Die UFO-AKTEN 60 - Rafael Marques - E-Book

Die UFO-AKTEN 60 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Zwei Naturforscher, Gary Allardyce und Frida Nordgren, sind im Superior National Forest, im Grenzgebiet von Minnesota und Kanada, unterwegs, um das dortige Vorkommen des kanadischen Luchses zu untersuchen. Da diese Tiere vor allem nachtaktiv sind, legen sich die beiden in einem felsigen Gebiet nahe des Ima Lake auf die Lauer.
Während ihrer Observation verdunkelt sich plötzlich der Sternenhimmel, und die Luft lädt sich elektrisch auf. Gary nimmt nun schemenhafte, grau leuchtende Gestalten in der Finsternis wahr. Kurz darauf wird er, als er eines der Wesen berührt, von einem Stromschlag niedergestreckt und verliert das Bewusstsein. Als er wieder erwacht, ist der Sternenhimmel zurückgekehrt, und von Frida fehlt jede Spur, was bei ihm einen Nervenzusammenbruch auslöst ...


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Inhalt

Cover

Geisterstunde

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Rafael Marques

Geisterstunde

Ostufer des Ima Lake

Superior National Forest, Minnesota,18. Dezember 2023, 16:39 Uhr

Längst zeigte sich die untergegangene Sonne nur noch als ein schwaches Glühen am Horizont, dem es kaum mehr gelang, gegen die hereinbrechende Nacht anzukämpfen. Das war aber auch gar nicht nötig, denn richtig dunkel wurde es nicht, dazu leuchteten der Mond und der Sternenhimmel viel zu intensiv.

Gary Allardyce und Frida Nordgren konnte dies nur recht sein. Seit fast einer Stunde verfolgten die beiden Naturforscher die Spur eines Kanadischen Luchses, dessen Populationsgröße sie bestimmen sollten. Die Abdrücke dieser Tiere waren im Schnee durch ihren nach vorne gebeugten Gang unverkennbar, zudem waren sie noch frisch, was wiederum bedeutete, dass ein Exemplar kurz zuvor diese Stelle passiert haben musste ...

Dieser Umstand erforderte von ihnen erhöhte Wachsamkeit. Zu dem Beutespektrum dieser Art gehörten Menschen beileibe nicht, ein in die Ecke gedrängter Luchs ging jedoch unter Umständen auch einmal zum Gegenangriff über. Ein derartiges Szenario mussten sie fernab jeglicher medizinischer Versorgung unter allen Umständen vermeiden.

Hier, im Uferbereich des Ima Lake und in unmittelbarer Nachbarschaft weiterer Seen, existierten nur wenige, weit verstreut in der Einsamkeit liegende Holzhäuser und Hütten, die meist nur einige Monate im Jahr bewohnt wurden. Dementsprechend ungestörte Wald- und Wiesengebiete fanden die Luchse hier auf einer Fläche von hunderten Quadratkilometern vor, sowohl auf dieser Seite der Grenze als auch im südlichen Kanada.

Auch Gary selbst genoss die Stille und die Abgeschiedenheit. Mit dem Lärm der größeren Städte konnte er sowieso nichts anfangen, er hielt sich lieber in der freien Natur auf, betrieb Feldstudien und analysierte das Verhalten der Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, statt in schlecht belüfteten Büros über Fachliteratur zu brüten. Mit dieser Einstellung war er nicht allein, wie er von seiner aus Schweden eingewanderten, mehr als zehn Jahre jüngeren Kollegin wusste. Die 29-jährige Öko-Biologin hatte sich damit einen lange gehegten Traum erfüllt und ging ihrem Job mit großer Begeisterung nach, was ein stiller Beobachter ihr wahrlich nicht angesehen hätte. Sie agierte von Natur aus stoisch und ruhig, redete nicht viel und beobachtete meist ihr Umfeld. Attribute, die Gary sehr an ihr schätzte, weshalb sie in dieser Umgebung perfekt harmonierten.

Die Spur der Wildkatze führte aus dem dichten Wald hinaus auf eine von einem Felsenmeer geprägte Lichtung, womöglich Überbleibsel Jahrtausende zurückliegender vulkanischer Aktivitäten. Von dieser Stelle aus bot sich auch ein ansehnlicher Ausblick auf das düstere Gewässer, über das bereits einige Dunstschwaden trieben und dabei den Eindruck vermittelten, Boten einer jenseitigen Welt zu sein.

