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Von Müttern und Töchtern: drei Frauengenerationen rund um das Münterhaus in Murnau. Eine bewegende Geschichte für Fans von Lilly Bernstein und Regine Kölpin »Ich habe alle Briefe gelesen, ich konnte kaum glauben, von welcher Seite ich Oma Mali plötzlich kennenlernte. Obwohl ich achtzehn Jahre mit ihr gelebt habe!« Während der Renovierung des Häuschens ihrer Urgroßmutter Mali entdeckt die junge Nike Geheimnisse in ihrer Familiengeschichte, die ihr bisher verschwiegen wurden. Mali lebte als alleinerziehende Mutter mit ihrer Tochter über fünfzig Jahre im Haus der berühmten Malerin Gabriele Münter in Murnau, die ihren Leben eine vollkommen neue Richtung gab. Als Nike fasziniert nachforscht, entdeckt sie in Malis Notizen einen Hinweis auf ein Versteck wertvoller Gemälde des Blauen Reiter. Doch dadurch ergeben sich nicht nur viele Fragen, ihre Nachforschungen scheinen auch jemandem nicht zu gefallen. Einschließlich ihrer Freundin Hettie werden plötzlich alle in Nikes Umfeld verdächtig ...
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Veröffentlichungsjahr: 2024
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Cover & Impressum
Teil 1
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Teil 2
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Epilog
Nachwort
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Juli 1938
»Frau Ella, ich wollt mich von Ihnen verabschieden.« Amalia stand in der Türöffnung des Wohnraums, fertig gekleidet zum Ausgehen. Über dem knöchellangen schwarzen Trachtenrock, der zu ihrem Sonntagsstaat gehörte, trug sie eine dunkelgrüne Lodenjacke, bis zum obersten Knopf geschlossen. Nur der weiße Kragen der Bluse blitzte über der Paspelkante des Stehkragens hervor. Über ihrem strengen Haarknoten im Genick saß ihr Werdenfelser Nadelfilzhut, ganz schlicht mit einer dunkelgrünen Kordel verziert. Sie richtete ihren Blick nach unten auf ihre bauchige, stramm gefüllte Bügeltasche aus grobem Leinen.
Sie fühlte ihren Herzschlag bis zum Hals, das Klopfen stieg immer höher in Richtung ihrer Ohren.
Gabriele Münter hielt inne, gerade hatte sie den Pinsel in ein leuchtendes Blau auf ihrer Farbpalette getaucht. »Besuchst du deine Verwandten im Nachbarort? Habe ich das etwa überhört, als du es mir angekündigt hast? Oder ist’s was Unvorhergesehenes, musst du wieder mal zu Hause aushelfen? Sind deine Mutter oder deine Schwägerin krank geworden?« Gabriele drehte den Kopf in Amalias Richtung, denn die Staffelei mit der aufgezogenen Leinwand stand schräg zur Tür.
»Nein, Frau Ella … ich … ich gehe.« Sie seufzte tief. »Ich muss weg. Für länger.« Amalia hielt ihren Kopf gesenkt, sodass Gabriele nur den oberen Hutrand über ihrem Kopf sehen konnte.
Wie in Zeitlupe legte Gabriele ihre Palette und den Pinsel auf einem mit allen Farbtönen beklecksten Tischchen ab, erhob sich von ihrem Hocker, strich mit ihren Händen über ihren bunt gesprenkelten Malkittel und ging langsam auf Amalia zu. »Ama, wie meinst du das? ›Für länger‹?«
Amalia hob langsam den Kopf, der ihr zu zerspringen drohte, und gerade als ihre Augen mit denen Gabrieles auf gleicher Höhe waren, sackte sie ohnmächtig in sich zusammen. Gabriele streckte ihre Arme aus, um sie aufzufangen, aber sie war zu langsam. Amalias Kopf schlug auf dem Boden auf.
»Johannes, schnell, kommen Sie«, rief sie laut in Richtung der offenen Tür, in der Hoffnung, dass es Johannes Eichner im oberen Stockwerk hören würde. Sie ließ sich neben der leblos wirkenden Amalia nieder, hob deren Kopf behutsam an und bettete ihn in ihren Schoß. »Johannes, Ama ist ohnmächtig geworden, kommen Sie, ich brauche Ihre Hilfe.« Sie beugte sich über den reglosen Körper und klopfte der Frau sachte auf die Wangen. »Ama, komm zurück, ich brauch dich doch, meine Liebe.«
Endlich stand Johannes Eichner, wie immer in Anzughose, Einstecktuch und Hausjacke korrekt gekleidet, in der Tür. Er erfasste die Situation mit einem Blick und schlug die Hände zusammen. »Na, so ein Unglück, liebe Gabriele. Ich hole ein feuchtes Handtuch, vielleicht hilft das.« Er machte zwei Schritte auf Gabriele zu, blieb aber dann abrupt stehen, als wäre er abgebremst worden.
»Im Schränkchen über dem Ausguss ist Riechsalz, und bringen Sie auch ein Glas Wasser mit.«
Während Gabriele versuchte, sich im Sitzen am Türstock anzulehnen, hörte sie Johannes in der Küche herumkramen; es klapperte und klirrte, dabei redete er vor sich hin. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam er zurück, zum Glück mit dem Fläschchen und einem Handtuch.
»Der beißende Geruch wird selbst Tote erwecken.« Gabriele zog die Nase kraus, während sie die Flasche dicht vor Amas Nase hielt. Johannes stand daneben, legte die Hände vor dem Bauch aneinander, sein Blick wanderte zwischen Gabriele und Amalia hin und her. Er wirkte, als wäre ihm die am Boden liegende Hausangestellte persönlich unangenehm.
»Falten Sie das Handtuch, und legen Sie es ihr auf die Stirn. Danach nehmen Sie die monströse Reisetasche weg und holen die Decke und ein Kissen vom Diwan.« Gabriele erteilte klare Anweisungen, sonst würde Johannes noch länger unschlüssig herumstehen.
Erleichtert, ihr zur Hand gehen zu können, reichte er Gabriele das Kissen, die es zwischen ihren Schoß und Amalias Kopf schob, und breitete die Decke über Amalias Körper aus.
In diesem Moment kam Amalia wieder zu sich, sie bewegte die Arme und hob den Kopf. Als sie erkannte, dass sie am Boden auf dem Schoß ihrer Arbeitgeberin lag, versuchte sie, sich sofort aufzurichten. Die ungewohnte Nähe ihrer verehrten Gabriele war ihr zwar nicht zuwider, aber es gehörte sich einfach nicht.
Doch Gabriele hielt sie zurück. »Sachte, sachte, jetzt bleib schön liegen und atme tief durch. Langsam ein und aus. Johannes, geben Sie mir das Glas Wasser, das wird helfen.«
Er beugte sich steif zu ihr hinunter und reichte ihr das Glas. »Kann ich noch etwas tun?«
»Ich glaube, jetzt komme ich gut zurecht. Ich bleibe hier bei Ama, bis sie selbst wieder in der Lage ist, sich zu erheben. Vielen Dank, mein Lieber«, entließ sie ihn aus der für ihn misslichen Situation.
»Ich lasse die Türen offen. Wenn Sie etwas benötigen, dann rufen Sie. Ich bin jederzeit bereit, Ihnen helfend unter die Arme zu greifen.« Johannes wirkte erleichtert, dass die beiden Frauen nun ohne ihn zurechtkommen würden.
»Entschuldigen S’ bitte, Frau Ella, das hatte ich nicht kommen sehen, aber genau das wollte ich vermeiden.«
»Ich glaube, du musst mir jetzt einiges erklären. Bitte schön, sag mir doch, was passiert ist. Hast du eine Krankheit, oder ist deiner Familie ein Unglück widerfahren …?«
»Weder das eine noch das andere. Ich …« Ama suchte nach Worten. »Ach, wenn ich es doch ungeschehen machen könnte, ich habe schon alles Mögliche versucht, aber … Ich weiß einfach nicht, wie es weitergehen soll.« Amalia brach in Tränen aus und ließ den Kopf wieder auf das Kissen sinken, dabei versuchte sie, sich von Gabriele wegzudrehen.
»Schsch, beruhige dich. Und dann erzählst du mir, was dich so sehr belastet, dass du wie ein leerer Ballon zusammenfällst.« Gabriele strich ihr wie eine Mutter ihrem Kind über den Kopf und die Wangen.
Diese liebevolle Berührung tat Amalia gut, aber es durfte nicht sein, ihre Lage war ihr mehr als peinlich. »Ich wollt unter allen Umständen vermeiden, dass Sie mich mit Schimpf und Schande aus dem Haus jagen, ich will Sie doch nicht dem Gerede der Nachbarn aussetzen, das haben Sie nicht verdient. Ich muss weg, so schwer mir das fällt.«
Die Worte brachen wie ein lang aufgestauter Wasserfall aus Amalia heraus, Gabriele verstand allerdings noch weniger als vorher. Ihr Gesichtsausdruck wirkte wie ein Fragezeichen. »Ama, du sprichst in Rätseln. Sag’s mir doch freiheraus, was die Ursache für deinen Schwächeanfall ist. Ich kann mir mit größter Fantasie keinen Grund vorstellen, weswegen ich dich aus dem Hause verbannen sollte.«
»Frau Ella, ich bin guter Hoffnung. Dabei kann von Hoffnung nicht die Rede sein und von gut schon gar nicht.« Tränen quollen aus Amas Augen, der Fleck auf dem Kissen wurde immer größer.
