Die Stimme der Rache - Ethan Cross - E-Book
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Ethan Cross

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Beschreibung

Band 2 der Serie um Francis Ackerman jr. und seine Partnerin Nadia Shirazi vom FBI

Ein abgelegenes Farmhaus in Virginia. Hier versteckt die Polizei die junge November McAllister. Sie ist das letzte Opfer des berühmt-berüchtigten Black Rose Killers und die einzige, die ihm bis jetzt entkommen konnte. Francis Ackerman jr. und Nadia Shirazi persönlich sind auf dem Weg dorthin, um die junge Frau zu beschützen. Aber der Black Rose Killer ist schneller als sie. Er tötet die anwesenden Polizisten und entführt November ein zweites Mal. Damit ist die Jagd offiziell eröffnet, aber es scheint, als könne der Killer selbst Ackermans genialste Schachzüge vorhersagen ...


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Über dieses Buch

Band 2 der Serie um Francis Ackerman jr. und seine Partnerin Nadia Shirazi vom FBI

Ein abgelegenes Farmhaus in Virginia. Hier versteckt die Polizei die junge November McAllister. Sie ist das letzte Opfer des berühmt-berüchtigten Black Rose Killers und die einzige, die ihm bis jetzt entkommen konnte. Francis Ackerman jr. und Nadia Shirazi persönlich sind auf dem Weg dorthin, um die junge Frau zu beschützen. Aber der Black Rose Killer ist schneller als sie. Er tötet die anwesenden Polizisten und entführt November ein zweites Mal. Damit ist die Jagd offiziell eröffnet, aber es scheint, als könne der Killer selbst Ackermans genialste Schachzüge vorhersagen …

Über den Autor

Ethan Cross ist das Pseudonym eines amerikanischen Thriller-Autors, der mit seiner Frau, drei Kindern und zwei Shih Tzus in Illinois lebt. Nach einer Zeit als Musiker nahm Ethan Cross sich vor, die Welt fiktiver Serienkiller um ein besonderes Exemplar zu bereichern. Francis Ackerman junior bringt seitdem zahlreiche Leser um ihren Schlaf und geistert durch ihre Alpträume. Neben der Schriftstellerei verbringt Ethan Cross viel Zeit damit, sich sozial zu engagieren, wobei ihm vor allem das Thema Autismus sehr am Herzen liegt.

ETHAN

CROSS

T H R I L L E R

DIE STIMME

DER

RACHE

Aus dem Amerikanischen vonDietmar Schmidt

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 by Aaron Brown

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Black Rose«

Published in agreement with the author,

c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Wolfgang Neuhaus, Oberhausen

Titelillustration: © Hein Nouwens/shutterstock

Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-9441-2

luebbe.de

lesejury.de

ERSTERTEIL

Virginia

1

Zwischen den Weidenbäumen des kleinen Wäldchens draußen vor dem alten Farmhaus konnte US Marshal Shawna Hadfield ihn nicht sehen, aber sie wusste, dass er dort war. Dass er beobachtete und auf eine Gelegenheit lauerte, auch sie, Shawna, zu töten, wie zuvor die drei Kollegen aus ihrem Team. Und ihr war klar, dass ihre Chance, mit dem Leben davonzukommen, verschwindend gering war. Schließlich wusste sie, mit wem sie es zu tun hatte – mit dem Black Rose Killer, einem mörderischen Psychopathen.

Das Markenzeichen dieses Verrückten war, die von ihm entführten jungen Frauen als Sklavinnen zu halten. Er brandmarkte seine Opfer an der ebenso intimen wie empfindlichen Innenseite des Oberschenkels mit einem Tattoo, das eine schwarze Rose zeigte, die aus einem Yin-Yang-Symbol herauswuchs. Nach einiger Zeit ließ »Black Rose«, wie er von den Cops auch genannt wurde, seine Opfer frei, wenngleich verbunden mit der Ankündigung, sie schon bald wieder holen zu kommen; er lasse ihnen nur Zeit, ihre Angelegenheiten zu ordnen und sich auf den Tag seiner Rückkehr vorzubereiten – ein Tag, der eher früher als später käme, falls sie sich mit den Cops in Verbindung setzten.

Black Rose hatte diese Drohung bisher jedes Mal wahrgemacht. Wie ein Schatten in der Nacht hatte er sieben seiner Opfer ein zweites Mal heimgesucht. Die Cops waren sicher, dass diese sieben Frauen nicht mehr lebten, auch wenn nur die Leichen zweier Opfer entdeckt worden waren. Doch von den anderen abermals Entführten hatte man nie wieder etwas gehört, sodass die Ermittler auch sie für tot hielten.

November McAllister, die junge Frau, für deren Schutz Shawna Hadfield verantwortlich zeichnete, war in den zurückliegenden sechs Monaten vom Zeugenschutzprogramm betreut worden. November gehörte zu den wenigen Opfern, die beschlossen hatten, gegen Black Rose aufzubegehren. Sie war zur Polizei gegangen und umgehend unter Personenschutz gestellt worden. Seitdem waren Shawna und ihr Team vom US Marshals Service für Novembers Schutz verantwortlich.

Nun aber gab es dieses Team nicht mehr. Black Rose hatte sich einen nach dem anderen geholt.

Ohne den Blick vom Wintergarten auf der Rückseite des Farmhauses zu nehmen, versuchte Shawna ein weiteres Mal, den letzten Überlebenden ihrer Mannschaft über Funk zu erreichen. »Jenkins? Melden Sie sich, verdammt!«

Totenstille.

Spätestens jetzt wusste Shawna, dass auch Jenkins nicht mehr lebte. Der Black Rose Killer hatte ihr Team vernichtet, einen nach dem anderen.

Bis auf sie, Shawna.

Angespannt ließ sie den Blick schweifen. Das Haus war eine Ruine – ein baufälliger Kasten mit Obergeschoss und einer Vorderveranda, deren rostiges Blechdach von zerbröckelnden pseudorömischen Säulen getragen wurde. In den Zimmern verrotteten die Tapeten, und der feuchte Putz fiel von den Wänden. Überall roch es nach Schimmel und Verwesung. Dennoch hatten FBI und Marshals Service diese Ruine als Treffpunkt ausgewählt, an dem November McAllister aus der Obhut der Marshals an das Bureau überstellt werden sollte – ein Unterfangen, das Black Rose auf brutale Weise zunichtegemacht hatte.

Und nun saßen Shawna und ihre Schutzbefohlene hier fest. Shawna konnte weder die Leitstelle erreichen, noch hatte sie eine Mobilfunkverbindung. Möglicherweise benutzte Black Rose einen Störsender.

Shawna und November hatten sich in die dunkelste Ecke des Wintergartens verkrochen und hielten ängstlich nach dem Killer Ausschau. Doch Shawna ahnte schon jetzt, dass sie ihn erst sehen würden, wenn es zu spät war. Diese Bestie hatte im Voraus gewusst, dass die Marshals und das FBI sich hier treffen würden, um Novembers Austausch vorzunehmen, und hatte ihnen eine Falle gestellt. So war es schon bei früheren Zusammentreffen zwischen Black Rose und der Polizei gewesen. Einmal hatte er ein ganzes Ermittlerteam ausgeschaltet, das eines seiner Opfer beschützt hatte; in drei anderen Fällen waren die jungen Frauen in vermeintlich sicherer Schutzhaft gewesen. Jedes Mal war Black Rose wie ein Ungeheuer aus der Hölle über sie gekommen, hatte die Beschützer getötet und seine Beute mit sich gerissen. Die Leichen der meisten Opfer waren nie gefunden worden, was zu Spekulationen Anlass gab, dass die Frauen noch lebten und von Black Rose an einem unbekannten Ort gefangen gehalten wurden. Aber das wusste niemand.

Novembers Stimme riss Shawna aus ihren Gedanken. »Was machen wir jetzt?«

Shawnas rechte Hand umklammerte ihre Glock 40, während sie die Schatten absuchte. Dann schaute sie November an und hob einen Finger vor die Lippen. November sah wie ein kleines, verängstigtes Mädchen aus. Sie war Anfang zwanzig, aber so zart und zierlich, dass sie ein Teenager hätte sein können.

November bemerkte Shawnas Blick. »Wir können doch nicht untätig hier sitzen und darauf warten, dass er kommt und uns umbringt«, jammerte sie. »Ich gehe nicht zu diesem Irren zurück! Eher sterbe ich!«

Shawna legte der jungen Frau eine Hand auf die Schulter. »Der Kerl legt tödliche Fallen. Vermutlich hat er Haus und Grundstück vermint. Wenn wir fliehen, ist es unser sicherer Tod. Er will, dass wir überstürzt losrennen, uns in seinem Netz fangen und jämmerlich krepieren.«

Auf Novembers Gesicht spiegelte sich Panik. Dünn und blass, war sie das genaue Gegenteil von Shawna, einer kräftigen, sportlichen Schwarzen Mitte dreißig. November schüttelte Shawnas Hand ab. »Ihr habt gesagt, ihr könnt mich beschützen«, flüsterte sie. »Geben Sie mir eine Waffe. Ich töte ihn selbst.«

»Reden Sie keinen Unsinn«, sagte Shawna streng. »Lassen Sie mich nachdenken. Wir finden einen Weg.«

Doch Shawnas Optimismus war nur gespielt. Sie wusste selbst nicht, was sie als Nächstes tun sollten. Zu den Autos durchbrechen? Versuchen, durch den Wald zum Highway zu gelangen? Oder einfach die Stellung halten und auf Unterstützung warten?

