Die Traumzeit - Die Wiege der Menschheit - Bryan Blackwater - E-Book

Die Traumzeit - Die Wiege der Menschheit E-Book

Bryan Blackwater

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Beschreibung

Die Entstehung der Menschheit aus der Perspektive ihrer Schöpfer. Nach der Zerstörung ihres Planeten muss sich das Volk der Terekan eine neue Heimat suchen. Mit ihrer "Himmelsstadt" erreichen sie mit viel Mühe vor ca. 250.000 Jahren die Erde und versuchen auf dieser eine neue Zivilisation aufzubauen. Das Problem: Die Erde ist bereits vom Homo Erectus besiedelt. Eine tiefe Freundschaft zwischen den beiden Völkern entsteht, doch auch ein tödlicher Feind, der die Erschaffung des Homo Sapiens auf den Plan ruft. Ein äonenübergreifender Kampf um das Überleben der Menschheit beginnt und gipfelt in einer Katastrophe epischen Ausmaßes. Weitere Infos unter www.die-traumzeit.com

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Seitenzahl: 854

Veröffentlichungsjahr: 2019

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»Alles, was geschieht, geschieht im Namen des Großen Schöpfers. Ob es gut oder schlecht ist, entscheidest du ganz alleine, indem du deine Handlung einer Bewertung unterziehst. Es mag dir gut erscheinen und doch schlecht sein, es mag dir schlecht erscheinen und doch gut sein. Am Ende richtet nur der Große Schöpfer über deine Taten.«

Nam-Samû, oberster Richter der Terekan.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Erstes kapitel

Der Geistervogel

Auf dem Weg in eine neue Welt

Der Geistervogel

Lo-Tak

Die Suche nach dem Geistervogel

Auf dem Weg zur Neuen Welt

Nam-Samû

Nak-Êl

Mu-Lîl

Nin-Akî

Sabotage

Die Neue Welt

Eine neue Heimat

Die Inuni

Nai und der Nachtgeist

Damu – Der Erste

Aiwa – Die Zweite

Der Nachtgeist

Der Clan der Langzähne

Die Neue Welt

Neustart

Aiwa und Damû

Auszug aus dem Paradies

Spaltung

Der Clan der Langzähne

Das Ende oder ein Anfang?

Der Anschlag

Apsu – ein Neubeginn

Rache

Zweites kapitel

Die zweite Welt

Na-Gâl

Ir-Gâl

Die Lugal-Ene

Eridu – die erste Stadt

Von Mäusen und Eulen

Eine denkwürdige Nacht

Ir-Gâls letzte Grenze

Die Suche nach Ir-Gâl

Nak-Êls Rückkehr

Das höchste Licht

Na-Gâls Rettung

Ir-Gâls kleine Welt

Ein Bündnis mit Folgen

Flucht aus Ir-Gâls Welt

So nah und doch so fern

Das Mamitu

Nam-Samûs Rückkehr

Erkundung

Die Wanderung der Lugal-Ene

Shûm-Ar

Av-El und Kab-El

Av-Els Auferstehung

Gegenschlag

Verrat und späte Rache

Die Vernichtung der Lugal-Ene

Die Rettung der Standhaften

Genozid

Ein Neubeginn in der dritten Welt

Drittes kapitel

Die vierte Welt

Willkommen beim B.I.M.A

Das Erbe der Dimu-Rû

Offenbarung

Pandemie

Das Jüngste Gericht

Epilog

Und wie geht es weiter?

Vorwort

In diesem Roman möchte ich versuchen, den überaus komplexen sumerischen Schöpfungsmythos in eine lesbare Romanform zu bringen und das an sich trockene Thema mit viel Fantasy, Science Fiction und Drama zu füllen.

Da in diesem Roman somit natürlich auch Außerirdische eine tragende Rolle spielen, bleibt es nicht aus, dass der Leser/die Leserin über sehr viele ungewöhnliche Name und Wörter aus der Sprache dieser Außerirdischen stolpert. Diese Namen und Wörter entstammen zumeist der alten sumerischen Sprache und sind daher im Anhang des Buches noch einmal im Detail aufgelistet und erklärt. Es empfiehlt sich daher, einfach ein Lesezeichen in dieses Wörterbuch zu legen, damit man nicht so viel blättern muss. Die Menge an seltsam klingenden Namen mag jedoch dennoch eine Herausforderung sein, doch Außerirdische heißen nun mal leider nicht Lisa, Susi und Franz ;-)

Parallelen und Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen und Mythologien sind dabei durchaus beabsichtigt.

Aber nun viel Spaß beim Lesen und nicht den Mut verlieren!

Prolog

Planet N´Bir, Himmelsstadt Nibir-Urak, Kommandozentrale, ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, 5km über der Oberfläche.

»Ist alles bereit?«, fragte Nir-Ân, Hohes Licht und oberster Führer der Rasse der Terekan[1].

Die angesprochene und in Schwarz gehüllte Gestalt verbeugte sich. »Ja, Hohes Licht, das Ritual kann beginnen.«

Nir-Ân schritt zu dem großen Panoramafenster und schaute voller Sorge auf die unter ihm liegende Oberfläche des Planeten. Eine einzelne Träne lief aus seinem schwarzen linken Auge.

»So sei es«, sagte er müde und nickte langsam. »Möge der Große Schöpfer uns vergeben!«

Er drehte sich zur Mitte der großen Glaskuppel und starrte eine gefühlte Ewigkeit in das Nichts, das sich in seinem Herzen aufgetan hatte. »Navigator!«, bellte er schließlich einen Befehl zu einer in grau gekleideten Person in der Mitte der Kuppel.

»Bring die Stadt in eine Umlaufbahn!«

»Ja, Hohes Licht, so sei es«, entgegnete Na-Mâr, oberster Navigator der Himmelsstadt. Nachdem Na-Mâr einige Handgriffe an der vor ihm liegenden Konsole vollzogen hatte, begann die gewaltige schwebende Stadt langsam zu steigen, verließ ihren Standort über dem nördlichen Kontinent und schwebte langsam dem Dunkel des Weltalls entgegen. Das sanfte Vibrieren der gewaltigen Antigrav-Generatoren war bis in die Kommandozentrale zu spüren.

Das Hohe Licht ließ sich erschöpft auf seinen Kommandosessel fallen und nahm die Hand seiner Gefährtin Saî-Na, die im Sessel neben ihm Platz genommen hatte.

»Du hast die einzig richtige Entscheidung getroffen, Hohes Licht, mein Gefährte«, sagte sie, ohne ihn dabei anzuschauen.

Er nickte langsam. »Zehn Millionen Leben«, flüsterte er leise.

»Die bereits zu Schatten wurden oder im Sterben liegen«, entgegnete Saî-Na bestimmt.

Er nickte langsam. Schweiß sammelte sich auf seiner Stirn und einzelne Tropfen suchten ihren Weg die Wangen herab.

»Geht es dir nicht gut, mein Gefährte?«, fragte Saî-Na ein wenig besorgt.

Nir-Ân hob abwehrend die Hand. »Es ist nichts«, entgegnete er hart und seufzte. »Verzeih mir, Blume der Nacht«, fügte er erschöpft hinzu. Sie erwiderte nichts und drückte seine Hand.

Die Sonne ging langsam hinter der blaugrünen Kugel des Planeten auf und tauchte die Kommandokuppel in ein himmlisch grelles Licht, während sich die Stadt ihrer endgültigen Höhe, hoch über dem Planeten näherte. Die Licht-Filter begannen zu arbeiten und die Kuppel nahm einen bronzefarbenen Ton an, welcher das grelle Sonnenlicht in ein zartes Braun-Orange verwandelte, das weiche Schatten in der gesamten Kommandozentrale erzeugte.

»Wir haben einen stabilen Orbit erreicht, Hohes Licht«, meldete der

Navigator und beendete den Steigflug der Himmelsstadt.

Das Hohe Licht nickte und stand auf. »So sei es denn«, sagte er leise und begab sich an den Rand der Kuppel. Unter ihm lag der Planet N´Bir, der durch die Filter der Kuppel unwirklich grün erschien. Neben ihm nahm Saî-Na ihren Platz ein und ergriff seine Hand. In weiterer Folge versammelten sich Nak-Êl, sein erster Sohn, Mu-Nakû, dessen Frau, Nam-Samû, sein zweiter Sohn und Nin-Akî, dessen Frau, an der Kuppelscheibe und fassten sich in einer Reihe stehend an den Händen. Ein letztes Mal schauten sie gemeinsam auf den langsam dahingleitenden Planeten, dann wechselte die Kuppel ihren Bronzeton, wurde langsam schwarz und versperrte der Gruppe die Sicht auf den Planeten. Nir-Ân öffnete seinen Geist und verband sich mit dem Geist aller anderen Anwesenden.

»MAK-TA LUGAL EN-NI! ICH RUFE DICH HOHER KÖNIG UND HERR DER SCHÖPFUNG«, rief Nir-Ân mit seiner tiefen dröhnenden Stimme und warf seine Hände über seinen gewaltigen, langen und haarlos schwarzen Schädel. Alle anderen taten ihm gleich und fielen in einen langsamen, immer lauter werdenden Singsang, der an die Brandung einer anrollenden Welle erinnerte und so schön und so tödlich war, dass es allen Beteiligten die Tränen in die Augen trieb.

Welle um Welle, ansteigend und abklingend entsandte die Gruppe zum darunterliegenden, verdeckten Planeten. Dann endete alles abrupt und alle außer Nir-Ân brachen in die Knie.

