Die unsichtbare Hand - Louis Couperus - E-Book

Die unsichtbare Hand E-Book

Louis Couperus

0,0
1,49 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Die Idee einer Tafelrunde wurde erstmals von dem anglonormannischen Dichter Wace in die Geschichte von König Artus eingeführt. Darum dreht sich auch der Roman von Louis Couperus.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 348

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 Louis Couperus

Die unsichtbare Hand

Ein Roman um König Artus' Tafelrunde

Inhaltsverzeichnis
Siebzehntes Kapitel.
Achtzehntes Kapitel.
Neunzehntes Kapitel.
Zwanzigstes Kapitel.
Einundzwanzigstes Kapitel.
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Vierundzwanzigstes Kapitel.
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Neunundzwanzigstes Kapitel.
Dreißigstes Kapitel.
Einunddreißigstes Kapitel.
Zweiunddreißigstes Kapitel.
Dreiunddreißigstes Kapitel.
Vierunddreißigstes Kapitel.
Fünfunddreißigstes Kapitel.
Impressum
[Vorwort]
Erstes Kapitel.
Zweites Kapitel.
Drittes Kapitel.
Viertes Kapitel.
Fünftes Kapitel.
Sechstes Kapitel.
Siebentes Kapitel.
Achtes Kapitel.
Neuntes Kapitel.
Zehntes Kapitel.
»Lancelot! Träume von deinem süßen Los! Träume von deiner Königin! Gwinebant! Lieber Knabe, schöner Held, Träume von deiner süßen Minne!«
Elftes Kapitel.
Zwölftes Kapitel.
Dreizehntes Kapitel.
Vierzehntes Kapitel.
Fünfzehntes Kapitel.
Sechzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Ysabel war zu ihrem Großvater getreten und hatte ihre beiden Händchen auf des alten Königs Assentijn rotsamtne Schultern gelegt, und Gawein mußte dabei an König Artus und an Ginevra denken, doch am allermeisten gemahnte es ihn an sein eigenes allzu früh von ihm gegangenes Gemahl, und es wollte ihn dünken, als ob sie, wieder auferstanden, dort vor ihm erschiene, schöner noch und jugendlicher, als er sie jemals gesehen. Er ward sich dessen bewußt, daß er ihrem Andenken nicht treu gewesen, doch weil er niemals treu gewesen war und glaubte, daß nicht jeder Ritter so treu sein könne, wie Lancelot es seiner Freundin, der Königin Ginevra, war, so fühlte Gawein sich nicht sündiger, als es Gott gefallen hatte, ihn zu machen. Von Gwinebants Liebe und Treue wußte Gawein nichts, wenngleich Gwinebant ihn mit Lancelot aus dem Tale der Ungetreuen Ritterschaft befreit hatte – und wenngleich er wohl hin und wieder in seinem Innern bedacht hatte, wem wohl Gwinebants Gedanken gehörten und wem er so treu wäre, daß er für würdig erachtet ward, an Lancelots Seite einherzugehen.

So waren Gaweins Gedanken, während er wie anbetend mit gefalteten Händen die junge Ysabel anstarrte und während dem Amadis hinter ihm das Herz klopfte vor Eifersucht ob Gaweins sein innerstes Fühlen verratender Gebärde. Allein der alte König Assentijn nahm Ysabels Händchen in die seinen, und während sein runzliges Antlitz erstrahlte wie eine Winterlandschaft unter der ersten Lenzessonne, sprach er:

»Süßes Töchterlein meines seligen Sohnes, wir danken dir für so liebe Sorgfalt und so fromme Fürsorge, doch diese Gäste haben uns die Vesper über in Anspruch genommen und ließen uns vergessen, daß die abendliche Mahlzeit unser harrt. Weißt du, wer dieser Ritter ist, mein Kindlein? Er ist einer der zwölf Wackeren von König Artus' Tafelrunde, er ist Gawein, er ist derselbe, der vor zehn Jahren meine königliche Burg belagerte und ganz allein gegen viermal zwanzig Mann an jedem meiner zwölf Tore kämpfte; er ist derjenige, der sie ganz allein besiegte – er war damals sogar ohne einen Schildknappen, wie ich ihn jetzt hinter ihm sehe, und er watete durch Blut … weißt du, zu wem, mein Töchterlein? Zu deiner Mutter, zu meiner schönen Tochter, Ysabel hieß sie, wie du. Und dieser wackere Streiter entführte sie, er brachte sie weit weg nach Camelot, und dort starb sie an dem Kinde, das aus ihrem Schoß zum Leben wollte, und an dem Fluch ihres Vaters. Sie starb, und jetzt, du mein Liebstes, erscheint vor mir dieser Rittersmann, mein Herr Schwiegersohn, gleich als wäre nichts geschehen, und ich frage dich, mein süßes Mägdelein, sage mir und rate mir: was soll ich mit dem Mörder meines Kindes und meiner Mannen beginnen?«

»So ist des Himmels Gnade über mir!« rief Ysabel leise, doch jubelnd aus, und ihre Stimme klang lieblicher, so meinte Gawein, als die seiner eigenen Ysabel jemals geklungen, lieblicher selbst als der Sang der goldenen Vögelein, die auf den Wunderbäumen in der Ginevra Hain sangen, »also seid Ihr, o edler Ritter und großer Held, mein eigener Ohm, seid Gawein? Den Vater der Abenteuer nennt man Euch? Meiner seligen Mutter Gemahl seid Ihr, der Unvergleichliche, der Allerritterlichste, der Allertapferste, der Ritter aller Ritter unserer alten Könige? Seid mir hoch willkommen, mein lieber Ohm! Wenngleich ich kaum mehr bin als ein Kind, und wenngleich ich Euch noch nimmer sah, so las ich doch von Euren wunderbaren Waffentaten, die gelehrte Schreiber seit zehn Jahren in klangvollen Reimen aufgezeichnet haben. Und, o wunderbarer Zufall! eben hat ein Trouvere, der mit seinem Fiedler herzog, um Erlaubnis gebeten, von Euren Taten künden zu dürfen, und gerade wollte ich meinen Herrn König und Großvater um seine Einwilligung bitten, den Sänger zu der Fiedel Klang singen und sagen zu lassen und ihn in den großen Saal zu rufen vor all die Burgsassen, daß er von Euch erzähle, viellieber Ohm, den ich nun sicherlich in Ehrfurcht und voll Freude küssen darf!«

