Die Stille tiefen Wassers - Judith Kleiner - E-Book
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Die Stille tiefen Wassers E-Book

Judith Kleiner

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Beschreibung

Eine zufällige Begegnung offenbart dunkle Geheimnisse im breiten Spektrum zwischen Gut und Böse. Die Stille tiefen Wassers: Romantischer Thriller - Band 1 der Hailee Borrows Serie von der österreichischen Autorin Judith Kleiner Bei einem Ausflug in das städtische Nachtleben gerät Hailee Borrows mitten in eine tödliche Schießerei. Sie selbst bleibt unverletzt, wird für einen unbekannten Beteiligten jedoch zur Lebensretterin. Erst später erfährt sie die erschütternde Wahrheit: Sie hat einen gefährlichen Kriminellen vor dem Tod bewahrt. Allen Warnungen zum Trotz sieht Hailee diese schicksalhafte Begegnung als Chance. Denn auch ihr eigenes Leben birgt bedrohliche Geheimnisse. Wird der Kontakt zum organisierten Verbrechen zu einem unverhofften, aber unmoralischen Befreiungsschlag oder zieht die Mafia sie in noch dunklere Tiefen ohne Wiederkehr? ENTHÜLLT: -Die Verstrickungen der Macht -Ein System aus Korruption -Gefährliche Wahrheiten -Verbotene Verbindungen -Schicksalhafte Begegnungen Die Hailee Borrows Serie entwickelt sich über sechs spannende Bände von einer klassischen Mafia Romance zu einem packenden Thriller, in dem die Grenze zwischen Recht und Unrecht verschwimmt und Moral auf eine gefährliche Probe gestellt wird. Was als schicksalhafte Begegnung beginnt, führt tief in die Intrigen des organisierten Verbrechens und in ein System aus Macht und Korruption. ÜBER DAS BUCH: -Packender romantischer Thriller -Band 1 der Hailee Borrows Serie -Von der österreichischen Autorin Judith Kleiner -4,9 von 5 Sternen Bewertung FÜR FANS VON: -Packenden Thrillern -Romantischen Thriller-Serien -Komplexen Charakteren -Spannenden Intrigen -Dark Romance und Romantic Suspense

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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2. Auflage, 2024

Copyright © 2023 by Judith Kleiner

Alle Rechte vorbehalten.

Impressum:

Judith Kleiner

c/o Literatur- und Kulturlounge

Mainzer Str. 6

55276 Oppenheim

Deutschland

Mail: [email protected]

Instagram: @judith.kleiner.autorin

Lektorat: Die Buchprofis – Agentur für Verlagsdienstleistungen

Korrektorat: Tamara Leonhard

Umschlagmotive:

- «Woman Wearing White Dress Shirt Crossing Her Arms» von John Rae Cayabyab via Pexels / Canva Pro

Umschlaggestaltung: Judith Kleiner via Canva Pro & Scribus

Blumendekoration: erstellt von Judith Kleiner mit Mojo AI via Canva Pro

ISBN (Hardcover): 978-3-759-24438-3

ISBN (Softcover): 978-3-759-21487-4

ISBN (E-Book): 978-3-757-96622-5

 

 

 

 

Die Stille tiefen Wassers

 

von Judith Kleiner

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Mia

 

 

 

 

 

 

Die Stille tiefen Wassers

 

Teil 1

 

Du endest, wo ich beginne

 

von Judith Kleiner

 

Judith Kleiner

c/o Literatur- und Kulturlounge

Mainzer Str. 6

55276 Oppenheim

[email protected]

Instagram: @judith.kleiner.autorin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Inhalt:

Bei einem Ausflug in das städtische Nachtleben gerät Hailee Borrows völlig unschuldig mitten in eine Schießerei. Sie selbst bleibt unverletzt, wird für einen anderen, ihr unbekannten Beteiligten jedoch zur Lebensretterin. Erst später erfährt sie, wen genau sie vor dem Tod bewahrt hat. Allen Warnungen zum Trotz sieht Hailee ihre Begegnung mit diesem berüchtigten Verbrecher als Wink des Schicksals. Denn auch ihr eigenes Leben ist gefährlicher, als sie ihre Umwelt wissen lässt. Findet sie im Untergrund endlich Hilfe oder zieht der Kontakt zur Mafia sie weiter in die Tiefe?