Die Entscheidung wurde Shawna abgenommen, als sie den Rauch sah, der unter der Küchentür hervordrang. Sie sprang auf, huschte die wenigen Schritte zum Gebäude und spähte ins Innere. Im Wohnzimmer leckten grelle Flammen die Wände hoch. Shawna fluchte lautlos. Black Rose hatte das Feuer gelegt, kein Zweifel. Auf diese Weise zwang er sie, nach hinten aus dem Haus zu fliehen – genau in seine Arme. Bestimmt lauerte er ihnen im Dunkeln auf.

Shawna kehrte zu ihrer Schutzbefohlenen zurück.

»Wir müssen hier weg!«, jammerte November, die die Flammen ebenfalls gesehen hatte. »Wir müssen zu den Wagen!«

»Jenkins war auch zu den Wagen unterwegs«, erwiderte Shawna und wartete, bis ihr Schützling begriffen hatte, was sie unausgesprochen ließ: Jenkins war tot. Dennoch, November hatte recht. Sie mussten den Ausbruch versuchen, sonst steckten sie in einer Flammenhölle fest.

Shawna holte tief Luft, machte erneut kehrt, trat die Hintertür der Veranda auf und winkte November, ihr in die Dunkelheit des Weidenwäldchens zu folgen.

2

Nadia Shirazi war in Sullivan’s Island aufgewachsen, einer kleinen Vorstadt von Charleston, South Carolina, stammte aber aus dem Iran. Als sie mit dreizehn Jahren in die Vereinigten Staaten gekommen war, hätte sie sich nicht träumen lassen, einmal für das FBI zu arbeiten. Das junge Mädchen hatte damals bereits sein Leben vorausgeplant. Es war vorgesehen, dass Nadia für die Softwarefirma ihres Vaters arbeitete, die Advanced Innovation Manufacturing. Schließlich schrieb Nadia Computerprogramme, seit sie sieben war; die Mathematik schien ihr im Blut zu liegen. Sie würde einen netten Muslim heiraten und fünf Kinder zur Welt bringen, drei Jungen und zwei Mädchen, am liebsten Zwillinge. Ruhig und glücklich sollte ihr Leben sein.

Dann aber war jener schreckliche Tag gekommen, der alle Pläne Nadias zunichtemachte. Sie war von einer Bestie überfallen und missbraucht worden, und nichts war mehr gewesen wie zuvor. Nadia hatte Jahre damit verbracht, auf die Chance hinzuarbeiten, den Vergewaltiger zu fassen. Der Gedanke, vielleicht mit den Schrecken der Vergangenheit aufräumen zu können, verlieh ihr Kraft.

Bevor sie Ackermans Partnerin geworden war, hatte Nadia bei der Abteilung für Computerkriminalität der New Yorker Außenstelle des FBI gearbeitet, weil sie dort ihre technische Begabung am besten einsetzen konnte. Doch den eigentlichen Grund, weshalb sie ins Bureau eingetreten war, hatte sie nie aus den Augen verloren: die Hoffnung, eines Tages den Black Rose Killer zur Strecke zu bringen – das Monster, das ihr die Träume gestohlen hatte.

Und jetzt schien es, als könnte sie es tatsächlich schaffen. Endlich war Nadia Shirazi ihrem persönlichen Schreckgespenst auf der Fährte; endlich bekam sie die Chance, sich von dem Albtraum zu befreien, der ihr bisheriges Erwachsenenleben überschattet hatte.

Nadia war bewusst, dass sie diesen Erfolg nicht allein ihren Fähigkeiten zu verdanken hatte. Es lag auch nicht daran, dass sie die Macht des FBI im Rücken wusste. Nein, es lag einzig und allein an ihrem Partner, einem der gefährlichsten Männer, die es in den USA jemals gegeben hatte: Francis Ackerman junior, der einstige Serienkiller, eine Legende, wenn auch von der düsteren Sorte. Niemand wusste, wie viele Menschen Ackerman auf dem Gewissen hatte, wahrscheinlich nicht einmal er selbst. Vor wenigen Jahren hatte er auf verschlungenen Pfaden die Seiten gewechselt, um unter dem Decknamen Franklin Stine für das FBI zu arbeiten. Aber das war eine lange Geschichte.

Anfangs hatte Nadia panische Angst vor Ackerman gehabt. Doch bald schon entdeckte sie an dem Mann, der sämtlichen Polizeibehörden der Vereinigten Staaten als das personifizierte Böse galt, gänzlich unerwartete Seiten. Und auch wenn Ackerman ihr nach wie vor ein Rätsel war, eines wusste Nadia mit Gewissheit: Francis Ackerman alias Franklin Stine hatte sich mit aller Konsequenz auf die Seite des Guten geschlagen. In der kurzen Zeit, die Nadia ihn kannte, war es ihm gelungen, Tausende von Menschen vor einem Terroranschlag im Herzen der USA zu bewahren. Vermutlich hatte Ackerman unter dem Strich sehr viel mehr Leben gerettet als beendet.

Nadia arbeitete erst seit wenigen Wochen mit Francis Ackerman zusammen; daher hatte sie an den anfänglichen Diskussionen, ob man jemanden wie ihn für die amerikanische Regierung arbeiten lassen könne, nicht teilgenommen, zumal ihr viele Details noch immer ein Rätsel waren. Und wenngleich Nadia mittlerweile ein gewisses Maß an Vertrauen zu Ackerman entwickelt hatte, war sie froh, dass man ihm eine Sprengladung implantiert hatte, die mit einem GPS-Sender versehen war, um ihn notfalls zu liquidieren – obwohl Nadia diesem Mann zutraute, sogar mit diesem Handicap fertigzuwerden. Francis Ackerman war unberechenbar und nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Er war intellektuell und physisch zu Dingen fähig, die sich der Reichweite des Normalbürgers weit entzogen.

Es kam Nadia so vor, als läge ihr erster gemeinsamer Einsatz schon Jahre zurück. Mehr als einmal hatte sie sich gefragt, ob dieser Eindruck eine Nebenwirkung der Zusammenarbeit mit Ackerman sei. Er war so entschlossen, so furchtlos und impulsiv, dass alle anderen Mühe hatten, mit ihm Schritt zu halten. Auf jeden Fall war Nadia durch die Zusammenarbeit mit Ackerman gereift – in einem Maße, das sie erst noch ergründen musste.

Nun saß sie mit ihrem neuen Partner an einem hässlichen lila Picknicktisch neben einem Imbisswagen, an dem ein Schild »Earl’s All Beef Dogs« anpries.

Ackerman trug eine schwarze Armeehose und ein langärmeliges schwarzes Drifit-Hemd, das eng genug saß, um seinen muskulösen, wenn auch entsetzlich vernarbten Körper zu betonen. Die einzigen glatten Hautpartien, die er zeigte, waren Hände und Gesicht. Nadia wusste, dass der Rest seines Körpers eine Straßenkarte aus Leid und Qualen war, die sich in sein Fleisch gegraben hatten, sodass ihrer beider Vorgesetzter beim FBI, Deputy Director Samuel Carter, Ackerman angewiesen hatte, die Narben bedeckt zu halten. Ackermans Gesicht hingegen war bis auf einige kleine Spuren straff und jugendlich. Er lächelte oft, auch dann, wenn es nicht angebracht war, sah blendend aus und konnte sehr charmant sein.

Erneut versuchte Nadia ihn dazu zu bewegen, einen der angepriesenen Hotdogs zu essen. »Kommen Sie schon, Frank. Versuchen Sie mal den Chili Cheese Dog.«

Ackerman beäugte den Hotdog. »Also, ich weiß nicht. Lassen Sie uns hoffen, dass Ihr Leckerbissen nicht gestern noch gebellt und mit dem Schwanz gewedelt hat.«

»Frank, bitte.« Sie hielt ihm den Hotdog hin.

»Vielleicht hat es gewiehert und ist über eine Weide galoppiert.«

»Lassen Sie den Unsinn, Frank. Nur einen Bissen. Na los.«

Ackerman blickte ihr in die Augen. »Das Zeug schmeckt, ich weiß, aber man kann nicht sehen, was drin ist. Da bleibe ich lieber die Biotonne, die ich bin.«

»Hotdogs sind aus Rindfleisch, Frank.«

»Ganz sicher?« Ackerman zog eine Braue hoch.

»Von glücklichen Kühen«, fügte Nadia hinzu.

Ackerman lachte. »Zum Schluss waren die Kühe wohl nicht mehr so glücklich.«

Nadia biss in den Hotdog und verzog das Gesicht zu einem übertriebenen Ausdruck des Genusses, als wäre das Fleisch so köstlich wie ein Filet Mignon. »Sie ahnen nicht, was Sie verpassen.«

»Das glaube ich aber doch. Als ich noch ein Junge war, hat mein Alter mich in einen Käfig gesperrt, wenn er mal nicht an mir herumexperimentiert hat. Manchmal warf er mir einen kalten, faden, halb verdorbenen Hotdog als Tagesration durchs Zellengitter. Seitdem stehe ich nicht mehr auf die Dinger.«

Nadia blickte ihn mitfühlend an. Sie kannte die Horrorgeschichten aus Ackermans Vergangenheit, als sein Vater, das verrückte Genie, ihn zu dem gemacht hatte, der er war. »Ich kenne diese Geschichten. Deshalb verstehe ich, warum Sie keine Hotdogs mögen. Verzeihen Sie mir die dummen Scherze.«

Ackerman blickte auf seinen Gemüseteller. »Na ja, ich hab immerhin diese Blümchenkiller-Schlachtplatte«, murmelte er und spießte eine Gurke auf. »Es geht doch nichts über eine frische Gartensalami.«

Nadia wusste, dass Ackerman hin und wieder Fleisch aß, vorzugsweise Steak. Er bezeichnete sich zwar als Ovo-Lacto-Vegetarier, betonte aber immer wieder, auf Mörderjagd benötige er das zusätzliche Protein, das nur ein Steak liefern könne. Und privat, außerhalb der Jagd, hatte Nadia ihn kaum kennengelernt.

