Die Toten vom Lärchensee - Joe Fischler - E-Book
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Die Toten vom Lärchensee E-Book

Joe Fischler

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Beschreibung

Bussi auf dem See: ein eiskalter, zweiter Fall im brandheißen Tirol. Was für ein Wechselbad für Arno Bussi in seinem zweiten Fall: Mitten in der Hitzewelle des Jahrhunderts soll er einen Mord aufklären, der sich schon vor fünf Jahren am idyllischen Tiroler Lärchensee ereignet hat. Damals ertrank der Seewirt, nachdem er betäubt ins Wasser geworfen wurde. Die Polizei tappte im Dunkeln. Jetzt will Innenminister Qualtinger endlich Resultate sehen und schickt seinen »Spezialfreund«, Inspektor Arno Bussi, nach Tirol. Dieser vermutet schnell, dass der kalte Fall nicht der wahre Grund für seine Entsendung in die alte Heimat gewesen sein kann, soll doch rund um den Lärchensee ein politisch umstrittenes Chaletdorf errichtet und der See damit aus seinem touristischen Dornröschenschlaf geholt werden. Als ein weiterer Einwohner gewaltsam zu Tode kommt, wird aus dem kalten Fall ein brandheißer, und der Arno ahnt: Will er dem Mörder auf die Schliche kommen, muss er zuerst das alte Rätsel vom Lärchensee lösen …

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Seitenzahl: 335

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Joe Fischler

Die Toten vom Lärchensee

Ein Fall für Arno Bussi

Kurzübersicht

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Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Joe Fischler

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

 

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Karte

Erster Tag

1. Kapitel

2. Kapitel

Zweiter Tag

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

Dritter Tag

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

Vierter Tag

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

Fünfter Tag

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Sechster Tag

29. Kapitel

Einen Monat später

30. Kapitel

Danksagung

Inhaltsverzeichnis

Sein Name ist Bussi. Arno Bussi.

Aber was nützt’s.

Fast ein ganzes Jahr ist vergangen, seit er ans Bundeskriminalamt in Wien zurückgekehrt ist, der Held des Kitzlingtals – so hat ihn die Tiroler Zeitung damals genannt, einen Lebensretter und Alpen-Columbo. Aber wen hat das in der Bundeshauptstadt gejuckt?

Gar niemanden.

Dabei hat der Arno Kopf und Kragen riskiert. Inmitten von Stürmen, monsunartigen Regenfällen und Bergstürzen hat er einen ganz verzwickten Fall quasi im Alleingang gelöst, und dabei nicht nur beinahe sein Leben, sondern fast auch noch sein Herz in den Tiroler Bergen gelassen.

Herz? Kommt gleich.

Jedenfalls ist er damals als frischgebackener Ehrenbürger einer Tiroler Gemeinde zurück nach Wien gekommen, wo ihn der Chef des Bundeskriminalamts, Oberst Wiesinger, gleich wieder in die Abteilung Kriminalstatistik zurückgesteckt hat. Zur Frau Reiter, zum Herrn Pospisil, zur Frau Novak und zum Herrn Major, dem Chef. Als wär gar nix gewesen. Und da arbeitet der Arno ein knappes Jahr später immer noch. Still und starr sitzt er an seinem Schreibtisch und holt die Auswertungen aus dem Computer, mit denen die Politik dann vorweisen kann, wie toll sie nicht ist. Aber Freude macht das keine. Im Gegenteil: Da lässt man den Bleistift schneller fallen, als die Kuckucksuhr im Büro vom Oberst Wiesinger fünfmal krähen kann, und ehe man sich’s versieht, ist man fünfundsechzig und mausgrau und der Sensenmann holt schon mal den Schleifstein raus.

Das mag jetzt ein bissl übertrieben sein, aber im Moment fühlt sich das Leben für den Arno genau so an. Keine dreißig, weder Frau noch Kind, und trotzdem schon mit einem Bein im Ruhestand. Aber blöd wär er, würd’ er was an seiner Situation zu ändern versuchen, vielleicht gar noch ein zweites Versetzungsgesuch schreiben. Was dabei herauskommt, hat er ja beim letzten Mal gesehen.

Solange sein Spezialfreund, der Herr Innenminister Friedolin Qualtinger, immer noch in Amt und Würden ist, kann’s der Arno sowieso vergessen mit seiner Polizeikarriere. Unterschätze niemals die Rachlust eines gehörnten Ehemanns, und die eines gehörnten Spitzenpolitikers schon zweimal nicht.

Und wie heißt’s noch so schön? Lebe nicht, um zu arbeiten, sondern arbeite, um zu leben. Also hat er sich im letzten Jahr ganz auf sein Privatleben konzentriert. Achttausend Kilometer ist er mit seiner hellblauen Vespa gefahren. Er war in den Bergen, am Meer und in den Masuren, hat seine Wohnung am Alsergrund verschönert und neue Freunde gefunden, für ein paar Monate auch eine Freundin, die Minnie, mit der er unbedingt einen Tanzkurs besuchen musste – Seit-Schritt-Stepp und eins, zwei, drei, besonders eins, zwei, drei, und das auch noch linksherum, weil die Minnie unbedingt auf den Opernball – egal, im Januar war aus die Maus, ein anderer Märchenprinz konnte noch viel besser tanzen als der Arno und die Minnie hatte sowieso schwer einen an der Waffel.

Apropos Waffel …

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Erster Tag

1

Heiß ist’s in der großen Stadt. So heiß, dass die Waffeln, die in den beiden Eisbechern vorm Arno stecken, im Nu Schlagseite bekommen und nur durch sein beherztes Eingreifen vorm Herausfallen gerettet werden können. So heiß, dass die Fiaker Fahrverbot bekommen haben, weil’s sonst noch mehr Pferdequälerei wär als eh schon, ja sogar so heiß, dass der Reparaturasphalt auf der Straße dermaßen klebrig wird, dass man sich beim Draufsteigen vorkommt wie die Fliege auf dem Klebestreifen. Der Arno hat schon einen anderen Treffpunkt vorschlagen wollen als die Innere Stadt, vorzugsweise das Polarium im Tiergarten Schönbrunn oder die Eisstadthalle, aber dafür wäre seine Mittagspause zu kurz gewesen. Und da sitzt er jetzt, der Arno, vor der Zanoni-Eisdiele in der Wiener Innenstadt, schwitzt und schwitzt und wartet auf die Frau, die sich nur mal schnell frisch machen hat wollen – vor zehn Minuten schon.

