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Berlin im Frühjahr 1991: Die Unterschriften unter dem Einigungsvertrag sind kaum trocken. an allen Ecken und Enden wird fieberhaft geflickt, was auf ewig zerrissen schien. Astrid Jensen, Hamburger Kriminalistin, die in den frühen Achtzigern an der Freien Universität in Westberlin ihr Jura-Studium abschloss, will beim Neuanfang hautnah dabei sein. Voller Elan, und weil ihr die Stadt ans Herz gewachsen ist, bewirbt sie sich zum Dienst im geeinten Berlin. Als Leiterin einer Mordkommission im ehemaligen Volkspolizei-Präsidium am Alex eingesetzt, übernimmt sie, gemeinsam mit ihrem neuen Team, im Kaltstart die Untersuchung eines Doppelmords, der die Wochenend-Idylle sonnenhungriger Städter am Rande Berlins in helle Aufregung versetzt. Die Aufklärung der brutalen Taten, deren Motiv im Dunstkreis des seit dem Mauerfall florierenden Straßenstrichs inmitten der City Ost verborgen scheint, erweist sich zunehmend als bizarre Jagd auf intimes Wissen der Stasi über einflussreiche bundesdeutsche Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft.
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Seitenzahl: 345
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Klaus Rülke
&
Die Stunde der Wölfe
Ein Kriminalroman der 1990er
Autoren
Klaus Rülke, Jg. 48, studierte von 1966 bis 1971 Geschichte und Germanistik an der Universität Greifswald, arbeitete anschließend als Journalist und ab 1981 im Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Akademie der Künste, nach der deutschen Wiedervereinigung wechselte er 1991 in die private Wirtschaft, lebt in Berlin und ist seit 2012 im Ruhestand.
Marion B. Lange, Jg. 56, studierte in der zweiten Hälfte der 70er Jahre Literaturwissenschaft am „Johannes R. Becher“-Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig, arbeitete anschließend als Fachreferentin beim Leipziger Bezirkskabinett für Kultur. 1983 lernte sie Klaus Rülke kennen, übersiedelte nach Berlin, ist seit 1991 in der privaten Wirtschaft tätig – zuständig für Marketing und PR.
Copyright © 2020
Berlin Crime Edition
Alle Rechte vorbehalten.
Der Inhalt darf – auch auszugsweise – nur mit Genehmigung
der Autoren veröffentlicht werden.
Umschlaggestaltung: Marion B. Lange
Typografie: Klaus Rülke
Printed in Germany
Berlin im Frühjahr 1991: Die Unterschriften unter dem Einigungsvertrag sind kaum trocken, wird an allen Ecken und Enden fieberhaft geflickt, was auf ewig zerrissen schien.
Astrid Jensen, Hamburger Kriminalistin, die in den frühen Achtzigern an der Freien Universität im Berliner Westen ihr Jura-Studium abschloss, will beim Neuanfang hautnah dabei sein. Voller Elan, und weil ihr die Stadt ans Herz gewachsen ist, bewirbt sie sich zum Dienst im geeinten Berlin.
Als Leiterin einer Mordkommission im ehemaligen Volkspolizei-Präsidium am Alex eingesetzt, übernehmen sie und ihr neues Team im Kaltstart die Untersuchung eines Doppelmords, der eine Wochenend-Idylle sonnenhungriger Städter am Rande Berlins in helle Aufregung versetzt.
Die Aufklärung der brutalen Taten, deren Motiv im Dunstkreis des seit dem Mauerfall florierenden Straßenstrichs inmitten der City Ost verborgen scheint, erweist sich zunehmend als bizarre Jagd auf intimes Wissen der Stasi über einflussreiche bundesdeutsche Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft.
Danke allen, die uns halfen, aus einer launischen Idee heraus dieses Buch zu schreiben, die uns langmütig zur Seite standen und stets ermutigten, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Dank auch an ‚Wikipedia‘ für das einfache Nachschlagen, wenn uns wirklich ein konkretes Datum mit seinen Geschehnissen entfallen war.
Akteure der Zeitgeschichte ausgenommen, sind alle Namen der Personen dieser fiktiven Geschichte frei erfunden. Für etwaige zufällige Ähnlichkeiten bitten wir um Nachsicht.
K.R. & M.B.L.
Schluss mit lustig! Liane sucht verzweifelt mit den Augen ihr Auto und findet es nicht. Erschrocken erinnert sie sich, dass sie gestern wegen ihrer dämlichen Trödelei woanders parken musste, weil ihr angestammter Platz am Monbijou-Park längst besetzt gewesen war.
Im Gehen befühlt sie die Beute in ihrer Gürteltasche. Mickrig für Freitag, denkt sie verdrossen.
Es ist sehr spät, oder sehr früh, je nachdem, wie man es betrachtete. Von Osten her steigt Dämmerlicht über die Hausdächer um die Hackeschen Höfe.
Die Absätze ihrer Stiefel klacken hart auf den unebenen Gehwegplatten. Glassplitter zerschlagener Flaschen knirschen zuweilen unter den Sohlen und frische Kastanienblättchen rascheln im kühlen Luftzug, der den Tagesanbruch begleitet.
Seltsame Geräusche, denkt sie. Voll künstlich, wie aus einer billigen, alten Heule. Angst kriecht an ihr hoch. Musst deine Karre immer im Blick haben, hatten Nicole und Zlatko ihr eingeschärft. Damit du jederzeit die Flocke machen kannst, falls dir jemand an die Gurgel will. Sie hält sich an den Rat.
Viel zu weit weg heute, haucht ihr ein flüchtiger Gedanke zu, wenn du sie gebraucht hättest. Bisher war gottlob nichts passiert. Kein Irrer, kein Besoffener hatte sie beschimpft, bedroht, geschlagen.
Bis jetzt... Alle Freier, ob schüchtern, frustriert oder egoman, verhielten sich durch die Bank verklemmt, argwöhnten, beobachtet zu werden oder Bekannten über den Weg zu laufen.
Sie ist kaputt, fühlt sich durch die Mangel gedreht. Vermutlich bedrängt sie deshalb wieder die dämliche Sorge, wie lange das so weitergehen soll? Mit der Muschi Geld zu verdienen, ist für sie nicht neu. Aber das Anpreisen, der Futterneid, die Quickies im Auto sind es schon. Und alles nur, weil sie als PP, sprich „Persönliches Präsent“, zur deutschen Einheit ihren Job losgeworden war. Gründe dünn, geheuchelt. Die wahre Ursache erahnte sie nur. Sie hatte wahrlich Besseres verdient.
Liane fühlt sich zum Kotzen, wenn Sinnfragen über sie herfallen. Solange der Schotter stimmt, ist doch egal, woher er kommt! Die Brave ist letzten Endes immer nur die Dumme.
Sie öffnet den Kofferraum, schnappt sich die Ballerinas, schlüpft hinein, atmet wohlig auf. Endlich Erholung fürs lädierte Fahrgestell! Achtlos wirft sie die Stiefel zum Einkaufskorb, schreckt hoch.
Ist da was? Du stehst genau im Lichtkegel der Laterne neben dir!
