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Eigentlich sollte sich Robert auf die letzte Prüfung konzentrieren, denn sein Studienabschluss hängt davon ab. Doch ein Traum, indem sein verstorbener Großvater ihm eine Botschaft übermittelt, lässt ihn nicht mehr los. Er sucht eine Therapeutin auf. Aber statt der erhofften Erklärung gewinnt der Traum durch das merkwürdige Verhalten der Frau an Bedeutung. Ihr Rat lautet: Nehmen Sie alles an, was auf Sie zukommt, auch wenn Sie es nicht gerne tun. So erledigt er in den nächsten Wochen Aufgaben, die er sich freiwillig nie ausgesucht hätte. Aber dann wäre er auch nicht der Logopädin Thea begegnet und hätte das Traumrätsel nicht lösen können ...
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Seitenzahl: 575
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Für meine Enkelkinder, in Liebe
Siehe, wie das, was du im Traum geschaut hast, nach langer Zeit voll verwirklicht wird. (Bahá’u’lláh, Ährenlese 79:1)
Seltsame Ereignisse um 1840
Unzählige Menschen schauten verwundert und verängstigt auf einen sehr großen Hof, der die Sonne umgab. Sie blickten erschreckt auf den Nachthimmel, an dem ein Riesenkomet mit feurigem Schweif durch die Dunkelheit zog. Einige behaupteten, der Komet näherte sich mit ungeheurer Schnelligkeit der Erde, um den Menschen das „Ende der Welt“ zu bringen.
Ein interessanter Bericht aus dieser Zeit lautete:
Ein bekehrter Jude in Palästina, Joseph Wolff, sagte das Kommen Christi für 1847 voraus.
Harriet Livermore, eine aufsehenerregende Frau jener Zeit … predigte überall die Wiederkunft, sogar im Repräsentantenhaus in Washington, wo die Menschen sich drängten, um sie zu hören.
Lady Hester Stanhope, die tollkühne Nichte von William Pitt, kehrte London und damit Macht und Mode den Rücken und siedelte sich im Libanon unter Arabern und Drusen an, um bei der Ankunft Christi an Ort und Stelle zu sein. Man erzählte sich, dass sie zwei weiße arabische Rosse in ihrem Stall hielt, eines für den Messias und eins für sich selbst.
Es wird erzählt, dass es im Heiligen Land eine kleine Moschee gibt, wo der Oberpriester die Schuhe bereithält, die der Messias tragen soll, wenn er nach Jerusalem kommt.
Es wird erzählt, dass einige der eifrigsten Gläubigen ihre Auferstehungskleider anzogen und sich bereithielten, Christi Herabkunft aus den Wolken des Himmels zu erwarten.
Am 24. Mai 1844 trat Samuel Morse, der Erfinder des Telegraphen, an die Tastatur seines neuen Instruments in Washington D.C. Er war im Begriff, das erste offizielle Telegramm der Geschichte durch den Draht von Washington nach Baltimore zu senden. In der Presse war dies als ein modernes Wunder begrüßt worden. Durch dieses Wunder, so hieß es, würde die Welt tatsächlich in einem Augenblick vereinigt werden. Diese blitzartigen Ströme, die durch die Drähte dahineilten, ließen die Größe des Planenten zusammenschrumpfen.
Die erste offizielle Botschaft von Samuel Morse lautete: WHAT HATH GOD WROUGHT! (welche Wunder Gott tut - 4. Mose 23:23)
Sir Lawrence Bragg hielt um diese Zeit einen Vortrag in New York. Er hatte ein Diagramm mit den wissenschaftlichen Errungenschaften der Menschen bis 1844 angefertigt. Es zeigte wie die Entwicklung bis zu jenem Zeitpunkt sehr langsam vor sich ging, so langsam, dass die Linie bis 1844 fast horizontal verlief. Danach jedoch stieg die Linie sofort steil in die Höhe, und ist seither stetig weiter gestiegen. Warum? Was hat nach 1844 diesen neuen Geist, diese Energie, diese Schaffenskraft ausgelöst? ... Gab es ein geschichtliches Ereignis im Jahre 1844, das diese plötzliche neue Flut an Wissen und Erfindungen verursachte?
War da etwas von den Geschichtsschreibern übersehen oder vernachlässigt worden?
(William Sears / Dieb in der Nacht)
Dienstag, 10. März 2020
Der Traum
Mittwoch, 11. März
Die Mentorin
Kleines Malheur
Nachricht von zu Hause
Donnerstag, 12. März
Die Therapeutin
Im Elternhaus
Freitag, 13. März
Der Krankenbesuch
Käthe Hermann
Tom Westphal
Die neue Situation
Samstag 14. März
Die Entdeckung
Unerlaubter Besuch
Unter Verdacht
Sonntag, 15. März
Die Patientenverfügung
Auf neuen Spuren
DREI VERHEIßUNGEN
ERSTE VERHEIßUNG
ZWEITE VERHEIßUNG
DRITTE VERHEIßUNG
Montag, 16. März
Zusatzaufgaben
Dienstag, 17. März
Die Nachricht
Die Aufräumaktion
Die Geschichte könnte sich wiederholen
Mittwoch, 18. März
Das Hofprojekt
Donnerstag, 19. März
Es kommt anders
Das Hoffest
Wochenende 20. - 22. März
Vorbereitungen
Erfindungen nach 1844
Ort des Erscheinens
Montag, 23. März
Arztbesuch
Dienstag, 24. März
Ilses Heimkehr
Mittwoch, 25. März
Die Logopädin
Das erste Kommen Christi
Donnerstag, 26. März
Die Entdeckung
Freitag, 27. März
Thea und Philip
Wiederkunftsprophezeiungen
Visionen von der Endzeit
Samstag 28. März
Hindernisse
Sonntag, 29. März
Besuch bei Frau Hermann
Hinweise auf den Messias der Endzeit
Montag, 30. März
Hoffnungen
Dienstag, 31. März
Theas Geschichte
Mittwoch, 1. April
Die Überraschung
Donnerstag, 2. April
Der Gutachter
Das Geheimnis beginnt sich zu lüften
Freitag 3. April
Die Zwangseinweisung
Samstag, 4. April
Aufräumaktion
Sonntag 5. April
Gute und schlechte Nachrichten
Montag, 6. April
Vorbereitungen
Dienstag 7. April
Die neue Situation
8. - 10. April
Frau Hermann
Samstag, 11. April
Der Verheißene
Mittwoch, 15. April
Die Bescheide
Donnerstag, 16. April
Überzeugungsversuche
Freitag, 17. April
Im Prüfungsfieber
Montag, 20. April
Die Überraschung
Die nächsten 14 Tage
Carola Färber
Die Bedeutung des Lichtes
Sonntag, 26. April
Abschiedsbesuch
Mittwoch, 29. April
Wegweiser
Samstag, 2. Mai
Vorurteile
Sonntag 3. Mai
Familientreffen
Dienstag 5. Mai
Auflösung
Zitate
Das Zimmer ist plötzlich sehr hell. Licht hüllt mich ein und gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit, wie ich es noch nie in diesem Raum erlebt habe. Ich sitze an meinem Schreibtisch und tippe gerade etwas in den Laptop. Ich drehe mich zur Tür und sehe meinen Großvater im Türrahmen stehen. Er trägt eine Jeans und ein kariertes Hemd, wie üblich. Er spricht zu mir, wie er immer zu mir gesprochen hat, kurz, knapp und mit einer gewissen Dringlichkeit, die keinen Widerspruch zulässt. Die ersten Worte sind leise, unverständlich, doch scheinen sie sich auf meine Arbeit zu beziehen, denn er zeigt auf den Laptop. Ich erhebe mich, gehe auf ihn zu und höre ihn sagen: „Robert, wir sind erschaffen, um ewig zu leben, aber die Voraussetzung dafür ist, im Licht zu leben. Es wird Zeit, du musst das Licht suchen und es aufnehmen! Ohne Licht verfehlt der Mensch sein Lebensziel. Das Licht löscht die Aggressionen im Herzen und macht Frieden erst möglich. Suche, Robert, für dich, für die Familie und für die Menschheit!“
Er wendet sich zum Gehen, kommt aber noch einmal zurück und sagt: „Suche, es eilt! Es wird deinen Weg bestimmen.“ Er legt die Hand auf meine Schulter und bekräftigt: „Eine einzelne Seele kann die Ursache für die geistige Erleuchtung eines Kontinents sein.“ Er wiederholt den Satz, seine Stimme wird immer leiser.
Und dann drehte sich alles, das Licht verschwand und Robert erwachte. Er befand sich in seinem WG-Zimmer in absoluter Dunkelheit. Es war mitten in der Nacht. Im gleichen Augenblick verspürte er den Drang, den Traum aufzuschreiben. Noch war er klar und deutlich.
Robert sprang aus dem Bett, stieß sich den Fuß am Bettpfosten und hastete an den Schreibtisch zu seinem Laptop. Mit halbgeschlossenen Augen notierte er den Traum und versuchte, sich an jedes Detail zu erinnern. Den letzten Satz hatte sein Großvater zweimal gesagt, die letzten Worte nur noch geflüstert.
Trotz der Dunkelheit spürte er noch deutlich das Licht des Traumes und die damit verbundene Wärme und Geborgenheit. Doch nach und nach löste es sich auf.
Eine Weile starrte er auf den Bildschirm. Was war das? Eine Botschaft aus dem Jenseits?