Als sie den letzten Bissen ihres Hotdogs verschlungen hatte, wechselte sie das Thema. »Wie war eigentlich das Essen mit Lianas Großmutter?« Liana Nakai, eine hübsche junge Polizistin bei der Navajo Nation Police, war Ackermans Freundin. Ihre Großmutter, die Matriarchin der indianischen Familie, hatte ein Auge auf Ackerman geworfen, als Liana die beiden einander vorgestellt hatte.

Ackerman biss von der Gurke ab, bevor er antwortete. »Es war ein Debakel. Anfangs mochte sie mich ja noch, aber als sie dann erfuhr, wen sie wirklich vor sich hatte, wollte sich mich am liebsten an den Marterpfahl stellen. Mann, war die wütend. Sitting Bull war ein Chorknabe dagegen.«

»Und was hat Liana dazu gesagt?«

»Nichts. Sie hat nur gelacht.«

Nadia blickte ihn an. »Eins zu null für Großmama Nakai, was?«

Ackerman zuckte mit den Schultern. »Oma bekam es mit der Angst. Wer kann es ihr verübeln? Wenn ich eine Enkelin hätte, würde ich auch nicht wollen, dass sie eine Beziehung mit einem Typen wie mir hat.«

Nadia schwieg. Der Gedanke, eine Tochter zu haben, die mit einem Mann ging, der zu Dingen fähig war wie Francis Ackerman, ließ sie schaudern. Mochte Francis noch so nett und faszinierend sein – er war ein Ungeheuer. Zumindest war er es gewesen.

»Zumal ich einen der größten Arbeitgeber in ihrem Tal eliminiert und damit den wirtschaftlichen Zusammenbruch im Indianerreservat herbeigeführt habe«, fuhr Ackerman fort. »Ich nehme aber an, dass irgendein Geschäftsmann die Schafherden der Navajos übernehmen wird. Dann bekommen die wenigen, die ihre Begegnung mit mir unbeschadet überstanden haben, wieder Jobs.«

»Sehen Sie?«, sagte Nadia. »Das kommt dabei herum.«

Ackerman blickte sie an. »Was?«

»Durch so ein Gerede landen Sie auf der schwarzen Liste von Eltern und Großmüttern. Ständig beschreiben Sie Situationen, in denen Sie wie eine Naturkatastrophe über andere Menschen kommen.«

»Wie eine Heuschreckenplage, was? Apropos, haben Sie mal Heuschrecken probiert? Oder Käfer? Schnecken?«

»Also wirklich, Frank, das ist kein Gesprächsthema beim Abendessen«, erwiderte Nadia. »Erzählen Sie mir lieber, wie es mit Großmutter Nakai weitergegangen ist.«

»Ich habe mich ihr gegenüber zurückgehalten. Nichts als Respekt und Unterordnung – ganz zu schweigen davon, dass ich ihr und einem Haufen anderer Leute wenige Stunden zuvor das Leben gerettet hatte. Allein das hätte ein paar Eisschichten zum Schmelzen bringen müssen.«

»Mag sein, aber Sie sind ein sehr … außergewöhnlicher Mann. Sie würden diese Reaktion vermutlich besser verstehen, wenn Sie selbst Kinder hätten.«

Ackermans Miene verdüsterte sich von einer Sekunde zur anderen, als wäre plötzlich etwas Finsteres zwischen ihnen beiden. »Ich hatte mal ein Kind«, sagte er leise.

Nadia musterte ihn überrascht. »Das wusste ich noch gar nicht.«

»Einen Jungen. Itzal und ich wussten es dank der Ultraschallaufnahmen von ihrer Gebärmutter.«

»Itzal?«

Ein seltsamer Ausdruck erschien in Ackermans graublauen Augen. »Meine große Liebe damals. Sie war unfassbar schön. Auf Maya bedeutet ihr Name so viel wie ›Regenbogengöttin‹.«

»Was ist aus dem Jungen geworden?«

»Ich bekam nie die Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Er ist schon lange tot.«

Nadia zwang sich zum Reden, obwohl ihr die Worte im Hals steckenbleiben wollten. »Tut mir leid, Frank, das habe ich nicht gewusst. War es eine Fehlgeburt?«

Der Ausdruck, der in Ackermans Gesicht erschien, ließ Nadia diese Frage sofort bereuen. »Nein. Itzals Stiefvater war Sargento bei der mexikanischen Polizei und hatte in ihrem Dorf das Sagen. Als ich dahinterkam, dass er Itzal seit Jahren nächtliche Besuche abstattete, schwor ich, ihn zu töten. Doch Itzal rang mir das Versprechen ab, sein Leben zu schonen. Wir sind zusammen geflohen. Aber er hat uns gefunden …« Ackerman verstummte.

»Was geschah dann?«, fragte Nadia, der das Herz plötzlich bis zum Hals schlug.

»Ich habe mein Versprechen gehalten und den Kerl verschont – was an ein Wunder grenzt, denn damals war ich ein ganz anderer. Ich habe aus dem nichtigsten Anlass getötet.«

Nadia lief es eiskalt über den Rücken. »Also ist der Mann noch auf freiem Fuß?«

»Auf freiem Fuß? Nun ja, so würde ich es nicht ausdrücken.«

»Wie meinen Sie das?«

»Seit unserer Begegnung hat er keine Füße mehr. Aber er lebt noch, soviel ich weiß … das, was von ihm übrig ist. Mein lieber alter Dad hat mir ein intensives Rachebedürfnis eingeimpft, wissen Sie.« Ackerman schaute in den dunkler werdenden Himmel, als suchte er in den Wolken nach den richtigen Worten. »Ich ließ den Kerl am Leben, habe ihm aber so viel genommen, dass es kein Leben mehr für ihn war. Wenigstens konnte er sich seit unserer Begegnung nicht mehr an jungen Frauen vergreifen. Aber es ist besser, nicht näher darauf einzugehen, denn es war eine ziemlich krasse Erfahrung für den Bastard. Ich habe ihn gerade noch rechtzeitig über die Grenze gebracht und dafür gesorgt, dass er in ärztliche Behandlung kommt, nachdem er seine Strafe erhalten hatte.«

»Verstehe«, sagte Nadia und schauderte erneut. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was Ackerman mit dem Kerl angestellt hatte. »Ich glaube, Sie müssen es nicht näher erläutern … im Unterschied zu mir.«

Ackerman schaute sie an. »Wie meinen Sie das?«

»Nun ja, ich musste Ihnen eine obszöne Menge an Einzelheiten aus meiner Vergangenheit anvertrauen. Aber Sie brauchen mir diesen Gefallen nicht zu erwidern.«

Ackerman biss von der Gurke ab. »Gut. Das Gestern ist tot, das Morgen nicht garantiert. Konzentrieren wir uns lieber auf die Entscheidungen von heute.«

In diesem Moment summte sein Handy. Als er auf das Display blickte, furchte er die Stirn.

»Was ist?«, fragte Nadia.

»Ein Notruf von Carter.«

Ackerman wählte auf seinem FBI-Handy eine Nummer aus dem Gedächtnis. Nadia wusste, dass er das Mobiltelefon nur widerstrebend nutzte. Vermutlich konnte Ackerman jede Maschine bedienen, die Menschen je geschaffen hatten, aber wann immer möglich, verzichtete er darauf – vermutlich aufgrund einer zwanghaften Rebellion gegen alles, was »normale« Menschen taten.

»Ich bin’s«, sagte Ackerman und lauschte. Offenbar übermittelte ihm jemand Informationen, die Nadia nicht mithören konnte, aber mit jeder Sekunde wurde Ackermans Blick härter, und seine Kiefermuskeln traten hervor. Schließlich sagte er nur: »Wir sind unterwegs.«

»Black Rose?«, fragte Nadia leise.

»Ja.« Ackerman schaute sie an. »Erinnern Sie sich an die Idee, die ich in dem Zusammenhang hatte? Einen Vorschlag, gegen den Sie vehement Einspruch erhoben haben?«

»Welcher Vorschlag?«

»Ein Black-Rose-Opfer, das im Zeugenschutz war, in unseren Gewahrsam zu überstellen.«

Mit kaum hörbarer Stimme erwiderte Nadia: »Das haben Sie doch wohl nicht getan, oder?«

»Doch. Die Überstellung sollte morgen stattfinden. Ich wollte Ihnen nach unserem kleinen Festmahl hier vorschlagen, uns den Ort anzuschauen, den ich ausgesucht habe, aber unsere Freunde vom Marshals Service sind offenbar heute schon dort aufgetaucht.«

»Fahren wir hin?«

»Ja. Geben Sie mir die Schlüssel.«

»Die Schlüssel?« Nadia musterte ihn verwirrt. Sie wusste, dass er keinen Führerschein besaß, und hatte die schlimmsten Befürchtungen, was seinen Fahrstil anging.