Gary genoss den Ausblick nur für einen Moment, bis er seiner Begleiterin ein Zeichen gab, woraufhin sie sich hinter dem Stamm einer abgestorbenen Tanne versteckten. Die Spuren des Luchses erwiesen sich als noch frischer als zuvor, weshalb davon auszugehen war, dass sich das Tier in unmittelbarer Nähe aufhielt. Einige weitaus kleinere Abdrücke stammten ziemlich sicher von Schneeschuhhasen, der hauptsächlichen Beute der kanadischen Luchse. Irgendwo in der Nähe musste er sich auf die Lauer gelegt haben, was auch zu dem Naturell dieser Tiere passte, die schon aufgrund ihres Körperbaus nicht zu längeren Jagden fähig waren. Aus einem sicheren Versteck heraus schlugen sie zu und überraschten ihr Opfer mit einem schnellen Angriff.

»Sollen wir uns aufteilen?«, fragte Frida leise und in einem inzwischen fast akzentfreien Englisch. Es war schon erstaunlich, wie es ihr trotz ihrer raren menschlichen Kontakte so schnell gelungen war, Garys Sprache derart gut zu replizieren. Im Prinzip verbrachten sie fast den ganzen Tag miteinander, lediglich in der Nacht schliefen sie getrennt.

»Nicht nötig, denke ich«, erwiderte der Naturforscher. »Er muss ganz in der Nähe sein. Ist die Kamera bereit?«

Frida griff in ihren Rucksack und zog die Canon EOS R5 mit aufgeschraubtem Objektiv hervor, in die ein nicht unerheblicher Teil ihres gemeinsamen Budgets geflossen war. Mit ihr waren ihnen in den vergangenen Wochen schon einige interessante Aufnahmen von Luchsen in der freien Wildbahn gelungen. In die Umgebung des Ima Lake waren sie dabei bisher noch nicht vorgedrungen, insofern konnten sie das Vorkommen der Tiere nun um einige Hektar erweitern.

Vorsichtig lugte Gary hinter dem Baumstamm hervor. An der Kuppe des kleinen Felsenmeeres glaubte er, eine schwache Bewegung auszumachen. Zur Sicherheit wischte er sich noch einmal mit einem Taschentuch über seine randlose Brille, die er nicht wegen des zunehmenden Verlustes seiner Sehstärke, sondern zum Schutz vor dem kalten Wind trug, der in diesen Tagen im Superior Forest vorherrschte.

Mit der rechten Hand gab er Frida ein Zeichen. Die Frau mit dem hellblonden Pferdeschwanz und den stechend blauen Augen richtete die Kamera auf den vermeintlichen Luchs, der sich endlich aufrichtete, dabei wild in ihre Richtung fauchte und viel zu schnell in die Höhe fuhr. Mit mehreren schnellen Sätzen eilte er von dem mit verstreuten Felsen bedeckten Hügel herab und verschwand in den Wald.

Gary fluchte leise. »Was war das denn?«, zischte er. »Hat er uns entdeckt?«

»Ich glaubte nicht«, mutmaßte Frida. »Irgendetwas stimmt hier nicht.«

Der Verhaltensanalytiker wollte weiter nachhaken, stattdessen schwieg er und konzentrierte sich auf seine Umgebung. Den Luchs konnten sie später auch noch verfolgen, zunächst einmal begann er zu ahnen, dass Frida mit ihrer Einschätzung nicht ganz unrecht hatte. Die Kälte und der eisige Wind blieben bestehen, gleichzeitig verdichtete sich die Atmosphäre immer weiter, bis ihm sogar das Atmen schwerer fiel.

»Was zum ...«, ächzte er und sackte neben dem Stamm in die Knie. Etwas zuckte über den Himmel und verschluckte den Mond und die Sterne, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Angesichts der plötzlich um sich greifenden, absolut lichtlosen Schwärze und des extremen Drucks auf sein Herz und seinen Kopf war Gary davon ausgegangen, in Ohnmacht zu fallen. Tatsächlich war es lediglich stockdunkel, als hätte eine höhere Macht eine Decke über das Firmament gelegt. Die Luft fühlte sich elektrisch aufgeladen an, und obwohl sich mit jeder Bewegung sein Gefühl bestärkte, in ein Kraftfeld getreten zu sein, zuckten keine Blitze über seinen Körper hinweg.