»So, da bin ich wieder«, sagt die Eva wie aufs Stichwort und bleibt noch kurz im Wassernebel stehen, der aus der Anlage über ihnen zischt, zieht ihr glattes, pechschwarzes Haar zur Seite und lässt sich das zerstäubte Wasser in den Nacken sprühen. Der Arno merkt, wie sein Puls gleich noch schneller wird, vor lauter Eva im schwarzen Minikleid.

Ach, die Eva! Tochter einer bekannten Schnitzelwirtin, von bezaubernder Schönheit und dann auch noch nett! Letztes Jahr, während dieser haarsträubenden Tage in Tirol, hat er sie so gut kennengelernt, dass er sich schon viel, viel mehr mit ihr hätte vorstellen können … Aber leider gehört ihr Herz einem anderen. Und zwar dem Franz. Franz Ertl, Bürgermeistersohn, Hoferbe in spe und seit ein paar Monaten auch Evas Verlobter. Jaja. Eine gute Partie, wie man so schön sagt. Aber es ist halt immer das Gleiche mit dem Arno und der Liebe. Entweder, die Angebetete merkt gar nicht, wie er frohlockt – Stichwort Florine, Schwarm seiner Jugend; sie hat einen an der Waffel – Stichwort Minnie; oder ein anderer war schneller – Stichwort Franz.

»Pfuh!«, sagt die Eva, als sie Platz genommen hat. Dann stochert sie in der Zuckersuppe herum, die vor wenigen Minuten noch ein gemischtes Eis gewesen ist. »Kann ich bitte einen Strohhalm haben?«, fragt sie die Kellnerin, lacht und schaut den Arno an, so wie es nur die Eva kann, mit ihren langen Klimperwimpern und den braunen Augen, den süßen Sommersprossen, den …

»Geht’s dir nicht gut, Arno?«, fragt sie.

»Doch doch«, antwortet der schnell und reißt sich aus der Verzückung. »Schön, dass wir uns sehen!«

»Ja, endlich, oder? Aber wenn der Arno nicht zur Eva kommt …«, sagt sie und leckt genüsslich einen Tropfen vom Stiel ihres Löffels.

Muss die Eva eben zum Arno kommen, ergänzt er in Gedanken und ihm wird gleich noch wärmer. Er räuspert sich, um seine Verlegenheit zu überspielen, und fragt dann: »Ist’s bei euch eigentlich auch so heiß?«

»Aber wie! Der Bach ist fast ausgetrocknet. Wahnsinn, oder? Aber jetzt sag: Wie geht’s dir denn in der Stadt? Gut schaust du aus«, meint sie und klimpert wieder mit den Wimpern.

Wenn er’s nicht besser wüsste, könnte er glauben, die Eva baggert ihn gerade an. »Alles gut … und danke, du auch.« Um Zeit zum Nachdenken zu haben, löffelt er sich etwas von der Haselnuss-Pistazien-Suppe in den Mund und schluckt. »Wien ist ein Traum«, behauptet er dann. »Die Stadt bietet so viele Möglichkeiten«, legt er noch eine Plattitüde drauf. Dabei kann er’s schon nachvollziehen, warum Wien ein Jahr ums andere zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wird, mit all seiner Kultur, den Freizeitmöglichkeiten, der Sicherheit und schlag mich tot. Wenn nur sein Job nicht so furchtbar langweilig wär.

»Wahrscheinlich komm ich in Zukunft öfter!«, sagt die Eva.

Er horcht auf und freut sich gleich mehr, als dass es einem unverdächtig vorkommen dürfte. »Ach, echt?«

»Ja, stell dir vor: Mit dem Geld aus meiner Erbschaft wollen wir ein Franchise machen, die Mama, der Franzl und ich. Wir schauen uns gerade ein paar leer stehende Lokale an. Bald könnt’s Resis Schnitzelparadies überall geben, auch in Wien. Wär das nicht toll?«

Jetzt muss der Arno aufpassen, nicht mit den Augen zu rollen. Weil: Wiener Schnitzel nach Wien zu bringen, das ist, als wollte man den Eskimos Kühlschränke verkaufen. Aber was die Eva mit ihrem unverhofften Riesen-Erbe anstellt, geht ihn ja nix an – und er will ihr auch keine falschen Hoffnungen nehmen. »Super!«, sagt er deshalb unter Aufbringung all seines Schauspieltalents.

»Findest du nicht?«

»Doch doch!«, lügt er weiter. »Schon.«

Die Eva schiebt ihren Eisbecher weg. »Du wirst schon sehen, wie wir das machen. Da kann sich die Konkurrenz warm anziehen.«

Bei der Vorstellung, sich warm anzuziehen, platzt ihm fast ein Lachen heraus, aber die Eva bleibt ernst. Schnitzel in Wien, denkt der Arno. Dabei hat die Eva ja ein paar Jahre in Berlin gelebt, bevor sie in ihr Tal zurückgekehrt ist, und müsste eigentlich einschätzen können, wie das mit der Gastronomie in großen Städten läuft. Vielleicht ist sie schon zu lang wieder daheim, wo sie die Welt vor lauter Bergen nicht sieht?

»Aber lassen wir das Geschäft beiseite«, erlöst sie ihn endlich. »Was hast du noch auf dem Programm heute? Gefährliche Verbrecher jagen?«, fragt sie verschwörerisch und klimpert jetzt so schön, dass man’s gleich mitfilmen möcht.

Er seufzt, schaut auf sein Handy und erschrickt, als er sieht, dass seine Mittagspause in zwanzig Minuten vorbei ist. Und mit der U4 braucht er mindestens eine Viertelstunde zurück zum Amt. Als er gerade eine elegante Umschreibung dafür sucht, dass er sich um keine Minute verspäten darf, weil Herr Major darauf allergisch reagiert, fängt sein Handy zu klingeln an. Eine Festnetznummer aus Wien, eine ziemlich dienstlich aussehende, und der Arno ahnt gleich, dass ihn da nix Gutes erwartet.

»Geh nur dran«, sagt die Eva und schlürft an ihrem Eis weiter.

Also geht er halt dran. »Bussi?«

»Innenministerium, Klein, grüß Gott«, quakt ein Herr aus dem Apparat, der Kermit aus der Muppet Show zu imitieren scheint.

»Ja?«, sagt der Arno und räuspert sich stellvertretend für den Anrufer.