Stille… Einige Herzschläge lang. Dann wurde es gleißend hell und das Schwarz der Kuppel wurde strahlend weiß. Die gewaltige Explosion, die den gesamten Planeten erschütterte, entsandte ihre Boten in alle Richtungen und erreichte auch die himmlische Stadt im Orbit. Saî-Na kniete am Boden und weinte bittere Tränen, während der Rest einfach nur stumm zu Boden starrte und wartete. Das gleißende Licht ließ die schwarzen Gesichter der Gruppenmitglieder fahl wie Asche erscheinen und in ihren tiefschwarzen Augen spiegelte sich millionenfacher Tod wider. Nachdem der Lichtblitz abgeklungen war, wurden die Scheiben wieder transparent und der Planet wurde erneut sichtbar. Die gesamte Oberfläche des Planeten war in ein Meer aus Glut gehüllt und die Atmosphäre brannte lichterloh. Feuerstürme, so hoch, dass sie bis in die oberste Atmosphäre reichten, tobten brüllend mit gewaltiger Geschwindigkeit über den gesamten Planeten und vernichteten alles auf ihrem Weg, verbrannten alles Leben zu Asche, schmolzen die Berge zu glutflüssigem Gestein, welches die Hänge in gewaltigen Feuerkaskaden herabströmte, verdampften die Ozeane zu einer gewaltigen Wolkendecke, welche zusammen mit dem Schwarz der Asche bald gnädig den gesamten Planeten mit einem grauen Leichentuch verdeckte. Verdeckte, was sich darunter abspielte. Verdeckte den Tod der unzählbaren Lebewesen, die den Planeten bevölkerten. Verdeckte das Verschwinden der großartigen Rassen der Terekan und der I-Gû[2], die mit einer Population von etwa zehn Millionen den Planeten bis vor kurzem noch zu einem Paradies und letztlich doch zur Hölle gemacht hatten. Verdeckte die zu Glas verbrannte, schwarze Oberfläche, auf der kein Leben mehr zu finden war. Verdeckte die Vernichtung eines ganzen Planeten durch ein gewaltiges psychokinetisches Ritual einer kleinen Gruppe überlebender Terekan, welche in ihrer Himmelsstadt dem Untergang ihrer Spezies entflohen waren.

»Na-Mâr. Kurs auf Bel-Ek setzen!«, befahl Nir-Ân dem Navigator, welcher tränenüberströmt und fassungslos in Richtung Planet schaute. Er stand sichtlich unter Schock und hörte die Worte des Kommandanten offensichtlich nicht.

»Na-Mâr!«, brüllte Nir-Ân und der Genannte zuckte erschrocken zusammen.

»Ja, Hohes Licht, so sei es!«, erwiderte er und tippte einige Befehle in seine Konsole.

Die Stadt beschleunigte langsam und verließ den Orbit des brennenden Planeten, welcher immer kleiner wurde und schließlich nur noch als kleiner glühender Punkt vor dem gewaltigen Zentralstern zu sehen war.

»Wir kommen wieder«, flüstere Nir-Ân und seine in Tränen aufgelöste Gefährtin nickte.

ERSTES KAPITEL

Der Geistervogel

Erde, Südafrika, Savanne, Jagdgebiet des Nerude-Clans (Homo Erectus), ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Die Gazelle war noch etwa vierzig Meter entfernt und der Wind stand günstig. An und Lon, zwei Jäger des Nerude-Clans, lagen auf dem Bauch hinter einer kleinen Anhöhe und beobachteten die Herde schon seit drei Stunden. Jetzt endlich war eines der Tiere nahe genug an sie herangekommen, sodass sie es wagen konnten, die Gazelle mit ihren gehärteten Holz-Speeren zu erlegen. Beide Jäger konnten spüren, dass die Gazelle ruhig und gelassen war und dass sie keine Bedrohung witterte.

»Ruf sie«, sagte An leise und fasste seinen Speer fester. Lon nickte und begann sich zu konzentrieren. Seine schamanische Ausbildung als Jäger erlaubt ihm, sich gedanklich mit der Gazelle zu verbinden und mit ihr zu kommunizieren.

»Komm näher«, befahl Lon der Gazelle im Geiste. Diese hob sogleich den Kopf und blickte sichtlich verwirrt in die Richtung der Jäger. »Komm näher!«, befahl Lon der Gazelle erneut und nun setzte sich das Tier langsam in Bewegung, immer wieder witternd die Nasenflügel blähend, in Richtung der beiden lauernden Jäger.

Als die Gazelle auf zwanzig Meter heran war, blieb sie stehen und schaute zum Himmel empor. An sprang auf und wollte gerade seinen Speer werfen, als ein merkwürdiges Summen die Luft erfüllte, als würde sich ein gewaltiger Bienenschwarm nähern. Die Gazellenherde brach in Panik auseinander und verstreute sich in alle Richtungen, doch die gerufene Gazelle stand nach wie vor in Speerwurfweite und schaute mit vor Angst geweiteten Augen zum Himmel empor, wo sich ein großer silberner Vogel wie aus dem Nichts über der Ebene positioniert hatte.

Man hörte keine Geräusche, außer einem dumpfen und rhythmisch wummernden Summen.

Die beiden Jäger schauten mit großem Erstaunen gen Himmel. Lon warf seinen Speer nach dem Objekt, doch sein Speer kam nicht einmal in die Nähe und landete irgendwo im dürren Gras der Savanne. Plötzlich brach die Gazelle wie von einem Blitz getroffen zusammen und wurde sogleich wie von Geisterhand vom Boden gezogen und von dem silbrig glänzenden Vogel verschluckt. An und Lon starrten ungläubig der Gazelle hinterher und schauten sich dann an.

»Geistervogel war schneller«, sagte An. Wie auf Kommando rannten beide, so schnell sie ihre Beine tragen konnten, davon, während der „Geistervogel“ wieder geräuschlos verschwand.

Auf dem Weg in eine neue Welt

Himmelsstadt Nibir-Urak, irgendwo zwischen Venus und Erde.

Nir-Ân, das Hohe Licht, stand vor dem großen Panoramafenster der Kuppel und betrachtete die kleine graue Kugel, die sich in weiter Ferne hell leuchtend gegen das Schwarz des Alls abzeichnete. Seine zu Asche und Glas verbrannte Heimat.

Nir-Ân war der Anführer des vierten Hauses der Terekan und nun, nach der Vernichtung ihres Volkes, oberster Führer der verbliebenen Terekan und Kommandant der Himmelsstadt Nibir-Urak, der letzten ihrer Art. Er war nun für die gesamte Stadt und deren Besatzung verantwortlich. Eine mächtige Bürde. Fast alle verbliebenen Terekan in dieser Himmelsstadt gehörten dem vierten Haus an und somit war das vierte Haus das einzige, das der Vernichtung entgangen war. Seine Gefährtin Sama-Îna war auch gleichzeitig seine Stellvertreterin und medizinische Leiterin der Stadt. Sie und ihre beiden Söhne Nak-Êl und Nam-Samû hatten die Katastrophe auf ihrem Planeten nur knapp überlebt und es noch rechtzeitig zur Himmelsstadt geschafft.

»Na-Mâr?«, fragte Nir-Ân laut, ohne sich dabei umzudrehen.

»Hohes Licht?«, antwortete der Navigator.

»Wie ist unsere Position?«, fuhr Nir-Ân nach einer kurzen Pause fort.

»Wir befinden uns etwa zwei Licht-B´un von Bel-Ek entfernt, Erhabener«, erwiderte Na-Mâr.

Nir-Ân nickte. »Energiereserven?«

»Liegen bei dreißig Prozent, Hohes Licht. Es wird sehr knapp werden«

Nir-Ân nickte. »Lebenserhaltung auf siebzig Prozent drosseln und alle unwichtigen Systeme herunterfahren. Wie lange brauchen wir, bis wir Bel-Ek erreicht haben bei der aktuellen Geschwindigkeit?«

»Etwa sechs B´ir, Hohes Licht«, erwiderte Na-Mâr.

Nir-Ân nickte. »Wie lange reichen die Nahrungsvorräte?«,

»Bei normalem Verbrauch etwa zwanzig B´ir, Hohes Licht.«

Nir-Ân schaute erneut hinaus auf den sich immer weiter entfernenden Planeten. »Geschwindigkeit auf die Hälfte drosseln. Energiekammern drei und vier herunterfahren.«

»So sei es, Hohes Licht«, sagte Na-Mâr und nahm einige Einstellungen an seiner Konsole vor. Das hohe Summen, das die Stadt bislang begleitet hatte, wurde schwächer und der Ton fiel um eine ganze Oktave.

Na-Mâr war seit sehr langer Zeit Navigator der Himmelsstadt und war sogar in ihr geboren. Er hatte nur selten die Oberfläche des Planeten besucht, denn für ihn war die schwebende Stadt alles, was er benötigte. Seine Familie hatte er bereits zu Beginn der Katastrophe verloren und nun war er der letzte aus seinem Geschlecht. Doch einsam war er nicht, seine Aufgabe war sein Leben und er kam weit besser mit der Situation klar, als viele andere, obwohl er, wie alle anderen auch, schwer gezeichnet war vom Untergang ihrer Welt. Doch seine große Liebe, Sama-Îna, war mit an Bord und tat als Sicherheitschefin der Stadt neben ihm Dienst. Sie war alle Familie, die er benötigte und ihr Überleben half ihm sehr in diesen schweren Stunden.

Nir-Ân drehte dem Fenster den Rücken zu und entfernte sich einige Schritte davon. »Stadtweiten Kanal öffnen«, sagte er und setzte sich dann erschöpft in seinen Kommandosessel neben seine Gefährtin, die ihn erwartungsvoll anschaute.

