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DIE SCHÖNSTE BLUME DES HAREMS von ANNIE WEST
Eine tolle Chance: Jacqui darf die spannende Geschichte des Harems von Jazeer schreiben. Aber das heißt nicht, dass sie selbst als Wüstenbraut in den Armen des feurigen Sultans Asim landet – oder doch?
DIE VERBOTENE SEHNSUCHT DER WÜSTENPRINZESSIN von ANNIE WEST
Einzige Bedingung: kein Sex! Prinzessin Samira vereinbart eine reine Zweckehe mit ihrem guten Freund Prinz Tariq. Denn sie wünscht sich sehnlichst Kinder, er braucht eine Mutter für seine Zwillinge – mehr nicht. Bis unerwartet sinnliches Verlangen in Samira erwacht …
VERFÜHRUNG IM HAREM von TERESA SOUTHWICK
Aufgeregt fliegt Jessica in das Wüstenreich Bha’Khar. Endlich wird sie die Familie ihrer Mutter kennenlernen! Doch eine Überraschung erwartet sie: Sie wird von Prinz Kardahl Hourani persönlich abgeholt. In seinem Palast macht der Scheich ihr eine schockierende Eröffnung: Bei ihrer Einreise hat sie einen Heiratsvertrag mit dem adligen Playboy unterschrieben. Nur eine Chance hat Jessica, ihm zu entkommen: Niemals darf diese Ehe vollzogen werden! Ein Vorsatz, der gefährlich ins Wanken gerät, als Kardahl sie in den Gemächern des Harems leidenschaftlich küsst ...
DAS MÄRCHEN DER 1001. NACHT von TERESA SOUTHWICK
Ein zärtlicher Begrüßungskuss, und Beth hat ihr Herz an Scheich Malik verloren, den Kronprinzen von Bha’Khar! Wie in einem Traum erlebt sie die sinnlichen Nächte mit ihm. Dabei ist der künftige Herrscher des Wüstenreichs einer anderen versprochen: Beths Zwillingsschwester!
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Seitenzahl: 746
Veröffentlichungsjahr: 2021
Annie West, Teresa Southwick
Die verbotene Braut des Scheichs (2 Miniserien)
IMPRESSUM
Die schönste Blume des Harems erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2015 by Annie West Originaltitel: „The Sultan’s Harem Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 407 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Dorothea Ghasemi
Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 10/2021.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751513234
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Gib auf, Jack! Wir kommen hier nicht durch!“ In dem Tohuwabohu aus Menschen, Fahrzeugen und Vieh war Imrans Stimme kaum zu vernehmen.
„Nein!“ Jacqueline, die meistens Jacqui genannt wurde, schüttelte den Kopf. „Wir schaffen es!“
Sie hatten die einmalige Chance, einen der Oppositionsführer vor die Kamera zu bekommen. Einen Reformer, den die offiziellen Stellen am liebsten zum Schweigen gebracht hätten und an den man nur schwer herankam. Dieses Interview durften sie sich nicht entgehen lassen!
Doch ein ungutes Gefühl beschlich Jacqueline. Die überfüllte Straße kam ihr seltsam bekannt vor, als ob sie hier schon einmal gewesen wäre. Und dieser Geruch nach Staub, Schweiß und Gewürzen … Hatte sie ein Déjà-vu? Eine böse Vorahnung lies Jacqueline unvermittelt stehen bleiben.
Angst stieg in ihr auf. „Imran?“
„Ich bin hier, Jack.“ Als Jacqueline herumwirbelte, sah sie ihn – groß, die Kamera auf der Schulter, die schalkhaften Augen zusammengekniffen, weil die Sonne ihn blendete.
Erleichterung überkam sie.
„Wenn du lieber ins Hotel zurück möchtest, versuche ich, ihn allein aufzuspüren, und rufe dich dann an“, sagte sie.
Doch Imran zeigte keinerlei Reaktion.
Hatte er sie nicht gehört? Verwirrt fuhr Jacqueline sich über die Stirn. Ihr war heiß. Alles erschien ihr seltsam unwirklich. Sie blinzelte und versuchte, sich zu konzentrieren. Dies würde ihre beste Story überhaupt werden. Es war die Gelegenheit, die Wahrheit über dieses Unterdrückerregime zu schreiben. Dann würden die Weltmächte nicht länger die Augen vor der Gewalt verschließen können.
„Komm, beeil dich, Jack.“ Entschlossen schritt Imran an ihr vorbei und bahnte sich zielstrebig einen Weg zwischen den Passanten hindurch.
Jacqueline wollte ihm folgen, konnte sich aber plötzlich nicht mehr von der Stelle rühren. Um sie herum schienen sich alle wie in Zeitlupe zu bewegen. Nur Imran entfernte sich immer schneller von ihr. Das Déjà-vu-Gefühl verstärkte sich, und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Jacqueline wollte rufen, doch sie brachte kein Wort über die Lippen. Hilflos beobachtete sie, wie Imran in der Menge verschwand.
Und dann passierte es. Eine heftige Erschütterung war zu spüren, dann folgte ein ohrenbetäubender Knall.
Schockiert erwachte Jacqueline aus ihrer Starre – und rannte los. Erst als sie auf dem Boden die Überreste einer Kamera sah, kam sie stolpernd zum Stehen.
Imran! Ein Stück der Kamera lag noch in seinen starren Händen. Jacqueline kniete sich neben den reglosen Körper und versuchte, die Situation zu erfassen. Imrans seltsam verdrehte Arme und Beine, den Staub, das viele Blut. Fassungslos streckte Jacqueline die Hand aus. Diesen Menschen hatte sie besser gekannt als jeden anderen!
Ein Schluchzen entwich ihrer Kehle und formte sich zu einem verzweifelten Schrei …
Aufgebracht trat Asim in den mondbeschienenen Innenhof des alten Palasts. Wie hatte sein Botschafter diese Frau nur als potenzielle Braut vorschlagen können? Oder dem alten Emir zu verstehen geben können, dass dieser seine Nichte mitbringen sollte? Dies hätte ein ganz normaler Staatsbesuch zum Abschluss des Energieabkommens sein sollen. Stattdessen schien sich der Besuch des Emirs in Jazeer zu einem diplomatischen Desaster zu entwickeln.
