Die UFO-AKTEN 43 - Rafael Marques - E-Book

Die UFO-AKTEN 43 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

In Gareth Falls, einer Kleinstadt ca. 60 Kilometer östlich von San Diego, haben sich in den letzten Tagen seltsame Geschehnisse ereignet: Menschen, die unzweifelhaft tot waren, tauchen wieder auf und gehen ihrem ganz normalen Leben nach, als wäre nichts geschehen.
Senator Campbell sieht sich zum Handeln veranlasst. Er kontaktiert seine besten Leute im Mellnick Memorial Hospital, doch Judy will aufgrund der Herzschrittmacher-OP, der sich ihr Vater unterziehen muss, in Washington D.C. bleiben. Cliff reist also allein nach Kalifornien, wo er von der Sioux-Indianerin Ruth Sekada in Empfang genommen wird - in deren Begleitung er seinen Horizont in Sachen "lebende Tote" dramatisch erweitert ...


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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Lebende Tote

Werkstattbericht

Vorschau

Impressum

Rafael Marques

Lebende Tote

Ehemaliger Rancho Novo-Flugplatz

Nahe Rancho San Diego, Kalifornien, 29. April 2023, 20:02 Uhr

Die Verfolger waren ihnen dicht auf den Fersen. Nicht nahe genug, um einen gezielten Schuss abzugeben, andererseits auch nicht weit genug entfernt, um mit einem geschickten Fahrmanöver oder durch nochmaliges Beschleunigen entkommen zu können. Und selbst wenn, gab es auf dem Rollfeld des verlassenen Flugplatzes außer dem kleinen Tower und einem überwachsenen Hangar nicht die geringste Deckung.

Spielten die Anderen etwa nur mit ihnen? Wenn sie wirklich gewollt hätten, wäre es womöglich längst zu einer direkten Konfrontation gekommen. Oder ging es den Männern und Frauen in den dunklen Limousinen gar nicht darum, sie zu erledigen, sondern suchten sie nur nach ihrem Unterschlupf ...

Diese Rolle kam nun gewissermaßen einem blinkenden Ungetüm zu, das sich gerade etwa hundert Meter von ihnen entfernt auf das Rollfeld senkte. Wenn sie dorthin gelangen wollten, dann hatten sie ihr Ziel erreicht – und Cliff Conroy, Ruth Sekada und Deputy William Hollister aus dem kleinen Ort Gareth Falls saßen in der Falle ...

»Sie kommen nicht mehr näher.«

Cliff blickte in den Rückspiegel und sah Ruths Worte bestätigt. Die insgesamt fünf Fahrzeuge wurden immer langsamer, stellten sich in einer Reihe auf und wirkten in der Dunkelheit mit ihren grellen Scheinwerfern wie ein Erschießungskommando, das auf den Befehl zum Schuss wartete. Oder in diesem Fall wie eine Meute Jäger, die nur auf den richtigen Moment zum Angriff zu lauern schien.

Wie es auch war, die Besatzung des Hubschraubers tat ihnen den Gefallen, das Fluggerät sicher auf dem Rollfeld zu landen. Sofort wurde von innen her eine Schiebetür geöffnet und fünf bis an die Zähne bewaffnete Mitglieder einer Sondereinsatztruppe sprangen ins Freie. Sie sicherten den Landeplatz trotz der von den Rotoren aufgewirbelten Luft mit vielfach geübter Präzision nach allen Seiten ab. Natürlich nahmen sie dabei auch die anderen Fahrzeuge ins Visier, die weiterhin mit laufenden Motoren auf der Stelle standen. Niemand stieg aus, als wollten die Insassen abwarten, was vor ihnen geschah.

Cliff und Ruth hatten dagegen genug gesehen. Sie wollten zu dem Hubschrauber, immerhin war es Senator James Victor Campbell selbst gewesen, der diese Sondereinheit zu ihrem Schutze in die Nähe von San Diego beordert hatte. Ohne diese Unterstützung hätten sie nicht gewusst, wohin sie noch fliehen sollten.