Sie rennt fast ums Auto, steigt ein, hält nochmals inne. Sie ist allein. Die Straße liegt verlassen. Niemand fällt ihr auf. Weiter oben kreuzt ein Paar die Fahrbahn, verliebt, mit sich beschäftigt. Trotzdem triezt sie das üble Gefühl, als säße ihr jemand im Nacken.
Du spinnst echt, ruft sie sich zur Ordnung.
Wer soll dir hier um diese Zeit an den Hacken kleben, wenn außer Nicole doch niemand weiß, wo du bist? Sie fährt Richtung S-Bahnhof, weiter zum Alex. Es ist kurz vor Vier. Die Angst weicht ihr nicht von der Pelle. Je näher du sie an dich ranlässt, umso zudringlicher wird sie!
Als Ablenkung spult sie im Stillen die öden, zurückliegenden Stunden ab, denkt an den Jüngling, der sie schüchtern fragte, ob er mal probieren dürfe, wie er es mit der Freundin richtig anstellt.
Kurz vor Mitternacht kam der Onkel vom Lande, der sie eindeutig mit seiner Psychotherapeutin verwechselte. Und als wäre das alles nicht schon ätzend genug gewesen: Ritas Auftritt.
Zorn wallt in ihr hoch, wenn sie nur daran denkt. Dumme Kuh. Bildete sich ein, jetzt was Besseres zu sein, weil sie seit Kurzem ‚in Westberlin‘ wohnte. Mehr Schein als Sein… Nichts Neues.
Nach dem Landmann hatte sie sich eine Pause gegönnt, ging ins ‚Manon’ nahe der Synagoge, um einen Espresso zu schlürfen. Just in dem Augenblick marschierte Rita herein: Blasiert, Fresse verzogen, sah keinen, grüßte nicht und ihr Sonnyboy durfte ihr artig den Stuhl unter den Hintern schieben.
Liane erinnert sich an das dürre Mädchen, das Rita früher mal war und wie ungelenk sie sich angestellt hatte, wenn es zur Sache ging. Jetzt angeblich Edelhure, geprägte Visitenkarte und Topkunden… Welche Karriere!
Nur kein Neid… Sie feixt still. Wir werden ja sehen, wer zuletzt lacht…
Nach ausgiebig Langeweile strandete der Kraftprotz vom Wedding bei ihr, der am laufenden Band narzisstisch in den Rückspiegel glotzte, kehlige Laute röhrte und behauptete, er sei Kickboxer. Spaßvogel! Diese kleinen Wichser, die sich so tierisch ernst nehmen, sollten lieber joggen oder ins Fitnessstudio gehen, statt zu ihr zu kommen.
Als sie schon an Abgang dachte, tauchte die Hungerlatte auf. Wessi. Schien erfahren am Strich. Die Lichter seines Autos tasteten sich durch den Dunst. Er stand auf einmal neben ihr, öffnete die Beifahrertür, deutete wortlos auf den Sitz. Sein Gesicht blieb im Dunkel. Auch später konnte sie es nicht richtig sehen, oder erinnerte sich einfach nicht.
Korrekter Typ, löhnte ohne zu feilschen. Trotzdem hatte sie einen Heidenbammel gehabt wegen seines Schweigens und den eisigen Pfoten, mit denen er ihr die Scheinchen reichte. Fast wie Gevatter Tod…
Sie schaudert. Da sind ihr die hemdsärmeligen Typen, dauernd knapp bei Kasse, hundertmal lieber.
Sehe aus wie ausgespuckt. Liane mustert die Falten um ihre Mundwinkel, die sich kaum noch wegschminken lassen. Mit siebenundzwanzig!
Scheinwerfer blenden sie im Spiegel, zeichnen sich glasklar ab. Sind die schon die ganze Zeit hinter ihr? Sie drückt aufs Gas, ohne Erfolg. Sie überholt den Bully. Es ändert nichts.
Ein Verkehrsrowdy, der seine neue Westkarre ohne Blitzerrisiko testen will?
Mir ist um diese Zeit nicht nach Formel eins, knurrt sie, trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad. Als sie hinter der Elsenbrücke links abbiegt, hinter dem Treptower Park Richtung Schöneweide fährt, sind die Scheinwerfer weg.
Da hast du es. Ein Spinner, mehr nicht…
Doch als sie Adlershof hinter sich gelassen hat, sind sie wieder da. Sie sieht den Dürren vor sich. Kam der nicht im BMW? Jedenfalls in einer Chaise mit Leuchten, die denen hinter ihr wie einem Ei dem anderen glichen. Südländischer Typ wie Zlatko…
Liane starrt in den Spiegel, als könne sie herausfinden, ob der Angeber tatsächlich hinter ihr her ist.
Merkwürdig, denkt sie, dass ihr der abstoßende Vogel nicht aus dem Kopf geht.
Sie erinnert sich daran, wie er sie vorhin musterte als schätzte er ihren Wert. Dann hielt er ihr die Scheine hin, murmelte etwas, das sich nach Danke anhörte, und verschwand, ohne was ihr von verlangt zu haben.
Es passierte ab und an, dass Kunden kamen, die sich nur die Seele leer quatschen wollten oder gern die eigene Stimme hörten. Ganz selten gab es welche, die nur schwiegen, guckten und wieder gingen.
Dieser Fiesling allerdings hatte nicht so ausgesehen, als hätte er nur was verschenken wollen.
Liane fährt durch Grünau.
In Gedanken bei ihrem sonderbaren Verehrer, merkt sie erst in Schmöckwitz, dass hinter ihr alles leer ist.
Glück gehabt!
Weshalb sie erleichtert ist, weiß sie nicht genau. Total ausgeflippt! Willst du echt vor jedem Idioten ausreißen, der nachts hinter dir herfährt, was soll das werden? Wohler ist ihr allemal ohne gleißende Lichter im Nacken. Sie zwingt sich, ruhig zu atmen, nestelt eine Zigarette aus der Packung und wartet, dass der Anzünder klickt.
Sie fährt aufs Grundstück, freut sich diebisch, endlich allein zu sein. Duschen, Essen, vor allem Schlafen. Drei Nächte am Stück um die Ohren gehauen, das reicht, denkt sie.
Fernab vom Stress wird sie übers Wochenende abwarten, ob alles tatsächlich so reibungslos läuft, wie Nicole begeistert prahlt. Frank kommt sowieso nicht vor Dienstag von seiner Spanien-Tour zurück…
Schlafen! Versteckt in ihrer Sommerhütte, wie zu Kinderzeiten im Baumhaus bei Oma auf dem Land, fühlt sie sich sicher, das war schon so, lange bevor Frank die Bildfläche betrat und sie noch schlicht Stein hieß.
Ihr Paradies, nur einen Katzensprung vom Ufer des Krossinsees entfernt, war ein echtes Schnäppchen gewesen. Mark für Mark hatte sie eisern gespart, weil sie von einem Ruhepol träumte, um dem nie endenden, tosenden Krawall der Stadt zu entfliehen. Als die Kröten reichten, hatte sie Uwe, ihrem Boss und Liebhaber, mit dem Wissen um viele seiner kleinen Mauscheleien, keine andere Wahl gelassen, als den Kauf für sie einzufädeln. Mochten sich die Nachbarn noch so sehr das Maul zerreißen, es kratzte sie nicht. Sie hatte redlich und in bar bezahlt, basta.
