Die Tänzerin und ihr Kind - Gert Rothberg - E-Book

Die Tänzerin und ihr Kind E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Denise und Alexander von Schoenecker standen im Foyer des Münchener Residenztheaters. Beide hatten ein Glas Sekt in der Hand. Denise hob ihr Glas ein wenig. »Auf deine wunderbare Idee, mit mir hierherzufahren, Alexander.« »Auf etwas anderes kommst du jetzt nicht, Denise?«, fragte Alexander. Denise sah ihn nachdenklich an. »Was meinst du, worauf wir noch trinken sollten? Dass die junge Tänzerin Julia Stefani doch die Tochter meiner früheren Kollegin Alice ist? Du hast recht, darauf müssten wir auch trinen. Als wir nach München fuhren, wusste ich ja noch nicht genau, ob das auch wirklich so ist. Nur der Name Stefani hatte mich stutzig gemacht. Auf einmal waren die Erinnerungen an Alice wieder da. Sie war eine begnadete Tänzerin und hätte ihren Beruf nie aufgegeben.« Alexander sah seine Frau prüfend an. »Willst du damit sagen, dass du es bereust, nicht Tänzerin geblieben zu sein?« Denise lachte. »Aber Alexander, diese Frage stellst du doch nur, weil du etwas ganz Bestimmtes hören willst. Nämlich, dass ich das Leben als Ehefrau und Mutter viel mehr schätze, dass ich es nie mehr gegen meinen Beruf eintauschen würde und dass ich dich viel mehr liebe …« »Es ist genug.

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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sophienlust Extra – 84 –Die Tänzerin und ihr Kind

Wie eine kleine Familie glücklich wurde...

Gert Rothberg

Denise und Alexander von Schoenecker standen im Foyer des Münchener Residenztheaters. Beide hatten ein Glas Sekt in der Hand.

Denise hob ihr Glas ein wenig. »Auf deine wunderbare Idee, mit mir hierherzufahren, Alexander.«

»Auf etwas anderes kommst du jetzt nicht, Denise?«, fragte Alexander.

Denise sah ihn nachdenklich an. »Was meinst du, worauf wir noch trinken sollten? Dass die junge Tänzerin Julia Stefani doch die Tochter meiner früheren Kollegin Alice ist? Du hast recht, darauf müssten wir auch trinen. Als wir nach München fuhren, wusste ich ja noch nicht genau, ob das auch wirklich so ist. Nur der Name Stefani hatte mich stutzig gemacht. Auf einmal waren die Erinnerungen an Alice wieder da. Sie war eine begnadete Tänzerin und hätte ihren Beruf nie aufgegeben.«

Alexander sah seine Frau prüfend an. »Willst du damit sagen, dass du es bereust, nicht Tänzerin geblieben zu sein?«

Denise lachte. »Aber Alexander, diese Frage stellst du doch nur, weil du etwas ganz Bestimmtes hören willst. Nämlich, dass ich das Leben als Ehefrau und Mutter viel mehr schätze, dass ich es nie mehr gegen meinen Beruf eintauschen würde und dass ich dich viel mehr liebe …«

»Es ist genug. Nun hast du ja alles gesagt, was ich hören wollte.« Alexander von Schoenecker war glänzender Stimmung. Er genoss diesen Abend mit seiner Frau. Viel zu selten konnte er sie von Sophienlust weglocken.