»Kanal ist offen, Hohes Licht«, sagte Sama-Îna, die Sicherheitschefin der Himmelsstadt von ihrer Konsole aus.

Nir-Ân schaute auf die große Wandkonsole, auf der alle Ebenen und Stationen der Himmelsstadt abgebildet waren. Alle Anzeigen waren auf Grün, alles war in Ordnung. Nir-Ân stand langsam auf.

»An alle Lichter in dieser Himmelsstadt, es spricht das hohe Licht zu euch«, sagte Sama-Îna mit ihrer wohlklingenden vollen Stimme.

Als Sicherheitschefin der Stadt war sie auch für jegliche Kommunikation in der Stadt verantwortlich und direkt dem Hohen Licht unterstellt. Als seine Enkelin war sie nach ihm die mit Abstand einflussreichste Person in der schwebenden Stadt, auch wenn sie von diesem Einfluss niemals Gebrauch machte.

Obwohl vom Naturell eher extrovertiert, wild und aufbrausend, hatte sie sich sehr gut im Griff, wenn es um ihre Aufgabe hier in der Stadt ging. Sie war ein Musterbeispiel an Disziplin. Solange man sie nicht zu sehr reizte!

Sie nickte ihrem Großvater, dem Hohen Licht, zu.

»Lichter dieser Stadt«, begann Nir-Ân daraufhin. »Die Seuche ist vorüber, doch wir haben alles verloren. Jeder von uns hat bittere Verluste zu beklagen, auch ich selber. Unsere Heimat ist Asche und doch gibt es Hoffnung in diesen schweren Zeiten. Unser Volk hat überlebt, auch wenn der Preis sehr hoch war. Und doch gibt es in dieser Himmelsstadt noch 1480 Lichter, für deren Fortbestand ich alles tun werde, was nötig ist. Jeder kennt seine Aufgabe und von jedem Licht erwarte ich vollen Einsatz. Die Zeit der Trauer wird kommen, doch sie ist noch nicht da. Wir befinden uns derzeit auf direktem Wege zum Planeten Bel-Ek, den wir in etwa zwölf B´ir erreichen werden. Es warten dort zahlreiche Herausforderungen auf uns, denn Bel-Ek ist gänzlich anders als unsere Heimat N´Bir. Der Planet rotiert immens schnell und es wird dort etwa nach dem Verstreichen von acht B´ar Licht und alle acht B´ar wieder Finsternis. Es ist sehr kalt auf Bel-Ek und die Schwerkraft ist etwas größer. Die Luft ist atembar aber dünner, sodass wir schnell ermüden werden. Daher werden nur jene Lichter den Planeten betreten, die für unser Fortbestehen unabdinglich sind. Unsere Heimat wird weiterhin die Himmelsstadt sein, in der wir um diesen Planeten kreisen werden.

Ein großes Problem ist, dass auch dieser Planet, wie N´bir selber, immer wieder von großen und kleinen Himmelskörpern getroffen wird, aufgrund des großen Zyklus des Q´l-Dun. Nur werden wir auf Bel-Ek keine orbitale Abwehr besitzen, denn diese Technologie steht uns dort leider nicht zur Verfügung. Wir werden also stets auf der Hut sein und Vorbereitungen treffen müssen, damit wir bei einem Einschlag nicht ausgelöscht werden. Jedoch befinden wir uns derzeit in der Mitte des Q´l-Dun Zyklus, sodass momentan kaum eine Gefahr besteht.

Auch ist dieser Planet bereits bewohnt, wie vielen von euch vielleicht bereits bekannt ist. Die Kinder dieses Planeten, die „Dumur-ni-Belek“ sind ein kleines, friedvolles Volk und uns sowohl körperlich als auch geistig weit unterlegen. Sie besitzen keinerlei Technologie und leben von der Hand in den Mund.

Wir werden vorsichtig mit ihnen umgehen und vielleicht können sie uns bei unserem Vorhaben, eine neue Zivilisation aufzubauen, helfen. Unsere neue Heimat werden wir hüten und beschützen. So spreche ich, Nir-Ân, Hohes Licht der verbleibenden Terekan!«

Er schwankte und setzte sich hart zu Boden.

Sama-Îna war sofort an seiner Seite und stütze ihn. »Hohes Licht, was ist mit dir?«, fragte sie besorgt.

»Es ist nichts, zurück auf deine Station Sama-Îna!«, befahl Nir-Ân harsch und richtete sich wieder auf. Seine Frau Saî-Na wollte ihn am Arm führen, doch er drückte ihren Arm zur Seite und setzt sich auf seinen Sessel.

»Ich sagte bereits, es ist nichts«, sagte er müde, doch Sama-Îna und ihre Großmutter wechselten einen Blick, der die Wahrheit offenbarte. Nir-Ân war krank. Etwas, das bei einem Terekan niemals vorkam, es sei denn, sein Licht war am Ende. Terekan waren unsterbliche Wesen, welche nur durch ihren eigenen Willen ihr Licht befreien oder durch Gewalt aus der Welt gerissen werden konnten.

»Hohes Licht, du musst auf die Ebene der Heilung!«, mahnte Saî-Na.

»Nichts dergleichen muss ich, ich bin nur erschöpft. Ich werde mich zurückziehen und mein Licht ein wenig dimmen«, sagte Nir-Ân und verließ die große Kuppel durch das Eingangstor.

Saî-Na sah ihm sorgenvoll hinterher. »Er hat…«, setzte Sama-Îna an, doch ihre Großmutter unterbrach sie mit erhobener Hand.

»Du hast es gehört, es ist nichts«, sagte sie hart. Doch sie wusste genau, was ihre Enkelin sagen wollte und sie wusste, dass Sama-Îna Recht hatte. Das Virus hatte sich des Lichtes Nir-Âns bemächtigt und würde es bald auslöschen.

Himmelsstadt Nibir-Urak, Ebene der Heilung, irgendwo zwischen Venus und Erde, vier B´ir später.

»Wie ist es jetzt?«, fragte Saî-Na.

»Noch immer unverändert, Niru«, erwiderte ihr Assistent.

»Noch einmal zwanzig Einheiten«, sagte Saî-Na konzentriert und drückte ein kleines Gerät an Nir-Âns Hals. Es zischte leise und sie schaute ihren Assistenten erwartungsvoll an.

Nir-Ân, das Hohe Licht, war vor zwei Tagen zusammengebrochen und seitdem nicht mehr aufgewacht. Nun lag er auf der Ebene der Heilung, wo seine Gefährtin und ihr Team von Heilern und Heilerinnen versuchten, sein Licht zu retten.

»Noch immer nichts. Es tut mir leid, Niru«, sagte ihr Assistent mit dem Blick auf einen Monitor.

Saî-Na warf das Gerät in die Ecke des Raumes und zischte einige unverständliche Worte.

Ihr Assistent trat neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wir haben alles versucht, Niru, lassen wir sein Licht in Würde ziehen«, sagte er mitfühlend.

»Nein!«, schrie Saî-Na und schüttelte seine Hand ab. »Wir haben noch NICHT alles versucht! Wir werden NIEMANDEN mehr verlieren, ist das klar, La-Ka?«

»Niru, es ist zu spät, wir dürfen nicht zulassen, dass er sich verwandelt«, sagte La-Ka besorgt.

»Das mag sein, aber wir haben noch eine Möglichkeit«, erwiderte Saî-Na erregt.

»Niru, ihr wisst, dass dies nicht seinem Willen entsprechen würde!«, protestierte ihr Assistent aufgeregt und trat einen Schritt zurück.

»Aber es entspricht MEINEM Willen, La-Ka und in Nir-Âns Abwesenheit bin ICH das Hohe Licht, vergesst dies nicht!«, ermahnte ihn Saî-Na.

»Ja, Hohes Licht. So sei es«, entgegnete La-Ka und trat noch einen Schritt zurück.

»Bereitet die Eiskammer vor!«, befahl Saî-Na.

»Ja Hohes Licht«, sagte La-Ka, verbeugte sich, ging mit zwei weiteren Assistentinnen in den hinteren Bereich des Raumes und tippte einige Befehle in eine Wandkonsole. Mit einem bestätigenden Piepen fuhr die Wand zur Seite und ein großer länglicher Behälter glitt lautlos aus der Wand.

Die beiden Assistentinnen bedienten einige Konsolen an dem schwarzen, zwei mal drei Meter großen Behälter und ein durchsichtiger Deckel glitt nach hinten.

Saî-Na öffnete ihren Geist und konzentrierte sich auf den Körper ihres Gefährten. Langsam hob sich der schwere Körper und sie beförderte den bewegungslosen Leib Nir-Âns quer durch den Raum, bis er über dem Behälter schwebte. Langsam senkte sich der Leib des ehemaligen Hohen Lichtes in die Öffnung, die der Behälter frei gab. Als der Körper seinen Platz im Behälter gefunden hatte, gab La-Ka wiederum einige Befehle in seine Konsole und der Deckel schloss sich langsam und geräuschlos. Das Innere wurde mit einer dampfenden Flüssigkeit geflutet und das Licht Nir-Âns erlosch.

Saî-Na legte eine Hand auf den Deckel. »Wir werden ein Heilmittel finden mein Gefährte und wenn es bis zum Ende aller Zeiten dauert. So ist mein Wille, verzeih mir«, flüsterte sie, drehte sich um und verließ die Ebene der Heilung.

Der Geistervogel

Erde, Südafrika, Savanne, Lager des Nerude-Clans. Ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

»Und dann flog der Geistervogel einfach wieder weg«, endete An aufgeregt seinen Vortrag.