Sein Großvater war vor vier Jahren verstorben. Zu dieser Zeit hätte er seinen Träumen keine besondere Bedeutung beigemessen. Aber dann hatte er eines Nachts von seiner Schwester geträumt. Sie sagte: „Robert, ich bin schwer krank und niemand weiß Bescheid. Ich brauche Hilfe.“ Am nächsten Tag hatte er vergeblich versucht, Clara zu erreichen, und dann seine Eltern losgeschickt. Tatsächlich fanden sie sie mit über vierzig Fieber in ihrem Zimmer in der Wohngemeinschaft, allein. Die Eltern riefen den Notarzt. Clara musste eine Woche im Krankenhaus bleiben. Was wäre mit ihr passiert, wenn er diesen Traum nicht gehabt hätte? Seinen Eltern gegenüber hatte er von einem komischen Gefühl gesprochen. Ein paar Monate später begegnete ihm sein Großvater im Traum. Damals war Robert gerade bei der Bundeswehr und stand vor der Entscheidung, ob er sich für zwölf Jahre verpflichten sollte. Er hatte zwei Probejahre hinter sich. Seine Mutter plädierte für ein Studium, sein Vater für den Militärdienst.
Großvater sagte im Traum: Du solltest jedem, der dir begegnet einen guten Dienst erweisen und von Nutzen sein. Konflikte müssen friedlich gelöst werden und nicht mit Waffen.
Das Wort Dienst blieb bei ihm hängen. Am nächsten Tag ging er die Studienrichtungen der Hochschule Harz durch und stieß auf BWL-Dienstleistungsmanagement. Es war mehr das Wort Dienst, als die Richtung selbst, die ihn dazu brachte, sich näher mit diesem Studiengang zu beschäftigen. In der Beschreibung hieß es:
Neben betriebswirtschaftlichem Wissen werden vor allem Theorien, Methoden und Konzepte des Managements von Dienstleistungsbetrieben vermittelt.
Probleme verstehen – Lösungen praxisnah entwickeln … Führungskräfte mit internationaler Kompetenz … Fachwissen und Kompetenzen in Gesprächsführung, Konfliktmanagement, Projektmanagement, Moderation, Teamfähigkeit …
Das hörte sich gut an. Außerdem war er dann wieder zu Hause. Er liebte den Harz und seine Geburtsstadt Wernigerode im Besonderen.
Deshalb überlegte er nicht lange und bewarb sich für diesen Studiengang. Erst, als er einen positiven Bescheid hatte, teilte er seinen Eltern den Entschluss mit. Dass ein Traum den Anstoß gegeben hatte, verriet er niemandem.
Und nun schrieb er bereits an seiner Bachelor-Arbeit. Allerdings gab es noch ein kleines Hindernis. Er war zweimal durch die letzte Prüfung gefallen. Logistik war einfach nicht sein Fach. Wenn es beim dritten Versuch nicht klappen würde, wäre sein Studium umsonst gewesen. Diesen Gedanken wollte er nicht zulassen. Beim nächsten Mal bereitest du dich gründlich vor. Dann packst du das, ermutigte er sich.
Robert rief sich ins Gedächtnis, dass er morgen früh einen Termin bei seiner Mentorin hatte. „Du solltest ausgeschlafen sein“, murmelte er ärgerlich. Aber der aktuelle Traum ließ ihn nicht los. Hat er eine Bedeutung? Nicht jeder Traum hat Bedeutung. Und schließlich ging es hier nur um Licht und nicht um eine Entscheidung oder eine lebensbedrohliche Krankheit. Aber diese Aussage seines Großvaters – Suche, es eilt! Es wird deinen Weg bestimmen – ging ihm nicht aus dem Kopf. Er las seine Notizen noch einmal. Geht es wirklich im Leben darum, ein bestimmtes Licht zu finden, das Frieden bringt und uns auf die nächste Welt vorbereitet? Gibt es diese Welt überhaupt? Was ist so besonders am Licht, dass man sich darüber Gedanken machen muss, dass es sich lohnt, auf die Suche zu gehen?
Robert Schumann sah sich nicht als religiösen Menschen. Aber diese Traumgeschichten gaben ihm eine Ahnung, dass mehr zwischen Erde und Himmel ist, als man sehen kann. Mit seinen Eltern wollte er darüber nicht sprechen. Sein Vater würde den Traum als eine verrückte Idee abtun oder den häufigen Kinobesuchen zuschreiben. Bei seiner Mutter konnte er die Reaktion nicht ganz einschätzen. Sie war abergläubisch und hatte so ihre Macken. Eine Musiklehrerin, die ein Fan von der Musik Robert Schumanns ist, sich einen Mann sucht, der Schumann heißt und ihre Kinder auch noch Robert und Clara nennt, kann man durchaus als leicht verrückt bezeichnen. Sein Vater hatte lediglich einen zweiten Namen für seine Kinder durchsetzen können. So wurde aus ihm Jan Robert Schumann und aus seiner Schwester Clara Marie. Aber diese zweiten Namen spielten im täglichen Leben keine Rolle.
Robert sollte natürlich Klavier spielen lernen. Doch nach vier Jahren Unterricht mit mittelmäßigen Erfolgen hatte seine Mutter aufgegeben. Generell hatte er nicht den Ehrgeiz seiner Eltern geerbt. Ihm reichten durchschnittliche Zensuren. Nach dem Abitur hatte er eine Ausbildung als Krankenpfleger absolviert. Neben seinem Interesse für Geschichte, das er seinem Großvater zu verdanken hatte, fand er es auch nützlich, etwas mehr über die Funktionsweise des menschlichen Körpers zu erfahren. Sein Vater hoffte, dass er anschließend Medizin studieren würde. Aber Robert hatte einen gewichtigen Grund, sich nicht auf einen medizinischen Beruf einzulassen. Er mochte keinen Schichtdienst.
So beendete er die Lehre, und da sich einer seiner Freunde für die Bundeswehr entschied, folgte er dessen Beispiel. Seine Eltern waren wenig begeistert und rieten zu einem Probejahr. Daraus wurden dann zwei.
Robert war in Wernigerode zur Schule gegangen und hatte seine Berufsausbildung dort im Klinikum absolviert. Während der Zeit als Soldat war er in Hessen und Niedersachsen gewesen. Mit der Entscheidung für ein Studium kehrte er in die Heimat zurück. Allerdings lehnte er es ab, zu Hause zu wohnen und suchte sich in der Nähe des Campus ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Und das war auch gut so. Seine Mutter gab Klavierunterricht im Haus, was ihn immer mehr störte, je älter er wurde. Aber noch mehr nervten ihn die andauernden guten Ratschläge seines Vaters.
Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er im Bett lag und vergeblich versuchte zu schlafen. Was hat es mit diesem Traum auf sich, wieder eine Botschaft? Oder nur wirres Zeug?
Aktuelle Meldung:UN-Generalsekretär António Guterres: „Wir alle sind einer Bedrohung ausgesetzt – dem Coronavirus Covid 19. Die heutige Erklärung einer Pandemie ist ein Aufruf zum Handeln – für alle, überall. Es ist auch ein Aufruf zur Verantwortung und Solidarität – als Vereinte Nationen und als vereinte Menschen.“
Robert erwachte, als jemand die Wohnungstür zuschlug. Er blinzelte und begriff sofort. Es ist nach acht. Inga und Jens gehen zur Hochschule. Er sah auf den Wecker. „Oh nein, ich habe um halb neun einen Termin bei meiner Mentorin“, fiel ihm ein. Er sprang aus dem Bett und taumelte durch die Tür zum Bad. Verschlossen. „Simon, ich habe die Zeit verschlafen, lass mich rein. Professor Sommer kündigt mir, wenn ich nicht pünktlich bin.“ Simon öffnete gelassen die Tür. „Du solltest einfach mal deinen Wecker stellen.“
„Hab ich doch. Hab aber trotzdem nichts gehört.“
„Wie wär’s mit zwei Weckern und dem Handy?“
Robert winkte ab und schob sich durch die Tür ins Bad. Er duschte hastig, schlüpfte in eine Jeans und einen weiten Pullover und band sein schulterlanges dunkelblondes Haar im Nacken zusammen. Diese Frisur hatte er sich in der Studienzeit zugelegt, weil sie praktisch war und ihm außerdem noch gut stand.
Zehn Minuten später nahm er einen Schluck Kaffee aus der Tasse, die noch halbvoll auf dem gedeckten Frühstückstisch stand, schnappte Laptop und Jacke und stürmte hinaus. Simon rief ihm nach: „Kein Wunder, dass du wie eine Bohnenstange aussiehst, solltest endlich mal frühstücken.“
Robert wusste, dass Simon ihn nur so betitelte, weil er neidisch auf seine Größe von einem Meter fünfundachtzig und den schlanken Körper war.
Obwohl sich Robert beeilt hatte, kam er mit zehn Minuten Verspätung bei seiner Mentorin an. Frau Professor Sommer war eine große korpulente Frau, mit halblangen dunklen Haaren. Sie hatte eine Vorliebe für maßgeschneiderte Kostüme, wahrscheinlich, weil sie darin eine gewisse Autorität ausstrahlte. Fast jeder, den Robert kannte, hatte mindestens großen Respekt, wenn nicht sogar Angst vor ihr. Sie ging den Studenten mit ihrem Pünktlichkeitsfimmel und ihrer Genauigkeit gehörig auf die Nerven. Er holte tief Luft bevor er an die Tür klopfte.
Nach dem barschen Herein öffnete er zögerlich und blieb an der Tür stehen. „Guten Morgen Frau Professor Sommer“, sagte er höflich.