 

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

 

Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Vor dem Club 15

Krankenhaus 26

Im Alltag 38

Terrasse 50

In der Küche 58

Das Esszimmer 70

Im Club 86

Parkplatz 102

Wohnzimmer 109

Golfclub 119

Internetcafé 127

Im Casino 136

Parkgarage 148

Die Villa 161

Vorhölle 182

Vordertür 192

Erinnerung 203

Abschied 212

 

 

 

Vor dem Club

«Willst du noch einen Drink?»

Lee starrte auf das Glas, das vor ihr auf der Bar stand. Die letzten Eiswürfel lösten sich wieder in ihre ursprüngliche Form auf. Das Wasser bebte im Beat der dröhnenden Musik. Mit ihrem Daumen fuhr sie über die nasse Außenseite des Glases.

«Nein, vielen Dank. Dein verzweifelter Versuch, mich ins Bett zu kriegen, führt ja doch nirgendwo hin», murmelte sie mit dem bezauberndsten Lächeln, das sie aufzubringen vermochte, und schüttelte dann gespielt bedauernd den Kopf. Die Musik in dem Club war zu laut, um überhaupt ein anständiges Gespräch führen zu können.

Jeff, der fünfzigjährige, schmierige Typ, der seit einer halben Stunde versuchte, bei Lee Eindruck zu schinden, nickte ihr leicht enttäuscht zu. Er hatte nicht gehört, was sie genau gesagt hatte, begriffen hatte er nur, dass sie keinen weiteren Drink nehmen würde. Er wusste, dass er sie nicht rumkriegen würde, solange sie bei klarem Verstand war.

Immer noch lächelte sie ihm zu. Seine aufdringliche Art nervte sie zunehmend.

«Willst du tanzen?», rief er.

Ach Jeff, dachte Lee, mach dich doch nicht völlig zum Idioten! Erneut schüttelte sie ihren Kopf und deutete auf ihre Armbanduhr. «Ich muss bald wieder los.»

«Komm schon! Nur ein kleines Tänzchen!», schrie Jeff sie durch den Lärm hindurch an und vollführte dabei einige alberne Tanzbewegungen.

Dieses Mal war ihr Lachen echt. Sie lachte nicht nur über den dämlichen Tanz, den Jeff aufführte, sondern auch über ihn. Er war eigentlich kein unattraktiver Mann, aber sein enges Shirt, der moderne Haarschnitt mit den vereinzelt grauen Strähnen und sein Aftershave, das er in solchen Unmengen aufgetragen hatte, dass man es auch im Gestank des Clubs noch wahrnehmen konnte, ließen ihn für Lee etwas zu verzweifelt erscheinen. Er war über zwanzig Jahre älter als sie, vermutlich geschieden und höchstwahrscheinlich gab es irgendwo auch Kinder. Fotos hatte sie bisher nur von seinem ehemaligen Boot, seinem ehemaligen Haus und seinem Auto gesehen. Vielleicht hatte ihn seine Frau verlassen, weil er nur gearbeitet hatte, vielleicht hatte er auch eine Affäre gehabt, die inzwischen ebenfalls in die Brüche gegangen war. Alles an ihm schrie danach, dringend wieder einmal jemanden flachlegen zu wollen. Seine armselige Darbietung beeindruckte sie nicht. Er tat ihr fast leid, aber nur fast. Jeder hatte sein Päckchen in dieser Welt zu tragen. Seines war nicht schwerer als ihr eigenes.

Jeff war heute hierhergekommen, um eine Frau abzuschleppen. Es mangelte nicht an Auswahl. Doch mit Lee hatte er sich an diesem Abend eindeutig die Falsche ausgesucht. Selten hatte sie die Gelegenheit, ihre Nächte in solch einer Umgebung zu verbringen.