Nerude, die Clanälteste blickte abwartend zu Lon, der bestätigend nickte und bestürzt zu Boden blickte. Er schämte sich dafür, ohne Jagdbeute zurückgekommen zu sein.

Nerude stieß ihn sanft mit der Faust an die Schulter. »Ihr konntet nichts dafür Lon und An«, sagte sie. »Ihr wart tapfer aber glücklos. Es war schon das vierte Mal, dass der Geistervogel unser Jagdwild gestohlen hat. Wir müssen etwas gegen ihn unternehmen.«

»Aber wir sind machtlos, weise Nerude«, sagte Lon niedergeschlagen. »Ich habe versucht, mit ihm zu reden, aber ich konnte keinen Kontakt zu ihm aufnehmen, er ist viel mächtiger als wir!«

»Wir müssen ihn kaputt machen«, brummte An und stieß mit seiner Faust immer wieder in seine flache Hand, wofür er von Lon einen Ellbogen in die Rippen bekam.

»Du Affenhirn! Wir können ihn nicht kaputt machen, er ist viel zu weit weg wenn er kommt, unsere Speere reichen nicht zu ihm hin«, fügte er dem Stoß hinzu.

»Ja, weil du Arme wie ein Weib hast und den Speer nicht werfen kannst«, grinste An. In Wahrheit war Lon ein Riese, fast 170cm groß, breit wie ein Löwe und voller Muskeln. Alle anderen Jäger erreichten im Schnitt selten mehr als 150cm.

»Das Weib zeigt dir gleich seine Arme und zermatscht deinen Affenschädel, kleiner Mann!«, konterte Lon und hob drohend seine riesige Faust über Ans Kopf, welcher sich daraufhin wegduckte und lachend zur Seite sprang.

»Hört auf mit dem Unsinn, Kinder, wir haben wichtigere Probleme zu lösen!«, mahnte Nerude. Zwar waren An und Lon schon zwölf Zyklen alt und damit schon erwachsen, aber für Nerude, die schon 39 Zyklen zählte, und damit schon bald am Ende ihres Lebens war, würden sie ein Leben lang Kinder bleiben. Alle Mitglieder des Clans, der nach ihr, der Clanältesten, benannt wurde, waren ihre Kinder und sie hatte die Aufgabe, den Clan zusammenzuhalten und zu schützen.

Bereg, der Clan-Schamane, stand auf und schaute in die Runde des um das Feuer versammelten Clans. Die Familie umfasste 45 Männer, Frauen und Kinder und Bereg war einer der Ältesten und der mächtigste Beschwörer des Clans. Er machte eine ausladende Handbewegung und zeigte in einem Halbkreis auf alle Anwesenden.

»Ihr alle kennt mich«, begann er. »Ich kann selbst die großen wilden Grauhäuter besänftigen und den Geist der mächtigsten Langzähne beschwören. Doch diesen Vogel kann ich nicht beschwören. Ich hab es wieder und wieder versucht und bin wieder und wieder gescheitert. Er widersetzt sich meiner Macht, als hätte er keinen Geist. Doch in jedem Ding, das sich bewegt, wohnt ein Geist. Also ist er viel mächtiger als ich. Und das macht mir große Sorgen«, sagte er und setzte sich wieder.

Allgemeines Gemurmel und nickende Zustimmung aus der Versammlung folgte.

»Du hast gut gesprochen, Bereg, Schamane des Clans«, sagte Nerude. »Und ich bin deiner Meinung. Daher gibt es nur eine einzige Möglichkeit: Wir müssen dem Geistervogel folgen und sein Nest finden. Wenn wir sein Nest gefunden haben, können wir vielleicht etwas finden, womit wir ihn entweder besänftigen oder zunichtemachen können.«

Sie machte eine kurze Pause. »Bereg, Lon und An, ihr werdet euch Wasser und Nahrung nehmen und auf den Geistervogel warten. Dann werdet ihr ihm folgen, wenn ihr es könnt. Dabei werdet ihr vermutlich unser Clangebiet verlassen und in das Gebiet anderer Clans kommen. Besprecht euch mit den Ältesten dieser Clans und erzählt ihnen vom Geistervogel und eurem Vorhaben. Vielleicht bekommt ihr die Unterstützung anderer Jäger.«

Sie hob die Hand und machte eine wedelnde Bewegung. »Nun esst und trinkt und bereitet das Lager für die Nacht vor.«

Der Clan zerstreute sich und Bereg, An und Lon setzten sich zusammen und besprachen das kommende Abenteuer, wobei An immer wieder seine Späße über Lons angebliche Unfähigkeit mit dem Speer machte, wofür er wieder und wieder Lons Faust auf den Kopf bekam, was er jedes Mal breit grinsend hinnahm.

Kurz vor Aufgang der Sonne waren die drei bereit, das Lager zu verlassen und auf die Suche nach dem großen Geistervogel zu gehen. Es war noch etwas kalt von der Nacht und die Sonne schickte ihre ersten roten Strahlen durch die Büsche der Savanne und bedeckte das Lager mit einem überirdischen Licht. Die himmlischen Feuer der Nacht standen noch hoch am Himmel, verblassten aber immer mehr im Schein des aufgehenden Feuers der Sonne.

Bereg, An und Lon liefen zügig und geduckt über die staubigen Tierpfade der Savanne und suchten die nächste Herde Gazellen. Ihre Speere hatten sie auf den Rücken gebunden. Lon schaute immer wieder zu Boden und verfolgte die Spur einer größeren Herde, die erst vor kurzem hier gegrast hatte.

Nach einiger Zeit blieb Lon stehen und hob die Hand. Er witterte in die leichte Brise, die ihnen entgegen wehte und schaute in die Ferne.

»Langhörner«, sagte er leise und die drei schlichen gebückt und völlig lautlos durch die Büsche, die nun im Licht der aufgehenden Sonne wie Millionen Diamanten funkelten: Der Tau der Nacht, welcher in den Büschen zu Tropfen kondensiert war. Für die drei war dieses Schauspiel Alltag und wurde nicht weiter beachtet.

Einige Echsen saßen in den Büschen und schleckten eifrig die Tautropfen von den Ästen und Dornen. Sie fühlten sich durch die vorbeischleichenden Jäger nicht gestört. Die mächtigen Baobab-Bäume warfen lange und breite Schatten und standen wie steinerne Riesen mitten in der Savanne, als hätte sie ein Gott in den Boden gerammt und dort vergessen. Kleine Herden von Affen stritten in den Baumwipfeln um die Früchte der Bäume und machten dabei einen höllischen Lärm. Auch sie kümmerten sich nicht um die tief unter ihnen vorbeischleichende Gruppe. Es schien, als wären die drei ein fester Teil dieser Welt und kein Lebewesen sähe eine Gefahr in ihnen. Dies traf zwar zu, aber es war vor allem Beregs große schamanische Kraft, die alle Tiere im Umkreis zu besänftigen schien.

Plötzlich blieb Bereg geduckt stehen und deutete schräg nach vorn. An und Lon nickten. Sie suchten sich zwei dichte Büsche links und rechts von Bereg und verbargen sich darin, bis sie von außen nicht mehr zu sehen waren. Bereg tat es ihnen im vor ihm liegenden Busch gleich. Dort saßen die drei nun völlig regungslos und warteten ab, ob sich der große Geistervogel zeigen würde.

Das große Feuerrad der Sonne wanderte über den Himmel und die Herde kam langsam in Richtung der Jäger. Noch immer gab keiner der drei eine Bewegung oder ein Geräusch von sich. Hochkonzentriert saßen sie einfach da und verhielten sich wie ein Fels im Staub der Savanne.

Als die Sonne schon wieder dem Boden entgegen sank, hörte die Gruppe ein summendes, durchdringendes Geräusch, das sich von links näherte.

Im Licht der sich neigenden Sonne erkannten sie den Geistervogel und die Haut des großen Vogels leuchtete wie aus flüssigem Feuer. Instinktiv duckten sich die drei Jäger noch tiefer und warteten mit angehaltenem Atem.

Der Geistervogel schwebte näher und hielt direkt auf die Gazellenherde zu. Es waren keine Flügel zu erkennen und die Form des Vogels ähnelte der eines auf der Seite liegenden, plattgedrückten Straußeneies, nur, dass die Haut aus flüssigem Wasser zu bestehen schien. Das Summen, das von diesem „Vogel“ ausging, wurde lauter und durchdringender und der Ton hörbar tiefer.

Den drei Jägern stellten sich die dichten Haare am Körper empor und es kribbelte in ihren Händen. Dann senkte sich der Geistervogel über der Herde, welche daraufhin in Panik auseinanderstob. Doch eine Gazelle rührte sich nicht vom Fleck und schaute voller Angst zu dem großen Vogel empor.

»Mächtiger Schamane«, flüsterte Bereg beeindruckt, doch nur er selbst konnte seine Worte hören. Er strich seine Haare an den Armen wieder glatt, stand langsam auf und murmelte dabei einige Worte der Beschwörung. Alle Tiere ringsum blickten vertrauensvoll in seine Richtung, doch der große Geistervogel zeigt sich davon vollkommen unbeeindruckt und begann die bewegungslose Gazelle in seinen sich öffnenden Bauch zu ziehen.

»Er frisst sie als Ganzes«, dachte Lon und war zutiefst beeindruckt. Er wollte aufstehen, doch Bereg gab ihm zu verstehen, dass er weiter geduckt bleiben soll.

Der große Geistervogel hob sich erneut und das Summen wurde wieder höher im Ton. Er ruckte nach rechts und flog mit hoher Geschwindigkeit genau nach Süden.