»Keine Bange, man stirbt nur einmal. Na los, wir müssen schnellstens dort sein.«

Nadia reichte ihm die Autoschlüssel. »Wieso die Eile?«

»Das Team vom Marshals Service meldet sich nicht mehr.«

»Wieso nicht?«

»Weil Black Rose schon dort ist, nehme ich an.«

3

Schon als ihr der Auftrag übertragen worden war, hatte Shawna Hadfield ein ungutes Gefühl gehabt. Keine zwei Jahre zuvor waren dem Black Rose Killer fünf FBI-Agenten zum Opfer gefallen; der Psychopath hatte eines seiner Opfer zurückgeholt, das unter dem Schutz genau des Teams stand, das nach ihm fahndete. Die Morde und das darauffolgende Verschwinden des Killers und seines Opfers hatten Black Rose, einem damals noch lokalen Phänomen, landesweite Aufmerksamkeit beschert und aus dem Mann eine urbane Legende gemacht.

Und wen schickten die hohen Tiere, um eine Zeugin aus der sicheren Obhut der US Marshals an ausgerechnet die Behörde zu überstellen, die beim ersten Mal Mist gebaut hatte? Natürlich schickten sie jemand Entbehrliches. Jemanden wie Shawna Hadfield.

Nachdem Shawna offiziell einen Strafantrag gegen Senior Inspector Sebastian Knox eingereicht hatte, bekam sie immer mehr Aufgaben, die niemand haben wollte. Seitdem versuchte dieser Kerl, ihr Leben zu ruinieren. Hölle, sogar sein Name und sein Rang klangen großspurig. Knox hatte einen Flüchtigen bei der Festnahme rassistisch beleidigt und sie, Shawna, hinterher drohend angestarrt. Die Botschaft aus dem Altherrennetzwerk war deutlich gewesen: Eine wie dich wollen wir nicht dabeihaben. Shawna hatte Beschwerde eingereicht, und danach war ihre Karriere in die Abwärtsspirale gegangen.

Wenn sie überlebte, würde sie den Marshals Service wegen dieses Fiaskos verklagen. Man hatte ihr diesen Auftrag vermutlich nur übertragen, um sie zum Schweigen zu bringen. Wenn sie davonkam, würde sie einen Anwalt einschalten und jede Summe, die sie erhielt, mit den Familien ihrer drei getöteten Kollegen teilen.

Aber dazu musste sie erst einmal diese Nacht überleben. Falls sie starb, mussten ihre Familie und die der anderen Opfer an die Öffentlichkeit gehen, um wenigstens ein bisschen Geld aus den geizigen Regierungsbürokraten herauszuquetschen.

Shawna schob diese Gedanken beiseite. Sie hatte nicht die Absicht, heute zu sterben.

Sie bewegte sich geduckt und hielt sich in den Schatten, während sie die Pistole von einem möglichen Ziel zum nächsten schwenkte. Der erste ihrer vier Kollegen war ausgefallen, als er im Dunkeln die äußere Grenze des Schutzbereichs abgeschritten war. Doch Shawna wusste nicht, wo der Black Rose Killer ihn erwischt hatte und was ihm zugestoßen war. Die beiden anderen waren auf der gegenüberliegenden Seite des Grundstücks an der Scheune postiert gewesen, vor der sie ihre Fahrzeuge geparkt hatten.

Die alte Farm hatte zwei Zufahrten, eine vorn, eine hinten. Die hintere führte zu einem stark befahrenen Highway, die vordere erreichte man über einen Kiesweg. Diese Aufteilung machte es möglich, sich bewusst dabei beobachten zu lassen, wenn man auf der einen Seite hineinging, um sich dann ungesehen auf der anderen hinauszuschleichen; dies war einer der Gründe, weshalb der Marshals Service und das FBI sich für diesen Übergabeort entschieden hatten. Doch Shawna war es in diesem Moment gleichgültig, in welche Richtung sie flüchteten, solange sie nur davonkamen.

In der Mitte teilte ein großer Teich das Grundstück und trennte das Haus von der Scheune. Die beiden Hälften waren durch einen schmalen Feldweg verbunden, der für zwei Fahrzeuge nicht breit genug war. Ein Nachtlicht am Farmhaus sorgte für ausreichende Beleuchtung, aber der größere, alte Teil der Farm war in Schatten getaucht. Eine anderthalb Meter hohe Steinmauer, von Moos und Efeu bedeckt, begrenzte den Weg nach Norden, ein Holzzaun und eine Baumreihe nach Süden. Als Shawna und die anderen bei Tageslicht hier angekommen waren, hatte dies alles idyllisch, ja malerisch ausgesehen, aber jetzt sah Shawna, wie exponiert sie waren, wenn sie den Feldweg überquerten. Er war ein Nadelöhr, ein Gefahrenpunkt auf ihrer Flucht. Denn genau dort würde der Black Rose Killer sie angreifen, davon war Shawna überzeugt.

Am liebsten hätte sie sich im Farmhaus verschanzt und auf Verstärkung gewartet. Andererseits hatte das FBI-Team genau das versucht, und die Agenten hatten für ihren Einsatz mit dem Leben bezahlt.

Wozu auf Verstärkung warten, wenn man der Verstärkung entgegenfahren kann, sagte sich Shawna. Wenn wir es bis zum Wagen schaffen, haben wir eine Chance.

Sie versuchte, Zuversicht auszustrahlen, als sie sich November zuwandte. »Bleiben Sie nahe bei mir, und halten Sie den Kopf unten, dann schaffen wir’s. Wir folgen dem Zaun auf der rechten Seite.«

November nickte bloß.

Die beiden Frauen hatten die Hälfte des überwucherten Fahrwegs hinter sich gelassen, als Shawna etwas im Gesicht spürte, das sich wie ein Spinnennetz anfühlte. Als sie es wegwischte, strichen ihre Finger über irgendetwas Hartes, Festes. Shawna zuckte zusammen, denn sie rechnete damit, eine große Spinne auf ihrer Brust zu entdecken. Stattdessen sah sie etwas, das wie eine Schnur aus Metall aussah.

Augenblicklich erkannte sie, dass es kein Spinnennetz war. Jemand hatte ihr eine Schlinge aus scharfem dünnem Draht über den Kopf geworfen.

In Panik richtete Shawna die Pistole auf die Baumreihe. Black Rose musste ganz in der Nähe sein, sonst hätte sie die Schlinge schon beim Näherkommen bemerkt. Jemand musste sie ihr übergestreift haben – genau im richtigen Augenblick, wie bei dem Angelspiel mit den Plastikfischen, die Magnete in ihren sich öffnenden und schließenden Mäulern hatten.

Shawna hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als sie auch schon von den Beinen gerissen wurde. Sie hörte das Surren eines kleinen Motors, der die Schnur nach oben zog, an der sie hing. Panisch umkrampfte Shawnas Hand die Waffe, obwohl alles in ihr danach schrie, nach ihrer Kehle zu greifen und an dem Draht zu zerren, der ihr die Luft abschnürte. Hilflos wurde sie höher gezogen, während der Draht in ihren Hals schnitt. Mit letzter Kraft umklammerte Shawna die Glock, um auf den Angreifer zu feuern, aber da war niemand.

Sie ließ ihre Waffe fallen, griff sich verzweifelt an den Hals und versuchte sich zu befreien, während sie immer höher gezogen wurde.

In dem verzweifelten Bemühen, das Gewicht von Shawnas Hals zu nehmen, drückte November die Beine der Frau hoch und versuchte zu helfen, doch Shawna wusste, es war sinnlos. Ihr konnte niemand mehr helfen.

Mit glasigen Augen blickte sie zu der jungen Frau hinunter, deren Leben ihr anvertraut war, und stieß röchelnd hervor: »Mach, dass du wegkommst!«

4

Francis Ackerman trat das Gaspedal durch, aber dem Motor fehlte die Durchzugskraft. Der Wagen war ein Chevy Cruze – ein vernünftiges Auto, was Sicherheit und Treibstoffverbrauch anging, nur eignete es sich nicht für Verfolgungsjagden, wenn man einen Serienmörder und Vergewaltiger vom Kaliber eines Black Rose fassen wollte.

Ackerman jagte den Cruze auf den Vordereingang des Treffpunkts zu und bog auf den Kiesweg ab, ohne zu bremsen. Nadia hatte eine Hand an der Tür, die andere am Armaturenbrett. Ihr Gesicht war bleich und angespannt, und ihr schöner Teint, der Ackerman sonst immer an den Sand an den Ostküstenstränden erinnerte, ließ nun mehr an die weißen Gestade von Cancún denken.

Ackerman spürte, dass die Reifen über den lockeren Kies schlitterten und der Wagen auszubrechen drohte, bremste aber nicht ab. Nadia riss die Augen auf; jeder Muskel war in Erwartung des Aufpralls gespannt. Schlitternd, mit aufheulendem Motor, schoss der Wagen in die Zufahrt hinein. Sekunden später sahen sie das zweistöckige Farmhaus auf einer leichten Erhebung links von ihnen. Ein langer Feldweg wand sich auf das Gebäude zu, gesäumt von überwucherten Feldern. Ackerman hatte diesen Ort wegen seiner einzigartigen Anlage ausgesucht; auch deshalb, weil das Gebäude durch den kürzlichen Tod seines Besitzers verfügbar geworden war.

Nun stand das Haus in hellen Flammen. Fetter Rauch stieg zum schwarzen Himmel empor.

»Was ist hier los?«, stieß Nadia hervor.

Ackerman hielt dreißig Meter vom Gebäude entfernt und schob den Automatikhebel auf Parken.