Gabriele riss überrascht die Augen auf. »Jetzt bin ich sprachlos, in der Tat, das muss ich ehrlich zugeben. Lass mir eine Weile Zeit, deine Nachricht mit allen Folgen zu verstehen und mir auszumalen.« Gabriele schloss die Augen, strich Amalia aber weiter über die Wangen.
Amalia kannte diese Reaktion, wenn Gabriele nachdachte. Es würde dauern, bis sie alle Für und Wider der Nachricht gedanklich erörtert und alle Folgen und Konsequenzen für jeden der Beteiligten durchgespielt hatte.
Ama, wie sie von Gabriele genannt wurde, seitdem sie als dreizehnjähriges Mädchen ins Münterhaus gekommen war, um die Haushälterin zu unterstützen, ließ sich erneut laut seufzend tiefer auf das Kissen sinken. Sie wusste, jetzt musste sie abwarten. Gabriele würde sich nicht drängen oder gar in irgendeiner Form beeinflussen oder unterbrechen lassen. Und schon wieder türmten sich Amalias Ängste über ihre Zukunft gedanklich zu Bergen, die höher waren als die Gipfel des Werdenfelser Landes rund um Murnau. Wie konnte das ihr, in ihrem hohen Alter von einundvierzig Jahren, passieren? Wie sollte sie sich um ein Kind kümmern, da sie doch für ihren Lebensunterhalt arbeiten musste. Dem Münterhaus und seinen beiden Bewohnern den Rücken zu kehren, käme ihr nie in den Sinn. Gabriele Münter und Johannes Eichner waren ihr mehr als ihre eigene Familie ans Herz gewachsen – sie waren ihre Familie.
Deswegen hatte sie den Plan gefasst, bis zur Geburt des Kindes in Garmisch unterzukommen, denn sie wollte die Herrschaften nicht durch ihre Schwangerschaft kompromittieren und dem Gerede der Leute aussetzen. Ihr Entschluss hatte nach langem Überlegen festgestanden: Das Beste für alle wäre es, das Kind nach der Entbindung in ein Heim zu geben. Danach könnte sie wieder ihren Aufgaben im Hause Münter nachkommen. Es würde ihr zwar das Herz brechen, Alexejs Kind wegzugeben, aber das war in ihren Augen die einzig praktikable Lösung.
Was hatte sie nicht alles versucht, um die Schwangerschaft abzubrechen. Tees, Kräutermixturen, die ihr tagelang Schmerzen und heftige Krämpfe verursacht hatten, heiße Bäder, lange, äußerst anstrengende Wanderungen, aber nichts hatte geholfen. Das Kind war anhänglich, es ließ sich nicht vertreiben, als wollte es um jeden Preis leben. Und einer Engelmacherin konnte sie sich nicht anvertrauen, davor hatte sie zu viel Angst.
Ihr über alles geliebter Alexej würde vermutlich nie davon erfahren, seit seiner Flucht vor den Nazis hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Keiner durfte wissen, dass er der Vater ihres ungeborenen Kindes war. Als entarteter Künstler, der noch dazu bei jeder Gelegenheit gegen die Politik Hitlers aufgerufen hatte, würde er womöglich auch sie in Schwierigkeiten bringen. Sie sehnte sich nach ihm wie noch nie zuvor nach einem Menschen. Er hatte ihr die Liebe gezeigt, das erste und wohl auch das letzte Mal in ihrem Leben. Die Zärtlichkeiten, seine Anbetung, noch nie hatte sie etwas Derartiges erfahren. Er hatte sie verzaubert mit seinem wunderbaren russisch angehauchten Akzent, er hatte sie umgarnt und beschenkt, und wenn es auch nur ein Blümchen war, das er in ihrem eigenen Garten gepflückt, ihr aber mit einer Nonchalance überreicht hatte, als wäre es das größte Kleinod überhaupt. Jede alltägliche Situation wurde durch ihn zu etwas Einmaligem, nie Dagewesenem. Mit ihm wurde der Aufstieg zu ihrem geliebten Herzogstand, den Amalia unzählige Male unternommen hatte und von dem sie jeden Stein und jede Wurzel kannte, zu einem Erlebnis, das ihr die Augen für ganz andere Blickwinkel öffnete.
»Ändere deinen Standpunkt, dann schaut die Welt immer wieder anders aus«, war sein Lebensmotto. Nicht nur wegen seines künstlerischen Könnens war er ein beachteter und bekannter Künstler, er drückte seine Sichtweise in seiner Malerei aus und öffnete damit dem Betrachter die Augen, um ihn zu etwas Neuem hinzulotsen.
Er hatte ihr ein Gemälde geschenkt, den Gipfel des Herzogstands, und sie hütete es wie einen Schatz. Es drückte ihr Glück und ihre Sorglosigkeit, die sie gemeinsam dort oben empfunden hatten, in einer Weise aus, die sie noch nicht einmal in Worte fassen konnte.
Als sie ihre Schwangerschaft festgestellt hatte, hatte sie inständig gehofft, einen Weg zu finden, um sein Kind bekommen und erleben zu dürfen. Wenn es nur annähernd seine lebensfrohe Art, seine Einfühlsamkeit und seine künstlerische Begabung hätte, würde er in diesem Kind weiterleben. Aber sie verbat es sich, es durfte nicht sein, sie musste ihre Arbeitsstelle behalten, gerade in dieser bedrohlichen und politisch unsteten Zeit. Ein schreiender Säugling wäre eine unzumutbare Belastung für Frau Ella, aber ganz besonders für Herrn Eichner. Und sie wollte auch keine Schande über das Münterhaus bringen, jetzt, wo sich die Leute endlich nicht mehr die Mäuler über die unverheiratete Gabriele Münter zerrissen, denn früher war die Villa als Russen- und von ganz bösen Zungen als Lotterhaus bezeichnet worden. Wenn sie als Haushälterin mit einem unehelichen Kind daherkäme, würden sich die Wogen der Entrüstung wieder erheben, ähnlich wie ein Sturm die Wellen des Walchensees aufpeitschen konnte.
Ihre eigene Familie würde sie vor die Tür setzen, aber das kümmerte sie nicht. Seitdem sie die Anstellung im Münterhaus hatte, war der Kontakt zu ihren drei Schwestern und zwei Brüdern immer geringer geworden, ihnen fehlten die Gemeinsamkeiten, die eine Familie ausmachte. Die Eltern waren froh gewesen, als sie vor achtundzwanzig Jahren, als Amalia bei Gabriele zu arbeiten begann, ein Maul weniger stopfen mussten. Trotzdem bekam sie bei ihren Besuchen und Arbeitseinsätzen auf dem elterlichen Hof immer wieder den Vorwurf zu hören, dass sie nun Besseres gewöhnt sei, sozusagen eine »feine Dame«, sicher zu gut für die harte Arbeit auf dem Bauernhof zu Hause. Als sie vor sechs Jahren von ihrer Patentante Amalia, die selbst kinderlos war, ein kleines Häuschen und ein paar Felder ganz in der Nähe des Münterhauses geerbt hatte, hatten zwei ihrer Schwestern wütend über diese Ungerechtigkeit den Kontakt mit ihr vollständig abgebrochen. Die dritte Schwester hoffte, da Amalia unverheiratet war, das Häuschen dereinst von ihr zu erben, obwohl sie älter war als sie. Nur mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Benedikt pflegte sie eine herzliche und vertraute Beziehung. An ihr als Mensch, als Tochter, Schwester oder Schwägerin hatte außer ihm keiner in der Familie echtes Interesse. Lediglich bei Geburten oder Krankheiten war sie gut genug, als Arbeitskraft im Haushalt der Geschwister oder Eltern einzuspringen. Gabriele hatte dafür immer Verständnis, und selbst darüber lästerten die Familienmitglieder.
»… geboren?«
Amalia war so in Gedanken versunken, dass nur das letzte Wort von Gabrieles Frage in ihrem Bewusstsein ankam.
»Was meinen Sie, Frau Ella? Ich war so weit weg grad.«
Gabriele wiederholte die Frage und schaute Ama dabei tief in die Augen.
»Wenn ich mich nicht verrechnet habe, dann müsste es im Oktober so weit sein.« Amalia versuchte, sich aufzurichten.
»Komm, wir machen es uns am Tisch bequem und reden. Später holen wir den Eichner dazu, dem fällt sicher auch was Gescheites ein.«
Gabriele half Amalia auf, was ihr sichtlich unangenehm war, denn bisher musste ihr keiner helfen, egal in welcher Situation. Während sie in die Höhe kam und gewohnheitsmäßig mit den Händen über die Jacke und den Rock strich, damit kein Stäubchen oder Fältchen darauf zu sehen waren, wurde sie von Gabriele taxiert.
