Die Valentines – verdammt berühmt. Happy Girl - Holly Smale - E-Book
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Die Valentines – verdammt berühmt. Happy Girl E-Book

Holly Smale

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Beschreibung

Die Schauspielerfamilie Valentine ist reich und berühmt, und die Schwestern Hope, Faith und Mercy sind die glücklichsten Menschen auf der Welt – oder? Hope weiß es genau: Bald wird sie ein Star, genau wie ihre Mutter, ihr Vater und ihre Geschwister. Es liegt ihr einfach im Blut. Und bis es so weit ist, träumt sie sich ihr Leben einfach selbst zurecht, ganz wie im Drehbuch. Mit romantischem Licht, toller Musik und natürlich dem schönsten und nettesten Jungen der Welt in der männlichen Hauptrolle. Denn Filme sind wie das Leben. Nur besser. Man kann die wunderbaren Augenblicke immer wieder erleben. Und die Teile, die einem nicht gefallen, schneidet man einfach raus. Doch das Leben hält sich blöderweise nicht an diese Regel. Und die Liebe erst recht nicht … Auftakt der neuen Trilogie von Holly Smale (»Geek Girl«) über die berühmten Valentines Hope, Faith und Mercy – drei Schwestern, drei Perspektiven, ein gemeinsames Schicksal. Dies ist Hopes Geschichte. Alle Bände der Trilogie: Band 1: Happy Girl Band 2: Perfect Girl Band 3: Rebel Girl

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Seitenzahl: 399

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Holly Smale

Die Valentines – verdammt berühmt

Happy Girl Band 1

Roman

Aus dem Englischen von Petra Koob-Pawis

FISCHER E-Books

Inhalt

[Widmung]1234567891011121314151617181920212223242526272829303132333435363738394041424344454647484950515253545556DanksagungenDie Geschichte der Valentine-Schwestern [...]Aus dem EnglischenMeine kleine Schwester schläft [...]»Einen Moment!«, rufe ich [...]

Für Autumn.

Es ist eine Doggy-dog-Welt, und das wird sie auch immer bleiben.

1

Einblendung: Regent’s Park, London, ein Frühlingsmorgen

HOPE, fünfzehn, von der Sonne ins Gegenlicht getaucht. Ihr blaues Seidenkleid flattert im Wind. Glänzende Haare, makellose Haltung – man sieht auf den ersten Blick, dass sie der Star des Films ist. Vor ihr steht ein HÜBSCHER JUNGE.

JUNGE(mit verzaubertem Blick)

Wir sind uns noch nie zuvor begegnet, aber es kommt mir vor, als würden wir uns kennen.

HOPE

Genau das habe ich mir auch gedacht.

JUNGE(mit wachsender Faszination)

Glaubst du an Schicksal, wunderschöne Fremde?

HOPE(schüchtern)

Natürlich. Nichts geschieht ohne Grund.

JUNGE

Dann … bist du vielleicht mein Grund?

JUNGE streckt die Hand aus. Melodie von »Teddy Bears Picnic« setzt ein.

HOPE

Das alles passiert so TRÖT schnell …

JUNGE

Und doch haben wir unser ganzes Leben darauf gewartet. Komm, nimm meine TRÖT Hand und lass uns gemeinsam – TRÖT, TRÖT, TRÖT, TRÖT

TRÖÖÖÖÖÖT.

Blinzelnd starre ich auf die ausgestreckte Hand.

»Mit Topping obendrauf?«, fragt der JUNGE und gähnt mit geschlossenem Mund. »Wir haben Schokosoße und Schokostreusel. Oder Erdbeersoße und Nüsse, aber die sind extra. Außerdem Butterscotch oder Toffee. Schokoraspel sind ebenfalls extra, genauso wie Toffeestückchen und –«

Ich seufze. Er kriegt das Skript einfach nicht auf die Reihe.

Vor ein paar Sekunden war ich noch die romantische Heldin, die mit ihrem Seelenverwandten alles hinter sich lassen will – jetzt stehe ich einem Willi-Wonka-Verkäufer gegenüber. Wie immer ziehe ich meine Version eindeutig vor.

»Ja, bitte …« Ich lächle liebenswürdig, als hinter mir schon wieder das Auto hupt. »Also … egal. Für mich bitte ohne alles.«

»Das macht dann ein Pfund dreißig.«

Mit einem strahlenden Lächeln, das meine Grübchen voll zur Geltung bringt, reiche ich ihm das Geld und werfe ihm – dank meiner überragenden Schauspielkünste – über die Theke hinweg einen Blick zu, der nicht nur komplexe Gefühle widerspiegelt, sondern vom Fleck weg einen Oscar verdient hätte.

Der JUNGE starrt mich an. »Es fehlen zehn Pence.«

»Ups!« Bei all dem Wimpernklimpern habe ich wohl nicht richtig hingeschaut. »Hier, bitte.«

Unsere Fingerspitzen berühren sich leicht. Ich betrachte sie und warte auf den Blitz oder die sprühenden Funken, vielleicht sogar einen überirdischen Schwebezustand. Aus der Nähe sieht man die dünnen schwarzen Ränder unter den Fingernägeln des Jungen und die roten Pusteln auf seinen Wangen, außerdem ist seine Schürze mit Schokolade verschmiert. Ich trage eine schwarze Jeans und ein neonfarbenes bauchfreies Oberteil, obwohl es eindeutig nach Regen aussieht. Tja, die Realität schmeichelt weder ihm noch mir.

Aber da ist definitiv Potenzial vorhanden. Der Film muss eine neue Wendung nehmen, und zwar schnell.

»Also«, sage ich, als es erneut laut hupt. »Was ist dein Sternzei–«

»HOPE! WAS MACHST DU DA? WOLLTEST DU NICHT AUFS KLO? HAST DU VERSTOPFUNG ODER WAS? STEIG SOFORT EIN, SONST FAHREN WIR OHNE DICH LOS!«

Okay, das Wort Klo in meiner großen Eröffnungsszene geht gar nicht, und Verstopfung muss auch gestrichen werden.

Der Blick des Jungen gleitet über meine Schulter hinweg. Seine Augen werden kugelrund, als er den am Straßenrand parkenden Luxusschlitten entdeckt.

»Whoa!«, ruft er wie elektrisiert. »Ist das ein –«

»Jep.« Ich trete einen Schritt zurück. »Allerbesten Dank für dieses Eis, gütiger Fremdling. Ich werde es für immer in Ehren halten – zumindest so lange, bis es geschmolzen oder aufgeschleckt ist.«

Unter den bewundernden Blicken des Jungen löse ich mit einer schnellen Handbewegung meinen zerzausten Haarknoten und schüttle unnachahmlich elegant meine schwarzen Locken.

Dann werfe ich einen hinreißenden Blick über die Schulter.

HOPE

Ich fürchte, ich muss gehen, aber unsere kurze Begegnung wird für alle Zeiten in meinem Herzen bleiben.

»Bye!«, rufe ich und winke fröhlich zum Abschied.

JUNGE

Auf Wiedersehen, Mädchen meiner Träume. Eiscreme zu verkaufen wird für mich nie wieder so sein wie früher.

Der Eiscremejunge runzelt die Stirn und schaut mich verdattert an. »Bye?«

Wusch! Ein ungeahntes Glücksgefühl überwältigt mich. Beim nächsten Besuch wird er mich wiedererkennen, mich nach meinem Namen fragen und mir seine ewige Liebe erklären und so weiter.

Der hier ist definitiv DER EINE.

»HOPE, DU DUMME NUSS!«, ruft meine Schwester charmant wie immer. »STEIG ENDLICH EIN!«

»Komme!«, rufe ich zurück.

Entzückt über den vielversprechenden Auftakt an diesem Morgen eile ich zum Auto – in meinem flatternden blauen Kleid, das es nicht gibt.

Szene wird ausgeblendet.

