Die Tote im Mena House - Erica Ruth Neubauer - E-Book
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Die Tote im Mena House E-Book

Erica Ruth Neubauer

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Beschreibung

In der Welt der Reichen und Schönen ist nicht alles Gold, was glänzt …
Jane Wunderly stolpert mitten in ihren ersten Fall, von der Gewinnerin des Agatha Awards Erica Ruth Neubauer

Jane Wunderly und ihre Tante Millie besuchen das Mena House Hotel – ein Luxus Resort, das der High Society aus der ganzen Welt erlaubt, hier die Nachwirkungen des ersten Weltkriegs zu vergessen und die Alkohol Prohibition zu umgehen. Die charmanten Gäste des Hotels sorgen bei Jane für Zerstreuung – allen voran der mysteriöse Banker Mr Redvers. Doch auf den scheint es auch die attraktive Anna Stainton abgesehen zu haben und stellt gleich zu Beginn klar, dass sie das Rampenlicht mit niemandem teilt. Als ausgerechnet Jane es ist, die bald darauf Annas Leiche findet, steht sie schnell im Zentrum der polizeilichen Ermittlungen. Schafft sie es, ihre Unschud zu beweisen und herauszufinden, wem der Hotelgäste sie trauen kann und wer mehr als nur ein dunkles Geheimnis zu verbergen hat?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord im Mena House.

Erste Leser:innenstimmen
„Spannender Krimi in traumhafter Kulisse – eine absolute Empfehlung!“
„Ich habe sehr mit der in Verdacht geratenen Jane mitgelitten und konnte das E-Book deshalb kaum aus der Hand legen.“
„Eine äußerst spannende Whodunit-Geschichte.“
„Das Mena Hotel und Ägypten als Handlungsort sowie die tolle Protagonistin haben den besonderen Charme dieses Cosy Krimis ausgemacht.“
„Ich liebe die Roaring 20s und habe dieses Cosy Mystery daher sofort verschlungen.“
„Sehr spannend und mit einem Ende, das ich nicht vorhergesehen habe!“

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Seitenzahl: 437

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Über dieses E-Book

Jane Wunderly und ihre Tante Millie besuchen das Mena House Hotel – ein Luxus Resort, das der High Society aus der ganzen Welt erlaubt, hier die Nachwirkungen des ersten Weltkriegs zu vergessen und die Alkohol Prohibition zu umgehen. Die charmanten Gäste des Hotels sorgen bei Jane für Zerstreuung – allen voran der mysteriöse Banker Mr Redvers. Doch auf den scheint es auch die attraktive Anna Stainton abgesehen zu haben und stellt gleich zu Beginn klar, dass sie das Rampenlicht mit niemandem teilt. Als ausgerechnet Jane es ist, die bald darauf Annas Leiche findet, steht sie schnell im Zentrum der polizeilichen Ermittlungen. Schafft sie es, ihre Unschud zu beweisen und herauszufinden, wem der Hotelgäste sie trauen kann und wer mehr als nur ein dunkles Geheimnis zu verbergen hat?

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Mord im Mena House.

Impressum

Erstausgabe 2020 Überarbeitete Neuausgabe Juni 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-792-2 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-720-5

Copyright © 2020 by Erica Ruth Neubauer Titel des englischen Originals: Murder at the Mena House

Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NY USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Mord im Mena House (ISBN: 978-3-96087-973-2).

Übersetzt von: Lennart Janson Covergestaltung: Grit Bomhauer unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © RK1979, © Stephen Mulligan, © Sk_Advance studio, © Evgeny Karandaev, © Jones M, © Gannie, © Soran Shangapour, © DG-Studio, © nasidastudio Korrektorat: KoLibri Lektorat

E-Book-Version 04.07.2023, 17:04:29.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Die Tote im Mena House

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Die Tote im Mena House
Erica Ruth Neubauer
ISBN: 978-3-98637-720-5

In der Welt der Reichen und Schönen ist nicht alles Gold, was glänzt …Jane Wunderly stolpert mitten in ihren ersten Fall, von der Gewinnerin desAgatha AwardsErica Ruth Neubauer

Das Hörbuch wird gesprochen von Dagmar Bittner.
Mehr Infos hier

Kapitel 1

Ägypten 1926

Wenn man ein exotisches Ziel für eine Reise aussucht, ist es ratsam, einen Ort zu wählen, an dem nicht schon die Luft versucht, einen umzubringen. Ich würde versuchen, mir das fürs nächste Mal zu merken.

„Jane, du siehst ja schrecklich aus bei dieser Hitze. Du tropfst geradezu.“

Die Lippen meiner Tante Millie kräuselten sich, aber dann verzog sie die Mundwinkel zu einem leichten, selbstgefälligen Lächeln. Sie sah aus wie ein frisches Betttuch von der Leine, sie glänzte nicht einmal. Ich seufzte innerlich.

„Mir war nicht klar, wie heiß es zu dieser Jahreszeit noch sein würde.“ Ich betrachtete die langen, breiten Blätter der Ventilatoren über mir, die sich gemächlich drehten. Ich befand, dass sie eher zum Schein dort hingen, als dass sie tatsächlich die stickige Luft bewegten.

Millie rümpfte die Nase und beobachtete wieder die Bar, einen Whiskey-Longdrink fest in einer Hand und mit leicht verschmiertem Lippenstift, der sich jetzt auch als korallenroter Abdruck am Rand des Glases wiederfand. Bei unserer jüngst erfolgten Ankunft im Mena House Hotel hatte ein Drink ganz oben auf der Tagesordnung meiner Tante gestanden; irgendein Drink, solange er ein wenig besser war als das faulige Badewannengesöff aus unserer Heimat.

Die Prohibition war der Erzfeind meiner Tante.

Da Millie versorgt war, entschuldigte ich mich, um mir selbst einen Drink zu besorgen. Ich schlängelte mich durch die anwesenden Gäste bis zur Bar und lehnte mich an das polierte Holz. Es tat gut, nach stundenlanger Reise stehen zu können, und ich streckte mich heimlich, während ich auf meinen Gin Rickey wartete.

Nach wenigen Augenblicken erschien der junge Barkeeper mit meinem Drink an meiner Seite. Ich hoffte, die kühle Limette und der erfrischende Sprudel würden mir den sandigen Staub der Reise aus dem Mund spülen. Meine Tante hatte uns kaum Zeit gelassen, in unseren Zimmern anzukommen, ehe sie mich runter zur Bar gehetzt hatte.

Es hatte nicht einmal dafür gereicht, einen Blick auf die Cheopspyramide zu erhaschen, die, soweit ich wusste, direkt außerhalb dieses Hotels stand.

Ich beobachtete unsere Mitreisenden an der Bar und hielt mich davon ab, meinen Drink in einem Schluck hinunterzustürzen. Ich war ausgetrockneter, als ich gedacht hatte.

„Mrs Wunderly, nehme ich an?“ Das tiefe, angenehme Rumpeln unterbrach meine Betrachtung der mich umgebenden Szene und erschreckte mich beinahe zu Tode.

Ich wandte mich dem breitschultrigen Besitzer des vornehmen, britischen Akzents zu, der mich angesprochen hatte. Als der Blick meiner haselnussbraunen Augen auf seine dunkle, schokoladenbraune Iris fiel, raste ein elektrischer Stoß meine Wirbelsäule hinunter, ehe ich diese Reaktion unterdrücken konnte. Bleib hart. Für schöne Männer hatte ich nichts übrig.

Er überragte mich, und ich war nach modernen Maßstäben keine kleine Frau. Ich betrachtete ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue und fragte mich, wie er vor jeglicher Bekanntmachung meinen Namen herausgefunden hatte. Vielleicht beherrschte er Magie. Ein weiteres Schaudern kitzelte meine Wirbelsäule.