Die Vorbesitzer, Anfang der Achtziger ausgereist, wie sie gerüchteweise von Berger gehört hatte, interessierten sie einen feuchten Kehricht. Für sie zählte nur das Fleckchen, das sie für sich hatte. Sie war gewappnet für den Zoff, der jetzt allerorts losbrach. Konnte aber auch sein, dass ihre Sorgen total umsonst waren.
Als Frank ihr vor gut zwei Jahren über den Weg gelaufen war, schwärmte er abgehoben: So was haben ja manche Bonzen nicht. Er übertrieb maßlos, es gab hübschere Wochenendhäuser. Aber auch das lässt sie kalt. Im Mai ’89, als bereits alles zu bröckeln begann, heirateten sie. Richtig. In wenigen Tagen ist ihr zweiter Hochzeitstag.
Sie sorgt sich um ihr kleines Geheimnis. Ahnt er etwas? Ausgeschlossen! So viel Raffinesse, ihre Notlügen wegen der Kündigung zu durchschauen, traut sie ihm nicht zu. Schließlich beherrscht sie die Rolle der Serviererin im Grand-Hotel.
Geht Nicoles Plan auf, ist Gott sei Dank Schluss mit Anschaffe, freut sie sich. Ein stilles Glück, mehr will sie nicht. Dass Fernfahrerlohn und Stütze ihren Wünschen nicht genügt, ist klar wie Kloßbrühe. Aber selbst, als sie den Ford Sierra, einen Tag zugelassen, im vergangenen Herbst kauften und sie die Anzahlung cash auf den Tisch blätterte, hatte Frank nicht eine kritische Frage gestellt.
Am Camper-Laden auf dem Wernsdorfer Markt, der nicht mehr ist als ein simpler Container mit einigen Klapptischen im Innern, von einem findigen Krämer aus dem Westen kürzlich aufgestellt, werden neue Kartoffeln, Spargel, Erdbeeren und andere leckere Sachen abgeladen.
Bück-Dich-Ware. Nicht lange her!
Ich könnte was mitnehmen, überlegt sie, guckt zur Uhr. Viel zu früh! Sie gibt Gas und biegt in den ausgefahrenen Waldweg ein, der zum See führt. Über der Lichtung, die sie quert, wabert Frühnebel. Ein Käuzchen schreit. Oder ein Uhu? Woher soll sie das wissen. Allemal ein Vogel, der erregt ist, weil jemand in seinem Revier… Sie kurbelt die Scheibe runter. Scheiß Panik! Schweiß, Pulsrasen, Nervenflattern…
Das Hinterrad überrollt einen trockenen, armdicken Ast. Ein brachialer Knall zerfetzt die Stille.
Ein Schuss? Sie bremst. Der Wagen steht. Sie legt den Kopf seitlich auf das Lenkrad.
Beruhige dich, verdammt! Du bist völlig im Arsch, alles Gespenster, Trugbilder. Die Angst treibt Adrenalin ins Blut.
Liane hebt den Kopf, guckt hinaus. Der Bodennebel ist wie geschaffen für Horrorfantasien, aber drüben, am östlichen Ufer des Sees, beginnt die Sonne den Himmel über den Wipfeln blutrot anzumalen.
Der Motor brummt gemütlich. Immerhin eine verlässliche Größe. Sie fährt weiter, schaukelt durch Mulden, in denen Regenwasser steht, schlägt einen Bogen um die Gruppe Kiefern, die sich wie ein Kreisverkehr vor ihr aufbaut.
Nur noch hundert Meter, vielleicht ein paar mehr. Sie stoppt, reißt die Tür auf, hastet die paar Schritte bis zum Tor, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Rasch öffnet sie, läuft zum Wagen zurück, fährt ihn unter das schützende Dach. Dann drückt sie die Flügel zu. Geschafft. Mit dem Rücken lehnt sie sich gegen den Pfeiler, der Carport und Haus miteinander verbindet. Sie prüft das Grundstück. Alles normal. Nichts ist anders, nichts stört. Und hinter ihr? Naht da jemand aus dem Unterholz?
Sie fährt herum. Im Wald jenseits des Weges rührt sich nichts.
Du bist echt reif für die Klapse!
Langsam stößt sie sich ab, stapft durch den Sand zum Auto. Sie öffnet den Kofferraum, greift den Einkaufskorb und klemmt sich ein paar Handtücher unter den linken Arm. Die Reisetasche mit den Arbeitsklamotten lässt sie zurück. Darfst sie nur nicht vergessen, mahnt sie sich. Spätestens, wenn Frank zurück ist, muss sie versteckt sein.
Sie müht sich zur Haustür. Selbst mit leichtem Gepäck tut sie sich mit den wenigen Schritten schwer um diese Zeit. Die Schlüssel. Wo sind die Schlüssel? Im Auto?
Sie läuft zurück, findet sie auf dem Beifahrersitz. Wieso? Sie kramt in ihrer Erinnerung. Egal, die blöden Schlüssel sind da. Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen… Während der unnötigen Schritte zurück zur Haustür kehrt die Angst zurück. Blitzschnell. Liane verharrt, lauscht.
Die Baumkronen wiegen sich gemächlich in der Morgenbrise, ein Traktor tuckert, und einige Grundstücke weiter kläfft Wanda, der Dackel von Remscheids. Wieder ist ihr, als würde sie beobachtet. Es ist dieses Kribbeln im Rücken, das elektrisiert und zugleich die Sinne schärft.
Lianes Blick schweift wie der eines Jägers. Sie dreht sich um, tastet mit den Augen suchend den Weg ab, den sie gekommen ist, schwenkt hinüber, zum anderen Pfad, der am Nachbargrundstück vorbei in den Wald führt. Sie wittert vergeblich. Nichts, absolut nichts Verdächtiges.
Bei Edith kräuselt sich Rauch über der Esse. Sie ist also auch da und allein. Ihr Trabbi parkt neben dem Haus. Der Platz für Lothars alten Lada, von dem er sich partout nicht trennen kann, ist leer. Macht ihr pfiffiger Elektromeister wohl mal wieder das, was er am besten kann: schwarz ackern oder Fremdgehen.
Sie schließt das Haus auf, legt die Handtücher auf den Schrank unterm Spiegel im Flur, verriegelt hinter sich, schleicht in die Kochecke, öffnet den Kühlschrank und schnappt sich die angebrochene Flasche Whisky.
Sie nimmt einen Schluck. Puh! Scharfes Zeug. Ekelhaft, was Männer so saufen…
Sie verzieht das Gesicht. Beunruhigt, obwohl völlig erschöpft, wirft sie sich in ihren Lieblingssessel. Erst mal eine Lulle, ganz in Ruhe. Den Sonnenaufgang genießen. Genießen geht nicht. Die Gardinen! Sie springt auf, zieht sie beiseite, neigt den Kopf. Da ist er. Tiefrot, verhangen, unpersönlich.
Die abgestandene Luft stinkt. Sie öffnet das Fenster. Ediths Klofenster ist auf. Seltsam, wo sie sich doch sonst stets verbarrikadiert, wenn Lothar rumtingelt.
