Jeden Abend lag er im Bett und hoffte, dass der nächste Tag der sei, der seine Welt veränderte. Dabei hatte er nicht den Hauch einer Vorstellung, wie sein perfektes Leben aussähe. Er wusste es nicht, vertraute jedoch darauf, es zu erkennen, wenn es vor ihm stünde. Abenteuer, Nervenkitzel, etwas in der Art. In einer schimmernden Rüstung und nur bewaffnet mit Heldenmut eine Prinzessin aus den Klauen eines furchterregenden und feuerspeienden Drachens zu retten. Das zu bekommen, wonach er sich am meisten sehnte. Am nächsten Morgen aber kam es ihm lächerlich vor. Abenteuer waren Geschichten, die sich andere wie er erdachten. Langweilige Träumer, die an Holztischen saßen und ihre Wunschträume auf Papier brachten, zu denen ihnen selbst der Mut fehlte.

Unterschieden sich Ellis’ und Duns Wesenszüge wie Wasser und Benzin, passte es ganz gut, dass es sich in ihrem Erscheinungsbild genauso verhielt. Ellis war schlank und von durchschnittlicher Größe. Zwei Arme, Beine, ein Kopf und was sonst noch dazugehörte. Nase und Augen zum Beispiel. Er kümmerte sich nicht darum, wie seine Haare lagen, und es reichte ihm völlig, den morgendlichen Kampf gegen den immerselben Wirbel am Hinterkopf für sich zu entscheiden. In aller Regel drehte sich auf der Straße niemand nach ihm um – ein Umstand, mit dem er gut leben konnte.

Nicht so bei Dun. War er in seiner Kindheit noch pummelig, jähzornig und tagein, tagaus mit derselben abgewetzten Hose unterwegs gewesen, veränderte er sich mit fortschreitender Jugend zusehends. Er wurde gelassener, achtete auf sein Äußeres und wusste bald, dass breite Schultern in passender Kleidung zwar für offene Münder, gepaart mit dem richtigen Auftreten aber sogar für offene Türen sorgten. Attraktiv traf es am ehesten, und darüber hinaus den Nagel auf den Kopf.

Optimismus ist wie Hoffnung, die sich nicht erst erfüllen muss. Optimismus macht aus Regen eine warme Dusche, aus Schlammpfützen ein Schaumbad und aus Sonnenstrahlen, die zwischen zwei Wolken hervorbrechen, einen richtig guten Tag.

2

Ein vertrauter Feind

Dun behielt recht. Immer mehr Wolken lösten sich in Luft auf, bis die Sonne zum Hauptdarsteller der hellblauen Leinwand geworden war.

Ein gleichgültig dreinschauender Mann, der so etwas wie einen Bauchladen umgeschnallt hatte, huschte mit auf den Boden gerichteten Augen durch den Graben und verteilte die morgendliche Ration, die aus dem üblichen Klumpen Brot, zwei hartgekochten Eiern und einem nicht ernst gemeinten »Morgen« bestand. Obendrein gab es einen Becher schwarzen Wassers, das jedoch zu nicht mehr als einer missratenen Persiflage auf Kaffee taugte. Dun hatte noch keinen Hunger, das lauwarme Heißgetränk aber kam ihm gerade recht und er stürzte es in nur einem Schluck in sich hinein. »Bäh!«

Je munterer Dun mit jeder verstreichenden Sekunde wurde, desto verzweifelter kämpfte Ellis gegen die Erschöpfung an. Seit Tagen hatte er kein Auge zugetan – von einem schwindelerregenden Sekundenschlaf mal abgesehen –, er fror und dachte an zu Hause. Der braunplörrige Kaffee-Ersatz tat sein Übriges und bewies ihm eindrücklich, dass diese Brühe nicht mehr als die Farbe mit ihrem Namenszwilling gemein hatte. Ellis starrte auf den Boden. Es würde noch Stunden und jede Menge Sonnenstrahlen benötigen, bis der Schlamm endlich getrocknet war. In einer Pfütze sah er die schemenhaften Umrisse seines Kopfes. Das Gesicht wirkte wie das Zerrbild eines müden alten Mannes, auf dem durch widrige Umstände ein Stahlhelm gelandet war. Er lächelte bitter, denn lustig war es nicht. Tiefer und tiefer versanken seine Blicke in ihr – als sei sie ein Loch, das in den Nachthimmel führte. Dabei wurde sie schwärzer, bis seine Silhouette fast vollständig verschwunden war. Kurz bevor er sie nicht mehr sehen konnte, machte sie eine eindeutige Geste und lud ihn ein, ihr zu folgen.