»Herr Gruppeninspektor, Sie mögen sich bittschön alsbald beim Herrn Minister einfinden.«

»Beim Herrn Minister?«, echot der Arno erschrocken.

Die Eva schaut groß. Hinter ihm rücken Stühle. Blicke bohren sich förmlich in seinen Nacken.

»Der Herr Minister wünscht Sie persönlich zu sprechen, Herr Gruppeninspektor. Geht’s jetzt gleich?«

Der Arno will schon sagen, dass er sich zuerst beim Herrn Major freinehmen müsste, lässt’s dann aber bleiben, weil er der Eva und den vielen interessierten Zuhörern ja nicht wie der letzte Spießer vorkommen will, sondern wie ein Mann von Welt, ein würdiger Vertreter des Bundeskriminalamts, ein echter Agent, ein Bond, James Bond, denkt er und sagt: »In einer halben Stunde hätte ich für den Herrn Minister Zeit, wenn’s pressiert. Er kann ja derweil schon einmal ohne mich anfangen«, legt er noch ein Schäuferl drauf.

»Anfangen? Womit soll er denn anfangen?«, fragt Kermit.

»Genau«, gibt der Arno zurück, lacht kurz auf, beendet das Gespräch und greift zur Sonnenbrille.

 

Zwanzig Minuten später ist dann Schluss mit lustig. Der Arno sieht das Innenministerium in der Herrengasse vor sich auftauchen, diesen altehrwürdigen Bau mit den schmiedeeisernen Gittern vor den Fenstern, den rot-weiß-roten Fähnchen neben dem Haupteingang und den uniformierten Wachebeamten, die mit Argusaugen darauf achten, dass nur ja niemand dem Herrn Innenminister näher kommt, als der das gerne haben will.

Das gibt’s nicht!, hat sich der Arno auf dem kurzen Weg hierher gedacht. Das gibt’s nicht, dass der Qualtinger ihn ausgerechnet an dem Tag zu sich zitiert, an dem die Schupfgruber Eva in Wien auftaucht. Ein ganzes Jahr lang hat er nix mehr von dem Kerl gehört. Aber so ist das eben mit den Leuten, die einem nix Gutes wollen, die haben meistens einen sechsten Sinn für schlechte Gelegenheiten.

»Bussi«, sagt er gedankenverloren zum Wachebeamten am Haupteingang, und der schaut gleich komisch. »Bundeskriminalamt«, vervollständigt er schnell und zieht seinen Ausweis aus der Hosentasche. »Arno Bussi. Der Herr Innenminister erwartet mich.«

Der andere nickt und lässt ihn passieren.

»Gehn’S, nehmen’S einmal die Sonnenbrille runter, Herr Kollege«, meint der Kontrolleur, der ihn drinnen empfängt, und hält dann Arnos Ausweis neben dessen Gesicht, als könnt er sich das Bild keine Sekunde lang merken. Als Nächstes muss der Arno seine Brille, Geldtasche, Schlüssel und allen Krimskrams, den er sonst noch einstecken hat, in eine Plastikschüssel geben, bevor er durch den Metalldetektor gehen darf, wobei jede seiner Bewegungen genau beobachtet wird, nicht nur von den Beamten, sondern auch von Kameras, die überall installiert sind. Aber wer jetzt glaubt, damit wär’s getan, der irrt. Fast könnt man meinen, der Herr Innnenminister leide ein bissl unter Verfolgungswahn. Nach dem Durchleuchten muss sich der Arno nämlich noch an so einer Theke anmelden, neben der schon der nächste Bewaffnete steht.

»Zweck des Besuchs?«, fragt eine Frau mit hochgesteckter Frisur und windschnittiger Siebziger-Jahre-Brille.

»Unbekannt.«

»Voraussichtliches Ende?«

»Unbekannt.«

Die Frau mustert den Arno, als stünde die Reinkarnation von Osama bin Laden vor ihr.

»Der Herr Minister will mich dringend sprechen«, schickt er nach.

Sie kramt in ihren Listen und schüttelt dann den Kopf. »Tut mir leid, aber ich kann hier keinen Herrn Bussi finden.«

Der Arno zuckt mit den Schultern. »Dann geh ich halt wieder.«

Das scheint sie dann doch nicht riskieren zu wollen, denn sie fordert ihn auf zu warten, tätigt einen Anruf, und schau schau: Der Einlass wird gestattet. Nachdem er zu Hofrat Klein eskortiert wurde – der nicht nur klingt wie Kermit der Frosch, sondern sich auch noch bewegt wie ein Pinguin –, öffnet ihm dieser die Pforte zu Qualtingers Büro, aus der ihm eiskalte Luft entgegenströmt. Der Arno tritt ein und schaut. Und schaut.

Und staunt.

 

Also, jetzt hat er als gelernter Österreicher ja schon so manche Extravaganz der heimischen Spitzenpolitik mitbekommen, inklusive Tennisplatz auf Fischgrätparkett, den es in den Räumen eines Wiener Amtes gegeben haben soll. Aber mit dem, was er da jetzt sieht, hätte der Arno trotzdem nicht gerechnet. In Qualtingers Büro ist seit dem letzten Mal nämlich kein Stein auf dem anderen geblieben. Kein Parkett, keine dunklen Möbel und keine alten Schinken mehr an der Wand, stattdessen Glas, Glas und noch mehr Glas, und in der Mitte etwas, das ausschaut wie ein riesiger …

»Arno Bussi!«, kommt’s aus dem gegenüberliegenden Eck, und der Arno reißt seinen Blick vom einen Riesendödel zum nächsten. Der Qualtinger ist schon aufgestanden, wankt grinsend auf ihn zu und schüttelt ihm dann die Hand, als seien sie die allerbesten Freunde überhaupt. Mit den blonden Locken, die nur noch im Haarkranz sprießen, dem beachtlichen Doppelkinn und seinem antrainierten Eiskunstlaufgrinsen erinnert er den Arno immer ein bissl an einen Clown. »Schön, dass Sie so kurzfristig Zeit gefunden haben«, sagt dieser und grinst gleich noch viel mehr. »Na, was sagen Sie zu meiner Neugestaltung?«, fragt der Hausherr und präsentiert sein Glasbüro, als wollte er es ihm verkaufen. »Gelebte Transparenz.«

Der Arno staunt wie befohlen und denkt sich seinen Teil. Die Tische aus Glas, die Schränke aus Glas, die Wände hinter Glas – ihn hätt’s jetzt gar nicht mehr gewundert, wär auch das Schreibpapier vom Qualtinger aus Glas gewesen.