Liane geht zurück, spürt, wie sich die Anspannung verflüchtigt. Der Whisky wirkt. Sie schließt die Augen, der Raum weitet sich, saugt sie auf. Als sie sich einigermaßen beruhigt hat, hasst sie sich für ihre Panik, schaltet das Radio an, um auf andere Gedanken zu kommen.
Jazz ist nicht ihr Ding, sie sucht, findet konzertante Musik, leise und schmeichelnd, sie beginnt, sich auszuziehen.
Duschen? Ohne warmes Wasser? Sie geht ins winzige Bad, um die neue Therme einzuschalten, die ihr Lothar vor ein paar Tagen eingebaut hat, öffnet den Hahn, hält die Hand unter den Strahl. Igitt, nur für Hartgesottene. Eilig zieht sie den Arm zurück, lässt das Wasser laufen.
Das dünne Rauschen sediert, schläfert ein, in ihrem Zustand allemal. In Pullover und Slip, nimmt sie sich ein Glas, greift erneut zum Whiksy im Kühlschrank, gießt, ohne auf den Eichstrich zu achten, genau einen Doppelten ein. Dann setzt sie sich wieder.
Als sie hochschreckt, labert ihr das Radio Nachrichten um die Ohren und die zweite Zigarette ist auf dem Rand des Aschers bis zum Filter verkohlt. Sie weiß nicht, wie lange sie getrieft hat.
Eine Viertelstunde?
Wrasen, ähnlich dem Nebel auf der Lichtung, fällt über sie her, als sie die Bad-Tür öffnet. Sie klappt das kleine Fenster auf. Frische Luft.
Rasch wirft sie Pullover und Slip auf den Sessel. Nackt fröstelt sie plötzlich. Sie steht im Zug zwischen offenen Fenstern, schließt das im Zimmer. Als sie endlich unter die heiße Dusche gehen will, sieht sie die Armbanduhr am Handgelenk, geht zurück, legt die Uhr ab, schnappt sich zwei Handtücher. Der kleine Raum ist jetzt frei von Dunst, sie wirft die Handtücher auf den Hocker aus Kiefernholz, hält prüfend die Hand unters Wasser.
Da weht Wind. Wieso zieht es? Du hast doch eben…
Sie hat das Bein gehoben, als sie glaubt, ein Scharren zu hören. Bevor sie erschreckt, meldet sich Ärger. Wieder ein mutiges Tier mit hereingehuscht?
Dann hört sie das Geräusch deutlich, als schlurfe jemand in Pantoffeln über den Teppich…
„Hallo?“ fragt sie kaum lauter als ein dürftiges, ängstliches Pfeifen im dunklen Wald. Sie hebt die schützend Arme, als wolle sie Schläge abwehren, und hüstelt sich einen Frosch aus dem Hals.
„Hallo, ist da jemand?“
Nichts bewegt sich. Die Panik ist sofort wieder da. Grell, eminent. Sie späht ins Zimmer.
„Du?“ fragt sie wütend wie überrascht, langt nach dem Handtuch, hält es vor den nackten Körper. Der Mann kommt auf sie zu, wortlos.
„Was willst Du? Hau ab! Ihr seid fertig. Geht nicht in Deine Birne, was?“ schreit sie hysterisch.
Der Schatten schnellt vor, packt sie. Sie weiß, dass es ihm ernst ist, will schreien.
„Wo ist es, Du Schlampe“, presst er hervor.
Vergeblich versucht sie, sich zu befreien. Sie rudert mit den Armen, findet keinen Halt. Stattdessen krallen sich ihre Hände in den Duschvorhang, reißen daran. Der Vorhang fällt.
Seine Armbeuge schließt sich unter ihrem Kinn wie eine Schraubzwinge.
„Rück das Zeug raus, verdammt, das Ihr eigenmächtig abgezweigt habt. Tot bist Du so oder so!“
Sie spürt, wie sie den Horizont verliert, in die Waagerechte gerät, sich der Raum Purpur einfärbt.
Es ist ihre letzte Wahrnehmung.
Der folgt sekundenschnell ein leises, raues Knacken, dann ist ihr Körper augenblicklich schlaff. Der Mörder läßt ihn zu Boden gleiten.
Er sieht das geöffnete Fenster gegenüber, erkennt verärgert im fahlen Morgenlicht das blasse Gesicht, das über dem Sims in dessen Mitte schaukelt. Die Frau starrt zu ihm herüber.
Einen Augenblick lang halten beide völlig regungslos inne. Dann dreht sich der Mann hastig weg, taucht ab ins Dunkel im Inneren der Hütte, weiß, dass er nicht umhin kann, zu tun was nötig ist.
Das Chefzimmer wirkte auf Astrid Jensen steril bis in den letzten Winkel. Es roch nach frischer Farbe, neuem Spannteppich und putzigerweise nach kühler Minze. Zimmerdecke, Wände und selbst die Schreibtischplatte, alles strahlte in Weiß. Und die ladenneuen Stores blendeten geradezu.
An der Wand hinter dem wuchtigen Chefsessel mit Kopfstütze, von der vor dem Tapetenwechsel vermutlich Erich Honeckers Antlitz siegesgewiss herablächelte, schmunzelte nun Richard von Weizsäckers Konterfei, spendete all jenen Trost, die hier stehen, im Vorzugsfall sitzen durften.
Die Kriminal-Oberkommissarin war an diesem Montag zur ersten Audienz einbestellt, hatte ihren neuen Chef während ihrer ersten Arbeitstage bisher nur zwei-, dreimal aus der Ferne über den Gang huschen sehen. Besorgt vom Getuschel, dass er ziemlich stereotyp bei der Bewertung von Mitarbeitern vorginge, malte sie sich in düsteren Farben aus, in welchem Raster sie demnächst hängenblieb. Auf den Gängen munkelte man, er studiere Akten, arbeite sich in offene Fälle ein.
Akten? Danach sah es hier nicht aus. Das Einzige, was auf der riesigen Tischplatte auffiel, war ein gerahmtes Foto, das mit dem Rücken zu ihr stand und vermutlich die Gattin daheim im Rheinland zeigte.
In der Ecke versauerten verpackte Stühle, dazu ein runder Tisch, ebenfalls noch in Folie eingeschweißt.
Sie saß in einem kultigen Sessel im Design der Fünfziger, der wahrscheinlich vom Restinventar des Vorgängers übriggeblieben war. Es ginge um ihre Berufung sowie Fragen effektiver Teamarbeit, war ihr von Chefsekretärin Helga Förster übermittelt worden.
„Pünktlich. Perfekt!“ schnarrte ihr künftiger Chef, während er hektisch, beinahe aus dem Nichts hereinstürmte.
„Tässchen Kaffee?“
„Nein, danke“, lehnte sie bescheiden ab.
