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Seit seinem Ausscheiden bei einer Reconnaissance-Einheit der U.S. Army führt Captain Joshua Lee spezielle Aufträge für die NSA aus. Dabei kommt dem früheren Soldaten eine besondere Gabe zugute, die er in der Kindheit erlangt hat: In gefährlichen Situationen kann er kurz in die Zukunft blicken und den Lauf der Dinge beeinflussen.
Ohne das zu wissen, bringt der NSA-Agent Jeremy McKay Joshua mit der PSI-begabten Jenna Garland in Kontakt, wodurch sich seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zeitweise potenzieren.
Gerade unter diesem Einfluss bekommt er nun einen neuen Auftrag von der NSA: Er soll seinen früheren Mentor bei der Army, Captain William Travers, zur Strecke bringen. Dieser arbeitet inzwischen nicht nur als Auftragsmörder, sondern hat überdies eine offene Rechnung mit Joshua Lee zu begleichen ...
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Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Schatten der Vergangenheit
Autorenporträt
Vorschau
Impressum
Rafael Marques
Schatten der Vergangenheit
Halloway Tower, 25. Stock, Suite 2543
Anchorage, Alaska, 07. September 2023, 15:22 Uhr
Cliff Conroy ließ seinen Blick über die Einrichtung der Suite gleiten, die zu einer repräsentativen Wohnung eines Politikers passte. Fotos von Handschlägen mit großen Persönlichkeiten säumten die Wände ebenso wie Fotodrucke und postmoderne Gemälde. Alles wirkte absolut unpersönlich, und Conroy selbst hätte sich an so einem Ort nicht für lange Zeit wohlgefühlt.
Allerdings waren seine Partnerin Judy Davenport und er nicht hier, um sich häuslich niederzulassen. Es stand ein Treffen von höchster Wichtigkeit bevor, zu dem sie von Senator James Victor Campbell nach Alaska zitiert worden waren und bei dem auch ihr Kollege Andrej Garbatschow anwesend sein sollte. Um was es genau ging, hatte ihnen der Senator jedoch nicht einmal am vermeintlich abhörsicheren Telefon mitteilen wollen ...
Im nächsten Augenblick betrat Senator Campbell den Raum. In der einen Hand hatte er eine Tasse Kaffee, während er in der anderen ein Glas Wasser hielt. Mit bedachten Schritten näherte er sich den beiden Bundesmarshals und reichte ihnen die Getränke. Ein respektvolles Nicken begleitete diese Geste, womit er seine Wertschätzung für ihre Anwesenheit signalisieren wollte. Dann nahm seine Miene schlagartig einen ernsten Ausdruck an, als er schließlich äußerte: »Jetzt, da Sie hier sind, kann ich Ihnen endlich sagen, weshalb ich Sie beide unbedingt in Anchorage sehen wollte. Es geht um Lydia Jones. Sie befindet sich in Lebensgefahr.«
Point South
Tulsa, Oklahoma, 05. September 2023, 13:09 Uhr
Mit geschärftem Blick beobachtete der Obdachlose die Vorbereitungen für den Auftritt von Senatorin Eileen Brunswick, die vor mehreren Mietskasernen über Armut, Kriminalität und die Verpflichtungen der Gesellschaft sprechen wollte.
Das Podium stand bereits, eine überdimensionale Flagge des Staates Oklahoma – die eine Büffel-Haut, sieben Adlerfedern sowie einen Olivenzweig vor blauem Hintergrund zeigte und die Einheit mit den indianischen Stämmen der Osage und Choctaw symbolisierte – flatterte im Hintergrund im Wind, ebenso wie dutzende kleinere Sternenbanner.
Ein Tontechniker überprüfte gerade die Mikrofone, während mehrere Fernsehkameras auf das Pult gerichtet waren.
Hunderte Schaulustige, Anwohner und Anhänger der Senatorin warteten ebenso auf den Auftritt wie eine ganze Schar von Journalisten und die geschulten Mitarbeiter des U.S. Marshals Services, die für Brunswicks Sicherheit verantwortlich waren.