»Es ist kaum was zu bemerken. Selbst wer dich kennt, käme nicht auf den Gedanken, dass du in anderen Umständen bist.«
»Vor allem denkt bei meinem Alter keiner an ein Kind«, konstatierte Amalia nüchtern, »wenn überhaupt, dann an zu üppiges Essen.«
»Was in diesen mageren Zeiten kaum möglich ist. Aber lassen wir es, uns den Kopf über die Gedanken anderer zu zerbrechen.«
»Ich kann nicht zu meinen Eltern gehen, denn die schmeißen mich hochkant raus, wenn sie etwas davon erfahren. Ich mag’s mir gar nicht vorstellen …«
»Meine liebe Ama, du bleibst hier bis zur Niederkunft, das Kindlein wird hier im Haus geboren und hier bei uns und in deinem kleinen Häuschen aufwachsen.« Gabriele hatte ihre Entscheidung getroffen und äußerte sie, als duldete sie keinen Einwand.
Amalia kannte diesen Ton, selbst in Diskussionen mit Herrn Eichner hatte dieser keine Chance, wenn Gabriele ihr Kinn hochreckte, den Mund spitzte und in kurzen und klaren Worten das Ergebnis ihrer vorausgegangenen Gedankenexkursion mitteilte.
»Hierbleiben, mit dem Kind?« Amalia konnte es kaum glauben, es käme der Erfüllung ihres Traums gleich, Alexejs Kind aufwachsen zu sehen. Aber die Probleme, die damit auf alle im Haus zukommen würden …
»Ich bin überzeugt, dass das die einzig richtige Entscheidung ist.«
»Ich werde natürlich so lange wie möglich arbeiten. Aber ich höre jetzt schon den Spott und die Häme der Dorfbewohner … Und ob das dem Herrn Eichner recht ist, bezweifle ich. Vor allem, wenn das Kind schreit und ihn bei der Arbeit stört.«
»Ein junges Leben tut dem lieben Eichner ganz gut, ein bisschen Lebhaftigkeit kann er schon vertragen. Natürlich muss er sich dazu äußern, schließlich ist es sein Haus. Aber je mehr wir für alles gerüstet sind, umso eher lässt er sich überzeugen. Du behältst wie bisher dein Zimmer unter dem Dach, und wir richten eine Ecke für den Säugling ein, viel braucht so ein kleines Menschlein ja nicht. Tagsüber stellen wir eine Wiege oder ein Wägelchen in die Wohnstube neben meine Staffelei. So können wir alle unserer Arbeit nachgehen, und wenn das Würmchen Hunger hat, bist du immer in der Nähe.«
»Das klingt alles so einfach.« Amalia schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Das ist einfach, und deswegen wird es klappen.« Für Gabriele war alles geregelt, sie hatte keinerlei Bedenken. »Jetzt rufe ich den Eichner hinunter, dann kann er sich dazu äußern.«
Amalia wunderte sich, dass Gabriele keinen Gedanken daran verschwendete, dass Herr Eichner dagegen sein könnte. Schließlich gehörte das Haus seit dem Umbau ihm, er hatte es Gabriele abgekauft. Es würde sie nicht wundern, wenn er ihr kündigen würde. Aber so klein und zierlich Gabriele war, so fest und unbeugsam war ihr Wille.
Und so kam es dann auch, Johannes Eichner wurde über die Schwangerschaft und die Entscheidung Gabrieles in Kenntnis gesetzt, während sein ruhiger Blick zwischen Gabriele und Amalia hin- und herwanderte. Ab und zu strich er sich über seinen Schnauzbart, dann legte er die Unterarme und Hände flach auf den Tisch, als könnte er sich dabei besser konzentrieren.
»So kommt dieses Haus doch noch zu einem Kindlein, was immer mein größter Wunsch war. Dass es jetzt und unter diesen Umständen passiert, ist eine Überraschung, aber es ist, wie es ist. Ein Kind bedeutet Leben und Zukunft. Sehen Sie das nicht auch so, mein lieber Eichner?« Gabrieles letzter Satz blieb eine Zeit lang im Raum hängen. Sie legte ihre Hände über seine und schaute ihn an. Einige Minuten war es still, nur eine Biene stieß immer wieder mit immer lauterem Summen gegen die Fensterscheibe, von draußen drang gedämpftes Klappern von Pferdehufen herein, begleitet vom kreischenden Quietschen eines Fuhrwerks und den grantig klingenden Zurufen des Lenkers.
In der Hitze des Hochsommers klang alles lauter und schriller als sonst, oder kam das Amalia nur wegen ihrer Anspannung so vor? Sie glaubte schon, Herr Eichner würde gar nicht mehr antworten, bis er sich schließlich leise räusperte, während er seine Hände unter Gabrieles herauszog. Er legte sie wie zum Gebet vor seinem Brustkorb zusammen.
»Ich denke, das ist für alle die beste Lösung. Ich war zwar nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden, aber den Gedanken, die diesem zugrunde liegen, schließe ich mich an. Natürlich nur, wenn das für Amalia die richtige Lösung ist, schließlich könnte sie sich auch zum Vater des Kindes begeben.« Er richtete einen fragenden Blick in Amalias Richtung, ohne ihr direkt in die Augen zu schauen.
»Das … das geht nicht. Es ist …«, stammelte Amalia herum.
»Ich kann mir schon denken, wer es ist. Aber auf ihn können wir leider nicht bauen, denn er ist auf der Flucht. Meine einzige Hoffnung ist, dass er heil in Amerika ankommt oder vielleicht sogar schon dort angekommen ist.«
Gabriele war es von Anfang an klar gewesen, dass nur ihr bester Freund Alexej von Jawlensky als Amalias Liebhaber infrage käme. Sie hatte sein ständiges Werben um Amalia in den vergangenen Jahren schmunzelnd und gleichermaßen erstaunt zur Kenntnis genommen, hatte es aber als reines Geplänkel abgetan. Dass Ama seinem Liebeswerben erlegen war, war ihr vollends entgangen. Aber natürlich: Ama war diskret, es bedeutete eine Verletzung ihres Standes als Angestellte. Es war tragisch, dass Alexej nicht nur wegen seiner Flucht abwesend war, denn er war verheiratet und hatte einen vierzehnjährigen Sohn. Aber sie wusste aus eigener Erfahrung, dass nicht das kleinste Argument der Liebeswerbung eines Russen standhalten konnte.
August 1938
Vom Flur aus schaute Amalia in die Wohnstube und hielt inne. Sollte sie Frau Ella stören? Sie saß regungslos und vollkommen in Gedanken versunken mit dem Pinsel in der Hand vor ihrer Staffelei. Als würde auf der weißen Leinwand vor ihr ein Film laufen, der nur für sie sichtbar war.
Plötzlich zuckte sie zusammen. »Komm nur rein, liebe Ama, du störst mich nicht«, sagte sie und wandte sich in Richtung der offenen Tür. »Setz dich doch zu mir, ich sinniere gerade über die alten Zeiten hier in der Kottmüllerallee. Es war so eine heitere Zeit mit Kandinsky und unseren unzähligen Künstlerfreunden, ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnern kannst. Du warst fast noch ein Kind, als dich deine Mutter hierher zum Arbeiten brachte.« Sie strich die Farbe ihres Pinsels ab und wandte sich Amalia zu.
»Frau Ella, das war die aufregendste Zeit in meinem Leben. Alles war neu für mich, Frauen, die malten, Gedichte schreibende und deklamierende Männer, andere tanzten und sangen – eine vollkommen andere Welt, als ich sie kannte.«
»Ich habe nie darüber gesprochen, aber mein größter Wunsch war damals ein Kind von Kandinsky, lieber noch eine ganze Kinderschar, denn wir wollten beide eine Familie gründen. Als ich ihn als junge, behütete und unberührte Frau in seiner Malklasse kennenlernte, faszinierten mich sein Können und seine fachliche Kompetenz. Er erstaunte mich, da er im Gegensatz zu vielen anderen keinerlei Vorurteile gegen mich als Frau und Künstlerin hegte; immer wieder hob er meinen Malstil als eigenständig und eigenwillig expressiv vor den anderen hervor. Er befeuerte mich und meinen Stil, ich arbeitete mit größter Leidenschaft und verfeinerte mein Können immer mehr. Ich wollte mich voll und ganz der Kunst verschreiben, und ohne es selbst zu wissen, habe ich ihm meine Seele geschenkt und ohne Einschränkung alles, was ich geben konnte, in die Waagschale gelegt.« Gabriele schob ihre Hände auf dem Tisch hin und her, als würde sie dort die Erinnerungen ausbreiten.
Während sich Amalia auf den angebotenen Platz setzte, erzählte Gabriele weiter von ihrem damaligen Leben.
Da sie als Frau keinen Zugang zur Akademie hatte, belegte sie Malkurse bei verschiedenen Künstlern. Im Anschluss an einen Aktzeichenkurs bei Kandinsky in München setzte sie ihre Studien mit einem Freiluftmalkurs bei ihm in Kochel am See fort, und dort lud er sie zu einer Fahrradtour ins Murnauer Moos ein. Es war ihr allererstes Rendezvous, sie war aufgeregt wie nie zuvor. Während eines Picknicks gestand er ihr seine Liebe und forderte sie auf, mit ihm zu reisen, um der Welt ihrer beider Malerei zu präsentieren. Sie wies ihn immer wieder ab, denn obwohl ihre Eltern schon früh verstorben waren, hatte sie eine streng katholisch geprägte Erziehung durch ihre ältere Schwester erfahren. Sie hatte ein klares Bild vor Augen, zuerst müsste er um sie werben, anschließend bei ihrem Bruder um ihre Hand anhalten, und erst dann würde sie ihn heiraten und sich ihm hingeben.