Kriminaloberrat Heidkamp sank in sein luxuriöses Sitzmöbel und vermerkte wohlwollend: „Meine Verehrung, Frau Dr. Jensen. Makellose Referenzen, die Ihnen mein Hamburger Kollege ausstellt. Wäre ich Zyniker, würde ich fast annehmen, dass er sie loswerden wollte.“ Scheinbar pointiert schlug er ihre Akte auf, die er aus dem obersten Schubfach gezogen hatte, blätterte darin wie in einer belanglosen Illustrierten, ließ sie dann lässig auf den Tisch gleiten. „Wie ich lese, haben Sie ihr Jura-Examen an der FU in Berlin abgelegt. Ist Ihnen die Stadt wenigstens nicht völlig fremd. Großer Vorteil“, er räusperte sich, ließ den rheinisch gefärbten Bariton in den Keller sinken, bevorzugte den anbiedernden Duktus. „Wissen um Hindernisse, die uns das Leben erschweren, setze ich als bekannt voraus. Abgesehen von dürftiger technischer Ausstattung, ist unsere Arbeit leider auch durch die Distanz belastet, die einzuhalten wir dringend aufgefordert sind.“
Donnerwetter, zollte sie seiner brillant gedrechselten Rede stumm Applaus, zählte die Kringel auf seiner Krawatte und addierte: Siebenundneunzig…, Hundertzwanzig, Zweihundertvierzig, mit Rückseite?
„Natürlich haben auch die verbliebenen Leute loyal dem gestürzten Regime gedient, was die Arbeit nicht eben leichter macht.“ Heidkamp hüstelte, um das Gewicht seiner Ausführung zu unterstreichen. „Obwohl die oberen Ränge ausgemustert sind, gibt es also noch genügend Differenzen…“
Was sollte das jetzt werden, fragte sich Kommissarin Jensen entsetzt, die wenig Zugang zu hochtrabenden Belehrungen fand. Sie erwartete ein Räuspern. Es blieb aus. Stattdessen legte ihr Heidkamp seine Sicht auf die Verstrickungen dar, in denen sich die in den Dienst übernommenen ‚Ostkriminalisten’ befänden.
Sicher gäbe es guten Willen, sich von alten Doktrinen zu lösen. Es stellten sich auch erste Erfolge ein, doch, eine Sache von Tagen, oder wenigen Monaten, wäre dies keinesfalls.
„Wir…, Oberkommissarin“, gefiel sich Heidkamp unvermittelt in blasierter Bescheidenheit, „sind Vorhut einer neuen Ära. Pfadfinder sozusagen, die Wege erkunden.“
Jensens Miene verdunkelte sich. War sie hierhergekommen, um einem solchen A… unterstellt zu werden? Entsetzt fragte sie sich, wer behauptete, dass im Rheinland die Frohnaturen zu Hause wären?
Dieser steife Bürokrat, dachte sie bei sich aufsässig, war spröder als ein Hansischer Kaffeebohnenzähler.
„Mir kölsche Jecke werde det Jör schon schunkeln“, murmelte Heidkamp indes gekünstelt heiter, räusperte sich und entwarf mit trainiert strenger Miene Konturen, wie er sich effektives Zusammenspiel vorstellte, signalisierte, dass Loyalität, Führungsstärke und Disziplin für ihn Priorität besäßen. Seien diese Pfeiler tragfähig, so könne man mit ihm Pferde stehlen.
Ha, ha, lachte sie still in sich hinein.
„Sie sind ja aus bestem Stall, um das Bild aufzugreifen“, leistete sich Heidkamp einen taktlosen Fauxpas, den er dem Anschein nach für profundes Lob hielt. „Ja, Ihr Herr Vater, brillant!“ Er blätterte: „Jensen & Partner, Consulting-Gesellschaft. Erste Adresse. Bestens, bestens, meine Liebe.“
Wessen „Liebe“? Was hatte sie mit Vaters Leumund zu schaffen? Heidkamp indes zollte der Finanzakrobatik des Hauses Jensen seine Hochachtung: „Kluger Mann, Ihr Vater“, nickte er beifällig, „einer, der den Mumm besitzt, den Roten aufzuzeigen, wo Bartel seinen Most holt.“
Vor ihren Augen blitzte kurz der mannigfaltige Streit mit Paps auf, der ihr die Flucht nach Berlin erleichtert hatte. Aber auch das behielt sie für sich.
„Ich setze voraus“, fasste der Oberrat anmaßend zusammen, „dass wir, Sie und ich, auf derselben Seite stehen.“
Es fiel der Kommissarin zunehmend schwerer, den steigenden Frustpegel stumm zu ertragen.
Erwarte bloß nicht, dass ich mich widerspruchslos vor irgendeinen Karren spannen lasse, räsonierte sie innerlich verkrampft.
„Ich habe Sie wunschgemäß zu Mord und Totschlag gesteckt. Obwohl…“, er griff erneut zur Akte, „obwohl ich gedacht hätte, dass Ihre Intention mehr zur Ahndung von Regierungskriminalität tendiert…“ Er taxierte sie: „Sie haben Jura studiert…“
„Ja.“
„Und dann lassen Sie die Schweinereien der hiesigen alten Garde kalt? Ich dachte, deren Strafverfolgung wäre für Sie eine geeignetere Aufgabe…“
„Als Polizistin lassen mich Sauereien nie kalt, Herr Oberrat. Ich möchte aber, wie in meiner Bewerbung dargelegt, bei den ‚Delikten an Menschen‘ arbeiten.“
„Gut. Aber da werden Sie Nerven wie Drahtseile und Hornhaut auf der Seele brauchen. Das ist Ihnen klar?“
„Ja, Herr Oberrat.“
Heidkamp wirkte unsicher, schien nicht gelesen zu haben, dass seine Neue der ‚Sitte’ und der ‚Organisierten Kriminalität‘ ihr Rüstzeug verdankte.
Nachtclub-Barone und Autoschieber waren nicht unbedingt zartfühlend in der Wahl ihrer Mittel. Aber offenbar passte es nicht in seine Gedankenwelt, dass sie als Tochter aus „gutem Hause“ Mörder und Totschläger jagen wollte.
„Gut“, gestand ihr Heidkamp maliziös zu: „Ihr psychologischer Exkurs, der hier erwähnt wird, ist für Ihre neue Aufgabe sicher kein Nachteil. Obwohl die Analyse der Täterpsyche inzwischen anerkannte Wissenschaft ist“, fuhr er fort, „sind für mich Profiling und ähnliche Mätzchen nur die halbe Wahrheit.“
Jensen erwartete, wegen ihrer Promotion bespöttelt zu werden. Sie irrte.
Heidkamp verzichtete darauf, pries lieber den eigenen Werdegang anmaßend als mustergültig, schwor auf Bewährtes: Von der Pike an auf der Leiter hocharbeiten. Fakten blieben für ihn das A und O des Kriminalisten, meinte er, hervorheben zu müssen, weil das akademische Bla bla bla, wie die Praxis beweise, meist weniger halte, als es verspräche.
Prononciert legte er ihr erneut ans Herz: „Wie gesagt, im Verhältnis zu Untergebenen korrekt, freundlich, aber Distanz wahren! Gründe nannte ich. Sie haben studierte Leute im Team. Also bitte: Feingefühl. Es ist Wille der Führung, keinen spüren zu lassen…“
…dass wir das Sagen haben und alle Ostintellektuellen chronisch an Röteln leiden, ergänzte die Kommissarin sein Credo im Stillen.
Ihr Frust wandelte sich in Zynismus.
Sie hasste Leute abgrundtief, die sich als sakrosankt wähnten, meinten über allen und allem zu stehen und zwar überall, hasste all die Deckmäntelchen, unter denen teils schwere Straftaten versteckt wurden.