„Guten Morgen, Herr Schumann. Kommen Sie rein.“ Sie wies ihm den Platz gegenüber vom Schreibtisch zu und sah auf ihre Armbanduhr. „Na, welche Ausrede haben Sie denn heute für Ihre elf Minuten Verspätung parat?“
Robert druckste herum. „Ich habe meinen Wecker gestellt.
Aber …“
Sie horchte auf und musterte ihn auffällig. Das gab ihm ein gewisses Unbehagen und ließ ihn innehalten.
„Partys sollten Sie auf das Wochenende verlegen“, sagte sie mit zynischem Unterton.
„Ich habe nicht gefeiert“, entgegnete er erbost, „sondern nur schlecht geschlafen, weil ich …“
„Ja weil? …“ Wieder hatte sie diesen intensiven Blick, der Neugier und gleichzeitig Ärger über die Unpünktlichkeit signalisierte.
„Weil ich einen eigenartigen Traum hatte.“ Im nächsten Moment hätte er sich selbst beißen können. Frau Sommer war die Letzte, mit der er über seine Träume reden wollte. Er war auf eine spitze Bemerkung gefasst. Zu seiner Überraschung fragte sie interessiert: „Hatten Sie diesen Traum schon öfter?“
„Nein, nur diese Art von Traum“, antwortete er mit einer gewissen Vorsicht.
„Ein Albtraum oder eher eine Art … Botschaft?“, bohrte die Mentorin nach.
Roberts Augen weiteten sich. Er nickte zögerlich. „Die zweite Sache …“
Er ließ den Satz unbeendet, wollte nicht mit ihr darüber reden.
Die Professorin lehnte sich zurück und sagte in einem freundschaftlichen Ton: „Ich habe eine Freundin, die Psychotherapeutin ist und sich mit der Bedeutung von Träumen auskennt. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen ihre Telefonnummer.“
„Na, so dringend ist es nicht“, wertete er ab und erinnerte sich im nächsten Augenblick daran, dass sein Großvater ihn zur Eile gedrängt hatte. „Wenn ich etwas wissen möchte, dann, weshalb manche Träume so intensiv sind, dass man sich jede Einzelheit genau merken kann und dass …“ Wieder zögerte er. Dann beschloss er, ihr von seiner Schwester zu erzählen. „Ich habe vor ein paar Jahren von meiner Schwester geträumt. Sie sagte mir, dass sie sehr krank wäre und Hilfe brauchte. Am nächsten Tag habe ich meine Eltern zu ihr geschickt, Clara ging nicht ans Handy. Und sie lag tatsächlich mit hohem Fieber im Bett und war allein in ihrer WG. Sie musste eine Woche im Krankenhaus bleiben.“
„Verstehe, im Grunde hat der Traum ihrer Schwester das Leben gerettet. Und deshalb geben Sie Ihren Träumen Bedeutung. Worum ging es letzte Nacht, wenn ich fragen darf?“
„Um Licht, ich soll das Licht suchen …“ Wieder stockte er, weil ihm klar wurde, wie verrückt das klingen musste. Der erste Traum war deutlich. Mit diesem hier konnte er nichts anfangen. „Klingt etwas verrückt“, fügte er schnell hinzu.
Frau Sommer sah ihn nachdenklich an. „Gehen Sie zu Frau Meier-Wenzel“, sagte sie mit Nachdruck, als würde der Traum eine lebensbedrohliche Krankheit ankündigen. Dann lächelte sie. Robert war überrascht, dass diese Frau überhaupt lächeln konnte.
„Haben Sie schon einmal von Ihrer Bachelor-Arbeit geträumt?“, fragte sie nun.
„Nein, aber das könnte eher ein Albtraum werden“, meinte er schmunzelnd.
„Ich hoffe nicht. Die Vorbereitungen sind gut, die Gliederung und die Einführung stehen. Sie haben reichlich Material im Praktikum gesammelt, das Sie auswerten können. Konfliktlösung ist immer ein lohnendes Thema. Sie könnten noch den Bereich Prävention hinzufügen. Was kann man in dieser Firma speziell tun, um Konflikte zu vermeiden? Das könnte auch den Schlussteil bilden, als eine Art Vision.
Wenn die Arbeit im Groben fertig ist, würde ich noch einmal draufschauen, bevor Sie abgeben. Das ist nur ein Angebot.
Sollten Sie Fragen haben, können Sie mich per E-Mail kontaktieren. Ihr Abgabetermin …“, die Mentorin blätterte in ihrem Terminkalender und notierte kommentierend: „24. April.“
Das letzte Wort ging im Lärm der vorbeifahrenden Harzbahn unter. Frau Sommer schloss kurz die Augen. Als der Lärm nachließ, sagte sie: „Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen, dass diese Bahn jede Stunde sämtliche Vorlesungen und Seminare für drei Minuten lahmlegt.“
„Mir gefällt das“, rutschte Robert heraus. „Das ist doch ein einzigartiges Merkmal für die Hochschule Harz, so wie der Hogwarts-Express bei Harry Potter.“
Robert konnte es nicht fassen. Die Professorin lachte herzhaft.
„So habe ich es noch nicht gesehen. Toller Vergleich. Da es hier im Harz an jeder Ecke Brockenhexen gibt, haben wir noch eine weitere Parallele zur Hexen- und Zauberwelt von Harry Potter.“
„Stimmt“, sagte Robert und musste nun auch lachen.
Die Mentorin erhob sich, ein Zeichen für Robert, dass er gehen durfte. Sie öffnete ein Schubfach ihres Schreibtisches und nahm eine Visitenkarte heraus, die sie ihm schweigend zuschob.
„Also spätestens am 24. April halte ich Ihr Werk in den Händen. Eine Verspätung werde ich nicht akzeptieren“, sagte sie im gewohnten strengen Ton.
Draußen auf dem Flur schüttelte er leicht den Kopf. Robert war verblüfft darüber, dass er mit Professor Sommer über Träume gesprochen hatte. Die Visitenkarte der Psychotherapeutin steckte er in sein Portmonee.
Robert ging sofort in die Bibliothek, um sich die entsprechende Literatur für seine Arbeit auszuleihen und beschloss gleich an Ort und Stelle zu recherchieren. Sechs Wochen Zeit hörte sich viel an. Doch es war in diesem Fall besser, gleich zu beginnen. Schließlich hatte er noch für eine Prüfung zu lernen. Er breitete die ausgeliehenen Bücher auf seinem Tisch aus, sah die Inhaltsverzeichnisse durch und bemerkte, dass seine Gedanken immer wieder zum gestrigen Traum zurückkehrten. Ich soll das Licht finden. Es eilt. Es wird meinen Weg bestimmen, erinnerte er sich. Dann kam ihm die Idee, ein Buch über Traumdeutung auszuleihen. Die Bibliothekarin, die ihm schon bei der Suche nach den Fachbüchern geholfen hatte, sah ihn stirnrunzelnd an und fragte noch einmal argwöhnisch: „Traumbücher wollen Sie haben?“
„Ich will nur kurz etwas nachschlagen“, tat er lässig ab. Robert kam sich vor, als wäre er bei etwas Verbotenem erwischt worden. Sie brachte ihm drei Bücher zum Thema. Er nahm das erstbeste Buch und suchte im Inhaltsverzeichnis das Wort Licht.
Dort hieß es: Das Symbol spendet Hoffnung, zeigt einen Neuanfang auf. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, weder über unseren Gesundheitszustand noch über unser Wohlergehen. Geht das Licht im Traum gerade an, können wir im Wachleben tiefe Erkenntnisse gewinnen; brennt es in der Ferne, werden neue, aber erfüllbare Wünsche wach. Verlischt es aber plötzlich und lässt uns in der Dunkelheit zurück, könnten wir psychisch geschockt sein oder haben mit schlechten Neuigkeiten zu rechnen … Robert verglich seinen Traum mit dem Text und kam zu dem Schluss, dass hier etwas anderes gemeint war. Es war hell, aber er fühlte sich nicht geblendet, sondern behütet und geborgen darin. Die Worte seines Großvaters handelten vom Licht. Die Botschaft lautete, er solle das Licht suchen, damit er ewig leben könne.
Vielleicht sollte ich mich mit Aussagen über Leben nach dem Tod befassen, überlegte er und erinnerte sich an einen Fernsehbericht über Nah-Tod-Erfahrungen. Sie haben alle vom Licht gesprochen. „Nein, jetzt nicht“, entschied er leise murmelnd im nächsten Moment. Robert musste sich zwingen, die Traumbücher zur Seite zu legen und das Material für seine Bachelor-Arbeit zu sichten.
Er arbeitete, bis sich sein Magen meldete.
Robert hatte heute noch nichts gegessen und es war nach ein Uhr. Also marschierte er zur Mensa und wählte wie immer Pasta. Von Nudeln mit Tomatensauce konnte er nicht genug bekommen. Seine Mutter nannte ihn deshalb ihren kleinen Italiener, was für einen neunundzwanzigjährigen Mann mit seiner Größe keine sehr treffende Beschreibung war.