Aber schon nach kurzer Zeit konnte sie ihm nicht mehr widerstehen, im Gegenteil, sie war ihm regelrecht hörig. Kandinsky und sie selbst glaubten, sie hätten ihr Verhältnis bestens verheimlicht, jedoch wusste ihr Umfeld sehr schnell Bescheid. Als ihre Schwester sie auf ihr liederliches Verhältnis ansprach, fiel Gabriele aus allen Wolken und versicherte ihr, sie werde in Kürze heiraten, es sei nur noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen.
»Kannst du dir vorstellen, welches böse Erwachen ich erlebte, wie groß mein Schockzustand war, als plötzlich die Russin Anna Tschimiakin in München auftauchte und in Kandinskys Wohnung einzog – als seine Ehefrau?« Gabrieles Stimme erhob sich, und sie fasste sich an den Hals, um tief Luft zu holen. Nach wenigen Sekunden erzählte sie weiter. Sie wollte damals sofort den Kontakt zu ihm abbrechen, aber er überzeugte sie davon, dass seine Ehe mit seiner Cousine nur auf dem Papier bestehe und er sie jederzeit auflösen könne, sie werde keinerlei Anspruch an ihn stellen. Er werde die Scheidung bei nächster Gelegenheit bei einem Aufenthalt in Russland durchführen.
Damit ließ sie sich wieder und wieder hinhalten, sie war ihm schlichtweg verfallen.
Um seiner Frau in München aus dem Weg zu gehen, reisten sie gemeinsam durch die Schweiz, die Niederlande, durch Tunesien und Italien und hielten sich anschließend mehrere Jahre in Paris auf, wo sich Gabriele den Holz- und Linolschnitt und die Pinselmalerei aneignete. Sie sog alles auf, was sich ihr an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten bot, und verfeinerte dabei immer mehr ihren eigenen Malstil.
Als sie 1908 gemeinsam nach München zurückkehrten, zog es beide wieder nach Murnau. Gabriele liebte das besondere Licht des Murnauer Mooses und die Weite des Werdenfelser Landes mit dem Alpenpanorama; allein die Bezeichnung »das blaue Land« faszinierte sie. Sie übernachteten häufig mit ihren Künstlerfreunden Franz und Maria Marc, Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky in Murnau im Gasthof Griesbräu. Kandinsky weckte bei Gabriele die Idee, ein Haus in Murnau zu kaufen, um dort eine Anlaufstelle für ihre Künstlerfreunde zu gründen, er schilderte ihr diese »Künstlerkolonie« in allen Farben. Wie es der Zufall wollte, wurde ihr eine neu erbaute Villa in der Kottmüllerallee vom ortsansässigen Baumeister Steidler angeboten.
Sie verliebte sich auf Anhieb in das schlichte Haus am Hang und entschied sich spontan zum Kauf; das beträchtliche Erbe ihrer früh verstorbenen Eltern machte es ihr möglich. Sie glaubte und hoffte, dass ein gemeinsames Zuhause endlich zur Heirat führen würde, obwohl Kandinsky seine Ehe immer noch nicht gelöst hatte.
Ihr unmoralisches Verhältnis wurde ihr immer mehr von ihrer Familie und sogar von einigen ihrer Malerfreunde vorgeworfen. Erstaunlicherweise bedrängte keiner Kandinsky, der Bigamie betrieb, sondern sie, die frei und heiratswillig war. Sie litt darunter und bat ihn immer wieder, alles Nötige für die Scheidung in die Wege zu leiten. Aber trotz seiner Beteuerung seiner großen Liebe zu ihr fand er immer wieder Ausreden. Vor allem meinte er, dass er für die Abwicklung der Scheidung keine Zeit habe. Alles war wichtiger, er gründete den Neuen Münchner Kunstverein und etablierte wenige Jahre später die Künstlergruppe Der blaue Reiter. Gabriele unterstützte ihn dabei bis an den Rand der Erschöpfung, sogar ihre eigene Malerei vernachlässigte sie.
Im Stillen hegte sie die Hoffnung, schwanger zu werden, dann würde sich alles zwangsläufig von selbst ergeben. Bei diesem Gedanken flammte aber auch sofort die Angst vor den Folgen einer Schwangerschaft auf. Kandinsky war unberechenbar, womöglich würde er sie auf der Stelle verlassen. Er wurde immer herrischer und selbstherrlicher, sein Ansehen in Künstlerkreisen wuchs immens. Sie selbst wurde dagegen bestenfalls als seine Muse betrachtet und, was noch verletzender war: gerade von ihren guten Freunden als seine Handlangerin.
»Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, flohen wir gemeinsam in die Schweiz, denn als Russe war Kandinsky nun Persona non grata.«
Amalia nickte. Sie konnte sich noch gut an diese Zeit erinnern, schließlich hatte sie jeden Tag, den sie seit Gabrieles Abreise wieder bei ihren Eltern auf dem Hof verbringen musste, gehofft, dass ihre Dienstherrin zurückkommen würde. Sie liebte Gabriele, ihre Frau Ella, denn diese hatte ihr Selbstvertrauen geweckt, und Amalia hatte im Münterhaus eine Lebensart erlebt, die sie zu Hause nie kennengelernt hatte. Die Briefe, die ihr Gabriele schrieb, hütete sie wie einen Schatz und las sie wieder und wieder, um die Reisen und Geschehnisse mitzuverfolgen.
Kandinsky unterschrieb Gabriele eine Vollmacht, die es ihr möglich machte, seine Wohnung in München aufzulösen, denn auch seine Frau musste Deutschland verlassen. Anschließend ging er zurück nach Russland. Wochenlang schrieb Gabriele ihm täglich Briefe, seine Korrespondenz dagegen wurde immer zurückhaltender. Manchmal beschimpfte er sie, sie sei ihm eine Last, sie solle ihn einfach freigeben. Dann wieder beschwor er ihre Liebe und versprach Gabriele die Heirat, um ihre gesellschaftliche Stellung, die sie beklagte, wiederherzustellen, aber es wurde nichts daraus.
Gabriele reiste in dieser Zeit nach Stockholm und erfuhr allseits große Wertschätzung der dort lebenden Künstler. Allmählich erlangte sie ihr Selbstbewusstsein zurück, und sie begann wieder mit dem Malen. Gerade zur rechten Zeit, denn als durch den Krieg und die falsche Anlagestrategie ihres Bruders ihr ehemals großes Vermögen erheblich schrumpfte, konnte sie sich mit dem Verkauf ihrer Arbeiten ihren Lebensunterhalt finanzieren. Sie nahm Aufträge für Porträts an, verkaufte ihre Radierungen und Zeichnungen. Als sie 1920 nach München zurückkehrte, war sie als Avantgardistin international sehr geschätzt, im eigenen Land hatte sie dagegen kaum einen Namen.
Drei Jahre vorher hatte Kandinsky den Kontakt vollständig abgebrochen. Die Trennung hatte ihr die Kraft ihres künstlerischen Schaffens geraubt, nur der Zuspruch der Skandinavier half ihr über ihre Tiefpunkte hinweg. Sie hoffte immer noch auf seine Rückkehr, sie beschwor in Briefen ihre Liebe, aber er schwieg. Als sie 1918 zufällig erfuhr, dass Kandinsky frisch verheiratet mit einer Russin war, einen einjährigen Sohn hatte und als Lehrer im Bauhaus in Weimar unterrichtete, platzte ihr Lebenstraum einer großen Familie endgültig.
Sie bündelte ihre riesige Enttäuschung, gepaart mit Wut über sich selbst, und kämpfte nun wieder für sich allein. Als Ersatz für sein Eheversprechen forderte sie seine Werke, die er in München und Murnau zurückgelassen hatte. Sie kämpfte mehrere Jahre dafür und musste von seinem Anwalt übelste Vorwürfe und frauenfeindliche Anschuldigungen ertragen.
Nach einer nicht enden wollenden Zeit und unzähligen Briefen war sie sechs Jahre später am Ziel angekommen: Er hatte ihr die Rechte an den Gemälden übertragen, nur einige wenige aus der Münchner Wohnung hatte sie an ihn zurückgeschickt.
»Vielleicht verstehst du jetzt, Amalia, dass ich damals nicht mehr in Murnau und München leben konnte, erinnerte mich doch alles an meine enttäuschte Liebe, den schmerzlichen Verlust und Kandinsky. Schweren Herzens habe ich damals das Münterhaus geschlossen und dich beauftragt, dich in meiner Abwesenheit um Haus und Garten zu kümmern, es als Ferienunterkunft zu vermieten, sooft es möglich wäre. Du erinnerst dich doch?«
Amalia nickte. Sie hatte sich um alles gesorgt und in Briefen an Gabriele über die leider seltenen Sommergäste als Mieter und die daraus resultierenden kümmerlichen Einnahmen berichtet. Sie arbeitete in dieser Zeit in verschiedenen Gasthäusern in Murnau als Zimmermädchen, Köchin und Bedienung, denn schon damals florierte der Fremdenverkehr in der wunderschönen Umgebung. Weil sie zuverlässig und schnell war und einen souveränen Umgang mit den Gästen an den Tag legte, war sie überall geschätzt und hatte trotz Gabrieles Abwesenheit ein gutes Auskommen.