»Hinterher“, rief Lon, der schon aufgesprungen war und begonnen hatte dem Vogel in hohem Tempo nachzueilen. An und Bereg schlossen sich an und die drei machten sich an die Verfolgung des Vogels, der nur noch als kleiner Punkt in der Ferne zu sehen war und bereits weit weg war.

Bevor die Gazelle im Bauch des Geistervogels verschwunden war, konnte Bereg jedoch eine Verbindung zu dem Tier herstellen und konnte nun so dieser geistigen Spur folgen. Er überholte die beiden Jäger und signalisierte ihnen mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Die Inuni[3] waren ungeheuer ausdauern und konnten tagelang laufen, ohne Pause zu machen. Sie würden den Geistervogel einholen, da war sich Bereg sicher.

Kurz bevor die Sonne den Horizont berührte, erreichten sie das Lager des Katun-Clans und fielen zurück in Schritttempo. Elf kleine Hütten umringten eine große, zentrale Hütte auf die Bereg nun zusteuerte. Es war totenstill und niemand war zu sehen. Keine spielenden Kinder, keine arbeitenden Frauen, keine Jäger, keine Feuer brannten. Der äußere Dornenwall dieses Kra´als, der die Clans vor Raubtieren und wütenden Elefanten schützte, war unversehrt.

Bereg hielt an. »Hier stimmt etwas nicht«, sagte Bereg und ging langsam und geduckt näher zur Dornenhecke. An und Lon folgten ihm.

»Es ist zu ruhig«, sagte Lon und schaute sich nervös um.

»He! Wo seid ihr denn alle?«, rief An, wofür er von Lon einen Schlag mit der flachen Hand an den Hinterkopf bekam und von Bereg einen bösen Blick erntete.

»Was denn?«, fragte er empört.

»Pschhhhht!«, machten die beiden anderen Jäger.

»Ist doch eh keiner da«, murmelte An und schlenderte Bereg und Lon beleidigt hinterher.

An der Hecke angekommen schlüpften sie durch den schmalen Durchgang, der normalerweise mit einem Dornenbusch verdeckt war und betraten das Innere des Kra´als. Lon untersuchte den Boden und Bereg ging zu einer Feuerstelle.

»Das Feuer ist schon lange aus«, sagte er.

»Ja«, sagte Lon. »Die Spuren sind zwei Umläufe alt.«

An lief von Hütte zu Hütte und spähte in deren Inneres. »Alles leer«, rief er. »Hier ist niemand mehr.«

Er schaute sich um, als würde er jederzeit mit einem Angriff eines Raubtieres rechnen.

»Was hat das zu bedeuten, Bereg?«, fragte Lon besorgt.

»Ich weiß es nicht Lon. Hier zeigt sich uns ein Rätsel, das ich nicht lösen kann«, erwiderte der Gefragte gedankenverloren. »Wir müssen weiter, die Verbindung zum Langhorn wird schwächer«, sagte er und die drei machten sich erneut auf, dem Geistervogel im Laufschritt zu folgen.

Spät in der Nacht ging der Mond auf und beleuchtete die Savanne in einem fahlen Licht. Die Büsche verwandelten sich in Fantasiewesen, die im leichten Wind hin und her wiegten und zu einer unhörbaren Melodie zu tanzen schienen. Einige Hyänen kicherten in der Ferne und ein Rudel Gazellen lief an ihnen vorbei, offensichtlich aufgeschreckt durch die Räuber. Es ging weiter durch die Buschlandschaft, vorbei an mächtigen Baobab-Bäumen und grauen Felsen, die wie schlafende Riesen im Staub lagen. Es war kühl, doch die unbekleideten Jäger störte dies nicht.

Sie kamen an ein kleines Felsplateau, von dem aus man einen guten Blick in die umliegende Savannenlandschaft hatte. Die drei Jäger hielten an und kletterten mit hoher Geschicklichkeit auf die Felsen. Ihre ledrigen Fußsohlen fanden in jeder Ritze Halt und bald standen sie auf dem kleinen Plateau und schauten in die Savanne, die im Mondlicht vor ihnen lag.

Dank ihrer ausgezeichneten Augen sahen sie bei Nacht beinahe so gut wie am Tag und so konnten sie den Kra´al des Matu-Clanes in der Ferne erspähen.

»Statten wir den Matu einen Besuch ab«, sagte Bereg und Lon und An nickten.

Kaum hatten sie die Felsen hinter sich gelassen, verfielen sie wieder in schnellen Trab und liefen in Richtung des zuvor gesehenen Kra´als. Schon aus einiger Entfernung konnten sie sehen, dass auch hier scheinbar niemand mehr lagerte. Es war nichts zu hören außer dem hysterischen Kichern einiger Hyänen und dem Brüllen eines einsamen entfernten Löwenmännchens, das um die Gunst einiger Weibchen buhlte.

Die kurze Untersuchung der Hütten und der Spuren ergab das gleiche Ergebnis wie im Kra´al der Katun: Hier war schon länger niemand mehr gewesen!

Gerade als sie sich umdrehten und die Verfolgung des Geistervogels wieder aufnehmen wollten, hielt An Lon am Arm fest.

»Wartet“, rief er. »Spürt ihr das?«, Bereg und Lon schauten sich um und spähten in die Nacht.

»Nein«, sagten beide.

»Was spürst du, An?«, fragte Bereg.

»Wir sind hier nicht allein«, erwiderte An.

Lon konzentrierte sich und Bereg murmelte ein Wort der Macht. »Er hat Recht, Bereg, hier ist noch jemand«, flüsterte Lon.

»Erstaunlich“, sagte Bereg, »Ich hatte es nicht gespürt!«,

»Ha!«, machte An und lief zu einer Hütte zu ihrer Linken. Lon und Bereg folgten ihm kopfschüttelnd.

Nach einer kurzen Suche fanden die drei eine Mulde im Boden, die mit einem Blätterdach abgedeckt war. Bereg zog das Dach zur Seite und blickte in die glänzenden Augen eines kleinen Mädchens, vielleicht fünf Zyklen alt. Sie zuckte zusammen und schrie laut auf. Bereg murmelte ein Wort der Macht und sofort beruhigte sich das Mädchen und kletterte aus der Mulde.

»Wer bist du, und warum warst du in diesem Loch? Und wo sind die anderen hin? Bist du ganz alleine hier?«, fragte Lon, doch Bereg schob ihn sanft zur Seite und kniete sich vor das Mädchen.

»Wie ist dein Name?«, fragte er mit seiner gütigen rauen Stimme.

»Ich bin Inao. Die Geistervögel haben alle gefressen«, sagte sie und begann zu weinen. »Ich habe mich versteckt, als sie kamen«,

»Es gibt also mehrere von ihnen?«, fragte Lon überrascht und An wurde so blass, wie man mit seiner nachtschwarzen Haut nur werden konnte.

Inao nickte. »Ja, viele! Sie kamen alle zusammen hierher und kurz danach war alles still und alle waren weg. Ich hatte so viel Angst und habe mich nicht rausgetraut.«

»Weißt du, wohin die Geistervögel geflogen sind?«, fragte Bereg das Mädchen.

»Nein, aber bevor sie verschwanden, hat sich meine Mu mit mir verbunden. Ich kann sie spüren. Weit weg. Aber sie lebt noch. Ich kann euch zu ihr führen«, sagte Inao, deren Tränen schon wieder halbwegs versiegt waren. Bereg, Lon und An schauten sich an und nickten.

»In Ordnung Kleines, bring uns zu deiner Mu«, sagte Bereg und die Gruppe aus nunmehr vier Inuni, wie sich das kleinwüchsige Volk selbst bezeichnete, machte sich auf den Weg zum Nest der Geistervögel.

Lo-Tak

Himmelsstadt Nibir-Urak, Versorgungsebene, auf halber Strecke zwischen Venus und Erde, Ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Lo-Tak hatte entsetzliche Kopfschmerzen und saß in der Ecke hinter einem kleinen Container, den er soeben gefüllt hatte. Ihm war sehr schwindlig und seine Gliedmaßen wollten ihm kaum noch gehorchen. Seine Kollegin Sam-Ni kniete neben ihm und kühlte seine Stirn mit einem feuchten Lappen.

Sie und Lo-Tak gehörten den I-Gû an, der Arbeiterklasse der Terekan. Wie alle I-Gû waren sie ausgebildet, große Lasten und Belastungen zu ertragen, doch aufgrund der Änderungen in ihrem Genom waren sie auch anfällig für Krankheiten, ganz anders als die höheren Terekan, die man auch allgemein „Höhere“ nannte. Alles im Universum hatte eben seinen Preis. Körperlich den Höheren überlegen, waren sie jedoch nicht mehr unsterblich und konnten von Krankheiten dahingerafft werden, was in den unteren Ebenen, auf denen die I-Gû lebten und arbeiteten, immer wieder geschah.

Jeder I-Gû hatte eine feste Aufgabe und sie organisierten sich in ihrer Arbeit selbständig. Kein Höherer musste sich darum kümmern. Sie hatten ihre Quartiere und Lebenszentren in der untersten der sieben Ebenen der Himmelsstadt und kamen nur selten auf die höheren Ebenen, da die gesamte Kommunikation beinahe ausschließlich über die persönlichen Kommunikatoren, Qabâ genannt, lief. Nur in seltenen Fällen erstattete der gewählte Arbeitsführer einem der „Höheren“ persönlich Bericht, vor allem, wenn es zum Streit zwischen den I-Gû kam, was relativ oft passierte.

Alles in allem waren die I-Gû jedoch sehr friedlich und gutmütig, aber dennoch gnadenlose und gefürchtete Kämpfer, wenn es ums Überleben ging.