2

Krebs: 22. Juni – 22. Juli

Krebs, du besitzt die natürliche Gabe, eine Verbindung zu anderen Menschen aufzubauen. Heute befinden sich Merkur und Venus im vierten Haus, das für Familie, Zuhause, Wurzeln und Eltern steht. Nutze deine Talente, um engere Bande zu knüpfen.

Ich bin Hope, die neue weibliche Hauptfigur.

Vor fast sechzehn Jahren haben meine Eltern einen Blick auf das strahlende Gesicht ihrer neugeborenen Tochter geworfen und gedacht: Dieses Mädchen verkörpert Regenbogen, Sonnenaufgang und den Kuss am Ende eines Films. Sie wird hüpfen, wenn alle anderen nur gehen. Sie wird in allem das Beste sehen, wird nie nach einem Silberstreif am Horizont Ausschau halten, denn für sie hat der Himmel keine Wolken.

Und was soll ich sagen? Es hat total funktioniert.

Hope – mein Name ist Programm. Hoffnung gehört untrennbar zu mir, sie ist in meinem tiefsten Inneren verborgen wie der Kern einer Kirsche oder der Stein einer Avocado. Meine älteste Schwester Mercy hingegen hat, anders als die Bedeutung ihres Namens vermuten lässt, nicht die leiseste Spur von Mitleid. Sie hat ihren Namen in den Boden gestampft und mit Erde zugeschüttet, um dann so schnell und so weit wie möglich wegzurennen.

Das ist ein bisschen so wie bei einer … Kartoffel.

 

»Was ist los mit dir?«, blafft Mercy, als ich, meine kostbare Eiscreme behutsam balancierend (Seine Eiscreme! Eine Kreation aus seiner Hand!), vorsichtig auf der Rückbank der Limousine Platz nehme. »Im Ernst, das ist keine rhetorische Frage, Pudel. Wie lautet deine medizinische Diagnose?«

Sehnsüchtig streiche ich mit den Fingerspitzen über die Fensterscheibe und blicke dem Eiswagen hinterher, der sich langsam entfernt. Goodbye zu sagen kann manchmal so schwer sein.

HOPE

Bis zum nächsten Mal, mein schokoladiger Liebesheld.

Musik setzt ein.

Ende der Szene.

»Nenn mich nicht Pudel!« Ich drehe mich zu meiner Schwester um und schlecke an meiner Eiscreme. »Das kann ich nicht leiden, das weißt du genau.«

»Wie wär’s stattdessen mit Pups?« Seufzend legt Mer ihre Füße in den hochhackigen Stiefeln auf den Sitz neben mich. »Riecht schlecht, ist in der Öffentlichkeit peinlich und kommt immer im falschen Moment.«

»So bin ich nicht.«

»Bist du doch.«

»Bin ich nicht.«

Ich strecke ihr die Zunge raus, aber Mercy tut so, als würde sie es nicht bemerken. Mercy ist siebzehn und der Inbegriff von Glamour; heute hat sie ihre schwarzen Haare zu einem straffen Knoten zusammengebunden und trägt knallroten Lippenstift, ein schwarzes Seidenshirt, einen schwarzen Kapuzenmantel und eine schwarze Lederhose.

Auch die Autositze sind aus schwarzem Leder. Es quietscht, wenn meine Schwester sich bewegt. Vielleicht sind das die Seelen der armen Kühe, die sich gegenseitig in ihrer neuen Daseinsform begrüßen.

Ohne Vorwarnung fange ich an zu kichern.

»Ist dir das Gehirn eingefroren?«, faucht Mer mich an und poliert ihren makellosen roten Fingernagel. »Oder ist spontane Hysterie nur eine weitere Nebenwirkung, wenn man ein Vakuum im Kopf hat?«

»Mercy.« Faith blickt von ihrem Fitnesstracker hoch. »Kannst du Hope nicht in Ruhe lassen? Ist es denn wirklich so schlimm, wenn wir ein bisschen zu spät kommen?«

Während ich meinen Namen verinnerlicht habe und Mercy den ihren ausradiert hat, trägt meine sechzehnjährige Schwester Faith ihren Namen wie eine Blume vor sich her: Sie ist immer sanft, immer bewundernswert, immer liebenswürdig.

Außerdem ist sie wunderschön.

Ja, ich weiß, das ist kein Charakterzug, aber wenn meine mittlere Schwester Faith eine Filmrolle wäre, dann würde genau das als Figurenbeschreibung im Skript stehen, denn Effies vollkommenes Gesicht ist immer das Erste, was allen auffällt, nur sie selbst scheint es nie zu bemerken.

Was totale Verschwendung ist. Wenn mein Gesicht irgendwann im Lauf des nächsten Jahres die gleichen perfekten Züge annimmt wie ihres, werde ich definitiv das Beste für mich daraus machen.

Gebrochene Herzen, wohin man auch schaut.

»Ja«, sagt Mercy schnippisch und sieht mich giftig an. »Ich habe an einem Sonntag Besseres zu tun, als zuzusehen, wie meine nervige kleine Schwester einen pickeligen Eiscremeverkäufer mit ihren Kuhaugen anhimmelt.«

»Erstens«, erkläre ich geduldig, »habe ich keine Kuhaugen. Sie sind geheimnisvoll und wie geschaffen dafür, zu verlocken und zu verführen. Und zweitens ist seine Akne eindeutig am Abheilen, denn er hat überall kleine Krusten, ha!« Triumphierend verschränke ich die Arme.

Mercy schaut mich fassungslos an und klatscht ihre Hand gegen die Stirn.

»Wir nähern uns dem Eingangstor«, mischt Effie sich ein. »Könnt ihr also bitte mal mit eurem Hickhack aufhören, vielleicht für fünfundvierzig Sekunden? Seid nett zueinander, setzt euer Pokerface auf, denn rechts –«

Das Auto kommt mit quietschenden Reifen zum Stehen.

»Yo, yo, yo!«, ruft Max. Er reißt die hintere Tür auf und streckt grinsend seinen kurzgeschorenen Kopf zu uns herein. »Wie ich sehe, wollen die drei Hexen sich heute ganz ohne Besen verlustieren? Wie geht’s, wie steht’s, meine Freundinnen der Nacht?«

Alles, was man über meinen neunzehnjährigen Bruder wissen muss, ist, dass er seinen Namen sehr wörtlich nimmt.

»Was zum –«

»Ich will in diesem Auto keine Kraftausdrücke hören, Meernixe.« Lachend schubst Max unsere Schwester zur Seite und setzt sich mir gegenüber. Seine Ripped Jeans geben den Blick auf seine braunen Knie frei. »Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen, Schwesterherz? Ich weiß, dass du dich freust, denn meine bloße Anwesenheit zaubert ein Glühen in dein Gesicht.«

Er beugt sich vor und verzieht mit den Fingern Mercys Mund zu einem roten Horrorfilmlächeln.

Verärgert stößt sie ihn von sich. »Wie schaffst du es nur, so eine Nervensäge zu sein?«

»Keine Ahnung.« Max lässt sich ins Polster fallen und verschränkt lässig die Hände über dem Kopf, während er so tut, als würde er über ihre Frage nachdenken. »Ich möchte ja gerne von einem Geschenk der Götter sprechen, aber ich will nicht lügen – ich habe in letzter Zeit Abendunterricht genommen, um mein Nervensägenpotenzial voll auszuschöpfen.«

Dann gähnt er ausgiebig, zeigt dabei alle Backenzähne, seine Mandeln und einen einzelnen Spuckefaden – und sieht trotzdem noch attraktiv aus.

»Was heißt verlustieren?«, frage ich und beuge mich neugierig vor.

»Das sagt man, wenn man kleine Tierchen verloren hat, Babybär«, antwortet mein Bruder lachend und zerzaust meine Lockenmähne. »Ich muss euch warnen: Da draußen wimmelt es von Paps und Journos. Aber keine Sorge, meine geliebten Schwestern, ich war schon etwas früher da und habe der Meute ein paar Informationshäppchen zum Fraß vorgeworfen. Ich habe ihnen klargemacht, wie sehr wir uns gegenseitig eine Stütze sind und dass wir uns in diesen schweren Zeiten beistehen und so weiter und so fort …«

Er grinst übermütig. Faith wirft Mercy einen Blick zu.