Nie würde sie die riesige und tief empfundene Freude vergessen, als Gabriele Anfang der Dreißigerjahre mit Johannes Eichner nach Murnau zurückgekehrt war.
Gabriele sah zufrieden aus. »Ich bin so glücklich, dass jetzt ein kleines Kindchen in unser Leben treten wird! Es ist wie die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. Was macht das schon, wenn es nicht mein eigenes ist? Wir sind eine Familie, es wird unser aller Kind werden, du wirst sehen, meine liebe Ama, auch Eichner wird sich an der Erziehung des kleinen Wesens beteiligen.« Sie strahlte, als wäre sie selbst schwanger.
Hinter seiner beherrschten und distanzierten Fassade war Eichner der liebenswerteste und zuverlässigste Mann, den Gabriele jemals kennengelernt hatte, das konnte Amalia immer wieder erleben. Über die Beziehung und die Art ihres Verhältnisses sprachen ihre Arbeitgeber nicht vor anderen, aber die tiefe und innige Übereinstimmung, die so in sich gefestigt war, dass sie auch heftigste Streitgespräche und Meinungsverschiedenheiten vertrug, erfuhr Amalia täglich. Gabriele gab ihr zu verstehen, dass Johannes durchaus wusste, warum sie das Baby hier haben wollte. Mit einundsechzig Jahren sah sie die große Chance, ihrem Leben noch mal eine Wendung zu geben. Gerade jetzt, wo sich die politische Situation täglich zuspitzte – in eine Richtung, die nichts Gutes verhieß.
Ein Kind wäre ihr größtes Glück, sie würde ihm alles geben, was sie bekommen hatte und was sie gern an eigene Kinder weitergegeben hätte. Und sie verfügte über ein Übermaß an Liebe. Das war in ihren Augen das Wichtigste, alles andere würde sich ergeben.
Amalia plagten immer wieder Zweifel, ob das Münterhaus für ihr Kind der richtige Platz wäre. »Frau Ella, soll ich wirklich das Kind hier zur Welt bringen?« Amalia beobachtete Johannes Eichner, der, nachdem sie gemeinsam Tee getrunken hatten, mit gefalteten Händen am Tisch neben ihr saß.
Er schloss kurz die Augen und nickte. »Das ist richtig, liebe Amalia, Gabriele wünscht sich das, und ich schließe mich ihrem Wunsch an.«
Gabriele ergriff seine Hände. »Mein liebster Ei, fühlen Sie sich umarmt. Ich wusste, dass Sie mir zustimmen würden. Besonders in der heutigen Zeit darf man so ein kleines Menschlein nicht in ein Heim geben. Wer weiß, was die gefolgstreuen Braunjacken ihm dort antun würden, man hört nichts Gutes. Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck, ich danke Ihnen von Herzen.« Gabriele hielt es kaum auf der Eckbank, aber sie wusste, Eichner wollte keine körperlichen Gefühlsausbrüche in der Öffentlichkeit, und Amalia gehörte in seinen Augen zur Öffentlichkeit.
Amalias Herz schlug vor Freude etwas schneller, bei nächster Gelegenheit müsste sie zum Herzogstand wandern. Dort hatte sie das Gefühl, Alexej nahe zu sein, sie könnte ihm erzählen, dass sich doch noch alles zum Guten wenden würde. Wo er wohl gerade war? Hoffentlich in Sicherheit, hoffentlich bereits weit weg von Deutschland, wo ihn keiner mehr verfolgte. Hoffentlich war er wieder gesund, denn bei seinem Abschied war er schwer krank gewesen. Er hatte stark abgenommen, seine Haut war gelblich und wächsern gewesen, sein gebeugter und schleppender Gang hatte ihn um zig Jahre altern lassen.
Wenn sie das Kind bei sich behalten würde, müsste sie sich schleunigst um die Ausstattung kümmern. In ihrer Familie gab es eine Wiege, die von einem Neugeborenen zum nächsten weitergereicht wurde. Im Moment waren all ihre Nichten und Neffen aus dem Alter herausgewachsen, und bei keiner ihrer beiden Schwestern, auch nicht bei der Schwägerin, war Nachwuchs in Sicht. Ob ihre Mutter ihr auch die Höschen, Jäckchen und Windeln überlassen würde, wie ihren anderen Töchtern und Schwiegertöchtern? Wenn ihre Mutter erfuhr, dass sie ein uneheliches Kind erwartete … Sie mochte sich die Reaktion gar nicht ausmalen.
Amalia war seit dem Alter von dreizehn Jahren in Gabrieles Haushalt. Im Nachhinein war das für Amalia das größte Glück gewesen, das ihr widerfahren konnte. Zum damaligen Zeitpunkt fühlte sie sich vollkommen ausgeliefert, als würde sie ausgesetzt werden, als sie im Münterhaus vorgestellt wurde. Die hochdeutsche Sprache war ihr nicht geläufig, der Umgangston der Künstler untereinander, das lockere, ungehemmte Leben – alles war ihr fremd und verunsicherte sie. Mit der Zeit jedoch erkannte sie, dass weder Gabriele Münter noch Kandinsky, noch die übrigen Künstler so »spinnert und liederlich« waren, wie die Einheimischen sie immer bezeichneten. Sie waren einfach anders, ein lustiges Völkchen, das sich nichts aus dem Gerede der Leute machte. Sie diskutierten mit dem gleichen Herzblut, wie sie musizierten, tanzten und lachten, und das leibliche Wohl kam auch nie zu kurz. Amalia war von der Malerei fasziniert, von dem, was Gabriele, Kandinsky, Chagall und Franz Marc mit wenigen Strichen und Farbflächen, die noch nicht mal der Wirklichkeit entsprachen, auf die Leinwand zauberten. Sie war fasziniert, wenn ein neues Gemälde entstand.
Staunend und mit weit offenen Augen hatte sie die Arbeit der Künstler verfolgt, soweit es zeitlich während ihrer Arbeit möglich gewesen war. Seitdem hatte sie ihrer Mutter verziehen, im Gegenteil: Sie war ihr jeden Tag dafür dankbar.
Nun müsste sie bald ihre Familie in ihr Geheimnis einweihen, und was da auf sie zukommen würde, konnte sie sich lebhaft ausmalen. Aber alle Vorwürfe würden an ihr abprallen, die Sicherheit des Münterhauses verlieh ihr Kraft. Das waren die Menschen, die sie achteten und liebten – und auch schätzten. Sie waren ihre Ersatzfamilie, an die sie sich ohne Bedenken in jeder Not wenden konnte.
Als im letzten Jahr ihre Mutter von einer Kuh getreten und schwer verletzt worden war, hatte Gabriele sie auf der Stelle nach Hause geschickt, um zu helfen. Amalia versorgte die bettlägerige Mutter, erledigte deren umfangreichen Haushalt und übernahm ihre Aufgaben in der Landwirtschaft. Trotz der nie da gewesenen Intimität durch die ständige Nähe konnte sie den undurchdringlichen Panzer ihrer Mutter nicht lösen. In den Momenten größter Bedürftigkeit versuchte Amalia, die Abwehrhaltung mit der Liebe einer Tochter zu durchdringen, aber als es ihrer Mutter besser ging, war der Harnisch wieder geschlossen worden, fester und undurchdringlicher als je zuvor. Als hätte die aufopfernde Pflege der Tochter sie beschämt. Nach der Genesung kehrte Amalia nach mehreren Wochen vollkommen erschöpft und ausgelaugt zu Gabriele zurück. Diese war so entsetzt über ihren Zustand, dass sie ihr eine Woche lang verbot zu arbeiten. Während sie sich gezwungenermaßen ausruhte, musste Amalia ständig darüber nachdenken, dass ihre Mutter die schwere und auszehrende Arbeit im Haushalt, in den Ställen und auf den Feldern schon über Jahrzehnte hinweg leistete, dazu kamen unzählige Schwangerschaften, darunter waren drei oder vier Babys, die kurz nach der Geburt gestorben waren. Vermutlich auch einige Fehlgeburten, über die keiner sprach. Dass diese Frau hart und unzugänglich wurde, mit jedem Kind und mit jedem Tag mehr, konnte sie nachempfinden. Aber sie konnte nicht verstehen, warum sie von ihr immer wieder zurückgestoßen wurde. Ihre beiden älteren Schwestern und die Brüder, selbst die Schwägerin, die im Haus lebte, wurden von ihr besser behandelt als sie selbst. Obwohl sie jederzeit zur Stelle war, wenn sie sie brauchten. Dass sie beim Heumachen, Kartoffelklauben, Hacken, Säen und Ernten jedes Jahr immer unaufgefordert anreiste, nahm jeder als selbstverständlich hin. Dabei fühlte sie sich immer mehr wie eine Fremde, sie gehörte schon seit Langem nicht mehr dazu. Als sie während der Erntezeit zum Mittagessen Teller verteilt hatte, wie es im Münterhaus üblich war, war sie von der versammelten Familie verspottet worden, denn im Haushalt der Bernreuthers kam ein großer Topf in die Mitte des Tisches, und jeder tauchte seinen Löffel hinein.