Und Ysabel trat mit ausgestreckten Händen näher, während Gawein sie noch immer ansah wie ein Wunder. In dem gelben Kerzenschimmer stand sie wie in einem Strahlenkranz: so weiß und so goldblond wie ein Engel, wie ein Strahl himmlischen Glanzes in diesem düsteren gewölbten Saal, und Gawein wartete wie verzaubert. Er wußte, daß Ysabel sich ihm genähert hatte. Er blinzelte mit den Augen. Er fühlte ihre kühlen Händchen an seiner pochenden Stirn. Er empfing ihren Kuß auf seine rechte und danach auf seine linke Wange. Er wußte nichts zu sagen noch zu tun. Er hörte nur ihr Stimmchen wie Goldklang tönen:

»Was Ihr mit meinem Herrn Ohm, mit Eurem Schwiegersohn, tun sollet, mein Herr König und Großvater? Ihr sollt ihn ehren wie einen Ritter und Gast von höchstem Ansehen, Ihr sollt ihn lieben wie einen Sohn und treuen Anverwandten, den Ihr seit Jahren nicht mehr sahet. Ihr sollt ihn auffordern, mit uns das Mahl einzunehmen, und danach müsset Ihr ihn einladen, auf dem höchsten Ehrenplatz im Burgsaal Platz zu nehmen, auf daß Trouvere und Spielmann ihm von seinen eigenen Taten, seinem eigenen Ruhm singen können. O mein teuerster Herr, o mein liebster Großvater, begrabet allen Streit und lasset fahren allen Fluch und alle Feindschaft und vergesset all die bösen Dinge, sonst – seid dessen gewiß, wenn Ihr ein böser König seid! – werde ich den König Clarioen von Nordcumberland nicht zur Ehe nehmen!«

Und Ysabel lachte ihm in die Augen und schlang die Arme um den mottigen Hermelinkragen des alten Assentijn, der den Kopf schüttelte und unzufrieden mit sich selber war, weil er den Schmeicheleien seiner Enkeltochter so leicht und schwach erlag.

»Sei es darum,« sprach er dann, während er aufstand und die Brauen noch immer runzelte. »Jahre sind dahin gegangen, die Strafe ist vollzogen: meinem armen Kinde habe ich, ich will es ehrlich eingestehen, niemals geflucht, obwohl ich immer sagte, daß ich es täte. Sie starb an der Geburt ihres Kindes, das ist's. Ihr selber, Gawein, seid ein tapferer Held, wenngleich Ihr als ein rechter Raubritter Damoicelen und Schachbretter entführt … traun! da fällt mir ein, mein Herzblatt, weißt du vielleicht etwas von einem schwebenden Schachbrett, nicht von dem ersten, das dein Herr Ohm vor zehn Jahren mitsamt seiner Braut nach Camelot brachte, sondern von einem andern, das gleich einem Vogel in seinen Käfig zwischen unsere Mauern hinabgeschwebt sein soll?«

Ysabel befahl, daß man die Burg durchsuche. Und überallhin eilten die Diener und Kammerfrauen. Allein sie fanden kein Schachspiel.

»Morgen, mein Ohm,« sagte Ysabel, »bei Anbruch des neuen Tages, wenn der Sonnenschein bis in die dunkelsten Winkel dringt, werden wir weiter das zweite schwebende Schachbrett suchen.«

»O du meine andere liebsüße Ysabel,« sprach Gawein entzückt, während Amadis hinter ihm eifersüchtig auf seine Worte lauschte, »kanntest du mich, lasest du von mir, und hattest du den Helden deiner Romane ein klein wenig liebgewonnen?«

»Ich kannte Euch, ich las von Euch, ich liebte Euch allbereits so sehr, mein Held und Ohm,« sprach Ysabel, »und ich dachte: möchte doch einst der Ritter, der mir als Königin von Nordcumberland dienen wird wie Lancelot der Königin Ginevra von Logres, meinem Oheim Gawein gleichen!«

Nun führten die Edelknaben mit den langen Kerzen Gawein und Amadis in das für sie bestimmte Gemach.

Glaub' es, o Leser, daß es Wunderbetten gab, auf denen die Ritter von ihren Wunden genasen! Und wisse, daß nun fast in jeder königlichen Burg eines stand – sie waren nur nicht alle so verfallen wie jenes erste des alten Königs Mirakel und wiederum nicht allzeit so neuartig heilkräftig wie jenes, das Merlin für Camelot und die Ritter der Tafelrunde bereitet hatte. Das Wunderbett des Königs Assentijn war mittleren Ranges. Und Prunkgewänder lagen bereit, und in dem großen Saal wurden bereits die Tafeln gedeckt und Schüsseln mit Wildbret bereitgestellt, und roter Wein und köstlicher Malvasier wurden in Kannen gefüllt, und die Knappen reichten schon die Becken aus rotem Gold und die Tücher herum, an denen die Ritter sich die mit Wasser benetzten Finger trocknen sollten. Und der Seneschall erschien mit seinen Dienern, und nun war alles genau so, wie es überall in jeder Königsburg zu dieser Stunde des späten Abends war, wenn fahrende Ritter eingekehrt waren, und froher Glockenklang zur Abendtafel rief.

Und nach dem leckeren Mahl ehrte Assentijn seinen Gast aufs höchste; der saß an der Seite des Königs auf dessen breitem Thron und wunderte sich gar sehr, wenn er vergangener Zeiten gedachte, da alles so ganz anders gewesen war.

Und Ysabel, – was hieß sie doch so wie des Gawein verstorbenes Weib geheißen, und was glich sie ihr doch so sehr! – Ysabel saß auf scharlachrotem Kissen zu Füßen des Großvaters.

Und Amadis saß zu Füßen des Gawein.

Und die Burgsassen, die Barone und Edelfrauen, die aufwartenden Diener und die Pagen füllten den Saal und saßen oder standen oder neigten sich über die inneren Bogen der hohen Galerien herab, und ein matter Kerzenschimmer lag über allem.

Da trat der Sänger auf mit seinem Fiedler, und die Knappen beeilten sich, die letzten Tafeln wegzuräumen. Und während der Sänger sich verneigte, hub der Fiedler schon leise auf seiner Geige zu spielen an.

Achtzehntes Kapitel.