Das erklärt die verspiegelte Sonnenbrille, die Max trägt, obwohl es inzwischen in Strömen regnet. (Genau genommen haben meine Haare vorher auch nicht im Sonnenschein geschimmert, das war ein kleines Extra aus der gut ausgestatteten Special-Effects-Abteilung meines Gehirns.)

»Mein Gott, Max«, zischt Mercy, die sich offensichtlich darüber ärgert, dass sie nicht selbst auf die Idee gekommen ist. »Du willst mal wieder um jeden Preis ins Rampenlicht, was?«

»Mein Gott, Mer.« Max lacht amüsiert. »Mal wieder eifersüchtig, was?«

Das Auto biegt um die letzte Kurve.

Ich verspüre ein aufgeregtes Flattern im Bauch. Es ist sehr wichtig, aus jeder Situation das Beste herauszuholen.

Mit geübter Hand zupfe ich meine Frisur zurecht und frische meinen roten Lippenstift auf. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass uns Paparazzi erwarten, hätte ich mir mehr Mühe beim Contouring gegeben und darauf geachtet, dass meine Wangenknochen durch das getönte Fenster gut zu erkennen sind.

Das Auto kommt zum Stehen. Meine Geschwister und ich tauschen Blicke aus – für einen kurzen Moment vereint durch das, was uns draußen erwartet.

»Bereit?«, fragt Faith und beißt sich auf die Lippe.

»Auf die Plätze, fertig …«, sage ich und versuche dabei, nicht allzu vorfreudig auszusehen. »Ach so, wir sitzen ja schon auf unseren Plätzen.«

Mercy verdreht die Augen, dann schlägt sie die Kapuze ihres schwarzen Mantels hoch und nickt.

Max setzt die Sonnenbrille wieder auf. »Und … LOS!«

Auf das Kommando hin öffnen wir die Türen der großen schwarzen Limousine.

Blitzlichtgewitter und ein Sturm von Kameraklicks schlagen uns entgegen.

»Valentines! VALENTINES!«

Klick. Flash.

»Hierher! Faith! Max! Mercy! Schaut hier rüber!«

Flash, klick, flash, klick, flash.

»Redet mit uns! Könnt ihr sagen, was passiert ist? Was gibt’s Neues? Wie geht es Juliet?«

»Wollt ihr ein Statement abgeben? Hierher, dreht euch hierher!«

Flash.

»Sagt doch was! Faith! Faith! Einen traurigen Blick für die Kameras bitte, Ladys!«

Flash, flash, flash, flash, flash.

Kann sein, dass ich bisher ein paar winzige Details unterschlagen habe.

Mum ist in einer Rehaklinik.

Und wir gehören zu einer der berühmtesten Familien dieses Planeten. Zu einer Dynastie von Filmstars, deren Ruhm sich über vier Generationen erstreckt.

Als ich uns vorgestellt habe, hätte ich vielleicht mit unserem Nachnamen anfangen sollen – mit dem Namen, den alle Welt kennt.

Wir sind die Valentines.

3

Du hast mich nicht erkannt, oder?

Schon okay, das ist beabsichtigt. Ich bin noch nicht sechzehn, und das bedeutet, ich darf noch nichts abhaben von dem Ruhm und dem Geld und den Schauspielrollen und den Preisen und den Partys und schicken Restaurants und den Designerklamotten und Schuhen und so weiter. Noch vier lange Monate nicht. Das ist eine eiserne Regel in unserer Familie.

Aber das heißt auch: Ich habe Zeit, um zu üben.

Wenn es so weit ist und ich endlich auf meine ungeduldig wartende Fangemeinde losgelassen werde, bin ich so talentiert und glamourös, dass meine weltberühmten Geschwister vor Neid aus den Latschen kippen. Sie werden mich anflehen, ihnen meine Filmstargeheimnisse zu verraten, damit sie es mir nachmachen können.

Ich werde die Heldin sein, auf die alle gewartet haben – die in jedem romantischen Film die Hauptrolle bekommt, ohne überhaupt vorsprechen zu müssen –, und jeder Junge, der das unverschämte Glück hat, mein Filmpartner sein zu dürfen, wird sich noch vor Ende der ersten Leseprobe Hals über Kopf in mich verlieben.

Vorerst habe ich stattdessen einen Pullover über dem Kopf.

 

»Kann ich jetzt bitte rauskommen?« Wenn ich mich nicht täusche, bin ich gerade durch ein großes, elektronisch gesichertes Metalltor geführt worden. Ich kann die Pieptöne hören. »Meine Nase kitzelt.«

»Wage es nicht, meinen Kaschmir-Burberry vollzurotzen.« Mercy bohrt mir ihren Finger in die Seite. »Hast du schon mal überlegt, dir Kunstfell ins Gesicht zu kleben, Pudel? Dann könnten wir uns diese Verhüllungsaktion in Zukunft sparen.«

Effie nimmt behutsam meine Tarnung ab, und die Welt kommt wieder zum Vorschein: ein nettes kleines Cottage mit einer Haustür in einem matten Graugrün, hübschen Blumen, gepflegten Hecken, kleinen Bäumen – und einem sechs Meter hohen Stahlzaun drum herum.

»Ihr braucht das nicht mehr lange zu machen«, erinnere ich meine Schwestern, während wir den feuchten Kiesweg entlangknirschen. »In etwas mehr als einem Dritteljahr werde ich so berühmt sein, dass ihr meinen Rotz auf eBay für Millionen verticken könnt. Irgendein Creep, der total besessen von mir ist, wird ihn ersteigern und daraus in einem Reagenzglas eine Mini-Rotzversion von mir züchten, damit er mich immer bei sich hat.«

Mercy untersucht entsetzt ihren Pullover auf verdächtige Spuren, bevor sie ihn in ihre Fendi-Handtasche steckt. Faith lacht.

»Ich würde ihm eine abkaufen«, erwidert sie und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Dann könnte ich die Miniversion in meiner Tasche herumtragen, wenn du nicht da bist, Pudel.«

»Wie viel kostet diese lächerliche Promihütte noch mal?«, fragt Max. Effie tippt einen komplizierten Zahlencode in eine Metallbox, die unauffällig in der Steinmauer eingelassen ist. »Zwanzig Riesen pro Monat? Dreißig? Das ist doch irre.«

Die Cottagetür schwingt lautlos auf.

»Wir sollten dieses Wort hier nicht benutzen«, ermahnt uns Effie, während wir einen hochglanzpolierten Gang entlanggehen.

»Mum ist nicht … ihr wisst schon was«, protestiere ich. »Sie ist nur sehr, sehr müde.«

»Klar doch. Es muss anstrengend sein, zwölf Wochen am Stück den ganzen Tag lang nichts zu tun. Sicher ist unsere Mutter völlig erschöpft von all den Dampfbädern, Gesichtsmassagen und kannenweise grünem Tee. Sie muss am Ende sein, die Ärmste.«

Ich bin froh, dass Mercy mich versteht. Mum wäre nicht hier, wenn sie es nicht bräuchte. Sie wäre bei uns zu Hause oder am Filmset oder auf den Malediven für einen ausgedehnten Urlaub wie im letzten Sommer.

»Selfie!«, ruft Max, als wir uns vor der inzwischen schon vertrauten Tür versammeln. Er hält sein Handy in die Höhe. »Ich werde es posten, mit dem Titel UNTERWEGS ZUR VERRÜCKTEN FRAU AUF DEM DACHBODEN LOL, Hashtag trauriger Smiley.«

Effie sieht ihn an und schüttelt nur den Kopf, dann räuspert sie sich.

»Mum?«, sagt sie leise und klopft an die Tür. »Fühlst du dich in der Lage, Besucher zu empfangen?«

Es folgt eine lange Stille.