Wie betäubt richtete sich der Naturforscher auf. Die Spur des Luchses zu verfolgen, hatte für ihn jegliche Bedeutung verloren. Was hier geschah, war mit normalen Maßstäben nicht mehr zu beschreiben und weder mit den Gesetzen der Natur noch der Physik vereinbar.

Frida?, wollte er den Namen seiner Kollegin rufen. Seine Lippen bewegten sich, dennoch drang nicht ein Laut über sie hinweg. Vielleicht wäre er ja dazu in der Lage gewesen, mit Frida zu sprechen, nur schnürte ihm die nackte Angst die Kehle zu.

Immerhin, sein Gehirn funktionierte noch einigermaßen, weshalb er geistesgegenwärtig sein Handy aus der Jackentasche zog und es einschaltete. Jetzt zeigte sich, dass die Finsternis nicht allumfassend war und auch nicht das gesamte Licht verschluckte, da es dem Schein des Displays gelang, sein Gesicht zu benetzen. Ein Foto von Frida und ihm war darauf zu sehen, wie sie Arm in Arm auf einem Baumhaus standen, die sagenhafte Landschaft des Superior Forest im Hintergrund.

Seiner Kollegin gegenüber sprach er stets davon, dass er die Aussicht genießen wollte, wenn sie das Startbild bemerkte. Er hingegen dachte im Stillen an jene vertrauten Momente, während denen er kurz davor gewesen war, seine lange gehegten Träume, die sich allesamt um die junge Schwedin drehten, Wirklichkeit werden zu lassen. Letztendlich waren sie Freunde geblieben, doch Gary ging davon aus, dass Frida längst etwas von seinen Gefühlen ahnte.

Seine Finger zitterten, als er das Handy drehte und damit begann, den schneebedeckten Boden abzuleuchten. Die Spuren des Luchses waren noch vorhanden, nur dachte er gar nicht mehr daran, ihnen zu folgen. Jetzt verstand er auch die seltsame Reaktion des Tieres, das offenbar noch vor Frida die sich verändernde Atmosphäre wahrgenommen und die entsprechenden Konsequenzen gezogen hatte.

Nicht weit von ihm entfernt tat sich in den nächsten Sekunden eine weitere Lichtquelle auf. Aus dem Nichts formte sich ein graues, verwaschenes Geschöpf, ein Schemen oder Geist mit zitternden Konturen und den groben Umrissen eines menschlichen Wesens. Es besaß keine Finger, kein Gesicht oder Haare und wirkte zudem seltsam zweidimensional.

Garys Finger begannen so stark zu zittern, dass ihm das Handy aus der Hand glitt. Erschrocken wich er zurück und stieß mit dem Rücken gegen einen ausgetrockneten Baumstamm, während er beobachtete, wie sich über dem Felsenmeer und in dem nahen Wald weitere dieser gesichtslosen Gestalten aus der Finsternis schälten. Einige von ihnen schienen sich überhaupt nicht für ihn zu interessieren, jenes Wesen, das sich als Erstes manifestiert hatte, schwebte hingegen langsam auf ihn zu. Mehrmals verwischten die Konturen, sodass das Geschöpf wieder eins mit seiner schwarzen Umgebung wurde, bis sich der feinstoffliche Körper erneut verstärkte und eine Form annahm, die kaum noch einem Menschen ähnelte. Keinem normalen jedenfalls ...

Je näher das Wesen kam, desto stärker lud sich um ihn herum die Luft auf. Es knisterte und knackte, zudem entstand auf seiner Haut ein unangenehmes Kribbeln, als wollten unsichtbare Hände ihm selbige von den Knochen reißen. Gleichzeitig nahmen sie ihm den freien Willen, sodass er nicht dazu in der Lage war, der Gestalt zu entkommen, die inzwischen nur noch wenige Meter von ihm entfernt über den Felsbrocken schwebte. Seine Knie zitterten nicht nur, sie bebten sogar, und hätte er nicht den Stamm der abgestorbenen Tanne in seinem Rücken gespürt, wäre er sicher längst zusammengebrochen.