»Aber auf eines bist du noch immer nicht gekommen. Ich wollte mit dir auf etwas ganz anderes anstoßen, als du meintest. Heute ist ein großer Jahrestag. Denke einmal nach, welches Datum wir haben.«

Jetzt erschrak Denise. »Das hatte ich wirklich vergessen. Der Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. Vor …«

Alexander legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. »Pst, die Jahre zählen wir nicht mehr. Wer noch so jung und schön aussieht, dass sich die Ballettbesucher nach ihm umdrehen, den kann ich höchstens vor einem Jahr kennengelernt haben.«

»Meinst du mich?«, fragte Denise. »Nach mir soll sich jemand umdrehen? Hier im Foyer?«

»Kokett bist du auch noch. Du hast doch längst gemerkt, wie neidisch mich manche Männer ansehen.« Alexander nahm seiner Frau das Sektglas aus der Hand und stellte es weg. »Aber jetzt ist die Pause zu Ende. Wir müssen uns beeilen, denn du willst ja keinen Tanzschritt von Julia Stefani versäumen.«

»Das will ich auch nicht. Ich freue mich darauf, mit ihr nach der Vorstellung sprechen zu können. Sicher wird sie sehr überrascht sein, wenn ich ihr sage, wie gut ich ihre Mutter gekannt habe.« Plötzlich stieß Denise ihren Mann an. »Schau, jetzt hat er einen Riesenstrauß weißen Flieder in der Hand. Ich habe also recht damit, dass der junge. Mann Julia Stefani verehrt. Das habe ich mir gleich gedacht.«

»Ja, du bist Expertin für solche Dinge«, neckte Alexander sie. »Aber stelle dir vor, sogar ich habe gemerkt, wie selig dieser junge Mann war, wenn Julia Stefani tanzte.«

»Er sieht sehr gut aus.« Denise sah dem großgewachsenen blonden Mann nach, der vor ihr den Mittelgang hinunterging und sich nun mit seinem Fliederstrauß in die erste Reihe im Parkett setzte. »Wie alt kann er sein, Alexander?«

»Oh, du weißt doch, wie schlecht ich schätzen kann, Denise.« Alexander sah ungeniert zu dem Mann, an dessen Sitz sie jetzt vorbeigingen.

»Mustere ihn doch nicht so, Alexander«, flüsterte Denise vorwurfsvoll. »Das muss ihm doch auffallen.«

Alexander setzte sich. »Dem fällt bestimmt nichts auf. Er hat die Blicke schon wieder auf der Bühne, obwohl sich dort noch nichts rührt. Außerdem sollte ich schätzen, wie alt er ist. Ich denke zwanzig oder vierzig.«

»Du bist ein unmöglicher Mensch, Alexander.«

»Aber nur, wenn ich in so blendender Stimmung bin wie heute.« Alexander zog Denises Hand an die Lippen und küsste sie.

»Ich denke, er wird ungefähr dreißig sein, Alexander.«

»Also mittendrin zwischen zwanzig und vierzig.« Alexander unterdrückte ein Lachen. Er freute sich immer, wenn seine Frau etwas so ernsthaft überlegte, was im Augenblick gar nicht wichtig war.

»Julia ist dreiundzwanzig Jahre. Schade, dass ihre Mutter diese Zeit nicht mehr erleben konnte. Sie wäre sicher sehr stolz auf ihre Tochter gewesen.«

»Wer weiß.« Alexander machte ein skeptisches Gesicht. »Vielleicht gab es zwischen Mutter und Tochter gar keine so starke Bindung. Du hast mir doch erzählt, dass Alice Stefani lieber ein uneheliches Kind zur Welt brachte als zu heiraten, und dass sie dieses Kind dann in Heimen und Internaten aufwachsen ließ.«

»Ja, das stimmt.« Mehr konnte Denise jetzt nicht sagen. Die Pause war zu Ende.

Julia Stefani trat nun in einem Solopart auf. Die Blicke aller hingen bewundernd an der grazilen Gestalt der jungen Tänzerin, an dem schönen schmalen Gesicht mit den ausdrucksvollen blaugrauen Augen, an dem verträumt lächelnden Mund.

Julia Stefani sah aus, als tanze sie ganz allein für sich, als sei es ihr ein Bedürfnis, nach der leisen Musik über die Bühne zu schweben. Kein Schritt, keine Bewegung wirkten einstudiert bei ihr.

»Mir ist, als würde ich ihre Mutter noch einmal tanzen sehen«, flüsterte Denise.