Nicht nur die bewaffneten Männer waren zu ihrer Unterstützung erschienen. In dem Hubschrauber befand sich noch eine weitere Person, von deren Anwesenheit der Senator ihnen nichts erzählt hatte. Umso größer war Cliffs Überraschung, als er sie vor sich stehen sah. Ein ihm bereits persönlich bekannter und vertrauter – Ruth sicher mehr als Cliff – Mann, der zugleich aber auch von so vielen Mysterien umgeben war, dass er für ihn immer noch ein Rätsel darstellte. Sein Äußeres erinnerte frappierend an einen Schauspieler namens Michael Caine, wenn auch in seinen jüngeren Jahren. Sein Alter mochte bei etwa sechzig liegen, doch das war schwer einzuschätzen, was mit seiner kräftigen Statur, der Größe von nahe 1,90 Metern oder den so jung wirkenden, blauen Augen zusammenhängen konnte.

Sein Name: Andrej Garbatschow.

Ein Doppelagent, der sowohl für den russischen Geheimdienst als auch für Senator Campbell tätig war, und schon einige Male ihre Wege gekreuzt hatte. Ihre letzte persönliche Begegnung lag bereits weit mehr als ein Jahr zurück, als Cliff noch einmal zu seinem ehemaligen Arbeitsplatz im Lyndon B. Johnson Space Center zurückgekehrt war. In unruhigen Zeiten wie diesen war es auch nicht sehr verwunderlich, dass Andrej für einige Zeit abgetaucht war. Im Hintergrund hatte er allerdings sicher weiter für den Senator gearbeitet, eben ohne Cliff dabei über den Weg zu laufen.

Wie schon bei ihren früheren Begegnungen trug er einen maßgeschneiderten, schwarzen Anzug, der so gar nicht zu der Szenerie oder den Monturen seiner Begleiter passen wollte. Sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch nicht den üblichen Anklang übersprühender Sympathie, mit denen er seine Mitmenschen oft einzunehmen vermochte. Die Züge waren hart und ernst, beinahe sogar abweisend.

»Andrej, es ist schön, Sie ...«

... wiederzusehen, wollte Cliff sagen. Oder etwas in dieser Richtung. Zumindest war er versucht gewesen, zum Ausdruck zu bringen, wie erleichtert er darüber war, hier und jetzt auf diesem Rollfeld mit ihm zusammenzutreffen und gemeinsam den Kampf gegen ihre Feinde aufzunehmen.

Doch es kam völlig anders, und das mit einer Vehemenz, die sowohl ihn als auch Ruth auf der Stelle erstarren ließ. Mit ungläubigem Blick verfolgte er, wie der Russe eine Pistole aus dem Anzug hervorzog, sie auf ihn richtete – und schoss!

Sycuan Forest Trail, zwei Tage zuvor

Nördlich von Gareth Falls, Kalifornien, 27. April 2023, 05:40 Uhr

»Wir können von Glück reden, nicht von einem Puma gefressen zu werden. Ich hätte mich gar nicht erst auf deine Schnapsidee einlassen sollen, Joe.«

Der Angesprochene verdrehte die Augen. »Als ich es dir gestern Abend vorgeschlagen habe, hat sich das noch ganz anders angehört«, gab er zu bedenken. »Da warst du noch Feuer und Flamme, den Camel River im Mondschein zu erkunden. Und als wir Arm in Arm neben dem Feuer am Wasserfall lagen, nackt wie Gott uns schuf, hast du dich auch nicht beschwert. Aber jetzt, wo ein paar Tiere durch das Gebüsch huschen und ein wenig herumknurren, bekommst du plötzlich kalte Füße.«

»Ich habe Angst!«

Joe Alcott hatte alle Mühen, ein Stöhnen zu unterdrücken. Abigail war eine natürliche Schönheit und ein atemberaubendes, lustiges und vor Lebensfreude strahlendes Mädchen – zumindest dann, wenn man ihr nicht auf den sprichwörtlichen Schlips trat. Geschah dies, wurde sie wild wie ein Puma, die durchaus in dieser Gegend heimisch waren und sich hin und wieder in das weit von dem großen San Diego abgelegenen Gareth Falls verirrten. Und im Moment sah es so aus, als müsste er sich wieder mit einer dieser Launen herumschlagen.