Robert ließ sich eine große Portion geben und bezahlte. Er hatte gerade sein Portmonee eingesteckt, als hinter ihm jemand seinen Namen rief. Er nahm das Tablett mit dem Glas Wasser und dem Nudelgericht, drehte sich etwas zu hastig um und stieß mit einer jungen Frau zusammen. Das Glas kippte zur Seite und zerbrach auf dem Fliesenboden. Der Teller mit Nudeln landete auf der weißen Jacke der Frau. Robert bekam so einen Schreck, dass er instinktiv einen Schritt zurückwich, aber zu spät. Er hatte nur noch das Tablett in der Hand und starrte die Frau an. Sie war zierlich und verdammt hübsch. Ihre dunklen langen Haare waren zu einem Seitenzopf geflochten. Sie hatte etwas Exotisches an sich. „Oh, das wollte ich nicht, Entschuldigung“, stammelte er, und verfolgte wie die letzten Nudeln mitsamt Tomatensauce nach unten rutschten. Jetzt kam es ihm vor, als würden die nachfolgenden Bewegungen in Zeitlupe ablaufen. Sie wischte mit einer Hand die Nudelreste von ihrer Jacke, trat einen Schritt zurück und sah an sich herunter. Sie betrachtete mit erstaunlicher Ruhe die Nudeln auf dem Fußboden. Schließlich sah sie ihn an. „Schade um das schöne Essen.“
Er mutmaßte, dass sie auch hier studierte. „Entschuldigung, ich ersetze dir die Jacke“, sagte er hastig.
„Nein, nein, das kriege ich schon wieder raus. Muss nur noch mal zurück und mich umziehen. So kann ich wohl schlecht unter die Menschheit.“ Sie lächelte jetzt. Robert spürte einen Stich im Herzen. Er fühlte sich wie festgenagelt, konnte den Blick nicht mehr von ihr abwenden.
Eine Küchenhilfe kam mit Eimer und Kehrblech, wuselte zwischen ihnen herum und durchbrach den Bann. „Kauf dir eine neue Jacke, ich bezahle sie dir“, bot er mit erstickter Stimme an.
Sie winkte ab. „Lass gut sein. Ich wohne nur fünf Minuten von hier.“
„Aber ich will wirklich den Schaden wieder gut machen“, beharrte er und wunderte sich selbst über seine Hartnäckigkeit.
Sie sagte lässig: „Du kannst mich ja mal zum Eis einladen, Spaghetti-Eis.“ Sie lachte, drehte sich um und ging. Er sah ihr nach. Die Küchenhilfe hielt ihm einen neuen Teller mit Nudeln und Tomatensauce hin. „Der geht aufs Haus“, sagte sie freundlich. Robert nahm den Teller, bedankte sich und blickte sich nach einem Platz um. Er hatte nicht bemerkt, dass Simon neben ihm stand. „Komm zu uns rüber“, sagte sein Mitbewohner.
Robert sah wieder zur Tür. „Kennst du sie, Simon?“, fragte er noch benommen.
„Nein, noch nie gesehen.“
Er setzte sich so, dass er die Tür im Auge behielt. Er erwartete, dass sie jeden Moment reinkommen würde. Aber sie kam nicht.
Robert verbrachte auch den Rest des Tages in der Bibliothek.
Seine Gedanken kehrten immer wieder zu der jungen Frau zurück. Er hatte ständig dieses magische Lächeln vor Augen.
Es ärgerte ihn, dass er keine Telefonnummer hatte, dass niemand sie kannte, dass er keine Gelegenheit bekommen hatte, sie näher kennenzulernen. Aber vielleicht war es auch gut so, versuchte er sich zu trösten. Sicher hatte sie einen Freund oder war schon verheiratet. Ihr Alter war schwer zu schätzen.
Sie könnte achtzehn aber auch dreißig sein.
Als er seine Sachen zusammenpackte, kam ihm die Visitenkarte von Frau Meier-Wenzel in die Finger. Vielleicht sollte er sie wirklich aufsuchen. Mit einer plausiblen Erklärung für den Traum könnte er das Thema abhaken und sich auf seine Arbeit konzentrieren und auf die nachzuholende Prüfung. Er war beim letzten Mal einfach nicht zum Lernen gekommen.
Simon hatte sein Zimmer renoviert und Roberts Hilfe gebraucht. Dann sollte er für seine Mutter noch Noten besorgen. Inga hatte sich den Fuß verstaucht und musste zum Arzt.
Er bekam jetzt noch Schweißausbrüche, wenn er an die vielen Hindernisse dachte, die ihn von der Prüfungsvorbereitung abgehalten hatten. Das durfte er nicht noch einmal riskieren.
Robert wählte, ohne lange zu überlegen, die Nummer von Frau Meier-Wenzel. Gleich nach dem ersten Klingeln hörte er ihre Stimme, die etwas gekünstelt klang. Für einen Moment wusste er nicht, was er sagen sollte. Doch dann sprudelten die Worte aus ihm heraus: „Ich bin Robert Schumann.
Frau Professor Sommer hat mir Ihre Nummer gegeben. Es geht um einen Traum.“ Plötzlich hatte Robert das Gefühl, Unsinn zu reden. „Aber Sie haben sicher viel zu tun und die Sache ist vielleicht nicht ganz so wichtig“, stammelte er.
„Herr Schumann, wenn Frau Sommer Ihnen meine Nummer gegeben hat, dann scheint es wichtig zu sein. Ich hätte sogar morgen um 15 Uhr einen freien Termin. Passt es Ihnen da?“
„Ja, da kann ich kommen.“
„Dann bis morgen, Herr Schumann.“
Robert konnte es selbst nicht fassen. Er hatte einen Termin bei einer Traumtherapeutin gemacht.
Eigentlich hätte Robert mit dem Tag zufrieden sein können.
Es hatte keinen Ärger wegen der Verspätung gegeben. Er hatte etliche Bücher für seine Bachelor-Arbeit herausgesucht. Aber etwas nagte an ihm, denn er kehrte gereizt und unzufrieden in die Wohnung zurück. Er legte sich auf sein Bett und versuchte, die Ursache seiner Stimmung zu ergründen. Im Flur kreischte Inga, nachdem es geklingelt hatte. Robert schoss hoch, riss die Zimmertür auf und schrie mit voller Kraft: „Ruhe! Kann man denn nicht mal fünf Minuten seine Ruhe haben?“
Inga sah ihn verständnislos an. „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte sie ärgerlich.
Robert sah, dass Sylvi, die Freundin von Inga, gekommen war und eine Torte in der Hand hielt. Sofort fiel ihm der Grund ein und die Schamröte machte sich auf seinem Gesicht bemerkbar. „Du hast heute Geburtstag“, sagte er entsetzt. „Herzlichen Glückwunsch! Ich habe es vergessen.“
„Ich werd’s überleben“, sagte Inga gelassen. „Wenn du noch nach einem passenden Geschenk suchen solltest, brauchst du nur die Küche nachher aufzuräumen. Ich habe Pizza für uns gebacken. Und mit Sylvis Torte ist das Geburtstagsmenü perfekt.“
Jetzt fiel Robert auf, dass Inga sich schick gemacht hatte. Ein geblümtes Kleid und der Haarreifen in ihren blonden Haaren gehörten nicht zum täglichen Outfit. Inga war letztes Jahr in die Männer-WG gezogen. Mit ihrem Einzug zog auch die Ordnung in der Wohnung ein, was manchmal ein bisschen nervig war.
Jens und Simon kamen aus ihren Zimmern und alle ließen sich in der Küche am gedeckten Geburtstagstisch nieder.
„Gibt es einen Grund für deinen Wunsch nach Ruhe?“, fragte Inga nebenbei und verteilte dabei Pizza.
Robert zuckte mit den Schultern. „Muss mich irgendwie erschrocken haben, als du so losgekreischt hast.“ Doch in Wirklichkeit wusste er, dass seine Unzufriedenheit mit der jungen Frau zusammenhing. Er hatte ihr die Spaghetti über die Jacke gekippt und darauf gehofft, dass sie zurückkommt.
Aber sie war nicht gekommen und er hatte auch keinen Anhaltspunkt, wo er sie finden könnte.
Roberts Gedanken wanderten zu seiner Mentorin, die beim Wort Traum ihre herrische Art abgelegt und eine menschliche Seite gezeigt hatte.
„Robert, willst du noch ein Stück Pizza?“, fragte Inga und musterte ihn misstrauisch.
„Oh gerne.“
Auch Simon bemerkte wohl seine gedankliche Abwesenheit.
„Hat dich dein verunglücktes Mittagessen so aus der Bahn geworfen?“, fragte er spöttisch. Ohne auf eine Antwort von Robert zu warten, erläuterte Simon die Szene.
„Und das Mädchen, hast du ihr ein Eis spendiert?“, fragte Inga.
„Sie kam nicht zurück“, antwortete Robert möglichst gleichgültig, damit niemand bemerkte, dass er sich genau darüber ärgerte.
„Ach, ich würde wiederkommen, wenn du mir ein Eis anbietest“, steuerte Sylvi bei und rollte mal wieder mit ihren blauen Augen. Doch Robert ging auf ihre Annäherungsversuche nicht ein. Sie war mit all den sonderbaren Tattoos, ihren lilafarbenen Haaren und ihrer stämmigen Figur absolut nicht sein Typ.
„Im Winter sollte man sowieso kein Eis essen“, sagte er gleichmütig.
„Wie war deine Konsultation?“, wollte Jens nun wissen.
„Konntest du deine Professorin mit deiner Gliederung zufriedenstellen?“
„Sie war überraschend …“, er suchte nach dem richtigen Wort, „menschlich. Wir haben uns sogar über Träume unterhalten“, gab er ehrlich zu und staunte immer noch über dieses Erlebnis.
„Ich kann mir bei dieser Frau gar nicht vorstellen, dass sie träumt“, spottete Jens. „Und wenn überhaupt, dann träumt sie höchstens, wie sie ihren Studenten das Leben schwer machen kann.“
Die anderen lachten, aber Robert blieb ernst. Er sparte sich die Information, dass er von ihr eine Telefonnummer bekommen hatte, um seinen Traum deuten zu lassen.
