Die Tote und andere Novellen - Mann, Heinrich - kostenlos E-Book

Die Tote und andere Novellen E-Book

Heinrich, Mann

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The Project Gutenberg EBook of Die Tote und andere Novellen, by Heinrich MannThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Die Tote und andere NovellenAuthor: Heinrich MannRelease Date: July 1, 2014 [EBook #46157]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE TOTE UND ANDERE NOVELLEN ***Produced by Jens Sadowski

Novellen in GelbBand 3

Heinrich MannDie Toteund andere Novellen

O. C. Recht Verlag / München

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright 1921 by O. C. Rechtverlag, München

Titelzeichnung: Ottomar Starke

Die Tote

I.

Als am Ende des Sees der Zug hielt, stieg Leo Cromer, ohne die Gedanken an die gehabte Beratung abzubrechen, aus, ging in dem Mondlicht um den Schuppen herum, der eine Bahnhofshalle bedeutete, und betrat den dunklen Baumgang. Einmal erhob er den Kopf; hinter den Stämmen das Wasser lag weiß wie Gewebe des Lichts, die Ufer schienen unwirklich, die Stille ein Geschrei von Geistern . . . Dies war der dichtere Schatten seines eigenen Grundes, er stand und atmete die verborgene Wärme, das tiefe Alleinsein. Dahinten, zu Wolken versilberten Laubes hinab, stieg die flimmernde Treppe seines Hauses, die Vasen rannen über von Licht, die Stufen hernieder ging es wie eine Schleppe. Sie ward bewegt! Aus ihren Falten neigte sich ein Fuß! . . . „Was heißt das?“ dachte Cromer. „Jetzt habe ich also Gesichte? Ich scheine nicht eben glücklich zu sein — wenn gerade sie sich mir zeigt?“ Er fragte noch: „Wäre ich es denn zufrieden, daß sie, wie früher, wenn ich aus der Stadt heimkam, bei dem Busch dort auf mich zuträte? Bin ich schon alt und müde genug, um billig zu sein und mich zu bescheiden? . . . Sie hat wohl gebüßt,“ sagte er; aber er hob die Schultern. „Buße? Ein Wesen wie sie, stirbt aus Zorn, seiner Selbstachtung zuliebe, oder einfach um des guten Abgangs willen. Nicht für mich ist sie gestorben! Ich habe ihr nicht zu danken gehabt. Ich habe nichts bereut.“

Auf der Terrasse angelangt, wendete er sich nochmals um; er sah aufwärts und hinab, zu dem Garten, der dunkel duftete, und in die breiten Sternenströme des Augusthimmels. „Wer schlafen geht, versäumt viel, — aber auch, wer denken und handeln geht . . . Unsereiner weiß dies von vormals; ganz erfaßlich sind solche Nächte nicht mehr für uns . . . Was für Gedanken übrigens bei jemand, der geradeswegs aus einer Versammlung von Machtmenschen kommt! Ich kenne mich längst, die Fragen sind erledigt, ich habe nichts versäumt, was mir gegeben war. Erfolge: ich habe sie gekannt. Ich habe mit Menschen übergenug zu tun gehabt, ich habe Frauen und Männer erobert und niedergekämpft, habe vielen die Spur meines Daseins aufgedrückt, die mich hassen oder lieben mußten. Ich habe selbst gehaßt, selbst geliebt.“

Er zog sich gegen die Fassade zurück, in den Schatten eines Pilasters. „Wie dies alles schal wird, sobald man es sich rühmen möchte! Wie es zerrinnt! Menschen: habe ich denn mehr bei ihnen erfahren, als ein kraftloses und schmerzliches aneinander Hingleiten? Das Leben ist vergangen wie eine Diskussion im Klub; man hat einander amüsiert oder weh getan, zum Schluß aber steht jeder auf, mit seiner Meinung. In Wahrheit habe ich keinen Mann überzeugt, keine Frau ganz gewonnen, habe niemand je zu mir herübergebracht.“

Angstvoll folgte sein Blick der Bahn der Sterne, die herabstürzten aus dem wimmelnden Schein, und die, bevor das Auge sie erfaßte, schon im Dunkel waren. „Die Menschen halten einander nicht. Ich habe Lida nicht gehalten. Woher der bittere Geist, der Seelen nehmen will und doch nicht an sie glaubt! Ich habe lieber verworfen als standgehalten, und bessere Augen für den Verrat gehabt als für die Hingabe. Lida wenigstens ist mir die Antwort nicht schuldig geblieben, die Toten haben das letzte Wort. Da stehe ich nun . . .“