Dabei hatte alles so gut begonnen. Das schulfreie Wochenende war die perfekte Gelegenheit für einen kleinen Abenteuertrip fernab der täglichen Tristesse gewesen, mit der man in ihrem kleinen Dorf unweigerlich konfrontiert wurde. Das aufregendste Ereignis war der jährliche Holzfällerwettbewerb, der früher oder später in ein wahres Trinkgelage ausartete. Ansonsten führten die knapp achtzig Einwohner ein ruhiges, zurückgezogenes Leben, in dem schon eine Autopanne für heillose Aufregung sorgte.

Zumindest, wenn man von einem knapp über eine Woche zurückliegenden Ereignis absah. Wie eine Schockwelle war die Information über den Tod der dreiköpfigen Familie McCann durch die Reihen der Einwohner gegangen. So wie Deputy Hollister durchsickern ließ, waren die Tochter und Ehefrau vom Familienvater Holden McCann getötet worden, wobei er sich ebenfalls das Leben genommen hatte. Der Umstand, dass die Familie selbst für diese Gegend besonders zurückgezogen lebte, sorgte wohl dafür, dass die Menschen hier schnell wieder zur Normalität zurückgefunden hatten.

Ein wenig unwohl war Joe schon bei dem Gedanken, dass der Wanderweg – bei dem es sich eher um einen hauptsächlich von einheimischen Anglern genutzten Trampelpfad handelte – nur wenige hundert Meter an dem versteckt im Wald gelegenen Haus der Familie vorbeiführte. Nicht, weil er glaubte, dass es dort spuken könnte, sondern, weil Abigail ihm deswegen sicher auch bald noch eine Szene machen würde. Außerdem dachte er an seinen Vater, der ihn davor gewarnt hatte, dem Haus zu nahe zu kommen. Warum, wusste er selbst nicht so genau.

Trotz der sternenklaren Nacht mussten sie sich angesichts des dichten Bewuchses mit Stirn- und Taschenlampen orientieren. Abgesehen von den unvermeidlichen Heeren aus Fliegen und Stechmücken begegneten ihnen keine weiteren Tiere, was Joe schon einmal als Erfolg ansah. Die Stimmung würde das zwar nicht mehr retten, aber zumindest hatte er sein größtes Ziel erreicht – Abigail zu mehr zu bringen als nur zu einem intensiven Kuss. Als 17-Jähriger hatte man eben noch gewisse Ziele.

»Jetzt müssen wir auch noch an dem Todeshaus vorbei«, hörte er Abigail plötzlich murmeln.

Und schon geht es los, meldete sich die kleine Stimme in Joes Kopf. Mach dich auf etwas gefasst.

Er schloss zu seiner Freundin auf, fuhr ihr erst durch die welligen, dunkelbraunen Haare und legte anschließend seinen Arm um ihre Schultern. »Da gibt es absolut nichts, vor dem du dich fürchten musst«, versuchte er, sie zu beruhigen.

Unwillkürlich verharrte Abigail auf der Stelle. In ihre eben noch verhärteten Züge trat ein weicher, schon ein wenig ängstlicher Ausdruck. Die Nähe zu ihm schien sie einerseits wieder zu beruhigen, half ihr jedoch nicht über ihre düsteren Gedanken hinweg.