Der junge Mann mit dem Fliederstrauß beugte sich etwas vor und sah Denise vorwurfsvoll an. Ihn schien überhaupt alles zu stören, was er außer dem Tanz auf der Bühne wahrnahm. So drehte er sich jetzt unwillig um, weil jemand hinter ihm ein Hüsteln nicht hatte unterdrücken können, Julia Stefani trat noch zweimal auf. Einmal in Reih und Glied mit ihrem Ballet, danach wieder als Solotänzerin.

Als sie sich verneigte, stand der junge Mann auf und warf den Fliederstrauß auf die Bühne. Das musste er tun, weil trotz seiner Wachsamkeit andere schneller gewesen waren als er und die junge Tänzerin die Fülle der Blumen kaum noch im Arm halten konnte.

Doch jetzt bückte sie sich und hob den Fliederstrauß auf. Sie presste ihn mit den anderen Blumen fest an sich. Dabei suchten ihre Blicke den jungen Mann.

Denise lächelte versonnen. Sie wusste, wie einer Tänzerin zumute war, die umjubelt wurde, aber zwischen ihren vielen Bewunderern nur einen einzigen Menschen suchte.

Als alle aufstanden, hatte es Denise sehr eilig. »Wir müssen unter den ersten am Bühnenausgang sein, Alexander. Ich fürchte, wir werden dort nicht als einzige warten.«

Alexander hatte Mühe, seiner Frau zu folgen. Als er mit ihr im Freien war, hakte er sich bei ihr unter. »Liebling, du zwingst mich in die Rolle eines Primaners. Nun stehe ich zwischen den Menschen hier, die alle auf die junge Tänzerin warten.«

»Du brauchst nicht schüchtern zu sein, Alexander. Ich bin ja bei dir.« Denise lachte. »Komm, wir müssen uns noch etwas durchdrängen.« Jetzt seufzte Denise. »Ich hätte Julia Stefani doch ein Kärtchen schicken sollen. Vielleicht hätte ich dann in ihre Garderobe kommen können. Sie hier anzusprechen, das wird schwer werden.«

»Das fürchte ich auch. Er hat sie schon mit Beschlag belegt.« Alexander konnte über die Köpfe der Wartenden hinwegsehen. »Pass auf, Denise, gleich sind sie an uns vorbei.«

»Siehst du Julia schon?«, fragte Denise und reckte den Kopf. »Oh!«, stieß sie enttäuscht aus. »Aber Alexander, wir waren nicht aufmerksam genug.« Durch die schmale Gasse der Menschen lief Julia Stefani. Sie winkte und lachte, aber sie ließ sich von dem jungen Mann weiterziehen, der ihr den Fliederstrauß geschenkt hatte.

»Was hätten wir tun sollen? Es ging alles so schnell. Ich kann den beiden doch nicht nachlaufen, Denise.« Alexander von Schoenecker legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Schau, den anderen hat es auch genügt, Julia Stefani nur zu sehen.«

»Die wollten auch nicht mit ihr sprechen. Wohin sind die beiden denn gelaufen? Ich kann sie ja schon nicht mehr sehen.«

»Ich schätze, dass sie im Eingang zur Tiefgarage verschwunden sind. Aber genau kann ich das nicht feststellen. Sie waren ja wie ein Spuk vorbei. Komm, Denise, sei nicht so enttäuscht.«

»Aber wir müssen doch heute Nacht noch zurückfahren.«

Alexander führte seine Frau über den freien Platz vor dem Residenztheater. »Müssen wir das wirklich, Denise? Können wir uns nicht in München noch einen schönen Abend machen und erst morgen nach Hause fahren?«

Denise sah ihn unschlüssig an.