»Glas!«, sagt der und schreitet an den weißen Riesenpimmel heran, der sich aus dem Zentrum des Raums erhebt und bei genauerer Betrachtung ein Brunnen ist, der leise vor sich hin wischelt. Der Qualtinger legt eine Hand an den Phallus und lässt Wasser drüberlaufen. »Aah«, kommentiert er. »Probieren’S, Bussi, wie angenehm das ist!«

Der Arno glaubt’s ihm auch so und überlegt, was der Glasdödel wohl über das Unterbewusstsein vom Qualtinger aussagt, mehr noch, ob die Sache gar etwas mit damals zu tun haben könnte, als die Qualtingerin und der Arno auf frischer Tat ertappt worden sind, im ministeriellen Ehebett, sturzbetrunken immerhin.

»Zugfreie Klimaanlage«, spricht der Herr Minister und steht nun an der Kapselmaschine, von wo aus er dem Arno eine Espressotasse – natürlich aus Glas – entgegenhält und fragend schaut.

Der Arno nickt, und während er dem Surren zuhört, wird ihm erst richtig bewusst, wie kalt es hier drinnen ist. Bestimmt hat’s keine zwanzig Grad – die reinste Schockfrosterfahrung für jeden, der von draußen reinkommt. Die wachsende Nervosität und das kalt anmutende Glas überall tragen noch dazu bei, dass sich der Arno wünscht, er hätte nicht nur die Leinenhose und das durchgeschwitzte Hemd an, sondern auch noch einen Daunenmantel mitgenommen. Dem Qualtinger scheint das arktische Klima überhaupt nichts auszumachen.

»Milch? Zucker?«, fragt der und grinst munter weiter.

Zweimal schüttelt der Arno den Kopf.

»Ach, Bussi!«, sagt der Herr Minister, als sie synchron auf der ebenso hellen wie kalten Echtledercouch Platz nehmen und der Qualtinger sich extra breit hinlümmelt, »endlich habe ich einmal ein paar Minuten, um mich persönlich bei Ihnen zu bedanken.«

Der Arno wird noch misstrauischer als ohnehin schon, greift nach der Espressotasse, trinkt aber nicht, sondern behält sie wie einen Taschenwärmer in der rechten Faust.

»Wissen’S, letztes Jahr, als ich Ihnen diesen Sondereinsatz delegiert habe … in Kitzingen …«

»Hinterkitzlingen«, präzisiert der Arno.

»… kitzlingen, genau«, meint der Qualtinger und krault sich die spärlichen Goldlöckchen im Nacken. »Damals hab ich schon gewusst, dass auf Sie Verlass sein würde, und ich wurde nicht enttäuscht.«

Der Arno glaubt, er hört nicht recht. Er sich auf ihn verlassen. Ja, genau. Eine Mission Impossible war das, eine Strafarbeit sondergleichen, sonst nichts!

»Wenn man sich den Bericht durchliest, kann man ja nur zu dem Schluss kommen, dass Sie ein eiskalter Hund sind, Bussi. Eiskalt!«

Der Arno fängt zu zittern an.

»Und für so einen eiskalten Hund wie Sie, Bussi, habe ich hier genau das Richtige«, sagt der Qualtinger und tippt mit dem Zeigefinger auf eine Akte neben sich, die dem Arno erst jetzt auffällt. »Ein eiskalter Fall, um genau zu sein.«

»Eiskalt?«, fragt der Arno und schlottert jetzt regelrecht. Er überlegt, ob er nach der Toilette fragen soll, um sich draußen aufzuwärmen.

»Ein Cold Case!«, bestätigt der Herr Innenminister. »Fünf Jahre alt, also noch weit vor meiner Zeit. Unter mir hätt’s solche Laissez-Faire-Ermittlungen nicht gegeben, das kann ich Ihnen sagen.«

»Worum geht’s?«, drückt der Arno aufs Tempo. Er will hier raus.

Bevor der Qualtinger weiterspricht, schlürft er erst einmal genüsslich an seinem Espresso herum, schmatzt und schluckt dann so langsam, dass der Arno ihm am liebsten eine schmieren möchte. Endlich redet er weiter: »Es geht um einen ungeklärten Mordfall im schönen Tirol.«

Der Arno horcht auf. Schon wieder in die Strafkolonie?, denkt er.

»Sie sind doch Tiroler, nicht wahr, Bussi?«

»Ja, aber …«

»Dann kennen Sie doch sicher den schönen Lärchensee, nicht wahr?«

Natürlich kennt der Arno den Lärchensee – wer nicht? Dort gewesen ist er aber noch nie. Dabei kommt’s ihm so vor, als hätte er erst kürzlich etwas gelesen. Oder war der See im Fernsehen? Aber zu welchem Anlass? Auch sein Hirn scheint langsam einzufrieren.

Der Herr Minister spricht weiter: »Jedenfalls hab ich mir gedacht, ein Tapetenwechsel täte Ihnen auch mal wieder gut, gell … Sagen’S, zittern Sie?«

»Nein, nein«, wehrt sich der Arno sofort, schüttelt den Kopf und schafft’s fast nicht, mit dem Schütteln wieder aufzuhören.

»Na dann. Die Sommergrippe können wir nämlich gar nicht brauchen! Ha! So, Spaß beiseite. Arno Bussi: Seien Sie mein Mann für Tirol. Zeigen Sie mir, dass ich Ihnen zu Recht mein Vertrauen schenke, und lösen Sie für mich das Rätsel vom Lärchensee.«

Der Arno hört nur noch mit einem Ohr zu. Am liebsten würde er einfach rausrennen, so kalt ist ihm mittlerweile. Bildet er sich das vielleicht nur ein? Vielleicht klappt’s ja mit Autosuggestion. Er konzentriert sich ganz auf heiße Sachen …

Eine Badewanne …

»Dafür will ich Ihnen auch etwas bieten, Bussi.«

… eine finnische Sauna …

»Lösen Sie den kalten Fall …«

… Feuer …

»… und kehren Sie in den aktiven Dienst zurück!«

… Höllenglut … Was?, denkt der Arno und ist wie auf Knopfdruck wieder da. Aktiver Dienst?