»Ich weiß«, gab die 16-Jährige zu. »Trotzdem finde ich den Gedanken fürchterlich, an einem Haus vorbeizugehen, in dem vor etwas über einer Woche noch drei Leichen gelegen haben. Mein Gott, wie kann man nur seine Familie und sich selbst umbringen? Ich verstehe das einfach nicht.«

»Ich auch nicht. Aber das waren schon komische Leute, finde ich. Die haben ja nicht einmal versucht, Kontakt zu allen anderen im Ort aufzunehmen. Wie lange haben sie schon hier gewohnt? Vier Monate? Da kann man sich ja wenigstens kurz mal unterhalten. In einer solchen Einsamkeit muss man ja den Verstand verlieren.«

Abigail lächelte schmal. »Deshalb bin ich froh, dass du da bist.«

Nicht nur innerlich atmete Joe tief durch. Spätestens als sich ihre Lippen zu einem weiteren Kuss trafen, war er sich sicher, dass seine Freundin nicht mehr sauer auf ihn war. Nicht schlecht, Junge, zollte ihm auch seine innere Stimme Respekt.

Da sich der Pfad langsam zu einer schmalen Forststraße verbreiterte, konnten sie von nun an Hand in Hand nebeneinander gehen. Das gab Abigail offenbar so viel Sicherheit zurück, dass sie sich wieder deutlich entspannte und die so facettenreichen Nachtgeräusche wie ein Schwamm in sich aufsog. Joe hingegen konzentrierte sich mehr auf seine bildhübsche Freundin, an der sich schon so mancher seiner Freunde die Finger verbrannt hatte. Er dagegen ...

»Schau mal«, riss ihn Abigail aus seinen gedanklichen Selbstbeweihräucherungen.

Zunächst bemerkte er nur die Unruhe seiner Freundin, kurze Zeit später wurde ihm auch der Grund dafür bewusst. Mitten im Wald, etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt, schimmerte ein Lichtschein auf.

Nun verharrte auch Joe auf der Stelle. Sein Mund fühlte sich seltsam trocken an, während er einige Schritte näher trat und sich genau auf die Stelle konzentrierte, an der das gelbliche, statische Licht die Finsternis zerschnitt. Wenn er sich nicht täuschte, drang es aus einem Fenster, und da es in dieser Gegend nur ein einziges Haus gab, musste es sich um das der McCanns handeln.

»Das gibt es nicht«, flüsterte Abigail mit bebender Stimme. »Sag, dass das nicht wahr ist.«

Wieder legte Joe ihr seinen muskulösen rechten Arm um die Schultern. »Jetzt beruhige dich. Du glaubst doch nicht etwa, da würde es spuken, oder?«

»Aber ...«

»Geister benötigen wohl kaum elektrisches Licht.«

Die 16-Jährige starrte Joe an, als hätte er ihr gerade erklärt, dass der Osterhase nicht existierte. »Ja, natürlich«, erwiderte sie kleinlaut. »Das ist ja wohl klar.«

Nicht für jeden von uns, kommentierte er gedanklich die Worte seiner Freundin, bevor er sie weiter zu beruhigen versuchte: »Kann ja sein, dass die Polizei in dem Haus noch weitere Untersuchungen anstellen will. Wenn du willst, schauen wir es uns mal aus der Nähe an. Mehr als verscheuchen können uns die Polizisten ja wohl nicht.«

»Allein würde ich mich bestimmt nicht in die Nähe trauen ...«

Joe lächelte ihr aufmunternd zu. »Dafür hast du mich ja dabei.«

So recht überzeugt war er von der fixen Idee selbst nicht, wenngleich es sicher nicht schadete, seine Freundin ein weiteres Mal von seinem Mut und seiner Selbstsicherheit zu überzeugen. Andererseits hätten sie das Haus auch gut und gern sich selbst überlassen und anschließend noch ein paar ruhige Stunden in Abigails Elternhaus verbringen können. Ihre Eltern waren immerhin über das Wochenende verreist. Andererseits, aufgeschoben war ja nicht aufgehoben.