Der Fiedler strich leise über die Saiten und begleitete mit seiner Weise die Stimme des Sängers, der mit hohem Heldenlob einen Ritter der Tafelrunde feierte. Er hatte aus seiner Tasche eine Handschrift gezogen, die wäre ihm – so sagte er – nicht minder wert und kostbar wie dem Ritter sein Schwert, wie dem König sein Reich, und es war ein kleines Buch mit Blättern aus Pergament, darauf er mit feiner Schrift die klingenden Reimzeilen geschrieben hatte. Und während der Geiger auf seiner Fiedel weiterspielte, hob der Sänger das Büchelchen empor und küßte es und sagte, es sei sein Gedicht und all seine Kunst läge darin und er brauche kaum hineinzusehen, denn er habe es schon fest inne im Herzen und im Kopfe und er hoffe, Gott möge ihm alle Unbill vergeben, die er etwa mit seinem Lied einem zufügte, und ihm große Weisheit verleihen, auf daß er sonder Fehl von Gawein künden könnte. Und nun besang er den Helden und wußte, daß er vor ihm selber stand, und seine Stimme durchzitterte die innere Glut und Erregung, dieweil er vom Vater der Abenteuer erzählte. Er gab seinen langen Bericht leise und eintönig, wie Gawein, König Artus' Neffe, dem immer gegen Mittag die Kräfte allgewaltig wuchsen, nicht nur der kräftigste, sondern auch der ritterlichste Held sei, und der tapferste, der allertapferste!

»Lancelot ist auch der Allertapferste,« flüsterte Gawein verlegen seinem Schwiegervater zu. »Und gar ritterlich dazu.«

»Der Allertapferste,« fuhr der Sänger fort, »der eine Drachenmutter samt ihren wilden Drachenjungen erschlug.«

»Ich habe vor nicht langer Zeit ihre Gerippe noch in der Grotte gesehen,« flüsterte Gawein und erblaßte. Und heftig bewegt war er, als der Sänger nun von Gringolette sang. Ach, sein gutes Roß war tot und lag begraben am Flusse. Ysabel aber, die war wieder auferstanden! Jetzt hörte er kaum mehr auf des Dichters Heldenmäre, die ihn besang, jetzt sah er klopfenden Herzens auf die blühende Rose, auf die schneeweiße Lilie herab, die zu des Königs Füßen blühte. Jetzt fühlte er, wie Frau Venus sein Herz anrührte. Jetzt wußte er, daß er liebte, wie er noch nie geliebt hatte, – wie er nicht einmal sein dahingeschiedenes Gemahl geliebt hatte. Ysabel, Ysabel …, der alte Name zitterte zu den Tönen der Fiedel neu und mit neuem Klange durch Gaweins erregtes Gemüt. Ysabel, Ysabel! so klang es jubelnd über aller Köpfe durch den gewölbten Burgsaal. Ysabel, Ysabel! so mußten die Engel im Paradies die holde Frau rufen, die ihn verlassen hatte, und die nun in einem Rosen- und Lilienregen herabgestiegen war: Rose und Lilie sie selber!

Doch als der Sänger geendet hatte und mit dem Fiedler zur Küche hinabgestiegen war, wo ihnen inmitten der ganzen Dienerschaft köstlich aufgetischt wurde, und als sich alle zur Ruhe zurückgezogen hatten und auch Gawein und Amadis wieder in ihrem Gemach waren, lehnte sich Gawein in das Bogenfenster und schaute hinaus in die stille, sternenklare Nacht. Und er sann darüber nach, wie sich alle Dinge und alle Abenteuer wiederholten, und doch nicht so ganz genau wiederholten. Einstens war er hier durch Ströme vergossenen Blutes eingedrungen. Doch in jener Nacht hatte er seine Ysabel gefunden – Ysabel, die er bereits aus seinen Träumen kannte, Ysabel, die er darauf entführt hatte, Ysabel, die schließlich sein holdes Weib geworden war. Jetzt war er hier mit allen Ehren empfangen worden, aber nicht Ysabel bot ihm ihren Kuß. Die Kammerfrauen hatten sie hinweggeführt in ihre Kemenate und sie entkleidet und zur Ruhe gebettet, und ihr Prinzessinnenkrönchen, wie es sich gehörte, auf die Stufen gestellt, die zu ihrer Bettstatt hinaufführten; und ihr Hündchen schlief sicher in des Zimmers Mitten.

Gawein starrte hinaus.

Es wollte ihm scheinen, als ob Glück und Wehmut in dieser späten Liebe sich mischten, so wie sich draußen der Erdgeruch mit dem fernen Sternenglanz und den leise raschelnden Blättern aus dem umliegenden Walde zu einem mischte … und mit dem seltsamen Klingen aus jenen mattsilbernen Wölkchen … die aber keine Wölkchen waren und keine Nebelschwaden, die der Wind jagte, sondern silberne Flügel, wie Libellen und Wasserjungfern sie haben, Sylphenflügel.

Auch Ysabels Kemenate war erfüllt vom selben seltsamen Schimmer und Schein, den Gawein über den Himmel gleiten sah, als er hinausstarrte.

Und Ysabel drehte sich auf ihrem magdlichen Lager leise um und machte eine Bewegung, als wolle sie einen umarmen, der ihr zur Seite läge.

Und sie träumte von Gwinebant …

Und dem Gwinebant in weiter Ferne träumte von Ysabel …

Gawein aber stand da und starrte hinaus voll Wehmut und voll Lust.

Ihm war, als beginne nun erst sein Leben.

Ihm war, als habe ihn sein ganzes bisheriges Dasein mit allen Wundern und Heldentaten und Zauberkünsten einzig und allein zu diesem Gefühl vorbereitet, einzig und allein zu diesem Glück, zu diesem süßen, unbefriedigten Verlangen.

Ihm war, als sei es zu nichts anderm nütze gewesen als dazu …

Als erwachse ihm daraus nun sein allereinziges Abenteuer …

Doch endlich wandte er sich und stieg aus der Fensternische die Stufen hinab und ging auf das Bett zu.

Da lag Amadis, regungslos, die Augen geschlossen, das Haupt in die Kissen vergraben und stellte sich, als schliefe er.

Und Gaweins Schwert lag dem Schildknappen zur Seite. Sorgfältig war es schon bereitgelegt, denn Ritter wie Knappen taten gut daran, stets bei ihrer Waffe zu schlafen. Gawein legte sich neben das Schwert, das nun zwischen ihm und Amadis lag. Auch Gawein schlief nicht; er lag da und starrte in die Ecken und Falten des Baldachins, der sich ob seinem Haupt ausbreitete. Er träumte mit offenen Augen und ein Lächeln spielte um seine Lippen. Schattenhaft verschwammen die Gestalten der Frauen, die er geliebt hatte, vor seinem ins Leere gehenden Blick, und inmitten ihrer nebelhaften Gestalten leuchtete wie eine himmlische Erscheinung Ysabels Bild auf. Des Amadis Hand ruhte indessen nicht auf seinem eigenen Schwerte, das ihm zur andern Seite lag, sondern auf der Waffe Gaweins.