»Denke an unseren Jahrestag, Denise.«

»Also gut, bleiben wir noch hier. Aber dann muss ich in Sophienlust anrufen und Bescheid sagen. Nick und Henrik rechnen auch damit, dass wir heute Nacht nach Hause kommen. Ob ich morgen versuche, Julia Stefani telefonisch zu erreichen?«

»Ja, versuche es, Denise. Ich wünsche dir, dass du damit Glück hast. Jetzt gibst du doch nicht eher Ruhe, bis du mit diesem Mädchen gesprochen hast.«

Denise war nachdenklich geworden. »Du hast recht. Ich habe einfach das Gefühl, Alices Tochter näher kennenlernen zu müssen.«

*

Die Vermutung Alexander von Schoen­eckers stimmte. Julia Stefani war mit ihrem Begleiter in die Tiefgarage gelaufen. Dort stiegen die beiden in den Wagen des Mannes ein und fuhren aus der Stadt hinaus.

Der dreißigjährige Bernd Hellwig, Sohn eines schwerreichen Fabrikanten aus München, war wieder einmal der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Immer wieder sah er zur Seite.

Julia hatte sich seinen Mantel um die Schultern gelegt und die Beine auf dem Beifahrersitz angezogen. Er kannte diese Stellung bei ihr, wenn sie müde war. »Bitte, schnalle dich an, Julia«, bat er jetzt.

Julia griff nach dem Gurt. »Brauche ich das, wenn ich mit dir fahre?« Sie lächelte. Trotzdem sah ihr Gesicht abgespannt aus – wie immer, wenn sie einen Tanzabend hinter sich hatte. So unbeschwert sie auf dem Podium wirkte, später fühlte sie sich ausgelaugt. »Bei dir bin ich doch immer sicher, Bernd.« Sie zog jetzt zwei Haarnadeln aus dem Knoten am Hinterkopf. Ihr braunes halblanges Haar fiel ihr auf die Schultern. Nun wirkte sie noch mädchenhafter. »Zwei Stunden Fahrt, dann sind wir auf der Jagdhütte.« Sie streckte sich. »O Bernd, ich kann mir noch gar nicht vorstellen, dass ich so lange Zeit nicht tanzen, nicht trainieren muss.« Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. »Eine ganze Woche mit dir beisammen sein zu können – wir fahren ins Paradies.«

Julia sah nicht, dass sich Bernds Gesicht etwas verdüsterte. Schon nach einigen Minuten war sie eingeschlafen. Sie wachte erst auf, als Bernd knapp vor Oberstdorf im Allgäu von der Hauptverkehrsstraße abbog und einen steilen holprigen Weg hinauffuhr. »Sind wir da?«, fragte sie schlaftrunken.

»Bald, Julia.«

Sie richtete sich auf. »Verzeih, dass ich die ganze Strecke geschlafen habe, statt mich mit dir zu unterhalten.« Ihre Hand streichelte seinen Arm.

Die braunen Augen Bernd Hellwigs leuchteten. »Wenn du nur bei mir bist, Julia. Das ist schon das höchste Glück für mich. Ich weiß, wie abgespannt du bist. Aber du kannst auch zufrieden sein. Was du in dieser Saison erreicht hast, macht sicher viele deiner Kolleginnen neidisch. Sogar ich bin nicht frei von Neid, wenn ich sehen muss, wie sehr dich alle bewundern. Du weißt gar nicht, was das für mich bedeutet, unter den Menschen sitzen zu müssen, die sich alle benehmen, als wärst du ihr Eigentum.«

»Das bin ich aber nicht, Bernd. Ich gehöre nur dir. Schon seit Monaten gehöre ich nur dir. Und der große Erfolg kam erst damit.«

Julias Stimme senkte sich. »Ich tanze immer nur für dich, Bernd.«

Sie waren eben durch eine schmale Schneise gefahren. Nun fiel das Licht der Scheinwerfer auf einen freien Platz mitten im Wald. Julia beugte sich vor, um die Jagdhütte besser sehen zu können. »Jedes Mal denke ich, welch bescheidener Name das für dieses schöne fest gebaute Haus ist. Eine Jagdhütte habe ich mir immer als eine primitive Unterkunft vorgestellt. Für mich ist das ein herrliches Ferienhaus. Noch vor Kurzem hätte ich mir nicht leisten können, es auch nur zu mieten.«