Die grellen Lichtkegel der Scheinwerfer rasten durch den hohen, ansonsten düsteren Raum, der immer wieder von blendendem Stroboskoplicht erhellt wurde. Die Tanzenden gaben sich dem Rhythmus des pulsierenden Basses hin, der einem durch die Organe und Knochen hallte. Aufgedonnerte Gestalten rieben ihre spärlich bedeckten Körper an denen der anderen. Kaum jemand war hier nüchtern und kaum jemand hatte seine Nüchternheit nur dem Alkohol geopfert. Der chemische Geruch von Amphetaminen und der Gestank von Schweiß hingen beißend in der Luft. Der Club wirkte bei genauem Hinsehen schäbig, der dunkle PVC-Boden und das schwarz lackierte Holz der Bar waren verklebt. Was konkret sie klebrig machte, wollte man besser nicht wissen. Auch die samtigen Bezüge der Barhocker hatten ihre Glanzzeiten hinter sich.

Das Personal hinter der Theke war aufgekratzt und nicht nüchterner als die Gäste. Die hübschen Barkeeper und Kellnerinnen flirteten wie wild, um zusätzliches Trinkgeld zu ergattern. Die Frauen ließen sich von den Männern begaffen und belabern. Es wurden plumpe Anmachen und bösartige Körbe verteilt. Immer das gleiche Schauspiel, das gleiche Verhalten und das gleiche Ergebnis.

Lee gefiel es hier, denn sie wusste, dass sie hier nicht dazugehörte. Erst kürzlich hatte sie wieder damit begonnen, auszugehen, und genoss es, sich in den überfüllten Clubs als Außenseiterin zu fühlen. Wenn sie ausging, dann immer allein. Jedes Mal bestellte sie sich einen Wodka-Tonic an der Bar und wartete. Obwohl sie auch in Lumpen schön gewesen wäre, trug sie teure Designerkleider. Das Anziehendste an ihr schien jedoch ihr Gleichmut zu sein. Sie beobachtete die Menschen um sich herum, beteiligte sich aber nur unfreiwillig an ihren banalen Ritualen.

Meist vergingen nur wenige Minuten, bis sich jemand zu ihr an die Bar setzte und sie mit den ewig gleichen Sprüchen bombardierte. Manche starrten sie unverhohlen an und schienen darauf zu hoffen, dass ihre Blicke sie zu einem Striptease animieren könnten. Andere redeten wild drauf los, hatten offensichtlich keine Hemmungen, ihren Drogenkonsum verbal zur Schau zu stellen.

Lee ließ sich die Langeweile, die sie bei den Unterhaltungen empfand, nicht anmerken. Mit einigen ihrer Verehrer unterhielt sie sich geduldig und charmant. Andere wies sie höflich, aber direkt ab. Ihre Art, mit Männern umzugehen, war nur ein weiterer Hinweis darauf, dass sie hier völlig fehl am Platz war. Nach Hause ging sie ebenfalls immer allein. Sie wollte niemanden kennenlernen und mit keinem Fremden ins Bett gehen. Für sie waren diese kurzen Ausflüge ein Ausbrechen aus ihrem Alltag. Sie wollte sich in den zuckend tanzenden Menschenmassen verlieren, in ihrem Lärm untergehen. Manchmal genoss sie die Aufmerksamkeit der Kerle, das Gefühl, für einen kurzen Zeitraum der Mittelpunkt eines Universums zu sein. Es war ausschließlich Begierde, die all diese Männer empfanden. Sie fanden sie attraktiv, wollten mit ihr ins Bett, das wusste sie genau. Doch diese Begierde verlieh ihr Macht und dieses Gefühl war unbezahlbar.