„Sie haben also meinen Namen aus dem Hut gezogen. Werden Sie heute Abend noch weitere Zaubertricks vorführen? Wollen Sie vielleicht eine Münze aus meinem Ohr ziehen? Ich könnte tatsächlich eine gebrauchen, um für diesen Drink zu bezahlen.“

Einer seiner Mundwinkel zog sich nach oben. „Ihre Tante erwähnte Sie, als sie sich mir gerade vorstellte.“

„Das ging schnell“, murmelte ich und verfluchte meine Unaufmerksamkeit. Ich war ganz und gar nicht überrascht davon, dass meine Tante ihn ausgemacht und dann herübergeschickt hatte – erst recht, als sie bemerkte, dass er keinen Ehering trug. Ich verfluchte mich, weil das auch mir aufgefallen war. Ich war nur überrascht davon, dass sie es so schnell geschafft hatte. „Es wird keine weiteren Zaubertricks geben.“

„Nun, das ist enttäuschend.“

„Das Einzige, was ich Ihnen für diesen Verlust anbieten kann, ist ein weiterer Drink.“

„Ich schätze, das wird reichen müssen.“

Ein breites Lächeln erhellte sein ohnehin schon schönes Gesicht. Ich schüttelte mich und hielt mir einen ernsten Vortrag über die Tücken der Männer, während er sich umdrehte und dem Barkeeper ein Zeichen gab. Er bestellte mir einen weiteren Gin Rickey und ein Glas Wasser für sich.

Dieses Mal war der Drink großzügig gemixt. Zu großzügig. Ich würde langsam trinken müssen oder mich sturzbetrunken unter einem Tisch wiederfinden.

„Sie trinken nicht?“ Ich betrachtete sein Wasserglas. Winzige Tropfen aus Kondenswasser bahnten sich von der Stelle, an der seine langen Finger geruht hatten, ihren Weg hinunter zur Bar.

„Nach einem langen Tag in der Sonne“, sagte er, „scheint es mir sicherer, bei Wasser zu bleiben.“

„Ich verstehe.“ Ich hielt inne und musterte ihn für einen Augenblick. „Und in welchem Metier arbeiten Sie, Mr ...“ Mir wurde plötzlich bewusst, dass er sich nicht vorgestellt hatte.

„Redvers. Nennen Sie mich Redvers.“ Er zeigte mir ein schelmisches Grinsen, als meine Augenbrauen aufwärts wanderten.

„Und was arbeiten Sie ... Mr Redvers?“

„Ich bin im Bankwesen.“

Es beschämt mich, das zu sagen, aber ich brach in Gelächter aus. Er wirkte leicht erschrocken, als ob er plötzlich in der Öffentlichkeit einem geistig instabilen Verwandten begegnet wäre. Einige Köpfe wandten sich in unsere Richtung.

„Es tut mir leid.“ Ich bekam mich wieder unter Kontrolle und versetzte mir in Gedanken einen Tritt für mein unhöfliches Verhalten. „Für einen Banker sehen Sie einfach zu gefährlich aus.“

Und das tat er. Sein Anzug war aus feinem Leinen und perfekt auf seine athletische Figur zugeschnitten. Selbst mein ungeübtes Auge konnte erkennen, dass er maßgeschneidert und teuer war. Sein dunkles Haar war beinahe ordentlich angelegt, wie es gerade in Mode war, aber seine dicken, lockigen Strähnen machten ihm das Zähmen schwer. Er war voller Energie und Bewegung. Und das wolfsgleiche Grinsen, das er mir jetzt schenkte, gab mir, zusammen mit der aufblitzenden Intelligenz in seinen braunen – beinahe schwarzen – Augen, den Eindruck, dass dieser Mann definitiv nicht hinter einem Schreibtisch gefangen war und Geld zählte.

Wir unterhielten uns freundlich, bis mich eine kurze Flaute in der Konversation dazu veranlasste, ihm einen Ausweg anzubieten: „Wissen Sie, Mr Redvers, wenn Sie heute Abend noch weitere Verpflichtungen haben, verstehe ich das sehr gut. Ich weiß, dass meine Tante sehr überzeugend sein kann, aber ich möchte Sie nicht aufhalten.“

Es war an ihm, mich zu mustern. „Ich gebe zu, dass ich mich Ihnen auf Vorschlag Ihrer Tante vorstellte, aber ich bin hier ganz glücklich.“

Ich zuckte mit den Schultern. Entgegen besserem Wissen genoss ich seine Gesellschaft und war nicht völlig dagegen, sie auszudehnen. Aber ich wollte ihm auch keinen falschen Eindruck vermitteln. Obwohl ich jenseits dessen war, was die Gesellschaft als die besten Jahre ansah, hatte ich einige Angebote abweisen müssen, seit ich zur Witwe geworden war; und manche der Männer hatten die Zurückweisung nicht sehr würdevoll aufgenommen. Ich suchte nicht mehr als eine angenehme Unterhaltung.

Das rief ich mir wiederholt ins Gedächtnis.

Aber Mr Redvers hatte einen scharfen Humor – etwas, das ich zu Hause schmerzlich vermisst hatte. Die Gesellschaftskreise, in denen Millie sich bewegte, waren, höflich ausgedrückt, bieder. Die Familie meines Vaters war solide obere Mittelschicht. Aber seit Millies High-Society-Hochzeit, und später meiner eigenen, war es unvermeidbar, zusammen mit ihr in die höheren Schichten der Gesellschaft hineingezogen zu werden. Allein der Gedanke an diese schicklichen Kreise ließ mich vor Langeweile die Augen verdrehen.

Redvers’ Blick richtete sich auf etwas hinter meiner Schulter und plötzlich wirkte er zaghaft. „Aber ich fürchte, ich muss mich für einen Augenblick entschuldigen. Ich bin bald zurück.“

Ich hob die Augenbrauen, aber entschuldigte ihn anstandslos. Ich fragte mich, was – oder wer – ihn abberufen haben konnte, kurz nachdem er sein Bleiben angekündigt hatte.

Ich wandte mich wieder der prüfenden Betrachtung des Raumes zu.

Wenige Augenblicke später spürte ich eine Präsenz hinter mir und wandte mich um. Ich sah mich einem britischen Gentleman mit Schnauzbart gegenüber, der sich auf einen hölzernen Gehstock stützte. Als er seine breiten Hände bewegte, erhaschte ich einen Blick auf den Messinglöwenkopf, der auf der Spitze des Mahagonistockes saß. Er wirkte gleichzeitig wild und solide.

„Guten Abend, meine Liebe.“ Er lächelte liebenswürdig. „Hatten Sie schon Erfolg auf der Suche nach Erfrischung?“

Ich lächelte ihn an. Sein Auftreten ließ mich umgehend entspannen. „Gegenwärtig bin ich versorgt, und der Barkeeper war recht aufmerksam.“

„Exzellent.“ Er begegnete dem Blick des jungen Mannes. „Einen Sherry, wenn Sie so gut wären.“ Er wandte sich zu mir und streckte eine Hand aus. „Colonel Justice Stainton, zu Ihren Diensten.“ Seine abgehackten Vokale und die aufrechte Haltung hätten auch ohne den Titel seinen militärischen Hintergrund verraten.

„Jane Wunderly.“ Ich schüttelte seine Hand. Auf meinen festen Griff hin weiteten sich seine blauen Augen leicht, und mein Lächeln wurde als Antwort breiter.

Er räusperte sich. „Was führt Sie ins Mena House, Miss Wunderly?“ Laut gesellschaftlicher Gepflogenheiten wäre „Mrs“ die korrekte Anrede gewesen, aber ich machte mir nicht die Mühe, ihn zu korrigieren. Ich würde lieber heiße Kohlen fressen, als meinen Witwenstatus mit Freunden zu besprechen, ganz zu schweigen von Fremden. Und ich war es leid, das Mitleid zu ertragen, das damit einherging, den Ehemann im Weltkrieg verloren zu haben. Noch mehr fürchtete ich die Menschen, deren falsche Sorgen nur ihre Lust am Drama maskierten. Der Colonel erweckte bei mir nicht diesen Eindruck, aber schlafende Hunde, und so weiter.

„Meine Tante und ich reisen zusammen.“ Ich deutete mit der freien Hand auf Millie, die mich nicht bemerkte, aber recht zufrieden wirkte, jetzt, da sich wieder ein voller Drink in ihrer Hand befand. Hochwertige Spirituosen und warmes Klima waren Millies einzige Forderungen gewesen, als sie vorgeschlagen hatte, dass ich sie auf eine Reise begleiten sollte – auf ihre Kosten natürlich. Und obwohl ich ebenfalls die Aussicht zu schätzen wusste, einen Gin genießen zu können, ohne zu erblinden, war ich eher deshalb überaus begeistert, weil ich mir den Lebenstraum erfüllen konnte, die Pyramiden zu sehen. „Und Sie?“

„Ich wollte meiner Tochter Anna zeigen, dass es in der Welt mehr gibt als Partys in London und junge, reiche Männer.“ Ein ironisches Lächeln bog die Enden seines Zwirbelbarts nach oben, als er in Annas Richtung nickte, die an einem Drink nippte und die Menge beobachtete. Ihr messingblonder Bob leuchtete im sanften Licht der Bar, obwohl er diese spröde Qualität an sich hatte, die mit dem zu häufigen Gebrauch von Peroxid einherging. Ihre jungenhafte Figur eignete sich perfekt, um die aktuelle Mode zur Schau zu tragen. Selbst aus der Entfernung konnte ich sehen, dass das üppig mit Perlen besetzte – und kurze –, marineblaue Kleid echte Couture war.