Bernd stellte den Motor des Wagens ab und stieg aus. Als Julia ihre Tür öffnete und den Fuß heraussetzte, nahm er sie auf die Arme. »Du bist doch müde.« Er drückte sie fest an sich und küsste sie. »Vor der Tür muss ich dich noch einmal auf die Füße stellen, um aufzuschließen. Aber dann darfst du müde sein und dich erholen, so lange du willst. Es wird uns niemand stören.«

Julia legte die Arme um seinen Hals. Ihre Blicke lagen auf dem braunen verwitterten Holz der Jagdhütte. Morgen würden die Fensterläden nicht mehr geschlossen sein.

Die Sonnenstrahlen würden in die drei gemütlich eingerichteten Stuben fallen. Hier oben in der Einsamkeit gab es nur Bernd und ihr großes Glück.

*

Der nächste Tag verging so, wie Julia ihn sich erträumt hatte. Am Abend aber musste sie eine große Enttäuschung hinnehmen. Bernd sagte ihr, dass er zwei Tage lang im Werk seines Vaters gebraucht werde.

»Ich dachte, du hättest dir für eine ganze Woche freigenommen, Bernd«, sagte Julia traurig. »Was soll ich denn ohne dich hier tun?«

Bern zog sie zu sich auf das Sofa. »Du wirst ausschlafen und spazieren gehen.« Er küsste sie. »Und auf mich warten. Es tut mir selbst leid, dass ich dich allein lassen muss, aber ich konnte diese Termine nicht verschieben. Wir erwarten wichtige ausländische Geschäftspartner, die uns einen großen Auftrag erteilen sollen.«

Julia wusste nicht nur von Bernd, dass das Kamerawerk Hellwig international bekannt war. Sie hatte diesen Namen schon als Kind gehört. Sie war in München geboren und zwischen ihren Heim- und Internatszeiten immer wieder dorthin zurückgekehrt. Auch ihre Ausbildung als Tänzerin hatte sie in München genossen. Aber es war eben ein großer Unterschied, ob man von der Weltgeltung eines Unternehmens nur wusste oder ob man darunter litt. Vor sechs Monaten hatte sie Bernd auf einem Presseball kennengelernt, und seitdem war sie schon oft dazu verurteilt gewesen, auf seine Arbeit Rücksicht nehmen zu müssen.

»Wenn es wirklich nicht anders geht, dann muss ich mich eben fügen«, schmollte Julia. »Wundern wirst du dich wohl nicht darüber, dass ich mit jeder Stunde geize, die wir beisammen sein können. Bald habe auch ich wieder Verpflichtungen, und dann …«

Bernd unterbrach sie. Er sah ihr in die jetzt etwas betrübt dreinblickenden blaugrauen Augen und sagte: »Und dann, das wird es nicht mehr so geben, wie du es dir vorstellst. Ich lasse dich nicht mehr aufs Podium zurückgehen. Du hast mir gesagt, dass es dir nicht schwerfallen wird, deinen Beruf aufzugeben.«

»Nein, für dich würde mir das nicht schwerfallen, Bernd. Außerdem habe ich diesen Beruf doch nur aus Trotz ergriffen. Ich muss mich darüber wundern, dass ich mit diesem Motiv etwas werden konnte.«

Julia war sehr nachdenklich geworden, Bernd aber lächelte. »Du hast eben doch das Talent deiner Mutter geerbt.«

»Vielleicht. Aber wenn ich nicht so verbissen gelernt und gearbeitet hätte, wäre ich nicht weitergekommen als bis zur Aufnahmeprüfung.« Auf einmal stand Julia auf, ging ans Fenster und schob die bunte Gardine zur Seite.