Asim ließ den duftenden Garten hinter sich und betrat wieder einen Bogengang. Am liebsten wäre er mit seinem Geländewagen in die Wüste gefahren, doch am nächsten Morgen würde er wieder den Gastgeber spielen müssen. Er durfte den Emir nicht in seinem Stolz verletzen, musste ihm allerdings klarmachen, dass er seine Nichte nicht heiraten würde, so schön sie auch sein mochte.
Asim verzog das Gesicht. Als junger Mann hatte er einschlägige Erfahrungen gesammelt und mit den schönsten Frauen geschlafen. Aber glaubten sie wirklich, er würde sich so von dem Charme dieser Frau einwickeln lassen, dass er über ihren Charakter hinwegsah? Heute Abend hatte die Nichte des Emirs sich zwar sehr unschuldig gegeben, doch er wusste, dass sie gern um die Welt jettete, ständig Affären hatte und sogar Drogen nahm.
Die zukünftige Frau des Sultans von Jazeer musste nicht nur schön, sondern auch intelligent, würdevoll und über jeden Zweifel erhaben sein – und eine liebevolle Mutter.
Seine Ehefrau würde das genaue Gegenteil seiner eigenen Mutter sein.
Oh ja, sie war eine Schönheit gewesen. Und auch liebevoll – auf ihre eigene Art.
Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Das Schicksal sollte ihn vor der Liebe bewahren! Dieser Fluch hatte erst seine Eltern vernichtet und dann seine Schwester. Auf keinen Fall wollte er etwas Ähnliches erleben!
Asim atmete tief durch. Eigentlich hatte er sich in aller Stille eine Braut suchen wollen. Von nun an würde man wild spekulieren und ihm eine Kandidatin nach der anderen vorstellen.
Ein lauter Schrei ließ ihn zusammenzucken, und Asim hob den Kopf und blickte sich um. Ein weiterer unheimlicher Schrei durchbrach die nächtliche Stille.
Asim ging einen weiteren Bogengang entlang. Dieser führte zu einem noch älteren Trakt, der nicht mehr benutzt wurde. Wieder hörte er einen Schrei, als er einen verwilderten Teil des Gartens betrat. Und wieder. Schrill, gequält. Er eilte weiter. Sobald er sich dem Pavillon am hinteren Ende des Gartens näherte, sah er einen Lichtschein und verspürte einen Adrenalinschub.
Asim rannte darauf zu. Er konnte allerdings weder Flammen noch Rauch sehen. Durch den breiten Eingang und den dunklen Flur gelangte er in einen Raum, in dem Licht brannte. Mit klopfendem Herzen blieb er stehen, so unerwartet traf ihn der Anblick, der sich ihm bot.
Eine altmodische Lampe tauchte den Raum mit den Wandgemälden und dem Mosaikfußboden in sanftes Licht. Es gab nur einen kleinen Tisch, eine mit Schnitzereien verzierte Kommode und ein breites Bett.
Fassungslos betrachtete er die Frau, die nackt darauf lag. Das warme Licht ließ ihren Körper golden schimmern – die langen, schlanken Beine, den flachen Bauch, die hohen, festen Brüste, die sich bei jedem Atemzug bewegten, den schlanken Hals und die schmerzhaft verzogenen Lippen. Ihre Arme ruhten über ihrem Kopf auf einem Satinkissen.
Verblüffung, Neugier und heiß aufloderndes Verlangen kämpften in ihm um die Oberhand. Asim schluckte und ließ den Blick von ihren Brüsten zu dem Dreieck zwischen ihren Schenkeln gleiten. Dann riss er sich zusammen und ging auf die Frau zu.
Ihr verschwitztes dunkelblondes Haar verwirrte sich auf dem Kissen zu wilden Strähnen, als sie den Kopf hin und her warf und im Schlaf stöhnte. Sobald er vor ihr stand, spürte er die Hitze, die sie ausstrahlte. Schnell verschränkte er die Hände im Rücken, um sie nicht zu berühren.
Wer war diese Frau?
Ungeachtet seiner hohen Position hatten sich ihm schon einige Frauen schamlos dargeboten. Gehörte diese Frau auch dazu? Die Reaktion seines Körpers bewies jedenfalls, dass sie sein Interesse geweckt hatte. Früher wäre er vielleicht in Versuchung geraten, doch jetzt suchte er eine Ehefrau und keinen One-Night-Stand.
Unwillkürlich betrachtete er wieder ihren Körper. Sie war sehr schlank, beinah dünn, und groß. Ein Model?
Mühsam musste Asim die Erregung unterdrücken, die sein Blut in Wallung brachte. Langsam streckte er eine Hand zu ihrer Brust und obwohl er die Frau nicht berührte, glaubte er, eine ihrer Knospen zu spüren. Schnell ballte er seine Hand zur Faust, um der Versuchung zu widerstehen.
Plötzlich bewegte sich die Frau im Schlaf. Sie atmete hörbar ein und seufzte im nächsten Moment tief.
Beschämt wich Asim einen Schritt zurück, denn er fühlte sich plötzlich wie ein Voyeur. „Aufwachen!“, sagte er energisch.
Zuerst reagierte sie nicht. Er öffnete den Mund, um es zu wiederholen, doch da bewegte sich die fremde Frau erneut – und begann laut zu schreien.
„Aufwachen! … Aufwachen!“ Wie ein Mantra gingen ihr die Worte durch den Kopf. Der Boden bebte, und sie wurde wie eine Puppe durch die Luft geschleudert. Doch Jacqui lief nicht weg. Warum sollte sie auch? Sie hatte Imran der Gefahr ausgesetzt, und nun war er tot. Wie konnte sie überhaupt ans eigene Überleben denken?
Aber die Stimme verstummte nicht. „Aufwachen!“ Jemand hatte geschrien. Jacqui brauchte eine Weile, um sich bewusst zu machen, dass es ihre eigenen Schreie gewesen waren. Angst ergriff sie, obwohl die Panik des Traums langsam abzuebben begann.
Sie hatte wieder geträumt.
„Schon besser.“ Das war wieder die Stimme. Beruhigend und so tief, dass sie sie bis ins Innerste berührte. „Sie sind jetzt wach, stimmt’s?“
Imran ist tot. Eine tiefe Trauer überkam sie.
Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie wischte sie schnell weg. Die Wärme an ihren Schultern ließ nach. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass jemand sie berührt hatte. Schockiert öffnete Jacqui die Lider.
Ich bin nicht allein.
Dunkle Augen unter geraden schwarzen Brauen blickten sie forschend an. In den Winkeln zeichneten sich feine Fältchen ab, ein Beweis dafür, dass dieser Mann viel Zeit im Freien verbrachte. Wie gebannt erwiderte sie seinen Blick. Er kam ihr irgendwie bekannt vor.
„Geht es Ihnen besser?“, erkundigte er sich besorgt.
Obwohl sie noch ganz unter dem Eindruck des Albtraums stand, hatte sie keine Angst. Ja, sie war erleichtert, dass sie nicht im Dunkeln allein war.
Der Mann stand so dicht vor ihr, dass sie den Duft seiner Haut wahrnahm, der sie an exotische Gewürze und heiße Wüstenwinde erinnerte. Lange Wimpern verschleierten seine Augen, als er den Blick zu ihren Lippen schweifen ließ. Sofort wurde ihr heiß, und sie spürte, wie ihre Knospen sich aufrichteten.
Starr betrachtete sie ihn, während sie fieberhaft überlegte, was ihre ungewohnte Reaktion bedeutete. „Ja, danke. Ich bin …“ Erst dann erinnerte sie sich. „… nackt!“ Schockiert setzte sie sich auf.
Während der Mann zurückwich, suchte sie in Panik nach dem Laken, das vom Bett gerutscht sein musste. Sie erinnerte sich nur daran, dass er ihre Schultern umfasst hatte. Aber hatte er sie womöglich noch woanders angefasst? Sobald sie sich das seidene Laken umgeschlungen hatte, richtete sie sich auf und wirbelte zu ihm herum.
Der Fremde war sehr groß, und das sollte etwas heißen, denn es gab nur wenige Männer, denen gegenüber sie sich klein fühlte. Seine breiten Schultern unterstrichen ihren ersten Eindruck von ungezügelter Männlichkeit. Und ihr zweiter Eindruck war, dass er etwas verbarg. Seine Miene wirkte verschlossen, fast streng und sein Blick geheimnisvoll. Noch immer betrachtete er sie forschend.
Noch nie hatte sie körperlich so auf einen Mann reagiert. Das beunruhigte sie fast genauso wie die Tatsache, dass er sie hier gefunden hatte.
Während sie das Laken unter dem Arm feststeckte, versuchte Jacqui, ihre Angst zu unterdrücken. In all den Jahren, die sie schon reiste, hatte sie das Packen zur Kunstform erhoben. Diesmal hatte zum ersten Mal überhaupt vergessen, ihr altes Sleepshirt einzupacken. Vor zwei Stunden hatte es sie noch nicht gestört, doch sie da hatte sie auch nicht damit gerechnet, aufzuwachen und vollkommen nackt einem Helden aus Tausendundeiner Nacht gegenüberzustehen. Oder war er ein Schurke?
„Wer sind Sie?“ Zu ihrem Leidwesen klang ihre Stimme heiser und bebte. „Was machen Sie hier?“
Regungslos stand er da. „Ich glaube, das ist mein Text.“ Er zog die Brauen hoch, als würde er auf ihre Antwort warten.
Aber Jacqui hatte gelernt, nie Schwäche zu zeigen. Es war ihr gutes Recht, hier zu sein. Doch bevor sie ihm das sagen konnte, sprach er wieder.
„Wer sind Sie, und was machen Sie in meinem Harem?“
In seinem Harem?
Kein Wunder, dass er ihr so bekannt vorkam. Auf den Fotos hatte Sultan Asim von Jazeer allerdings immer die traditionelle Kopfbedeckung getragen.
Jacqui betrachtete das dichte schwarze Haar, das so gut mit seinem dunklen Teint harmonierte. In der Presse wurde er regelmäßig als einer der begehrtesten Junggesellen der Welt bezeichnet. Er war reich, mächtig und ausgesprochen charismatisch. Falls man ihn in der Öffentlichkeit je so sähe – ohne Kopfbedeckung und mit leicht zerzaustem Haar –, würde er sich vor den Frauen nicht mehr retten können.
Aber Imran zufolge hatten sich Seiner Königlichen Hoheit schon unzählige Frauen an den Hals geworfen.
Imran.
Jacqui legte sich die Hand auf den Bauch, weil ihr plötzlich flau wurde.
„Sie sollten sich setzen.“ Das war ein Befehl. „Sie hatten einen Albtraum und sollten noch vorsichtig sein.“
„Sie wissen davon?“
„Was glauben Sie denn, warum ich hier bin?“ Sein arroganter Gesichtsausdruck schien sie zu verhöhnen. Was sollte ein Mann wie Sultan Asim denn auch von einer so unscheinbaren Frau wie Jacqui Fletcher wollen?
Unbeholfen sank sie aufs Bett. Sie hatte ganz weiche Knie. Der Traum war so real gewesen.
„Alles in Ordnung?“ Er war wieder näher gekommen, blieb allerdings auf Abstand.
Grimmig musste Jacqui sich eingestehen, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, mit denen reiche, verführerische Potentaten sich amüsierten. Die Natur hatte sie nicht gerade mit Kurven ausgestattet.
„Es wird mir bald wieder gutgehen“, schwindelte sie.
„Haben Sie oft Albträume?“
„Manchmal“, wich sie aus.
„Vielleicht sollten Sie sich Hilfe holen.“
„Sie scheinen sich ja sehr für meine Schlafgewohnheiten zu interessieren.“
Bildete sie es sich bloß ein, oder war er leicht rot geworden? Jacqui verspannte sich und strich sich über die Stirn, denn diese hatte zu pochen begonnen. Sie wünschte, sie könnte ihre Unhöflichkeit auf ihre Orientierungslosigkeit nach jenem Albtraum zurückführen. Doch sie argwöhnte, dass es ihre Reaktion auf den Sultan war. Er war einfach zu … groß, zu maskulin, zu nahe. Er schien den Raum zu beherrschen.
„Tut mir leid“, fügte sie heiser hinzu.