Ellis blinzelte, dann stürzte er mitten hinein.

Als er die Augen öffnete, umgab ihn Finsternis. Verängstigt tastete er die nähere Umgebung ab, fühlte aber nur das, was er sah: nichts. Ihm wehte kalte Luft ins Gesicht und er trat mehrmals auf, um zu überprüfen, ob er mit den Füßen die Erde berührte oder ob er sich im freien Fall in ein bodenloses Überhauptnichts befand. Sie trafen geräuschvoll auf einen harten Untergrund. Mit sichtlicher Erleichterung atmete er aus. Doch sie währte nur kurz. Da er weder wusste, wo oben noch wo unten war, und die Umgebung ihm keinen einzigen Fixpunkt bot, wurde ihm schwindlig und er kam ins Straucheln. Bei der verzweifelten Suche nach Halt wirbelte er mit den Armen in der Luft herum und fiel auf den Boden. Dieser war kühl, aber trocken und offenbar aus Stein; trotzdem hörte er das Geräusch von aufspritzendem Wasser.

Wo war er hier?

Und viel wichtiger: Wohin sollte er gehen?

In der Ferne erschien ein Lichtkegel, wie der eines Leuchtturms, der unverzüglich damit begann, sich bedächtig im Kreis zu drehen. Als er Ellis entdeckte, blieb er stehen und blinkte einige Male, um auf sich aufmerksam zu machen. Der Junge bekam eine Gänsehaut und atmete tief durch. Wenigstens gab der einsame Lichtstrahl ein blendendes Ziel ab. Er rappelte sich auf und lief los, behutsam einen Fuß vor den anderen setzend, um nicht nochmal das Gleichgewicht zu verlieren.

Zunächst kam er dem Licht kein bisschen näher. Manchmal flackerte es ungeduldig, so als verstünde es nicht, warum dieser Mensch so lange brauchte, um zu ihm zu gelangen. Wenige Schritte aber, bevor er es erreichte, wurde es fahl und erlosch.

Er blinzelte.

Nochmal.

Nachdem er die Augen für volle sechs Herzschläge geschlossen hatte, war die Dunkelheit um ihn herum verschwunden. Was Ellis stattdessen sah, ließ ihn an seinem Verstand zweifeln. Ohne den blassesten Schimmer zu haben, wie er hierhergekommen war, fand er sich in einem riesigen prachtvollen Saal wieder. Der Steinboden strahlte mit auf Hochglanz poliertem weißen, schwarzen und rosafarbenen Marmor so wundervoll, dass er sich darin spiegelte. Von der Decke hingen Kronleuchter aus kunstvoll geschliffenem Glas. Genau vor ihm reichte eine mit allerlei Leckereien gedeckte Tafel bis weit in die Tiefe des Saals. Auf ihr dampfte jede Köstlichkeit, die er sich nur vorstellen konnte.

Er hörte ein Räuspern. Es war vom Tischende gekommen, dort schien jemand zu sein. Ihm stockte der Atem. Allmählich gewöhnte Ellis sich an die Helligkeit, die Schemen wurden klarer und er entdeckte eine Gestalt, die zu ihm herüberstarrte.