Auch der Gedanke an seinen Vater hielt ihn nicht auf. Allerdings war es schon merkwürdig, dass die Todesfälle nach dem anfänglichen Schock kaum noch ein Thema unter den Bewohnern von Gareth Falls waren. Manchmal kam es ihm so vor, als würde man einen Mantel des Schweigens über die Angelegenheit legen wollen. Dazu passte auch, dass niemand dem Haus der Familie McCann zu nahe kommen sollte.

Nach etwa fünfzig Metern erreichten sie die Zufahrtsstraße zum Haus, die sich durch die zahlreichen Fahrzeuge der Polizei und Spurensicherung schon ziemlich ramponiert zeigte. Vor knapp vier Wochen war Joe schon einmal hier gewesen, als er seinen Vater zu einem sterbenslangweiligen Angelausflug begleitet hatte.

Zu seiner Überraschung war die Straße jetzt jedoch nicht abgesperrt und es hielt auch kein Beamter in der Einfahrt Wache.

»Bist du dir sicher, dass die Polizei im Haus ist und nicht irgendjemand anders?«, fragte Abigail bald folgerichtig.

»Sicher bin ich mir natürlich nicht. Aber wer sollte sonst das Licht angestellt haben? Ein Einbrecher wohl kaum, das wäre viel zu auffällig.«

Es sei denn, er war sich seiner Sache absolut sicher, schoss es Joe durch den Kopf. Den Helden spielen wollte er auf keinen Fall, deshalb spielte er schon mit dem Gedanken, auf der Stelle kehrt zu machen und sich nicht mehr um das McCann-Haus zu kümmern. Jedoch wollte er vor seiner Freundin nicht als Feigling dastehen.

Als sich eine schattenhafte Silhouette an dem erleuchteten Fenster vorbeischob und kurz darauf auf der Stelle verharrte, zuckte nicht nur Abigail zusammen. Durch Joes Adern schien Eiswasser zu fließen, während er wie gebannt auf die schwarze Gestalt starrte, die sich kurze Zeit später wieder zurückzog.

Etwas lag in der Luft, das spürte Joe, je näher sie dem Haus kamen. Für kurze Zeit kitzelte etwas auf seiner Haut, bis er sich an die seltsame Atmosphäre zu gewöhnen schien. Sein Atem ging deutlich schwerer, was aber auch an der inneren Anspannung liegen konnte. Da nicht einmal ein Auto vor der Tür stand, schloss er innerlich bereits mit der Möglichkeit ab, dass das Licht bei einer nächtlichen, polizeilichen Durchsuchung angeschaltet worden war.

»Joe, lass uns gehen!«, zischte ihm Abigail zu. »Du musst mir nichts mehr beweisen.«

»Okay, wir ...«

Das nächste Wort blieb ihm im Halse stecken, als die Tür von innen her geöffnet wurde. Eine Frau mit kurzen, dunkelblonden Haaren stieg die kleine Holztreppe hinab und baute sich wenige Meter von ihnen entfernt auf. Das Licht der Sterne wurde von den hohen Bäumen abgehalten, doch Joes Stirnlampe war stark genug, um die Gestalt aus dem Zwielicht zu reißen. Er glaubte sogar, sie schon einmal in Josh Hopkins' Drugstore gesehen zu haben, einem von gerade einmal zwei Läden in Gareth Falls. Zumindest, bis er vor knapp einem Monat schließen musste.

»Wer sind Sie?«, hörte er die Stimme der Frau. »Warum schleichen Sie so spät auf unserem Grundstück herum?«

»Ihrem Grundstück?«, fragte Joe entgeistert.