Für ihre Abende außer Haus schlüpfte sie in enge Kleider, die ihre körperlichen Vorzüge fast überquellen ließen, föhnte sich das lange Haar voluminös zurecht und verpasste ihrem Gesicht einen neuen Anstrich, der all die schönen Details zur Geltung brachte. Wann immer sie ausging, sah sie umwerfend aus. Die Leute starrten sie an, wenn sie einen Raum betrat. Sie konnte die Blicke spüren und genoss das Schauspiel der Balztänze, die die Männer um sie veranstalteten, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Bei ihren Ausflügen trank sie maximal zwei Drinks, bevor sie sich wieder verabschiedete. Sie tanzte nicht, tauschte keine Nummern aus und ließ sich von niemandem anfassen. Diese Nächte dienten der Selbsterhaltung, der Bestätigung. Wenn die Männer begriffen, dass sie nie wirklich eine Chance bei Lee gehabt hatten, war ihre Frustrationsgrenze schnell erreicht. Mit einer Ausrede entschuldigte sie sich daher meist frühzeitig, sodass die Sitzengelassenen weiterhin glauben konnten, sie hätten sie noch rumbekommen, wenn sie nicht vorzeitig hätte aufbrechen müssen.

Sie selbst kehrte am Ende dieser Abende nach Hause zurück und stellte sich unter die Dusche, wusch sich ihre Maske ab, zog sich einen ihrer seidenen Schlafanzüge an und vergrub sich allein in ihrem gigantischen Bett. Die Abstecher in die Außenwelt brachten sie sich selbst etwas näher.

Jeffs Balztanz hatte sie an diesem Abend besonders ermüdet. Sie verabschiedete sich von ihrem Verehrer, der sichtlich angepisst war, dennoch aber die Drinks bezahlte. Als sie sich schon entfernen wollte, fasste Jeff sie am Arm und zog sie wieder zu sich. Sie musste ihre Fäuste auf seine Brust legen, um etwas Abstand zwischen sich und ihn zu bringen.

«Wie wär’s? Sehen wir uns morgen wieder?», rief er und lehnte sich dabei aufdringlich nach vorne.

Lee grinste einen Moment unschuldig in Jeffs dummes Gesicht, bevor sie entschlossen den Absatz ihres High Heels mit all ihrer Kraft in die Stelle seines Turnschuhs bohrte, an der sie seine große Zehe vermutete. Erschrocken stolperte Jeff einen Schritt zurück und ließ sie dabei los.

Schnell verschwand sie aus seiner Reichweite und bahnte sich ihren Weg durch die tanzende Masse. Sie liebte dieses Gefühl, sich zu behaupten und sich zielgerichtet durch die wilde Menschenmenge zu schieben und dabei Leute anzurempeln, die sie entweder ignorierten oder irritiert ansahen. Sie war der menschgewordene Widerstand, unbarmherzig und unumstößlich. Ein Baum, der inmitten eines sturmgebeutelten Waldes völlig reglos dastand. Sie blieb still, dort wo Chaos herrschte.

Als sie endlich draußen in der kühlen Nachtluft ankam, hämmerte der Bass immer noch durch ihre Gliedmaßen und in ihren Ohren. Beim Verlassen solcher Partys hatte sie stets das Gefühl, wie ein Stein auf den Boden der Realität zu prallen. Das Nachtleben glich einer fantastischen Seifenblase, die nur aus Trinken, Tanzen, Feiern und Flirten bestand. Der frischen Luft außerhalb der abgeschotteten Räume eines Nachtclubs oder einer Bar konnte diese zarte Illusion aber nicht standhalten.

Kleine Gruppen von Menschen standen ebenfalls draußen, rauchten, tranken oder kotzten sich bereits die Schuhe voll. Autos rasten an der Straße entlang, manche bogen zu dem Club ab und entließen die völlig überdrehten Insassen ihrem nächtlichen Schicksal. Einige Junkies und Obdachlose tummelten sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter einer gigantischen Autobahnbrücke und verfluchten aus sicherer Entfernung die Feierwütigen, die noch nicht so tief wie sie selbst abgestürzt waren. Während sie sich an ihre Einkaufswagen klammerten, kramten nur wenige Meter weiter junge, hübsche Frauen Geldscheine aus ihren Handtaschen, um den Dealern an der Ecke ein paar Gramm reinsten Spaßes abzukaufen.