Der Schatten erhob sich und bewegte sich gebückt auf ihn zu. Ellis stieg der süße Duft einer Erdbeertorte in die Nase. Es stand im völligen Widerspruch zu den gruseligen Geräuschen, die das Wesen von sich gab. Hart auftretende Schritte, gefolgt von einem Knurren oder Stöhnen. Obwohl Ellis die Person ganz deutlich sah, war es ihm unmöglich, sie zu beschreiben. Immer wenn er glaubte, sich bei einem Merkmal sicher zu sein, veränderte sie es kurzerhand. Erkannte er zwei Arme, waren es plötzlich fünf. Weder konnte er ihr ein Geschlecht zuordnen, noch ließ sich mit Gewissheit sagen, ob ihre Füße überhaupt den Boden berührten. Sie trug einen weißen Umhang, doch je näher sie kam, desto unweißer schien er zu werden. Vier Schritte vor ihm blieb sie stehen und musterte ihn von oben bis unten.

»Weißt du, wer ich bin?«, fragte sie kühl.

Ellis schüttelte den Kopf.

Die Gestalt rollte genervt mit den Augen. »Es ist immer dasselbe mit dir. Du tust so selbstbewusst, wenn du über mich schimpfst, aber wenn es um Entscheidungen geht …?«

Die Stimme veränderte sich während des Sprechens, kein Wortklang glich dem vorherigen. Manche Silben dröhnten tief, andere waren fiepsig. Einige so kratzig und atemlos wie bei einem Greis und wieder welche so, als kämen sie aus den Mündern von Kindern. Nach der letzten entschied sich die Stimme für einen abfälligen Bariton, ganz ohne Singsang, und blieb dabei.

Zwei Fäuste verließen den Umhang der fremden Person. Ausgestreckt und auf Brusthöhe kamen sie zum Stehen. In jeder war ein winziges Stäbchen. »Ich frage dich ein letztes Mal: Wie lautet deine Entscheidung?«

Ellis nahm seinen Mut zusammen, holte tief Luft und antwortete: »Ich weiß nicht, wer du bist. Und ich weiß nicht, was für eine Entscheidung ich treffen soll.«

Die Gestalt zeigte sich unbeeindruckt und lächelte süßlich. »Dann werde ich sie für dich treffen müssen«, sagte sie mit aufgesetzter Enttäuschung. »Ich fürchte jedoch, dass sie dir nicht gefallen wird.« Gleichgültig zuckten die Schultern in die Höhe. Die Hände kehrten in den Umhang zurück, woraufhin sich eine dritte hervorschob, auf deren Fläche eine Taschenuhr ruhte. Nachdem sie sie auf den Tisch gelegt hatte, drehte sich die Person um und lief – oder schwebte – davon.

»Wer bist du?«, flüsterte Ellis.

Das Unbekannte ignorierte ihn und glitt unbeirrt weiter.

Mit zitternden Händen nahm der Junge die Taschenuhr und starrte sie an. Ihre Oberfläche schien aus Messing zu sein, vielleicht aus Bronze. Auf ihr waren keinerlei Verzierungen, darüber hinaus wirkte sie alt und abgetragen. Das Ziffernblatt war leer und zeigte lediglich ein fremdartiges Symbol dort, wo üblicherweise die Zahl 12 zu finden war. Dieses ähnelte einer Blume – oder einem Glückskleeblatt. Über einer liegenden, schwungvoll gezeichneten 3 hing eine weitere, allerdings gespiegelte. Zwischen ihnen erkannte Ellis so etwas wie eine Badewanne, die der oberen 3 seitlich versetzt die Zunge herausstreckte. Das Symbol ergab keinen Sinn.

Was hatte es zu bedeuten?

Nur ein einzelner Zeiger tickte im Sekundentakt und näherte sich unerbittlich dem Kleeblatt. Fünf Schläge, bevor er es erreichte, blieb er stehen. Verunsichert schüttelte Ellis die Uhr, wovon sich das Stäbchen aber nicht beeindrucken ließ. Unvermittelt wurde das Metall heiß und glühte. Ellis schrie auf und wollte sie auf den Boden schleudern, doch alles, was ihm aus der Hand rieselte, war Asche. Flockige Federn schwebten auf die Tischplatte und zeichneten Buchstaben, die zu einem Gedicht wurden; bis ein Windstoß kam und sie fortwehte.