Egal, wo und wie Amalia sich anzupassen versuchte, immer wieder wurde sie verhöhnt. Sie hatte sich ein dickes Fell zugelegt, aber die Spitzen ihrer Familie trafen sie in ihrem Innersten. Nur ihr jüngster Bruder Benedikt, der als Unverheirateter noch im Elternhaus wohnte, zwinkerte ihr bei solchen Momenten heimlich zu oder legte ihr seine Hand verstohlen auf den Rücken. Wenn sie mit ihm allein war, tröstete er sie und meinte, es sei der bloße Neid, der die übrigen Familienmitglieder antrieb. Sie solle sich nichts daraus machen und sich drüber freuen, dass sie es nicht täglich erleben musste. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählte er ihr, dass er neben seiner kleinen Schmiede, in der er auch Traktoren reparierte, einen kleinen Hof gekauft habe. Nach der diesjährigen Ernte wolle er umziehen, dann sei er endlich sein eigener Herr. Sie könne ihn dann jederzeit besuchen, ohne die Sticheleien und Beleidigungen der übrigen Familienmitglieder aushalten zu müssen.
Hoffentlich war Benedikt wegen der Schwangerschaft nicht von ihr enttäuscht. Sein Urteil war ihr wichtig, das der anderen machte ihr nichts aus – sie würde es bald wissen.
Mein liebster A,
mit allergrößter Freude kann ich dir mitteilen, dass ich unser Kindlein, das ich im November erwarte, nicht in Pflege oder gar weggeben muss. Frau Gabriele und Herr Eichner haben mir angeboten, dass unser Kind hier im Münterhaus aufwachsen darf. Stell Dir dieses großzügige Angebot vor, ich kann es noch immer kaum glauben.
Die bedrückendste aller Vorstellungen, unser Kind weggeben zu müssen, hat mich täglich tiefer in eine Dunkelheit gezogen, von der ich nicht wusste, dass sie in mir existiert.
Nun ist jedoch das Dunkle dem Licht und der Freude gewichen. Noch heller könnte die Sonne nur strahlen, wenn ich Dich in Sicherheit und wohl genesen wissen würde.
Ich denke jeden Tag an Dich, Dein Gemälde vom Herzogstand ist mir ständige Mahnung, zuversichtlich zu bleiben, wie Du es immer warst.
Ich hoffe, dass Du auf Deiner Reise schon weit gekommen bist, meine Gedanken sind bei Dir!
Deine Dich immer liebende A
September 1938
Amalia war gerade auf dem Weg von der Küche in Gabrieles Zimmer, um den Tee zu servieren, als durch die offen stehende Tür ihr Blick auf Gabriele fiel, die sich mit ihrem Nähkorb und einem kleinen Stapel alter Stoffreste am Tisch ausgebreitet hatte. Amalia blieb stehen und genoss den friedlichen Anblick. Die Sonne schien durch das weit geöffnete Fenster, ein Gemisch aus Summen und Vogelgezwitscher drang herein, die Gardine bewegte sich sanft im leichten Wind. Gabriele sang und summte abwechselnd »Geh aus, mein Herz, und suche Freud«. Sie breitete eine weiße Spitzenbluse auf dem Tisch aus, die sie seit vielen Jahren nicht mehr getragen hatte. Am Saum fehlten rundum schon einige Zentimeter, die hatten im letzten Jahr als Rüsche für eine neue Bluse herhalten müssen. Aus dem übrig gebliebenen Vorder- und Rückenteil sowie den Ärmeln sollte ein Taufkleid für ihr Kindchen entstehen. Nähen und Sticken hatte sie als junges Mädchen gelernt, das gehörte zum guten Ton ihrer Erziehung. Immer wieder legte sie das Maßband an verschiedenen Stellen an, einmal am Ärmel, dann wieder unterhalb der Passe, und machte sich auf einem Zettel Notizen. Falls es ein Mädchen werden würde, sollte sich das Taufkleid später ohne großes Zutun zum Kleidchen verändern lassen. In diesen Zeiten der Knappheit war es wichtig, dass sich etwas weiterverwenden oder umarbeiten ließ, nichts durfte weggeschmissen werden. Gabriele hatte schon mehrmals geäußert, dass sie sicher sei, dass es ein Mädchen werden würde – »unser Töchterlein«. Das war ihr allererster, spontaner Gedanke gewesen, als sie von Amalias Schwangerschaft hörte, und sie verließ sich auf ihr Gefühl.
Während sie die vorher ausgemessenen Teile mit der Schere zuschnitt, klopfte Eichner an der Verbindungstür zum Wohnraum. Seine anerzogene Höflichkeit verbat ihm, ohne Aufforderung ins Zimmer zu kommen.
»Kommen Sie, mein lieber Ei, wollen Sie mir beim Nähen zuschauen? Vielleicht haben Sie noch eine Idee, wie das Taufkleid etwas ganz Besonderes wird. Schauen Sie nur, hier, das wird die Passe, die ich noch besticken werde, aus den Seidenbändern nähe ich die Träger und aus dem Batist der Bluse wird das Röckchen gemacht. Ich glaube, das wird herzallerliebst.« Gabriele plapperte munter weiter, bis er sie mit einem zweimaligen, lauten Räuspern unterbrach und sie zu ihm hochschaute.
»Ich möchte mich kurz besprechen. Es wurde noch nicht alles erörtert, was Amalias Schwangerschaft und Niederkunft betrifft und, was mir besonders Sorgen macht, wie sich die nachfolgende Zeit gestaltet.« Er zog den Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich, ganz aufrecht und den Blick auf Gabriele gerichtet, hin.
Amalia, die immer noch im Flur stand, machte einen Schritt rückwärts in Richtung Küche. Sie hasste es zu lauschen, aber sie musste wissen, wie Herr Eichner zu ihrer Schwangerschaft stand. Sie stellte sich mit dem Tablett in Position, sodass es jederzeit so aussehen würde, als käme sie genau in dem Moment aus der Küche.
»Ich dachte, es sei schon alles gesagt. Sie haben doch meinem Entschluss zugestimmt. Wollen Sie Ihre Zusage wieder zurücknehmen? So kenne ich Sie nicht … ein Eichner, ein Wort?«
»Natürlich nicht. Aber haben Sie die politische und wirtschaftliche Entwicklung, die uns bevorsteht, bedacht? Wir haben schon jetzt sehr wenig zu essen, und wenn es zum Krieg kommt, womit ich unter den derzeitigen Vorzeichen leider rechne, wird es noch weniger werden. Wie sollen wir da zusätzlich ein Kind durchfüttern? Amalia können wir uns eigentlich heute schon nicht mehr leisten und dann noch ein weiteres kleines Persönchen? Mir wird angst und bang, wenn ich daran denke.« Er legte seinen Kopf in die aufgestützten Hände.
Gabriele schob ihre Hand auf seinen Arm. »Wir werden nicht verhungern, im Gegenteil. Denken Sie doch nur, woraus Amalia unser immer äußerst delikates Essen kocht, unser Tisch ist stets reich gedeckt. Sie serviert uns Spinat aus Brennnesseln, Salat mit Löwenzahn und Sauerampfer, bereitet Tees aus den verschiedensten Kräutern und Blättern zu. Sie bringt Kartoffeln und Gemüse von ihrem Acker mit, alles, was sie beim Amalienhäusl anbaut, wandert bei uns auf den Tisch. Und in unserem Garten ist sie ebenfalls unermüdlich dabei, Salat, Gemüse und Beeren zu ziehen. Und selbst ein paar Blümchen für die Seele sind meistens dabei.«
»Das weiß ich und schätze es sehr. Mit großer Wahrscheinlichkeit steuern wir jedoch auf einen Krieg zu, und in solchen Zeiten die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, ist eine wahre Herausforderung. Wie soll es erzogen werden, wo soll es die benötigte Schulbildung erhalten …?«
»Na, ganz einfach, mein lieber Ei«, unterbrach ihn Gabriele, »es wird nicht ein Elternteil haben, sondern drei davon. Das ist doch ein Geschenk des Himmels für ein kleines Menschenkind. Sie, mein Lieber, sind für die schulische Bildung zuständig und übernehmen die Aufgaben eines Vaters, ich selbst werde mich für die musischen Themen engagieren, Amalia für die praktische Ausbildung, und alle gemeinsam werden wir es mit der besten Essenz erziehen, die wir aus eigener Erfahrung zu bieten haben.« Sie reckte ihr Kinn nach vorn und setzte mit ruhigem Ton fort. »Und wenn ein Krieg kommt, können wir nichts daran ändern. Ein Krieg trifft alle gleichermaßen, egal wo und wer wir sind.«
Eichner räusperte sich mehrere Male, als wäre es ihm peinlich, was er sagen wollte.
»Nur raus mit der Sprache, es muss alles gesagt werden. Diskretion ist jetzt nicht gefragt. Ist die Tatsache, dass es das Kind eines Russen ist, für Sie ein Problem?«
»Trefflicher lässt es sich nicht sagen. Ich habe schon gehört, dass uneheliche Russenkinder und deren Mütter ins Arbeitslager geschafft wurden.«
»Amalia wird den Vater nicht angeben, aber bei der blühenden Fantasie der Dorfbewohner könnte es passieren, dass Sie, mein lieber Ei, sich dem Gerücht aussetzen müssen, der Kindsvater zu sein.« Gabrieles Blick ruhte auf ihm, als wäre sie gespannt auf seine Reaktion.