Nach einer Weile sind von drinnen Geräusche zu hören: ein Möbelstück wird verrückt, Reißverschlüsse von Taschen werden geöffnet, ein Schminkspiegel schnappt zu. Dann sagt eine matte Stimme: »O ja, ich denke schon. Kommt rein, ihr Lieben.«

Wir betreten eine weitläufige Suite.

Alles ist glänzend monochrom, man könnte meinen, wir seien in einen alten Schwarz-Weiß-Film geraten. Sogar die großen Blumenvasen, die überall herumstehen, sind weiß und silbern. Mum liegt auf einer Chaiselongue, kunstvoll drapiert im schmeichelhaften Licht eines hereinfallenden Sonnenstrahls. Sie trägt einen weiten weißen Seidenpyjama und ist voll geschminkt. Ihre platinblonden Haare sind perfekt geglättet, sie hat die Augen geschlossen, und eine Hand ruht elegant auf ihrer Stirn. Ich bin tief beeindruckt. Meine Mutter weiß, wie man sich in Szene setzt.

»Nicht dein Ernst«, sagt Mercy tonlos.

»Meine Lieblinge.« Mums Lider flattern, dann öffnet sie ihre silbrig schimmernden Augen und blickt zur Decke hoch. »Wie reizend, dass ihr gekommen seid. Ich habe euch alle schrecklich vermisst. Mit jeder Faser meines Körpers, mit meinem ganzen – uff.«

Ich habe mich neben sie auf die Chaiselongue plumpsen lassen.

»Mum!« Ich versuche, die Arme um sie zu schlingen. »Wir vermissen dich auch! Wie geht es dir? Hast du schon einen Spaziergang über die Felder und Wiesen gemacht? Das wäre sehr heilsam für dich, denn du bist Stier und hast ein friedliebendes Wesen.«

»Tatsächlich?«, sagt Mum. Gedankenverloren tätschelt sie mich mit drei Fingerspitzen, während ich wieder zur Seite rutsche, um ihr mehr Platz zu lassen. Es kostet sie einige Mühe aufzustehen. »Ach herrje.«

Bedächtig streicht sie die Knitterfalten glatt, die ich in ihren Seidenpyjama gemacht habe. Dann nimmt sie mich in Augenschein.

»Hope, mein Schatz«, sagt sie mit einem leichten Stirnrunzeln. »Du musst aufrechter sitzen, sonst bekommst du eine krumme Wirbelsäule. In deinem Alter lässt sich das nur schwer korrigieren.«

»Tut mir leid«, sage ich schuldbewusst.

»Faith.« Mum schwebt zu meiner Schwester und legt ihre Hände um Effies wunderschönes Gesicht. »Mein Liebes, benutzt du die Creme, die ich dir gegeben habe? Deine Poren kommen mir heute sehr groß vor. Denk immer daran, dass hochauflösende Kameras jeden Makel um ein Vielfaches vergrößern.«

»Jeden Abend, Mum, ehrlich.«

»Brav, mein Schatz.«

Jetzt ist Max an der Reihe. »Wie läuft es im Barbican, mein Bester? Ich weiß, der Geist ist keine Sprechrolle, aber er hat dennoch einen guten Auftritt. Ich habe versucht, den einen oder anderen Gefallen einzufordern, aber ich fürchte, der Rest liegt ganz bei dir und deinen Schauspielkünsten.«

Das linke Augenlid meines Bruders fängt an zu zucken.

»Alles bestens. Ich meine, ich bin tot, bevor der Vorhang aufgeht – der Traum eines jeden Schauspielers.«

Mum ignoriert ihn und wendet sich zuletzt auch Mercy zu.

»Diese Lederhose steht dir ausnehmend gut, Liebling. Hast du schon mal überlegt, es mit Größe 42 zu versuchen? Die kleinere Größe sieht so unbequem aus.«

Mercys Kiefermuskel zieht sich zusammen. »Vielen Dank, aber die Hose passt perfekt.«

»Natürlich.« Mum lächelt vage. »Ich will nur das Beste für dich, Liebes.«

»Ach ja? Das ist ja ganz was Neues.«

Stille tritt ein.

»Mum.« Faith durchbricht das Schweigen und macht entschlossen einen Schritt auf unsere Mutter zu. »Vielleicht wäre es besser, wenn du nicht ganz so nah am Fenster stehst. Max hat die Paparazzi hergelockt, sie haben Teleobjektive dabei.«

Mum richtet sich kerzengerade auf.

»Ah …« Sie gleitet näher ans Fenster, um die Vorhänge zurückzuziehen. »Diese Geier. Ist einem denn gar keine Privatsphäre mehr vergönnt? Kann denn niemand mehr respektieren, dass man ein klein wenig Raum für sich braucht? Diese gierigen Kojoten nehmen, nehmen, nehmen, während wir immerzu geben, geben, geben.«

Mercy, Faith und Max schauen sich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Ja«, sagt Mercy schnippisch. »Komisch aber auch.«

Mum dreht ihre schön geschnittenen hohen Wangenknochen ins Licht und richtet den Blick versonnen in die Ferne. Ihre silbrigen Augen glitzern. »Wisst ihr zufällig, ob da draußen auch ein Reporter der L.A. Times ist?«

»Nein«, antwortet Max grinsend. »Aber der Telegraph ist da. Ach warte, ist das nicht Großmutters Lieblingszeitung?«

Mit einem Ruck zieht Mum die Vorhänge zu und tritt vom Fenster zurück.

»Wie … geht es ihr denn?«

»Sie würde gerne wissen, warum du hier bist statt zu Hause bei deinen Kindern«, sagt Mer und blickt interessiert auf ihre blutroten Fingernägel. »Auf diese Frage hätten wir alle gerne eine Antwort – natürlich nur, wenn du irgendwann einmal eine freie Minute dafür findest.«

»Ach, meine Lieben«, seufzt Mum und lächelt wehmütig. »Wie rührend, dass ihr euch so um mich sorgt. Habt keine Angst, am Ende werde ich triumphieren, das verspreche ich euch.« Sie nimmt elegant auf der Chaiselongue Platz und legt graziös die Knöchel übereinander. »Obwohl ich zugeben muss, dass ich gerade sehr müde bin. Ich habe um zwei Uhr einen Termin bei einem sehr angesehenen Kräuterheilkundler, also …«

Keiner sagt etwas. Mercy blickt vielsagend auf ihre Uhr. Es ist noch nicht einmal zehn Uhr morgens.

»Natürlich«, sagt Effie und kaut auf ihrer Unterlippe. »Du musst völlig ausgelaugt sein, Mum. Dann sehen wir uns nächsten Sonntag wieder, ja?«

Spontan werfe ich mich wieder auf Mum.

»Neptun ist rückläufig«, hauche ich in ihren Nacken, während sie sich haltsuchend auf den dicken Kissen hinter ihr abstützt. »Das erklärt alles. Du brauchst viel frische Luft, außerdem solltest du dich von der Farbe Rot fernhalten und das hier unter dein Kissen legen.«

Bevor meine Mutter etwas erwidern kann, drücke ich ihr ein kleines Lavendelsäckchen in die Hand, gebe ihr einen Kuss auf die Wange und husche aus dem Zimmer.

Ein wunderbarer Szenenabgang.

4

Setting: Rezeption der Rehaklinik

»Wow«, sagt Max, während meine Geschwister und ich uns ratlos anschauen. »Das war ja noch schlimmer als erwartet.«

Faith nickt. »Was machen wir denn jetzt?«

»Schämt sie sich denn gar nicht?« Mercy rümpft die Nase. »Das ist erbärmlich. Tragisch. Einfach nur traurig.«

Wir lesen alle dieselben Zeilen auf derselben Seite im selben Skript – wie bei einer preisgekrönten Sitcom in Endlosschleife.