Der Qualtinger räuspert sich, nimmt Haltung an und spricht dann so feierlich, dass nur mehr das Schwert für den Ritterschlag fehlt: »Arno Bussi! Hiermit übertrage ich Ihnen die Sonderermittlung Stubenwald am Lärchensee. Flugticket und alles Weitere finden Sie in der Akte. Sorgen Sie für Ordnung im Heiligen Land, Bussi, und ich bringe Ihre Karriere wieder auf Schiene!«

Der Arno spürt seine Zehen nicht mehr. Er weiß, dass er Fragen stellen sollte – insbesondere, warum’s denn so pressiert, wenn’s doch bloß ein Cold Case ist –, kann aber nur noch mit den Zähnen klappern. Er muss aus diesem Kühlschrank raus. Sofort. Also greift er nach der Akte und streckt dem Qualtinger die Hand entgegen, gedanklich schon vor der Tür.

»Mein Gott, Sie sind ja kalt wie eine Leiche!«, scherzt der Grinsemeister und lässt den Arno nicht mehr los, zieht ihn sogar noch ein bissl näher an sich heran und rät: »Gripp-Attack, dreimal täglich. Die beste Vorbeugung, die’s gibt!«

Der Arno nickt schnell, reißt seine Hand frei, dreht sich um und eilt aus dem Ministerbüro, vorbei an den Wachen ins Freie, wo es so herrlich warm ist, dass er sich fühlt wie im Paradies. Er läuft zum Michaelerplatz hinüber und lehnt sich mit seiner Hinterseite gegen eine von der Sonne aufgeheizte Marmorfassade. Und es ist ihm völlig egal, ob die Leute ihn für übergeschnappt halten oder nicht, es muss jetzt einfach gesagt werden: »Aaaah.«

 

Ein paar Stunden später sitzt der Arno in der Abendmaschine nach Innsbruck, von wo ihn ein Kollege aus Stubenwald abholen kommen soll. Fast tut’s ihm ein bissl leid, dass er dieses Mal nicht mit seiner Vespa nach Tirol fahren kann. Andererseits hat er in seinem Flugtrolley für mehr Sachen Platz als letztes Mal, wo er am eigenen Leib erfahren hat müssen, dass nicht nur guter Rat, sondern auch trockene Kleidung teuer wird, wenn das Wetter verrücktspielt. Nach solchen Kapriolen schaut’s zwar dieses Mal nicht aus – auch die kommenden Tage sollen tropisch und trocken bleiben –, aber: Unverhofft kommt bekanntlich oft.

Als die ersten Alpengipfel unter der Maschine auftauchen, die in der Abendsonne zu glühen scheinen, kann der Arno gar nicht anders, als von der Akte aufzusehen und wie der ärgste Tourist aus dem Fenster zu starren. Jaja. Da kann er Wien schön finden, wie er mag, am Ende hüpft ihm das Herz, sobald er den ersten Gipfel sieht. Denn als Tiroler, da hat er die Berge im Blut.

»Meine Damen und Herren, wir haben soeben unsere Reiseflughöhe verlassen und befinden uns im Sinkflug auf Innsbruck. Dort ist es zurzeit windstill bei zweiunddreißig Grad.«

Der Arno seufzt. Halb zehn am Abend und immer noch so heiß! Fast könnt er glauben, er wär tausend Kilometer weiter im Süden.

Die meisten seiner Landsleute sehen das pragmatisch. Kauft man sich halt eine Klimaanlage, dann kann man auch wieder gut schlafen, und so eine Palme tät schon auch noch in den Schrebergarten passen. Ein Jahrhundertsommer folgt auf den nächsten, der braun gebrannte Wetterfrosch im Fernsehen freut sich einen Haxen aus und überhaupt ist’s eh immer viel zu kalt gewesen bei uns. Jaja.

Aber zurück zum Arno.

Der Flug von Wien nach Tirol ist nicht viel mehr als ein Katzensprung. Während man noch darüber rätselt, welche der vielen Bergspitzen wohl zum Großglockner gehören könnte, schwebt man schon ins Inntal hinein, über Schwaz, Wattens und Hall geht’s immer knapper an die Hänge des Karwendels heran, bis plötzlich das Häusermeer unter einem auftaucht und rasch größer wird, bis man fast schon glaubt, man landet auf der Maria-Theresien-Straße, aber dann zum Glück Wiese und Asphalt und willkommen in Innsbruck und danke fürs Mitfliegen und was würden wir uns nicht freuen, Sie bald wieder bei uns an Bord begrüßen zu dürfen.

Der Arno nützt die letzten Flugminuten, um sich mental auf den Fall einzustellen. Nicht zum ersten Mal überlegt er, was der Qualtinger ihm wohl verheimlicht haben mag. Zwischen der ganzen organisatorischen Kofferei, dem Kofferpacken und Zum-Flughafen-Koffern hat er gar keine Zeit mehr gehabt, ins Internet zu schauen, und hier an Bord geht’s auch nicht. Er hätte zu gern gewusst, in welchem Zusammenhang ihm der Lärchensee kürzlich untergekommen ist. Irgendwas war da umstritten, und es tät ihn gar nicht wundern, wenn genau das – und nicht dieser Cold Case – der eigentliche Grund für seine Entsendung nach Tirol gewesen wäre. Am Ende waren die arktischen Temperaturen in Qualtingers Büro noch Absicht, damit er nicht zu viele Fragen stellt und kuscht, der Arno.

Oder tut er dem Herrn Innenminister jetzt unrecht? Ist Arnos besoffene Geschichte mit dessen Frau, der Qualtinger Marita, in Wahrheit längst vergessen, und der Oberchef hält wirklich so große Stücke auf ihn, wie er sagt? Wird der Arno demnächst endlich das machen dürfen, was er sich am meisten ersehnt, für Gerechtigkeit sorgen nämlich, als Ermittler des Bundeskriminalamts, heute in Wien, morgen in London und übermorgen in Paris? Ach, es wär zu schön, um wahr zu sein.

»Stellen Sie die Rückenlehne bitte gerade«, reißt ihn die Flugbegleiterin aus der Tagträumerei. Er tut’s und wirft einen letzten Blick in die Akte, die nicht einmal halb so viel Klarheit schafft, wie’s der Qualtinger ihm weismachen hat wollen.