„Was denkt ihr über Träume?“, fragte er wie nebenbei.
Jens antwortete sofort: „Alles nur wirres Zeug ohne Bedeutung.“
„So würde ich es nicht sagen“, meldete sich Inga. „Wenn man immer dasselbe träumt, dann sollte man lieber mal einen Therapeuten aufsuchen, vor allem wenn es sich um Albträume handelt.
Simon teilte nachdenklich mit: „Ich träume immer, dass ich irgendwo hin will und nicht ankomme.“
„Das passt zu dir“, sagte Sylvi trocken. „Du bist immer überpünktlich, jetzt weiß ich warum.“
Die anderen lachten.
„Aber solche Träume, in denen man etwas voraussieht oder Botschaften erhält, halte ich für Quatsch“, ergänzte Simon.
Robert fühlte sich aufgefordert, den Traum mit seiner Schwester zu erzählen. Die anderen staunten nicht schlecht.
Nun gab Inga zu: „Ich habe mal von einem fremden Ort geträumt und ein halbes Jahr später war ich in einem Ferienlager und das war genau dieser Ort.“
Jens wandte sich an Sylvi: „Du studierst doch Psychologie, kannst ja deinen Professor mal fragen, was es mit Träumen auf sich hat.“
In diesem Moment klingelte Roberts Handy. „Meine Mutter.“ Er erhob sich und ging in sein Zimmer.
Vera Schumann hatte nicht nur den Hang zur Dramatik, sondern auch die Angewohnheit, weit auszuschweifen, bis sie endlich zum Punkt kam. Deshalb setzte sich Robert in den Schreibtischsessel und wartete auf die Vorrede. Doch diesmal sagte sie sofort: „Oma hat sich die Hand gebrochen. Sie kann sich nicht um den Hund kümmern, wenn wir in den Urlaub fliegen. Im Grunde braucht sie jetzt jemanden, der sich um sie kümmert. Robert, du musst nach Hause kommen, bitte. Kannst ja hier an deiner Arbeit schreiben. Rolli muss dreimal am Tag raus und Oma braucht jemand, der für sie einkauft. Unser Flieger geht übermorgen.“ Sie seufzte laut.
„Ach, wir brauchen den Urlaub so dringend. Vati freut sich auf das Tauchen. Und ich will einfach nur meine Ruhe haben.“ Robert hielt das Handy wie immer ein Stück vom Ohr weg und ließ seine Mutter reden. Was sollte er dazu sagen?
„Warum sagst du nichts, Robert?“
„Solange du redest, kann niemand etwas sagen, Mutti.“
„Ich muss doch erst einmal die Situation erklären. Stell dir vor, ich bin beim Packen. Und dann stürzt Oma. Ich habe Stunden im Krankenhaus verbracht. Sie wird morgen operiert und kommt wahrscheinlich in zwei bis drei Tagen nach Hause. Ach, die Katze muss auch versorgt werden. Und außerdem müssen wir noch ins Krankenhaus zu Onkel Eckhard, der hatte eine Herz-OP.“ Robert hörte seine Mutter schwer atmen.
„Was du alles musst“, sagte er gelassen. „Okay, ich komme morgen, aber erst gegen Abend. Habe noch einen Termin und brauche ein paar Bücher aus der Bibliothek. Ist noch was?“
„Was soll denn noch sein? Das ist doch wirklich genug“, antwortete sie hektisch. „Danke, dass du kommst.“
Robert ging zurück zu den anderen. Der Fernseher lief. Alle starrten auf den Bildschirm.
„Wir können nicht mehr lange so weitermachen“, sagte ein Arzt. „Angesichts des rasanten Anstiegs der Zahl der Covid-19-Kranken in Italien schlagen die überforderten Kliniken nun Alarm. Infolge der Coronavirus-Epidemie sind in Italien mehr als 630 Menschen gestorben. Die Gesamtzahl der Infizierten übersprang in dieser Woche die Zehntausender-Marke.“
„Meine Eltern wollen nach Ägypten. Geht das überhaupt?“, fragte Robert.
„Warum nicht. Das Virus kann ja nicht überall sein“, sagte Jens mit Überzeugung.
„Ich bin in den nächsten vierzehn Tagen nicht hier“, informierte Robert seine Mitbewohner knapp. „Muss mich um die Tiere und um meine Oma kümmern.“
„Und deine Bachelor-Arbeit schreiben“, fügte Jens hinzu.
„Das wird sicher eine super spannende Zeit. Wenn du dich langweilst, komm vorbei“, sagte Inga lachend.
„Willst du eigentlich ausziehen, wenn dein Studium zu Ende ist?“, erkundigte sich Sylvi. „Ich würde dein Zimmer übernehmen.“
Robert zuckte mit den Schultern: „Ich bin noch planlos.“
Aktuelle Meldung:Erstmals hat sich Bundeskanzlerin Merkel ausführlich zur Corona-Krise geäußert. Sie betonte, oberstes Ziel sei es, die Ausbreitung zu verlangsamen. Nur so könne eine Überlastung des Gesundheitswesens verhindert werden. „Das Virus ist in Europa angelangt. Das müssen wir alle verstehen“, sagte sie bei einer Pressekonferenz in Berlin.
Diesmal begab sich Robert zeitig genug auf den Weg, um pünktlich bei Frau Meier-Wenzel anzukommen. Er war mit dem Auto gefahren, denn bei dem windigen, nasskalten Wetter hatte er keine Lust, eine Viertelstunde draußen zu stehen.
Die Praxis befand sich in einem Altbau, einem typischen Fachwerkhaus, nicht weit vom Zentrum der Stadt. Es gab noch ein zweites Schild, das er nicht weiter beachtete. Anscheinend teilte sich die Frau mit einer Logopädin die Praxis.
Robert entschied sich, fünf Minuten vor dem Termin zu klingeln. Der Türöffner surrte und er betrat einen breiten Flur.
Ein Schild neben der Eingangstür verwies ihn auf den offenen Wartebereich. In dem schmalen Raum mit auffällig bunten Bildern und roten Stühlen saß eine junge Frau mit einem etwa fünfjährigen Jungen. Sie sahen sich ein Bilderbuch an.
Robert grüßte und nahm Platz. Der Junge hob den Kopf, musterte den Neuankömmling und sagte dann zu seiner Mutter: „Kann der Mann auch nicht richtig das F(W) sprechen?“
„Ich glaube, dass kriege ich gerade noch so hin“, antwortete Robert schlagfertig.
„Und was f(w)illst du dann hier?“, fragte der Junge neugierig.
Die Mutter schritt ein: „Das geht uns doch nichts an, Paul.“
„Aber er f(w)eiß doch auch, dass ich das F(W) nicht sprechen kann.“
Robert lachte und sagte geradeheraus: „Bei mir geht es um das T wie Traum.“
In diesem Moment öffnete sich eine Tür und eine kleine füllige Frau in einem legeren blauen Kleid kam in den Wartebereich. Sie nahm ihre dunkle Brille ab und fragte: „Herr Schumann?“
Robert erhob sich. Die Frau streckte ihm die Hand entgegen.
„Ich bin Simone Meier-Wenzel, guten Tag. Kommen Sie bitte herein.“ Ihr überfreundlicher Tonfall erzeugte bei Robert Unbehagen und eine gewisse Vorsicht.
Er betrat einen großen Raum, der früher einmal geteilt war.
Die Balken in der Mitte zeugten davon. Robert hatte das Gefühl, in einem Blumenladen zu sein. Frau Meier-Wenzel wies auf eine Sitzecke mit Korbmöbeln und bunten Kissen, die von großen Pflanzen eingerahmt wurde. Er nahm Platz und sah sich genauer um. Ein Schreibtisch aus Eichenholz und passende Regale füllten die andere Seite des Zimmers.
Im Erker befand sich, zwischen Grünpflanzen versteckt, ein kleiner Springbrunnen. Sein Plätschern beruhigte ihn, obwohl er bis dahin gar nicht gemerkt hatte, dass er angespannt war. Von irgendwo drang leise klassische Musik in den Raum. „Sie leben ja hier in einem Blumenladen“, rutschte es ihm heraus.
Er dachte schon, dass er ins Fettnäpfchen getreten wäre, aber Frau Meier-Wenzeln lächelte freundlich. „Pflanzen haben einen sehr positiven Einfluss auf unser Gemüt. Ich möchte, dass sich meine Patienten entspannen und wohlfühlen. Darf ich Ihnen einen Kräutertee anbieten?“
Eigentlich trank Robert keinen Kräutertee, aber hier in diesem urwaldähnlichen Umfeld wäre Cola sicher ein Stilbruch.
Deshalb stimmte er zu. Frau Meier-Wenzel brachte ein Tablett mit zwei Sammeltassen und einer Kanne mit Blumenmuster, die ihn an das Geschirr seiner Oma erinnerten. Sie schenkte Tee ein. „Robert Schumann, kennen Sie das Klavierstück Knecht Ruprecht?“, fragte die Therapeutin in geschäftsmäßigem Ton, als wäre er hier zu einem Vorspiel angetreten.
Nein, dachte Robert, nicht schon wieder der Vergleich. Er kannte die Bemerkungen zur Genüge. Treten Sie auch in die Fußstapfen Ihres Namensvetters? Sind Sie mit Robert Schumann, dem Musiker sogar weitläufig verwandt?