»So tragisch«, stimme ich betrübt zu und versuche, tröstend nach allen sechs Händen meiner Geschwister gleichzeitig zu greifen. »So traurig! Mums letzte große Romanze war intensiv und überwältigend. Sie hat sich mit Kopf und Kraken hineingestürzt, und jetzt ist sie am Ende ihrer Kräfte. Ich finde, Dad sollte sich beeilen und so bald wie möglich aus L.A. zurückkommen.«

Max sieht mich merkwürdig an.

»Hope …« Er mustert mich nachdenklich. »Es heißt mit Kopf und Kragen. Wir sind hier nicht in einer Reha für Meerestiere. Und du hast schon verstanden, was hier los ist, oder? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass –«

»Effie«, falle ich ihm ins Wort. »Das ist eine gute Frage: Was machen wir denn jetzt? Wir sollten unseren Grips zusammennehmen und einen Weg suchen, um trotz allem positiv zu bleiben. Wir müssen Mum aufheitern, bis Dad zurückkommt, es gibt nichts Wichtigeres als gute Stimmung. Außer Liebe, natürlich. Irgendwelche Vorschläge?«

Max, Mercy und Faith starren mich an.

»Ich habe leider keinen«, sage ich rasch, als ich ihre erwartungsvollen Blicke sehe. »Strengt euch ein bisschen an, ich kann nicht alles alleine machen.«

»Nicht zu fassen.« Max seufzt. »Wo kommst du eigentlich her, Pudel? Hat man dich in einer Puppenfabrik zusammengeschraubt, in pinkes Geschenkpapier gewickelt und zufällig auf unserer Türschwelle abgesetzt?«

»Willst du damit andeuten, Mum und Dad hätten mich adoptiert?«, frage ich verblüfft. »Falls ja, dann ist dein Gespür für Timing einfach grauenvoll.«

Hinter uns ist ein leises Räuspern zu hören. Ich wirble herum. Vor mir steht ein unglaublich süßer blonder Typ mit dunkelbraunen Augen.

Siehst du? So was passiert, wenn man einen Augenblick lang unaufmerksam ist. Plötzlich steht DER EINE da, und man hat noch nicht einmal die Brust richtig vorgestreckt. Schnell werfe ich meine Haare zurück, reiße die Augen auf und beiße auf die Innenseite meiner Wangen, damit meine Wangenknochen besser zur Geltung kommen.

Autsch! Das war etwas zu fest.

Max lacht auf. »Ich glaube, sie hatten in deiner Verpackung nicht genug Luftpolsterfolie, Flauschhase.«

Eines steht fest: In meinem nächsten Leben werde ich die Älteste unter den Geschwistern sein und mich rächen, indem ich Max peinliche Spitznamen verpasse, während die Liebe seines Lebens zuhört.

»Kann ich ein Transportmittel für Sie organisieren?«, fragt DER EINE höflich und neigt leicht den Kopf. »Ihnen steht eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung: ein Bentley, Motorräder, ein …«

Wow, er ist so tatkräftig und energisch. Ich wette, er könnte einen Rettungshelikopter für mich rufen, falls ich zufällig in seinen Armen ohnmächtig werden würde oder so.

Mer lacht spöttisch. »Dachten Sie, wir sind hierhergeschwommen?«

»Draußen wartet ein Auto auf uns«, erklärt Effie freundlich und schenkt ihm ein umwerfendes Lächeln. »Aber vielen Dank für die Mühe.«

DER EINE wird rot und glotzt meine mittlere Schwester an, als hätte jemand plötzlich einen Scheinwerfer auf sie gerichtet – obwohl sie ungeschminkt ist und einen unförmigen orangen Hoodie über neongelben Leggings trägt. Das ist der Moment, in dem der Typ auf meinem Stapel mit aussortierten Kandidaten landet.

Er ist beim Vorsprechen durchgefallen.

Der Nächste bitte.

»VALENTINES!«, ruft es von allen Seiten, als das Metalltor sich wieder öffnet. »Was ist los? Wie geht es Juliet? Wann kommt sie wieder raus? Könnt ihr uns etwas sagen? Irgendwas?«

Ich habe genau eine Nanosekunde Zeit, um mein geheimnisvollstes Filmstarlächeln zu zeigen, bevor Mercy wieder ihren Pullover über meinen Kopf stülpt.

»Ist es Erschöpfung?«, höre ich durch den dicken Stoff einen Journalisten rufen. »Depressionen? Geistige Umnachtung? Ein Nervenzusammenbruch?«

»Sind die Scheidungspapiere schon ausgestellt? Was ist dran an den Berichten, dass euer Dad bereits mit einer anderen Schauspielerin verlobt ist?«

»Wird Juliet nächstes Wochenende zu ihrer Filmpremiere kommen können?«

»Von welchem Label sind diese Stiefel?«

Die letzte Frage richtet sich vermutlich an Mer, denn Max, Effie und ich tragen Turnschuhe mit dem unverwechselbaren Nike-Häkchen. Ich spüre, wie Mercy neben mir die Schultern strafft. Neugierig suche ich in dem Pullover nach einer Ärmelöffnung, um nach draußen spähen zu können.

Langsam dreht sich meine große Schwester um und fixiert die Menge mit blitzenden Augen.

»Das«, sagt Mer kalt in die plötzlich eintretende Stille, »ist eine durch und durch private Angelegenheit. Drei von uns führen ein Leben im Scheinwerferlicht, aber wir haben uns dieses Scheinwerferlicht nicht ausgesucht. Wir sind niemandem von Ihnen etwas schuldig, und Sie können nicht einfach über uns verfügen. Also vergessen Sie bitte nicht« – sie hält kurz inne –, »dass wir einfach Teenager sind, die ihre Mutter wiederhaben wollen.«

Ihre Stimme bebt leicht, und ihr Kinn fängt an zu zittern. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Die Journalisten sind mucksmäuschenstill, die Aufnahmegeräte schweben in der Luft.

Voller Bewunderung schaue ich meine Schwester an.

»Bitte«, fährt Mercy heiser fort. »Geben Sie uns die Chance, unseren tiefen Kummer in Ruhe zu bewältigen. Lassen Sie uns, nur für einen Moment, die normale Familie sein, die wir immer waren.«

Sie blinzelt und wendet sich ab – aber nicht bevor alle die Träne gesehen habe, die über ihre linke Wange rollt. »Gucci«, fügt sie leise hinzu. »Meine Stiefel sind von Gucci, auch wenn ich nicht verstehe, warum das eine Rolle spielt.«

Mit diesen Worten verschwindet sie in der Limousine.

Leicht verdattert steigen wir anderen hinter ihr ins Auto.

Kaum habe ich das Klicken der Türverriegelung gehört, reiße ich mir den Pullover vom Kopf und falle meiner Schwester um den Hals.

»Oh, Mercy«, hauche ich und tätschele in einem Anfall von schwesterlichem Mitgefühl ihr linkes Ohr. »Keine Angst – Mum geht es bald wieder gut. Nicht mehr lange, dann ist sie wieder bei uns zu Hause. Das sind alles nur schreckliche Gerüchte. Aber wir sind füreinander da. Ich liebe dich so sehr und –«

Lautes Gelächter unterbricht mich.

»Du dummes Gänschen«, sagt Max glucksend. Er nimmt die Sonnenbrille ab und reibt sich die Augen. »Um ein Haar hättest du sogar mich reingelegt, Meernixe. Gott, du hast es wirklich drauf.«

Ich rücke zur Seite. Plötzlich ist mir ein bisschen schlecht.

Mercy schnippt mit ihrem roten Fingernagel die einzelne Träne von ihrer Wange. »Liegt wohl in der Familie«, sagt sie schulterzuckend. Ihr Mund verzieht sich zu einem schmalen Lächeln. »Wir sind Meister darin, anderen etwas vorzuspielen.«

Sie schaut durch das getönte Fenster nach draußen.