Immerhin steht inzwischen so viel fest: Vor fünf Jahren ist Sebastian Baldauf, der Wirt vom Lärchensee, beim Fischen ertrunken. Ein tragischer Unfall, hat der Dorfpolizist damals voreilig in seinen Bericht geschrieben, und die bekannte Trunksucht des Wirts verantwortlich gemacht. Solche Unfälle gibt’s ja zuhauf. Mit drei Promille im Blut hat man halt weder in einem Auto noch im Ruderboot etwas verloren. Aber das Landeskriminalamt hat dann doch noch einmal genauer hingeschaut, weil die Leiche auf dem Seziertisch so gar keine Hinweise aufs Ertrinken zeigen hat wollen, und die Gerichtsmedizin fand Spuren eines Narkosemittels samt Einstichstelle. Aber damit war das Ermittlerglück dann auch schon wieder vorbei. Wochen später haben sie immer noch keinen Verdächtigen gehabt, nicht einmal den Hauch einer Spur, und weil’s der Öffentlichkeit auch ziemlich egal war – ein Mann ist ja selten so ein medienwirksames Opfer wie, sagen wir, ein Hund –, sind die Ermittler wieder abgereist und haben Stubenwald Stubenwald sein lassen.

»Cabin Crew, prepare for landing.«

2

Ach, Innsbruck. Innsbruck, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen, in fremde Land dahin, soll Kaiser Maximilian I. voll Schwermut gedichtet haben, vor lauter Elend, das ihn überkommen hat, weil er aus der Stadt raus hat müssen. Und man kann ihn schon verstehen, den selbst ernannten Letzten Ritter, wenn ringsum die Alpen in die Höhe ragen, dass es pompöser kaum noch geht, während man untenrum alles findet, was man zum Leben braucht, die Wälder, die Wiesen, den namensgebenden Fluss – und ja, die Stadt und die Menschen natürlich auch. Da will man ganz automatisch immer wieder zurückkommen, egal wie komisch die Leute reden mögen.

Als die Triebwerke der Maschine stillstehen, steigt der Arno aus und betritt nach kurzem Fußweg die Ankunftshalle, schreitet unbehelligt an Gepäckbändern und Zollkontrolle vorbei, und als sich die automatische Tür zur Halle öffnet, weiß er sofort, dass der Polizist, der da draußen auf der Sitzbank herumlümmelt, auf ihn wartet. Weil: Ein solcher Almöhi wie der kann auch nur aus einem Ort wie Stubenwald kommen, Uniform hin oder her.

»Inspektor Bussi?«, fragt er wie aufs Stichwort, streicht sich über den mächtigen, schneeweißen Schnauzer und steht auf, zuerst gebückt, dann langsam gerader. Jaja, es ist ein Kreuz mit dem Kreuz.

Der Arno nickt und reicht dem Kollegen die Hand. Dessen Gesicht ist so wettergegerbt, dass es wie ein braunes Lederstück ausschaut, und vor einem solchen Hintergrund leuchtet der Schnauzbart gleich noch viel mehr.

»Und Sie sind …?«, fragt der Arno, als er genug hat vom Händeschütteln.

»Franz.«

»Äh – Arno.«

»Ach so, nein, ja doch, äh«, stammelt der andere herum, wird rot und kratzt sich so verlegen unter der Schirmmütze, dass Meister Eder es auch nicht besser könnt, wobei sein ebenso schneeweißes wie volles Haar zum Vorschein kommt. Dann nimmt der Polizist Haltung an und sagt: »Bernhard Franz, Dienststelle Stubenwald. Aber wir können uns schon duzen.«

Der Arno nickt, weil’s ihm sowieso lieber ist – die ständige Siezerei ist eine echte Plage in der Stadt. Er erinnert sich daran, den Namen des Kollegen in der Akte gesehen zu haben. Ein gewisser Inspektor B. Franz war der Polizist, der damals vorschnell von einem Unglücksfall alkoholischer Natur überzeugt war.

Erst jetzt fällt ihm der riesige Hund auf, der zu Füßen des Alten liegt, und da muss man kein Zoologe sein, sondern braucht sich bloß ein Schnapsfass um den Hals herumzudenken, um den Bernhardiner zu erkennen. Dieser schaut auf, mustert den Arno mit ähnlich schweren Augen wie sein Herrl und legt den Kopf auf den kühlen Steinboden des Flughafens zurück.

»Und das ist …?«, fragt der Arno und bückt sich zum Hund hinunter, die rechte Hand schon ausgefahren.

»Der Bernhard. Lawinenhund a. D. – aber Achtung, der …«, sagt’s der andere Bernhard gerade noch rechtzeitig, weil der Hund schon nach ihm schnappt wie die Klapperschlange nach der Wüstenmaus. Dem Arno gelingt’s mit Not, seine Finger aus dem mächtigen Maul zu ziehen, bevor die Zähne aufeinanderkrachen, und dann erschrickt er gleich noch einmal, weil ihn der Bernhard anbellt, einmal nur, aber so laut, dass gleich alles gesagt ist.

»Jaja, schon recht, Bernhard«, sagt der Polizist, bückt sich ebenfalls und reibt über Kopf und Körper des Hundes, dessen Haut sich so frei verschieben lässt, als sei sie gar nicht mit dem Darunter verbunden, und fast möcht man sich um ihn sorgen, weil: Man kennt das ja mit zu viel Zärtlichkeit, am Ende hat man den Pullover noch verkehrt herum an.

»Der tut nix«, meint der Bernhard, »aber wenn der keinen Schnee sieht … komm, auf!«, sagt der Bernhard zum Bernhard, und der Bern … ach, wem auch immer, der Arno geht einfach beiden hinterher.

 

Ein paar Minuten später haben sie Innsbruck hinter sich gelassen und fahren auf die Autobahn. Viel ist um diese Zeit nicht mehr los. Im Sommer schon gar nicht. In Wien merkt man jederzeit, dass man sich die Stadt und das Umland mit bald zwei Millionen Menschen teilt. Aber hier? Klappen die Gehsteige schneller hoch, als es dunkel wird.

Der Arno überlegt, was er sagen könnte. Dass weder der Bernhard auf dem Fahrersitz noch jener im Kofferraum die großen Redner sind, hat er schon am Flughafen gemerkt, aber jetzt wird ihm die Stille langsam unangenehm.

»Wie lang brauchen wir?«, fragt er, um das Schweigen zu brechen.

»Eine Dreiviertelstunde.«

Und Ende der Durchsage.

Längst liegen die Lichter der Stadt hinter ihnen und die Dunkelheit umhüllt sie ganz. Es wird stickig. Also lässt der Arno das Fenster einen Zentimeter herunter. Sofort räuspert sich der Fahrer, fast zeitgleich bellt auch der Hund, so laut, dass es in den Ohren klingelt, also Fenster wieder zu.