Ob der Geist – oder was auch immer da vor ihm erschienen war – ihn überhaupt wahrnahm, erfuhr er nicht. Der Schemen bewegte sich weiter auf ihn zu und sorgte dafür, dass sich sein Magen umdrehte und ihm die Luft abgeschnürt wurde. Seine Augen weiteten sich, als einer der Arme direkt auf seinen Kopf zu glitt, seine Stirn berührte und ...

Felsenmeer östlich des Ima Lake

Superior National Forest, Minnesota,18. Dezember 2023, 18:03 Uhr

Intervallweise erwachte Gary Allardyce aus seiner Bewusstlosigkeit. Zunächst atmete er nur flach, zuckte mit den Mundwinkeln und wälzte sich zur Seite, ohne sich überhaupt im Klaren darüber zu sein, wo er sich aufhielt und wie er in diese Lage geraten war. Sein Denken war ausgeschaltet, sein Erinnerungsvermögen ebenso.

Es dauerte einige Minuten, bis sich der Nebel in seinem Geist klärte, wenn auch nicht so ganz, wie es eigentlich sein sollte. Die Erinnerung an die Begegnung mit dem schemenhaften Wesen lag noch tief in ihm verborgen, ebenso jene an den Fußmarsch mit seiner Kollegin Frida, der ihn überhaupt erst in diese unbeschreibliche Situation gebracht hatte. Das nervöse Kichern, das aus seinem Mund drang, als er die Augen aufschlug und feststellte, dass der Sternenhimmel zurückgekehrt war, passte allerdings so gar nicht zu ihm.

Stöhnend drückte er sich am Stamm der Tanne in die Höhe, bis er trotz der zitternden Knie halbwegs aufrecht stand. Das schneebedeckte Felsenmeer lag wieder friedlich vor ihm, ebenso die im Mondlicht schimmernde Oberfläche des Ima Lake. Von der Schwärze, die ihn und die gesamte Umgebung gerade noch verschluckt hatte, fehlte jede Spur.

»Frida«, murmelte er und sah auf die Uhr. Ein Teil seines Verstandes registrierte, dass seit der Berührung des Wesens über eine Stunde vergangen war. Zeit genug, dass sich auch die eingebürgerte Schwedin wieder erholt haben musste. Doch als er den Stamm umrundete, fehlte von ihr jede Spur.

Nein, das stimmte nicht ganz. Ihre Fußabdrücke zeichneten sich durchaus im Schnee ab, was ihn zu der Annahme brachte, dass sie geflohen war und ihn im Stich gelassen hatte.

»Frida!«, rief er nun deutlich lauter, beinahe hysterisch. Kichernd presste er beide Hände gegen den Kopf, weil die in ihm wütenden Schmerzen ihm mehr und mehr den Verstand raubten.

Noch einmal brüllte er den Namen seiner Kollegin, dann begann er, in die Richtung zu rennen, in die ihre Spuren führten.

Forststraße südlich des Parent Lake

Superior National Forest, Minnesota,18. Dezember 2023, 18:16 Uhr

Die Fahrt mit dem Jeep über die einsamen, verschneiten Forststraßen glich einem Kampf gegen die Elemente. Obwohl der Wagen mit einem Schneepflug ausgerüstet war und die weiße Decke nicht einmal bis zu den Knien reichte, blieb er angesichts der schieren Massen immer wieder stecken. Hinzu kam, dass sich die Natur Teile der Wege zurückholte, wenn sie länger nicht befahren wurden.

Von Ely, wo das U.S. Forest Service Law Enforcement & Investigations, kurz LEI, eine Station unterhielt, führten mehrere befestigte Wege zu den teilweise von Touristen genutzten Lodges am Snowbank Lake sowie dem Moose Lake. Weiter draußen waren die entsprechenden Routen hingegen nur Einheimischen bekannt. Hier, in den unter strengem Naturschutz stehenden Gebieten, gab es nur wenige Häuser oder Hütten, die meisten wurden als Zwischenstationen und Lagerplätze des United States Forest Service genutzt, für dessen Strafverfolgungs-Division Lieutenant Orville Hawks arbeitete. Allerdings gab es auch noch einige illegal in die Höhe gezogene Häuser, die, wenn sie aus der Zeit vor der Errichtung des Nationalparks stammten, inoffiziell geduldet wurden.