Nadia, die bleich und zitternd neben ihm saß, sagte vorwurfsvoll: »Sie verdammter Kerl.«

»So schlecht fand ich meine Fahrweise gar nicht.«

»Ich rede nicht von Ihrer Fahrweise. Ich rede davon, dass Sie hinter meinem Rücken angeordnet haben, November McAllister in unsere Obhut zu überstellen. Das alles hier hätte nicht sein müssen! Als ich mich bereit erklärt hatte, diesen Fall mit Ihnen zu bearbeiten, haben Sie mir zugestanden, dass es mein Fall ist. Verdammt, Frank, dieser Fall ist mein Leben! Für Sie ist er bloß eine Akte, nur ein Killer mehr, den Sie jagen, für mich aber ist er alles, worauf ich hingearbeitet habe. Wir wissen ja noch nicht einmal, wie Black Rose das erste FBI-Team gefunden und getötet hat. Es könnte eine undichte Stelle geben.«

»Ich habe diese Örtlichkeit ausgewählt«, sagte Ackerman, »und Carter hat alles arrangiert. Black Rose kann den Treffpunkt auf keinen Fall vom FBI erfahren haben. Und bevor wir übereilte Schlüsse ziehen, sollten wir uns lieber anschauen, was hier abgeht. Vielleicht gibt es eine ganz harmlose Erklärung für das alles.«

»Eine harmlose Erklärung? Das glauben Sie doch selbst nicht, sonst wären Sie nicht wie ein Henker gefahren.«

Ackerman zuckte die Achseln. »Finden wir’s heraus, Agentin Shirazi.« Er griff sich ins Kreuz, umfasste den Knochengriff seines Bowiemessers und zog die Klinge aus der Scheide. »An die Arbeit. Für Wut und Enttäuschung ist Zeit genug, wenn wir den Drachen erschlagen und die holde Maid gerettet haben.«

Nadia zückte die Pistole, schwang sich aus dem Wagen und knallte die Tür hinter sich zu. Ihre Nasenflügel bebten.

Als sie sich dem brennenden Farmhaus näherten, ließ Ackerman den Blick schweifen, über den stillen Teich und die dunklen Schemen mehrerer Gebäude in der Ferne hinweg. Im zuckenden Licht der Flammen entdeckte er etwas Merkwürdiges. Er kniff die Augen zusammen, spähte in das diffuse Licht der Nacht, bis die Schatten sich teilten. Dann endlich sah er, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte: Es war der Umriss eines Menschen, der an einer Schlinge hing. Die Füße der Gestalt zuckten noch.

Ohne ein Wort zu Nadia rannte Ackerman los und sprintete zu der zappelnden Gestalt, die offenbar in eine der Fallen des Black Rose Killers geraten war. Ackerman wusste, dass der Mann gern solche Fallen stellte. Er verzog das Gesicht. Sie mussten also damit rechnen, dass hier weitere tückische Fallen lauerten, die vielleicht sogar eigens für ihn und Nadia gedacht waren. Gut möglich, dass der Killer sie in genau diesem Moment beobachtete. Die gequälte Kreatur, die da am Baum hing, war möglicherweise ein Köder, und Black Rose lauerte irgendwo in den Schatten, um zuzuschlagen, sobald sie dem Opfer zu Hilfe kamen.

Soll mir recht sein, dachte Ackerman. Dann bist du fällig, Hurensohn.

Hinter sich hörte er Nadias Schritte, doch er war viel schneller als sie – zu Ackermans Erleichterung, denn auf diese Weise entging Nadia den bösen Überraschungen, die der Killer womöglich für sie beide vorbereitet hatte.

Ackerman erreichte den Fahrweg, der zu der baumelnden Gestalt führte. Links trennte ihn eine Steinmauer von dem Teich, rechts zog sich ein Holzzaun entlang. Erst jetzt konnte Ackerman erkennen, dass es eine Frau in einem Kostüm war, die dort an einem dünnen, fast unsichtbaren Stahlseil baumelte.

Als er fünf Schritte von der Frau entfernt war, stieß Ackerman sich in vollem Lauf ab und sprang. Mit dem Bowiemesser schlug er nach dem Draht hoch über dem Kopf der Frau und durchtrennte ihn mit einem Hieb. Kaum war sein rechter Fuß auf dem Boden, warf er sich herum, schnellte vor und fing die stürzende Frau mit beiden Armen auf. Behutsam bettete er sie auf Erde und Kies, fuhr mit der Messerspitze vorsichtig unter den Draht, der sich in ihren Hals gegraben hatte, und lockerte ihn. Der Draht war dünn und scharf, sodass er tief in ihre Haut gedrungen war, doch Venen und Arterien schienen nicht verletzt zu sein.

Nadia kam heran, blieb keuchend neben Ackerman stehen und gab ihm mit vorgehaltener Waffe Deckung. Aufmerksam behielt sie die Umgebung im Auge, während Ackerman sich darauf konzentrierte, die Frau zu versorgen, die er für einen der Deputy Marshals hielt, mit denen das FBI sich hier treffen wollte. Sie atmete nicht, und Ackerman begann mit einer Herzdruckmassage. Er wusste, dass er sie ins Leben zurückholen konnte. Aber das wiederum bedeutete, dass er nicht die Chance bekam, den Angreifer zu verfolgen.

Ackerman blickte aus der Hocke auf und schaute Nadia an. »Er ist noch hier.«

Nadia nickte bloß, rannte plötzlich los und folgte dem Weg zur Scheune.

»Halt!«, rief Ackerman. »Bleiben Sie!«

Seine Partnerin dachte gar nicht daran.

Ackerman fluchte in sich hinein. Er hätte Nadia am liebsten zurückgeholt, musste sich aber noch um die Frau kümmern. »Achten Sie auf Fallen«, rief er Nadia nach. »Kein Risiko! Wenn es sein muss, schießen Sie.«

Nadia, mit dem Rücken zu ihm, sagte etwas Unverständliches. Es war offenbar nicht für seine Ohren bestimmt, doch Ackerman verstand es trotzdem. »Mit größtem Vergnügen«, hatte Nadia gemurmelt.

5

Nadia Shirazi nahm drei tiefe Atemzüge, dann brach sie durch die kleine Tür der Scheune neben dem Schiebetor, das geöffnet werden musste, damit Fahrzeuge hindurchkonnten. Als sie tiefer in die Scheune vordrang, stieg ihr ein Geruch in die Nase, der ihr vertraut war und doch anders als in der Erinnerung. Stallgeruch. Als Kind hatte sie Pferde geliebt; sie waren die liebste Zuflucht für die kleine Nadia gewesen. In dieser Scheune aber roch es, als hätte jemand die Stallungen verrammelt, während Heu und Pferde noch darin waren, und nun war alles verrottet und verfault. Es waren die Gerüche von Staub, Schimmel und Verwesung.

Langsam bewegte Nadia sich durch das schummrige Innere der Scheune, an deren Wänden das rötliche Licht der Flammen flackerte. Sie hielt die Glock schussbereit vor sich, die Arme leicht angewinkelt, den Blick am Visier, angespannt, wachsam, auf jeden Angreifer gefasst. In hinteren Teil der Scheune, in einer Insel aus künstlichem Licht, standen zwei Fahrzeuge, ein Suburban und eine Crown-Victoria-Limousine älteren Baujahrs. Und genau dort, zwischen den beiden Fahrzeugen, sah Nadia einen dunklen Schemen. Sofort richtete sie die Waffe auf die reglose Gestalt. Es schien ein Mensch zu sein, der unter einer dicken Decke lag, die Beine leicht angezogen. Auf die Entfernung war nicht zu erkennen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte.

Dieser Teil der Scheune wurde durch eine einzelne nackte Glühbirne erhellt, die man mit einer Zugkette einschaltete. Sie wiegte sich im Nachtwind träge hin und her, sodass Licht und Schatten in stetem Rhythmus über die verdeckte Gestalt huschten; man hätte glauben können, im Einklang mit dem Licht eine alte Standuhr ticken zu hören.

Mit langsamen, fast lautlosen Schritten bewegte Nadia sich auf die Gestalt zu. Sie bezweifelte keine Sekunde, dass sie es mit einer Falle zu tun hatte, denn genau damit musste sie hier rechnen. Black Rose gab die Karten, und er betrog immer.

Die Gestalt unter der Decke gab keinen Laut von sich. Nadia konnte nicht einmal sicher sein, dass es ein Mensch war; die leichten Bewegungen, die sie zu bemerken glaubte, konnten auf das Spiel von Licht und Schatten zurückzuführen sein. Schließlich löste Nadia den Blick von der verdeckten Gestalt, schaute in die schummrigen Ecken und versuchte, unter die beiden Fahrzeuge zu spähen, um sicherzugehen, dass der Killer nicht von dort angriff. Doch sie sah nichts und niemanden, was auf eine weitere Falle hindeutete.

Was sollte sie tun? Einfach hingehen und die Decke von der Gestalt ziehen? Schließlich konnte es einer der Agenten oder Marshals sein. Oder legte der Killer es darauf an, dass sie genau das tat? Verbarg sich unter der Decke irgendein tödlicher Mechanismus?

Nadia beschloss, nicht näher heranzugehen als unbedingt nötig. Sie löste ein Reservemagazin von der linken Hüfte und warf es zielsicher genau an die Stelle, wo sich der Kopf der Gestalt befinden musste.

»Verdammt!«, rief eine Frauenstimme.