Um genau diese Sicherheit zu garantieren, war im Umkreis von zweihundert Metern eine Schutzzone errichtet worden, deren Einhaltung durch Zäune, Gitter und die persönliche Präsenz der Marshals gewährleistet wurde. Doch eine hundertprozentige Sicherheit bot auch diese Maßnahme nicht, besonders im Angesicht der anonymen Drohungen, die in den letzten Wochen immer wieder gegen die Politikerin ausgesprochen worden waren. Nichts davon war an die Öffentlichkeit gedrungen, und um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, hatte man die Sicherheitsmaßnahmen auch nicht sichtbar, aber dafür punktuell erhöht.
Der Mann in dem verdreckten, dunklen Mantel beobachtete von seiner Position auf der Treppe eines leer stehenden Hauses, wie im Hintergrund mehrere Limousinen mit getönten Scheiben vorfuhren. Im mittleren der drei Fahrzeuge saß die 59-jährige Eileen Brunswick, die in wenigen Monaten zum zweiten Mal auf ihren Posten als Senatorin des Staates Oklahoma wiedergewählt werden wollte. Zwar war es ihr in ihren bisherigen Amtszeiten nicht gelungen, Maßnahmen zu treffen, um die im nationalen Vergleich sehr hohe Kriminalitätsrate der Stadt zu senken, doch was zählte, waren nun einmal persönliche Präsenz und geschicktes Marketing. In ihrer Rede würde sie erste Andeutungen auf die Pläne der Regierung geben, das gesamte Viertel abzureißen, um hier Häuser zu bauen und damit den Gangs den Boden unter den Füßen wegzuziehen.
Ob die Drohungen darauf fußten, war dem Obdachlosen allerdings nicht bekannt. Seine Sinne waren aufs Äußerste geschärft, so wie immer, wenn er sich im Einsatz befand. Früher, bei lebensgefährlichen Aufträgen hinter feindlichen Linien, heute im Inland, wenngleich auch in einer Zone oder einem Milieu, zu dem Außenstehende normalerweise kaum Zugang fanden. Schon vor einigen Tagen hatte er sich unter die Menschen gemischt. Zum einen, um seine Anwesenheit völlig natürlich erscheinen zu lassen, zum anderen, weil er ausloten wollte, von wo aus ein Anschlag auf die Politikerin vorstellbar wäre.
Von einem sogenannten ›Einsamen Wolf‹, einem psychisch kranken Stalker bis hin zu einem Auftrag der Organisierten Kriminalität reichten die Theorien, mit denen man die Drohungen erklären wollte. Für den Mann in den Lumpen, der eine halbvolle, von einer Papiertüte eingehüllte Flasche Whiskey in der Hand hielt, kam angesichts der Sicherheitsmaßnahmen kein Anschlag eines dahergelaufenen Verrückten in Frage. Wer der Brunswick jetzt noch zu Leibe rücken wollte, musste schon härtere Geschütze auffahren.
Ein dunkelhäutiger Mann mit ergrautem Bart baute sich direkt vor ihm auf. Er nannte sich Larry und lebte seinen Angaben nach schon mehr als zwanzig Jahre auf der Straße. Sein weniges Hab und Gut transportierte er wie so viele seiner Leidensgenossen in einem gestohlenen Einkaufswagen. So, wie er sprach, litt er wahrscheinlich an einer psychischen Erkrankung, die aber angesichts seiner Lebensweise niemand diagnostiziert hatte.
»Gleich geht sie los, die große Show«, sprach er den Sitzenden an. »Fehlen nur noch die Salutschüsse.«
Der Mann hatte eigentlich andere Dinge im Sinn, als sich mit dem Bärtigen zu unterhalten. Da er ihm jedoch leidtat und er nicht aus der Rolle fallen wollte, ließ er sich dennoch darauf ein. »Die sollen uns einfach in Ruhe lassen«, erwiderte er. »So ein Auftritt kostet mehr, als ich früher im Jahr verdient habe.«
Larrys heiseres Lachen ging bald in einen Hustenanfall über. »Mein Vater war auch so einer«, presste er mühsam und kopfschüttelnd hervor. »Er sagte immer, ich würde seine Karriere zerstören.«
»Tut mir leid, Larry.«
Larry winkte ab und zog weiter. Der Mann auf der Treppe hätte ihm gerne geholfen, wenngleich ihm das Husten sagte, dass er so oder so kein allzu langes Leben mehr vor sich haben würde.