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen.“ Der Klang seiner Stimme ließ sie dahinschmelzen. „Die Umstände sind … ungewöhnlich. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich Ihre Privatsphäre verletzt habe.“
Eigentlich hätte sie erleichtert sein müssen, weil der Sultan so offensichtlich nicht in ihrem Schlafzimmer sein wollte. Sie hatte das Funkeln in seinen Augen als Verlangen gedeutet, doch sie hatte sich geirrt. Aber aus irgendeinem Grund knisterte es immer noch zwischen ihnen.
„Und nun können Sie meine Frage beantworten“, fügte Asim hinzu.
„Ihre Frage?“ Sie fühlte sich wie ein Papagei, doch sie war völlig durcheinander.
Er verschränkte die Arme, und sie war schon wieder abgelenkt. Unter seinem langen Gewand zeichnete sich ein Körper ab, der noch beeindruckender war, als sie geahnt hatte.
„Wer sind Sie?“
Ihre Augen waren bernsteinfarben. Es war ein warmer, verlockender Farbton, der ihn an den Sonnenaufgang über der Wüste erinnerte. Das Strahlen darin hatte ihn verblüfft. Diese großen, leicht schrägen Augen verliehen der unbekannten Frau etwas Katzenhaftes.
Asim ertappte sich dabei, wie er sie anstarrte.
Aber immer noch besser, ihre Augen anzustarren als ihren Körper, meldete sich sein Gewissen. Er war der Löwe von Jazeer, der Herrscher, das Gesetz. Er begaffte keine wehrlosen Frauen. Doch das Bild ihres geschmeidigen Körpers hatte sich ihm eingebrannt, und er wurde es nicht mehr los.
„Ich bin Jacqui Fletcher.“ Sie straffte sich und blickte ihm direkt in die Augen, wie es nur wenige seiner Untertanen taten.
Sein Puls begann zu rasen. Sollte er sie kennen? Ihr Name kam ihm bekannt vor, doch Asim war sicher, dass sie sich noch nie begegnet waren. Jacqui hatte zuerst auf Arabisch geantwortet und war erst ins Englische gewechselt, als sie sich ihrer Nacktheit bewusst wurde.
„Wie kommen Sie hierher?“ Seine Sicherheitsbeamten waren ihm einige Antworten schuldig.
„Ich wurde eingeladen.“ Sie hob den Kopf, wandte allerdings den Blick ab.
„Ach ja?“ Fasziniert beobachtete Asim, wie sie errötete. „Ich kann mich nicht entsinnen, eine Einladung ausgesprochen zu haben.“
Wieder hob sie das Kinn. War ihr eigentlich bewusst, wie aufreizend sie aussah mit dem zerzausten Haar und dem hauchdünnen Laken, das immer tiefer rutschte?
„Die Einladung kam von Lady Rania.“
„Von meiner Großmutter?“ Er witterte eine Intrige. Im Laufe der Jahre hatte er einen Instinkt für so etwas entwickelt, schließlich war er in einer entsprechenden Umgebung aufgewachsen. „Komisch, dass sie mir gegenüber kein Wort erwähnt hat.“
Jacqui zuckte die bloßen Schultern. Sofort flammte heißes Verlangen in Asim auf, doch er ignorierte es.
„Wirklich nicht?“
Allmählich verlor er die Geduld. „Warum sind Sie hier, Jacqui Fletcher?“ Er hatte den Namen schon einmal gehört. „Sie müssten eigentlich in einer der Gästesuiten in der Nähe meiner Großmutter wohnen.“
Irgendetwas lief hier hinter seinem Rücken, und das gefiel ihm überhaupt nicht. Er hätte eigentlich argwöhnisch sein müssen, denn die alte Dame war in der vergangenen Woche ungewöhnlich still gewesen. Seine geliebte Großmutter besaß viele Eigenschaften – sie war ebenso scharf- wie starrsinnig, aber niemals zaghaft. Er hatte sich schon besorgt gefragt, ob es ihr nicht gut ging, ob das Alter und der Kummer sich jetzt bei ihr bemerkbar machten. Aber er hätte es besser wissen müssen.
„Ich recherchiere hier für ein Buch. Ich bin Schriftstellerin.“
Asim runzelte die Stirn. „Schriftstellerin?“ Und plötzlich fiel es ihm ein. Er erstarrte. „Nicht Jacqui, sondern Jacqueline Fletcher, stimmt’s?“ Als sie schluckte, wusste er, dass er recht hatte. „Und Sie sind keine Schriftstellerin, sondern Journalistin. Richtig?“
Zorn flammte in ihm auf. Was hatte seine Großmutter sich nur dabei gedacht? Zu jeder anderen Zeit wäre es schlimm genug gewesen, aber ausgerechnet jetzt? Für sie alle stand zu viel auf dem Spiel. Und das hier war nicht irgendeine Journalistin. Sie war bei Imran gewesen, als dieser starb.
Asim atmete tief durch, um den Schmerz zu unterdrücken. Sein Cousin hatte mit dieser Frau zusammengearbeitet. Sie waren gemeinsam zu einem Interview aufgebrochen. Doch nur einer von ihnen war zurückgekehrt.
Krampfhaft krallte Jacqui die Finger in das Seidenlaken, das ständig hinunterzurutschen drohte. Sie hatte eigentlich vorgehabt, dem Sultan angezogen unter die Augen zu treten … Nur mühsam unterdrückte sie ein hysterisches Kichern.
Dabei war es überhaupt nicht lustig! Sultan Asim war so mächtig, dass er ihr Projekt zunichtemachen konnte. Wie sollte sie ihn in diesem Zustand und in diesem Aufzug von ihrer Mission überzeugen? Er würde sie niemals ernst nehmen.
„Ich nenne mich Jacqui Fletcher.“
„Aber in den offiziellen Berichten war immer von Jacqueline die Rede“, sagte er mit einem vorwurfsvollen Unterton, der sie zusammenzucken ließ.
Sie kannte die Berichte, die er meinte. Polizeiberichte, diplomatische Berichte, Arztberichte und Pressemeldungen. Es war erstaunlich, wie viel Bürokratie es nach sich zog, wenn zwei ausländische Reporter in einen vermeintlich terroristischen Anschlag gerieten!
Mühsam schluckte sie. „Das ist mein Geburtsname, aber den benutze ich nie.“
„Nein.“ Seine Miene versteinerte. „Ich weiß, dass Sie sich Jack nennen.“
Imran. Jacqui drohte die Fassung zu verlieren. Er musste es ihm erzählt haben. „Das ist ein Spitzname, den meine Kollegen benutzen.“
„Sie waren die Partnerin meines Cousins.“ Asim betrachtete sie durchdringend.