»Also, worauf warten wir? Lasst uns endlich losfahren!«

5

Krebs: 22. Juni bis 22. Juli

Mars und Saturn schicken heute ihre Blitze herab, was dazu führt, dass du dich etwas rastlos fühlst. Aber es erwartet dich eine angenehme Überraschung, also nutze die Energie und zeige dich von deiner besten Seite!

Am nächsten Morgen steht es in allen Zeitungen:

 

SCHWERE HERZEN BEI DEN VALENTINES

 

Dazu Faiths Gesicht in Großaufnahme – ihr strahlender Teint wird von der orangen Kapuze noch betont –, darunter kleinere Fotos von Mercy und Max und ein verschwommenes Bild von Mum, wie sie wehmütig aus dem Fenster blickt.

Und – oooh! – in einer Ecke ist mein linker Arm zu sehen!

Mein Ellbogen ist gut getroffen, wenn ich das sagen darf.

 

»Das scheint ja gestern ein aufregender Tag für euch gewesen zu sein.«

Unsere Haushälterin Maggie hat in aller Frühe die Zeitungen hereingeholt und ein großes Frühstück für uns alle gemacht. Jetzt lehnt sie mit einer Tasse Kaffee am großen Herd und schaut gelassen zu, wie wir über das Essen herfallen.

»Das kann man laut sagen. Hört euch das an!« Max stopft sich eine große Portion Ei in den Mund und wedelt mit einem ganzseitigen Artikel vor unseren Gesichtern herum. »Wartet mal …«

Er stellt sich auf einen Stuhl und breitet die Arme aus.

»Nach Monaten des Schweigens ist es nun offiziell: Juliet Valentine, britischer Publikumsliebling von Bühne und Leinwand und neuerdings einsamer Single, erleidet nach der Trennung von ihrem afroamerikanischen Promi-Ehemann und Filmregisseur Michael Rivers, der sie brutal abserviert hat, einen Nervenzusammenbruch …«

Ich verdrehe die Augen. Maggie sieht meinen Bruder missbilligend an. »Max …«

»Warte, Mags, es kommt noch besser: Die Tränen von Mercy Valentine, dem aufstrebenden It-Girl mit der prominenten Nase, sagen mehr als tausend Worte –«

»Was kann ich dafür, dass du nicht zitiert wirst?« Mer zuckt mit den Schultern und reißt energisch ein Croissant in zwei Hälften. »Wenn du es nicht erträgst, in den Schatten gestellt zu werden, hättest du die Medien gar nicht erst einladen dürfen.«

»Du hast die Medien eingeladen?«, fragt Maggie stirnrunzelnd. Sie stellt eine neue Portion Eier auf den Tisch. »Warum um alles in der Welt hast du das gemacht?«

»Sie schreiben doch sowieso über Mum«, verteidigt sich Max. »Ich dachte, dann können sie die Neuigkeiten genauso gut aus unserem Mund hören.«

»Aus deinem Mund, meinst du wohl«, korrigiert Mercy ihn.

»Was für einen Quatsch die sich immer ausdenken!« Ich schüttle belustigt den Kopf und kaue weiter meinen Toast. »Woher haben sie nur diese verrückten Gerüchte? Und das wollen Professionalisten sein!«

»Nein, wollen sie nicht. Denn das ist kein richtiges Wort, Pudel.« Max widmet sich wieder den Zeitungen. »Was gibt es sonst noch? Naturschönheit Faith Valentine, Freundin der Pop-Sensation Noah Anthony, reagierte mit beredtem Schweigen.«

»Hört bitte auf«, stöhnt Effie. Sie nippt an ihrem Orangensanft. »Diese Klatschberichte sind das reinste Gift.«

»Trotzdem kommst du wieder am besten weg«, sagt Max mit einem schiefen Grinsen. »Wenn du zur Abwechslung mal aufs Hauptfoto willst, wirst du um die Nasen-OP nicht herumkommen, Mer.« Er versetzt Mercy einen spielerischen Tritt und hüpft blitzschnell auf einen anderen Stuhl, um ihrem Boxhieb auszuweichen. »Mal sehen, was die Online-Welt heute über die Valentines zu sagen hat.«

Er nimmt sein iPad und räuspert sich.

»Von Großmutter kein Kommentar. Diva und VIP-Mum ist endgültig übergeschnappt … der Vater hat sich ein Upgrade gegönnt … die Kinder sind untalentiert und unbedeutend …«

»Max.«

»Ein ganzes Jahrhundert der Privilegien … verwöhnte Sprösslinge, die vom Geld ihrer Eltern leben …«

»Max!«

»Was denken diese Leute eigentlich, wer sie sind …«

»DAS REICHT JETZT, MAX!«, blafft Maggie ihn an.

Max setzt sich hin. »Sorry, Mags. Aber nur zum Trost: Dad hat die Meute aufgefordert, ihn mal an seinem – ich zitiere wörtlich – amerikanischen Arsch zu lecken.«

»Klar hat er das«, sage ich gut gelaunt und schlecke die Reste der schwarzen Johannisbeermarmelade von meinen Fingern. »Also wirklich, noch nie in meinem Leben habe ich so einen Blödsinn gehört. Wie kommen sie nur immer auf diese lächerlich falschen Schlussfolgerungen? Hahaha, es ist echt zum Lachen. Sind das Journalisten oder Journalügner?«

Triumphierend schaue ich in die Runde, aber alle sind mit Essen beschäftigt.

»Wie auch immer«, sagt Maggie sanft und wischt den Herd sauber. »Leider kann ich heute Abend nicht hierbleiben. Ben verbringt die Ferien bei mir, daher nehme ich den Rest der Woche frei.«

Max, Mercy und ich drehen uns wie aufs Stichwort zu Faith um.

Ben ist Maggies Sohn und rettungslos in Effie verliebt, seit die beiden sechs Jahre alt waren. Damals ist er ihr auf Schritt und Tritt gefolgt und hat ihr als Zeichen seiner ewigen Liebe besonders saftige Raupen geschenkt. Ich fand es sehr romantisch, aber Faith hat sich geweigert, sie zu essen.

»Ach ja?« Faith wird rot und weicht unseren Blicken aus. »Wie gefällt ihm denn die Schule im hohen Norden? Sicher vermissen Sie ihn sehr.«

»O ja, sehr.« Maggie nickt zustimmend und trocknet sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Er lebt gerne bei seinem Vater in Edinburgh, also versuche ich, mir nichts anmerken zu lassen. Mag sein, dass ich nicht ganz unvoreingenommen bin, aber ich finde, er entwickelt sich zu einem richtigen Herzensbrecher. Alle Mädchen im Schachklub der Oberstufe schmachten ihn an.«

Max und Mercy kichern los.

»Das macht Sie bestimmt sehr stolz«, sagt Faith zu Maggie und wirft den beiden anderen einen warnenden Blick zu.

»O ja, sehr stolz«, sagt Mercy mit einem spöttischen Schnauben. »Spielt er immer noch so gerne Scrabble? Er hat so bedeutungsvolle Worte wie betören und entflammen gelegt, weißt du noch, Eff?«

Vielleicht sollte ich erwähnen, dass Ben klein und dünn ist und strähnige mausfarbene Haare mit Seitenscheitel hat. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, hatte er einen mickrigen Schnurrbart, den er immer wieder glattstrich, als würde das Glück bringen.

»Ähm …« Faith spielt nervös mit ihrem Löffel. »Ich kann mich nicht daran erinnern, das ist schon so lange her.«

Mercy und Max zwirbeln ihre unsichtbaren Schnurrbärte und tun so, als würden sie Dudelsack spielen, bis Maggie sie mit hochgezogenen Augenbrauen ansieht. »Wollt ihr heute Abend selbst kochen, werte Herrschaften von Downton Abbey?«

Sofort hören die beiden auf, sich über Ben lustig zu machen. Keiner von uns kann kochen.