Der auf der Treppe sitzende Obdachlose ließ seinen Blick wieder über die Umgebung schweifen. Die meisten Bewohner der zwölfgeschossigen Betonblöcke hielten sich entweder in ihren Wohnungen auf oder beobachteten die Ankunft der Politikerin aus der Nähe. Nur wenige Obdachlose und einige Jugendliche lungerten noch in der vor allem von Zerfall und Leerstand geprägten Straße herum. Fenster und Türen waren entweder eingeschlagen oder mit Brettern verriegelt. Graffiti verteilte sich auf den Fassaden, während sich in den überquellenden Mülltonnen der Unrat stapelte. Wer noch immer hier lebte, für den gab es keine Perspektive mehr, und genau diesen Eindruck machten auch die Menschen.
Für einen Moment verlor Captain Joshua Lee, der ehemalige Reconnaissance-Elitesoldat der US-Army, die Konzentration. Es war, als würde ein Strahl vom Himmel fahren, ihn erfassen und dafür sorgen, dass ihm schwindelig wurde. Übelkeit stieg in ihm auf, gefolgt von dem Gefühl, neben seinem eigenen Körper zu stehen. Selbst seine Augen wurden von dieser Schwäche befallen, dennoch gelang es ihm, einen Blick in Richtung der Wolken zu werfen. War da nicht ein runder Schatten von immenser Größe, der sich dort in etwa an der Stelle abzeichnete, wo sich gerade die Sonne befinden musste?
Joshua blinzelte, und als er erneut in Richtung Himmel blickte, war der Schatten verschwunden. Auch die Übelkeit und das Schwindelgefühl fielen von ihm ab, und nur wenige Sekunden später schien es ihm, als wäre er bloß einer Täuschung erlegen gewesen. Was blieb, war die Erinnerung an den fürchterlichsten Tag seines Lebens, der seine behütete Kindheit für immer beendet hatte. Damals, vor fast vierzig Jahren, hatte er schon einmal ein solches Phänomen erlebt. Sollte sich dieses Ereignis nun wiederholen?
Es dauerte eine Weile, bis es ihm gelang, bei dem Kampf in seinem Inneren die Oberhand zu gewinnen und sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Die Vergangenheit lag hinter ihm, und wenn er sich immer nur fragte, warum alles so geschehen war, brachte ihn das nicht weiter. Zu oft hatte er sich schon in diesen Gedankengängen verloren, die ihn manchmal an den Rand einer Depression brachten. Nur mit enormer Willenskraft gelang es ihm immer wieder, seine Psyche in ihre Schranken zu weisen.
Er dachte wieder an seinen Auftrag, der ihm von Jeremy McKay persönlich überbracht worden war. Nach der Sache in Nebraska vor zwei Monaten hatte er sich insgeheim vor dem Tag gefürchtet, an dem dieser Mann wieder auf ihn zutreten würde. Es war letztendlich nur eine Frage der Zeit gewesen, immerhin arbeitete Joshua für die NSA und hatte bei seinen heiklen Aufträgen bereits derart viel Insiderwissen angesammelt, dass diese Behörde ihn wohl kaum ziehen lassen würde, sollte er sich nach einer neuen Arbeit umsehen. Bis zu den Ereignissen in Nebraska hätte es auch keinen Grund dafür gegeben, nun aber fürchtete er sich davor, dass McKay hinter sein Geheimnis kommen und er so enden würde wie Jenna Garland, die er in seinem Auftrag jagen und fangen sollte*. Äußerlich entstellt, psychisch am Ende, als entrechtetes Versuchsobjekt, das gefälligst zu funktionieren hatte und nicht mehr an seine eigene Freiheit denken durfte.
Seine Zähne mahlten aufeinander, so sehr kämpfte er damit, die aufkeimenden Ängste zurückzudrängen. Er war immer noch ein Soldat, der seinen Auftrag zu erfüllen hatte. Wenn er versagte, war das Leben der Politikerin keinen Pfifferling mehr wert.