Am kommenden Tag suchten alle in der Burg nach dem schwebenden Schachbrett, das sich, wie Gawein und Amadis erklärten, in ihrer Mauern Ring herabgesenkt haben sollte. Die Barone und Edelfrauen, die Pagen und Diener, alle suchten, alle gingen treppauf, treppab, erklommen die zahllosen Türme, stiegen hinab in die unzähligen Verliese, und auch Gawein und Ysabel suchten, und Gawein zeigte Ysabel das Verlies, in dem er vor mehr denn zehn Jahren von ihrer Mutter, die gleich ihr Ysabel geheißen hatte, von König Assentijns schöner Tochter – wie erzürnt war der König gewesen, als er später von ihren heimlichen Küssen gehört hatte! – in Ketten geschlagen worden war. Und Ysabel, die Holde, entsetzte sich. Allein Gawein erklärte ihr, daß der Geist eines Ritters, den er einstmals errettet, sie beide aus dem Kerker befreit habe … Und all das Fremde und Ungewöhnliche spukte rings um sie beide in der Dunkelheit, die von den Fackeln der sie begleitenden Knappen nur schwach aufgehellt ward: der Hauch der Vergangenheit wehte sie an, während sie nach dem Schachbrett suchten und es nicht fanden, die Erinnerung an den Geist eines Ritters stieg auf bei diesem Umherspähen nach dem schwebenden Schachbrett, hier in dieser Burg, in die Gawein dereinst allein, nach Kämpfen gegen viermal zwanzig Gewappnete an jedem der zwölf Tore und nach Erlangung ihrer aller, sich den Eingang hatte erzwingen müssen.

»Ihr erschlugt zwölf mal achtzig Mannen, mein Ohm?« fragte Ysabel verwundert, während sie aus dem dunklen Verlies heraustraten. In endloser Folge gingen die Burginsassen treppauf, treppab und suchten. »Ihr erschluget so viele Mannen, Ihr allein? Ja, ich las davon in den Ritterromanen, in dem nämlichen Heldengesang, den uns der Trouvere gestern vortrug.«

»Ich tat es wider meinen Willen, tat es in harter Not, süße Ysabel,« sagte Gawein; verlegen fühlte er sich vor der Jungfrau ob der Ströme Blutes, die er dereinst hier vergossen hatte. »Allein, es geschah, mußt du wissen, um deine schöne Mutter Ysabel für König Amoraen zu gewinnen, der aber vor Sehnsucht starb, noch ehe ich sie ihm zuführen konnte.«

»Ist es viel für einen einzigen Ritter, mein Oheim,« fragte Ysabel, »viermal zwanzig Mann an jedem von zwölf Toren zu erschlagen?«

»Es ist wohl ein ziemlich Stück Arbeit,« gab Gawein ihr Bescheid und errötete, »doch ist es nicht so arg, als daß nicht auch Lancelot solche Waffentat hätte vollbringen können.«

»Und Sagremort desgleichen?«

»Auch Sagremort, bei Sankt Michael,« versicherte Gawein mit Nachdruck, »und auch Bohort, Hestor und Agloval, sei dessen gewiß, mein holdseliges Niftel.«

»Aber Galehot?« fragte Ysabel voll Neugierde.

»Sicherlich würde auch Galehot es vermocht haben,« bekräftigte Gawein, »und Ywein nicht minder, zweifle nicht daran.«

»Und auch … Gwinebant … mein Ohm?«

»Gwinebant ist der jüngste, der mit an der Tafelrunde sitzt, und er ist mit Lancelot gekommen, mich aus dem Tal der Ungetreuen Ritter zu erlösen. Er ist mir teuer, meine Ysabel, und er ist ein tapferer Held, und ich zweifle nicht daran, daß auch er gleich allen den andern die Waffentat hätte vollbringen können.«

Ysabel lächelte voll heimlicher Freude, und sie stiegen die Treppe empor, eine Wendeltreppe, und suchten immer weiter nach dem Schachbrett.

»Ich sehe es nicht, Oheim.«

»Und ich ebensowenig, Ysabel … Amadis, kannst du das Schachbrett erspähen?«

Gawein wandte sich zu seinem Schildknappen um, der erst ein paar Stufen tiefer folgte.

»Ich nicht, Herr,« antwortete Amadis so leise und traurig, daß es Ysabel auffiel.

»Auch wir sehen es nicht,« sagten die Barone und Edelfrauen, indeß sie treppauf, treppab gingen.

Gawein und Ysabel waren auf eine der Turmzinnen gelangt. Der sommerliche Himmel spannte sich über ihren Häuptern in unermeßlicher Weite aus, und schwere weiße Wolkenmassen ballten sich zusammen, die in- und übereinander trieben.

»Gwinebant also auch,« nahm Ysabel ihres Oheims Antwort auf, und ihre Stimme klang jetzt seltsam, so leise und nicht minder traurig wie die des Amadis soeben geklungen hatte. »Gwinebant ist wohl kräftig und sehr tapfer? Viermal zwanzig Mannen vor jedem unserer zwölf Tore … würde er gleich Euch, mein Ohm … erschlagen können … um eine Jungfrau zu gewinnen …? Es ist zuviel Blut … zuviel Blut … aber er würde es vergießen, um eine Jungfrau zu gewinnen … eine Jungfrau, die er liebte und der er treu war. Er würde um seiner Liebe willen solches vollbringen, nicht wahr, mein Ohm?«

»Sahest du Gwinebant jemals, Ysabel?«

»Ich sah ihn ein einziges Mal während des Turniers im letzten Jahre. Ich gab ihm meinen Ärmel, den er an seinem Helm befestigte. Nimmermehr erblickte ich ihn seither …«

»Nie mehr, Ysabel, nie mehr?«

»Ich traf ihn nie mehr, mein Ohm,« entgegnete Ysabel und sie lächelte jetzt leise und verriet nichts von ihren Träumen. »Doch sage mir, mein Ohm, wenn er mit Lancelot würdig war, Euch aus dem Tal der Ungetreuen Ritter zu erlösen, wem ist er denn so treu, wie Lancelot es der Königin Ginevra ist?«

»Gwinebant hat es mir niemals vertraut,« antwortete Gawein, während er den Blick von den Wolken zu den Bäumen herabgehen ließ. Und plötzlich rief er laut, so daß seine Stimme von den Mauern der Burg widerhallte:

»Das Schachbrett! Dort drüben ist es, das schwebende Schachbrett, dort zwischen den Baumstämmen des Haines!«

Und er wies …

Neunzehntes Kapitel.