Ich musste zugeben, dass ich einen kleinen Stich des Neides verspürte, als ich sie betrachtete. Meine Figur passte viel besser in eine Ära, in der man gut gepolsterte Kurven schätzte – Millie hatte (mehr als einmal) erwähnt, dass ich mir vielleicht eines dieser leichten Korsetts zulegen sollte, um meine Kurven in eine modischere Form zu bringen. Der aktuelle Trend zu Kleidern mit tiefer Taille sah schrecklich aus, wenn man nicht gerade die Statur eines Lutschers hatte – oder bereit war, sich in diese Form zu pressen.

Ich genoss das Atmen viel zu sehr, um so etwas auszuprobieren.

Ich wandte mich wieder dem Colonel zu und erwiderte sein Lächeln. „Sie ist reizend.“ Stolz erhellte das Gesicht des Colonels. „Und ich schätze, reiche, junge Männer sind besser als die Alternative.“ Er kicherte und unsere oberflächliche Konversation wandte sich bald unserem gemeinsamen Interesse an historischen Schauplätzen und aktuellen Ausgrabungen zu.

„Ich teile gern mit Ihnen, was ich über die Gegend weiß.“ Die Augen des Colonels tanzten. „Wir sind schon seit einigen Wochen hier und ich war im Krieg in der Nähe stationiert. Hatten Sie geplant, sich bald etwas umzusehen? Es wäre mir eine Freude, Ihnen und Ihrer Tante meine Dienste anzubieten.“

„Ich wollte mir ein oder zwei Tage nehmen, um mich an die Hitze zu gewöhnen, und mir dann von einem einheimischen Fremdenführer alles zeigen lassen.“ So sehr ich auch die Pyramiden sehen wollte, ich wusste, dass ich sie besser genießen könnte, wenn ich mir zugestand, mich erst an das Wetter zu gewöhnen. „Aber ich nehme Ihr Angebot gern an. Sehr freundlich.“

„Ausgezeichnet. Dann haben wir einen Plan.“ Sein Blick driftete über meine Schulter und sein linkes Auge zuckte kaum merklich. Ich drehte den Kopf und entdeckte schnell die Quelle seiner Irritation. Anna hatte eine Gruppe von drei eleganten, jungen Männern unterschiedlicher Attraktivität aufgetan. Ihr Gelächter schwebte in zerbrechlichen Blasen die Bar entlang, die über uns platzten, während die Herren um ihre Aufmerksamkeit rangen. Der größte aus der Gruppe beugte sich vor, um ihre Zigarette anzuzünden, und selbst aus der Entfernung konnte ich sehen, wie ihre Wimpern flatterten.

„Wenn Sie mich entschuldigen würden, Miss Wunderly.“ Ich lächelte liebenswürdig, als der Colonel sich entlang der Bar auf Anna zubewegte.

Beinahe umgehend rumpelte eine Stimme an meinem Ohr.

„Hallo noch mal.“

Kapitel 2

Ich war völlig von der Szene vereinnahmt gewesen, die Anna erzeugt hatte, und zuckte erneut zusammen. Mit der Hand auf dem Herzen wandte ich mich zu Redvers um, der Wort gehalten hatte und zurückgekehrt war.

„Sind Sie sicher, dass Sie kein Magier sind? Das war ein ausgezeichneter Trick.“

„Nur die Gabe der Verstohlenheit.“

„Ich habe Tiger erlebt, die weniger verstohlen waren.“

„Und Sie haben die Bekanntschaft vieler Tiger gemacht?“

„Einer beachtlichen Menge.“

Redvers hielt einen Augenblick lang inne und blickte an der Bar entlang. „Mit wem haben Sie sich unterhalten?“

„Mit einem Colonel Stainton. Er hat sich mir vorgestellt.“ Ich betrachtete Redvers für einen Moment, aber sein Gesicht blieb ungerührt. Es schien mir ein zu großer Zufall zu sein, dass Redvers verschwunden war, als er den Colonel kommen gesehen hatte, und dann ebenso schnell wieder aufgetaucht war. Aber aus welchem Grund könnte er diesem Mann aus dem Weg gehen? Mit einem geistigen Schulterzucken berichtete ich ihm, was ich dem Colonel über unsere kürzliche Ankunft und unsere Reisepläne erzählt hatte. Bald diskutierte ich wieder über mein Interesse an der Archäologie und ihre aktuelle Relevanz.

Es dauerte nicht lang, bis unsere höfliche Diskussion zu einer hitzigen Debatte über das politische Klima ausartete und ich scharf auf die Briten einhieb.

„Aber Sie müssen doch zugeben, dass die fortdauernde Besetzung dieses Landes ungeheuerlich ist! Die Unabhängigkeitserklärung ist drei Jahre her, doch die britische Regierung mischt sich immer noch ein.“

Redvers lachte. „Von einer Amerikanerin klingt das äußert heuchlerisch. Wissen Sie, wie viele Kolonien Ihr Land hat? Außerdem könnte das aktuelle System ohne unsere Einmischung restlos zusammenbrechen.“

Das war ein ausgezeichnetes Argument. Meine Position war vor allem meiner Naivität gegenüber weltpolitischen Belangen geschuldet, also änderte ich den Kurs. „Sind Sie deshalb hier? Um ein besseres Geldsystem mitzubringen?“

„Oh je. Sie sind Banker? Heißt das, dass Sie auch außerhalb der Bank über viel Geld verfügen?“ Verdammt sei dieser Mann, ich hatte nicht bemerkt, dass ich flankiert worden war – dieses Mal von Anna Stainton persönlich. Ich war entrüstet über diese Unterbrechung, schaffte es aber, meinen Gesichtsausdruck zu einem höflichen Lächeln zu glätten, ehe sie es für nötig erachtete, mir einen Blick zuzuwerfen. Redvers, der viel zu aufmerksam war, erwischte mich und wirkte amüsiert.

„Nun, so einfach ist das nicht.“ Er wandte sich Anna zu. „Miss Stainton, nehme ich an?“

„Oh, bitte, nennen Sie mich Anna.“ Sie legte eine Hand auf seinen Arm und ich konnte es mir gerade so verkneifen, mit den Augen zu rollen. Stattdessen wandte ich mich zur Bar und bestellte ein Glas Wasser. Zwei große, sprudelnde Drinks hatten meine Selbstbeherrschung offensichtlich völlig verwüstet und es war an der Zeit, wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Während Anna weiterhin Fragen in Redvers’ Richtung gurrte, zog ich es in Betracht, mich zu entschuldigen. Ich würde nicht um die Aufmerksamkeit eines Mannes kämpfen – ganz gleich welcher Mann. Aber ganz besonders wollte ich nicht gegen eine Frau antreten, die zehn Jahre jünger als ich und offensichtlich auf der Pirsch war.

Ein Stück weiter die Bar entlang entdeckte ich einen Mann mit karamellfarbener Haut in einem makellos weißen Leinenanzug. Er sah jetzt in unsere Richtung und für einen Moment war ich besorgt, ich könnte das Ziel seines intensiven Starrens sein.

Dann wurde mir bewusst, dass sich sein Blick in Annas Rücken bohrte.

Ich drehte mich um, um meine beiden Begleiter zu fragen, ob sie den Mann kannten, als ich plötzlich die kalte Flut einer Flüssigkeit spürte, die sich über die Vorderseite meiner Kleider ergoss, während ich hörte, wie an meinen Füßen einige Eiswürfel zu Boden fielen. Ich seufzte und blickte auf meine jetzt völlig durchtränkte Brust hinab.

Das war kein Unfall gewesen. Ich hatte gesehen, wie Anna das Glas mit der Hand umgestoßen hatte, während sie mich aus dem Augenwinkel beobachtete. Tatsächlich war das eine erstaunliche Leistung gewesen, da ich fast einen Kopf größer war, und sie dennoch exakt meine Brust getroffen hatte. Mein erster Schock wandelte sich kurz in Wut um, die ich genauso schnell wieder unterdrückte. Ich weigerte mich, mich über diese Frau aufzuregen. Tatsächlich bewunderte ich sie beinahe – es war eine sehr effiziente Lösung, um die Konkurrenz um Redvers’ Aufmerksamkeit loszuwerden. Er war immerhin der attraktivste Mann im Raum.