Einen Moment lang beobachtete Lee dieses merkwürdige Treiben. Sie wusste nicht, wen sie bemitleiden und wen sie beneiden sollte. Gerade wollte sie sich zum Parkplatz aufmachen, als ein gellender Knall ertönte. Ein Auto war herangerast und es folgten weitere Knalle. Lee sah blitzende Lichter und verstand nicht, was geschah. Die Leute, die kurz zuvor vor dem Gebäude herumgestanden hatten, stoben in heilloser Panik auseinander. Manche schrien, andere duckten sich verängstigt. Auch die Junkies und Obdachlosen waren innerhalb von Sekunden in Deckung gegangen. Nur drei Kerle, die gerade angekommen waren, blieben an Ort und Stelle. Einer von ihnen hielt sich die Schulter, während die anderen mit ausgestreckten Armen auf den Wagen zeigten. Erneut ein Knall und der Mann, der sich die Schulter hielt, ging zu Boden. Er stöhnte vor Schmerz.

Lee war wie angewurzelt stehen geblieben und starrte auf den Mann, der nicht weit von ihr entfernt lag. Plötzlich stürzte sie los und rannte zu ihm hin. Blut lief aus Wunden an seinem Oberschenkel und an seiner rechten Schulter, viel Blut. Wieder knallte es.

Sie kniete schon bei ihm, bevor sie begriff, dass diese Leute nicht aufeinander zeigten, sondern aufeinander schossen. Auch neben dem Mann vor ihr lag eine Waffe. Er hatte sie bei seinem Sturz fallen lassen. Wie in Trance riss Lee den Riemen von ihrer Handtasche und band ihn dem Verwundeten um den blutenden Oberschenkel.

«Das wird jetzt wehtun, aber ich muss die Blutung stoppen.» Ihre Stimme war erschreckend klar. In diesem albtraumhaften Chaos behielt sie die Fassung.

Der Mann packte sie am Handgelenk und sah sie entgeistert an. Zum ersten Mal sah sie ihm ins Gesicht. Aber sie sah ihn nicht, sie war in einen Schockzustand verfallen, in dem sie nichts anderes mehr tun konnte, als zu funktionieren.

«Ich will dir nur helfen.» Abermals war ihre Stimme roboterhaft klar.

Der Mann lockerte seinen Griff und verdrehte die Augen vor Schmerz. Lee riss ihre Hand los und zog den Riemen fest zu. Wieder stöhnte der Verletzte auf.

Einer der anderen Kerle kam auf sie zu gerannt, wurde von einer unsichtbaren Kraft, die von einem erneuten Schuss begleitet wurde, plötzlich zur Seite geworfen und blieb regungslos liegen.

Lee reagierte nicht. Sie presste ihre Hand auf die Oberschenkelwunde, aus der, trotz des festgezurrten Riemens, immer noch Blut rann. Sie spürte die Wärme des Blutes, das ihr über die Knie floss, und drückte Papiertaschentücher, die sie in ihrer Handtasche gefunden hatte, auf die Wunde an seiner Schulter. Ihre Hände waren blutverschmiert und sie wischte sie vergeblich an ihrem Kleid ab. Das Blut quoll unentwegt durch die aufgeweichten Taschentücher. Der Wagen der Schützen fuhr mit quietschenden Reifen davon und von weit her ertönten Sirenen. «Du musst wach bleiben, hörst du mich? Gleich wird jemand kommen und uns helfen. Bleib wach! – Bitte, atme, du musst atmen …» Lee redete weiter, wischte sich mit den verschmierten Händen einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und nahm die Welt um sich herum kaum noch wahr. Er durfte nicht sterben. Er hatte schon so viel Blut verloren, sie brauchten Hilfe.

Die Sirenen wurden lauter und endlich konnte man in der Dunkelheit das Herannahen blauer Lichter erkennen.

«Atme, bitte atme. Du musst wach bleiben! Hörst du mich?»

Der Mann war bereits bewusstlos.