Überall ertönten Stimmen: »Das Schachbrett! Das Schachbrett!« Überall strömten die Burgbewohner die Treppen hinab, aus den Pforten heraus. In einem niederen Bogenfenster erschien König Assentijn. Die Hofhunde und Schoßhündchen kamen herbeigelaufen und kläfften, die Pferde wieherten in den Ställen, und überall irrten Männer und Frauen in den Gärten umher und über die Wälle und an den Gräben entlang und eilten hinter dem schwebenden Schachbrett her.

Gawein war die Wendeltreppe hinabgestürmt, Ysabel und Amadis hatte er zurückgelassen.

»Das Schachbrett!« rief Ysabel aus und zeigte auf das glitzernde Viereck, das sich dort unten wie ein schillernder Vogel zwischen dem Laubwerk der Bäume verlor.

»Das Schachbrett,« wiederholte bleich Amadis.

Ysabel trat an den Schildknappen heran.

»Mein lieber, schöner Knabe,« sprach die Prinzessin, »bist du krank? Du folgst deinem Herrn nicht, und alle Farbe ist aus deinem Antlitz gewichen. Kann ich dir helfen, mein guter Amadis?«

»Ach, erlauchte Jungfrau,« sagte Amadis und schloß die Augen, »ja, zu meinem großen Kummer fühle ich mich wirklich krank. Ich werde meinem Herrn Gawein nicht auf seiner Fahrt folgen können.«

»So bleibe denn hier und laß dich pflegen,« sagte Ysabel besorgt, während sie den Arm um Amadis schlang.

In diesem Augenblick erschrak sie heftig.

Sie fühlte, wie des Amadis Brust unter dem Knabenwams sich schwellend hob. Sie sah nun dem Knappen in die Augen, die sich weit öffneten.

Sie ließ ihn los.

»Fühlst du dich besser, mein viellieber Knabe?« fragte Ysabel.

Amadis hatte sich wankend in einer Schießscharte niedergelassen, aus großen Augen starrte er hinunter, dahin, wo die Menge sich um die Burg drängte.

»Ich fühle mich besser, hehre Jungfrau,« sagte Amadis, »und ich werde nun meinem Herrn nachgehen.«

Er wollte sich erheben.

Allein Ysabel hielt ihn mit sanftem Lächeln zurück.

»Bleibe,« wiederholte Ysabel, »und sage mir, denn ich bin gar neugierig, sage und erzähle mir von Camelot. Gibt es dort viele schöne Edelfrauen, die den Rittern der Tafelrunde hold sind?«

»Ich weiß es nicht, vieledle Jungfrau,« antwortete Amadis, »ich war noch nicht auf Camelot.«

»Sahest du niemals Ginevra, den Urquell aller Schönheit?«

»Ich sah sie nie, holdeste Jungfrau. Ich bin der einzige Sohn eines armen Ritters. Ich habe keine Anverwandten und mein Vater starb. Der Herre Gawein erbarmte sich meiner – Gott im Himmel lohne es an ihm.«

»Sahest du, sage mir doch dies, sahest du nimmer Herrn Gwinebant?«

»Ich sah ihn nie, o Jungfrau … ich sah nur Mordred und sah Didonel. Nun aber, schönste Jungfrau, saget auch mir jetzt, so Ihr mir Huld erweisen wollet: ist der König, Euer erhabener Vater, meinem Herrn nicht sehr gram?«

»Ich denke nicht, Amadis.«

»Werdet Ihr aber, meine süße Prinzessin, sofern Euer Vater meinem Herrn doch gram ist, ihm zuversichtlich Fürsprecherin und Trostspenderin sein, gleich der Jungfrau Maria?«

»Vergleiche mich nicht, o Amadis, mit der heiligen Mutter Gottes, die uns den Heiland schenkte. Doch sei dessen gewiß, ich werde allzeit meinem Oheim Gawein Trostspenderin und Fürsprecherin sein.«

»Liebt Ihr ihn, Prinzessin?«

Der Schildknappe verriet sich bereits. Ysabel lächelte ihn sanft an und sprach:

»Ich liebe Gawein, o Amadis, voller Bewunderung, weil ich von ihm und seiner Ritterlichkeit und von seinen gar verwunderlichen Taten las. Einem andern aber, o Amadis, gehört mein Herz und meine Seele, und dessen denke ich in allen meinen Träumen. Inniglich liebe ich diesen andern, der mir ferne und doch in jeglicher Nacht so nahe ist.«

»Ich aber habe einen lieb, der ist mir nah in jeder Nacht und bleibt mir doch so fern, wie nur ein Schwert zu trennen vermag,« flüsterte Amadis für sich hin.

»Was sagst du, Amadis?«

»Nichts, holdselige Jungfrau, ich gedachte nur eines Liedes und einer Weise, wie die Sänger sie singen, und die kündet von trauriger Minne.«

»So singe du sie mir!«

»Ich kann nicht singen, hehre Jungfrau, mein Herz ist zu voll von Leid, als daß ich jetzt singen könnte. Ich bin jung, aber ich habe schon viel gelitten, und ich liebe und leide allzusehr. Minne macht oftmals traurig, wenn Frau Venus es so fügt. Denn einmal liebt einer eine, die ihn nicht liebt, und ein anderes Mal liebt eine einen, der sie nicht liebt …«

»Und dann wieder liebt eine einen, der so fern ist und weiß nicht, wen der in der Ferne wohl lieben mag …«

»Und die Dichter«, so endete Amadis, »machen daraus ein Lied und geben ihm eine Weise – nichts weiter bedeutet ihnen solcherlei Geschick …«

»Nein, nichts weiter, wehe, als Stoff zu einem Lied und einer Weise,« wiederholte Ysabel wehmütig.

Drunten lag der Hain leer und verlassen.

»Komm,« sagte Ysabel leise, »laß uns hinabsteigen und hören, ob das Schachbrett gefunden ist.«

Und sie nahm des Amadis Hand und fühlte ihre frauenhafte Weiche und Zartheit. Allein sie sagte nichts. Er folgte ihr die finsteren und steilen Stufen der Wendeltreppe hinab.

Sie beide waren erfüllt von sehnender Liebe zu andern, wie Frau Venus es gefügt hatte, und sie hätten beide wohl weinen mögen über die ewige Sehnsucht, die Frau Venus wie ein süßes Gift in die Seele der Menschen träufelt, die ihr allzeit untertan blieben, wie oft auch die Herrschaft anderer Götter über die Menschen wechseln mochte.

Das schwebende Schachbrett aber ward auch an diesem Tage nicht in der Burg des Assentijn gefunden, noch in dem Hain, oder auch in den Wäldern, darin die Jäger Jagd auf das Wunderding machten. Und als darauf der König Assentijn nach Zucht und höfischem Brauche Gawein, seinen Gast und Schwiegersohn, aufforderte, nicht sogleich wieder von dannen zu reiten, sondern nach aller erlittenen Mühsal und Beschwer erst zu rasten, nahm Gawein es dankbar an, und es schien, als habe er das schwebende Schachbrett so vergessen, wie er es während seines Weilens in dem Tale der Ungetreuen Ritter bei Morgueine vergessen hatte. Damals aber war Gawein mit hundertneunundvierzig andern gefangen, jetzt hingegen war er allein gefesselt, gebunden von dem süßen Zauber seiner Liebe. Und die Tage vergingen. Des Morgens gab es Jagden, aber nicht mehr nach Schachspielen, sondern nach Eber und Hirsch ging man beim Schalle der Jagdhörner auf die Pürsch, und Ysabel ritt auf einem weißen Zelter, inmitten der Barone und Edelfrauen. Oder es gab ein ritterliches Turnieren im Burghof, dieweil sich die Edelfrauen vor dem größten Burgfenster um Assentijn und Ysabel scharten. Und der Abend brachte manch süßes Liebesspiel, und beim Schimmer der Kerzen wurden allerlei Fragen gestellt, was der Ritter für die Fraue, was die Fraue für den Ritter in mancherlei Fällen tun würde, sofern sie nach den festen Gesetzen der Courtoisie handelten. Und man setzte sich zu Brettspielen oder zum Würfeln und lauschte dem Gesang und den Mären, die der Sänger zum Klange der Fiedel vortrug; und König Assentijn schien nicht mehr in so dunkle Trauer um vergangene Dinge versunken, die er vergessen wollte.

Und Gawein folgte den Schritten und Tritten der Ysabel, wohin sie immer gehen mochte.

Ihr zur Seite ritt er auf Gringolet zur Jagd und half ihr, dem Falken, den sie auf dem behandschuhten Fäustchen trug, zur rechten Zeit die Kappe zu lösen, auf daß der Vogel pfeilschnell sich auf seine Beute, auf Hase oder Fasan, stürzen konnte.

Und ihr zur Seite schritt er des Abends in den erleuchteten Burgsaal und saß neben ihr bei manch fröhlichem und höfischem Fest. Und ein Flüstern ging zwischen den Rittern und Edelfrauen im Kreise von Mund zu Mund um, während alle neugierig und verstohlen zu Gawein und Ysabel herüberblinzelten. Bis in einer bläulich schimmernden Mondnacht, die zwischen den schwarzen Wipfeln des dunklen Waldes und den schwarzen Schießscharten der dunklen Burg ihre silbernen Schleier breitete, aus denen droben vom Himmel die Sterne glänzten, Gawein zu Ysabel sprach:

»Du meine süße Königin im Reiche meines Herzens, sag' mir, hast du mich lieb? Denn ich habe dich so lieb, Ysabel, wie mein Wähnen es nie für möglich gehalten hätte. Nie wußte ich, daß Liebe so selig sein könnte, und noch niemals habe ich eine Fraue so liebgehabt, seit ich, ein Knabe noch, Frauen und Jungfrauen zu minnen begann. Und kannst du mich nicht wieder lieben, so gilt mir das Leben nichts mehr und sollte ich gleich König sein über all diese Reiche der alten Könige, die in Britannje herrschen: Assentijns von Endi, Mirakels von Wunderland und Clarioens von Nordcumberland und Artus', meines Herrn in Logres … Doch so du mich lieb hast, o Ysabel, wünschte ich, daß ich als treuer und höfischer Ritter die ganze Welt für dich erobern dürfte bis nach Rom und nach Paris, und den ganzen Himmel dazu!«

Da war Ysabel sehr gerührt.

Sie wußte, daß sie nur Gwinebant liebte, den sie einst auf dem Turnier gesehen, dem sie ihren Ärmel gegeben hatte, zu dem in jeder Nacht ihre Gedanken gingen und den sie in süßen Träumen umarmte. Allein das konnte sie Gawein nicht sagen, weil sie ihn nicht unglücklich machen wollte. Denn er war für sie der Held, von dem sie gelesen hatte, dessen Wundertaten und ruhmreiche Fahrten sie wohl kannte und der wohl manches Mal seiner Liebe untreu geworden war, seinen festen Glauben aber an das Wunder und an die Wirklichkeit aller Abenteuer sich stets treu bewahrt hatte … Und sie selber wollte ja auch an Wunder und an Abenteuer glauben, wie sehr auch die Barone ihres Vaters und deren Frauen darüber lächeln mochten. Und sie war – mit der Liebe zu Gwinebant im Herzen – sehr besorgt darum, Gawein, dem Tapferen, keine Trauer zu schaffen, und so sprach sie, als Gawein nochmals fragte:

»Ysabel, meine süße Ysabel, hast du mich lieb?«

»Ich habe Euch sehr lieb, mein Oheim Gawein, und wenn ich dem König Clarioen von Nordcumberland zur Ehe folge, so werde ich sicherlich Euch zu meinem Ritter erwählen, wie einst Ginevra sich Lancelot erkor.«

Da stutzte Gawein …

Allein er schlang seinen Arm um Ysabel und küßte sie lange, und sie gab seinen Kuß zurück und dachte dabei:

»Ich tue es ja nur, um ihm kein Leid zu bereiten und keinen Schmerz …«

Zwanzigstes Kapitel.

Eine Woche darauf ritt Amadis, Gaweins jugendlicher Schildknappe, der eigentlich Alliene die Jungfrau war, allein quer durch die Wälder, die des Königs Assentijn und König Mirakels Länder vom Reiche des Königs Artus trennten. Er war auf dem Wege nach Camelot, wohin Gawein ihn gesandt hatte, um endlich den Tod des Mordred und des Didonel zu melden.

In stiller Eifersucht litt er gar zu sehr, wenn er Gawein und Ysabel zusammen sah, – und darum hatte er mit bewegten Worten Gaweins Einwände besiegt und zog nun allein durch die gefahrvollen Wälder, doch er war nicht furchtsam – Alliene, die Jungfrau, war nicht furchtsam: Armut und Elend hatten sie in der verfallenen Burg ihres Vaters gelehrt, keine Furcht vor möglichen Unfällen zu hegen. Die Waffenrüstung ihres Bruders lastete nicht allzu schwer auf ihren zarten Schultern, ja, sie vermochte sogar das gewichtige Schwert zu schwingen. Drachen hausten ja freilich nicht mehr in den Höhlen der Wälder! Alliene, die Amadis hieß, hatte sich nun also auf den Weg gemacht mit des Gawein Botschaft, daß Mordred und Didonel zwei heimliche Schurken gewesen, doch daß sie nun erschlagen und dann unter Gebeten für ihrer Seelen Heil ehrlich begraben seien, und daß das Schachbrett für den Augenblick unauffindbar sei.

Fürwahr; das Schachbrett hatte sich nicht wieder gezeigt, und wohin sollte Gawein die Schritte lenken, wenn es sich nicht mehr zeigen wollte? So verweilte er denn auf Endi, versöhnt mit seinem Schwiegervater, und voller Minne zu Ysabel. Sie saßen beieinander in der breiten Nische vor dem Bogenfenster und lasen miteinander seinen eigenen Roman: wie er dereinst das erste schwebende Schachbrett gesucht hatte. Oder sie ritten zu zweit auf die Jagd mit dem Falken auf der Faust.

Und Amadis ritt jetzt wehmütig durch die endlosen Wälder, ohne Furcht, doch auch ohne Hoffnung, ohne Freude am Leben, weil es um die Minne allzeit so traurig bestellt war, wenn der eine dem andern Liebe schenkte und dafür nicht immer Liebe empfing. So liebte Amadis Gawein, und so liebte Gawein Ysabel, die doch einen andern liebte, wie sie es selber eingestanden hatte. Und düstere Schatten fielen aus den dicht beblätterten Bäumen, und Schatten fielen auf sein Gemüt, und nur matt glänzten die Sonnenstrahlen, und nur selten umspielten flimmernde Sonnenflecken den jungen Ritter, der auf moosigem Grund über die von Unkraut überwucherten Wege dahinritt.

Und die Vögel schwiegen, weil die Wolken tief auf die Baumkronen drückten.

Hin und wieder raschelte eine Schlange im Grase, wand sich zwischen Felsblöcken dahin, verschwand geheimnisvoll unter dorrenden Blättern, die zusammenschrumpften oder zwischen den sattroten Pilzen vor Feuchtigkeit verfaulten.

Nun aber erklangen deutlich Menschenstimmen in der Ferne, und das Pferd spitzte die nervösen Ohren, und Amadis lauschte und suchte zu ergründen, was ihm wohl für eine Begegnung, gut oder böse, bevorstünde.

Dort, wo der Weg abbog, wo Felsen eine rauhe Schlucht umsäumten und der Sonnenschein aus nun freiem Himmel greller in den Wald fiel, die Schatten tiefer dunkelten: dort kam eine Schar von Rittern dahergeritten …

Eine Schar? Nein …

Amadis zählte nur ihrer sieben …

Allein ihre Worte dröhnten gewaltig, mit ihren breiten Rossen versperrten sie den schmalen Weg. Ihre Rüstungen klirrten, und Eisen und Stahl rasselten aneinander, daß es schien, als wären es ihrer mehr, denn es in Wirklichkeit waren.

Amadis, der wohl wußte, wie leicht Unheil und Mißgeschick entstehen konnte, bekreuzigte sich hinter seinem Schild, ritt indes furchtlos weiter.

Und wie die Ritter näher kamen, grüßte er sie höfisch mit seinem Speer und gutem Wort, das er ihnen zurief. Der vorderste, ein Riese, erwiderte den Gruß und fügte hinzu:

»Wohin lenkest du, junger Knabe, durch die Grenzen dieser vielen Königreiche deine Schritte, das laß mich dich fragen? So allein und so jung an Jahren durch die Wälder zu irren: das scheint mir einen Mut zu verraten, der sonst deinen Jahren noch nicht eignet!«

»Ich sage Euch großen Dank, Herr Ritter, für Eure höfliche Frage, die ich gern beantworte,« sprach Amadis. »Ich lenke meine Schritte nach Camelot an den Hof des großen Königs Artus, um ihm Kunde von einem seiner Ritter zu bringen.«

»Zu guter Stunde!« brüllte der Riese verwundert …

Und neben ihm stotterte sein Kumpan: »zzzuggguter Sss–tunde.«

Während ein Dritter hinter ihm in ein lautes Lachen ausbrach …

»Zu guter Stunde!«

Und die vier andern riefen aus:

»Bei Sankt Michael!«

»Bei Sankt Johann!«

»Da hast du es gar glücklich getroffen,« fuhr nunmehr lachend der Riese fort. »Denn wisse wohl, mein lieber Knabe, daß wir sieben Ritter der Tafelrunde sind, und daß wir Mordred und Didonel suchen, die Camelot verlassen haben und nicht wiedergekehrt sind, so daß unser Herr König uns geheißen hat, nach ihnen zu forschen, denn sie sind ihm sehr teuer und er fürchtet für ihr Leben … Ich bin Bohort geheißen und mein Gefährte hier an meiner Seite ist Ywein …«

»Ywein,« wiederholte der Stotterer, und er stotterte diesmal nicht, denn ein w ging ihm stets glatt vom Munde.

»Agloval, bei meiner Treu, bin ich,« rief der Lacher, und aufs neue lachte er laut, während er jovial mit der Hand dem Knaben auf die Schulter schlug.

Und die andern schrien ihre sonoren Namen keltischen Klanges laut heraus, und sie dröhnten machtvoll an den Felswänden der Schlucht entlang und durch den Wald hin:

»Hestor und Melegant, sind wir …«

»Galehot, ich!«

»Und ich Sagremort, wisse das wohl!«

Da lüftete Amadis das Visier seines Helmes und sprach leise und bescheiden:

»Meine hohen Herren und tapferen Barone! Gott im Himmelreich war mir gnädig, daß er mich Euch Sieben auf meinem einsamen Wege begegnen ließ. Ich bin Amadis, der Schildknappe des Herrn Gawein.«

»Des Gawein!« riefen sie alle, und Bohort fuhr heftig fort:

»Künde mir, viellieber Knabe, von unserm Gawein. Denn wir entbehren auch ihn seit langen Tagen, und Lancelot und Gwinebant sind schon zu zweit ausgezogen, um ihn zu suchen.«

»Er weilt bei seinem Schwiegervater, dem König Assentijn,« versicherte Amadis, »doch höret mich noch weiter an, ihr Ritter, denn Geheimnis ist nun nicht mehr vonnöten: ich bin kein Knappe, sondern eine unselige Jungfrau; ich bin Alliene, und Gawein befreite mich, als Mordred und Didonel mich aus der Burg meines Vaters entführt hatten und übel an mir taten.«

Ausrufe der Überraschung und der Entrüstung entfuhren den Rittern des Königs Artus. Sie stiegen alsbald ab, banden die Rosse an die Bäume und ließen sich am Rande der Schlucht rings um Amadis nieder, der ihnen alles erzählte, was sich ereignet hatte: daß Mordred und Didonel zwei Schurken gewesen sein sollten, dünkte sie beinahe undenkbar, doch dann fiel ihnen so manches ein:

»Nie und nie haben sie eine Damoicele aus den Händen anderer schurkischer Ritter befreit,« bemerkte der kleine tapfere Melegant.

Und die andern sechs Kämpen stimmten ihm zu: niemals hatten Mordred und Didonel während all der langen Jahre bedrängte Damoicelen befreit. Deshalb konnten sie auch den Worten dieser als Gaweins Schildknappe vermummten Jungfrau Glauben schenken, und als sie alle wieder aufsaßen, sagte Bohort:

»Jungfrau Alliene oder Amadis, wie Ihr Euch heute nennet, zu sechsen wollen wir in den Hain der Liebe ziehen, davon Ihr sprechet, in die böse Burg, darin bedrängte Damoicelen durch schurkische Ritter, Spießgesellen des Mordred und des Didonel, gefangengehalten werden, und die Sechs werden die Jungfrauen erlösen, deß sollet Ihr gewiß sein. Doch einer von uns wird Euch nach Camelot geleiten, auf daß Ihr dem König Artus die Kunde bringet. Saget mir, welchen von uns Ihr Euch erwählet!«

»Ich weiß es nicht, Herr Bohort,« sagte Amadis.

»Darf ich mich erbieten?« sprach Galehot, »gern würde ich so lieben Schildknappen den meinen nennen, wenn Gawein seiner nicht Not hat, und mit ihm nach Camelot zurückkehren. Ihr, meine lieben Gefährten – o Sagremort, runzele doch nicht so deine Brauen! – gehet alle und befreiet die bedrängten Jungfrauen aus dem Haine der Liebe. Doch saget mir, wollen sie auch wohl wirklich befreit werden?«

Agloval lachte laut ob Galehots Zweifel. Allein Sagremort sagte:

»Er hat recht, Galehot: wollen die Damoicelen wirklich befreit werden oder nicht, das ist die Frage?«

»Rrrrrritt–ttter–pflicht,« stotterte Ywein »ist es, bbbbe–dddrängte … Jjjjungfrauen … zu bbbbbefreien!«

»Gleichviel, ob sie befreit werden wollen oder nicht,« meinte Hestor bescheiden, damit auch er jetzt seine Meinung äußere, und es war beinahe, als entschuldigte er sich.

»So wirst du, Vetter Galehot, mit Amadis nach Camelot zurückkehren,« entschied Bohort, »wo unser Herr allein mit der Königin und mit Keye weilt und ängstlich nach Botschaft ausspäht, und wir sechs andern werden gehen, die Damoicelen zu befreien.«

»Endlich gibt es wieder einmal Damoicelen zu befreien!« rief Melegant in jubelnder Freude.

»Wir gehen Dddddamoi–celen zu bbbbe–freien,« stotterte Ywein; »ob sie bbbbefreit werden wollen oder nnnn–icht!«

»Dies darf man wohl ein kleines Abenteuer nennen,« meinte Hestor, der jeder prahlenden Übertreibung abhold war.

Allein Sagremort sprach:

»Ich weiß eigentlich nicht, ob es an sich überhaupt schon ein Abenteuer zu nennen ist, aber es könnte vielleicht eins werden … ja, ja, das könnte es!«

»Und darum wollen wir alle sechs wieder aufsitzen,« sagte Agloval laut lachend, und zu seinem dröhnenden Lachen erklang seiner Waffen Geklirr, als er seinen gepanzerten Fuß in den breiten Bügel setzte.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Indessen irrten Lancelot und Gwinebant durch andere Wälder, darin sie Gawein zu finden hofften.

»Hätten wir nur Merlin in den letzten Zeiten sehen können! Er würde uns gewiß gesagt haben, wo Gawein wohl zu treffen wäre.«

»Wir haben aber Merlin seit Tagen und Monden nicht mehr gesehen,« entgegnete Gwinebant.

»Er ist sicherlich noch mit seiner drahtlosen Theorie beschäftigt,« meinte Lancelot sinnend.

Gwinebant antwortete nicht. Er wahrte es im Herzen, daß Merlin, ob er gleich als Zauberer unsichtbar blieb, ihn jede Nacht, o Seligkeit, von der schönen Ysabel träumen ließ und von süßem und verliebtem Zusammensein mit ihr, und er fragte sich, der schöne Knabe, ob Merlin wohl auch versuche, diese Träume drahtlos zu senden. Doch er erwiderte dem Lancelot nichts und gab sich lieber schweigend der Erinnerung an den letzten Traum hin: Ysabels Arme hatten sein blondes Haupt umfaßt, Ysabels Mund hatte auf seinem Munde geruht. Das Grübchen in seinem Kinn vertiefte sich schalkhafter …

Dämmerung senkte sich bereits auf die dichten Zweige herab. Und in den Wipfeln schimmerte noch die untergehende Sonne.

Die Ritter hatten keinerlei Begegnung, und Lancelot meinte bereits, daß dieser Tag ein verlorener wäre und daß sie sich nun umsehen müßten, eine Herberge zu finden, denn die fahrenden Ritter waren stets darauf aus, während der Nacht ein Bett, wo nicht eine Burg oder ein Kastell zu finden – am liebsten ein Wunderbett, in dem sie all ihrer Wunden am folgenden Tage genesen waren. Verwundet waren Lancelot und Gwinebant nun zwar nicht, doch sie hatten Hunger, so verliebt und so verträumt sie auch beide sein mochten. Da hielten sie denn beide ein wenig mürrisch Ausschau, ob keine Burg zwischen den Bäumen emporstieg. Allein es schien so, als dehne sich der Wald endlos aus, bis sie plötzlich Ächzen und Stöhnen hörten.

»Das Abenteuer,« sagte Lancelot, und fast andächtig hob er den Finger.

»Das Abenteuer,« wiederholte Gwinebant.

Das Ächzen und Stöhnen kam näher. Das war keine Frauenstimme. Bei einer Biegung des Weges wurde nun ein Karren sichtbar, der von einem armseligen Klepper gezogen und von einem Zwerge geführt wurde. Dem Pferde waren Ohren und Schweif abgeschnitten, und in dem Karren lag ein halbnackter Ritter, an Händen und Füßen gebunden, und er war es, der so ächzte und stöhnte.

»Sieh, der Karren!« rief Gwinebant heftig erschrocken.

»Der Karren!« rief auch Lancelot mit größtem Entsetzen. »Der Karren der Schande! Du, Zwerg, sage mir, wen führst du auf diesem Schandkarren durch die Wälder?«

Der Zwerg grinste. Er war ein Idiot: allein der Ritter auf dem Karren stöhnte immer vernehmlicher.