Das war lediglich eine Beobachtung. Kein Interesse.

Ich hätte es niemals zugegeben, aber die Kälte, die in meine Kleidung sickerte, fühlte sich recht angenehm an – es war noch immer ein warmer Abend. Allerdings war ich froh, dass ich vor dem Abendessen dunklere Kleidung angezogen hatte. Dünner Stoff und Flüssigkeit waren nicht gerade ein Rezept für Sittsamkeit.

„Oh, das tut mir schrecklich leid“, sagte Anna ohne einen Hauch von Aufrichtigkeit.

„Kein Problem“, sagte ich. „Ich verschwinde nur kurz auf mein Zimmer und ziehe mich um.“

„Ich hoffe, ich habe nicht diese ... bezaubernde Bluse ruiniert.“ Ich lachte beinahe. Eine Katze, deren Krallen sich in mein Bein bohrten, wäre nicht offenkundiger gewesen. Ich lächelte sogar.

„Wenn es Ihnen dann besser geht, lasse ich gern die Rechnung für die Reinigung auf Ihr Zimmer schicken.“

Ich wollte mich gerade entschuldigen, als weißes Leinen aufblitzte und an uns vorbeieilte, wobei Annas Arm von hinten angestoßen wurde und ihr die mit silbernen Perlen besetzte Clutch entglitt. Der Verschluss sprang auf, als sie den Boden berührte und sie und ich bückten uns umgehend, um ihre Besitztümer wieder einzusammeln. Mit dem Rücken zur Bar konnte Redvers sich nicht bücken, um uns zu helfen, aber er schob mir einige der Gegenstände mit seinen vorbildlich polierten Budapestern zu. Ich sammelte die Dinge auf, die mir am nächsten lagen – ein Lippenstift, eine Puderdose, die auf wundersame Weise unbeschädigt schien, und einige vereinzelte Münzen. Ich reichte ihr die Gegenstände, während sie hastig alles in die Handtasche stopfte und den Verschluss mit einem deutlichen Klicken zuschnappen ließ. Dann presste sie die Lippen aufeinander und starrte mich zornig an.

Wir hätten einander den ganzen Abend lang anstarren können, doch ein Dankeschön wäre nie über diese rubinroten Lippen gekommen.

Ich beschloss, dass es der perfekte Zeitpunkt für einen Abgang war, und wünschte ihnen beiden eine gute Nacht. Als ich mich durch die Menge schlängelte, hielt ich nach dem weißen Leinenanzug Ausschau, der mit Anna kollidiert war, doch der war so schnell wieder verschwunden, wie er aufgetaucht war. Ich war mir sicher, dass es der Mann gewesen war, der Anna angestarrt hatte, aber ich konnte mir nicht erklären, warum er absichtlich Annas Handtasche auskippen sollte. Und es hatte definitiv nach Absicht ausgesehen.

Ich verspürte einen Anflug egoistischer Erleichterung, weil ich es diesmal nicht selbst gewesen war, die sich öffentlich zur Schau gestellt hatte. Es war mir nicht fremd, mich mit meinem eigenen Ungeschick zu blamieren.

Tante Millie saß plaudernd mit zwei jungen Frauen an einem Tisch, als ich vorbeikam. Ich deutete auf die durchnässte Vorderseite meiner Bluse. Millie warf einen kurzen, verzweifelten Blick gen Himmel und widmete sich wieder ihrer Unterhaltung. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Drinks sie schon intus hatte, aber ich machte mir keine Sorgen um sie. Sie konnte auf sich selbst aufpassen.

Der Großteil der Gäste hatte sich entweder für die Nacht zurückgezogen, oder hielt sich verstreut in der Bar auf, wodurch die mondbeschienenen Flure, die ich durchquerte, leer waren. Das Pochen meiner Absätze auf dem Marmor hallte durch die Stille und ich musste mir eingestehen, dass mich das Geräusch etwas schreckhaft machte. Das Hotel war ein einziges Labyrinth und ich wusste nicht, wohin der Herr im weißen Anzug verschwunden war. Leere Durchgänge öffneten sich zu dunklen und mysteriösen Pfaden und ich merkte, dass ich jedes Mal meine Schritte beschleunigte, wenn ich an einem vorbeikam.

Ich konnte die Kreuzung sehen, an der ich zu meinem Zimmer abbiegen musste. Doch als ich einen weiteren dunklen Durchgang passierte, schoss eine Hand daraus hervor und berührte meinen Arm.

Ich schrie auf und stolperte vorwärts.

Kapitel 3

„Oh, meine gute Miss Wunderly, es tut mir so leid, Sie erschreckt zu haben.“ Der Colonel legte die Stirn in Falten. „Ich sah Sie vorbeigehen und dachte, ich könnte Sie einholen. Ich wollte mich für meine Anna entschuldigen – ich hörte, was gerade in der Bar passiert ist.“ Er schaffte es, seinen Blick auf meine Augen zu richten und nicht zu der feuchten Bluse abzugleiten. Ein echter Gentleman.

Mit einer Hand auf der Brust konnte ich spüren, wie mein Herz raste, aber ich lächelte und versicherte ihm, dass es mir gut ginge. „Ich bin mir sicher, dass es keine Absicht war. Nur ein unglücklicher Unfall.“ Eine kleine Lüge von meiner Seite, aber eine harmlose. Es hatte keinen Zweck, ein Zerwürfnis mit Annas Vater heraufzubeschwören. Ich ließ meinen Arm sinken und wischte mir heimlich die feuchte Hand an meinem Rock ab.

Er lächelte, irgendwie auf traurige Weise. „Da bin ich mir sicher. Sie wirkt schwierig, aber sie hatte es wirklich schwer, seit ... nun, sie ist schnell aufgebracht.“ Er führte den Grund nicht aus und ich machte ihm keinen Druck. Es war leicht zu erraten, dass die Familie irgendeinen Verlust erlitten hatte, höchstwahrscheinlich im Krieg. Der Weltkrieg hatte das Leben aller auf die eine oder andere Weise beeinflusst.

„Ich bin mir sicher, dass es nur ein Unfall war. Und ganz ehrlich, Colonel, es ist nichts passiert.“ Ich hielt inne. „Wir sehen uns gewiss morgen irgendwann. Haben Sie eine angenehme Nacht.“

Er lächelte, offensichtlich erleichtert, und tätschelte ungeschickt meinen Arm, während er sich zum Gehen wandte. Ich sah ihm einen Moment nach, während er sich unter dem Tippen seines Gehstocks zur Bar zurückbegab, ehe ich wieder meiner Wege ging. Die nasse Bluse wurde in der sich rasch abkühlenden Nachtluft immer unangenehmer. Ich betete, dass ich es bis zu meinem Zimmer schaffen würde, ohne noch jemandem zu begegnen – in einer feuchten Bluse ein Gespräch zu führen, war ... gelinde gesagt, peinlich.

In meinem Zimmer angekommen, zog ich die nassen Kleider aus und wusch sie im angrenzenden Badezimmer. Was immer Anna getrunken hatte, war stark genug gewesen, um einen bleibenden Geruch zurückzulassen, und ich wollte weder an meiner Kleidung noch in meinem Zimmer den Geruch einer Flüsterkneipe haben. Als ich davon ausgehen konnte, dass der Gestank im Abfluss verschwunden war, hängte ich die Kleider über den Wannenrand und machte eine mentale Notiz, sie anständig reinigen zu lassen. Zum Glück hatte Annas Getränk eine helle Farbe gehabt und ich war zuversichtlich, dass es keine Flecken hinterlassen würde.

Statt für den Abend neue Kleidung anzulegen, beschloss ich, mich zur Nacht hinzulegen. Nach der tagelangen Reise, der Aufregung des Abends und den Geheimnissen eines sehr fremden Landes konnte ich kaum noch die Augen offen halten. Ich sank auf das weiche Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf.

Am folgenden Morgen erwachte ich früh, zog an, was vermutlich meine ägyptische Uniform werden würde – eine leichte, ärmellose Baumwollbluse und einen locker sitzenden Rock – und begab mich allein zum Frühstück nach unten. Ich vermutete, dass Tante Millie die Folgen der vergangenen Nacht ausschlafen würde, also machte ich mir nicht die Mühe, nach ihr zu sehen. Ich war mir sicher, dass ich sie erst zum Mittagessen wiedersehen würde.