„Achten Sie mir besonders auf Linke“, warnte Heidkamp sie derweil eindringlich. „Humboldt-Uni, Vorzeigeanstalt, Sie wissen. Vorsicht! Der Mann ist ein Insurgent. Neigt gelegentlich zu übler Propaganda.“
„Was ist der bitte?“
„Ein Umstürzler.“
Die Kommissarin hätte fast laut gekreischt hinsichtlich des klerikalen Eifers ihres Chefs, wäre ihr nicht das Frühstück beinahe wieder hochgekommen.
Bourgeoiser Jesuit, schimpfte sie stumm: Hinter Akten lauern, Vorurteile pflegen und sich auf die Vorzüge der Inquisition besinnen, wenn die Dinge nicht nach Gusto laufen.
„Tja, das wär's…“
Begleitet vom vertrauten Räuspern erhob sich ihr Chef.
Jensen blieb im altmodischen Sessel kleben, wartete verstimmt auf ihre Verabschiedung.
Heidkamp sah ihr erfreut ins Antlitz und verkündete hochoffiziell: „Kriminal-Oberkommissarin Dr. Astrid Jensen, hiermit übertrage ich Ihnen vorerst kommissarisch die Verantwortung für die Mordkommission bei der Polizeidirektion Ost. Gültig ab…“, er sah dezidiert auf die Uhr, „Acht Uhr fünfundzwanzig.“
Ein Befehl und ein Rausschmiss.
Sie erhob sich aus dem Sessel.
Heidkamp reichte ihr zum Abschied seine knochentrockene Hand: „Viel Glück! Auf allzeit gute Zusammenarbeit.“
Jensen atmete dreimal tief durch, als sie die Tür des Sekretariats hinter sich schloss. Enttäuscht und aufgewühlt warf sie Block und Stift auf das nächstbeste Fensterbrett, starrte hinab in den begrünten Innenhof.
Die Räume, in ihrer Tristesse einer Intensivstation ähnlich, der reaktionäre Widerling, auf längere Sicht ihr Vorgesetzter, all das war meilenweit entfernt von dem, was sie sich erträumt hatte!
Hielt Heitkamp sie für eine dumme Zimperliese, die mit goldenem Löffel im Mund geboren worden war? Was es hieß, Tochter eines Despoten zu sein, zudem verwitwet, davon besaß der Mann keinen blassen Schimmer. Inventar war sie gewesen, hatte Vater neben Gymnasium und Studium assistiert, Herrenabende, die er regelmäßig gab, mit Platten und Gesöff ausgestattet sowie den Haushalt geschmissen.
Daher verzog sie sich nach dem vierten Semester Richtung Berlin, um endlich eigenverantwortlich zu leben. Paps hatte es geduldet, aber nie verziehen.
Als die Mauer fiel, war sie instinktiv nach Berlin gereist: Ein riesiges Volksfest. Sie stand inmitten Jubelnder, Weinender, Verstörter, heulte selbst wie ein Schlosshund. Bis ihr plötzlich ein älterer Mann im Taumel einen Kuss auf die Wange drückte.
Die Erlösung aus schier endloser Eiszeit in einem winzigen Zeitfenster gerafft. Da hatte sie begriffen, dass dieser Besuch für sie wie eine Heimkehr gewesen war.
Wochen später hatte sie den Aushang im Hamburger Polizeiräsidium gelesen, der dringlich aufforderte, sich zum Dienst in den neuen Ländern zu bewerben. Sie bewarb sich, weil sie zurückwollte und wurde genommen.
Dem kühlen Hamburg nach der Einheit erneut den Rücken zu kehren, war ihr nicht schwergefallen. Sie bewarb sich für einen Job in Berlin, weil sie die Stadt liebte wie ein zweites Zuhause, weil ihr Fuß eingeklemmt war zwischen Sprossen auf der Karriereleiter, auf der Anwesenheit oft schwerer wog als Leistung. Und weil die sechs Semester an der FU die prägende Zeit ihres Lebens gewesen waren. Wovon zumindest sie überzeugt war.
Eine wildromantische, ganz sicher jedoch verrückte Zeit, zwischen Nylonblusen und Lederschlipsen, Depeche Mode und OMD, Rio Reiser und Killing Joke.
Grenzen trennen nicht Völker und Staaten, sondern oben und unten. ‚Aufriss ist billiger als Abriss, Bullen sind wie Schnittlauch: Außen Grün, innen hohl und treten in Bündeln auf‘, erinnerte sie sich cooler Sprüche der Szene, die oft genug juristische Unterstützung benötigte.
Ihr gefiel die schlagfertige, freche Art der Menschen, mit der sie das Leben in dieser Stadt meisterten. Sie mochte Leute, die ihr Herz auf der Zunge trugen.
Ihr kamen jene in den Sinn, die friedlich mit Kerzen Unrecht und Beton entsorgt hatten. Nicht sie allein, aber sie voran.
Sie dachte an Gabi und Thomas, die im kirchlichen Widerstand aktiv, ihre Gesinnung mit Stasiknast bezahlt hatten. Astrid lernte die beiden zufällig in der Samariterkirche nahe der Frankfurter Allee kennen.
Neugierig duch das Gerücht an der Uni, in Ostberlin gäbe es einen Prediger, dessen Blues-Messen so unvergleichlich wären, dass man sie einmal gehört haben müsse, hatte sie sich auf den Weg dorthin gemacht. Und eben jener Pfarrer war im vergangenen Jahr nach den ersten freien Wahlen im Osten Minister für Abrüstung und Verteidigung geworden...
Was, verdammt, verstanden verkalkte Beamte wie Heidkamp davon, die nicht einmal hergebeten worden waren? Alternative? Die neuen Präfekten? Nachdem sie keine halbe Stunde hier gesessen hatte und belehrt worden war, zweifelte sie stark daran. Ihre Vorstellungen von den riesigen Chancen eines vereinten Neuanfangs sahen wahrlich anders aus!
‚Wir erleben jetzt Sternstunden der Opportunisten‘, hatte Thomas ein bitteres Fazit gezogen, als sie die Freunde Monate nach dem Mauerfall besuchte. ‚Sie schlagen Maximalprofit aus der Anarchie. Schau Dir die Typen an‘, meinte er, ‚wie sie schwadronieren und rechten, schachern und kassieren. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich!‘
Schon deshalb sträubte sie sich mit Händen und Füßen gegen einen Einsatz in der ZERV, der Zentralen Ermittlungsgruppe Regierungs- und Vereinigungskriminalität.
„Und? Ritterschlag?“ fragte Andreas Linke munter, als sie am Boden zerstört ins Büro zurückkehrte.
Sie nickte kommentarlos.
„Na dann, Glückwunsch.“
„Danke“, erwiderte sie verhalten. „Ist der immer so selbstgerecht?“
„Ist im Job ist er ganz okay, aber mein bester Freund wird er ganz sicher nicht.“
Er meinte es erkennbar ehrlich. Nach ihrem Gespür war Linke zwar geradeaus, aber bestimmt kein Rebell. War er etwa nur deshalb postwendend in der Aufrührer-Schublade gelandet?