Hinzu kam, dass außer Orville kaum jemand davon wusste, dass sein einstiger Schulkamerad und bester Freund Patrick ›Pat‹ Garrett hier draußen in der Einsamkeit hauste, weil er mit den meisten seiner Mitmenschen nicht zurechtkam. Die Schizophrenie lag leider in seinen Genen, auch sein längst verstorbener Vater hatte Zeit seines Lebens mit dieser Krankheit zu kämpfen gehabt. Bevor er wie sein alter Herr in der Psychiatrie gelandet wäre, hatte Pat sich in die Wildnis abgesetzt und kehrte nur hin und wieder nach Ely zurück, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Oder Orville besuchte ihn und brachte ihm etwas vorbei.

Die Finger des Beamten krampften sich um das Lenkrad, ansonsten hätte er den Jeep niemals in der Spur halten können. Trotz aller Widrigkeiten war er fest entschlossen, auch die verbliebenen Kilometer zurückzulegen und das verborgen im Wald liegende Haus seines Freundes zu erreichen. Nur zu gut erinnerte er sich an seine seltsamen Worte, die ihm weiterhin einen Schauder nach dem anderen über den Rücken rinnen ließen. Nicht, weil er wirklich daran glaubte, was Pat ihm mitzuteilen versucht hatte, sondern, weil er von einem Nervenzusammenbruch oder Schlimmerem ausging. Er wusste, dass er immer mal wieder mit schweren Anfällen kämpfen musste und deshalb umso froher war, dabei nicht mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Die Schwärze, die Hölle, hörte er Pat noch einmal mit bebender Stimme flüstern. Ich weiß nicht, was es ist, aber etwas kommt zurück und wird schon wieder den Mond und die Sterne verschlingen. Es kommt, ich spüre es, ich ...

Nach diesen Worten war unter einem atmosphärischen Knistern die Verbindung abgebrochen. Dass es überhaupt dazu gekommen war, ließ Orville ein wenig an seiner Theorie von dem Anfall zweifeln, doch angesichts der absurden Behauptungen seines Freundes fiel ihm keine andere Erklärung ein. Wie es auch war, er fasste den Anruf als einen verzweifelten Hilfeschrei auf, und er war wirklich der letzte, der einen Freund in Not im Stich ließ.

Mehrmals dachte er darüber nach, das Dienst-Funkgerät aus der Verankerung zu nehmen und seine Kollegen zu alarmieren. Das hätte zwar den Vorschriften entsprochen, allerdings hätte er dem Rettungsdienst den komplizierten Weg zu dem versteckten Haus erklären müssen, und bis sie eintrafen, würde er es auch erreicht haben. Zumindest, wenn sein Wagen nicht vorher den Geist aufgab.

Nur kurz dachte er daran, dass er den Abend eigentlich mit seiner Freundin Michelle verbringen wollte, einer Fotojournalistin aus Boston, die zweimal im Jahr im Superior National Forest Urlaub machte, um ihren erfolgreichen Reise-Blog mit Bildern zu füllen. Gerade, als er sich zu ihr auf den Weg machen wollte, hatte ihn Pats Anruf erreicht. Ihre Enttäuschung klang ihm ebenso in den Ohren nach wie die Stimme seines Freundes.

»Verflucht nochmal«, stieß Orville hervor, als er ein weiteres Mal das Lenkrad verriss, den Motor aufheulen ließ und den Jeep frontal in eine Schneewehe lenkte. Eis und Puderzucker spritzten auf die Scheibe und ließen ihn für einen Moment die Übersicht verlieren. Erst nach etwa fünf Sekunden gelang es den durch das Gewicht des Schnees verbogenen Wischern, seine Sicht wieder zu klären.