Nadia zuckte vor Schreck zusammen. »November McAllister?«, fragte sie leise. »Sind Sie das? Hat er Sie hierher …«

Nadias Stimme riss ab, als irgendetwas sie mit Wucht im Nacken traf, etwas Hartes, Schweres, das aus dem Halbdunkel der Scheune herangeflogen kam. Schmerz schoss durch ihren Körper, doch sie blieb bei Bewusstsein und stolperte auf die verhüllte Gestalt zu, die sich zwar als November McAllister, zugleich aber auch als Ablenkung entpuppt hatte. Schwindel und Übelkeit erfassten Nadia; sie spürte kalten Schweiß auf der erhitzten Haut.

Langsam, mit vorgehaltener Waffe, drehte sie sich um. Sie war so schwach, dass die Pistole in ihrer Hand eine Tonne zu wiegen schien.

Obwohl sie auf alles gefasst war, zuckte sie heftig zusammen, als sie sich einem schwarz gekleideten Mann gegenübersah, der sein Gesicht mit einer dunklen Skimaske verdeckt hatte. Nur seine braunen Augen waren zu sehen und funkelten im Dämmerlicht.

Der Arm des Mannes schnellte vor. Mit der linken Hand umfasste er Nadias Handgelenk und drehte es mit einem heftigen, brutalen Ruck. Schmerz schoss Nadias Arm hinauf. Ehe sie reagieren konnte, drückte der Mann ihr die Mündung einer schallgedämpften Pistole ins Gesicht.

Für einen Moment wurde Nadia schwarz vor Augen. Verzweifelt versuchte sie, sich auf den Mann hinter dem Lauf der Waffe zu konzentrieren und ihm in die Augen zu schauen. Sie flehte nicht, jammerte nicht, sagte kein Wort. Sie wusste, dass ihr Leben in der Hand des Fremden lag. Der Zeigefinger des Mannes ruhte am Abzug. Er brauchte nur abzudrücken, und alles war vorüber.

Als der Black Rose Killer Nadias Gesicht betrachtete, veränderte sich der Ausdruck seiner braunen Augen. Er beugte sich vor. Verwirrung lag in seiner Stimme, als er fragte: »Du? Was tust du hier? Du solltest nicht hier sein, Nadi.«

Nadia wurde schlecht. Die Bestie redete, als wären sie alte Bekannte. Obendrein hatte er ihren Namen wie »Noddy« ausgesprochen – ein Kosename, den nur Nadias Vater je benutzt hatte.

Doch Nadia erkannte die Stimme nicht wieder. Bei ihrer ersten Begegnung vor vielen Jahren hatte Black Rose kein Wort gesagt, hatte ihr nur schreckliche Dinge angetan. Jetzt aber redete er, als wären sie Freunde, Vertraute, ja, ein Liebespaar. Es verursachte Nadia Übelkeit, als sie an die kranken Fantasien dachte, die dieses Monster an ihrem Körper ausgelebt hatte. Sie versuchte, die Finger so fest um die Glock zu legen, dass sie die Waffe auf ihren Peiniger richten konnte, doch sie brachte die nötige Kraft nicht auf.

Nach einer weiteren Sekunde der Verwirrung verfinsterte sich der Blick des Mannes. Wut loderte in seinen Augen. Er holte aus und drosch Nadia den Lauf der Pistole an den Kopf.

Nadia schrie, taumelte. Sie konnte nicht mehr atmen, sich nicht mehr bewegen, als sie hilflos in undurchdringlicher Schwärze versank.

Frank, war ihr letzter klarer Gedanke. Frank …

Dann war da nur noch Dunkelheit.

6

Ackerman verabreichte der bewusstlosen Frau Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung, bis sie keuchend nach Luft schnappte. Ihre Lider flatterten, doch sie erlangte das Bewusstsein nicht wieder. Vielleicht war sie zu lange ohne Sauerstoff gewesen und hatte irreversible Hirnschäden davongetragen.

Ackerman atmete durch und schaute zu dem Teich, auf dessen Oberfläche der Mond, der zwischen den Wolken hervorgekommen war, silbrige Wellenmuster warf. Das Licht aus der Scheune, die Flammen vom Haus, der sanfte Schein des Mondes und der düstere Nachthimmel mischten sich auf eine Weise, dass es Ackerman an alte Gemälde erinnerte, auf denen die Apokalypse dargestellt war.

Nadia war mittlerweile zu lange fort, wurde Ackerman bewusst. Was immer sich in der Scheune abgespielt hatte, jetzt ließ sich nichts mehr daran ändern.

Ackerman stand auf, lauschte auf Stimmen oder Geräusche. Dann setzte er sich in Richtung Scheune in Bewegung.

In diesem Moment hörte er einen schweren Motor aufbrüllen. Der Lärm kam nicht aus der Scheune, sondern drang hinter dem Gebäude hervor.

Black Rose, schoss es Ackerman durch den Kopf. Die Schweinebacke will sich absetzen.

Demnach gab es zwei mögliche Erklärungen, was Nadias Schicksal betraf, und keine von beiden gefiel Ackerman: Entweder, Nadia war tot, oder der Killer hatte sie in seiner Gewalt.

In diesem Augenblick leuchteten Scheinwerfer auf. Ein Fahrzeug jagte um die Scheune herum. Der Fahrer beschleunigte rücksichtslos. Der Wagen holperte über das unebene Gelände und wirbelte Grassoden und Steine auf.

Da ist der Mistkerl ja auch schon.

Wahrscheinlich hatte Black Rose sein einstiges Opfer Nadia wiedererkannt, hatte es zusammen mit November McAllister ins Fahrzeug gezerrt und versuchte nun, die beiden Frauen zu entführen.

Dann geschah etwas Unerwartetes. Ackerman beobachtete, wie der Wagen sich dem Farmhaus näherte, statt den zu erwartenden Fluchtweg zum Highway einzuschlagen. Vielleicht hatte Black Rose beschlossen, der Frau, die er an dem Drahtseil aufgehängt hatte, den Rest zu geben – als kleine Show für seine unfreiwilligen Fahrgäste. Er konnte ja nicht wissen, dass die Frau nun in Ackermans Obhut war.

Ackerman bewegte die Bewusstlose nur ungern, doch ihm blieb keine Wahl, wenn er der Gefahr aus dem Weg gehen wolle, dass der Wagen die hilflose Frau überrollte. Er trug sie an den Rand des Fahrwegs und bettete sie vor den alten Holzzaun. Dann wandte er sich dem Gegner zu.

Am Kühlergrill und der Anordnung der Scheinwerfer erkannte er, dass es sich um eine Limousine von Typ Chrysler 300 handelte. Der V8-Motor grollte im Leerlauf, lauernd, abwartend, während das gelbe Licht der Scheinwerfer in die Dunkelheit stach. Plötzlich heulte der schwere Motor auf, und der Wagen schoss auf Ackerman zu.

Ackerman erkannte im Bruchteil einer Sekunde, dass er dem Fahrzeug nicht mehr ausweichen konnte. Seine einzige Möglichkeit war, über den Wagen hinwegzusetzen. Wenn alles gut ging, konnte er zu seinem Chevy sprinten und die Verfolgung aufnehmen. Der Chrysler war schwerer und stärker als der Cruze, doch Ackerman war sicher, dennoch eine Möglichkeit zu finden, das schwerere Fahrzeug von der Straße zu drängen. Niemand verstand sich besser auf solche Aktionen als er.

Ackerman starrte in die dunkel getönten Fenster des Chryslers, der sich ihm rasend schnell näherte, doch von außen war nur der verschwommene Umriss eines Mannes hinter dem Lenkrad zu erkennen.

Dann war der Chrysler heran.

Ackerman stieß sich ab, wich geschickt der Stoßstange aus, die ihn um ein Haar aufgeschlitzt hätte, landete auf der Motorhaube und setzte zum zweiten Sprung an, der ihn über das Fahrzeug hinwegtragen sollte, als etwas Unerwartetes geschah: Der Chrysler schoss nach rechts davon. Statt auf dem Dach landete Ackermans rechter Fuß auf der Windschutzscheibe – ein Fehler in seiner Berechnung, der ihn teuer zu stehen kommen sollte. Er sah, wie sein Spiegelbild über das dunkle Glas der Scheibe huschte und spürte, wie sein Bein die Kraft der Seitwärtsbewegung auffing und der Schwung ihn in die Höhe riss. Im letzten Sekundenbruchteil warf er sich mit aller Kraft nach vorn, flog über das Heck des Wagens hinweg und schlug schwer auf die Fahrbahn. Benommen lag er inmitten einer Wolke aus Staub und emporgewirbelten Steinen und beobachtete, wie die Hecklichter des Chryslers davonrasten, nachdem es dem Fahrer irgendwie gelungen war, den Wagen wieder in die Spur zu bringen. Die Rücklichter sahen aus wie die Augen eines Dämons, der zurück in die Hölle jagte, aus der er gekommen war.

Ein unbarmherziger Wille zwang Ackerman, sich hochzustemmen und den sinnlosen Versuch zu machen, die Verfolgung aufzunehmen. Er biss die Zähne zusammen, drängte Benommenheit und Schwäche zurück. Doch sein Körper verlor den Kampf.

Bewusstlos stürzte Francis Ackerman in den Staub der Straße.

7

Vier Tage später

Nach langen, sorgenvollen Tagen und Nächten, die er an Nadias Krankenhausbett gewacht hatte, kehrte Ackerman vorübergehend in sein Büro zurück, das ihm zugleich als provisorische Wohnung diente. Die meiste Zeit war Nadia nicht ansprechbar gewesen, sodass Ackerman nichts anderes hatte tun können, als zu warten – eine erzwungene, nervtötende Untätigkeit, die ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben hätte. Hinzu kam die Ungewissheit, ob Nadias Gehirn dauerhaft geschädigt war. Was das betraf, waren die Ärzte unsicher; zu Fragen nach den Verletzungen Nadias und deren möglichen Auswirkungen äußerten sie sich nur sehr vage.