Bernd kannte diese Stimmung an ihr. Wenn Julia über ihre Vergangenheit redete, geschah das meistens mit einem bitteren Unterton. Er stand auf, ging zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. »Warum wirst du diese Zeit nicht los, Julia, in der wir einander noch nicht kannten?«

Julia sah zu ihm auf. »Glaubst du wirklich, dass man eine freudlose Kindheit und Jugend vergessen kann? Ein Mensch, der sich immer nach Geborgenheit und Liebe sehnte, ist für sein ganzes Leben gezeichnet.« Ihre Stimme klang erregt. »Irgendetwas von der Angst, wieder allein sein zu müssen, bleibt zurück. Dazu tut es mir weh, dass ich nicht mit anderen Gefühlen an meine Mutter denken kann. Ich sehe sie nur als schöne Frau vor mir. Meistens in der Hetze vor einem Auftritt, im Lampenfieber oder müde und erschöpft, wenn sie ins Hotel zurückkam. Immer haben wir uns nur in Hotels gesehen. Dabei habe ich mich so danach gesehnt, eine kleine Wohnung mit ihr zu haben. Ich wäre bereit gewesen, immer auf sie warten zu müssen, wenn sie mich nur an ihrem Leben hätte Anteil nehmen lassen. Aber das tat sie nicht. Meine Mutter konnte mit niemandem teilen, nicht ihre Freude und nicht ihre Sorgen. Deshalb auch hat sie meinen Vater nicht geheiratet. Ich habe mit ihm nach ihrem Tod darüber gesprochen. Ich glaube, er war ein wunderbarer Mensch und hat meine Mutter sehr geliebt. Sie muss ihn doch auch geliebt haben, sonst hätte sie sich ihm nicht geschenkt.«

»Deine Mutter war eben eine Vollblutkünstlerin, Julia. Sicher hat sie deinen Vater geliebt, aber als sie sich entscheiden sollte, war eben das andere stärker in ihr – dieses Streben, ihr Ehrgeiz und ihre Hingabe an den Beruf.«

»Ja, das meinte mein Vater auch.« Julia warf jetzt die Arme um Bernds Hals. »Warum musste auch er so früh sterben, Bernd? Du weißt nicht, wie glücklich ich war, als er sich auf einmal um mich kümmerte. Mutter hatte nie zugelassen, dass ich mich mit ihm traf. Bei ihrer Beerdigung aber gab er sich mir zu erkennen. Nur durch seine Hilfe war es mir möglich, meinen Beruf zu erlernen. Er hat mir das Studium finanziert. Mutter hatte ja nichts hinterlassen. Sie ist mit ihren Gagen immer großzügig umgegangen, und mein Aufenthalt in den teuersten Internaten hat sie auch viel Geld gekostet.« Julia versuchte zu lachen. »Hoffentlich kann ich mit meinem Geld besser umgehen als meine Eltern. Immerhin hat auch mein Vater als Pilot gut verdient. Aber ich glaube, das einzige, in das er etwas investiert hat, war meine Ausbildung. Nachdem er bei dem furchtbaren Flugzeugunglück den Tod gefunden hatte, bekam ich noch ein paar tausend Euro. Sie reichten gerade, um meine Ausbildung beenden zu können und mit den ersten schmalen Gagen durchzukommen.«

Bernd führte Julia zum Sofa zurück, streckte sich aus und zog sie zu sich. Nachdem sie ihren Kopf in seine Armbeuge gelegt hatte, sagte er: »Es wird bald nicht mehr dein Geld sein, mit dem du umgehst, sondern meines. Morgen Abend will ich mit meinem Vater sprechen, Julia. In den vergangenen Tagen kam ich nicht an ihn heran.«

Julia setzte sich schon wieder auf. Sie sah bange in Bernds Augen. »Vielleicht solltest du das noch nicht tun, Bernd.«

»Warum nicht? Es wird höchste Zeit. Ich habe eben gesagt, dass ich dich nicht auf das Podium zurückkehren lassen will. Ich möchte, dass wir bald heiraten, Julia. Willst du das nicht?«