Solange sie von den Höheren gerecht behandelt wurden, waren sie zufrieden und lebten ihr Leben auf den beiden unteren Ebenen. Sie erhielten im Ausgleich für ihre Arbeitsleistung Nahrung, Bekleidung und alles, was sie zum Leben und zur geistigen Ablenkung benötigten. Die Privilegien der Höheren genossen sie jedoch nicht. Dennoch geschah es nur sehr selten, dass ein I-Gû die Privilegien eines Höheren einforderte, was stets zu einer Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz führte oder man hörte nie wieder von ihm/ihr.

Lo-Tak stöhnte auf und übergab sich auf seine graue Arbeitsuniform.

Sam-Ni stütze ihn und säuberte sein Gesicht.

»Wir müssen auf die Ebene der Heilung, Lo-Tak«, sagte Sam-Ni besorgt.

»Nein«, stöhnte Lo-Tak. »Es geht schon. Ich muss weitermachen, sonst werde ich aussortiert!«

Er wollte aufstehen, doch Sam-Ni hielt ihn am Boden fest. Seine schwarze Haut war aschgrau und Schweiß rann in Strömen von seinem gewaltigen, überlangen Schädel. Seine schwarzen Augen waren ohne

Glanz und er zitterte am ganzen Leib.

Sam-Ni fühlte seine Stirn. »Du bist heißer als eine Energiekammer«, sagte sie vorwurfsvoll. »Du gehst nirgendwo hin, außer auf die Ebene der Heilung.«

Sie half ihm auf und sogleich wurde Lo-Tak von einem Hustenanfall geschüttelt und erbrach schwarzes Blut.

»Verdammt!«, stöhnte Sam-Ni und aktivierte Ihren Qabâ. »Hier spricht Sam-Ni, I-Gû 2246, medizinischer Notfall auf Ebene eins.«

»Symptome?«, fragte eine weibliche Stimme aus ihrem Qabâ.

»Ich weiß es nicht, er ist sehr heiß und erbricht schwarzes Blut. Wir brauchen sofort Hilfe«, sagte Sam-Ni erregt und hielt ihren Kollegen fest im Arm, der wieder einen heftigen Hustenanfall hatte und einen großen Schwall Blut erbrach.

»Hilfe ist unterwegs, bleiben Sie, wo Sie sind!«, befahl die Stimme im Ohr.

»Nichts da, wir kommen nach oben, er hält nicht mehr lange durch“, sagte Sam-Ni bestimmend.

»Sie haben ihre Befehle 2246, ein Team ist bereits unterwegs«, befahl die Stimme.

Sam-Ni deaktivierte ihren Qabâ und schleppte Lo-Tak durch ein großes Schott in einen weiteren Raum in dem viele große und kleine Container und Boxen standen.

Sie durchquerten den Raum und wollten gerade durch ein weiteres Schott gehen, als sich vor ihr und hinter ihr die Schotten schlossen. Ein Zischen und Klacken signalisierte, dass eine der Luftschleusen entsichert wurde.

»Was zum…«, sagte Sam-Ni. »Hier ist 2246. Das könnt ihr doch nicht machen!«, schrie sie in ihren Qabâ.

»Sie verstoßen gegen Protokoll zwölf, 2246. Bleiben Sie, wo Sie sind. Letzte Warnung!«, befahl die Stimme eindringlich.

Lo-Tak brach zusammen und wurde bewusstlos. Sam-Ni lehnte ihn gegen die Wand und setzte sich weinend und fluchend neben ihn. Sie nahm Lo-Taks Kopf und bettet ihn in ihrem Schoß.

Plötzlich wurde Lo-Tak von heftigen Krämpfen geschüttelt und aus Augen, Mund und Nase rann schwarzes Blut.

»Verdammte Scheiße! Wo bleibt ihr denn?«, schrie sie unter Tränen in ihren Qabâ. Es kam keine Antwort.

Verzweifelt und weinend schüttelte sie Lo-Tak. »Du hörst mir jetzt zu, du Sohn eines Torks! Du wirst mich hier nicht alleine lassen, ist das klar? Du hast hier eine Aufgabe und ich werde die ganze Arbeit nicht alleine machen, hörst du mich?« Doch Lo-Tak hörte sie bereits nicht mehr, sein Licht hatte ihn verlassen. Sanft legte Sam-Ni seinen Kopf auf den Boden, begab sich zum danebenliegenden Schott und hämmerte mit den Fäusten dagegen.

»Macht das verdammte Schott auf!«, schrie sie. »Hey! Hört mich jemand?«

Doch es kam keine Antwort. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung und drehte sich um. Lo-Taks Arm zitterte und gerade wollte Sam-Ni zu ihm eilen, als sich sein Körper unter Krämpfen aufbäumte und er einen Schrei ausstieß, der ihr das Rückenmark gefrieren ließ.

»Nein!«, flüsterte Sam-Ni und trommelte wild gegen das Schott. »Lasst mich hier raus! Bitte, ich will hier aus!«, schrie sie und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie über Lo-Taks Körper ein milchiger wabernder Nebel entstand, der über den Boden kroch. Direkt auf sie zu.

»Lo-Tak! Nein, ich bin´s, Sam-Ni! Nein!«, schrie sie verzweifelt und ging langsam rückwärts.

Der schwach leuchtende Nebel waberte langsam weiter in ihre Richtung und nahm dabei die Gestalt eines Terekan an. Zu Beginn noch transparent, wurde der Nebel immer dichter und dichter. Lo-Taks Licht begann sich zu manifestieren.

Sam-Ni wusste nur zu gut, was dies bedeutete, jeder in der Himmelsstadt hatte dies bereits einmal oder mehrmals miterlebt. Sie ging entsetzt rückwärts und stieß gegen eine Wand.

»Lo-Tak, verdammte Scheiße!«, schrie sie unter Tränen und griff sich ein Metallrohr, das neben einer kleinen Kiste lehnte.

Der immer dichter werdende Nebel wechselte seine Farbe und wurde erst grau, dann völlig schwarz. Der schwarze Nebel-Körper begann zu zittern und eine dumpf leuchtende nachtschwarze Haut begann ihn auf der gesamten Länge zu überspannen. Die nachtschwarzen Augen begannen von innen heraus zu glimmen und wurden zu einem dunkelroten, pulsierenden Licht. Ein Dimu-Rû[4] war geboren, ein „Lichträuber“.

Aus seiner Kehle drang ein dumpfes, mörderisches Grollen. Dann sprang er.

Sam-Ni schrie auf und versuchte davon zu rennen, doch der Dimu-Rû war schneller und rammte sie im vollen Lauf gegen die Wand. Stöhnend brach sie zusammen und konnte gerade noch das Rohr vor ihr Gesicht halten, als der Kopf des Dimu-Rû vorschnellte und ihr mit seinen spitzen Zähnen die Kehle zerfetzen wollte. Mit aller Kraft drückte Sam-Ni dagegen und konnte ihm einen heftigen Stoß versetzen, der ihn zurücktaumeln ließ. Sie stand auf und fasste das Metallrohr mit beiden Händen.

»Oh nein, mein Freund, so wird es nicht enden«, sagte sie gefährlich leise und ging zum Angriff über. Sie zog dem Dimu-Rû das Metallrohr in vollem Lauf über den langen Schädel, sodass dieser zur Seite geprellt wurde und knackte. Das Wesen ging zu Boden, doch Sam-Ni war im Kampfrausch und schlug wieder und wieder auf seinen schweren Schädel ein, bis dieser nur noch in Stücken in einer Lache aus schwarzem Brei und Staub neben seinem reglosen Körper lag.

»Haaa!«, schrie Sam-Ni wild und sprang zurück, die Stange hoch über den Kopf erhoben, bereit, erneut zuzuschlagen. Doch der Körper des Dimu-Rû zerfiel bereits langsam zu Staub und sonderte einen schwarzen Nebel ab, welcher zu Boden glitt und auf einen der Lüftungsschlitze zu kroch.

Schwer atmend und weinend brach Sam-Ni in die Knie und übergab sich. Ihr Blick war dabei zufällig genau auf die Konsole der Luftschleuse gerichtet, welche plötzlich von Grün auf Rot wechselte.

»Nein!«, flüstere Sam-Ni in Todesangst und wollte gerade zum Schott rennen, als mit einem lauten Zischen die Luftschleuse zur Seite glitt und jeglichen Inhalt des Raumes in die ewige Schwärze des Alls saugte. Das Letzte, das Sam-Ni sah, während sie aus der Luftschleuse geschleuderte wurde, war der schwarze Nebel, der in einem der Lüftungsschlitze im Boden verschwand.

Die Suche nach dem Geistervogel

Erde, Südafrika, Savanne, ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Weitere vier leere Lager fand die Gruppe auf ihrem Weg zum Nest der Geistervögel. In einigen Lagern fanden sie Spuren eines Kampfes. Fast hatte es den Anschein, als ob außer dem Nerude-Clan kein anderer Clan mehr in der Savanne existierte. Die drei Jäger waren sichtlich bedrückt und schweigsam und das Mädchen saß auf Lons Schultern und schlief. Sie liefen bis in die Dämmerung, dann legten sie eine Rast ein, da die Nacht, so tief in der Savanne, zu gefährlich war um sich weiter zu wagen. Die Räuber der Nacht waren hier sehr zahlreich und stets hungrig!

An suchte trockene Äste und machte ein großes Feuer und die vier setzen sich im Kreis um die schützende Wärme herum. Zwar froren sie nicht, aber das Feuer hielt die Raubtiere in sicherem Abstand. Hier draußen wurde man sehr leicht Beute der großen Löwen und Säbelzahnkatzen, die stets auf der Suche nach einem nächtlichen Festmahl waren.