Ich lief langsam Richtung Frühstücksraum und hielt immer wieder inne, um die Architektur zu bewundern, wenn ich arabische Türöffnungen durchschritt, an denen sich dunkler und heller Marmor abwechselte und eindrucksvolle Streifen formte. Ich ließ meine Finger über den kühlen Marmor gleiten und spürte die glatte Oberfläche unter meinen Fingerspitzen. Bei Tageslicht hatten die Durchgänge die Bedrohlichkeit der vergangenen Nacht gänzlich verloren und ich musste ein wenig über mich lachen – das Hotel war durchweg wunderschön. Während ich weiterging, bemerkte ich Topfpalmen, die im Hotel verteilt standen und Wärme und Leben in die marmorne Umgebung brachten.

Wenige Augenblicke nach meiner Ankunft im Speisesaal wurde ich von einem dunkelhäutigen Mann begrüßt, dessen rabenschwarzes Haar an den Schläfen erste Grauspuren aufwies. Er trug das traditionelle, lange, weiße Gewand des Hotelpersonals, aber seine Uniform wurde ergänzt durch einen runden Filzhut in kräftigem Rot, an dessen Seite eine fröhlich goldene Troddel herabhing. Seine großen, dunklen Augen wirkten warm und waren in den Augenwinkeln von Falten umgeben, umrahmt mit Wimpern, für die eine Frau töten würde.

„Guten Morgen Ma’am“, sagte er in einem Englisch mit wundervollem Akzent. „Ich bin Zaki, und ich bin hier im Mena House der Oberkellner. Bitte hier entlang.“

Als er mich zu meinem Tisch führte, konnte ich es mir nicht verkneifen, den Speisesaal zu begaffen, in den ich geführt wurde. Ein unvergesslicher Anblick – entworfen, um den Innenraum einer Moschee zu imitieren, war er anders als alles, was ich je in einem Hotel gesehen hatte – oder auch sonst irgendwo. Von der hohen, kuppelförmigen Decke hingen etliche Lampen aus gelochtem Metall herab, die faszinierende Schatten auf die weißen Tischtücher und das glänzende Silberbesteck warfen. Wände, Fenster und Decke waren übersäht mit atemberaubenden Schnitzarbeiten in komplizierten Mustern. Während wir daran vorübergingen, konnte ich sehen, dass arabische Schriftzüge in die Muster eingearbeitet waren.

„Zaki.“ Ich deutete an die Wand, nachdem er mir einen Stuhl angeboten, ihn sanft herangeschoben und mir die Frühstückskarte gereicht hatte. „Was ist das für eine wunderschöne Holztäfelung?“

„Ah, Sie haben einen exzellenten Geschmack, Madam. Man nennt sie Maschrabiyya und sie wurden von vorzüglichen Handwerkern handgeschnitzt. Sie waren vor vielen hundert Jahren sehr beliebt. Diese Paneele hier wurden von den neuen Besitzern des Hotels aus einer nahen Stadt gerettet.“ Er strahlte mich an. „Wenn Sie Fragen haben, stehe ich immer gern zur Verfügung. Ich werde gleich jemanden schicken, um Ihre Bestellung aufzunehmen. Ich wünsche ein angenehmes Frühstück.“

„Vielen Dank, Zaki.“

Ich entschied mich für ein einfaches Frühstück mit Eiern und Toast und gab meine Karte und die Bestellung ab, ehe ich den Rest des Raumes auf mich wirken ließ. Es waren nicht so viele Menschen da, wie ich erwartet hatte, auch wenn man in Betracht zog, dass es noch sehr früh war – aber es war Ende September und damit das Ende der Nebensaison. Das warme Wetter im Winter und Frühling würde gewiss mehr Touristen aus den Staaten und vom Festland herführen, aber im Augenblick hatten nur wenige Anlass gefunden, ihr eigenes, annehmbares Klima zu verlassen. Ich fragte mich, ob es richtig gewesen war, so früh in der Saison herzukommen, aber ich beruhigte mich mit der Aussicht, dass die Sehenswürdigkeiten weniger überlaufen sein würden.

Nach meinem ruhigen Frühstück setzte ich mich auf der breiten Terrasse hinter dem Hotel in den Schatten einer großen Palme. Vor mir entfaltete sich ein Postkartenmotiv: Die Pyramiden schienen über den Bäumen zu schweben und ich war ganz abgelenkt von der Aussicht und den Möglichkeiten, die vor mir lagen. Ich freute mich darauf, die Pyramiden und vielleicht sogar einige der archäologischen Ausgrabungsstellen zu erkunden – ich machte mir eine geistige Notiz, den Colonel später nach seinen Empfehlungen zu fragen.

Ich hatte gerade das Buch aufgenommen, das ich mir mitgebracht hatte, als meine Tante Millie vor mir auftauchte.

„Tante Millie!“ Ich konnte meine Überraschung nicht verbergen. „Ich hatte nicht erwartet, dass du schon so früh auf sein würdest!“

„Mein liebes Mädchen. Man kann doch nicht den ganzen Tag herumliegen. Mir ist bewusst, dass wir einige Zeit hier verbringen werden, aber die kann man doch nicht im Bett vergeuden. Diese Damen hier werden mich auf eine Runde Golf begleiten.“

Ich war so überrascht von Millies frühem Auftauchen, dass mir zwei Dinge völlig entgangen waren: Meine Tante trug etwas, das als Sportkleidung durchgehen mochte, und die beiden jungen Damen vom Vorabend folgten ihr auf dem Fuße. „Das hier ist Miss Lillian Hughes.“ Millie deutete auf die große, schlanke junge Frau mit goldbraunem Haar, die zur Begrüßung lächelte, aber abgelenkt wirkte. Ihr Blick wanderte zu irgendetwas jenseits der Bäume. „Und das ist Miss Marie Collins.“ Marie hob kurz eine Hand zum Gruß, doch ihr Blick wich kaum von Lillian.

„Wie geht es Ihnen, meinen Damen? Sehr angenehm“, sagte ich. „Ich wusste nicht, dass du Golf spielst, Tante Millie.“

„Ich schätze, es gibt einige Dinge, die du nicht über mich weißt, Jane.“ Millie warf mir ein verspieltes Lächeln zu und hakte Lillians Arm bei sich unter. Lillian lächelte Millie an und das Pärchen bewegte sich Richtung Golfplatz, während Marie ihnen folgte. Mein Mund stand noch immer offen, als sie aus meinem Blickfeld verschwanden. Ich hatte noch nie erlebt, dass Millie jemandem eine derart physische Zuneigung entgegenbrachte, und ich konnte mir nicht ansatzweise vorstellen, was Millie mit zwei jungen, britischen Frauen verband, die gerade mal die zwanzig erreicht hatten.

Abgesehen von Golf, wie es schien.

Im Stehen konnte ich das grüne Gras des Golfplatzes im eindrucksvollen Kontrast zum alles umgebenden, goldenen Sand ausmachen. Ich hatte nicht gewusst, dass es beim Hotel einen Golfplatz gab. Mir war nie in den Sinn gekommen, dass etwas so Grünes mitten in der Wüste überleben könnte, obwohl ich natürlich wusste, dass Ägypten nicht vollständig aus Sand bestand. Es gab immerhin den Nil.

„Sie machen sich nichts aus Golf, Mrs Wunderly?“ Ich zuckte zusammen und bemerkte, dass Redvers an meiner Seite aufgetaucht war, verstohlen wie üblich. Ich musste wirklich an meiner Beobachtungsgabe arbeiten, wenn ich dieses Trommelfeuer der Überraschungen überleben wollte.

„Ich habe mir nie viel aus sportlichen Aktivitäten gemacht.“

„Jeglicher Art?“

Ich konnte spüren, wie mir die Röte den Hals emporkletterte. Ich ignorierte das Gefühl, setzte mich wieder und bedeutete ihm, sich zu mir zu gesellen.

„Vielleicht einen Kaffee, Mr Redvers? Das hiesige Gebräu ist recht gut. Oder lieber eine Cuppa?“ Er hob eine Augenbraue ob der britischen Umgangssprache. „Meine Mutter war Engländerin“, erklärte ich.