Er hasste diese Fragen. Aus diesem Grunde fiel seine Antwort recht bissig aus: „Ich bin nicht mit ihm verwandt und ja, ich kenne das Musikstück, weil meine Mutter es oft genug um die Weihnachtszeit mit ihren Schülern spielt. Und nein, ich spiele kein Klavier. Konnte mir den Namen leider nicht aussuchen.“
Frau Meier-Wenzel zog die Augenbrauen hoch. „Meine Frage sollte ein Scherz sein. Aber offensichtlich habe ich einen wunden Punkt getroffen.“
„Allerdings, aber deshalb bin ich nicht hier“, sagte Robert schnell, weil er das Thema nicht vertiefen wollte.
„Irgendwie hängen die Dinge doch immer zusammen“, antwortete die Frau geheimnisvoll, nahm eine kleine silberne Gießkanne und gab den Blumen neben sich etwas Wasser.
„In diesem Fall nicht“, beharrte Robert weiter. „Ich habe das dritte Mal einen …“ Er überlegte wie er diese Art Traum beschreiben sollte, „besonderen Traum erlebt.“
„War es immer der gleiche Traum?“
„Nein, das nicht.“
„Erzählen Sie mir die beiden ersten Träume“, forderte Frau Meier-Wenzel ihn auf.
Es fiel Robert leicht, von der Krankheit seiner Schwester und vom beruflichen Ratschlag seines Großvaters zu berichten.“ Die Therapeutin hörte interessiert zu, machte sich ein paar Notizen und fragte, nachdem er seinen Bericht beendet hatte: „War es nun der richtige Weg, wieder nach Wernigerode zurückzukommen und Dienstleistungsmanagement zu studieren?“
„Ich bin hier geboren, mag die Stadt und bin mit der Hochschule Harz sehr zufrieden. Ich hätte nur etwas mehr lernen müssen, dann wäre ich in der letzten Prüfung nicht wieder durchgefallen. Dadurch hängt das Studium am seidenen Faden.“
„Aha. Wissen Sie schon, was Sie danach tun wollen?“
Robert schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht.“
„Verstehe.“ Frau Meier-Wenzel machte eine lange Pause.
„Der erste Traum scheint mir ein Wahrtraum zu sein. Sie sind selten, aber nicht wegzuleugnen. Von Wissenschaftlern werden Wahrträume ins Reich der Fabeln verwiesen, als medial, übersinnlich und parapsychologisch abgetan. Doch aus der Geschichte sind solche Träume überliefert. Ich will Ihnen einen Traum erzählen, den Ihr Namensvetter Robert Schumann erlebt hat.“ Frau Meier-Wenzel lehnte sich entspannt zurück, schloss kurz die Augen und begann dann wie eine Märchenerzählerin: „Am 28. November 1837 schreibt Robert Schumann an seine Braut, die Pianistin Clara Wieck: Ich träumte, ich ging an einem tiefen Wasser vorbei. Da fuhr’s mir durch den Sinn, und ich warf den Ring hinein. Da hatte ich unendliche Sehnsucht, dass ich mich nachstürzte.
Sicher hätte man den Traum aus psychotherapeutischer Sicht deuten können. Der Ring, der im Wasser versank, hätte Schwierigkeiten umschreiben können, die zwischen dem Brautpaar standen. – Schumann musste sich die Heiratserlaubnis vor Gericht erkämpfen. – Die unendliche Sehnsucht könnte auf die Braut bezogen werden, weil sie nicht heiraten konnten.
Doch Tatsache ist, dass 17 Jahre später, am 26. Februar 1854 Robert Schumann sich im Fieberwahn in Düsseldorf von der Rheinbrücke stürzte. Vorher hatte er den Ring ins Wasser geworfen. Schumann wurde gerettet, zwei Jahre später starb er geistig umnachtet in einer Heilanstalt bei Bonn.“
Frau Meier-Wenzel öffnete die Augen.
Robert sagte mit einem schiefen Lächeln: „Das hat mir meine Mutter nicht erzählt. War wohl nicht so wichtig für sie.“
Frau Meier-Wenzel nippte nachdenklich an ihrem Tee.
„Dann hatte ich also tatsächlich einen seltenen Wahrtraum, aber es war doch auch irgendwie eine Botschaft von meiner Schwester.“
„Wie es aussieht, erhalten Sie in Ihren Träumen Botschaften.
Ihr Großvater hat Ihnen in einer unklaren Situation den Tipp mit dem Studium gegeben. Und dass Sie diesem Hinweis gefolgt sind, zeigt doch, dass es sich offensichtlich richtig für sie anfühlte. Ich bin auf Ihren dritten Traum gespannt.“
Robert überlegte kurz, wie er beginnen sollte. Entschied sich dann zunächst für eine Frage. „Was bedeutet Licht im Traum?“
„Licht ist geistige Energie. Licht macht alles deutlich und klar. Es zeigt einen Neuanfang. Geht das Licht im Traum gerade an, können wir im wachen Leben tiefe Erkenntnisse gewinnen. Leuchtet es in der Ferne, werden neue, aber erfüllbare Wünsche wach. Verlöscht es aber plötzlich und lässt uns im Dunklen zurück, haben wir mit schlechten Neuigkeiten zu rechnen. Sie sehen also, man muss den ganzen Traum erst kennen, um ihn zu deuten.“
Robert nickte. „Der dritte Traum ist nicht so eindeutig wie die anderen, gibt mir Rätsel auf und klingt etwas … verrückt.“
„Es gibt keine verrückten Träume, Robert. Manchmal verarbeitet man im Traum das Tagesgeschehen, manchmal kann man ein Problem, das am Tage nicht lösbar scheint, im Traum lösen. Der menschliche Geist hat zwei verschiedene Möglichkeiten des Wahrnehmens und Handelns. Der eine Weg geht mit Werkzeugen und Organen, also mit Augen, Ohren und Zunge. Aber es gibt auch die andere Möglichkeit, dass der Geist sich ohne Werkzeuge und Organe äußert, nämlich im Zustand des Schlafes. Es kommt vor, dass man einen Traum erlebt, dessen Bedeutung erst viel später zutage tritt.
Überlegen Sie, was alles im Schlaf möglich ist. Der Körper liegt, schläft und der Geist hält sich an einem ganz anderen Ort auf, der tausende Kilometer entfernt ist. Er kann in einem einzigen Augenblick von Osten nach Westen reisen oder umgekehrt. Im Wachen sieht der Geist die Gegenwart, im Schlaf vielleicht die Zukunft? Ich behaupte sogar, dass der Einfluss des Geistes, wenn der Körper schläft, größer ist, sein Flug höher und seine Erkenntnisse stärker und vielfältiger sein können. Und nun erzählen Sie mir Ihren angeblich verrückten Traum, Robert.“
„Das ist in der Tat völlig neu für mich, was Sie da gesagt haben und lässt meinen Traum nicht mehr ganz so ungewöhnlich erscheinen.“ Er öffnete seinen Laptop und nahm seine Notizen zu Hilfe, um nichts zu vergessen. Robert beschrieb das Licht, erklärte das Gefühl der Geborgenheit und gab den Dialog mit seinem Großvater wieder. Er merkte, dass sich der Gesichtsausdruck von Frau Meier-Wenzel im Laufe seiner Schilderung veränderte. Aus der interessierten Zuhörerin wurde eine Frau, die starr geradeaus blickte und mit den Gedanken woanders zu sein schien. Sie machte sich keine Notizen mehr.
Der letzte Satz schien sie völlig aus der Fassung zu bringen: „Eine einzelne Seele kann die Ursache für die geistige Erleuchtung eines Kontinents sein.“
Sie sprang auf. „Das hat ihr Großvater gesagt?“, fragte sie entsetzt.
„Er hat es sogar zweimal gesagt.“ Frau Meier-Wenzel legte ihre Stirn in tiefe Falten und starrte geradeaus.
„Was ist damit? Warum sind Sie so … überrascht?“, fragte Robert gespannt. „Was denken Sie, hat dieser Traum eine Bedeutung? Können Sie mir sagen, was mit der Suche nach dem Licht gemeint ist? Wo soll ich suchen?“
Frau Meier-Wenzel wirkte wie in Trance. Erst nach einer Weile sagte sie leise: „Was haben Sie gefragt?“
Robert wiederholte seine Fragen und sie sagte schlicht: „Licht scheint hier etwas Positives zu sein, kann für einen Neuanfang stehen.“
„Aber wo und wie soll ich es suchen?“
„Es kommt darauf an, ob man daran glaubt oder nicht. Wenn Sie glauben, dass Ihr Großvater Ihnen einen Auftrag erteilt hat, dann kann ich Ihnen nur raten: Seien Sie achtsam, prüfen Sie alles, was Ihnen begegnet, was Ihnen scheinbar zufällt.
Wenn ein Freund Sie zum Beispiel zu einem Malkurs einlädt und Sie das Malen eigentlich hassen, dann gehen Sie trotzdem hin. Und merken Sie sich, ein Ziel zieht. Werden Sie zum Lichtsucher mit jeder Faser Ihres Körpers. Wenn Sie die Bereitschaft nicht haben, brauchen Sie erst gar nicht anzufangen.“
Sie streckte ihm die Hand entgegen und sagte steif: „Ich wünsche Ihnen viel Glück.“
Robert ergriff sie, war nun völlig verwirrt und nahm, um etwas Zeit zu gewinnen, noch einen letzten Schluck von seinem Kräutertee, der nun besonders bitter schmeckte. Er bemühte sich, nicht den Mund zu verziehen. Die Frau wollte ihn jetzt loszuwerden. „Ich hätte gerne mehr gewusst. Ist es ein Wahrtraum, ein prophetischer Traum?“
„Sie sind den ersten beiden Traumbotschaften gefolgt und haben positive Erfahrungen gemacht. Das ist mehr, als ich bisher selbst erlebt habe. Sie brauchen niemanden, der Ihnen den dritten Traum erklärt. Was Sie brauchen ist Ausdauer, Geduld und Entschlossenheit“, sagte sie streng und fügte etwas milder hinzu: „Und Offenheit.“
Robert stieß die Luft hörbar aus und sagte leicht enttäuscht: „Okay, wenn Sie meinen.“ Er konnte nicht glauben, dass das alles war, was eine Expertin ihm zu sagen hatte. Er war schon an der Tür, als ihm einfiel: „Ach, ich muss Sie noch bezahlen.“
Sie winkte ab: „Nein, nein, schon gut.“
Jetzt war er richtig durcheinander. Er verließ die Praxis und blieb eine Weile im Auto sitzen.