In der Nähe streifte eine Herde Hyänen umher, ein sicheres Zeichen, dass keine Langzähne in unmittelbarer Umgebung lauerten. Dennoch waren die Jäger, wie immer, sehr wachsam und wechselten sich mit dem Schlafen ab.

Der Mond stand fast voll am Himmel und es war beinahe taghell in der Savanne. Millionen Sterne standen am Firmament und warfen ihr himmlisches Licht auf die kleine Gruppe.

Lon lag auf dem Rücken und betrachtete das lange bleiche Band der Milchstraße, das den Himmel überspannte. Die Inuni nannten dieses Band „Munini“ die „Milch der Mutter“. Der Sage nach hatte eine Mutter, die ihr Kind verloren hatte, aus Kummer ihre gesamte Milch über den Himmel vergossen und so war dieses Band entstanden, das den Jägern den Weg durch die Savanne wies.

Er blickte zu den großen Himmelsfeuern, einer hellen Gruppe von Sternen, die den Jägern stets den Weg nach Süden wiesen und ansatzweise dem Kopf einer Gazelle ähnelten. Ein sehr helles Objekt zog langsam an den Sternen vorbei und verschwand nach einigen Minuten hinter dem Horizont. Lon folgte dem Objekt mit seinen Augen, bis es nicht mehr zu sehen war.

»Wohnen in der großen Nachtsphäre auch Geistervögel, Bereg?«, fragte Lon den Schamanen.

Bereg hob den Kopf und sah Lon an. »Ich weiß es nicht, Lon«, sagte er. »Aber es leben viele Geister in den hohen Sphären unserer Welt. Wer weiß schon, welche Geister es dort oben gibt, ich kenne nur die Geister hier unten.«

Lon nickte und schaute weiter in die Sterne. »Ich frage mich, wo diese Geistervögel herkommen. Sind sie aus dieser Sphäre? Oder sind es vielleicht Wesen aus der großen Nachtsphäre?«, fragte er nachdenklich.

»Wir werden es spätestens beim neuen Licht herausfinden, Lon. Aber jetzt solltest du ein wenig schlafen, wir haben morgen einen langen Weg vor uns«, sagte Bereg. An drehte sich im Schlaf auf die andere Seite, brummte und murmelte einige unverständliche Worte. Das Mädchen schlief ruhig und fest.

Lon brummte zustimmend, drehte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf die Handfläche seines angewinkelten Armes. Auf diese Weise verhinderten die Inuni, dass ihnen im Schlaf kleine Tiere in die Ohren kriechen konnten. So schliefen sie seit Äonen.

Noch bevor die Sonne ihre wärmenden Strahlen über die Savanne schicken konnte, waren die vier bereits wieder im Laufschritt unterwegs. Lon trabte vornweg, das Mädchen auf seinen Schultern. Er hatte sich mit dem Mädchen geistig verbunden und konnte so ihre Gefühle lesen, ohne, dass das Mädchen etwas sagen musste. Auf diese Weise konnte Lon den Weg zu ihrer Mutter erspähen, der sich wie ein leuchtender Faden vor ihm in der Ferne verlor.

Kurz bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, kam die Gruppe an einen Ort, an dem die Büsche verbrannt waren. Sie fanden zwischen den Büschen den leblosen, verbrannten Körper eines Inuni, beziehungsweise das, was die Raubtiere von ihm übrig gelassen hatten. Bereg untersuchte den toten Körper und nickte.

»Ein weiteres Rätsel, das ich nicht lösen kann«, sagte Bereg. »Ein Jäger, weit weg von einem Lager.

Ein Feuer hat seinen Körper zerstört, aber es hat sich nicht weiter ausgebreitet. Ich kann dieses Zeichen nicht deuten«, sagte er und drehte die Reste des Körpers auf den Rücken. Eine tiefschwarze Verfärbung war am Rücken erkennbar, etwa handtellergroß.

»Es scheint, als wäre er von einem großen Himmelslicht getroffen worden“, sagte Lon und An nickte.

»Möglich«, sagte Bereg. »Aber es gab schon lange Zeit kein großes Himmelswasser mehr und es war weder Donner in der Luft, noch war die Sonne verdunkelt.«

Bereg überlegt. »Ein Himmelslicht hätte ihn auch nicht an dieser Stelle im Rücken getroffen, es sei denn, er wäre gerade tief gebückt gewesen. Möglich, aber unwahrscheinlich.«

Das Mädchen stieß einen leisen Schrei aus und bückte sich zu der Leiche. Sie fand eine kleine Kette aus Langzähnen, von der das Feuer nur noch die Zähne zurückgelassen hatte. »Das ist Toks Kette«, rief sie erregt und nahm ein paar der Zähne an sich, die mehr als doppelt so lang wie ihre Daumen waren.

»Tok?«, fragte Bereg und sah das Mädchen an.

»Ja. Er war der beste Jäger unseres Clans und hat schon viele Langzähne erlegt«, sagte sie traurig und ließ die Zähne fallen.

Lon legte Bereg die Hand auf die Schulter. »Er muss den Geistervögeln entkommen sein und wollte zurück zum Lager“, sagte er aufgeregt. Bereg nickte nachdenklich. Er bückte sich und sammelte die Zähne auf. Dann kramte er in seinem Lederbeutel, nahm eine Sehne heraus und fädelte die Zähne auf die Sehne. »Du bist jetzt eine Jägerin, Inao«, sagte er und hängte die Kette dem Mädchen um den Hals.

»Aber ich bin doch noch viel zu klein, um eine Jägerin zu sein«, sagte sie verlegen.

Lon klopfte ihr lachend auf die Schulter. »Jetzt nicht mehr, Mädchen«, sagte er lächelnd. Sie überließen die Reste des Körpers den Aasfressern und zogen weiter.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu und plötzlich sah An in der Ferne ein helles Leuchten.

»Geistervogel«, rief er und alle duckten sich sofort hinter die niedrigen Büsche.

Nun sahen alle das Leuchten und es war, als wäre dort in der Ferne eine zweite, kleinere Sonne aufgegangen. Sie warteten und beobachteten.

Als die Sonne unterging, wurde das Leuchten ebenfalls schwächer und als die Sonne ganz verschwunden war, hörte auch das Leuchten auf. In der Ferne zeichnete sich ein großes Objekt ab. Es schien einen riesigen Wall zu haben und in der Mitte erhoben sich gewaltige Hütten, manche davon himmelhoch.

»Was ist das?«, fragte Lon erstaunt.

»Das muss das Nest der Geistervögel sein«, sagte Inao aufgeregt. »Ich kann meine Mu ganz nahe spüren.«

Sie wollte aufspringen, doch Lon hielt sie am Arm fest.

»Warte. Ich spüre sie ebenfalls, aber wir müssen vorsichtig sein«, sagte er und beruhigte sie wieder.

»Wir warten, bis es ganz dunkel ist, und schleichen dann näher ran«, sagte Bereg.

„Ganz Dunkel“ bedeutete für die Inuni, bis die Glut der Sonne am Himmel erloschen war, denn sie sahen bei Mondlicht ebenso gut wie am Tage.

Als der Mond gerade aufging, schlichen die vier Jäger der Inuni geduckt auf das große Objekt zu. Sie krochen von Busch zu Busch und das Objekt kam immer näher. Als sie direkt davor standen, kamen sie aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn die Wälle des Objektes waren hoch wie ein Baobab-Baum und völlig gerade. Sie schlichen geduckt um das Objekt herum und kamen zu einem großen Tor, das scheinbar den Eingang zu dem Objekt darstellte.

»Ein riesiger Kra´al«, sagte Bereg verblüfft. »Hier müssen die Geistervögel nisten.«

An pochte mit den Fingerknöchel gegen die Wand und die Wand antwortete mit einem dumpfen „pong“. Überrascht legte Bereg die linke Handfläche auf das Material und fühlte.

»Es ist kühl, aber nicht so kalt wie ein Fels«, bemerkte er.

Plötzlich stellten sich seine Haare an den Armen auf und er fühlte ein leichtes Kribbeln. Schnell zog er seine Hand zurück.

»Es lebt«, sagte er beeindruckt. Er legte seine Hand erneut gegen die Wand. Es entstand ein leises Knistern, und das Kribbeln in der Hand wurde stärker. Bereg konzentrierte sich, um sich mit dem vermeintlichen Wesen zu verbinden, als ein kleiner Blitz aus der Wand in seine Hand fuhr.

Ein starker Schmerz zuckte durch seinen Arm und er wurde rückwärts umgeworfen. Alle anderen machten drei schnelle Schritte rückwärts und An half Bereg wieder auf die Beine.

»Es hat mich gebissen«, beschwerte sich Bereg und massierte seinen schmerzenden Arm. An zückte seinen Speer und stieß gegen die Wand.

„Pok“, machte die Wand. Sonst passierte nichts.

»Ha! Mich beißt es nicht«, sagte An triumphierend.

»Lass den Unsinn«, sagte Lon tadelnd und nahm An den Speer aus der Hand.

Die Inuni hatten zwar von Haus aus keine Angst vor fremden Dingen, dafür waren sie viel zu neugierig, aber sie erkannten, dass dieses Wesen

durchaus gefährlich werden konnte. Daher zogen sie sich hinter den nächsten Busch zurück und berieten sich.

Plötzlich hörten sie ein leises Summen, das schnell näher kam und instinktiv duckten sie sich tief hinter den Busch. Von hinten näherte sich ein dunkles Objekt, das im Mondlicht wie Wasser schimmerte.

»Ein Geistervogel“, sagte Bereg und alle duckten sich noch tiefer.