»Der Bernhard verträgt keine Zugluft.«

»Können wir wenigstens die Klimaanlage …«

»Zieht auch, leider.«

Und wieder Funkstille.

Eine Schweißperle rinnt seitlich an Arnos Auge vorbei. Er greift an einen Hemdknopf und versucht, sich Luft zuzufächern, aber das bringt keine Erleichterung. Vor ein paar Stunden wär er beim Qualtinger fast erfroren, und schon bahnt sich die nächste Klimakatastrophe an. Minute um Minute schlägt sein Herz schneller, der Schweiß dringt aus allen Poren und auch der Fahrer wischt sich jetzt über die Stirn. Es ist die reinste Brutkammer – aber Hauptsache, der Hund hat keine Zugluft. Jaja. Manch eine Mensch-Tier-Beziehung läuft über die Jahre ordentlich aus dem Ruder, und am Ende stellt man sich die Frage, wer da eigentlich wen an der Leine hat. Aber egal.

Irgendwann fahren sie von der Autobahn ab und in ein Tal hinein. Neben der gewundenen Straße verläuft ein Bach. Nix tät der Arno jetzt lieber, als hineinzusteigen, weil Bergbäche noch bei der größten Hitze eiskalt sind, gespeist von Gletschern oder Quellen, die so tief aus dem Gebirge kommen, dass sie kälter sind, als ein Tauchbecken nach der Sauna jemals sein könnte.

Der Hund fängt genüsslich zu schnarchen an, und auch über den Arno legt sich eine bleierne Schwere. Die Hitze zehrt an allem und jedem, auch am Fahrer, dessen Augenlider fast geschlossen sind, wie ein Seitenblick verrät.

»Wenn Sie … wenn du willst, kann ich auch fahren«, schlägt der Arno vor.

»Wieso?«

»Ich hab im Flieger schlafen können«, lügt er.

»Geht schon.«

Und wieder Schweigen im Wald.

Sie fahren und schwitzen und fahren. An einer Baustelle wird der Verkehr einspurig vorbeigeführt, natürlich haben sie Rot und müssen warten, auf wen auch immer, das letzte Auto ist ihnen vor zehn Minuten entgegengekommen. Der Arno starrt auf die Anzeige der Außentemperatur, die nicht unter die Dreißig-Grad-Marke fallen will. Wie heiß es im Inneren des Fahrzeugs ist, will er gar nicht wissen. Die reinste Tierquälerei ist das, nur eben umgekehrt. Wie aufs Stichwort jault Prinz Bernhard im Kofferraum genüsslich auf.

»Er träumt vom Schnee«, weiß der alte Polizist, lächelt versonnen und beschleunigt wieder.

Ein Schild verrät, dass sie noch zehn Kilometer vor sich haben. Die Talstraße ist nicht sonderlich steil. Stubenwald und der Lärchensee liegen kaum mehr als tausend Meter über dem Meeresspiegel, womit man eine kühle Nacht wohl vergessen kann. Der Arno hat einen Riesendurst.

Stubenwald: Acht Kilometer.

Er schaut nach links und merkt, dass der Fahrer jetzt noch müder dreinschaut als zuvor. Er fängt schon zu nicken an. Jaja. Das berüchtigte Senioren-Headbanging, und am Ende Kopf im Airbag und Wagen auf dem Dach.

»Wo bin ich untergebracht?«, fragt der Arno lauter als nötig. Er merkt, wie der Polizeikollege erschrickt und erst einmal sein Betriebssystem neu starten muss, bevor er antworten kann.

»Ich soll dich nur holen kommen und nach Stubenwald bringen. Hat man dir nix von Wien aus organisiert?«, fragt der Bernhard unerwartet wortreich.

»Äh … nein?«

»Na dann … weiß ich auch nicht.«

»In der Wache vielleicht?«, schlägt er in Erinnerung an seinen letzten Einsatz in Tirol vor, wo er ein ganzes Polizeihaus für sich allein gehabt hat.

»Viel zu klein.«

»Irgendwo gibt’s sicher was«, meint der Arno und stellt sich vor, wie er sich gleich als Erstes unter die Dusche stellt und kalt, eiskalt …

»Darauf tät ich nicht wetten«, holt ihn der Bernhard postwendend auf den Boden der Tatsachen zurück.

»Wieso?«

»Der Rosswirt ist zu.«

Und wieder Funkstille.

»Wieso zu?«, muss er gleich noch mal fragen.

»Sommer.«

Stubenwald: Fünf Kilometer.

Jaja, der Sommer, der ist noch so eine Tiroler Spezialität. Der Tourismusmotor läuft zwar auf Höchstdrehzahl, aber halt ein bissl arg unwuchtig. Halligalli im Winter und im restlichen Dreivierteljahr fast nichts. Dabei ist der Sommer in Tirol noch viel schöner als der Winter, und schneefrei obendrein! Aber vielleicht ist’s ganz gut, wenn sich das nicht so schnell herumspricht, weil: Wenn sich die Skilehrer auch im Sommer um die Touristen kümmern müssen, wer soll dann die ganzen Bagger fahren?

 

Um Punkt elf am Abend hat das Martyrium ein Ende. Sie halten am Dorfplatz von Stubenwald. Sofort springt der Arno ins Freie, japst und merkt, wie alles klebt. Bis auf die Unterwäsche ist er durchgeschwitzt, aber auf Verdunstungskälte kann er in dieser mediterranen Schwüle nicht hoffen. Immerhin bläst ein Hauch von Wind, dem er sich gleich zuwendet, er zieht sein Hemd auf – und fort ist er, der Hauch. Der Arno seufzt, holt seinen Trolley aus dem Auto, streicht sich durchs feuchte Haar und sieht sich um. Das Zentrum von Stubenwald ist genauso ausgestorben wie jeder andere Ort, den sie auf dem Weg hierher passiert haben. Kein Mensch zu sehen, die Gebäude dunkel. Gemeindeamt lässt sich gerade noch auf einem davon lesen. Das Schild der Polizeiwache ist unbeleuchtet. Dafür taucht jenes der Bank die ganze Umgebung in fahles Gelb. Ein Hotel sieht der Arno nicht. So weit, so schlecht.