Und er dachte an die längst Vergangene, so nahe, als triebe der Geisterstrom des Mondlichts, in das er hinausstarrte, ihn bis zu dem Ufer, wo ihr Schatten wartete. Sie war das glänzende Glück seiner ersten reifen Jahre gewesen. Er hatte Erfolge gehabt, die bekannt wurden; diese Liebe, die er entgegennahm, trug zum erstenmal Zeichen von Tribut und Lohn. Aber auch er huldigte ihrer weltlichen Geltung, dem Reichtum an Bewunderung, dem die schöne Schauspielerin gebot. Sie liebten einander, wie Geist und Sinne den Vollbesitz des Lebens lieben. Ihre Beziehungen waren unsentimental und darum gefährdet bei jedem Versagen. Monate lang getrennt durch ihre Gastspiele und seine politischen oder Geschäftsreisen, erwarteten sie einander immer nur auf der Höhe und den Ereignissen überlegen. Probleme? Jeder von ihnen hatte sie bei anderen abtun können; zwischen ihnen beiden lagen keine, sie hätten sonst, anstatt ihre Heirat zu erwägen, einen raschen Strich gezogen. Warum nur, bei solchem Einverständnis, die unvermittelte Befangenheit seit ihrem letzten Gastspiel, das Erzwungene jenes Briefes, und als sie zurückkam, das unklare Wesen? Er glaubte an Mißerfolg, Krankheit, Geldverluste, nur nicht an das, was dann in der Abschiedsszene wund und verworren endlich aus ihr hervorkam, weil er es hervorzerrte. Sie hatte ihn betrogen. Wozu betrogen? Sie war frei, war stolz, nichts nötigte sie, zu berechnen und zu lügen. Sie war vor ihm zusammengebrochen und weinte — und er empfand, was er mit ihr, mit ihr nie hätte empfinden dürfen, Mitleid, ein verachtungsvolles Mitleid. Er drehte ihr den Rücken. Gleich nachdem er ihre Wohnung verlassen hatte, geschah das Unglück.

Ein gewöhnlicher Unglücksfall. Die Frau, die nun nicht mehr da war, hatte sich selbst verloren, bevor er sie verlor. Ihr Ende war äußerlich, schattenhaft; ihn, der als Freund einer beliebten Künstlerin an ihrem Sarge repräsentierte, ging es noch weniger an als die anderen. Was ihm übrig blieb, war Bitterkeit, Zorn und eine Vermehrung seiner Zweifel am Leben selbst. Man konnte noch gewinnen, man konnte nicht mehr glauben, zu besitzen . . . Dennoch hatte er wieder geliebt, Zwischenfälle, die auch schon dahin waren. „Ebenso gut könnte ich der oder jener gedenken, warum ihrer? Ist es, weil sie sterben mußte, und weil solche süße und weiße Nacht werben möchte für den Tod? Es ist wahr, sie kam als Letzte, bevor ich alterte. Aber noch jetzt bin ich weit von fünfzig.“

Er trat in das Haus; es schien ihm erfüllt von einem Duft, wie wenn das Mondlicht geduftet hätte. Durch das offene Fenster seines Zimmers fiel es auf die Wand, scharf abgegrenzt und weiß wie ein Spiegel. Er ging im Dunkeln zu Bett, suchte aber nicht einzuschlafen. Es schien ihm eigentümlich nutzlos, Verzicht zu leisten auf dieses ungewollte Lebendigwerden toter Stunden, toter Augen. Sie waren da, viel eher konnten Stunden und Gesichter des bevorstehenden Tages ausbleiben als sie. Sie war da! Ihre Augen waren da, ihr Lächeln kühn und lockend wie je! Aus der Tür ihres Zimmers hervorgetreten, stand sie in einer fremden Helligkeit ihm wirklich gegenüber und sah ihn an! Er fuhr auf: „Lida!“ — und ihm setzte das Herz aus. Da begriff er, daß es nichts war als ihr Bild, die große Photographie, die er nach ihrem Tod aus seiner Nähe entfernt hatte. Das Mondlicht war dorthin gerückt, scharf begrenzte es das Bild. Wie aber kam das Bild auf die Tapetentür, genau auf die Tür? Cromer sah nach; Das Bild war unbeweglich; unten versperrte es den Türgriff, man konnte nicht öffnen. Er drehte die Beleuchtung auf. Durch zwei kleine Löcher in der Tapete lief eine Schnur hin und zurück und in die Ringe am Rahmen. Er wollte einen der Knoten lösen: da war es keine Schnur, es waren viele Fäden, seltsam weich und zäh. Er riß; das Bild stürzte, und in der Hand hielt Cromer eine lange goldblonde Haarsträhne.