Glaubte er etwa, Imran und sie wären ein Paar gewesen? „Wir waren Kollegen … und Freunde.“ Keiner hatte Jacqui so nahegestanden wie Imran.
Kein Wunder, dass dieser Mann ihr von Anfang an so bekannt vorgekommen war. Genau wie Imran war auch der Sultan außergewöhnlich attraktiv. Doch während Imrans Augen stets schalkhaft gefunkelt hatten, schien der Sultan niemals zu lachen. Er wirkte in jeder Hinsicht härter als sein Cousin.
„Mein herzliches Beileid“, sagte Jacqui heiser. Nach seinem Tod hatte sie an Imrans Familie geschrieben, doch sie war Asim ja noch nicht persönlich begegnet.
„Danke.“ Höflich neigte Asim den Kopf.
Er wollte ihr Mitgefühl nicht. Er lehnte sie ab. Ihr Magen krampfte sich noch mehr zusammen. Sie konnte es Asim nicht verdenken, denn sie war schuld an Imrans Tod. Und sie würde weiter als Journalistin arbeiten.
Jacqui wickelte das Laken fester um sich. Sie wollte allein sein, aber der Mann vor ihr machte keine Anstalten zu gehen. Und dass sie nur notdürftig verhüllt war, brachte ihn offenbar nicht im Geringsten aus der Fassung. Sie hingegen war sich überdeutlich ihrer Weiblichkeit und ihrer Nacktheit bewusst.
„Meine Großmutter hat Sie hierher eingeladen, damit Sie für ein Buch recherchieren können?“, hakte er ungläubig nach.
„Ja, das hat sie.“ Jacqui rang um Fassung. Früher hätte sie eine Situation wie diese als Herausforderung betrachtet, doch seit dem Attentat hatte ihr Selbstvertrauen erheblich gelitten. Die letzten Monate hatten ihren Tribut gefordert.
Sie war nicht mehr die Frau, die sie einmal gewesen war. Diese Erkenntnis jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Hatte sie sich nicht geschworen, sich selbst aus diesem Tief zu kämpfen? Hatte sie sich nicht vorgenommen, ihr Projekt erfolgreich abzuschließen?
Schließlich ist es alles, was mir geblieben ist.
„Lady Rania war sehr hilfsbereit und gastfreundlich“, fügte sie demonstrativ hinzu. „Sie hat mich persönlich eingeladen, hier, im Herz des alten Palasts zu wohnen.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin ihr sehr dankbar.“
Seine Miene wurde noch grüblerischer. „Aber hier können Sie nicht bleiben. Das ist kein Ort für einen Gast.“
Ihr Herz hatte zu rasen begonnen, und sie fasste sich an die Brust. Einen Moment lang hatte sie geglaubt, der Sultan würde sie aus dem Palast werfen. „Ich fühle mich hier sehr wohl.“
Das stimmte. Außerdem war es hier im Vergleich zur Hauptstadt herrlich ruhig. Selbst jetzt, Monate nach der Explosion, konnte sie Menschenmengen oder plötzlichen Lärm nicht ertragen.
Erneut zog er die Brauen hoch. „Trotzdem ist es nicht angemessen.“
Glaubte er etwa, sie würde das Palastsilber stehlen? Offenbar gab er ihr die Schuld an Imrans Tod. Seine Großmutter war allerdings so nett und hilfsbereit gewesen, erst während ihrer Korrespondenz und dann persönlich, dass sie geglaubt hatte, man würde sie hier akzeptieren. Und sie hatte sich eingeredet, dass sie vielleicht etwas wieder gutmachen konnte, wenn sie das Projekt fertigstellte, über das Imran und sie gesprochen hatten.
„Ich bitte jemanden, Sie in einen anderen Raum zu bringen.“ Asim neigte den Kopf und wandte sich ab.
Sofort erwachte ihr alter Kampfgeist. „Das ist sehr rücksichtsvoll von Ihnen, Hoheit.“ Eigentlich war es zu spät fürs Protokoll, denn der Mann hatte sie bereits nackt gesehen. „Aber das ist nicht nötig! Ich bin Lady Rania sehr dankbar dafür, dass sie mir hier Zugang gewährt hat.“
Unvermittelt blieb er stehen und verspannte sich. War er es nicht gewohnt, dass jemand sich nicht so einfach von ihm wegschicken ließ? Imran hatte nicht oft von ihm gesprochen. Jedenfalls hatte Asim nichts von dessen Charme. Seine dunklen Augen funkelten jetzt.
Er hatte sie auf dem falschen Fuß erwischt. Aber ihr Bedauern darüber konnte sie nicht von der Tatsache ablenken, dass ihr Körper unter seinem Blick zu prickeln begann. Als würde Asim sie wieder nackt sehen. Verwirrt wandte Jacqui sich ab. Was war bloß mit ihr los? So reagierte sie nie auf Männer.
„Wie Sie ganz richtig festgestellt haben, ist Lady Rania sehr großzügig.“ Nach einer Kunstpause fuhr Asim fort: „Und sicher finden Sie eine mehr als geeignete Gästesuite.“
„Aber …“ Sie verstummte. Sonst war sie doch nie um Worte verlegen. Schließlich war das ihr Beruf. „Hoheit, ich möchte den privaten Teil des Palasts erkunden, nicht die öffentlichen Veranstaltungsräume.“ Dann setzte sie ein gewinnendes Lächeln auf und zwang sich, ihm in die Augen zu blicken. „Ich schreibe über die Frauen des Palasts und ihr Leben.“
Zu ihrer Verblüffung versteinerte seine Miene wieder. Asim presste die Lippen zusammen und ließ die Hand zu einem juwelenbesetzten Dolch gleiten, den sie erst jetzt bemerkte. Instinktiv wich sie zurück, als er sich innerhalb weniger Sekunden von einem Autokraten in einen Krieger verwandelte. Er wirkte ebenso beeindruckend wie gefährlich.
Ihr Herz fing an zu hämmern, und am liebsten wäre Jacqui weggerannt. Aber bestimmt trug er den Krummdolch nur als Schmuck?