Warum sein Blick ausgerechnet auf einen Mann in löchriger Jeans und schwarzem Hoodie fiel, von dessen Gesicht, abgesehen von einem Dreitagebart nicht viel zu sehen war, wusste er zunächst selbst nicht. Er war relativ klein, stämmig gebaut und sicher etwa fünf Jahre jünger als Joshua. Mit den Händen in der Tasche schritt er über die Straße, wechselte die Seite, baute sich kurz hinter einigen Müllcontainern auf und spielte hin und wieder auf seinem Handy herum. Oder zumindest sollte es so aussehen, denn als Joshua genauer hinsah, erkannte er die markante Bewegung seines rechten Daumens, der darauf hindeutete, dass er lediglich Fotos schoss.
Der weite Kapuzenpullover war nicht weiter auffällig, und genau das war wohl auch der Sinn dahinter. Unter einer solchen Kleidung konnte man alles Mögliche verstecken – Funkgeräte, Waffen, ja sogar einen Sprengstoffgürtel. Nur glaubte Joshua nicht, dass dieser Mann als Attentäter auftreten würde. Er erinnerte ihn durchaus auch an sich selbst, als er einst der Reconnaissance-Einheit zugeteilt wurde. Nicht immer war es dabei um Aufklärungsarbeit gegangen, manchmal sollten auch hinter feindlichen Linien bestimmte Zielpersonen ausgeschaltet werden. Dazu benötigte man Soldaten, denen es gelang, sich für die Gegner unsichtbar zu bewegen und Objekte und Landschaften auszukundschaften. Spotter nannte man diese Spezialkräfte, die einem Scharfschützen zuarbeiteten, welcher im Hintergrund auf Informationen wartete und mit dem sie immerzu in Verbindung standen.
Der Fremde bemerkte nicht, dass er beobachtet wurde, zog sich aber trotzdem zurück. Das Handy verschwand in seiner Hosentasche, kurz darauf führte er seine Faust zum Mund und hustete – oder er flüsterte etwas in ein Funkgerät, das er zwischen den Fingern mit sich führte. Zumindest hätte Joshua es so gemacht. Möglicherweise war der Kerl sogar mit einer unter seiner Kapuze verborgenen Videokamera ausgestattet.
Als der Mann so weit die Straße hinuntergegangen war, dass Joshua sich nicht mehr in seinem Blickfeld befand, erhob er sich und begann, mit der Flasche in der Hand die Verfolgung aufzunehmen. Kein Mitglied der Jugendbanden oder ein anderer Obdachloser sprach ihn an, und niemand ahnte etwas davon, dass er neben zwei Pistolen auch ein Kampfmesser mit einer fünfzehn Zentimeter langen Klinge unter dem zerschlissenen Mantel mit sich führte.
An den Armbewegungen und dem aufsteigenden Qualm erkannte er, dass der Mann in dem Hoodie sich eine Zigarette angezündet hatte. Ein ungeschultes Auge hätte davon ausgehen können, dass er sich seiner Sache absolut sicher war und nicht damit rechnete, dass ihn jemand unter Beobachtung hielt. Joshua hingegen wusste es besser. Gerade, wenn der Scharfschütze seinen Spotter unentwegt im Blick hatte, galt jede noch so kleine Veränderung der Körperhaltung als Zeichen oder Signal. Eine einheitliche Richtlinie, was genau was bedeutete, gab es dabei nicht. Es ging allein um die individuellen Absprachen zwischen Spotter und Schütze.
Das Ziel des untersetzten Mannes war wohl ein leer stehendes, sechsstöckiges Wohngebäude. Wie er durch das Briefing im Vorfeld des Einsatzes wusste, hatte die Stadtverwaltung den Betonblock schon vor Wochen geräumt, da dieser als Brennpunkt der um sich greifenden Gangkriminalität galt. Zudem sollte diese Aktion den bereits feststehenden, noch geheim gehaltenen Abriss des ganzen Straßenzuges vorbereiten, was zu weiteren Spannungen mit der Bevölkerung des ganzen Viertels geführt hatte.