Ackermans Büro lag an einem Korridor mit einem Fußboden aus nacktem Beton. Kabelbäume, sanitäre Leitungen und Plastikrohre, allesamt unverkleidet, zogen sich unter der Decke hin – ein Muster, das Ackerman an die Adern an der Kehle einer riesigen Kreatur erinnerte. Doch hier war seine Zuflucht. Die Büros in diesem Gebäudeteil waren nur halb fertig und wurden vor allem zur Lagerung alter Akten genutzt. Der Korridor selbst befand sich im untersten Kellergeschoss eines unauffälligen Bürohauses in der Nähe von Quantico, Virginia, Sitz der FBI-Akademie und der Behavioral Analysis Unit, kurz BAU, der berühmten Verhaltensanalyseabteilung des FBI.

Ackerman genügte diese eher schlichte Umgebung. Das jährliche Gehalt, das die Regierung ihm für seine Dienste zu zahlen sich verpflichtet fühlte, rührte er kaum an. Auf die meisten Anschaffungen verzichtete er, weil er nicht sicher war, ob er überhaupt Eigentum besitzen wollte. Er hatte ein paar Souvenirs von seinen Reisen zurückbehalten, darunter Waffen, die er als Trophäen betrachtete und die er weiterhin nützlich fand, und vor allem Theodore, seinen kleinen Hund, den er aber nicht als Besitz betrachtete, sondern als vierbeinigen Kumpel.

Ackerman fand es unendlich vergnüglich, im Keller seiner früheren Widersacher vom FBI zu wohnen und zu arbeiten. Die Folterungen, die sein Vater an ihm vorgenommen hatte, waren durchgehend mit Videoaufnahmen dokumentiert, und die Männer und Frauen, die in den Etagen über Ackerman arbeiteten, jagten Serienmörder und Terroristen und erstellten Profile für alle anderen Arten von Straftätern. Deshalb wusste Ackerman genau, dass fast alle seinen Fall und seine Psychologie gründlich studiert hatten. Allerdings war seines Wissens nur einem einzigen dieser Leute bekannt, dass Francis Ackerman jr. das Monster war, das im Keller der BAU hauste.

Den Zugang zu seinem Refugium bildete eine Stahltür, neben der auf einem Namensschild »F. Stine« stand. Der Name war ein kleiner Scherz Ackermans, auf den Deputy Director Carter sich eingelassen hatte. Auf seinen Reisen hatte Ackerman viele Spitznamen getragen: Mann ohne Furcht, Boogeyman, El Diablo und zahlreiche andere. Doch aufgrund der Experimente, die sein Vater an ihm vorgenommen hatte, erschienen ihm Vergleiche mit Frankenstein und dem Geschöpf des wahnsinnigen Arztes naheliegend. Deshalb hatte sich »Franklin Stine« als neuer Deckname angeboten.

An dem kleinen Tastenfeld entriegelte Ackerman die Tür mit einem sechzehnstelligen Zahlencode und vergewisserte sich, dass die unscheinbaren Objekte, die er am Türrahmen platziert hatte, um ihn auf ein unerlaubtes Eindringen hinzuweisen, noch an Ort und Stelle waren. Der Raum maß gut dreieinhalb mal zwölf Meter; der hintere Teil enthielt ein komplett eingerichtetes Badezimmer einschließlich einer Dusche – Carters neuestes Zugeständnis, nachdem Ackerman sich geweigert hatte, die Wohnung zu nutzen, die das FBI ihm zur Verfügung stellte. Diesen Raum hier und seinen Job, mehr brauchte er nicht.

Bis auf Theodore.

Als Ackerman die Tür öffnete, erwartete er, von seinem Shih Tzu begrüßt zu werden, aber der kleine Hund lauerte nicht ungeduldig auf seine Ankunft, wie sonst immer; diesmal war er nirgendwo zu sehen. »Special Agent Theodore!«, rief Ackerman. »Wo steckst du? Der Boss ist da!«

Eine Sekunde später kam der kleine schwarzweiße Hund aus den Schatten und äugte kurz zu ihm hoch – mit einem teils vorwurfsvollen, teils verächtlichen Ausdruck, wie es Ackerman schien. Dann drehte der Shih Tzu sich um und tippelte zu seinem orthopädischen Hundebett neben Ackermans japanischem Tisch zurück, wo er sich hinwarf und seinem Herrchen das Hinterteil entgegenstreckte.

»Was ist los, Mann?« Ackerman legte die Hände an die Hüften und zog eine Braue hoch. »Ich habe harte Tage hinter mir. Sei mal ein bisschen nett.«

Theodore reagierte nicht.

»Soll ich dir was von Nadia erzählen?«

Theodore rührte sich immer noch nicht.

»Sie liegt im Krankenhaus.«

Der kleine Hund spitzte tatsächlich die Ohren.

»Und jetzt kommt das Schlimmste«, fuhr Ackerman fort. »Nadia ist womöglich der jüngste Eintrag auf der Liste von Opfern der Männer aus der Familie Ackerman.«

Theodore antwortete mit einem fiependen Laut.

Ackerman starrte ihn an. »Mehr hast du nicht zu sagen, du getunte Katze?«

Der kleine Hund ignorierte ihn.

»Du willst ein Freund sein?«, schimpfte Ackerman. »Wenn das nicht besser wird, muss ich unsere Männer-WG aufkündigen. Na, was sagt du jetzt?«

Theodore döste vor sich hin.

»Ignorant.« Seufzend wandte Ackerman sich seinen Aufgaben zu. Zuerst legte er seine Waffen in einen speziellen Kasten, der auf einem schwarzen Tisch stand, der aus dem naturwissenschaftlichen Labor einer Highschool stammte. Der Waffenkasten war ursprünglich ein Gitarrenkasten gewesen, den Ackerman mit Taschen und Halterungen für sein »Handwerkszeug« ausgestattet hatte, darunter das Bowiemesser mit dem Knochengriff, seine Spezial-Armbanduhr mit dem Würgedraht, der mit der Krone herausgezogen werden konnte, und die sechs Wurfmesser, die in einer maßgefertigten Klett-Tasche seiner Armeehose steckten. Statt die Messer in den Kasten zu legen, warf er sie blitzschnell nacheinander auf eine Zielscheibe am anderen Ende des Raumes. Flirrend flogen sie durch die Luft und fuhren mit lautem Pochen ins Holz.

In diesem Moment spürte Ackerman einen kleinen Körper am rechten Bein. Theodore war von seinem orthopädischen Bett herübergekommen und schaute schwanzwedelnd zu ihm hoch. Ackerman bückte sich, nahm ihn hoch und hielt ihn in den Armen. Während er Theodore Bauch und Ohren kraulte, drückte dieser sein kleines Gesicht in Ackermans Hand.

»Okay, jetzt mal ernsthaft«, sagte Ackerman. »Ich habe wichtige Arbeit, und Nadia geht es nicht gut. Aber Consuela wird sich um dich kümmern, wenn ich weg bin, also kannst du die Nummer der gekränkten Diva lassen, okay?«

Wenn Ackerman unterwegs war, kümmerte sich Carters Hausdame Consuela um Theodore. Natürlich hatte Carter ihr weisgemacht, Ackerman sei nur einer seiner vielen Agenten – ein Mann, der häufig unterwegs sein müsse. Consuela war Witwe und hielt zu Hause nur einen Goldfisch, deshalb vergötterte sie Theodore.

Theodore leckte Ackerman das Gesicht.

»Schon in Ordnung, Kumpel. Hauptsache, du frisst nicht Consuelas Goldfisch.« Er setzte den kleinen Hund mit einem beruhigenden Tätscheln wieder auf die vier Pfoten. »Und jetzt auf zum gemeinsamen Training!«

Als Theodore das Wort »Training« hörte, flitzte er davon.

Ackerman lachte. »Faulpelz.«

Er zog sich bis auf die Boxershorts aus, trat in den freien Teil des Raumes und drückte sich nach ein paar Dutzend Liegestützen in den Handstand hoch. Während er versuchte, eine kerzengerade Haltung beizubehalten, begann er mit Schulterdrücken, ohne den Handstand aufzugeben. Ackerman mochte Übungen wie diese. Man konnte sie überall ausführen und brauchte nur das eigene Körpergewicht, keine Geräte oder Hanteln. Es waren Übungen, die verschiedene Muskelgruppen beanspruchten und dafür sorgten, dass die Physis in Bestzustand blieb, was in letzter Zeit allerdings zunehmend schwieriger für ihn wurde. Nicht nur aus Zeitmangel, sondern auch wegen seines Alters und der wachsenden Anzahl von Kampfnarben. Als Ackerman sein Training mit Liegestützen fortsetzte, schmerzte seine Hand an der Stelle, an der sie bei seinem letzten Fall von einer Schwertklinge durchbohrt worden war.

Ein Glück, dass mir Schmerzen nichts ausmachen, ging es ihm durch den Kopf. Auch das hatte er seinem Vater und dessen Experimenten zu verdanken. Ackerman war es gewohnt, mit Schmerzen Höchstleistungen zu erbringen. Meist genoss er sie sogar und fühlte sich von ihnen angespornt – ein Erbe der unmenschlichen Versuche seines Erzeugers, genauso wie seine fantastische Reaktionsschnelligkeit, seine Ausdauer und seine Kraft.