Ellis hob den Kopf. Die Person war fast am Tischende angelangt.

»Wer bist du?«, schrie er und lief ihr hinterher.

Die Gestalt fuhr herum. Ihre Augen funkelten, der Mund war schief aufgerissen. Schlagartig verschwamm der Saal und Ellis’ Sicht trübte sich. Es wurde dunkel, er konnte sich nicht halten und fiel; nicht auf den Marmor, denn dieser hatte sich aufgelöst. Der Junge stürzte ins Überhauptnichts, als er aus der Ferne seinen Namen hörte.

»Ellis!«, rief ihn jemand. »Aufwachen!«

Dun rüttelte ihn kräftig an der Schulter. Ellis schreckte auf und sah seinem Freund verwirrt ins Gesicht. »Dun? Wo? Ich?«

»Und ob. Dreckbrühe. Denk schon.« Dun lachte. »Deine verdammten Nerven will ich haben, machst hier im Stehen ein Nickerchen. Was treibst du eigentlich die ganze Nacht?«

Halbschläfrig wischte sich Ellis mit der flachen Hand über die Augen. »Ich bin eingenickt. Was für ein – komischer Traum.«

»Wale?«

»Was? Nein!«

»Puh!«, machte Dun und stieß ihm den Ellbogen in die Seite. »Solange du nicht von Walen verschluckt wirst, sind Träume vollkommen harmlos. Träume sind wie …« Er wollte etwas selten Dämliches sagen, wurde jedoch von sich selbst überrascht. »Träume sind wie Magenknurren im Kopf.«

»Aha!«, erwiderte Ellis verdutzt, beließ es aber dabei.

Auch wenn Träume harmlos waren, hatte die Gestalt nicht minder beängstigend gewirkt. Am seltsamsten war, dass sie ihm auf eine ungewöhnliche Weise vertraut vorkam. Nicht wie ein Freund, eher das Gegenteil. Oder das Gegenteil des Gegenteils von unten betrachtet. Und was bedeutete das Symbol? Hatte es überhaupt eine Bedeutung? Er blies Luft aus gespitzten Lippen und hoffte, diese Person nie wieder sehen zu müssen. Erst recht nicht in seinen Träumen. Dorthin gehörten andere.

Müde nippte Ellis an der schwarzen Brühe und fand sie gar nicht so übel, auch wenn sie den Namen Kaffee nicht verdiente.

»Bäh?«, erkundigte sich Dun.

»Geht.«

Rosenkohl zum Frühstück wäre schlimmer.

Während sich die Sonnenstrahlen Tropfen für Tropfen um das Wasser kümmerten, lehnten die beiden Freunde an der Grabenwand und blickten hinauf in den Himmel. Nach einer ungewohnt langen Redepause schoben sich Duns Mundwinkel in Richtung der Ohren und seine Augen schlossen sich zur Hälfte. »Weißt du, woran ich gerade denke?«

»Klar«, bestätigte Ellis und sah die Brücke genau vor sich. Seit ihrer Kindheit war dort ihr Treffpunkt gewesen. Jener winzige Steg, welcher über einen Bach führte, der eigentlich ein Fluss war. Es erinnerte ihn an Freiheit. Schlammige und stinkende Freiheit, die einen Umhang aus Korn, Blüten und frisch gemähtem Gras trug. Aber er sah noch jemanden, denn sie waren nicht nur zu zweit, sondern zu dritt gewesen. »Vermisst du sie? Wenigstens ein bisschen?«

»Penny?«, stutzte Dun.

»Wen sonst?«

»Ein wenig.«

»Na immerhin.« Ellis grinste.

Dun korrigierte sich: »Ich vermisse sie so, wie man ein nervendes kleines Mädchen vermissen kann.«

3

Penny und der gefallene Riese

Penny war die vielen Gedanken, die Dun sich nicht machte.

---ENDE DER LESEPROBE---