„Für einen kleinen Einstand bleibt leider keine Zeit, Chefin“, bedauerte er. „Ich nehme an, unser Häuptling hat Sie informiert, dass wir Jwd, womit Berliner ‚Janz weit draußen‘ meinen, einen beschissenen Einsatz an der Hacke haben.“
„Nein…“, wunderte sich Jensen irritiert. Dann setzte sie an: „Ich muss aber erst…“
„Ich weiß“, Linke winkte mitfühlend ab. „Die unausweichliche Odyssee durchs tosende Meer der Bürokratie. Thorsten und ich fahren bei Proll von der Spurensicherung mit und Sie kommen, wenn hier alles erledigt ist, okay?“
Die Unterschriften, Waffenempfang, SigSauer, Kaliber 9 mm, mit zwei vollen Magazinen, hatten sie länger aufgehalten als erwartet.
Ihr erster Mordfall…
Sie machte sich keine Illusionen über ihren neuen Job, aber etwas Stolz gönnte sie sich dann doch. Erst eine Stunde in der Pflicht, und schon ins kalte Wasser geworfen.
Jensen ahnte nicht, dass sie auf eben jener Route zum Tatort eilte, die auch die Tote, die sie dort vorfinden würde, am Sonnabend in aller Frühe nahm. Die übervolle Handtasche, die Waffe im Halfter obenauf, stand neben ihr auf dem Beifahrersitz.
Sie wusste nicht recht, was sie mit der Pistole sollte, außer, sich mit ihr als obligatem Ballast zu arrangieren. In Hamburg trug sie in den ersten Monaten ein ähnliches Teil mit sich rum, um es letztendlich ohne viel Aufhebens im Wäschefach zu versenken. Obwohl sie häufig genug an gefährliche Zeitgenossen geraten war, hielt sie sich zugute, im Dienst bisher noch nie die Waffe benutzt zu haben.
Während sich Jensen an den Kiefern vorbeischlängelte, die einer Insel gleich mitten auf dem Fahrweg wuchsen, erkannte sie Linke. Er wies Uniformierte ein, zeigte zu Grundstücken. Die beiden liefen los. Sie hielt nahe bereits abgestellter Fahrzeuge und stieg aus.
„Na, Herr Linke? Wie sieht’s aus?“ fragte sie verhalten, wies zur Hütte. „Was erwartet mich?“
„Weibliche Tote“, informierte er sachlich, deutete zur Tür, die ein uniformierter Kollege bewachte. „Liane Schneider. Gerade Siebenundzwanzig. Verheiratet.“
Sie stutzte, zeigte auf den parkenden Funkwagen: „Sind wir hier außerhalb des Stadtgebiets…?“
„Ja. Im Landkreis Königs-Wusterhausen“, murmelte Linke unkonzentriert.
„Und weshalb dann wir?“
„Weil das Opfer laut Personalausweis Berlinerin ist und die Kollegen um Hilfe gebeten haben, bei denen es augenblicklich noch ein Stück weit konfuser zugeht als bei uns am Alex.“
Sie sah sich neugierig um. Außer ihrem Golf, standen Funkwagen, ein Krankenfahrzeug sowie zwei weitere PKWs auf dem Waldweg.
„Wer schwirrt denn hier alles am Tatort herum?“
„Pathologe, Spusi, und Wörner, der Dorfschulze, der sie gefunden hat“, warf Linke unzufrieden hin.
„Der Bürgermeister?“ fragte sie erstaunt.
„Ja. Er fand die Tote heute früh. Tatzeit erfahren wir sicher gleich“, ergänzte er. „Doktor Winkler ist drin und die Experten rundum am Ball.“
Sie wandten sich dem Holzhaus zu, an dessen Außenfront Männer in weißen Overalls emsig Wände und Boden untersuchten. Die Kommissarin lief los. Linke folgte ihr, sorgsam auf Abstand bedacht.
Der Pathologe, ein älterer, grauhaariger Herr, packte eben seine Tasche, als sie auf ihn zuging.
„Ah, die Neue?“
„Ja.“
„Sie hätten Ihrer Glücksfee heute besser nicht freigeben.“ Er hielt ihr die Hand hin. „Doktor Winkler.“
„Astrid Jensen“, grüßte sie lächelnd, reichte auch Thorsten Stoll die Hand, der ihr morgens nur grußlos auf dem Flur über den Weg gerannt war.
„Solch Debüt wünscht man keinem“, seufzte Winkler und zeigte auf den Fußboden.
Kopf und Oberkörper der Toten lagen in der kleinen Nasszelle, Becken und Beine ragten in den kurzen Flur, der an der Wohnraumtür endete. Vermutlich hatte Winkler sie behelfsweise mit dem abgerissenen Plastik-Duschvorhang zugedeckt. Blondes Haar sowie ein Unterarm lugten hervor.
Sie bückte sich ins Bad, lupfte taktvoll die Plane an und fühlte sich von stickiger Luft umzingelt, obwohl Eingangstür und alle Fenster geöffnet waren.
„Der Täter muss sie blitzschnell gepackt haben“, erklärte ihr Winkler sonor, „hat sie, ihren Hals in der Armbeuge, gewürgt, erkennt man am Zungenbein, aber nicht erwürgt.“
„Was dann?“ fragte sie unsicher.
„Genick gebrochen, zweiter Halswirbel. Rückenmark durchtrennt. Deutet, wie das Fehlen üblicher Abwehrverletzungen, auf professionelle Nahkampfausbildung.“
„Sie war ausgezogen?“ erkundigte sie sich.
„Splitternackt“, bemerkte Stoll.
„Vergewaltigt?“ Sie sah Winkler an. Der zuckte nur die Schultern: „Keine Anzeichen. Heißt aber vorerst nichts. Tot ist sie, ungenau geschätzt, achtundvierzig Stunden, also seit Sonnabend zwischen drei und sieben Uhr früh. Alles Weitere später.“
„Sieht nach Bruch aus, der voll in die Hose gegangen ist“, mutmaßte Stoll eilfertig. „Sehen Sie...“
Er führte die Chefin in den Schlafraum. Matratzen, Decken, Kissen waren aufgeschlitzt, alle Schranktüren offen. Die herausgerissenen Schubladen lagen samt ausgekippter Dessous, Gürtel, Schals und Badesachen über den Fußboden verteilt.
Jensen verharrte regungslos. Schade um die frische Wäsche, dachte sie, fast bühnenreif, fragend sah sie zu Linke. Der nickte, sagte, als hätte er in ihren Gedanken gelesen: „Wirkt verdammt inszeniert.“
„Etwas zu plump?“ zweifelte sie, riss das Fenster weit auf und schnappte nach Luft.