„Ah“, sagte er. „Aber Sie haben es nicht geschafft, Geschmack an Tee zu finden?“

„Am Nachmittag ist Tee in Ordnung, aber ich fürchte, am Morgen brauche ich etwas Kräftigeres. Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Darf ich Ihnen etwas bestellen?“

„Nein, leider nicht, Mrs Wunderly. Ich habe am Vormittag Termine in der Stadt und bin nur für einen kurzen Zwischenstopp hier. Obwohl ich unsere Unterhaltung gern heute Abend bei einem Drink fortsetzen würde, wenn Sie abkömmlich sind. Ich war enttäuscht, als sie gestern Abend nicht zurückkehrten.“

So sehr ich mich nicht dafür interessieren sollte – mich nicht dafür interessierte –, was dieser hübsche und etwas mysteriöse Mann von mir hielt, war ich doch angenehm überrascht, weil er meine Abwesenheit bemerkt hatte. Natürlich war ich auch ein wenig entsetzt über mein vordringliches Verhalten am vergangenen Abend.

„Es gefällt Ihnen, wenn eine Frau mit Ihnen über Politik diskutiert?“ Ich versteckte mich hinter meiner Tasse, während ich einen Schluck trank, und vermied es, ihn anzusehen.

„Ich debattiere lieber mit einer intelligenten Frau, als zwei Minuten in der Gesellschaft einer einfältig lächelnden zu verbringen.“

„Nun, ich kann Ihnen versichern, dass ich niemals einfältig lächle.“

„Nein, das kann ich mir bei Ihnen auch nicht vorstellen.“

Ich lächelte ihn an, entgegen meiner Absicht.

Redvers nahm seinen knochenweißen Panamahut vom Tisch und wandte sich zum Gehen. „Dann bis heute Abend?“

Mir wurde bewusst, dass ich seine erste Frage nicht beantwortet hatte und verlor den inneren Konflikt darüber, ob ich ihn abweisen sollte. Ich wollte ihm nicht den falschen Eindruck vermitteln, aber meine Tante schien ihre eigenen Pläne zu haben und ich könnte auf dieser Reise häufiger ohne Beschäftigung sein, als ich angenommen hatte. Es konnte nicht schaden, einige freundliche Gesichter in der Menge zu kennen.

„Es wäre mir eine Freude, Mr Redvers. Bis heute Abend“, sagte ich. Er erhob sich und verbeugte sich leicht, ehe er im kühlen Schatten des Gebäudes verschwand. Ich tat so, als würde ich mich wieder meinem Buch widmen, beobachtete allerdings über die Seiten hinweg seinen Abgang.

Doch sobald er verschwunden war, kehrten meine Gedanken zu Millie zurück, einer Frau, bei der ich darauf gesetzt hätte, dass sie mich nicht überraschen konnte.

Diese Wette hätte ich verloren.

Kapitel 4

Ich verbrachte den restlichen Vormittag auf der Terrasse; abwechselnd damit, die eindrucksvolle Aussicht zu genießen und Agatha Christies Der Mann im braunen Anzug zu lesen. Nach einer besonders fesselnden Szene tauchte ich aus dem Buch auf und stellte fest, dass ich leichte Kopfschmerzen bekam. Die unsichtbaren Vögel, die zuvor an ihren schattigen Ruheplätzen gesungen hatten, waren verstummt, während die Sonne höher gestiegen war, und so langsam stellte sich die Hitze des Tages ein. In mein abgedunkeltes Zimmer zu entkommen, klang plötzlich nach einer herrlichen Idee.

Einige Stunden später verließ ich mein Zimmer wieder, um mich Millie für ein ruhiges Mittagessen auf ihrer Privatterrasse anzuschließen.

„Bist du mit deinen Räumlichkeiten zufrieden?“ Millies Suite mit der eigenen Veranda war den Pyramiden zugewandt. Ich wohnte einige Türen weiter auf der anderen Seite des Flurs, mit Blick auf die Gärten. Es war schön, aber kein Vergleich zu ihrer atemberaubenden Aussicht.

Millie blickte sich gleichgültig um. „Gut genug.“

Ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen, obwohl ich überrascht gewesen war, als meine Tante das Mena House für unseren Aufenthalt vorgeschlagen hatte – meiner Erfahrung nach bevorzugte sie Hotels mitten in Kairo, die mehr gesellschaftliche Anbindung hatten, wie das Shepheard’s oder das Continental. Aber ich war begeistert von dem Gebäude. Mehrere Flachdächer brachen in unterschiedlichen Höhen die lange, weiße Fassade des Gebäudes auf und die zahlreichen Balkone verliehen ihm einen deutlich arabischen Eindruck. Ganz zu schweigen davon, dass es direkt im Schatten der Pyramiden lag.

Es war außerdem das einzige Hotel in Ägypten mit einem Pool, was definitiv zu seinem Reiz beitrug. Wenn das Wetter unverändert blieb, würde ich vermutlich bald im Pool wohnen.

Wir ließen uns auf die gepolsterten Stühle der Terrasse nieder. Gedankenlesende Mystikerin, die sie war, brachte Millie das Thema zur Sprache, das ich zu vermeiden suchte.

„Also, Jane. Wie war deine kleine Plauderei mit Mr Redvers?“

„Nett.“

Sie fixierte mich mit einem missbilligenden Blick. „Ich würde ungern sehen, dass du diese Gelegenheit in den Sand setzt. Ich fürchte, hier gibt es nicht allzu viele heiratswürdige Männer, Jane.“

„Na dann ist es ja gut, dass ich keinen suche.“ Ich wandte meine Aufmerksamkeit der Mittagskarte vor mir zu und betete, dass sie das Thema ruhen lassen würde.

Tat sie nicht.

„Wenn Nigels lieber Neffe bloß den Krieg überlebt hätte. Dann wärst du jetzt nicht ...“, sie senkte die Stimme zu einem Flüstern, als würde sie in der Kirche über eine Sünde sprechen, „... fast dreißig und noch immer allein. Und gewiss hätten Grant und du mittlerweile Kinder.“ Anspannung kroch meine Wirbelsäule hinauf und setzte sich fest in meinen Schultern. Ich rollte sie nach hinten, eine nach der anderen, und suchte nach einem alternativen Gesprächsthema.

„Schau dir diese Karte an. So viel Auswahl. Was wirst du nehmen?“ Millie räusperte sich – lautstark –, ließ sich dann aber bereitwillig ablenken. Unglücklicherweise stand für mich zweifelsfrei fest, dass sie auf dieses Schlachtfeld zurückkehren würde. Ich kannte Millie – sie würde nie endgültig die Waffen strecken. Sie wählte ein Gericht und ich gab unsere Bestellung am Telefon an die Küche weiter.

Während wir warteten, versuchte ich, meine Tante bezüglich des Golfspiels am Morgen aus der Reserve zu locken, aber sie gab sich bei diesem Thema ungewöhnlich reserviert und weigerte sich, mir mehr als die kürzest möglichen Antworten zu geben. Schließlich gab ich auf und hoffte, dass sich, was immer ihr Sorgen bereitete, bald selbst klären würde. Den Rest der Zeit verbrachte ich damit, ihre Aussicht in mich aufzunehmen.

Nach dem Mittagessen kehrte ich in meine Räume und zu meinem Roman zurück, aber nach einiger Zeit wurde ich rastlos und wagte mich wieder hinaus. Eine kurze Wanderung durch die stillen Flure führte mich zum Colonel. Er trug, was meine Mutter als kurze Hose bezeichnet hätte, mit einem Khakihemd und einem Tropenhelm, und musste für alle Welt aussehen, als wolle er auf Safari gehen. Den Gehstock hielt er parat.

„Guten Tag, meine liebe Miss Wunderly.“ Er zog vor mir den Hut. „Hatten Sie einen angenehmen Tag?“

„Durchaus, obwohl ich für eine Weile vor der Hitze fliehen musste.“

„Das ist das Beste, was Sie tun können. Das Einzige sogar, bis sie sich daran gewöhnt haben. Wenn die Sonne erst einmal hoch über unseren Köpfen steht, wird es kochend heiß.“ Ich stimmte zu und wir liefen gesellig zur Lobby.

„Wohin sind Sie unterwegs, Colonel?“

„Ich wollte gerade einen Spaziergang zu den Ställen machen. Wollte mir ansehen, welches Pferdefleisch das Hotel vorrätig hält. Anna ist verrückt danach, hier zu reiten.“ Ich fragte mich, ob sie an den Pferden oder den Stallburschen interessiert war, dann schalt ich mich umgehend für solche lieblosen Gedanken. Natürlich war sie eine kokette, junge Frau, aber ich musste auf dem rechten Pfad bleiben – wenngleich die junge Frau mich am vergangenen Abend grob behandelt hatte, gab es keinen echten Grund, ihr Abneigung entgegenzubringen.