Krankenhaus

Lee starrte auf ihre Hände, die voller Blut waren, das langsam trocknete. Ihr Kleid, ihre Beine, die Arme und ihre Handtasche – überall war Blut.

Rund um sie herum war die Hölle los. Sie saß im Wartezimmer der Notaufnahme und tat, was man dort tun sollte: Sie wartete.

In ihren Ohren dröhnte immer noch der Bass der überlauten Musik aus dem Club, gemischt mit Schüssen, Schreien, Sirenen und dem Stöhnen des angeschossenen Mannes. Das Jammern des Kindes, das zwei Reihen von ihr entfernt saß, nahm sie nicht wahr, auch nicht das Husten und Murmeln der anderen Patienten im Warteraum. Krankenschwestern, Pfleger, Ärzte, Chirurginnen, Polizisten, sie alle gingen ihrem regulären Alltag nach. Mittendrin saß Lee, völlig versteinert, geistig weit abgekommen von diesem Ort. Ein kleiner Junge saß ihr gegenüber und starrte sie verängstigt an. Immer noch im engen Cocktailkleid und den schwarzen Pumps, übersäht mit Blut und ihrem verschmierten Make-up, gab sie ein schaurig-schönes Bild ab.

Ein Polizist ging vor ihr in die Hocke und redete auf sie ein, doch es dauerte einige Zeit, bis ihr Blick sein Gesicht erfasste. Sie sah die sich bewegenden Lippen und plötzlich schaltete sich ihr Gehör wieder ein. Eine Welle von Geräuschen aus dem Wartezimmer überrollte sie und irgendwo dazwischen konnte sie nun auch die Worte des Polizisten hören: «Miss? Können Sie mich hören? Geht es Ihnen gut?»

«Ja, es ist alles in Ordnung», antwortete sie mit leiser Stimme.

Ein Arzt stand nun neben dem Polizisten. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass er mit Lee redete.

«Wir müssen Sie zuerst untersuchen, können Sie aufstehen?»

Langsam erhob sie sich von dem unbequemen Plastikstuhl. Der Polizist fasste sie am Arm und half ihr hoch. Es ging ihr gut, sie konnte sich nur gerade nicht spüren.

«Kommen Sie bitte mit. Ich habe einige Fragen an Sie.»

«Sie werden mit Ihrer Befragung noch etwas warten müssen. Ich muss sie mir zuerst ansehen», fuhr der Arzt den Polizisten von der Seite an.

«Gut, dann werde ich sie begleiten.»

«Das halte ich für mehr als unangemessen.»

Lee empfand dem Arzt gegenüber enorme Dankbarkeit. Sie hatte keine Lust, mit der Polizei zu reden, war aber zu benommen, um sich zur Wehr zu setzen. Der Polizist ließ sich allerdings nicht abwimmeln.

Der Arzt und der Polizist geleiteten sie in ein Untersuchungszimmer. Dort war es ruhiger und sie kam zunehmend wieder in der Realität an.

«Mein Name ist Dr. Carter und dieser Herr hier ist Officer Greenfield», stellte der Arzt sich und den Polizisten vor. «Können Sie mir Ihren Namen nennen und mir sagen, welcher Tag heute ist?», fragte er und leuchtete ihr mit einer kleinen Lampe in die Augen.

Sie blinzelte, brachte aber kein Wort heraus. Wieder betrachtete sie ihre blutverschmierten Hände. Eine Krankenschwester kam herein und begann damit, ihr das Blut von den Armen und aus dem Gesicht zu wischen. Sie sah sie mitfühlend und freundlich an, ihre Berührungen fühlten sich fast mütterlich an. Der Arzt untersuchte die gesäuberten Stellen auf Verletzungen, fand aber nichts. Lee wurde von der Schwester zu einer Trage manövriert und setzte sich.

«Miss, können Sie mir Ihren Namen und das heutige Datum nennen?», wagte Dr. Carter einen erneuten Versuch.