Als der Geistervogel näher kam, stellten sich bei allen die Haare an den Armen und Beinen auf und die Luft knisterte.

»Er will uns holen!«, weinte Inao, doch Lon beruhigte sie.

»Nein, er kann uns nicht sehen«, flüsterte er ihr ins Ohr und sie nickte. Plötzlich ging von dem Geistervogel ein gewaltiges Licht aus, welches den gesamten Bereich vor dem Tor hell erleuchtete.

»Ein Himmelslicht«, sagte An leise und hielt die Hände über den Kopf.

Doch es kam kein Donner, und das Licht endete auch nicht. Also schaute er wieder nach vorn. Lon schüttelte den Kopf. »Nein, An, das ist kein Himmelslicht, das ist etwas anderes«, sagte er und schaute zu Bereg, der angespannt und ratlos aussah.

Der Vogel kam näher und landete in kurzer Entfernung zu dem Tor, welches sich plötzlich öffnete und in zwei Teilen nach innen glitt. Nachdem der Vogel gelandet war, kamen noch vier weitere Geistervögel und landeten direkt neben dem ersten.

Gebannt starrten die vier auf das Geschehen, als zwei gewaltige Wesen aus dem Tor kamen und sich links und rechts davon postierten. Sie trugen lange Stäbe in der Hand und hatten, wie die Inuni, nachtschwarze Haut.

Jedoch wiesen ihre Körper keinerlei Haare auf und sie waren fast doppelt so groß wie Lon! Ihre schweren Schädel waren nach hinten verlängert und fast viermal so groß wie der Schädel eines Inuni. Bereg bemerkte, dass sie über sechs, statt fünf Finger verfügten und sah auf seine eigene Hand.

Er nickte. »Ich habe solche Wesen in meinen Träumen gesehen. Es sind Himmelsgeister!«

»Es gibt sie also wirklich?«, fragte Lon überrascht und Bereg nickte besorgt.

Ein Zischen ließ sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Geistervogel richten, dessen Bauch sich langsam öffnete. Heraus kamen zahlreiche kleine Gestalten und zwei der großen Himmelswesen. Auch die Bäuche der anderen Geistervögel öffneten sich nach und nach und auch dort kamen zahlreiche kleine Gestalten und jeweils zwei Himmelswesen heraus.

Lon unterdrückte einen Schrei und stieß Bereg an. Dieser nickte nur und An hielt seinen Speer fest in der Hand und schaute Lon an, welcher mit dem Kopf schüttelte.

»Nerude«, flüsterte Bereg überrascht als er die kleine Frau erkannte. Er konzentrierte sich und Nerude drehte kurz ihren Kopf in seine Richtung und lächelte.

Nach und nach kam der gesamte Nerude-Clan aus den Bäuchen der Geistervögel und schritt in Richtung Tor. Sie verschwanden kurz darauf im Innern des riesigen Kra´al, zusammen mit den Geistwesen, die mit Stöcken in der Hand hinter ihnen schritten. Die beiden Himmelswesen vor dem Tor gingen ebenfalls wieder in das Innere und das Tor schloss sich wieder.

»Sie haben den gesamten Clan verschleppt«, sagte An aufgebracht. Lon nickte grimmig.

»Ich habe mich mit Nerude verbunden, ich sehe nun alles, was sie sieht.

Wir ziehen uns zurück und gehen in sicherer Entfernung in Deckung.«

Alle nickten und die vier zogen sich gebückt und rückwärts durch die Tierpfade zurück und versteckten sich in den großen Büschen, die um einen Baobab-Baum herum wuchsen.

Auf dem Weg zur Neuen Welt

Himmelsstadt Nibir-Urak, Kommandokuppel, irgendwo zwischen Venus und Erde, ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

»Das war bereits der sechste Vorfall in diesem B´ir«, sagte Sama-Îna. Sie war über ihre Konsole gebeugt und betrachtete die Sicherheitsberichte der vergangenen beiden Tage. In vier verschiedenen Bereichen der I-Gû Ebene kam es zur Infektion durch das Virus. »Das gerät jetzt aber langsam außer Kontrolle.«

»Noch haben wir die Lage im Griff«, sagte Nam-Samû, ihr Vater.

»A-Ma und ihr Team leisten großartige Arbeit und verhindern Schlimmeres. Aber wenn du mich fragst, Spross meiner Lenden, es ist nur eine Frage der Zeit, bis es unserer Kontrolle entgleitet. Solange wir nicht wissen, wie die Neuinfizierung vonstattengeht, können wir nichts dagegen unternehmen, außer, die Infizierten der Reihe nach einzufrieren! Wir müssen die Quelle der Viren finden, bevor die I-Gû erneut eine Rebellion starten.«

»Ich habe alle Biofilter der gesamten Himmelsstadt auf das Virus programmiert«, antwortete Sama-Îna. »Durch die Luft kann es sich also nicht verbreiten. Ich habe mir alle Sensor-Aufzeichnungen der letzten beiden B´ir angesehen und habe keine verdächtigen Aktivitäten erkennen können. Nirgendwo in der Stadt.«

»Na-Mâr, wie lange brauchen wir noch nach Bel-Ek?«, fragte Nam-Samû und drehte sich in Richtung Mitte der Kuppel.

»Noch etwa ein B´ir, Digîr«, erwiderte der Navigator.

»Wo hält sich mein A-Hu, Nak-Êl auf?«, fragte Nam-Samû weiter.

»Laut Sensoren befindet sich der Hüter der Archive auf der Wissenschaftsebene, im Archiv des E-Din Sektors, Digîr«, antwortete Na-Mâr.

Nam-Samû aktivierte seinen Qabâ und rief seinen Bruder, den Hüter der Archive. »Nam-Samû an Nak-Êl! Was tust du gerade A-Hu?«

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Das, was ich schon das ganze B´ir versuche: Ungestört meine Untersuchungen fortsetzen!«, antwortete Nak-Êl lakonisch.

»Wie weit seid ihr gekommen bisher? Habt ihr schon etwas in den Aufzeichnungen gefunden?«, fragte der Nam-Samû weiter.

Sein Bruder seufzte hörbar. »Nicht so weit, wie ich es gerne wollen würde! Wenn es etwas Neues gibt, lasse ich es dich wissen A-Hu. Bis dahin wünsche ich und mein Team, ungestört zu bleiben.«

Ungehalten beendete er die Kommunikation.

»So sei es«, sagte Nam-Samû seufzend und setzte sich wieder.

»Ebene der Heilung an Nam-Samû!«, tönte plötzlich eine weibliche Stimme aus dem Qabâ.

»Nam-Samû hört«, antwortete er.

»Es dürfte Euch erfreuen, zu hören, dass Eure A-Na aufgewacht ist«, erwiderte die Stimme.

Nam-Samû und Sama-Îna sprangen fast gleichzeitig aus den Sesseln auf und Na-Mâr lächelte mitfühlend. Sama-Îna lachte befreit. Endlich war ihre Schwester erwacht!

»Ich begebe mich auf die Ebene der Heilung. Sama-Îna, du hast das Kommando«, sagte Nam-Samû erfreut und eilte zum Ausgangsschott.

Sama-Îna nickte. »So sei es, A-Ba, richte ihr beste Grüße aus.«

Na-Mâr und Sama-Îna standen auf und legten zum Gruß die rechte Hand an die linke Schulter. Nam-Samû nickte und verließ die Kuppel.

Nam-Samû

Himmelsstadt Nibir-Urak, Ebene der Heilung, irgendwo zwischen Venus und Erde, ca. 250.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Nam-Samû betrat die Ebene der Heilung und ging zu der Nische, in der seine Tochter, Dum-Samû, lag und sich von ihren Verletzungen erholte. Sie wurde bei der Evakuierung des Planeten schwer verletzt und lag seitdem auf der Ebene der Heilung in künstlichem Tiefschlaf, der nun offensichtlich beendet worden war.

Wie immer kniete Mu-Lîl, ihre Ar-Amû, neben ihr und hielt ihre Hand. Mu-Lîl war die Tochter von Nak-Êl und Mu-Nakû und war jeden Tag an Dum-Samûs Seite. Doch heute strahlte sie über das ganze Gesicht und redete aufgeregt mit Dum-Samû.

»Willkommen zurück, A-Na«, sagte Nam-Samû lächelnd und blickte auf seine Tochter, die auf der weißen, gepolsterten Konsole lag, unter der viele Lichter blinkten und Skalen Werte auf und ab anzeigten.

»Sie ist noch sehr schwach, Höchster und kann noch nicht viel sprechen«, sagte eine in ein bodenlanges weißes Gewand gekleidete I-Gû, welche die Daten am Lager überwachte. »Außerdem hat sie eine schwere Amnesie durch den Schlag auf den Kopf. Das braucht seine Zeit«, fuhr sie fort und verbeugte sich tief.

»Danke«, sagte Nam-Samû knapp und nahm Dum-Samûs Hand. Die I-Gû zog sich zurück.

»Mu-Lîl?«, nickte er seiner Nichte zur Begrüßung zu.

»Ich grüße dich, Bringer des Lichtes«, erwiderte Mu-Lîl lächelnd und verbeugte sich vor ihrem Onkel.

»Wann hast du das letzte Mal dein Licht gedimmt, A-Hu-Na?«, fragte Nam-Samû und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Ein Zeichen, dass sie sich wieder erheben durfte.

»Wie du weißt, A-Ma-Hu, benötigt eine Tel-Al nur sehr wenig Schlaf“, sagte Mu-Lîl herausfordernd lächelnd. Nam-Samû lächelte und neigte seinen Kopf leicht in ihre Richtung.