„Hätten Sie gern etwas Gesellschaft?“, fragte ich.

„Ich wäre entzückt!“ Er strahlte mich an und wir machten uns gemächlichen Schrittes auf den Weg. Ich vermutete, es war die richtige Richtung. Das Gelände war weitreichend und ich hatte noch kein gutes Gefühl für das Grundstück; ich war eigentlich froh über die Gelegenheit, mit dem Colonel auf Erkundungstour zu gehen. Wir plauderten locker über Ägypten und das Reisen im Allgemeinen, während wir uns vom Hotel entfernten. Der Colonel grüßte jeden Angestellten für die Pflege der Außenanlagen mit einem fröhlichen Antippen seines Huts.

„Reiten Sie?“ Der Gehstock des Colonels tippelte neben uns her, das Geräusch gedämpft vom Gras, während wir über die gepflegten Pfade spazierten.

„Ich kann reiten, aber ich fürchte, zu Hause in Boston gibt es nicht viel Gelegenheit dazu.“ Meine Mutter hatte darauf bestanden, dass ich es als Kind lernte, aber seit ihrem Tod hatte ich kein Pferd mehr bestiegen. Obwohl es gewiss Ställe in der Stadt gab, war das Interesse nicht wieder aufgekommen.

Der Colonel kicherte. „Da haben Sie wohl recht.“

„Ich wusste nicht einmal, dass das Hotel einen Stall hat.“

„Wussten Sie, dass sie außerdem ...“ Donnern näherte sich hinter uns.

Ich fand nie heraus, worüber das Hotel noch verfügte, da Anna Stainton in diesem Augenblick auf einem mächtigen Fuchs-Wallach neben uns anhielt. Als es schnaubte und auf der Stelle tänzelte, musste ich anerkennend feststellen, dass sie in der Lage war, ein so großes Pferd zu bändigen. Bei ihr wirkte das völlig mühelos.

„Hallo, Vater“, sagte Anna in affektierter Sprechweise, die Zügel fest in der Hand.

„Guten Tag, mein Kind. Du erinnerst dich an Miss Wunderly?“

„Natürlich.“ Ihre Lippen kräuselten sich leicht, während sie mich von oben bis unten musterte. Meine legere Kleidung war nichts als Lumpen gegen ihren kurzen, roten Reitmantel, der eine seidene, elfenbeinfarbene Bluse verdeckte. Der Mantel endete knapp unterhalb der Taille ihrer eng anliegenden, braunen Hose, und ein Paar hoher, schwarzer Stiefel aus glattem Leder schmiegte sich an ihre Waden, passend zu der schwarzen Reitgerte aus Leder in ihrer Hand. Sie tippte einige Male mit der Reitgerte an ihren Stiefel, wodurch ich zusammenzuckte. Sie sah aus, als würde sie nichts lieber tun, als mich damit zu schlagen.

Sie wandte den angewiderten Blick ihrem Vater zu. „Wie ich sehe, hat sich dein Geschmack für Begleitung kein bisschen verbessert.“

„Anna!“ Fleckiges Rot breitete sich auf dem Gesicht des Colonels aus, während meine Augenbrauen in die Höhe schossen.

Ohne ein weiteres Wort zog sie am Zügel und verpasste ihrem Reittier einen Tritt in die Flanke. Das Pferd vollführte eine enge Drehung und galoppierte los, wodurch es uns eine Staubwolke entgegenschickte. Ich war auf unserem Spaziergang leicht ins Schwitzen geraten, obwohl wir gemächlich gegangen waren, und der Sandsturm, den Anna verursacht hatte, legte sich auf jede Stelle entblößter Haut. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Sandbad genommen. Der Colonel wandte sich hustend, plappernd und mit rotem Gesicht zu mir. Ich schüttelte den Kopf und lächelte.

„Schon in Ordnung“, sagte ich. „Sie ist noch jung.“

„Es tut mir so leid, Miss Wunderly.“ Er wischte sich etwas Sand aus dem Gesicht. „Sie ... sie hatte eine schwere Kindheit. Am Anfang hatten wir noch nicht viel, und die anderen Kinder ... nun ja, Kinder können grausam sein. Und dann haben wir ihre Mutter verloren ...“ Seine Stimme erstarb.

„Ich verstehe.“ Der Colonel rang offensichtlich damit, mir irgendeine Entschuldigung zu bieten. Und wenngleich es gewiss Gründe für Annas Verhalten gab, war ich im Augenblick nicht besonders interessiert daran, sie zu hören, so lieblos das auch sein mochte. Meine Begeisterung für einen Spaziergang zu den Ställen war ganz und gar verdorben. Ich konnte nur noch daran denken, in meine Räumlichkeiten zurückzukehren, ein Bad zu nehmen und mir den Dreck von der Haut zu scheuern.

Außerdem graute es mir vor der Vorstellung, für den Rest des Spaziergangs den Entschuldigungen des Colonels für seine Tochter zu lauschen, nur um dann die Ställe zu erreichen und potenziell eine weitere, unangenehme Begegnung mit ihr zu durchleben.

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Colonel, würde ich gerne zurückgehen. Die Hitze ist womöglich noch immer zu viel für mich, und ich brauche eine Gelegenheit, mich vor dem Abendessen zu waschen.“ Ich lächelte und begegnete seinem Blick, während ich mein Bestes tat, um zu vermitteln, dass ich ihn nicht für verantwortlich hielt.

Für einen Moment wirkte der Colonel, als würde er widersprechen, doch er gab nach.

„Das verstehe ich, meine Liebe. Ich hoffe, dass wir unsere Unterhaltung später fortsetzen können.“ Er erwiderte mein Lächeln, wenn auch etwas schüchtern.

Ich tätschelte kurz seinen Arm. „Natürlich.“ Unsere Wege trennten sich und ich kehrte auf den Pfad zurück, den wir gekommen waren. Der Rückweg ging deutlich schneller, nicht zuletzt, weil an seinem Ende ein schönes, langes Bad lockte.

Aber ich kam nicht umhin, darüber nachzudenken, was Anna gemeint hatte. Sie mochte mich offensichtlich nicht, aber wer hatte sich noch in der Gesellschaft des Colonels aufgehalten, den sie nicht leiden konnte?

Kapitel 5

Ich war kaum in meine Räumlichkeiten zurückgekehrt, als Millie vorbeischaute und mir mitteilte, dass ich mich vor dem Abendessen auf einen Drink mit ihr treffen würde. Statt Einwände zu erheben, seufzte ich und beklagte kurz, dass ich nicht das lange, genüssliche Bad nehmen konnte, auf das ich mich so gefreut hatte.

Ich zog meine sandigen Kleider aus und stapelte sie in einer Ecke des Raumes in der Hoffnung, Dreck und Sand auf einen kleinen Bereich eingrenzen zu können. Ich durchquerte das Schlafzimmer, betrat mein privates Badezimmer und als meine Füße sanft über die kühlen Fliesen tapsten, nahm ich mir einen Augenblick, um den Raum zu genießen. Ich hatte zwar nicht die tolle Aussicht, aber das Badezimmer machte das fast wieder wett. Die prachtvollen, kobaltblauen Kacheln, die den Boden bedeckten, waren anders als alles, was ich je zu Hause gesehen hatte, und ich fand die Farbe beruhigend. Durch das hohe Fenster kam eine sanfte Brise herein und brachte einen Hauch von Minze mit, von den Eukalyptusbäumen im Garten. Ich drehte die goldenen Wasserhähne an der großen Wanne mit Klauenfüßen auf, füllte sie mit lauwarmem Wasser und betrachtete den bereitstehenden Korb mit stark duftenden Hygieneartikeln. Ich wählte eine Seife mit Jasminduft aus und versprach mir, die exotischen Badesalze zu verwenden, wenn ich die Zeit hätte, sie wirklich zu genießen.

Nach dem zu kurzen Abtauchen in der Wanne legte ich ein einfaches, pflaumenblaues Seidenkleid mit schlichten Flügelärmeln an und bürstete mein Haar, bis es glänzte. Ich trug nie viel Schmuck, aber ich fand, dass die kleine Skarabäus-Brosche, die Millie mir geschenkt hatte, das perfekte Accessoire zu dem Kleid wäre. Ich suchte eine Weile danach, aber sie war nicht bei meinem übrigen Schmuck und lag auch nirgends, wo ich sie sehen konnte. Ich drehte mich langsam auf der Stelle und suchte den Raum ab. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, ob ich sie am vergangenen Abend getragen hatte, doch ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich die Suche später fortsetzen müsste. Millie wäre nicht erfreut, wenn ich sie noch länger warten ließe.