»Ja, genau, meinem Grundstück. Es gehört mir, Becca McCann, und meinem Mann, Holden. Oder wollen Sie etwas anderes behaupten?«

Alles, was die Frau nach ihrem Namen gesagt hatte, ging in Joes Kopf in einem atmosphärischen Rauschen unter. Natürlich hatte er Josh Hopkins damals nach der Fremden in seinem Laden gefragt, und seine Vermutung war gewesen, dass es sich um ein Mitglied der neuen Familie im Ort handelte. Becca McCann sollte also vor ihnen stehen – eine Frau, die vor knapp einer Woche von ihrem Mann ermordet worden war.

»Joe! Joe!«, hörte er die Schreie seiner Freundin, die an ihm rüttelte, als wäre er in eine tiefe Trance gefallen. Ein wenig kam ihm sein Zustand auch genauso vor, immerhin ging das, was er gerade hörte, weit über seinen Verstand hinaus.

»Komm endlich, Joe!«, fuhr ihn Abigail an. »Lass uns von hier verschwinden!«

»Ja, gut.«

Mehr brachte er nicht hervor, während sie durch den Wald hetzten und sich nicht ein einziges Mal umdrehten. Anscheinend hatte er sich gewaltig getäuscht: Geister brauchten doch elektrisches Licht.

Mellnick Memorial Hospital

Washington D.C., 29. April 2023, 08:02 Uhr

Selten hatte sich Cliff Conroy so fehl am Platz gefühlt, wie in diesen Minuten. Die Tatsache, dass Judy ihn darum gebeten hatte, sie in diesen schweren Minuten nicht allein zu lassen, änderte nichts an dieser Tatsache. Normalerweise hätte er sich in der Kantine einen Kaffee holen sollen, statt seine Partnerin dabei zu beobachten, wie sie sich um den Mann mit den kurzen, teils ergrauten Haaren kümmerte, der nur mit einem weißen Patientenkittel bekleidet in seinem Krankenbett lag.

Der ihm bisher nur aus Erzählungen bekannte Mann war Judys Vater Rahim, ein arabischstämmiger, US-amerikanischer Diplomat, der sich normalerweise auf dem hochpolitischen internationalen Parkett bewegte und nur wenig Zeit fand, sich mit seiner ebenso zeitlich eingebundenen Tochter zu treffen. Dunkel erinnerte er sich noch an eine Gelegenheit, als er allein zu einer Ermittlung gereist war, während Judy sich hier in Washington D.C. mit ihm getroffen hatte*.

Bei der Operation, die Rahim Davenport nun bevorstand, ging es zwar nicht um Leben und Tod, doch viel hätte bis dahin nicht gefehlt. Soweit Cliff von Judy wusste, waren bei ihrem Vater im Anschluss an eine Sicherheitskonferenz im Nahen Osten Herzrhythmusstörungen festgestellt und ihm nahegelegt worden, entweder kürzerzutreten oder sich einen Schrittmacher einsetzen zu lassen. Da ihr Vater anscheinend ein noch größerer Sturkopf als sie selbst war, war er noch nicht dazu bereit gewesen, sich aufs Abstellgleis schieben zu lassen – wenngleich er mit einem Herzschrittmacher natürlich trotzdem den einen oder anderen Gang zurückschalten musste. So würden Vater und Tochter hoffentlich in naher Zukunft mehr Zeit füreinander finden. Zumindest vorausgesetzt, er überstand die Operation.

»Mister Conroy?«

Die Frage des Diplomaten riss den früheren IT-Sicherheitsbeauftragten der NASA aus seinen Gedanken. »Ja?«, fragte er überrascht, als er bemerkte, dass Judy inzwischen vom Bett zurückgetreten war. Obwohl sie sich so gut es ging zusammenriss, stand ihr die Sorge um ihren Vater deutlich ins Gesicht geschrieben. Schon seit er sie telefonisch über die anstehende Operation informiert hatte, agierte sie viel zurückhaltender, versuchte sich jedoch zugleich auch an der Freund- und Partnerschaft mit Cliff festzuhalten. Mehr als je zuvor.

Als wären die vergangenen Tage nicht schon aufregend genug gewesen