Robert hatte gehofft, dass sich nach dem Besuch bei Frau Meier-Wenzel das Thema Traum erledigt haben würde, doch stattdessen hatte es an Bedeutung gewonnen und den Auftrag seines Großvaters auf merkwürdige Weise verstärkt. Vor allem fragte er sich, warum sich die Therapeutin nach der Schilderung des Traumes so seltsam benommen hatte. Er sah noch genau die Verwandlung ihres Gesichtsausdrucks vor sich, von Interesse, zu Überraschung, weiter zum Schock und dann zur Apathie. Die Krönung war ihre Empfehlung, alles anzunehmen, was kommt.
Doch nun hatte er keine Zeit, darüber nachzudenken. Er musste jetzt seine Sachen holen und dann nach Hause fahren, sich um den Hund, die Katze und Oma kümmern, alles Dinge, um die er sich freiwillig nicht reißen würde. Aber jetzt hatte er ja den Auftrag von einer Therapeutin, alles anzunehmen was kommt. Sein Gefühl sagte ihm, dass die Frau ihm etwas verschwieg, dass sie genau wusste, was der Traum bedeutete. Er war sich jetzt sicher. Beim letzten Satz hatte sie Angst bekommen. Aber weshalb?
Die kurze Strecke zwischen seiner WG-Wohnung und dem Haus seiner Eltern war nicht der Rede wert. Er brauchte keine Viertelstunde. Es wäre auch kein Aufwand gewesen, jeden Morgen von zu Hause aus zur Hochschule zu fahren.
Doch diese räumliche Entfernung war aus Roberts Sicht nötig, um ein gutes Familienklima zu bewahren. Wenn er nach Hause kam, kam er zu Besuch. Und ein Besuch wurde nicht ständig herumkommandiert oder mit guten Ratschlägen versorgt. Wenn er dort wohnen würde, dann war er das Kind, dem man das Leben erklären musste, auch wenn er bereits neunundzwanzig war. Zum Glück konnte er die nächsten vierzehn Tage allein im Haus verbringen, eine Aussicht, die ihm gefiel.
Als Robert gegen Abend bei seinen Eltern mit Sack und Pack einzog, hatte er den Traum und die Therapeutin für einen Moment vergessen. Seine Mutter lief wie erwartet im Dauerlauf durch das Haus. Vera Schumann geriet immer in Stress, wenn es um das Verreisen ging. Meistens passierte irgendetwas, eine Vase ging zu Bruch oder sie stieß sich am Arm oder am Kopf oder sie stürzte. Robert hatte schon früh gelernt, dass es besser war, in solchen Situationen von der Bildfläche zu verschwinden.
Vera begrüßte ihn herzlich und begann sofort, die Aufgaben hektisch zu verteilen: „Die Blumen kannst du eigentlich gleich gießen, die Orchideen nur einmal pro Woche, die anderen zweimal, aber nicht zu viel. Der Hund, der muss noch mal raus, am besten gleich. Wir essen in einer halben Stunde.“
Robert brachte seine Sachen nach oben. Dann warf er einen kurzen Blick ins benachbarte Arbeitszimmer. Wie erwartet, saß sein Vater am Schreibtisch, über einen Berg Unterlagen gebeugt. Er hatte das Telefon am Ohr und blätterte mit der freien Hand in einem Hefter. Frank Schumann arbeitete immer bis zur Abfahrt. Robert konnte sich nicht erinnern, dass sein Vater einen Koffer mal selbst gepackt hatte. Die Taucherausrüstung war das einzige, um das er sich kümmerte. Urlaubsvorbereitung bedeutete für ihn, seine Angestellten mit Arbeit zu versorgen. Die Steuerkanzlei kam bei ihm an erster Stelle. Als Frank seinen Sohn bemerkte, nahm er das Telefon vom Ohr und sagte erfreut: „Hallo Robert, hab noch zu tun, bin gleich soweit.“ Dann setzte er sein Gespräch fort. Robert schloss die Tür, ging die Treppe hinunter und holte sich die Leine für den Hund. Rolli, ein American Foxhound, sprang sofort gegen die Haustür, als er die Leine erblickte.
„Na, komm mein Schöner, drehen wir eine kleine Runde und lassen die beiden mit ihrem Stress allein.“ Robert strich ihm über das glatte dreifarbige Fell und kraulte seine Schlappohren. Vera hatte den Hund ausgesucht, weil die Rasse als gutmütig, intelligent, nett, eigenständig und loyal bezeichnet wurde.
Seine Mutter rief ihm nach: „Wir haben doch keinen Stress.“
Als Antwort lachte Robert laut und ließ die Tür ins Schloss fallen.
Beim Essen ging es ruhiger zu. Seine Eltern waren offensichtlich mit ihren Aufgaben fertig. Vera hatte Spaghetti gekocht, weil sie wusste, dass ihr Sohn davon nicht genug bekommen konnte und weil es vor allem schnell ging. Robert sagte nach seiner zweiten Portion zu seiner Mutter: „Soll ich das Tiramisu aus dem Kühlschrank holen?“ Es sollte ein Scherz sein.
„Was denn für ein Tiramisu?“, fragte sie irritiert.
„Das gehört zum italienischen Essen.“
„Aber nicht, wenn wir in den Urlaub wollen. Du kannst dir einen Jogurt nehmen. Übrigens: Wirtschaftsgeld ist in der Kaffeedose, ich bin nicht mehr zum Einkaufen gekommen.
Aber es sind noch Brötchen und Toastbrot im Tiefkühlschrank.“
„Du hast auch schon mal mehr geschafft vor dem Urlaub“, sagte Frank gespielt streng.
Vera entgegnete scharf: „Wenn ich Hilfe von meinem Mann hätte, würde ich auch das Einkaufen schaffen.“
„Das sollte ein Scherz sein, mein Schatz“, sagte er grinsend.
„Ich weiß, was du leistest. Aber ich bin nun mal selbstständig …“
„Ja, ja, ich kenne die Ausrede“, unterbrach sie ihren Mann ärgerlich. Man merkte ihr jetzt die Erschöpfung an. Robert wollte keine Streitigkeiten und lenkte deshalb zu einem anderen Thema über: „Was ist mit Oma? Auf welcher Station liegt sie? Wann kommt sie nach Hause?“
„Ach ja, Mutter, die habe ich für einen Moment vergessen.
Du gehst morgen Nachmittag auf Station sechs, Zimmer 108.
Vielleicht kannst du sie gleich mitnehmen.“
„Ich rufe sie vorher an“, sagte Robert gelassen.
„Nein, geht nicht, ihr Handy ist kaputt. Du kannst dich gleich um ein neues Handy kümmern. Und versuche mit einem Arzt zu sprechen. Du weißt doch, Oma versteht die ausländischen Ärzte nicht richtig.“ Vera atmete schwer. „Warum muss sie auch immer alles so schnell machen? Sie hat doch Zeit. Der Sturz hätte nicht sein müssen, wenn sie langsam gegangen wäre.“
Vater und Sohn grinsten sich an und Frank sagte bedeutungsvoll: „Muss in der Familie liegen.“
Vera winkte ab und lachte nun. Schließlich kam sie wieder zum Ernst der Sache zurück und schob Robert ein DIN A4 Blatt zu, seine Liste mit Aufgaben. „Hier steht alles drauf, was zu erledigen ist.“
Robert überflog die Liste und murmelte: „Eigentlich wollte ich meine Bachelor-Arbeit schreiben und für meine Prüfung …“ Mist, er stoppte sofort.
„Ich dachte, die Prüfungen sind vorbei“, sagte Vera hellhörig.
Robert druckste herum. „Die letzte lief nicht so gut.“
„Die letzte, etwa Logistik?“, fragte sein Vater entsetzt. Robert nickte schwach. „Da bist du doch schon einmal durchgefallen. Das ist ja dann der dritte Versuch. Und wenn du es nicht packst, dann war das Studium umsonst. Ich habe das alles bezahlt. Soll ich dir vorrechnen, was es mich gekostet hat?“
„Beruhige dich, Frank. Robert wird intensiv lernen und dann klappt das“, sagte Vera schnell.
„Bei dieser Liste kann ich für nichts garantieren“, sagte Robert. Es sollte wieder ein Scherz sein, aber an diesem Tag klappte es nicht so richtig mit den Scherzen.
Sein Vater schrie: „Scheiß auf die Liste, das Studium geht vor.“
„Frank, so geht das auch nicht“, schritt Vera energisch ein.
„Hund und Katze müssen versorgt werden und Oma hat einen gebrochenen Arm. Robert wird sich seine Zeit gut einteilen und dann geht beides. Schaut mal, was ich alles schaffen muss.“
Nun reichte es Robert. Er hatte keine Lust auf die Arbeitsbilanz seiner Mutter. Deshalb stand er auf und ging nach oben.