Wieder dachte er an Nadia. Ihr ging es bei Weitem nicht so gut wie ihm. Ackerman konnte nur hoffen, dass sie aus dem Koma erwachte, ohne dauerhafte Schäden davongetragen zu haben. Am liebsten hätte er am Bett seiner Partnerin gewacht, bis sie das Bewusstsein wiedererlangte – eine Einsicht, die ihn überraschte und dazu brachte, sein bisher gutes, doch eher unterkühltes persönliches Verhältnis zu Nadia zu überdenken.

Die ganze Situation mit Nadia, besonders ihre schwere Schädelverletzung, weckte in Ackerman Besorgnis und ein seltsames Gefühl der Leere, als wäre ihm ein Teil seines Innern genommen worden, dessen Verlust er nun ständig spürte. Genauso hatte er sich gefühlt, nachdem Maggie ums Leben gekommen war, die Verlobte seines Bruders, die Ackerman stets als »kleine Schwester« betrachtet hatte. Maggie hatte einen berüchtigten Serienmörder, den Taker, mit in den Tod genommen und sich dabei für Ackerman geopfert.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er die blinkenden Lichter an der gegenüberliegenden Wand bemerkte, die von Bewegungsmeldern draußen auf dem Gang aktiviert wurden. Jemand näherte sich seinem Büro. Ackerman beendete sein Training, wischte sich mit einem Tuch den Schweiß ab, ging zur Stahltür und öffnete.

Er sah sich einem Mann gegenüber, der in jeder Hand eine Pistole hielt.

8

Congressman David Crane betrachtete die Gesichter der vier Männer am Tisch. Drei von ihnen waren seine engsten Freunde und Kollegen, Kongressabgeordnete wie er selbst. Der vierte war sein erwachsener Sohn Ezra. Als David Crane von einem Gesicht zum anderen blickte, tat er sich beinahe selbst leid, dass er einer solch traurigen Brut von Schlangen gegenübersaß und nicht Menschen, die er mochte.

Das Innere des Restaurants war einem französischen Château nachempfunden. Die Wände bestanden aus alten Natursteinen, Stuck und freiliegenden geschwärzten Balken, Hunderte von Jahren alt. Das Licht war gedämpft, und es roch nach Weintrauben und frischem Brot. Das Restaurant gehörte zu den neuesten und exklusivsten in Charleston, South Carolina, und war ständig ausgebucht. Doch ein Mann in David Cranes Position brauchte nie auf einen Tisch zu warten, schon gar nicht in seiner Heimatstadt.

Cranes Familie hieß ursprünglich Jewdokimenko und war zwei Generationen zuvor aus der Ukraine in die USA eingewandert, wo sie erfolgreich Fuß gefasst hatte. Congressman David Crane war das beste Beispiel für die steilen Karrieren der meisten Jewdokimenkos.

Links von David saß ein Mann mit schwarzem Haar und buschigem Schnurrbart, der über beide Seiten seines Mundes ragte und vom zurückweichenden Kinn und dem runden Kopf ablenkte. Beim Anblick dieses haarigen Gesichts musste Crane stets an Toto denken, den kleinen Hund aus dem Zauberer von Oz.

Neben Toto saß ein Bär von einem Mann. Sein struppiges rotbraunes Haar und der Bart waren grau gesprenkelt. Die schlaffen Hängebacken ließen den Kopf des Mannes klein und sein Gesicht primitiv, beinahe grobschlächtig wirken, aber er war überaus intelligent. Allerdings fehlten ihm Durchsetzungskraft und der Mut zu wirklich großen Entscheidungen, deshalb nannte David Crane ihn im Stillen den Feigen Löwen.

Der dritte Mann war der Kongressabgeordnete mit den wenigsten Amtsjahren, siebzehn an der Zahl, während David Crane dreiunddreißig auf dem Buckel hatte, die beiden anderen mehr als zwanzig. Crane bezeichnete ihn im Stillen als die Vogelscheuche. Er war ein italienischstämmiger Bursche, klein und aufbrausend, der immer wieder jemanden brauchte, der ihn zügelte, damit er nicht übers Ziel hinausschoss.

Die Rolle des Zauberers gebührte selbstverständlich keinem anderem als David Crane. In ihrer kleinen Gruppe war er es, der alles in Schwung gebracht hatte und von Anfang an die Strippen zog. Ihre Allianz hatte viele Stürme überstanden. Sie alle waren geachtete, mächtige Männer geworden.

Doch der weitaus gefährlichste von ihnen war der junge Mann rechts von David Crane, sein Sohn Ezra. Schon früh hatte David den Jungen als Psychopathen durchschaut, hatte aber nichts dagegen unternommen – im Gegenteil. Er hatte sich Ezras Grausamkeit und dessen unbestreitbare Talente zunutze gemacht und ihm den Grundsatz eingeimpft, dass ein Mann ohne Gewissen auf der Welt fast alles erreichen könne.

Ezra hatte sich dieses Motto zu Herzen genommen.

»Kommen wir zum Geschäftlichen«, sagte David nun, nippte an seinem Brandy und blickte zu seinem Sohn. »Wie weit sind wir mit dem Beschuldigten, Ezra?«

Ezra aß einen Bissen gegrillte Hähnchenbrust. »Der Plan, den ich mit ihm diskutiert hatte, ist noch in Arbeit. Ich treffe mich morgen mit dem Gentleman. Danach wird er kein Problem mehr für uns darstellen.«

»Glauben Sie wirklich, es ist so einfach? Ich bin mir nicht sicher, ob ein einziges Treffen genügt«, meinte der Feige Löwe. »Er ist eine harte Nuss.«

Ein verächtliches Grinsen legte sich auf Ezras Gesicht. »Gentlemen, ihr bezahlt mich dafür, dass ich solche Dinge in Ordnung bringe, und ich habe viel Übung bei der Erfüllung eurer Aufträge. Vertraut mir. Ein Treffen wird genügen, und die Sache ist aus der Welt.«

»Wenn Sie meinen.« Der Feige Löwe machte sich wieder über das Kalbfleisch mit Parmesan her. David Crane hasste es, diesem fetten Kerl beim Essen zuzusehen. Ihm drehte sich dabei der Magen um. Kauend, mit vollem Mund, fügte der Feige Löwe hinzu: »Ich hoffe, Sie haben recht, Ezra. Jeder von uns will, dass dieser Bursche verschwindet.«

Ezra musterte ihn kalt. »Ich weiß. Ich werde dafür sorgen« Er grinste. »Und ich werde es genießen.«

Stille breitete sich am Tisch aus. Sie alle wussten, was Ezra damit meinte, denn sie alle kannten seinen Ruf völliger Gewissenlosigkeit und hemmungsloser Grausamkeit. Ezra war ein Psychopath, der sich am Schmerz seiner Opfer weidete und ihre Qualen so lange ausdehnte, wie es nur ging. Es gab keinen gefährlicheren Mann als Ezra Crane, davon waren sie alle fest überzeugt.

»Was hast du mit ihm vor?«, fragte David.

Als er seinen Sohn anblickte und den Ausdruck abartiger Vorfreude in dessen Augen sah, lief ihm ein kalter Schauder über den Rücken.

»Soll ich es dir wirklich sagen?«, fragte Ezra grinsend. »Ich fürchte, das ist kein Thema fürs Abendessen.«

Nicht zum ersten Mal fragte sich Crane, ob die Welt ein besserer Ort wäre, wenn er Ezra in der Wiege erstickt hätte.

9

Ackerman erkannte die beiden großkalibrigen Waffen, die auf ihn gerichtet waren. Die in der rechten Hand des Mannes war ein Revolver .44 Magnum; er hatte einem mörderischen Sektenführer im Großraum Chicago gehört, der als »Prophet« bekannt gewesen war. Die Waffe in der linken Hand des Mannes war ein Taurus Judge. Dieses spezielle Modell war silbern, mit goldenen Gravuren beschlagen, und hatte einen vergoldeten Hahn und Abzug. Die Waffe konnte .410er-Schrotpatronen oder .45 Long Colt verschießen. Einst hatte sie Francis Ackerman gehört.

Der Mann mit den Pistolen sagte: »Pfoten hoch, Partner.«

Ackerman verzog das Gesicht. »Sie sind heute mal wieder ein ausgesprochener Scherzkeks, Samuel. Aber die Kanonen machen sich ganz gut an einem Bürohengst wie Ihnen, das muss ich sagen. Kommen Sie rein.« Er machte auf dem Absatz kehrt, ging zu dem Labortisch, zog ein Handtuch darunter hervor und rieb sich den Schweiß ab.

FBI Deputy Director Samuel Carter folgte ihm ins Büro und legte die Pistolen auf den Waffenkasten. »Ich hatte erwartet, dass Sie mehr Freude zeigen. Die Waffen sind eine Art Geschenk von ganz oben.«

»Tatsache? Womit habe ich diese Ehre verdient?«

»Wegen der guten Arbeit, die Sie in New Mexico geleistet haben.«

Ackerman schüttelte den Kopf. »Was ich in New Mexico getan habe, zeigt eher, dass ich keine Schusswaffe benötige.« Er sah dem Deputy Director fest in die Augen. »Ich hatte damals im Zuge der Ermittlungen zwei Menschen getötet, Samuel, weil ich unfähig war, die Dämonen in meinen Innern im Zaun zu halten.«

»Ich verstehe Sie nicht. Die Begleitumstände wurden untersucht und als gerechtfertigt beurteilt.«