Verträumt betrachte ich den Stapel Zeitungen. »Ich kann es kaum erwarten, berühmt zu sein«, seufze ich sehnsüchtig. »Welche Geschichten sie sich wohl über mich ausdenken werden? Im Moment könnte ich von Zombies angegriffen werden, und trotzdem würde es nur ein Foto von meinem angeknabberten Ellbogen in die Zeitung schaffen.«

»Ich bitte dich.« Mer rümpft die Nase. »Falls es in England je zu einer Zombie-Invasion kommen sollte, würdest du dich in den gammeligsten von allen verknallen, Pudel.«

»Oh, du wunderschöner Zombie!«, ruft Max und tut so, als würde er in seine Brust greifen und seine Innereien herausziehen. »Hier, nimm mein Herz, jetzt und für alle Zeiten! Mach damit, was immer du willst!«

Mer fängt mein unsichtbares Herz auf und tut so, als würde sie sabbernd darüber herfallen.

»Ein bisschen Romantik hat noch niemandem geschadet«, sagt Maggie streng, als meine Geschwister wieder losprusten. »Und jetzt benehmt euch bitte. Ich kann keine sensationsgierigen Reporter brauchen, wenn ich den Shepherd’s Pie nach meinem Geheimrezept zubereite.«

Sie schlüpft in ihre Wolljacke und geht hinaus.

»Ein bisschen Romantik kann nicht schaden …«, wiehert Max los, sobald sie zur Tür hinaus ist. »Außer man hat einen fleischfressenden Untoten vor sich.«

»Ich bin sicher, der Zombie würde dich mögen«, sagt Faith. Sie beugt sich über den Tisch und küsst mich auf die Wange. »Wie wir alle.«

»Ja, wir haben dich zum Fressen gern!«

»Wisst ihr was?«, sage ich, während meine Geschwister, immer noch lachend, vom Tisch aufstehen. »Falls ich mich jemals in einen Zombie verlieben sollte, dann wird unsere große Liebe alle Widerstände überwinden und am Ende triumphieren, das garantiere ich euch. Das wäre eine echte Blockbuster-Romanze, meine Fangemeinde würde Millionen bezahlen, um ihn sehen zu können. Pah!«

»Keine Sorge, Schwesterchen«, sagt Mer und schlingt den Rest ihres Croissants mit einem einzigen Bissen hinunter. »Eines Tages wirst du einen Jungen finden, dem ein großes Stück Hirn fehlt, daran habe ich keinen Zweifel.«

Die drei trinken ihre Gläser aus und checken ihre Handys. Ich stehe auf und folge ihrem Beispiel.

»Was machen wir jetzt? Oooh, wie wär’s, wenn wir uns gemeinsam einen Film anschauen? Vielleicht Anker unserer Herzen? Den haben wir schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

Zufällig ist es genau der Film, bei dem Mum und Dad sich kennengelernt haben. Ein märchenhaftes, ergreifendes Liebesdrama während des Zweiten Weltkriegs in London. Und ja, ich habe ihn gestern Abend erst geschaut, aber das zählt nicht.

»Tut mir leid, Pudel.« Max schiebt sich auf dem Weg zur Treppe das letzte Stück Toast in den Mund. »Ich muss drei Textzeilen lernen. Nur für den Fall, dass Bote Nummer zwei sich zufällig das Bein bricht.«

Hoffnungsvoll richte ich meinen Blick auf Effie.

»Nicht heute.« Sie zuckt zusammen, als ihr Handy vibriert. »Noah war wochenlang auf Europatournee. Jetzt muss er mir haarklein über jede einzelne Mahlzeit berichten, die er gegessen hat.«

Nicht mehr ganz so optimistisch drehe ich mich zu Mercy.

»Niemals, nicht in einer Billion oder Trillion Jahren«, sagt sie gähnend. »Es ist ein dämlicher Film, du bist eine Nervensäge, und ich verzieh mich wieder ins Bett. Geh und spiel mit Rabbit Stöckchenholen oder so.«

Als ich klein war, hatte ich einen unsichtbaren Hund. Meine Geschwister ziehen mich immer noch damit auf, obwohl ich natürlich schon seit Jahren nicht mehr mit ihm gespielt habe.

»Sein Name war Rocket«, erwidere ich beleidigt. »Wenn ihr einen Moment Zeit habt, könnten wir –«

Zu spät. Sie sind schon auf und davon.

6

Richmond, ein sonniger Montagmorgen

Die Kamera fährt über ein großes, stattliches Backsteinhaus mit fünfzehn Schlafzimmern und einem weitläufigen Grundstück mit Swimmingpool. Das Anwesen ist von Bäumen und hohen Mauern umgeben, eine lange Kiesauffahrt führt zum Eingang hinauf, und am anderen Ende des Gartens plätschert ein Bach.

HOPE, fünfzehn, steht an einem großen Fenster und blickt hinaus. Sie trägt ein T-Shirt, auf dem I LOVE YOU A LATTE steht, dazu ausgebleichte blaue Jea–

 

Pause.

 

Rasch renne ich in den Waschraum – schnell, bevor das schmeichelhafte Licht weg ist! – und wühle in Mercys aussortierten Klamotten von letzter Woche. Ich entdecke einen traumhaft schönen schwarzen Jumpsuit von Chloé, der mir zu groß ist und einen Fleck auf der Brust hat, aber wunderbar zur Szene passt.

Begeistert schlüpfe ich hinein, zurre ihn mit einem Mantelgürtel fest und schnappe mir die High Heels von Prada aus pinkfarbenem Wildleder, die im Gang herumstehen. Und weil ich gerade so schön in Schwung bin, trage ich auch noch den roten Chanel-Lippenstift auf, den ich in Mercys Jackentasche gefunden habe. Dann stakse ich wieder die Treppe hinauf.

Okay, Universum, ich befolge deinen Rat und zeige mich von meiner besten Seite.

Und jetzt: KAMERA AB!

HOPE blickt aus einem großen Fenster. Sie trägt einen Jumpsuit von Chloé, dazu roten Lippenstift. Sie sieht glamourös aus, aber auch lässig und relaxt – als könnte sie sich jeden Moment hinsetzen, um es sich bequem zu machen. Ihr Gesichtsausdruck ist nachdenklich, ihre Haltung makellos.

Ein GUT AUSSEHENDER JUNGE schlendert die Auffahrt hoch.

JUNGE(blickt zum Fenster)

So oft habe ich diesen Weg genommen – wie kann es sein, dass ich dieses Mädchen noch nie zuvor gesehen habe?

HOPE(erstaunt)

So oft habe ich an diesem Fenster gestanden – wie kann es sein, dass ich diesen Jungen noch nie zuvor gesehen habe?

JUNGE

Schönes Mädchen, willst du nicht dein Fenster öffnen und mit mir sprechen?

HOPE

Was?

JUNGE(wild mit den Händen gestikulierend)

MACH. DAS. FENSTER. AUF.

HOPE

Oh!

Sie öffnet das Fenster.

HOPE(Fortsetzung)

Tut mir leid, ich habe dich nicht gehört. Ich war in meine poetischen Gedanken versunken, und mein Blick war in die weite Ferne gerichtet. Warte kurz.

Violinen setzen ein. Hope eilt die Treppe hinunter und öffnet die Tür. Sie blicken sich ein paar Sekunden tief in die Augen.

JUNGE

Es kommt mir vor, als würden wir uns bereits kennen.

HOPE

Und doch bist du so neu für mich.

Er beugt sich vor. Sie k-

»HOPE!«, brüllt Mercy von oben. »ZIEH SOFORT MEINEN CHLOÉ-JUMPSUIT AUS UND HÖR AUF, AM FENSTER HERUMZULUNGERN. WIR SIND HIER NICHT IN EINEM DRITTKLASSIGEN HORRORFILM!«

Ihre Tür fällt ins Schloss.

Seufzend – ich bin in einem Liebesfilm, also bitte – kehre ich in mein Zimmer zurück, um mich umzuziehen. Bald wird ein hübscher Zeitungsjunge oder ein echter Hottie, der für Harrods Lebensmittel ausliefert, vor unserer Tür auftauchen, aber ich werde dann nicht am Fenster stehen, um ihn zu bezirzen. An dieser tragischen Fehlentwicklung ist ganz allein meine Schwester schuld.