Ärgerlich warf er sich auf sein Bett. Er wollte nicht wie ein kleines Kind behandelt werden. Aber er war leider abhängig von seinen Eltern. Und irgendwie konnte er seinen Vater verstehen. Wenn er das Studium nicht schaffte, dann hatte er vier Jahre lang Geld aus dem Fenster geworfen. Wieso musste er bei der Wiederholung auch durchfallen? Es waren Themen dabei, die ihm völlig fremd waren. Daran hatte er sich zu lange aufgehalten, sie trotzdem nicht lösen können und dann auch noch die letzten leichten Aufgaben nicht mehr geschafft. Es half alles nichts. Er musste noch einmal intensiv lernen und hoffen, dass es diesmal reichte. Das Fach würde er sowieso nur mit vier abschließen, aber er hätte einen Abschluss. Es klopfte. Vera kam herein und setzte sich auf sein Bett. Sie sah wirklich erschöpft aus, urlaubsreif, fand Robert.
„Warst du beim Friseur?“, fragte er.
„Ja. Schön, dass du das siehst. Dein Vater merkt es gar nicht“, sagte sie resignierend.
„Die dunklere Farbe steht dir wirklich gut. Und dieser kurze Stufenschnitt macht dich jünger, sportlicher.“
„Ich fühle mich auch wohler damit. Wenn ich jetzt noch etwas abnehmen würde, dann könnte ich fünf Jahre rausholen.“ Sie seufzte. „Ich schaffe es einfach nicht abzunehmen, obwohl ich den ganzen Tag renne. Die Sachen sind alle zu eng.“
„Eine Frau über fünfzig sollte nicht zu dünn sein“, sagte er gleichmütig.
„Wenn du das sagst, dann muss ich wohl einfach meinen Kleiderschrank ausmisten und mir lauter neue Kleidung in Größe 44 zulegen.“
„Und schon ist das Problem gelöst“, bestätigte er.
„Robert, du schaffst das beim nächsten Mal, da bin ich mir sicher“, sagte Vera zuversichtlich und berührte seinen Arm.
„Wann wiederholst du die Prüfung?“
„Der Termin steht noch nicht fest. Wir bekommen kurzfristig Bescheid.“
„Das heißt also, du musst lernen und gleichzeitig an deiner Bachelor-Arbeit schreiben.“
Er nickte. „Ich bekomme das schon hin. Beim letzten Mal habe ich mich zu sehr ablenken lassen.“
„Das kenne ich von mir. Du kannst auch nicht nein sagen.
Um den Haushalt musst du dich nicht weiter kümmern, ein bisschen aufräumen und vielleicht die Wäsche …“
Er unterbrach sie: „Und die Blumen gießen und für Oma einkaufen. Und mit dem Hund rausgehen. Ich hab’s verstanden, Mutti. Gardinen waschen und Fenster putzen lass ich ausfallen.“
Vera atmete schwer. „Ich hatte ja gehofft, dass Clara zurückkommt, aber ihr Projekt wurde verlängert.“
Robert antwortete nicht darauf. Er sagte schließlich: „Was hältst du von Träumen?“
„Träume, wie kommst du denn darauf? Ich träume nicht so oft und wenn, dann kann ich mich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern. Moment, einen Traum habe ich öfter. Ich will irgendwo hin und komme nicht an, werde aufgehalten. Warum fragst du?“
„Ich habe von Opa geträumt und überlege, ob das eine Bedeutung hat.“
„Was soll das denn für eine Bedeutung haben? Dein Großvater hat dir eine Menge beigebracht. Ihr hattet eine enge Verbindung. Früher habe ich immer gedacht, du würdest einmal Geschichte studieren. Du kanntest dich mit den Römern, den Griechen und den Ägyptern bestens aus. Hast schon als kleiner Junge Vorträge gehalten und Opa war stolz darauf.“ Sie seufzte laut. „Günter Seefeld war ein heller Kopf.
Nur in den letzten Jahren, da hat er sich verändert, hat sich mit verrückten Dingen beschäftigt. Deine Oma und ich konnten ihm da nicht mehr folgen. Schließlich hat er es aufgegeben, uns davon zu erzählen. Er lief ständig zu Udo Hermann.
Die beiden brüteten irgendwas aus, taten so, als müssten sie die Geschichte der Menschheit neu schreiben, haben sich intensiv mit der Bibel beschäftigt und meinten etwas entdeckt zu haben, was in zweitausend Jahren kein Theologe bemerkt hat.“ Vera winkte ab. „Und dann fiel einer nach dem anderen um, einfach so. Haben sich wohl mit ihren Ideen übernommen.“
Robert musste über den Tonfall seiner Mutter schmunzeln, hörte aber aufmerksam zu. Das war neu für ihn. Sein Großvater hat sich für die Bibel interessiert. Das könnte sogar zu seinem Traum passen. Weshalb hatte er ihm nicht zu Lebzeiten davon erzählt? Robert kannte die Antwort. Er war ja kaum zu Hause, erst die Lehre, dann die Bundeswehr. Und telefoniert haben sie auch nur selten.
„Was hast du denn geträumt von deinem Großvater? Hat er dir einen Auftrag aus dem Jenseits erteilt?“, fragte Vera amüsiert.
Wenn sie wüsste, wie Recht sie hat, dachte Robert. Es war ihr Ton, der ihn davon abhielt, den Traum zu erzählen. Er sagte nur: „Er stand in meinem WG-Zimmer und hat Anweisungen gegeben.“
„Bestimmt so, als würde er vor einer Schulklasse stehen.“
Sie lachten beide. Dann sagte Robert: „Das Studium war nicht umsonst gewesen, auch wenn ich es nicht schaffe, sag das zu Vati.“
Vera nickte. „Das hätte jetzt auch von deinem Großvater kommen können. Aber ich bin sicher, du schaffst das.“
Aktuelle Meldung:Berlin – Aus Sorge vor der weiteren Ausbreitung des Coronavirus werden die meisten Schulen und KiTas in Deutschland ab der kommenden Woche geschlossen. Insgesamt wurden in Deutschland 3.062 laborbestätigte Sars-Covid-2 Infektionen berichtet. Seit dem 09.03. wurden 5 Todesfälle gemeldet.
Robert genoss es, den Morgen allein im Haus verbringen zu können. Nach dem Rundgang mit dem Hund und der Versorgung der Katze, hatte er sich Brötchen aufgebacken und Kaffee gekocht. Dabei sah er sich im Wohnzimmer seiner Eltern um. Sie hatten das Haus vor zwanzig Jahren gekauft, Wände herausgenommen, Türen versetzt und ein großes Wohnzimmer mit offener Küche anbauen lassen. Die Kochinsel war immer der Familientreffpunkt und der Ort, an dem er und seine Schwester kochen lernten. Für Vera Schumann war das Musikzimmer allerdings noch wichtiger als die Küche. Der Flügel brauchte Platz und der Raum sollte auch als Gästezimmer dienen. So wurde aus zwei kleinen Zimmern ein großer Raum. Der Wunsch seines Vaters, im Erdgeschoss ein Arbeitszimmer einzurichten, konnte dadurch nicht erfüllt werden. Nun, es gab ja noch den Keller. Frank ließ große Fenster einbauen und richtete sich den Raum mit hellen Möbeln ein. Inzwischen nutzte er auch Claras Zimmer als Büro, weil er von dort einen herrlichen Ausblick in den Garten hatte und es angeblich ruhiger war. Für Robert allerdings gab es in diesem Haus keine wirkliche Ruhe. Die Klaviermusik war allgegenwärtig. Er fühlte sich immer dann genervt, wenn dieselben Stücke geübt wurden. Ansonsten konnte er mit dem Klavierspiel seiner Mutter ganz gut leben. Und wenn er ehrlich war, hatte es seinen Musikgeschmack geprägt. Er hörte auch heute noch gerne klassische Musik, gab es aber vor seiner Mutter nicht zu. Am Ende käme sie noch auf die Idee, ihm wieder Klavierunterricht zu geben.
Robert trank seinen Kaffee und sah von seinem Essplatz aus durch die bodentiefen Fenster, die einen Blick in den parkähnlichen Garten freigaben. Im März waren die Bäume noch kahl, doch hier und da entdeckte er die ersten Farbtupfer. Ihm kam der Gedanke, dass er lieber nicht trödeln, sondern gleich arbeiten sollte. Wenn er am Nachmittag seine Oma aus der Klinik abholen konnte, dann wäre es mit der Ruhe vorbei.
Ilse Seefeld war ein liebenswürdiger, hilfsbereiter und kontaktfreudiger Mensch. Robert ahnte schon jetzt einen Besucherstrom. Es war noch fraglich, ob er bei ihr einziehen sollte oder ob sie hierher umzog. Lieber wäre es ihm, sie würde in ihrem Haus bleiben und er würde sie nur ab und zu besuchen.
Robert ging nach oben, holte seine Bücher und den Laptop und begann mit seiner Arbeit am großen Esstisch. Schon beim Anblick der dicken Wälzer fragte er sich, wie lange er dafür brauchen würde.
Je mehr Titel er las, desto schwerer erschien ihm seine Aufgabe. Warum gab es nicht ein einziges Buch, das alle Aspekte für eine friedliche Konfliktlösung enthielt? Warum gab es überhaupt Konflikte zwischen den Menschen? War denn nicht jedes Problem mit einem vernünftigen Gespräch zu klären? Robert lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster.