Xerxes - Louis Couperus - E-Book

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Louis Couperus

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Beschreibung

Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses historischen Romans sahen nicht wenige Kritiker in der Beschreibung der Hauptfigur, des persischen Königs Xerxes, eine Anspielung auf Wilhelm II.

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Xerxes

Louis Couperus

Inhalt:

Louis Couperus – Biografie und Bibliografie

Xerxes

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

XXVI.

XXVII.

XXVIII.

XXIX.

XXX.

XXXI.

XXXII.

XXXIII.

XXXIV.

XXXV.

XXXVI.

XXXVII.

XXXVIII.

XXXIX.

XL.

XLI.

XLII.

XLIII.

XLIV.

XLV.

XLVI.

XLVII.

XLVIII.

XLIX.

L.

LI.

LII.

LIII.

LIV.

LV.

LVI.

LVII.

Einige Jahreszahlen

Xerxes, Louis Couperus

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849607951

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Louis Couperus – Biografie und Bibliografie

Der bedeutendste niederländ. Romanschriftsteller des ausgehenden 19. Jahrhunderts, geb. 10. Juni 1863 im Haag, verstorben am 16. Juli 1923 in De Steeg. Verlebte seine Jugend in Batavia und kehrte dann nach Holland zurück, wo er mit 20 Jahren seine erste Gedichtsammlung: »Een Leut van Vaerzen«, veröffentlichte, der er 1887 eine zweite: »Orchideen«, folgen ließ. Später wandte er sich ganz der Romandichtung zu, seitdem sein erster Roman: »Eline Vere« (1889, 4. Aufl. 1898), der mit kecken Strichen ein Bild des gesellschaftlichen Lebens im Haag entwirft, einen durchschlagenden Erfolg hatte. Ungleich höher stehen seine folgenden Werke: der Roman »Noodlot« (1890, 3. Aufl. 1899; deutsch: »Schicksal«, Stuttg. 1892), die Novelle »Extaze« (1891; deutsch, das. 1895) und die Novellensammlung »Eene Illuzie« (»Eine Illusion«, 1892; z. T. deutsch von E. Otten: »Novellen«, Berl. 1897, 2 Bde.). Dann folgten die Romane »Majesteit« (1893) und »Wereldvrede« (1894; beide deutsch von Raché, Dresd. 1895), »Metamorfoze« (1897), die Märchendichtungen »Psyche« (1897) und »Fidessa« (1899) und weiter die Romane »De stille Kracht« (1899; deutsch, Dresd. 1902), »Langs lijnen van Geleideljjkheid« (I899), »Kleine Zielen« (1901).

Xerxes

I.

Da sprach Xerxes in dem weiten Apadhana zu Susa zu seinen versammelten Großen:

"Perser! Ich wünsche nichts Neues oder den Göttern Mißliebiges zu tun. Ich wünsche nur die Weltmacht zu erringen." Mit dem Zepter machte er eine zierliche Gebärde, um zu unterstreichen, daß er in der Tat sehr sittsam sei und ehrlich Göttern und Menschen gegenüber.

Xerxes, der König der Könige, saß auf seinem erhabenen Throne. Der ruhte auf zwei goldenen Löwen mit wild verzerrten Fratzen, und an den breiten Stufen entlang reihten sich gleichfalls zweimal sechs Löwen aus Gold mit wild verzerrten Fratzen. Xerxes selber stand in der Blüte der männlichen Jugend, und sein gewinnendes Lächeln und sein gewinnender Blick – als müsse er es allen klarmachen, daß die Erlangung der Weltmacht ein Ziel des Ehrgeizes, dem König der Könige, dem König der Perser, wohl gestattet sei – strahlten sonnengleich aus seinem Antlitz in den Saal hinein über alle seine Großen, die sich, wo sie standen, vordrängten bis ganz weit weg, vorn, in der Mitte und weit hinten, zwischen den vor dem Blick verschwindenden Säulen. Viele der geringeren Großen, die weit entfernt standen, vernahmen Xerxes nicht. Dies machte wenig aus. Sie stimmten allezeit mit den einflußreicheren Großen überein, die wohl vernehmen konnten, was der Basileus mit wohltönender Stimme laut verkündete.

Es war im Spätherbst, und die Sonne (von der die Priester fälschlich behaupten, daß sie das Auge des Ormuzd sei) warf ihre schrägen Strahlen in einem glitzernd hellen, stäubenden Puder auf schiefen Glanzbahnen in den Thronsaal durch die tiefen quadratförmigen Fensteröffnungen.

Im Inneren standen dicht gereiht sehr schlanke Säulen, die zunächst in Kelchkapitelle ausliefen und über ihnen noch zu zwei doppelten blaugrauen Marmorvoluten erblühten. Darauf lasteten kniende Stiertorsen aus blaugrauem Marmor, fast zu hoch für die Schlankheit der Säulen, und diese knienden blaugrauen Stiertorsen trugen die ungeheuren, goldgeschmückten Balken der Decke aus Zedernholz.

Dort schwamm ein azurner Schattendunst. Die schiefe Bahn von Sonnenglanz schwebte hinter und um den Fürsten, und wer schlichten Gemütes war, konnte glauben, daß göttliche Genien auf diesem Pfade aus Sonnenstaub dem Himmel entsteigen und Xerxes umschweben würden oder daß er selber nach Beendigung seiner Rede auf ihnen emporwandeln werde, dem Himmel, Ormuzd, seinem Herrn, entgegen, gleich als sei dies ebenso rechtmäßig wie die Erstrebung der Weltmacht. Xerxes war hoch gewachsen. So wie er dort saß, stolz, doch liebenswürdig, mit einem bestrickenden Lächeln, auf seinem von bleckenden Löwen getragenen Thron und angetan mit seinem goldenen Mantel, den persische Königinnen eigenhändig gewebt hatten, machte er Eindruck sogar auf diejenigen Großen, die am weitesten entfernt standen. Die symmetrischen Locken, die aus seiner Tiara über sein bernsteinfarbenes Antlitz fielen, die symmetrischen Locken seines Bartes waren blauschwarz, schwarz mit blauem Widerschein. Liebenswürdig fuhr Xerxes fort:

"Ägypten haben wir schon besiegt. Ägypten ist unser."

Was er sprach, war Wahrheit, und seine Großen wußten es: Er hatte Ägypten soeben besiegt. Ägypten war Persien tributpflichtig gemacht worden, und die Heere des Xerxes waren in diesen Monaten in ihre Heimat zurückgekehrt.

"Seit Kyros dem Astyages die Krone entrissen und den Medern ihr Reich genommen, saßen wir niemals still, weder meine Vorfahren noch ich."

Xerxes schaute sich lächelnd um, und ein leises Beifallsmurmeln wie das Summen vieler Bienen schwirrte durch den Thronsaal.

"Gott möge uns führen!" sprach Xerxes feierlich und fügte erläuternd hinzu:

"Der Gott der Perser!"

Denn ein jedes Volk hatte seinen Gott, sogar seine Götter. Aber Xerxes wollte nachdrücklich darauf hinweisen, daß der Gott der Perser sein Volk geführt habe in seinem Streben nach der Weltmacht, die er beinahe schon erreicht hatte.

Der König der Könige fuhr sehr beredt fort:

"Ihr selber wißt, daß Kyros, daß Kambyses, daß mein unvergeßlicher Vater Dareios unserem Reiche unzählige Provinzen angefügt haben. Ich kann nicht anders handeln, als sie handelten, und muß der Überlieferung meiner Dynastie folgen. Ich muß ein Reich erobern, und zwar ein Reich, das nicht geringer ist als die einstmals besiegten Reiche. Zugleich will ich uns rächen an Persiens Feinden. Ihr werdet mich gewiß verstehen. Ich will über eine Brücke, die ich über den Hellespont werde schlagen lassen, mit meinen Heeren in Griechenland einfallen. Insbesondere die Athener haben sowohl meinen unvergeßlichen Vater wie auch Persien beleidigt. Daher will ich Athen erobern. Übrigens haben die Athener angefangen. Sie sind mit Aristagoras aus Milet – das war ein Sklave von uns, denn Milet gehört uns – nach Sardes gekommen und haben dort die heiligen Hochebenen entweiht und die heiligen Wälder in Brand gesteckt. Es sind Barbaren, obwohl sie uns Barbaren nennen. Als Datis und Artaphemes mit unserem Heere in Griechenland einfielen ... Nun, über Marathon will ich lieber nicht sprechen. Die historische Wahrheit über Marathon ist noch längst nicht bekannt. Aber um auf meinen Ausgangspunkt zurückzukommen: Je mehr ich mich mit dem Gedanken beschäftige, Griechenland zu erobern, um so mehr leuchtet mir dieser einfache Plan ein. Pelops besiedelte den Peloponnes.

Aber er war eigentlich ein Sklave von uns Persern. Denn er war ein Phrygier, und Phrygien gehört uns. Eigentlich gehört die ganze Welt uns. Ich will, daß Persien keine anderen Grenzen habe als den Himmel, und die Sonne soll in meinem Reiche nicht untergehen. Übrigens haben die Magier verheißen, daß einstmals ein Weltreich erstehen werde, in dem die Sonne niemals untergehe. Damit ist natürlich Persien gemeint. Ich will also ganz Europa erobern und werde der König der Könige sein über die ganze Welt. Sind die Griechen erst einmal geschlagen, so wird uns keine Stadt und kein Volk mehr widerstehen. Alle Völker, ob schuldig oder nicht, werden sich unter unser Joch beugen. Ihr werdet mich daher alle sehr verpflichten, Satrapen, wenn ihr tut, was ich euch sage. Nehmt alle in euren Satrapien Aushebungen vor! Wer mir die besten Truppen vorführt, soll aus meiner königlichen Hand das schönste Geschenk empfangen. So setze ich es fest. Aber auf daß es nicht den Anschein habe, als bestimmte ich alles nach eigener Meinung, ersuche ich euch, meine Großen, über diese Frage zu beratschlagen und mir euren sehr geschätzten Rat nicht vorzuenthalten."

Xerxes schaute sich liebenswürdig um, stolz auf seine Geschicklichkeit und sein letztes Wort. Er verstand es, mit seinen Großen umzugehen. Er wußte es sicher, daß seine Satrapen, wenn er sich so liebenswürdig zu ihnen herabbeugte und sie um ihren Rat bat, nicht anders raten würden als seinem Willen gemäß. Indem er mit selbstbewußtem Lächeln rings um sich schaute, völlig umstäubt von dem Goldstaub der sich herabsenkenden Sonnenbahn, gleich als sei er soeben erst dem Himmel entstiegen, merkte Xerxes es wohl, daß hinten in dem ungeheuren Thronsaal die am weitesten entfernt stehenden Großen die Hälse reckten und die Hände an die Ohren legten, um des Königs letztes, bereits verklungenes Wort noch aufzufangen. Aber es kümmerte ihn nicht, daß sie nichts verstanden hatten. Warum waren sie nicht große, sondern nur kleine Große? Warum standen sie soweit entfernt von seinem Thron und von seiner Glorie, zur Seite geschoben von den höchsten Großen? Fast unmerklich hob Xerxes die im Sonnenschein erstrahlenden, von goldenem Mantel umhüllten Schultern.

An seiner Seite hatte sich Mardonios von seinem auf Löwenklauen ruhenden Sessel erhoben. Das war sein Schwager. Der führte wie viele Perser einen sehr griechisch klingenden Namen. Denn so persisch wie Xerxes klingt und klang, so rein griechisch klang und klingt Mardonios.

Mardonios war ein begeisterter junger Feldherr, der Gemahl der Schwester des Xerxes Artozostra. Er hatte bereits gegen die Griechen gekämpft. Er war in Mazedonien gewesen mit seinen unzähligen Mannen, aber seine Flotte war beim Berge Athos durch einen Sturm völlig vernichtet worden: dreihundert Schiffe, mehr als zwanzigtausend Mann. Seeungeheuer hatten die ertrinkende Schiffsmannschaft verschlungen. Mardonios hatte es niemals vergessen können, daß weder seine Begeisterung noch sein Heer völlig triumphiert hatten über Griechen, Sturmgewalt, Umstände und Schicksal. So hatte er Xerxes bei Trinkgelagen im kleinsten Kreise wohl ein wenig beeinflußt, die Worte zu sprechen, die sein Schwager, der König der Könige, soeben gesprochen hatte. Allein Mardonios, dem seine Begeisterung zu schaffen machte und der mehr Feldherr war als Staatsmann, gönnte doch seinem Schwager, dem König der Könige, das ganze Verdienst, die Großen Persiens zu einem neuen Kriege gegen Griechenland anzuspornen. So rief denn Mardonios sehr begeistert aus: "Erhabener Despot! Ihr seid nicht nur der größte der Perser, die bisher die Sonne schauten, sondern auch der größte aller derer, die sie einst schauen werden."

In seiner Begeisterung war Mardonios völlig aufrichtig. Er dachte nicht an Ironie. Er wußte nicht, was Ironie war. Er hatte die Seele eines Kriegsmannes und eines begeisterten Schwärmers. Alles in allem eine schöne Seele. Aber er wußte nichts von seiner schönen Seele. Er sah nur die Größe Persiens und des Königs. Daher rief er begeistert aus:

"Nein! Ihr werdet es nicht dulden, daß uns die Ionier von Europa, dieses niedrige, verächtliche Volk, noch länger beleidigen. Haben wir nicht Saken, Inder, Äthiopier, Assyrer und zahllose andere Völker, die uns niemals etwas zuleide getan hatten, besiegt? Sollten wir uns jetzt nicht dazu entschließen, diese Griechen zu besiegen, die nach Sardes gekommen sind, um unsere heiligen Hochebenen zu entweihen, und die es wagen, unsere heiligen Wälder in Brand zu stecken? Was haben wir zu fürchten? Die Anzahl ihrer Truppen? Ihre Reichtümer? Wir werden größere Heere haben und ansehnlichere Schätze. Außerdem sind sie stets so töricht, auf offener Ebene kämpfen zu wollen. Unsere größeren Heere werden sie also vernichten auf ihrer offenen Ebene, vorausgesetzt, daß sie den Mut haben werden. Denn sie hatten nicht den Mut, mir in Mazedonien eine Schlacht zu liefern, als ich dort die persischen Heere anführte. Wir sind, o König, im Kampfe nicht nur die Mutigsten, sondern auch die Kundigsten. Der Sieg wird unser sein."

Das Beifallsgemurmel durchschwirrte gleich dem Summen vieler Bienen den großen Thronsaal. Aber dies Gemurmel ließ sich nur deshalb hören, weil es am persischen Hofe Sitte war, den Worten des Redners aus Vorsicht beizustimmen. Im Grunde wünschten die Perser – denn sie dachten an Marathon – den Krieg nicht, obwohl Xerxes gesagt hatte, die historische Wahrheit über Marathon sei noch lange nicht bekannt geworden. Sie waren darum sehr erfreut, als von einem zweiten Sessel, der auf goldenen Löwenklauen ruhte, der alte Artabanos, Sohn des Hystaspes und väterlicherseits Oheim des Xerxes, sich erhob. Der Oheim sprach:

"Basileus! Vergleichet, auf daß Ihr reines Gold erkennet, Euer Gold mit anderem Golde! Wäget Eure Empfindungen und die des Mardonios gegen meine ab! Riet ich nicht bereits Eurem Vater, meinem Bruder Dareios, er solle die Skythen nicht unvermutet bekämpfen? Er folgte meinem Rate nicht und verlor in Skythien seine Armeen. Ihr wollt über den Hellespont eine Brücke schlagen, um Eure Heere nach Europa zu führen. Aber setzt den Fall, unsere Feinde würden unsere Flotte vernichten und Eure Brücke über den Hellespont zerstören! Wie wolltet Ihr dann Eure Armeen wieder heimwärts führen? Großer König, seid vorsichtig! Wer groß ist, dem droht am meisten Gefahr. Der Blitz trifft Türme und Elefanten. Allein die Ameisen wimmeln geborgen umher auch im Wüten des Sturmes. Ihr aber, Mardonios, verleumdet die Griechen nicht länger! Niemals verdienten sie Eure Verachtung. Erinnert Euch lieber alles dessen, was Ihr jetzt vergeßt oder was Ihr auf Eure Weise vortragt! Dann werdet Ihr nicht in die Gefahr geraten, über die Perser eine Katastrophe heraufzubeschwören und selbst besiegt auf attischem oder lazedämonischem Boden zu liegen den Geiern und Hunden zur Beute."

So weise Worte bejahrter Vorsicht behagten weder Xerxes noch Mardonios. Allein das Beifallsmurmeln der Großen durchschwirrte den Saal, wie es stets nach Rat oder Rede sich vernehmen ließ. Wußte man doch niemals, was der König beschließen werde. Also war es vorsichtig, in jedem Falle höflich zu summen. Doch Xerxes erhob sich zornig und rief seinem Oheim zu:

"Ihr seid ein Feigling und ein altes Weib! Ich werde Euch hier lassen bei den Frauen. Ich bin der Sohn des Dareios, und zu meinen Vorfahren zähle ich Hystaspes, Arsames, Kyros, Kambyses, Achaimenes. Ich will nicht geringer sein als jene. Ich erstrebe auch nicht mehr und nicht weniger als die Weltmacht. Ich will den Krieg, ich beschließe den Krieg."

Die Großen hörten Xerxes erschrocken an, aber trotzdem murmelte das beifällige Bienengesumm an ihren Barten entlang durch den Thronsaal hindurch. Oheim Artabanos hatte sich mit düster geneigtem Kopf wieder auf seinen Sessel niedergelassen. Nur Mardonios schaute freudig drein wie ein junger Löwe, und Xerxes wandte den versammelten Großen seinen goldenen Rücken zu zum Zeichen, daß die Beratung beendet sei.

Er wandelte nicht durch die schräg herabfallenden Sonnenstrahlen empor zum Palaste des Ormuzd, des großen Gottes, er zog sich in seine Gemächer zurück zufrieden, weil seine Großen den Krieg mit Griechenland beschlossen hatten, und doch nicht ganz zufrieden um des Artabanos willen.

Die Menge der Prinzen, Satrapen und Großen strömte zum Thronsaal hinaus. Deutlicher sah man in dem jetzt leerer werdenden Saal, dessen hundert Säulen auf ihren doppelten Stiertorso-Kapitellen das Zederngebälk der Decke trugen, wie der verlassene Thron mit seinen bleckenden Löwen leuchtete und Strahlen schoß.

Die gleichen Löwen, die Löwen, die einander in laufender Bewegung folgten, die königlichen Löwen, die Symbole höchster Macht und Kraft, wurden jetzt auch in dem langsam sich leerenden Saal mehr und mehr sichtbar auf dem glasierten Ziegelfries, der den ganzen unermeßlichen Thronsaal umgab: die elfenbeinweißen Löwen mit dem Grün und dem Blau ihrer Mähnen und ihrer ungeheuerlich schwersehnigen Schulterblätter, die Löwen mit den vergoldeten, kreisrunden, geöffneten Mäulern und den hoch emporgereckten Schweifen.

Als der Saal ganz leer war, kam hinter einem vergoldeten Gitter Atossa zum Vorschein, die Mutter des Xerxes, eine alte Frau, die kurzsichtig die Augen zusammenkniff und ganz in violette Schleier gehüllt war. Sie sprach zu den drei anderen Königin-Witwen des Dareios, die sie, die Allerhöchste, umringten:

"Jetzt bin ich meines kleinen Krieges gewiß. Ich will athenische und dorische Sklavinnen haben. Es gibt keine besseren als sie."

II.

Sobald sich Xerxes allein befand, ließen die Einsamkeit, die Nacht und die Stille ihn alles anders ansehen, als er es auf seinem Hochsitz im Thronsaal gesehen, während seine liebenswürdig lächelnden Augen auf seinen Satrapen ruhten. Er runzelte die Brauen. Er setzte sich nieder auf dem Rande seines Lagers, das auf goldenen Löwenklauen sich erhob, wiederum wie ein Thron, aber jetzt wie ein Schlafthron, und stützte das bärtige Kinn in die Handfläche. Er dachte nach und fand plötzlich alles sehr beschwerlich. Krieg anfangen gegen die Griechen? Eine Brücke über den Hellespont? Dann die ewigen Stürme, die das Vorgebirge Athos umtobten und einmal schon eine Flotte ihm weggeblasen hatten! In schäumender Wut ballte er seine Faust gegen den ihm nicht günstigen Windgott. Er beschloß plötzlich, keinen Krieg gegen die Griechen zu beginnen, und was er beschloß, war sehr menschlich ob der jähen Veränderlichkeit seiner Entschließungen. Im Nachtgewande und im stillen Schlafraum beschließt ein König der Könige oftmals etwas ganz anderes als in goldenem Staatsmantel und inmitten des Prunkes seiner Königsherrschaft. Aber unzufrieden mit sich selber, mit allem und jedem, mit seiner Mutter und mit Mardonios, war Xerxes dennoch. Daher warf er sich mit einem heftigen Ruck zur Ruhe, wandte seinen Rücken dem Gemache zu und schlief ein. Denn dazumal litt er noch nicht an Schlaflosigkeit. Als er schlief, näherte sich ihm ein Traum. Träume sind Gottheiten. Sie sind kleine Gottheiten, aber Gottheiten sind sie. Es gibt unter ihnen gute und böse. In der Regel sendet Zeus – den die Perser mit den Griechen, jedoch anders verehren – die guten Träume unter Götter, Helden und Menschen aus. War der Traum, der Xerxes nahte, durch Zeus gesandt oder durch Ahriman? Die Geschichte verzeichnet es nicht. Sie verzeichnet nur, daß der Traum Xerxes nahte als ein großer, leuchtender, geflügelter Kämpfer, der zum Könige sprach:

"Wie, Xerxes? Wollt Ihr plötzlich keinen Krieg mehr, nachdem Ihr Eure Satrapen die Jahrgänge habt aufrufen lassen? Woher dieser Kleinmut? Ich sage Euch, Ihr müßt den Krieg beschließen."

Unwillig und mit einem Schrecken erwachte Xerxes. Krieg? Nein! Er wollte keinen Krieg. Er verfluchte den törichten Traum, drehte seinen Rücken wiederum dem Gemache zu und schlief ein. Am folgenden Tage versammelte er wiederum seine Satrapen um sich. Manche von ihnen waren bereits auf dem Wege nach ihren Satrapien wegen der Aushebungen und kehrten, von eilenden Botschaften eingeholt und verständigt, mit Wagen und Pferden und Gefolge wieder um. Sie betraten den Thronsaal gerade in dem Augenblick, als Xerxes berichtete, daß er anderen Sinnes geworden sei. Xerxes sprach in einer sehr allgemeingültig gehaltenen Rede über die Vorsicht, die er künftighin zu beobachten wünsche. Er sprach gut und wohlgefällig. Er hörte sich selber gern über die Vorsicht reden. Die noch gerade rechtzeitig zurückgekehrten Satrapen begriffen nicht sogleich und verstanden auch nicht, weil sie sehr weit entfernt standen. Sie legten die Hände muschelförmig an die Ohren und versuchten so des Xerxes sehr zierliche Sätze über die Vorsicht aufzufangen. Dann hörten sie, wie Xerxes sich entschuldigte. Um des rednerischen Eindrucks willen tat er dies mit einer etwas weinerlichen Stimme. Seinem Oheim Artabanos bot er seine Entschuldigung an, weil er ihn gestern ein altes Weib genannt. Er habe das nicht böse gemeint, sagte Xerxes, und verbreitete sich über die verschiedenen Sprachschattierungen des Ausdrucks "Altes Weib" im Persischen. Dies rührte Oheim Artabanos. Seine Augen wurden feucht. Von seinem Sessel aus machte er eine flehentliche Gebärde zu seinem königlichen Neffen, er möge so nicht fortfahren, so nicht. Xerxes schloß mit demselben Rednerschwung, der sich sehr schön ausmachte:

"Ich wünsche also keinen Krieg mit den Griechen. Kehrt alle zurück in eure Heimat und bleibt ruhig, Ihr Herren!" Darauf wandte er ihnen seinen Rücken zu, während alle vorwärts zur Erde niederfielen vor Freude und Ehrfurcht.

III.

Allein Mardonios freute sich nicht. Er war sehr willensstark und empfand das Bedürfnis nach Bewegung. Er langweilte sich am Hofe zu Susa und war ein leidenschaftlicher Anhänger eines Krieges mit Griechenland. Das war nun einmal ein Gedanke der Atossa: ein kleiner Krieg mit Griechenland, um athenische und dorische Sklavinnen zu erhalten. So kam es denn, daß Mardonios an diesem Abend Kopfschmerz vorschützte und nicht zum Prunkbankett erschien. Er stritt sich darüber mit seiner Frau Artozostra. Er ging sogar so weit, daß er ihr, des Xerxes Schwester, sagte, ihr Name sei nicht wohllautend. Artozostra! Er sprach den Namen absichtlich verächtlich aus. Sie ließ sich das nicht gefallen und sagte ihm ohne Umschweife, sein Name sei für einen Perser viel zu griechisch. Mardonios! Sie schleuderte ihm seinen griechischen Namen ins Gesicht. Er wurde sehr erregt, behauptete, daß es noch mehr Prinzen von Geblüt gebe, die griechisch klingende Namen trügen. Er weinte vor Zorn. Als sie ihn weinen sah, begann auch sie zu weinen und umarmte ihn. Er umarmte sie und gestattete ihr, daß sie allein zum Prunkbankett gehe. Xerxes thronte mit der Königin Amestris diesmal auf einem Speisethron und war sehr verwundert, daß Artozostra ihren Gemahl Mardonios entschuldigte. Er habe Kopfschmerz, sagte sie. Doch Xerxes ließ sich das nicht einreden.

In dieser Nacht aber, als Xerxes schlief, näherte sich ihm wiederum der Traum.

"Sohn des Dareios!" sprach der Traum. "Höre, was geschehen wird, so du meinen Rat nicht befolgst und zum Kampf gegen die Griechen ausziehst! Du wirst zusammenschrumpfen und so klein, so klein werden." In seinem Traum sah Xerxes, wie der Traum ironisch mit der Hand andeutete, wie klein, wie jämmerlich klein Xerxes zusammenschrumpfen werde, kaum nur noch ein wenig über den Boden erhaben.

Mit einem Schrecken erwachte Xerxes. Der Schweiß rann ihm von den Schläfen.

"Oheim!" rief er. "Oheim Artabanos!"

Aus einem angrenzenden Gemache stürzte die Königin Amestris herein, aus einem anderen Atossa, die Mutter.

"Ich will den Oheim!" rief Xerxes unwillig und mit hoher Stimme.

Aus anderen Gemächern stürzten zwischen Wachen und Kammerfrauen Artozostra und Mardonios herbei.

"Ich will den Oheim Artabanos!" rief Xerxes.

Er selbst warf sich in des Oheims Arme. Artabanos führte ihn mit sich in sein eigenes Gemach.

"Oheim!" rief Xerxes aus. "Von neuem hat sich mir der Traum genähert, zum zweitenmal. Der Traum hat mir verheißen, daß ich so klein sein werde" – Xerxes maß mit der Hand den Abstand seiner zukünftigen Kleinheit vom Boden aus – , "wenn ich Griechenland nicht den Krieg erkläre." Oheim Artabanos erschrak heftig. Eine solche Kleinheit, wenn man von ihr geträumt, war Symbol, Symbol des bevorstehenden Unterganges des persischen Reiches. Was tun? "Oheim!" flüsterte Xerxes und preßte schaudernd seinen blauschwarzen Bart gegen des Oheims grauen Bart. "Höre! Doch wir wollen flüstern, auf daß uns der Traum nicht belausche. Wir müssen die Bedeutung des Traums erforschen und ihn auf die Probe stellen. Ich will wissen, wer mir den Traum sendet, ob Zeus, Ormuzd oder Ahriman. Daher mußt du dich in der kommenden Nacht erst in meinen Prunkmantel hüllen und dann in mein Nachtgewand und dich in meinem Bett zur Ruhe legen. Erscheint dir der Traum und befiehlt er dir das Gleiche wie mir, so ist der Traum von den Göttern gesandt. Dann werde ich wissen, was ich zu tun habe."

Oheim Artabanos bat, ihn zu entschuldigen. Er sei, sagte er, nicht wert, die Gewänder seines königlichen Neffen anzulegen und auf der Lagerstatt eines Königs zu ruhen. Allein Xerxes bestand großmütig darauf. Flüsternd gab der Oheim nach. Denn das Mißtrauen des Traumes durfte nicht geweckt werden.

So schlichen denn am folgenden Abend Xerxes und Oheim Artabanos geheimnisvoll auf den Zehen davon, da dieser des Königs Prunkgewand anlegen sollte. Dann ließ Xerxes den Oheim allein. Der Oheim drang bis in des Xerxes Schlafgemach und entkleidete sich, gleich als sei er der König. Er legte sich zur Ruhe, gleich als sei er der König.

Als er schlief, näherte sich ihm wirklich der Traum. Aber der Traum hatte wohl bemerkt, daß der Schlafende nicht Xerxes war.

"Artabanos!" rief der Traum. "Warum hast du Xerxes davon zurückgehalten, Griechenland den Krieg zu erklären?"

Artabanos erschrak heftig, eilte auf Xerxes zu und rief, während sie die Nachtgewänder austauschten:

"Königlicher Neffe! Der Traum ist von den großen Göttern gesandt. Es ist kein Zweifel daran. Ich riet Euch ab von dem Kriege, weil ich mich an Kyros erinnerte, den die Massageten besiegten, an Kambyses, den die Äthiopier besiegten, und an Euren unvergeßlichen Vater Dareios, den die Skythen besiegten, und dachte, es werde am besten sein, ruhig zu bleiben und das Schicksal nicht herauszufordern. Aber es ist doch besser, das Schicksal herauszufordern. Befiehl deinen Satrapen, alle Jahrgänge aufzurufen, und zieh aus zum Kampfe!"

"Der Gott der Perser wird mit uns sein", rief Xerxes.

In jener Nacht träumte er wiederum. Als er am nächsten Morgen die Magier sah, die sehr streng einer nach dem andern – dreimal neun an der Zahl – den langen Säulenportikus des Palastes durchschritten auf dem Wege zu ihrem Versammlungssaal, bemerkte, er, daß sie verstimmt waren. Er begriff, warum. Die Magier waren verstimmt, weil der König der Könige sie nicht nach der Bedeutung seines ersten und zweiten Traumes und nach dem Traum des Artabanos befragt hatte. Sie schritten vorwärts und taten, als sähen sie den König nicht.

Allein Xerxes rief liebenswürdig:

"Magier!"

Sie wandten sich alle gleichzeitig um. Ihre spitzen Mützen starrten wie Hörner empor. Ihre blauschwarzen Bärte waren symmetrisch gelockt. Sie schienen alle gleich alt, gleich würdig, gleich groß, gleich weise. Alle glichen einander in ihrer grauenerregenden Erscheinung.

"Magier!" sprach Xerxes lächelnd. "Sagt mir, was mein Traum der letzten Nacht zu bedeuten hat!"

Er erzählte seinen Traum. Ein Olivenzweig habe sein Haupt umkränzt und sich dann mit Zweigen über die ganze Welt ausgebreitet. Dann sei der Kranz verschwunden.

Die Magier – dreimal neun an der Zahl – riefen alle, ohne sich auch nur mit den Blicken zu verständigen, gleichzeitig aus:

"Die Weltmacht!"

Xerxes erschrak bei dem Klang ihrer Stimmen. Es war, als seien ihre siebenundzwanzig Stimmen eine einzige Stimme. Während Xerxes noch erschrocken dastand, wandten die Magier ihre mit spitzen Mützen bedeckten Häupter ab und schritten vorwärts nach dem Versammlungssaal. Der war dunkel. Völlig eingeschlossen war der Magiersaal in der Masse der Palastgebäude und dunkel. Daher sah auch keiner der Magier, daß einem jeden von ihnen ein bitteres Grinsen um den gelockten Bart spielte. Schweigend betraten sie den dunklen Saal und lächelten.

Der Saal war so weit wie die Nacht, eine dunkle Nacht, und es stand darin weder Bildnis noch Altar. Denn die Perser stifteten ihren Göttern weder Altäre noch Bildnisse, nicht einmal Tempel, die dem Volke zugänglich gewesen wären. Doch sobald die Magier ihr eigenes nachtweites und dunkles Heiligtum betraten, ward es drinnen wie durch ein Wunder hell von geheimnisvollem Lichte.

Da gewahrten die Magier gegenseitig ihr Grinsen.

Sie erschraken heftig und warfen sich zur Erde vor dem großen runden Auge des Ormuzd, das am Ende des Heiligtums strahlte.

Sie riefen alle mit einer Stimme:

"Gnade für Persien, o Gott!"

IV.

Die Perser machten den Griechen zum Vorwurf, daß sie Barbaren seien, und die Griechen machten den Persern das gleiche zum Vorwurf. Die Griechen nannten sogar einen jeden, der nicht Grieche war, einen Barbaren, mit besonderer Betonung. Vielleicht hatten sie beide recht, vielleicht keiner von beiden. In jedem Falle waren die Griechen ein junges, kräftiges Volk, das im Aufblühen begriffen war, während die Perser nach drei Menschenaltern bereits bei der Überfeinerung angelangt waren. Vermutlich konnten sie einander aus diesem Grunde nicht verstehen. Ein Grieche nahm Anstoß an der Kleidung, dem Benehmen, dem Glauben und den Sitten eines Persers. Dem Perser war dies alles an dem Griechen zuwider. Es war keine Freundschaft möglich. Dazu kam noch, daß Xerxes die Griechen verachtete. Auch die Magier verachteten die Griechen wie ein minderwertiges Volk, das seinen Göttern dem Volk zugängliche Tempel stiftete mit Götterbildnissen darin. Wohl opferten die Magier dem Zeus, doch auf dem Gipfel der höchsten Berge, zwischen Donner und Blitz, und auch der Sonne, dem Monde, der Erde, dem Feuer, dem Wasser und den Winden. Allein Persiens Lieblingsgott war Mithra. Der war Mann und Weib zugleich, Gott und Göttin, schaffende und empfangende Kraft, aller Menschheit verständlich.

Seit Kyros ganz Asien besiegt hatte – das lag nicht viel mehr als ein halbes Jahrhundert zurück – herrschten die Perser über eine große Anzahl von Völkern. Mit Kyros war Persien jung und kräftig gewesen wie Griechenland jetzt. Doch sobald die persischen Könige über so viel Völker herrschten, begann die persische Überfeinerung. Das ist das Gesetz vom Blühen, Wachsen und Welken. Allein Xerxes sah die Sache nicht so an und ahnte nichts von seiner Überfeinerung. Er haßte die Griechen und hatte nach seinen Träumen den Krieg beschlossen.

Vier Jahre lang bereitete Xerxes sich vor. In dem ganzen riesengroßen Reiche wurden unter allen unterworfenen Völkern Aushebungen vorgenommen, überall wurden Vorräte angesammelt.

Doch zwei Schwierigkeiten beschäftigten Xerxes vornehmlich. Das waren der Hellespont und der Berg Athos. Xerxes, der bereits beschlossen hatte, über den Hellespont eine Schiffbrücke, schlagen zu lassen, bestimmte jetzt, daß der Berg Athos durchbohrt werden solle, auf daß seine Flotte durch einen sichern Durchlaß in die griechischen Gewässer gelangen könne, ohne Gefahr zu laufen, wiederum in der Gegend des Vorgebirges von den griechischen Windgöttern, den unversöhnlichen, weggeblasen und vernichtet zu werden. Auf allen Plätzen und Straßen aller persischen Städte, insbesondere in Susa und Sardes, drängten sich während der ersten Monate der Kriegsvorbereitungen die Perser vor riesengroßen Anschlägen, auf denen in zierlichen Buchstaben des Königs Brief an den Berg Athos in Keilschrift abgeschrieben stand.

"Göttlicher Athos, du, der du deinen Gipfel in die Wolken reckst, fordere mich, den König der Könige, nicht länger heraus! Lege meinen Baumeistern und meinen Sklaven nicht allzu unwillige Felsblöcke in den Weg! Sonst werde ich dich abtragen und als Schutt in das Meer werfen lassen."

Der Brief selber wurde nach dem Berge gebracht durch die königliche Post und in eine Felswand des Athos eingeritzt, auf daß der Berg niemals geltend machen könne, er habe des Xerxes Brief nicht erhalten.

Aus dem Hafen von Elaius auf dem thrakischen Chersonnes liefen ganze Geschwader aus, Triremen auf Triremen, um den Berg Athos zu durchbohren. Jener Berg bildet ein ungeheures, heiliges, berühmtes Vorgebirge, das majestätisch in das Meer hineinragt wie ein Schiff der Titanen, das zu Stein und Fels geworden. Gegenüber dem Berge liegen Städte und Dörfer halb versunken in Klüften und Tälern. Eine Landenge von zwanzig bis dreißig Stadien Breite verbindet das Vorgebirge mit dem Festlande. Diese Landenge ist ein Tal, und in dem Tal liegt die Stadt Sana.

Zehntausende von Kriegsknechten langten in Sana an und überschwemmten die kleine, friedliche griechische Stadt. Bubares und Artachaies hießen die Feldherren, die an ihre Spitze gestellt waren. Die Zehntausende von Kriegsknechten wurden mit der Peitsche gedrillt. So erforderte es die persische Manneszucht. Artachaies, der Achaemenide, war ein Riese. Das machte bei einem Feldherrn immer großen Eindruck. Die Perser bewunderten stets körperliche Größe und alles Kolossale. Artachaies maß fünf Königsellenbogenlängen weniger vier Daumen, das ist so viel wie sieben Fuß und etwas darüber. Seine Stimme war zum Erschrecken. Wenn er die Stimme erhob, erschraken seine Offiziere, die Mechaniker und sogar die Unteroffiziere, die selber brüllend die Peitschen über den Rücken der Kriegsknechte schwangen. Aber die Arbeit machte unter dem Drill und dem Brüllen gute Fortschritte. Die vereinigten persischen Völker erhielten jedes die Aufgabe, ein Stück des Athos zu durchbohren. Alles war gut verteilt. Mit Seilen und Stahltauen maß ein jedes Volk sich sein Teil ab. Man begann bei der Stadt Sana, und während die Peitschen klatschten, hieben und bohrten und gruben die Mannschaften von der Bauabteilung des persischen Heeres. Der Berg Athos spaltete sich sehr langsam, aber er spaltete sich. Von dem einen Meer bis zu dem andern Meer mußte sich der Berg spalten zur Strafe, weil die griechischen Windgötter, die stets über seinem Gipfel umherwirbelten, vor einigen Jahren des Mardonios Flotte weggeblasen hatten. Die Seeungeheuer, die derzeit die ertrinkenden Seeleute verschlungen hatten, kamen aus den wütenden Wellen hervor, um zu schauen. Sie blickten verstohlen und mit großen Augen nach dem Durchstich und fürchteten, daß, so dieser wirklich den Athos durchbohrte, kein Perser ihnen mehr zum Opfer fallen werde. Die Perser opferten an jedem Morgen den bösen Winden und den Seeungeheuern aus Vorsicht sogar jetzt, während die Arbeit gute Fortschritte machte. Der Durchstich vertiefte sich bereits. Unter den Füßen der zu unterst grabenden und der am tiefsten stehenden Steinhauer sprudelte schon das Wasser empor. Diese Grabenden und Aushauenden schleppten die Felsblöcke empor zu denen, die über ihnen auf Leitern standen. Von Leiter zu stets höherer Leiter, die mit eiserner Klammer in den Felsen befestigt war, stiegen die Felsblöcke in den Händen der sich zureichenden Männer – der Zehntausende – empor, und die Peitschen klatschten. Der gemarterte Fels ächzte und stöhnte. Hacken und Hämmer rasten mit wilder Musik von Eisen auf Fels zwischen den bereits sich voneinander entfernenden Wänden des Durchstichs. Körbe voll Schutt und Sand stiegen endlos an dem Hebewerk empor. Hoch oben über dem Gipfel des Berges links und rechts schwankten die Felsblöcke, der Schutt und der Sand. Die Löwen, die in den Höhlen hausten – damals gab es noch Löwen in Europa – entflohen oder sprangen ratlos in das Meer. Die Seeungeheuer verschlangen sie. Der Athos spaltete sich, und Boten meldeten dem Xerxes, der sich bereit machte, von Susa nach Sardes zu gehen, daß sich der Athos spalte. Er schickte Halsketten und Armbänder, die die Auszeichnungen der Perser darstellten, an Artachaies und Bubares. Inzwischen stürzten hin und wieder die Uferwände des Durchstichs zusammen, wenn unter den klatschenden Peitschen die Hacken und die Hämmer zu viel gehauen und gehämmert hatten. Die Felsblöcke stürzten donnernd in die Tiefe über sich hoch auftürmende Leitern und schuftende Sklaven. Dann gab es ein Fluchen und ein Geißeln und ein Wiederaufräumen und Emporreichen auf neu errichteten Leitern. Artachaies, der Riese, ritt auf seinem riesengroßen Rosse hoch oben über die felsigen Bergkämme, um die Arbeit zu übersehen. Um seine ungeheuerlich starken Arme ringelten sich die vielen Armbänder, die ihm der König gesandt hatte.

Geier flogen hoch über dem Werk, begehrlich nach den Leichen, die unter den Trümmern begraben waren und nun mit den eingestürzten Felsen emporgereicht wurden von Leiter zu Leiter, um dann über das Gebirge hinweg mit Sand und Schutt hinabgeschleudert zu werden. In der Nacht, wenn der Mond durch die Wolken glitt und die Ruhe über den Bergen lag, kreisten sie gleich geflügelten Larven über den Leichen und räumten nach persischem Brauch mit ihnen auf. Tagsüber war kaum ein übler Geruch bemerkbar. Die Phönikier, die in allem sehr geschickt sind, waren es auch bei diesem Werk. Sie gruben den Teil, den man ihnen zugewiesen hatte, breiter aus, als es erforderlich war, und verengten ihren Durchstich nach der Tiefe hin, so daß sie Einstürze vermieden.

Bubares, der Feldherr, unter dem ein Teil dieser Bauabteilung stand, war ein sarkastischer Geist. Während er die Kriegsknechte unter den Peitschen der Unteroffiziere arbeiten und schuften sah – er selber zu Pferde neben der riesigen Gestalt des Artachaies, der gleichfalls zu Pferde war – lächelte er und zuckte die Achseln und flüsterte, während er sich zu Artachaies hinabneigte:

"Ein tolles Werk! Die Schiffe unserer Flotte könnten sehr wohl von ihren Bemannungen über den Isthmos getragen werden. Dann wäre dieser Durchstich überflüssig."

Allein Artachaies runzelte finster und ehrfurchtgebietend die Brauen und sprach:

"Ein Durchstich ist besser, und dieser Durchstich wird so breit werden, daß zwei Triremen nebeneinander darauf werden fahren können."

"Ein Durchstich ist wohl besser, gewiß", gab Bubares sogleich zu.

Denn wo es auf Worte ankam, gab Bubares Artachaies immer sogleich nach. Nur sein Lächeln wurde schadenfroher.

Artachaies sah das schadenfrohe Lächeln nicht und bewegte die starken Arme, so daß seine vielen Armbänder laut klirrten.

Bubares schob die seinen etwas höher hinauf, damit sie nicht klirren sollten, und rechnete aus, daß er, wenn der Durchstich erst beendet sei, reich genug sein werde, um ...

V.

Währenddessen war Xerxes mit einigen Heeren aus Kappadokien auf dem Wege nach Sardes. Wer war der Satrap, der aus der königlichen Hand das schönste Geschenk für die glänzendsten Truppen empfangen hatte? Die Geschichte berichtet es nicht und braucht es vermutlich auch nicht zu berichten. Xerxes langte in Kelainai in Phrygien an. Die Heere lagerten sich draußen. Xerxes nahm die Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augenschein. Er neigte sich auf dem Marktplatz über das breite marmorne Becken, aus dem der Katarrhaktes entspringt; das ist der Fluß, der sich in den berühmten Maeander ergießt. Als er die Flußquelle gesehen hatte – an der er nichts Besonderes fand, obgleich es merkwürdig war, daß auf einem Marktplatz ein Fluß entsprang – führte man ihn in den Apollotempel. Dort wurde der Weinschlauch verwahrt, der aus der Haut des geschundenen Marsyas gefertigt war, des Silen, der sich in Sangeskunst und Flötenspiel mit Apollo hatte messen wollen. Es war ungerecht, daß Apollo ihn schinden ließ. Denn Marsyas, Sohn des Hyagnis, der in Kelainai die Flöte erfunden hatte, spielte das Instrument seines Vaters besser als der Gott, dem die Flöte wohl stets minderwertiger erschien als die Leier. Xerxes fand den Weinschlauch ebensowenig reizvoll wie die Quelle des Katarrhaktes und sprach:

"Ein unbedeutendes Städtchen dieses Kelainai!"

Mißmutig schaute er sich um. Es war mitten am Tage, und er hatte nichts zu tun. Der Palast, den er bezogen, war ein altes, verfallenes Gebäude, das die persischen Architekten und Tapezierer in wenigen Tagen zur Not hatten bewohnbar machen können. Man hatte es ausgewählt, weil es das größte war und das Gefolge des Königs untergebracht werden mußte. Xerxes wollte gerade seine um ihn versammelten Offiziere fragen, ob denn in diesem Nest wirklich nichts mehr zu sehen sei, als sich über den Marktplatz ein Zug näherte: Kamele, Maulesel, ein Tragstuhl.

"Wer kommt da?" fragte Xerxes erstaunt.

Die Umstehenden flüsterten es ehrfurchtsvoll den Offizieren des Xerxes zu. Die sagten zu Xerxes:

"Großer Despot! Es ist Pythios, der Lydier. Er ist nach Euch der reichste Mann der Welt und schenkte Dareios, Eurem Vater, die goldene Platane und den goldenen Weinstock, die sich in Eurem Palaste zu Susa befinden."

Xerxes war sehr gespannt. Pythios, der ausgestiegen war, näherte sich, von zahlreichem Gefolge umgeben, dem König der Könige und verneigte sich sehr tief, während er Arme und Hände von sich streckte, und alle anderen fielen vor Xerxes zur Erde nieder auf dem Marktplatz zu Kelainai, indem sie Arme und Hände ausstreckten.

Xerxes fragte Pythios, nachdem ein paar höfliche Worte ausgetauscht waren, wie reich er wohl sei. Dies erscheint in der Meldung der Geschichte wie eine Unbescheidenheit. Allein der Maßstab des Benehmens, auch des eines Königs, war zu jener Zeit ein anderer. In des Xerxes Frage lag nichts anderes als liebenswürdige Teilnahme.

Pythios faßte es auch so auf und freute sich über die Frage, die ihn ganz von selbst dahin brachte, wohin er gelangen wollte. Er sagte:

"König der Könige! Warum soll ich es verschweigen und behaupten, ich hätte meine Schätze nicht gezählt? Ich will Euch sagen, wieviel ich besitze. Denn ich habe sie soeben gezählt. Sobald ich vernommen, daß Ihr zur griechischen See kommen würdet, habe ich meine Schätze gezählt, um sie Euch alle als Kriegstribut zu geben. Ich zählte zweitausend Silbertalente und vier Millionen weniger siebentausend goldene Statere, die wir nach dem darauf befindlichen Bild des Dareios Dareiken nennen. Ich biete Euch diese Schätze an für die Kriegskasse, Despot."

Xerxes war zufrieden und fühlte sich geschmeichelt.

"Aber Ihr selber? Wovon werdet Ihr leben, Pythios?"

"Ich habe, Herr," sprach der Lydier bescheiden, "meine Besitzungen, die meine Sklaven bearbeiten."