„Sie wollen über die Frauen des Palasts schreiben? Und meine Großmutter hat sich damit einverstanden erklärt?“, donnerte er.
„Nicht nur das. Sie war begeistert.“
Was war eigentlich sein Problem? Es musste um etwas anderes gehen.
„Es fällt mir schwer, das zu glauben.“ Nun verschränkte er die Arme und schüttelte den Kopf. Das kampflustige Funkeln in seinen Augen wich einem herablassenden Ausdruck.
„Ich bin keine Lügnerin, Hoheit.“ Wütend ging Jacqui auf ihn zu und blieb nur eine Armeslänge von ihm entfernt stehen. Zu ihrem Leidwesen nahm sie nun wieder seinen verwirrend anziehenden Duft wahr. Aufgebracht funkelte sie ihn an. „Als ich Ihrer Großmutter erzählt habe, dass ich über die Geschichte des Harems schreiben möchte, war sie begeistert. Da es diese Tradition nicht mehr gibt, möchte ich sie dokumentieren.“
„Sie wollen über die Frauen schreiben, die früher hier gelebt haben?“
„Das habe ich doch gesagt.“ Jacqui krauste die Stirn. „Oder halten Sie Geschichten über Frauen für unwichtig?“, fügte sie impulsiv hinzu.
Gefährlich zu leben hatte einen größeren Reiz als die große innere Leere, die sie seit Monaten verspürte. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit fühlte sie sich wieder lebendig.
„Sie haben sich doch einen Namen mit politischer Berichterstattung und Kriegsreportagen gemacht.“
Jacqui blinzelte. Dass der Sultan das wusste, brachte sie aus der Fassung. Genauso wie die Erinnerung an alles, was sie verloren hatte.
„Ich interessiere mich für viele Dinge. Ich bin zwar Nachrichtenjournalistin, aber ich kann ja auch über andere Themen schreiben.“
Erneut krampfte ihr Magen sich zusammen. Sie wusste nicht, ob sie diesen Traum verwirklichen konnte. Es war jedoch der einzige, den sie noch hatte. Sie schuldete es ihrem Freund und sich.
Der Sultan betrachtete sie schweigend, als wäre sie etwas Außergewöhnliches. Weil sich nie jemand ihm gegenüber behauptete? Wahrscheinlich durfte man dem Herrscher nicht widersprechen.
Jacqui atmete tief durch und betete stumm, dass sie sich nicht ihre einzige Chance verbaut hatte. „Ihre Großmutter ist einer der wenigen Menschen, der sich noch an dieses Leben erinnern kann. Es wäre sträflich, das nicht festzuhalten. Schließlich ist es ein Teil der Geschichte und der Kultur von Jazeer.“
„Sie sind ja sehr leidenschaftlich, was das betrifft.“
„Es ist doch nichts dabei, wenn man im Beruf von Leidenschaft angetrieben wird.“
Es sei denn, es bringt dich und deine Freunde in Gefahr.
Der Schmerz, der sie überkam, war übermächtig. Hier stand sie und redete über banale Dinge, während Imran nie wieder die Sonne im Gesicht spüren oder seine Familie wiedersehen würde. Denn sie hatte ihn der Gefahr ausgesetzt. Vielleicht war es daher ausgleichende Gerechtigkeit, dass sie ihren Job und ihr altes Leben verloren hatte.
Plötzlich umfasste jemand ihren Arm und stützte sie. „Langsam atmen.“
Jacqui schloss die Augen und nickte, während sie sich darauf konzentrierte, gleichmäßig zu atmen. Nur allzu deutlich spürte sie Asims Körperwärme.
„Setzen Sie sich lieber hin.“
Sie öffnete die Augen, als er sie zum Bett führte, und sank darauf nieder. Sofort ließ er sie los.
„Danke“, flüsterte sie. „Sie sind sehr nett.“
„Sie sollten sich noch schonen.“
Benommen sah sie ihn an. „Ich …“ Was sollte sie sagen? Sie musste ein hysterisches Lachen unterdrücken.
„Was ist so komisch?“
Als sie aufblickte, stand Asim nur einen Schritt entfernt und betrachtete sie stirnrunzelnd. „Nur ich.“
„Können Sie sich allein anziehen?“
Entgeistert blinzelte sie. Wollte er es sonst tun? „Ja, natürlich“, erwiderte sie schnell.
„Gut. Dann tun Sie es. In zehn Minuten ziehen Sie um.“ Ohne weitere Erklärung wirbelte der Sultan herum und verließ den Raum.
Rastlos ging Asim im Innenhof auf und ab. Jacqueline Fletcher war ihm wirklich ein Rätsel. Leidenschaftlich und streitlustig, hitzig und doch verletzlich. Das Bedürfnis, sie zu beschützen, war genauso stark wie sein Verlangen, und das beunruhigte ihn.
Und trotzdem wollte er ihr die Schuld daran geben, dass sie noch lebte und Imran nicht.
Unvermittelt wirbelte er herum. Was hatte seine Großmutter sich nur dabei gedacht, eine Journalistin hierher einzuladen? Mit einer professionellen Schnüfflerin unter einem Dach zu leben bedeutete Ärger. Und wenn man die Privatsphäre seiner Schwester Samira noch mehr verletzte, könnte sie vollends zusammenbrechen. Die Ärzte hatten es zwar nicht ausgesprochen, fürchteten es allerdings.
Sein Magen krampfte sich zusammen. Samira hatte so viel durchlitten, weil er versagt hatte. Weil er sie nicht beschützt hatte. Und das fraß ihn innerlich auf.
Widerstrebend hatte er sie in ihren Plänen unterstützt, im Ausland zu studieren, um dann zu erfahren, dass sie eine leidenschaftliche Affäre mit einem Hollywoodschauspieler begonnen hatte, der ebenso narzisstisch wie oberflächlich war. Doch sie war vor Liebe blind gewesen und hatte sogar von Heirat gesprochen. Sie hatte ihn erst durchschaut, als er mit seiner Filmpartnerin in flagranti von deren Ehemann im Bett erwischt wurde. Die anschließende Scheidung der beiden hatte Schlagzeilen gemacht, und im Zuge dessen war auch bekannt geworden, dass ihr Freund sie schon oft betrogen hatte – und dass er Drogen nahm.