„Null Indiz für gewaltsames Eindringen, meint die Technik“, ergänzte Linke. „Tür, Fenster, Schloss, alles unbeschädigt. Spricht für Schlüssel und dafür, dass sich Opfer und Täter kannten.“
„Der verarscht uns doch nur“, verteidigte sich Stoll, „Der sucht Kohle, Klunker, Klamotten, plötzlich taucht das Opfer auf und er zündet eine Nebelkerze, um uns auszutricksen.“
„Mann, Thorsten, überleg doch mal“, spottete Linke. „würdest Du hier am Wochenende auf Raub gehen, wenn die Sonnenanbeter den Grill anschmeißen und Saufen?“
„Einbruchdiebstahl schließe ich definitiv aus“, unterbrach die Chefin das kurze Wortgeplänkel. „Nahkämpfer! Ich lach mich tot! Klar, veralbert der uns. Sehe ich auch so, Herr Stoll. Nur umgekehrt, dass er missglückten Raub verkaufen will, der tödlich endete, um brutalen Mord zu verschleiern. Dem ging es ausschließlich um diese Hütte und diese Frau. Kennen wir die Berliner Adresse des Opfers und wissen, woher sie in aller Frühe kam?“
„Knaackstraße, Prenzlauer Berg“, las Linke ab. „Woher sie in aller Frühe kam, ist bis jetzt ungeklärt.“
„Sie war nackt und wurde nicht bewegt, richtig?“
„Splitternackt, sagte ich. Gefunden vom Bürgermeister“, murrte Stoll. „In der Lage, in der sie Dr. Winkler untersucht und zugedeckt hat.“
„Die Schneider kam im Morgengrauen, sie hatte das saubere, erst später demolierte Bett, noch nicht benutzt, wollte duschen. Und erst als sie nackt war, sich eine Frau am verletzlichsten fühlt, schlägt der Mörder zu.“
„Wirft die Frage auf“, mischte sich Linke ein, „wartete der Täter im Haus, saß er im Auto, hier irgendwo im Gelände, oder hat er sie bis hier raus verfolgt?“
„Richtig! Zuerst müssen wir rausfinden, was er statt üblicher Beute tatsächlich suchte, dann sehen wir weiter.“ Nach Blickkontakt mit Winkler fragte Astrid Jensen ihn direkt: „Affekt oder Absicht?“
„Raten ist nicht meins, aber das ganze Drumherum sieht für mich nach Plan aus. Könnte doch sein, dass er vom Opfer erpresst wurde, das sich störrisch weigerte, ihr Faustpfand rauszurücken.“
„Okay“, lenkte Stoll ein, zeigte auf die Plastikbox und den Rekorder daneben. „Eigenartig, kein Band. Von ihm“, er deutete auf Wörner, „wissen wir aber, dass die Tote viel und vor allem laute Musik hörte, was ihr oft genug gehässige Beschwerden von der Menzel gegenüber einbrachte.“
Die Kommissarin zupfte Linke am Ärmel und zeigte auf den Hocker neben der Spüle.
„Erzählen Sie mal“, bat Linke den Bürgermeister, der aus dem Fenster starrte, „wann und wie Sie die Tote aufgefunden haben.“
Wörner ähnelte einem dachsgesichtigen Kobold, wenig größer als eins sechzig und zappelte mit den Füßen, die nicht ganz bis auf den Boden reichten.
„Kam gegen neun. Wollte mit den Schneiders reden.“
„Worüber?“ erkundigte sich Jensen.
„Rückforderung. Frau Schneider ist die aktuelle Eigentümerin.“
„Eigentum?“ entfuhr es Andreas Linke. „Ich dachte, ist alles Pacht?“
„Nein. Die hat zweite Hälfte der Achtziger gekauft“, erklärte Wörner unbestimmt. „Deshalb ja, vorige Woche bekam ich ein Schreiben vom Kreis, weil die Alteigentümer ihr Land zurückwollen. Ich habe geklingelt“, lispelte der Kleinwüchsige, „als sie nicht öffnete, obwohl der Ford im Carport stand, dachte ich: die schläft noch. Also zur Menzel rüber. Aber die machte auch nicht auf. Also wieder zurück.“ Wörner druckste, erzählte dann weiter: „Übern Zaun. Es war so… still, richtig unheimlich, ich hatte plötzlich so ein Gefühl, dass…“
„Was für ein Gefühl?“
„...dass was passiert ist. Die Gardine wehte aus dem Fenster, diese Stille. Was bei der nie vorkam, wenn sie da war. Und dann fand ich sie. Auf dem Fußboden, nackt. Ich habe nichts angerührt, nur sofort 110 angerufen…“
„Das Haus stand offen?“
„Offen nicht, unverschlossen.“
„Eingeklinkt?“
Wörner nickte. Der Kommissarin setzte erneut die vermeintlich stickige Luft zu. Ihre Nerven streikten, die Tote unter der Plane. Feurige Kreise tanzten vor ihren Augen. Sie stützte sich auf den Kühlschrank. Wörner achtete nicht auf sie, redete von pikantem Kauf, Enteignung, Rückübertragung und Kilian, seinem Vorgänger im Amt.
Luft! Luft, bloß raus hier. Durchatmen, Lungen vollpumpen mit frischer Waldluft.
Sie konnte an nichts Anderes denken.
Linke verfolgte die Panikattacke seiner Chefin stillschweigend, ging zum Auto und kam mit einem Papiertaschentuch zurück, auf das er Kölnisch Wasser gespritzt hatte.
„Erster Mordfall?“ fragte er nicht uneitel. „Hilft.“
Sie hielt sich das Tuch vor die Nase, nickte ihm zu. Allmählich ließ das Drehen im Kopf nach. Der Wald roch würzig, weil es seit Freitag ein paar Tropfen geregnet hatte. Die Spusi war bestimmt nicht angetan von der milden Würze, dachte Jensen verschmitzt.
Sie lehnte mit dem Rücken an der Wand, spürte, wie ihr Selbstgefühl zurückkehrte. „Danke“, flüsterte sie Linke zu. Der tat, als wäre nichts gewesen.
„Vielleicht jemand, dem sie ohne Hemmungen nackt aufmachte“, lästerte Jensen. „Die Tür war ja nicht verschlossen… Wörner fand sie nur eingeklinkt vor.“
„Trauen Sie das dem Opfer zu?“ tat Linke erstaunt. „Liegt jedenfalls nah, dass sie ihren Mörder kannte.“
„Klar trau ich ihr das zu, hier, wo jeder jeden kennt“, ergänzte die Kommissarin erholt und wies hinter sich, „Apropos, was hat hier so was gekostet?“
„Schätze um vierzigtausend Ost“, Linke massierte sein Kinn. „Ist aber nebensächlich. Wichtiger ist: Wie ist sie dazu gekommen? Schließlich trugen unsere Immobilienmakler alle den Nachnamen Warteliste.“
Wörner schob sich aus der Tür und erkundigte sich, ob er gehen dürfe. Er habe zu tun.
Jensen notierte seine Personalien, entließ ihn und sah zwei Männer, die aus dem VW-Bus mit der Aufschrift Gerichtsmedizin stiegen und sich fragend umblickten.
„Chefin!“ rief ihr ein Techniker vom Carport her zu. „Das müssen Sie sehen.“
Sie hob den Kopf, stutzte einen Moment, bis sie begriff, dass sie gemeint war.
„Nuttenkoffer“, stellte der Kollege trocken fest, als sie neben ihm stand. „Nettes Spielzeug. Alles drin, was das Herz begehrt.“
„Meins nicht“, schimpfte sie sauer.
„Untersuchen wir im Labor“, reagierte er verstimmt auf ihre Humorlosigkeit.
„Zweitjob“, weihte sie Linke bitter ein, dem sie zugewinkt hatte. „Spricht für Winklers Idee.“