»Auf geht’s!«, hört er, dreht sich um und sieht, wie der eine Bernhard den anderen Bernhard aus dem Kofferraum holt und gleich größte Mühe hat, ihn zurückzuhalten. »Er muss Gassi«, meint der alte Polizist, »du kommst zurecht?«

Bevor er verneinen könnte, sind die beiden auch schon hinter der nächsten Ecke verschwunden. Und da steht er jetzt, der Arno, mit seinem Hauptstadt-Trolley am verwaisten Dorfplatz von Stubenwald und weiß nicht ein und auch nicht aus.

Als er ein sanftes Plätschern hört, dreht er seinen Kopf und erkennt den Dorfbrunnen. Wenigstens seinen Durst kann er also gleich löschen. Er lässt den Trolley einfach stehen – wem sollte er hier schon im Weg stehen? –, steigt zum Brunnen hoch und wendet sich dem Rinnsal zu, das so dünn aus dem Hahn rinnt, dass man ihm fast schon beim Verdunsten zuschauen kann. Dünn – aber kalt. Kalt! In Zeitlupe füllen sich seine Hände, er schürzt seine Lippen und saugt, schluckt, muss warten, bis nachgelaufen ist, schlürft und schluckt wieder, minutenlang, zwischendurch lässt er sich auch etwas in die Haare träufeln, bis es ihm den Buckel hinunterläuft, dann schlürft und schluckt er wieder, als hätt er gerade dreißig Kilometer Wüstenmarsch hinter sich gebracht, und möcht gar nie mehr aufhören. Herrlich!

Der Arno richtet sich auf und fühlt das schwere, kühle Nass in sich, dazu den nächsten Windhauch, der ihn umweht. Er legt den Kopf in den Nacken und sieht Tausende Sterne, und für einen Moment ist er mit sich und der Welt und dem Wetter versöhnt.

Bis jemand bellt. Von hinten. Einmal nur, aber laut und deutlich. Der Bernhard, weiß der Arno sofort.

Und auch der andere Bernhard sagt etwas.

»Das da ist kein Trinkwasser.«

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Tag

3

Also, wer an hartnäckiger Verstopfung leidet oder wem nach einer zünftigen gastroenterologischen Selbsterfahrung ist – die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden –, dem sei so ein ordentlicher Schluck aus dem Stubenwalder Dorfbrunnen aufs Wärmste empfohlen. Der räumt einen dermaßen aus, dass man hinterher schnurstracks zur Koloskopie rennen kann. Hätte der Arno doch bloß einen Blick auf das Schild am Brunnen geworfen. Aber hätte nützt halt hinterher meistens nix, sonst hieße es ja hat. Dabei kann man Arnos Nachlässigkeit schon verstehen. Generell lässt sich das Tiroler Wasser nämlich bedenkenlos aus jedem Hahn trinken, egal ob im Dorf, im Wald oder auf der Alm. Wenn dort einmal ein Schild hängt, auf dem Kein Trinkwasser steht, dann meistens deshalb, weil der Wirt um seine Einnahmen bangt. Am Ende fangen die ganzen Fünftausend-Euro-E-Bike-Fahrer noch Quellwasser statt Bier zum Trinken an und er hat den Salat.

Aber zurück zum Arno. Der hat gar nicht so schnell schauen können, wie sein Bauch zu knurren begonnen hat. Das Stubenwalder Durchmarschwasser hat in null Komma nix alle Kurven, Schlingen und Loopings seines Verdauungsapparats genommen, und wie der alte Polizist seinen Gesichtsausdruck gesehen hat, hat der so laut gelacht, dass der Arno ganz wütend geworden ist, aber dann hat er ganz schnell gemerkt, dass sein Universum ein neues Zentrum bekommen hat, und dieses Zentrum war sein Schließmuskel.

»Wo ist das nächste …?«

Der Bernhard hat sich gekringelt, zur Wache hinübergezeigt und nach seinem Schlüssel gekramt. Dort hat der Arno dann die halbe Nacht auf dem Donnerbalken verbracht. Und mein Gott, was er dort durchmachen hat müssen. Das mag sich ja kein Mensch vorstellen! Vielleicht ist’s auch besser, wenn man nicht allzu viele Worte darüber verliert und es der Phantasie überlässt. Nur so viel sei noch erwähnt: Leer, leerer, Arno.

Irgendwann, vielleicht war’s drei, möglicherweise auch vier Uhr in der Früh, hat er sich zum ersten Mal wieder aus dem WC getraut, so geschlaucht, dass er sich nur noch auf der hölzernen Wartebank ausstrecken hat können, auf der er sofort eingeschlafen ist.

 

Ein Geräusch weckt ihn. Etwas rumpelt. Rasch wird es lauter, bevor es schlagartig aufhört. Dann hört der Arno, wie jemand einen Schlüssel ins Türschloss steckt und gleich zweimal umdreht, und da strahlt ihm auch schon die Sonne ins Gesicht, viel zu hell, er muss sich eine Hand schützend vor die Augen halten und sieht zwei Schatten im Eingang, drei eigentlich, von denen einer sein Trolley ist, der zweite sich laut winselnd umdreht und der dritte mit zugehaltener Nase alle Fenster aufreißt. »Bernhard, HIER!«, ruft der Polizist und wetzt wieder raus, seinem Hund hinterher.

Der Arno richtet sich auf und starrt den Trolley an. Ist der etwa die ganze Nacht lang am Dorfplatz gestanden? Oder hat der Bernhard drauf aufgepasst? Egal.

Arnos linke Körperseite, auf der er die letzten Stunden gelegen hat, schmerzt. Ansonsten geht’s ihm aber erstaunlich gut. Nicht besonders ausgeschlafen, logisch, aber deutlich besser als vor ein paar Stunden noch. Auch seine Gedanken sind irgendwie klarer als sonst um diese Uhrzeit.

Die beiden Bernhards stehen wieder in der Tür. »Gehst du jetzt rein? Aber dalli!«, schimpft der eine den anderen, aber der denkt ja gar nicht daran, fährt an der Türschwelle alle vier Bremsen aus, also kommt sein Herrchen schließlich allein herein.

»Morgen, Arno!«, sagt er mit einem schelmischen Grinsen unter seinem Schnauzer. »Jaja, die Rache vom Lärchensee …«, hängt er versonnen dran und bindet die Hundeleine am Türbügel fest.

»Morgen. Die Rache vom – was?«

»Nennt man so bei uns. Wie die Rache des Montezuma, nur besser.«