In den nächsten Minuten besserte sich die Beschaffenheit der Wege deutlich, zudem entdeckte er einen von Verwehungen verdeckten Geländewagen, der die Aufschrift des United States Fish and Wildlife Service trug. Dunkel erinnerte er sich daran, dass die Naturschutzbehörde zwei Mitarbeiter abgestellt hatte, um das Vorkommen des Kanadischen Luchses im Superior National Forest zu untersuchen. Über den Weg gelaufen waren ihm diese Leute noch nicht, dass er ihren Wagen nun in der Nähe des Ima Lake wiedersah, gab ihm jedoch zu denken.

Der Nationalpark bot eine einmalige Landschaft aus hügeligen Wäldern und unzähligen kleinen wie großen Seen, die ein Rückzugsgebiet für seltene, hin und wieder sogar vom Aussterben bedrohte Tierarten darstellte. Manchmal begegneten ihm in dieser Gegend tatsächlich Luchse, insofern stand der Wagen sicher nicht ohne Grund an dieser Stelle. Zu gerne hätte er auch nach den Wissenschaftlern gesucht und gefragt, ob ihnen in der vergangenen Stunde etwas Ungewöhnliches aufgefallen war.

Da die Westküste des Ima Lake von kleinen Kanälen und Sumpfgebieten durchsetzt war, lenkte Orville den Jeep in Richtung Norden und über einen schmalen Landstreifen, bei dem er mit einem größeren Fahrzeug im kühlen Nass gelandet wäre. Die Scheinwerfer leiteten ihn weiter, denn obwohl die Nacht sternenklar war – und nichts und niemand den Mond verschluckt hatte – genügte das matte Licht natürlich nicht, um sich zu orientieren.

Pat, der seinen Spitznamen aufgrund seiner Namensähnlichkeit zum legendären Sheriff von Lincoln County erhalten hatte, dem es einst gelang, Billy the Kid zur Strecke zu bringen, lebte in einem massiven Holzhaus etwa dreihundert Meter vom Nordufer entfernt. Der Bau stammte noch von seinen Großeltern, an die sich Orville grob erinnerte, da er seinen Freund einige Male als Kind hier hinaus in die Einsamkeit des Waldes begleitet hatte.

Da Pat darauf bedacht war, in Ruhe gelassen zu werden, verwischte er seine Spuren, indem er den schmalen Fahrweg mit abgeschlagenen Ästen und Steinen verdeckte. Orville wusste zum Glück noch, wo sich die Stelle befand, an der die Zufahrt abknickte, und räumte die Hindernisse zur Seite. Dabei fiel ihm auch der leichte Geruch nach Verbranntem auf, der so gar nicht in die feuchte, winterliche Landschaft passen wollte. Durchaus war es in diesem Sommer in Teilen Kanadas zu schrecklichen Waldbränden gekommen, doch angesichts der Wetterbedingungen schien ein weiteres Feuer nicht möglich zu sein. Es sei denn, Pat hatte aus Versehen sein eigenes Haus in Brand gesteckt.

Der Gedanke daran trieb ihn noch stärker an, endlich den Weg freizuräumen. Wütend schleuderte er die letzten Steine zur Seite, stieg wieder in den Jeep und startete den Motor. »Pat, verflucht, was hast du getan?«, murmelte er und lenkte seinen Dienstwagen in den Wald.

Schon nach kurzer Zeit rissen die Scheinwerfer das dreistöckige Holzhaus aus der Dunkelheit, an dessen Seite ein dichter Hain aus jungen Tannen wuchs, sodass das Gebäude quasi fließend in den Wald überging. Eine Garage und eine kleinere Hütte standen ebenfalls auf dem Gelände, und als er sah, dass nicht nur hinter einigen Fenstern Licht brannte, sondern Pats Wagen auch noch an seinem üblichen Platz parkte, begann er zu ahnen, dass etwas mit ihm geschehen sein musste. Schon vor seinem Aufbruch hatte er mehrfach versucht, seinen alten Freund zurückzurufen, immer wieder ohne Erfolg.

Als er den Jeep wieder verließ, schmetterte er die Tür überhart ins Schloss, um eine Reaktion zu provozieren. Da Pat auch jetzt nicht reagierte, musste er so langsam akzeptieren, dass seine Rettungsaktion kein gutes Ende nehmen würde. Trotzdem würde er nicht aufgeben, ehe er sicher wusste, was mit ihm geschehen war.