Obwohl Samira mit alldem nichts zu tun hatte, hatte die Presse das Ganze genüsslich ausgeschlachtet. War sie mit ihrem atemberaubenden Äußeren und ihrer Herkunft früher der Liebling der Paparazzi gewesen, betrachteten diese sie nun als Freiwild. Also hatte sie hier Zuflucht gesucht. Nur er, seine Großmutter und einige wenige Angestellte wussten, dass sie sich nicht nur seelisch, sondern auch körperlich von der Geschichte erholen musste. Diese Geschichte würde aber niemals bekannt werden.
Noch nie hatte er so große Angst gehabt als zu der Zeit, als er glaubte, er würde sie verlieren. Er hatte sich so hilflos gefühlt. Dies hingegen war eine Situation, die er kontrollieren konnte.
Asim verzog das Gesicht und fuhr sich durchs Haar. Er würde alles tun, um seine kleine Schwester zu beschützen. Er würde sie nie wieder im Stich lassen.
Hatte Jacqueline Fletcher die Wahrheit gesagt? Oder wollte sie nur an Samira herankommen?
Er war zutiefst argwöhnisch. Kein Wunder, denn die Ehe seiner Eltern war ein Netz aus Lügen gewesen. Wie sollte er der Frau vertrauen, die in Imrans Tod verwickelt gewesen war? Sie war wirklich schwer zu durchschauen. Er wusste, dass sie eine renommierte Reporterin war. Sie war Australierin, hatte allerdings lange in Afrika, Asien und dem Mittleren Osten gelebt.
Er wusste, dass sie bei Imran gewesen war, als dieser starb. Alles andere war Spekulation.
Asim schüttelte den Kopf. Er klopfte, trat jedoch nicht ein, um sicherzugehen, dass sie angezogen war. Die Tür öffnete sich nach innen.
„Sie sind es!“
Verblüfft sah Jacqueline ihn an, und wieder einmal fiel ihm auf, wie zerbrechlich sie wirkte. Als er eintrat, wich sie einen Schritt zurück.
„Entschuldigung“, fügte sie leise hinzu. „Ich dachte, es wäre eine Angestellte.“
Trug sie deswegen ein dunkelblaues Top und eine graue Hose? Sie war ungeschminkt und hatte das Haar zu einem schlichten Pferdeschwanz zusammengebunden.
Und trotzdem erregte ihr Anblick ihn. Asim runzelte die Stirn. Dass er diese Frau nackt gesehen hatte, bedeutete nicht, dass er mit ihr schlafen würde, egal was sein Körper wollte. Auf keinen Fall würde er sich mit einer Journalistin einlassen. Außerdem waren seine Geliebten immer schön gekleidet, perfekt zurechtgemacht und extrem kultiviert.
Jacqueline Fletcher war … ungewöhnlich. Aber kultiviert war sie nicht.
„Es ist ein Uhr nachts. Warum sollte ich jemanden wecken, wenn ich Sie selbst begleiten kann?“ Außerdem wollte er sie im Auge behalten.
Nachdem er flüchtig das gemachte Bett betrachtet hatte, nahm er ihren Koffer und ihre Laptoptasche. Sie reiste mit leichtem Gepäck. „Ist das alles?“
„Ja, aber den Laptop nehme ich.“ Sie streckte die Hand aus, ließ sie auf seinen Blick hin allerdings schnell wieder sinken.
Erneut wurde er misstrauisch. „Ich kann beides tragen.“ Mit einem Nicken deutete Asim zur Tür. „Nach Ihnen.“
Nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte, folgte er ihr auf den nur schwach erleuchteten Korridor. Sofort stieg ihm der fruchtige Duft ihres Parfüms in die Nase.
„Ich gehe voran. Passen Sie auf. Diese alten Fliesen sind uneben.“
Schweigend folgte Jacqueline ihm. „Wohin gehen wir?“, erkundigte sie sich schließlich.
„Zu einer Gästesuite, in der Sie ungestört sind.“ Oder besser gesagt, in der sie niemanden stören konnte. Er würde sie überwachen lassen, damit sie nicht auf dumme Gedanken kam.
„Liegt sie in dem modernen Teil des Palasts?“
„Ja, in dem, der in den vergangenen zehn Jahren fertiggestellt wurde.“ Als er sein Amt antrat, hatte er sich den Luxus geleistet, einen Teil des Gebäudes in eine Suite für sich und in eine für seine privaten Gäste umwandeln zu lassen. Die Wohnräume seiner Eltern waren mit zu vielen schmerzlichen Erinnerungen behaftet.
„Bestimmt ist sie sehr komfortabel“, sagte Jacqui wenig begeistert.
„Aber?“
„Kein Aber.“ Nach einer Pause fuhr sie fort: „Ich hatte nur leider keine Zeit, die alten Räume zu erkunden. Sie sind so schön mit all den Wandmalereien. Besonders die mit den Kletterrosen und den Vögeln hat mir sehr gefallen.“
„Sie wären also gern an einem Ort wie diesem geblieben? Schön, aber abgelegen?“, hakte Asim überrascht nach.
„Er hat seinen ganz eigenen Charme. Aber ich bin eine moderne Frau. Irgendwann hätte ich mich dort wahrscheinlich gelangweilt und wie eine Gefangene gefühlt.“
„Die Frauen, die dort gewohnt haben, waren immer beschäftigt.“
Nun wandte Jacqui sich zu ihm um. „Indem sie dem Sultan immer zur Verfügung standen und ihm jeden Wunsch erfüllt haben?“
Asim musste sich ein Lächeln verkneifen. Sie klang fast prüde. „Sie haben anscheinend zu viele Romane gelesen. Dort haben nicht nur die Ehefrauen oder Geliebten der Herrscher gelebt, sondern auch all seine weiblichen Verwandten.“
Er bedeutete ihr, in einen Korridor mit Marmorboden voranzugehen, der von Wandlampen erhellt wurde. „Nach Meinung der Familie waren meine Vorfahren deswegen so kriegerisch und auch so siegreich. Sie haben ihren Frust abreagiert, denn zu Hause hatten die Frauen das Zepter in der Hand.“
Als sie stehen blieb, wandte er sich zu ihr um. Ihr Gesicht war nun nicht mehr so blass, sondern zart gerötet. Auch ihre Lippen wirkten voller und rosiger.