Als ich in der Lounge zu Millie stieß, hatte sie sich bereits an einem kleinen Tisch in der Ecke eingerichtet und mehrere leere Gläser vor sich. Entweder war sie früh dran gewesen, oder meine Suche hatte länger gedauert, als ich gedacht hatte. Die Bar bot einen kleinen aber gemütlichen Sitzbereich abseits der Lobby. Hohe Decken brachten die goldbeflockten Tapeten zur Geltung; ein ausnehmend schön geschnitzter Holzbaldachin hing über der hufeisenförmigen Bar. Ohne die Höhe der Gewölbedecke hätte sich der Raum vermutlich schrecklich abgeriegelt angefühlt. Stattdessen verbreitete er exotische Gemütlichkeit. Hohe Fenster mit Perlenbehängen in großen Abständen schmückten den Blick auf die nächststehende Pyramide. Bei dem Anblick musste ich nach wie vor lächeln.

„Ich scheine hier am Tisch nicht vernünftig bedient zu werden, Jane. Warum gehst du nicht direkt zur Bar und holst mir noch einen Longdrink?“, sagte Mille, ehe ich mich setzen konnte. Ich blickte mit hochgezogener Augenbraue auf die leeren Gläser auf dem Tisch, folgte ihrem Vorschlag aber, ohne ein Wort zu sagen. Es war schwer zu glauben, dass die Bedienung hier langsam war, da das Hotelpersonal bislang sehr aufmerksam gewesen war. Wenn es um Alkohol ging, unterschied sich Millies Vorstellung von Langsamkeit natürlich von der Auffassung des durchschnittlichen Gastes.

Ich brachte Millie ihren Whiskey-Longdrink und nahm neben ihr Platz, während sie gierig trank. Ich stellte meinen Sidecar auf den Tisch und beschloss, ihre Bekanntschaft mit den jungen Britinnen erneut zur Sprache zu bringen.

„Wie hast du Lillian und Marie kennengelernt, Tante Millie?“ Sie ließ sich mit der Antwort Zeit und blickte sich in der Lounge um, als könnte sie so ein interessanteres Thema finden, mit dem sie mich ablenken konnte. Schließlich presste sie kritisch die Lippen aufeinander.

„Ich habe in England Bekanntschaft mit Lillians Vater gemacht. Du warst noch recht jung, wirst dich also nicht daran erinnern, aber dein Onkel und ich sind wegen seiner Arbeit dort hingereist und haben fast zwei Jahre in London verbracht. Ich versicherte Lillians Vater, dass ich ein Auge auf sie haben würde, während wir zusammen hier sind.“ Millie trank einen großen Schluck und wich meinem Blick aus.

„Ich wusste nicht, dass du Pläne hattest, hier jemanden zu treffen.“ Millies Augenbrauen zogen sich tief in ihr Gesicht und ihr Ausdruck verfinsterte sich.

„Ich muss dir nicht von all meinen Plänen erzählen, Jane.“ Mein Rücken verspannte sich ob dieser Zurechtweisung und ich schwieg.

In der angespannten Stille, die jetzt folgte, sah ich mich im Raum um. Der karamellhäutige Mann trat ein und ging direkt auf die Bar zu. Neben mir versteifte Millie sich, während ihr Blick auf ihn fixiert war. Ihre Reaktion überraschte mich, besonders weil ich nicht annahm, dass sie seinen Zusammenstoß mit Anna am vergangenen Abend mitbekommen hatte.

„Hast du ihn kennengelernt, Tante Millie?“ Ich hielt meine Stimme unbeschwert. „Ich habe ihn schon mehrmals gesehen, wurde ihm aber noch nicht vorgestellt.“ Millie antwortete nicht, versteifte sich aber mehrmals auf ihrem Stuhl, ehe sie ihren Drink nahm und aufstand.

„Lass uns zum Abendessen gehen, Jane.“ Ohne sich danach umzusehen, ob ich ihr folgte, lief sie zum Speisesaal.

Mein Mund stand für einen Moment offen, ehe ich ihr nacheilte.

Ich holte sie ein, als sie gerade durch die Tür zum Speisesaal marschierte. Sie hatte nicht nur meine Frage ignoriert und war davongestürmt, jetzt hing auch noch ein neues Unbehagen in der Luft. Während wir darauf warteten, dass der Empfangskellner zurückkehrte, um uns zu unseren Plätzen zu führen, tauchte Redvers auf. In seinem braunen Tweedanzug wirkte er sehr adrett und er brach das Schweigen zwischen uns. Aus Erleichterung über diese Unterbrechung strömte die Luft aus meiner Lunge.

„Guten Abend, Mrs Wunderly.“ Er neigte den Kopf in Richtung meiner Tante. „Ma’am.“

„Mr Redvers. Ich glaube, Sie kennen meine Tante bereits, Millicent Stanley.“ Als ich die Vorstellung wiederholte, musterte Millie ihn von oben bis unten und ihr Gesicht erhellte sich. Ihre Erleichterung über die Störung unserer Zweisamkeit war beinahe greifbar.

„Mr Redvers, eine Freude, Sie wiederzusehen. Werden Sie sich uns heute Abend anschließen?“ Millie warf ihm ein breites Lächeln zu, als er sie ungläubig anblickte. Sie verabscheute es eigentlich, mit Fremden zu essen. Anscheinend hatte ich ihren Wunsch unterschätzt, heute Abend nicht mit mir sprechen zu müssen.

Und natürlich hatte sie immer noch das Ziel, mich zu verheiraten.

„Es wäre mir eine Freude.“ Redvers begleitete uns zu unserem Tisch.

Das Gespräch beim Essen drehte sich um Redvers und seine Kindheit. Ich war nicht überrascht darüber, dass Millie die Unterhaltung lenkte und einen möglichst großen Abstand zu den Fragen hielt, die ich zuvor gestellt hatte. Das nahm ich zumindest an. Auf jeden Fall erfuhren wir viel über Redvers’ Jugend – er hatte einen älteren Bruder, den er selten sah, hatte einen braunweißen Spaniel namens Mr Jones besessen, der auf tragische Weise gestorben war, als Redvers zehn Jahre alt war, und dass die Jungs die Sommer in der kleinen Küstenstadt South Shield verbracht hatten.

„Wo genau ist das, Mr Redvers?“, fragte Millie.

„In der Nähe von Newcastle-upon-Tyne, Ma’am. Im Norden.“

„Ihr Akzent klingt aber nicht, als würden Sie aus dem Norden Englands stammen.“ Ich blickte mit einer gehobenen Augenbraue zu ihr hinüber. Ich hatte keine Ahnung, warum Millie so vertraut mit den Akzenten der Briten war.

Redvers hob ebenfalls eine Augenbraue. „Ja, ich wurde in recht jungem Alter auf ein Internat geschickt und besuchte dann Eaton.“ Millie gab ein anerkennendes „Hm“ von sich und nickte, als würde das alles Sinn ergeben.

„Dann stammt Ihre Familie aus dieser Gegend? Nahe Newcastle?“

Zum ersten Mal schien Redvers sich unwohl zu fühlen. „Nicht ... wirklich.“

Ich war überrascht, dass Millie ihm diese ausweichende Antwort durchgehen ließ. Doch dann verstand ich, warum.

„Und sind Sie verheiratet, Mr Redvers?“, fragte Millie, schürzte die Lippen und harrte mit erwartungsvollem Gesichtsausdruck seiner Antwort. So sehr es mir missfiel, mein Interesse an dieser Frage einzugestehen; auch ich erwartete die Antwort mit Neugier. Er trug keinen Ring, aber das war nicht immer ein verlässliches Zeichen bei Männern, besonders, wenn Sie im Ausland unterwegs waren.

Redvers hielt inne und räusperte sich.

Der Mann wusste definitiv, wie man Spannung erzeugte.

„Das bin ich nicht, Mrs Stanley. Bei meinem Beruf habe ich nie die Zeit dafür gefunden. Oder die richtige Frau, die mit den Arbeitszeiten umgehen kann.“

„Den Arbeitszeiten eines Bankers? Eine Frau, die nicht mit Banköffnungszeiten fertig wird?“ Er richtete seinen Blick auf mich und ich hielt den Mund, wenngleich es einige Mühe kostete.