Wieder in Jeans, schnappe ich mir mein Handy, um das heutige Horoskop genauer anzuschauen. Es macht Pling. Ein schrilles Pop-up-Fenster erscheint – IST DIE LIEBE WIRKLICH ERLOSCHEN? DAS TRAGISCHE AUS FÜR UNSER LIEBLINGSPAAR BRICHT ALLEN FANS DAS HERZ –, daneben Fotos von meinen strahlend schönen Eltern in ihrer Glanzzeit. Sofort schließe ich das Clickbait wieder. Unverschämte Journalügner.

Dann hänge ich meine Filmplakate um, so dass das große Poster mit dem sich küssenden Paar direkt vor meinem Bett hängt. Das Universum schlägt zwar geheimnisvolle Wege ein, aber ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl kann nicht schaden, oder?

Vorsichtig arrangiere ich meine Lieblingsandenken neu: eine Filmklappe aus Es geschah nicht hier!, Urgroßmutters Stummfilmklassiker der 1920er Jahre, daneben die Seidenhandschuhe meiner Großmutter aus Abendregen, das lange juwelenbesetzte Schwert, das Mum in Die Unerbittlichen getragen hat, und Dads Regiestuhl aus dem mit einem Golden Globe ausgezeichneten Film Wellen der Zeit (obwohl ich mich ehrlich gesagt frage, warum ausgerechnet dieser Film den Preis gewonnen hat: Es geht um die Navy, und im ganzen Film gibt es keine einzige Liebesgeschichte).

Liebevoll streiche ich über ein kleines altes Foto von Oma und Opa mit Dad in der Mitte – zu dritt stehen sie lachend vor ihrem hübsch herausgeputzten Haus in New Orleans –, denn ich möchte nicht, dass sie sich übergangen fühlen.

Ich schalte den Fernseher ein und lasse Anker unserer Herzen laut im Hintergrund laufen. Dann nehme ich mein Handy und drücke auf die Schnellwahltaste.

»Hey«, dröhnt eine tiefe amerikanische Stimme. »Hier ist Michael Rivers. Wenn Ihr Anruf geschäftlich ist, melden Sie sich bitte bei meinem Agenten von First Films. Wenn nicht, hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton.«

Piep.

»Hallo, Dad!«, rufe ich fröhlich, während ich gleichzeitig den Film noch etwas lauter drehe und mein Handy in Richtung Fernseher halte, damit Dad das betörende Tack-tack-tack der Eröffnungsschießerei hört. »Wie geht’s am Set? Der Film ist schon fast abgedreht, oder?«

Ich stupse seinen alten Regiestuhl mit dem Zeh an.

»Ich finde, du solltest deine Sachen packen und heimkommen. Am besten bis Freitag. Ach ja, und kannst du mir bitte ein teures und einzigartiges Andenken vom Set mitbringen? Zum Beispiel die Schuhe der weiblichen Hauptdarstellerin? Größe neununddreißig – aber wenn es sein muss, kann ich meine Zehen auch in achtunddreißig quetschen.«

Ich fahre mit dem Finger das Pfauenmuster der Tapete nach und schlendere gedankenverloren in den Gang hinaus.

»Also, wir sehen uns Ende der Woche. Gute Rei–«

Durchs Fenster sehe ich einen großen silbernen Mercedes langsam die Auffahrt heraufrollen, gefolgt von fünf sehr viel kleineren Fahrzeugen in Blau, Rot und Schwarz, die ich nicht zuordnen kann. Heiliges Horoskop, das muss die versprochene Überraschung von Saturn sein! Die angenehmeÜberraschung! Wie gut, dass ich mich stets nur von meiner besten Seite zeige.

»Muss los«, sage ich knapp und lege auf.

Mit sorgfältig einstudierter Grazie stelle ich mich ans Fenster und blicke so wehmütig und versonnen wie möglich in die Ferne.

 

Pose halten für fünf, vier, drei, zwei –

 

Die Hand haltsuchend aufs Geländer gelegt, rausche ich die Treppe hinunter – immer noch in den viel zu großen pinken High Heels (Mer hat lediglich von ihrem Jumpsuit gesprochen, von Schuhen hat sie nichts gesagt).

Die kurze Zeit, die mir noch bleibt, nutze ich für einige Theater-Atemübungen, die Effie mir beigebracht hat: tief die Luft über den Bauch einatmen und sie dann mit einem lauten SSSHHH SSSHHH und einem AAAHHH und HA! HA! HA! HA! H–

»Schluss damit!«, blafft eine Stimme auf der anderen Seite der Tür. »Was machst du da? Wir sind hier nicht im Zoo.«

Schwungvoll öffne ich die große Haustür und breite die Arme aus. »Großmutter! Was für eine angenehme Überraschung! Ich wusste gar nicht, dass du kommst!«

Ein smaragdgrüner Samtmantel landet in hohem Bogen auf meinem Arm.

»Ja«, sagt meine Großmutter kalt und lässt den Blick durch die Eingangshalle schweifen. »Mit etwas gesundem Menschenverstand hättest du dir das allerdings denken können.«

7

Dame Sylvia Valentine kennst du natürlich.

Aber um meinem beschäftigten Castingteam etwas Arbeit abzunehmen, hier eine kurze Beschreibung. Sie sieht genauso aus wie in ihren sechsundfünfzig Filmen: klein, kerzengerade, graue Augen, zu einem straffen Knoten zusammengebundene platinblonde Haare, vernichtender Blick. (Mit dem Unterschied, dass sie im echten Leben ihre eigenen Textzeilen und Gesichtsausdrücke erfindet, weshalb diese meist noch eine Spur unfreundlicher sind als in den Filmen.)

»Wie geht es dir?«, frage ich und gebe ihr automatisch zwei Luftküsse – mwah, mwah –, um keine Abdrücke mit meinem geborgten roten Lippenstift zu hinterlassen. »Es ist doch noch gar nicht Mittwoch, oder? Kommst du nicht normalerweise am Mittwoch? Hallo, Genevieve! Du bist auch da! Was für eine wunderbare Zugabe!«

Die Assistentin meiner Großmutter, die dicht hinter ihr steht, nickt stumm.

»Darling, du bist viel zu enthusiastisch«, tadelt mich Grandma und stützt sich dabei auf ihren Gehstock. »Versuch es einmal mit etwas mehr Ennui, besonders so früh am Tag. Dieser amerikanische Lebenseifer ist schrecklich ermüdend.«

»Ich bin ja auch eine halbe Amerikanerin«, wende ich ein.

»Eine bedauerliche Tatsache, derer ich mir schmerzlich bewusst bin.« Grandma schnippt einen nicht existenten Fussel von ihrem Brokatrock und sieht sich mit einem vornehmen Naserümpfen in unserer großen dunklen Empfangshalle um.

Ich muss sagen, ihre Haltung ist ausgezeichnet.

»Sind deine missratenen Geschwister zu Hause? Oder muss ich davon ausgehen, dass sie wieder einmal irgendwo für Tumult sorgen, wie man es von einer Schar Halbwüchsiger ohne elterliche Führung nicht anders erwarten kann?«

Ich blicke die Treppe hinauf. Mercy streckt ihren zerzausten Kopf übers Geländer, reißt erschrocken die Augen auf und taucht sofort wieder ab.

»Ähm«, sage ich loyal und schaue unauffällig in die andere Richtung. »Ich … fürchte … sie … sind … gerade nicht … da … also …«

»Komm bitte herunter!«, ruft Grandma, ohne auch nur den Kopf zu heben. »Ich nehme an, du bist es, Mercy.«

Einen Moment lang passiert gar nichts, dann kommt Mer die Treppe heruntergestapft.

»FAITH!«, ruft sie über ihre Schulter. »MAX!