Joshua musste nicht einmal einen Blick auf die Uhr werfen, um zu wissen, dass Eileen Brunswicks Rede in weniger als fünf Minuten beginnen würde. Zunächst wollte sie mit den anwesenden Bürgern persönlich in Kontakt treten, wobei dafür von ihren Wahlkampfhelfern natürlich Vorauswahlen getroffen worden waren, wer von ihnen mit der Senatorin sprechen durfte. Dass sich unter diesen Menschen ein Attentäter befand, glaubte er längst nicht mehr. Eher schon, dass sich ein Scharfschütze in dem Gebäude verschanzte, das der Mann mit dem Hoodie in diesen Momenten betrat.
Als auch Joshua die kurze Treppe erreichte und sich durch die lediglich angelehnte Tür in den Hausflur schob, streifte er seinen Mantel ab, ließ die Whiskeyflasche zurück und zog eine auf seinem Rücken mit Tape befestigte Pistole hervor. Die SIG Sauer P226 gehörte unter anderem zum Waffenarsenal der Navy und hatte ihm schon einige Male gute Dienste geleistet. Mit routinierten Handgriffen überprüfte er noch ein letztes Mal das Magazin und entsicherte dann die Pistole.
Sein Instinkt sagte ihm, dass sich ihm keine Unbeteiligten in den Weg stellen würden. Ein Scharfschütze wählte kein Versteck aus, bei dem er befürchten musste, dass jeden Moment ein Junkie, ein Gangster oder eine Prostituierte in den Raum stolperte. Andererseits war die Distanz von knapp über einer Meile zum Zielobjekt für einen geschulten Scharfschützen wahrlich kein Problem. Allerdings erforderten solche Fähigkeiten in jedem Fall eine militärische Ausbildung.
Joshua wusste genau, wie er seine Schritte zu setzen hatte, um so wenige Geräusche wie möglich zu erzeugen. Schon als er die mit Unrat und Essensresten gesäumte Treppe erreichte, glitt sein Blick starr hinauf, in der Erwartung, einem Wachtposten oder dem Spotter zu begegnen. Wer organisiert genug war, einen Späher einzusetzen, war unter Umständen sogar mit noch mehr Männern angerückt, was wiederum tiefe Einblicke in die Professionalität dieser Attentäter geben würde.
Völlig unbehelligt stieg er bis in den dritten Stock hinauf, wo er zu einem offenen Fenster im Hausflur ging und nach draußen schaute. Von hier aus hätte der Scharfschütze bereits ein einigermaßen freies Schussfeld auf die Politikerin gehabt, die noch immer nicht das Podest betreten hatte.
Im nächsten Moment warf Joshua einen kurzen Blick auf die Uhr in seiner Hosentasche. 13:28 Uhr – noch zwei Minuten bis zu Brunswicks groß angekündigtem Auftritt. Er blinzelte mehrfach, da ihn gerade seltsame Kopfschmerzen erfassten, die er so nicht von sich selbst kannte.
Statt sich davon beeinflussen zu lassen, sah er erneut in Richtung Himmel. Was immer sich ihm dort vor wenigen Minuten auch gezeigt hatte, es war verschwunden. Tief in seinem Inneren wusste er, um was es sich dabei handelte, nur konnte und wollte er nicht darüber nachdenken. Wenn doch, wäre er nur in die schrecklichen Erinnerungen an seine Kindheit versunken, und solche sentimentalen Ausbrüche durfte er sich bei einem derart heiklen Einsatz nicht leisten.
Mit einem leisen Stöhnen drehte er sich um und sah sich plötzlich selbst. Es war, als würde sich sein Geist aus dem Körper lösen und auf seinen, mit kurzgeschnittenen, schwarzen Haaren bedeckten Hinterkopf starren. Er verspürte eine seltsame Leichtigkeit und wusste zugleich, dass es wieder begann. Ein Anfall, der ihm einen Blick in die Zukunft verschaffte ...
Joshua schnaufte nicht einmal, als er die Treppe hinter sich ließ und den sechsten Stock betrat. Eine geradezu bedrückende Stille umgab ihn, bedingt durch den Umstand, dass dieses Haus inzwischen völlig unbewohnt war. Aber auch der Mann, den er an diesem Ort verfolgt hatte, zeigte sich nicht mehr, als wäre er vom Erdboden verschluckt worden.