»Es gab schon schlimmere Gerüchte, mit denen ich konfrontiert wurde.«
Amalia, die immer noch im Flur stand, erinnerte sich, wie sich die Leute im Dorf den Mund über das Verhältnis von Gabriele und Herrn Eichner zerrissen hatten, hatte jedoch in den zurückliegenden Jahren nichts mehr davon gehört. Wie hatte ein Freund Gabrieles bemerkt, als er sie besuchte: »Jetzt haben sie eine andere Sau, die sie durchs Dorf treiben.«
»Na, dann sind wir uns doch einig.« In diesem Moment sah es Amalia an der Zeit, dass sie ihren Horchposten aufgab; sicher würde Herr Eichner gleich das Zimmer verlassen. Außerdem begannen ihre Arme durch die Last des Tabletts und der unnatürlichen Haltung zu zittern. Sie trat mit ihrem Teetablett ins Zimmer, dabei sah sie, wie Gabriele Eichner anlächelte.
»Was sagen Sie nun zu dem Taufkleid, liebster Ei?« Sie ließ nicht locker. »Wir wollen uns doch nicht lumpen lassen, oder?«
»Das wird das schönste, was der Murnauer Pfarrer jemals zu sehen bekommt, da bin ich sicher.« Eichner erhob sich und schob seinen Stuhl akkurat unter den Tisch.
»Ich wusste, auf Sie ist Verlass, mein Lieber«, rief Gabriele ihm beim Hinausgehen nach.
Amalia war wieder einmal froh, dass Gabriele vor Jahren in der schwersten Zeit ihres Lebens auf diesen Mann getroffen war. Er hatte sie aus ihrer Depression nach der Trennung von Kandinsky und ihrer daraus resultierenden Unfähigkeit, malen zu können, herausgeholt. Lange hatten die beiden diskutiert, wie und wo sie leben wollten. Eichner hatte es von Berlin nach München gezogen, da er glaubte, Stadtluft zum Arbeiten und Leben zu brauchen. Die Voraussetzung für seinen Entschluss, doch in Murnau zu leben, war der Um- und Ausbau des Hauses gewesen, damit jeder von ihnen seinen eigenen Lebensbereich hatte. Er hatte den Raum unter dem Giebel für Amalia ausbauen lassen, der demnächst auch Platz für ihr Baby bieten würde. Sie hatten bereits beschlossen, dass sie ihr eigenes kleines Häuschen wie bisher weitervermieten würde, so verfügte sie über eine zusätzliche kleine Einnahmequelle. Wenn es hart auf hart käme, würde sie auch im Münterhaus ohne Bezahlung arbeiten, das stand für Amalia längst fest.
»Amalia, ich fühle mich so leicht und beschwingt. Der Gedanke, dass hier ein Kind einziehen wird, lässt alles in einem goldenen Licht erscheinen. Es ist, als hätten wir eine glänzende, leuchtende Zukunft vor uns.«
Amalia nickte ihr lächelnd zu, ihr fiel dazu keine Antwort ein. Wenn sie doch auch alles in einem goldenen Licht sehen könnte. Ihr erschien die Zukunft ziemlich grau und düster, nicht selten sogar bedrohlich dunkel.
Amalia war nun schon den vierten Tag bei den Eltern auf dem Hof, um bei der Kartoffelernte zu helfen. Die vollzählige Familie, ihre Schwestern mit den Ehemännern, ihre Schwägerin, Benedikt, ihre Nichten und Neffen und sie selbst saßen dicht gedrängt um den Küchentisch. Gerade wischte ihr Vater mit einem Brotkanten den letzten Rest des Gemüseeintopfs am Topfboden aus und schob ihn bedächtig in den Mund. Bestimmt hätte jeder gern noch mehr gegessen, aber mehr gab es nicht, denn auch die Bauern mussten mit ihren Vorräten haushalten. Die nächste Mahlzeit war erst am Spätnachmittag in Sicht, wenn die Mutter wie jeden Tag eine Brotzeit zum Kartoffelacker bringen würde. Aber auch dann würden die Brote mit einer dünn aufgekratzten Schmalzschicht den Hunger, der ein ständiger Begleiter der Erwachsenen und Kinder war, nur notdürftig stillen.
Amalia war schon länger mit dem Essen fertig, nicht etwa weil sie satt war, sondern weil ihr Kloß im Hals immer größer wurde und sie selbst die dünne Suppe kaum schlucken konnte. Heute, am letzten Tag der Kartoffelernte, wollte sie ihnen sagen, dass sie schwanger war, denn heute waren ausnahmslos alle da, damit die Ernte vor dem angekündigten Dauerregen eingeholt werden konnte.
»Na, Mali, hat’s dir nicht g’schmeckt, weil’st scho’ fertig bist«, keifte ihre Schwägerin Vroni, die die Suppe gekocht hatte. »Bist wohl Besseres g’wohnt, sauber g’nährt schaust’ ja allemal aus. Lässt es dir wohl gut gehen bei der Münterin. Man kann’s kaum glauben, dass ihre Farbkleckserei heutzutage noch Geld bringt.«
»Im Gegenteil, gut war’s. Aber wenn wir schon beieinandersitzen, hätt’ ich euch was Wichtiges zu sagen.« Amalia räusperte sich, der Kloß im Hals wurde noch mal größer. »Ich …« Sie holte tief und laut hörbar Luft. »… ich sag’s einfach gradraus, ich bin in anderen Umständen, in sechs Wochen kommt mein Kind zur Welt.« Nun war es gesagt, und sie wagte nicht, den Blick zu heben. Der Brotkrumen vor ihr auf dem Tisch ließ ihren Blick nicht mehr los. Die plötzliche Stille wirkte wie ein Signal, selbst die Kinder verstummten, denn sie hatten die unheilvolle Spannung schnell erfasst, die von den Erwachsenen ausging.
»Do legst di nied’r …« Ihr Vater schüttelte den Kopf, klopfte mit der Faust auf den Tisch und stand abrupt auf. Der Stuhl kippte nach hinten. »Und du traust dich noch an unsern Tisch. Dass du dich ned schamst.« Er verließ die Küche, die Tür fiel krachend ins Schloss.
»Du liederliches Weibsbild, kannst’ uns denn gar nix erspar’n? Ich hab’s ja gleich g’wusst, der Münterhaushalt mit dem Eichner, das tut nicht gut. Treibt er’s gleich mit zwei Weiberleit, der feine Herr?«
Amalia war entsetzt. »Was hast du bloß für eine krude Fantasie, Vroni? Ich muss mich gar für dich schämen.«
»Die Einzige, die sich schämen muss, bist du. Irgendwie ist des Kind ja g’macht word’n, oder ist es etwa eine unbefleckte Empfängnis? Und noch dazu in deinem Alter, so eine Schand’, so eine Schand’!« Ihre Mutter verbarg das Gesicht in ihrem Brusttuch, als würde sie weinen. Aber Tränen hatte ihre Mutter nicht, zumindest hatte Amalia sie noch nie weinen sehen.
Benedikt, der neben ihr saß, legte ihr seine Hand auf den Rücken, unsichtbar für die anderen. Seine Hand strahlte eine Wärme aus, die ihr Kraft gab. Gerade in diesem Moment bewegte sich das Baby, und sie legte intuitiv die Hände auf ihren Bauch. Das erinnerte sie daran, dass es nur um ihr Kindchen ging, dass es ihm gut gehen sollte, alles andere konnte ihr egal sein. Sie beschloss, sich nicht weiter beschimpfen zu lassen.
»Jetzt, wo ihr’s wisst, könnt ihr euch gleich euer Maul zerreiß’n. Ich würde nur gern wissen, ob ich die alte Wiege, die Windeln und die Jackerl mitnehmen kann. Es war ja bisher für jedes Kind in der Familie da.«
»Ich glaub’s gleich, Mali. Für so einen Bankert ist das nicht gedacht, wir sind rechtschaffene Bauersleut. Ist sicher das Kind von so am feinen Künstler, der im Russenhaus ein und aus geht. Da kriegst du doch sicher alles, was du brauchst.« Vroni, die Frau ihres ältesten Bruders und Hoferben, antwortete anscheinend stellvertretend für alle, denn keiner widersprach.
Amalia schaute jeden an, aber keiner senkte seinen Blick, die Ablehnung sprach aus allen Gesichtern. »Und dass du’s gleich weißt, brauchst hier nimmer mitarbeiten, zum Schluss passiert noch was, und wir sind dran schuld.«
Amalia erhob sich langsam, dabei stützte sie sich mit beiden Händen auf dem Tisch auf, denn die schwere Arbeit auf dem Feld hatte ihr körperlich arg zugesetzt. Sie richtete sich auf und hob den Kopf. »Wenn das alles ist, was ihr zu sagen habt, dann gehe ich jetzt. Grüß Gott miteinander.« Sie sprach den letzten Satz bewusst und besonders betont in Hochdeutsch. Als wollte sie ihnen vor Augen führen, dass sie wirklich anders war als sie.