«Ich heiße Hailee. Hailee Borrows. Es ist Donnerstag, der fünfundzwanzigste, glaube ich, oder ist es schon Freitag?» Sie wollte einen Blick auf ihre Uhr werfen, doch die Krankenschwester hatte sie ihr abgenommen und auf einen kleinen Tisch gelegt. Das Glas war blutverschmiert.

«Es ist bereits nach Mitternacht, Hailee. Ist es in Ordnung, wenn ich Sie Hailee nenne?»

«Nennen Sie mich Lee, so machen das alle», antwortete sie, ohne den Blick von der Uhr abzuwenden. Hoffentlich war das Blut nicht in das Gehäuse eingedrungen. Sie musste sie schnellstmöglich reinigen lassen und auch das Kleid war völlig ruiniert. Gleich morgen musste sie zur Reinigung und zum Juwelier. Aber wie sollte sie ihre Handtasche wieder hinbekommen? Sie wurde nervös.

Der Polizist stand etwas abseits in dem unangenehm weißen Untersuchungsraum. Diskret wandte er den Blick von Arzt und Patientin ab, wirkte aber ungeduldig.

«Okay, Lee, ich muss Sie jetzt untersuchen», sagte Dr. Carter und nahm sein Stethoskop zur Hand.

«Nein!» Die Antwort kam etwas zu energisch. Lee war schlagartig wieder da. Das hier war ihr alles entschieden zu offiziell.

«Nein, bitte, es geht mir gut. Das ist nicht mein Blut», wehrte sie den Arzt ab. «Wie geht es diesem Mann?», fuhr sie etwas ruhiger fort.

Dr. Carter warf Officer Greenfield einen kurzen Blick zu. «Er wird gerade operiert, aber es sieht gut aus.»

«Kennen Sie den Verwundeten?», fragte nun der Polizist.

«Er wird also überleben?» Lee sprach weiterhin mit dem Arzt und überhörte die Frage des Polizisten. Er lebte also noch. Sie fühlte sich erleichtert, doch nur einen Moment später füllte sich ihr Inneres schon wieder mit bleierner Schuld.

«Ja, er wird es vermutlich überleben. Kennen Sie ihn?», wiederholte nun Dr. Carter die Frage.

«Nein, ich kenne ihn nicht. Wieso ist das wichtig?» Fragend sah sie Dr. Carter an und ignorierte Officer Greenfield. Sie konnte Polizisten einfach nicht ausstehen. Dr. Carter hingegen wirkte sehr freundlich. Er hatte ein nettes Gesicht und eine angenehme Art, mit ihr zu sprechen.

«Sind Sie sicher?», mischte sich der Officer nun wieder in das Gespräch mit ein und machte dabei einen Schritt auf sie zu.

Was für eine dämliche Frage, dachte Lee und fühlte sich zunehmend unwohl. «Natürlich bin ich sicher. Ich kam gerade aus dem Club, sah ihn am Boden liegen und bin direkt zu ihm hingelaufen. Was soll die Frage?» Ihre Stimme klang leicht erbost. Sie wiederholte sich nicht gerne.

«Officer Greenfield möchte nur genauere Informationen zu den Ereignissen des heutigen Abends. Verstehen Sie das?», versuchte Dr. Carter sie zu beschwichtigen.

Lee sah ihn an und nickte. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und atmete durch. «Ja, das verstehe ich.»

«Sie wissen also nicht, um wen es sich bei dem Schussopfer handelt?», fragte nun Officer Greenfield in etwas milderem Ton. Er schien ihre Ablehnung spüren zu können.

«Ich sag es Ihnen gerne noch mal: Nein, ich kenne diesen Mann nicht. Habe ihn nie zuvor gesehen.» Jetzt, wo sie wieder vollständig bei sich angekommen war, ärgerte sie sich über ihr eigenes Verhalten. Warum war sie nicht einfach weggelaufen? Was hatte sie sich bloß gedacht? Sie hätte längst zu Hause in ihrem Bett liegen können. Aber der Mann wäre vielleicht gestorben, wenn sie nicht geholfen hätte.

---ENDE DER LESEPROBE---