Erst als sie außer Sichtweite des Hofes war, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sie hatte damit gerechnet, beschimpft zu werden, aber dass sie sie auf der Stelle hinausschmissen! Und keiner ihrer Brüder oder Schwestern hatte etwas dazu gesagt, sie hatten sich Vroni mit ihrem Schweigen angeschlossen. Besonders Benedikt – von ihm war sie am meisten enttäuscht. Was half es, wenn er immer nur heimlich auf ihrer Seite war, er hätte auch mal für sie Stellung beziehen können.
Sie lief in Richtung ihres Häuschens. Auf dem kleinen Feld, das sich an den Garten anschloss, hatte sie für das Münterhaus Kartoffeln angebaut, die mussten ebenfalls vor dem angekündigten Regen geerntet werden. Gut, wenigstens hatte sie nun dafür mehr Zeit als gedacht. Aus dem kleinen Stall, in dem früher eine Kuh und zwei Schweine standen, holte sie eine breite Hacke, mit der sie die Erde um die Kartoffelpflanzen lockerte, um die Knollen leichter aufsammeln zu können. Das fiel selbst einer nicht schwangeren Frau nicht leicht, für eine mit dickem Leib bedeutete es absolute Schwerstarbeit, und schon nach kurzer Zeit zog sich ihr Bauch zusammen und wurde hart. Sie atmete reflexartig tief ein und aus und wartete ab, bis der Krampf sich wieder löste. Sie musste weitermachen, denn sie waren im Münterhaus auf ihre Kartoffeln angewiesen. Nichts durfte verloren gehen, selbst die allerkleinsten Kugeln wurden als Saatkartoffeln für das kommende Jahr aufgesammelt. Aber nach wenigen Minuten kam der Krampf wieder, noch stärker und andauernder als der vorherige.
Gerade als sie wieder die Hacke ansetzte, rief jemand von Weitem. »Mali, bist du narrisch, des kannst doch nicht machen, willst du dich und des Kinderl umbringen?«
Sie drehte sich um und sah, wie Benedikt mit großen Schritten auf sie zulief.
»Wie sollen sonst die Kartoffeln aus der Erde kommen?«
Benedikt riss ihr die Hacke aus der Hand. »Das ist schwere Männerarbeit, und daher schon dreimal nichts für eine Frau in and’re Umständ’. Jetzt holst’ an Korb, und wir sammeln die Erdäpfel auf, die schon aufg’hackt sind. Ich frag, ob ich vom Brandlerbauern den Traktor mit dem Kartoffelernter krieg. Dann erledig’ ich morgen die restliche Ernte.«
Benedikt trug die gesammelten Kartoffeln zum Lagern in den Schuppen. »Ich will dich nimmer mit der Hacke rumwerkeln seh’n, ein für alle Mal.«
»Ich dank dir, Benedikt. Ich hab schon geglaubt, du hätt’st mich auch verdammt. Gesagt hast’ ja nichts … wie alle anderen.«
»Was glaubst du denn von mir? Wenn ich was gesagt hätte, wär’s noch schlimmer g’worden für dich. Ich bin still und mach, was ich für richtig halt’. Ich muss das keinem gegenüber rechtfertigen. Ich halt’ zu dir, darauf kannst du allweil vertrauen. Und jetzt bring ich dich zum Münterhaus. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass ich bald mein’ eig’nen Hof hab’ und in Zukunft nicht mehr mit der Vroni unter einem Dach leben muss.«
Amalias Tränen liefen erneut, als er sie, am Arm eingehakt, nach Hause brachte. Aber aus Freude und Glück, dass ihr Bruder sie nicht allein ließ.
Oktober 1938
Amalia trug gerade das Frühstücksgeschirr ab, und Eichner las in der Zeitung. »Mein lieber Ei, beste Ama, wir müssen wegen der Gemälde von Kandinsky etwas unternehmen. Ama, bitte setze dich zu uns und trinke noch einen Tee. Das tut dir sicher gut. Außerdem musst du auch Bescheid wissen, denn bei meinem Plan müssen wir alle zusammenarbeiten.«
Amalia kam mit ihrem Haferl aus der Küche zurück und goss sich Tee ein. Sie setzte sich auf die Kante des Stuhls, denn es fühlte sich irgendwie falsch für sie an, dass sie zu einer Besprechung zwischen Herrn Eichner und Gabriele dazugebeten wurde.
»Ich muss die Gemälde von Kandinsky, Chagall, Werefkin und Jawlensky, die seit vielen Jahren in München in der Halle eines Spediteurs lagern, in Sicherheit bringen. Das ist mir in den letzten Wochen und Tagen immer klarer geworden. Sollten sie den Nazis in die Hände fallen, wären sie für immer verloren. Alle meine Künstlerfreunde wurden als entartet eingestuft, nur ich selbst bin mithilfe meines lieben Ei dieser Kategorisierung entgangen.«
»Aber Mü, wie stellen Sie sich den Transport vor. Wir haben kein Automobil und auch keine anderen Transportmöglichkeiten, und in der Bahn würden wir großes Aufsehen erregen.«
»Es sind sehr viele Bilder, und wir müssen alle auf einmal hierherschaffen. Ich habe einen Plan für den Transport, allerdings immer noch keine Idee, wo wir die Bilder verstecken könnten.« Gabriele erklärte, dass sie alles schon sehr detailliert ausgearbeitet hatte. Ein Bauer aus Murnau, der sein Gemüse regelmäßig auf dem Wochenmarkt in München verkauft, sollte auf dem Rückweg die Gemälde mitnehmen. Sie hatte ihm erzählt, dass sie einige Teppiche aus dem Lager von München nach Murnau schaffen wolle. Das größte Risiko wäre eine Kontrolle unterwegs, was immer häufiger durch Bürgerwehren und natürlich auch durch die Polizei geschah. Aber dieses Risiko mussten sie eingehen.
»Wo bringen wir die Gemälde unter? Es müsste ein unauffälliger, ganz normal wirkender Platz sein, wie er in jedem Haus oder jeder Scheune zu finden ist.«
Gabriele schaute Eichner und Amalia mit gerunzelter Stirn an, die beide noch gedanklich damit beschäftigt waren, sich einen problemlosen Transport von München nach Murnau vorzustellen. Dass Eichner angestrengt nachdachte, war wie immer an seinem mehrmaligen Streichen über seinen Schnauzer zu sehen, dazwischen räusperte er sich wiederholt.
»Ist nicht der sicherste Ort für ein Versteck die Aufbewahrung außerhalb des Hauses? Sollten die Gemälde dort entdeckt werden, kann uns keiner damit in Verbindung bringen.«
»Ach, mein lieber Ei, die Idee ist an sich gut. Aber wir müssten immer wieder nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Selbst das könnte einen aufmerksamen Beobachter veranlassen, nachzusehen und uns anzuschwärzen.«
»Wie wäre es unten im Keller?«, meldete sich Amalia zu Wort. »Unter der Treppe ist ein Verschlag, den ich kürzlich durch Zufall entdeckt habe. Wir könnten Regale mit Eingemachtem davorschieben, dann vermutet niemand etwas dahinter.«
»Ama, das klingt gut. Gehen wir doch gleich runter und schauen, ob sich das arrangieren lässt.«
Zu dritt standen sie unter der Kellertreppe. Amalia zog eine Holzwand nach vorn, die genau unter den hölzernen Treppenstufen eingepasst war. Dahinter kam die unverputzte Hausmauer zutage. Amalia demonstrierte, wie sie sich das Versteck vorstellte, und Gabriele war begeistert. »Diese Lösung ist so einfach, kein Mensch würde hier etwas Wichtiges verstecken. Ama, du bist einfach ein praktischer Mensch, wir denken viel zu kompliziert. So machen wir’s. Nächste Woche am Dienstag ist Markttag im Münchner Stadtteil Bogenhausen, und am Abend bringen wir hier alles unter.«
So klar und einfach, wie Gabriele ihr Vorhaben äußerte, hatte sie es zwar geplant, aber ihre Bedenken, ob es wirklich klappen würde, wankten täglich mehrere Male zwischen Zuversicht und Verzagen. Das Risiko, erwischt zu werden, war immens. Die Polizei und die vielen Gruppen, die im Auftrag des selbst ernannten Schutzes der Bürger im Sinne des Nationalsozialismus unterwegs waren, würden sie auf der Stelle ins Gefängnis befördern, und den Bauern mit dazu. Er hatte sich die Fuhre von Gabriele gut bezahlen lassen, die Hälfte vorweg, den Rest würde er bei Abholung des Anhängers vor dem Münterhaus am Tag nach der Aktion erhalten. Er wollte nicht wissen, was er transportierte, aber dass es nicht nur Teppiche waren, wie Gabriele ihm erzählt hatte, konnte er sich selbst zusammenreimen, dazu war der Preis, den Gabriele ihm bezahlte, zu hoch.
Je näher der Tag heranrückte, umso nervöser wurden die drei Hausbewohner.
Am Montagnachmittag saßen Gabriele und Amalia in der Wohnstube, beide versuchten, sich mit Strick- und Flickarbeiten zu beruhigen. Als Eichner das Zimmer betrat, sprang Gabriele auf. »Sie machen jetzt hoffentlich keinen Rückzieher, mein Lieber? Sie wissen, dass ich Sie brauche, allein schaffe ich das nicht.« Sie bestürmte ihn, ohne dass er irgendetwas gesagt hätte.