„Es gibt immer zwei Seiten. Ich wette, Ihre männlichen Vorfahren hätten die Freiheit, überallhin reiten und Kämpfe mit ihren Nachbarn anfangen zu können, auch nicht aufgegeben, wenn sie dafür zu Hause das alleinige Sagen gehabt hätten. Und was das Recht betrifft, sich die schönste Frau im Reich zu nehmen …“
Asim hob die Hand. „Sie haben offenbar doch Ihre Hausaufgaben gemacht.“ Dann zuckte er die Schultern. „Männer sind eben so.“ Vor allem in seiner Familie. Plünderer, Krieger und Herrscher – sie alle hatten als wild gegolten, aber auch als ehrenhaft. Und als Frauenkenner.
Als er in Jacquis große, verführerische Augen blickte, bedauerte er für einen Moment zutiefst, dass jene Zeiten vorbei waren. Noch vor hundert Jahren hätte er eine Journalistin, die es auf Familiengeheimnisse abgesehen hatte, in Ketten werfen lassen können. Allerdings hätte er Jacqueline Fletcher nicht in den Kerker werfen lassen. Er hätte sie in einem Zimmer genommen, dessen Wände mit Szenen aus dem Paradies bemalt waren – und ihre Fesseln wären aus Seide gewesen …
Plötzlich wich sie zurück und sah ihn argwöhnisch an, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Asim blinzelte und riss sich zusammen. „Wir sind gleich da“, murmelte er und ging weiter.
Was war bloß in ihn gefahren? Er hatte schon viele nackte Frauen gesehen. Früher war Sex eine seiner Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Das war noch immer so, doch in den vergangenen Monaten hatte er enthaltsam gelebt, weil er zu sehr mit seiner Schwester beschäftigt gewesen war. Außerdem hatte er das Abkommen vorbereiten müssen, das er heute Abend unterzeichnet hatte.
Nun öffnete er die hohe Eingangstür zu seinem Privatbereich. Er würde Jacqueline Fletcher von seiner Schwester fernhalten. Falls sie den Palast erkunden wollte, musste sie erst an ihm vorbei und dann an seinen Wachen. Außerdem musste jemand nach diesem Albtraum in ihrer Nähe bleiben. Er erinnerte sich noch gut an die Albträume seiner Schwester, als die Hassliebe zwischen seinen Eltern eskaliert war.
Nein, es war genau richtig, diese Frau in der Nähe zu behalten.
„Hier entlang.“ Er durchquerte das Atrium und betrat einen Säulengang, der neben seinem Lieblingsinnenhof verlief.
„Ist das schön!“ Jacqui blieb stehen und blickte sich staunend um.
Asim folgte ihrem Blick. Bäume spendeten tagsüber Schatten, und am hinteren Ende des Hofs befand sich ein langer, mit Mosaiksteinen gefliester Swimmingpool, der von Unterwasserlampen erhellt wurde. Der Bogengang wurde indirekt angestrahlt.
„Schön, dass es Ihnen gefällt. Der Hof wurde nach meinen Vorstellungen gestaltet.“ Er schob sie durch eine Tür ins Wohnzimmer.
„Du meine Güte. Es ist …“
Nachdem er ihr gefolgt war, stellte er den Koffer ab. „Zu modern?“
Als er sich umdrehte, sah er, dass sie in der Mitte stehen geblieben war. Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sofort begann sein Puls zu rasen. Welche Wirkung würde wohl ein strahlendes Lächeln auf ihn haben? Schnell verdrängte Asim den Gedanken, weil es ihm schien, als würde er seinen Cousin verraten.
Jacqui schüttelte den Kopf und begutachtete aufmerksam den hellen, luftigen Raum, die zarten Vorhänge vor dem Fenster und die kostbaren Stoffe, die einladend um das Bett drapiert waren. „Auf keinen Fall. Er ist luxuriös, aber sehr gemütlich.“ Dann sah sie ihm in die Augen. „Überhaupt nicht wie eine Gästesuite.“
Asim zuckte die Schultern. „Das war auch meine Absicht.“ Er verschwieg, dass er bisher erst ein oder zwei enge Freunde hier beherbergt hatte. Und manchmal eine seiner Geliebten … Dann deutete er in Richtung Bad. „Dort finden Sie alles, was Sie brauchen. Wenn nicht, rufen Sie die Hauswirtschafterin an. Neben dem Bett steht ein Telefon.“ Er wandte sich ab. „Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“
„Warten Sie!“ Ihre Stimme erklang dicht hinter ihm, und als er sich umdrehte, stand Jacqui nur eine Armeslänge von ihm entfernt. So weit durften sich ihm normalerweise nur Familienmitglieder nähern. Oder eine Geliebte.
Eine prickelnde Vorfreude erfüllte ihn. War es das, was er von dieser Frau wollte? Es war eine verrückte Idee, doch die Signale seines Körpers waren unmissverständlich …
„Sie haben noch meinen Laptop.“ Jacqui streckte fordernd die Hand aus. Einen Moment lang erwog er, ihr ihn nicht auszuhändigen. Dann tat er es doch. „Was wäre eine Journalistin ohne einen Computer?“
„Danke. Und danke für Ihre Gastfreundschaft. Die Räume sind wirklich wunderschön. Ich betrachte es als Privileg, während meiner Recherche hier im Palast wohnen zu können.“
Asim schüttelte den Kopf und beobachtete, wie sofort ein bestürzter Ausdruck über ihr Gesicht huschte. „Danken Sie mir nicht zu früh, Ms Fletcher. Sie reisen morgen ab.“
Ehe sie protestieren konnte, verließ er die Suite. Allerdings überraschte ihn, dass sie ihm nicht folgte. Er sah den verletzten Ausdruck in ihren Augen vor sich, bis er schließlich schlafen ging. Und dann träumte er von einer schlanken Frau mit heller Haut, die auf seinem Bett lag und auf ihn wartete. Ihr Haar hatte die Farbe des Löwen von Jazeer, für den sein Land berühmt war, und ihre Stimme klang heiser, als sie ihn bat, all die Dinge zu tun, nach denen sein Körper sich sehnte.
Asim ging im Wohnzimmer seiner Großmutter auf und ab. Er hatte schlecht geschlafen, und die Begegnung mit dem Emir und dessen Nichte am Morgen hatte seine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Beim Abschied hatte die junge Frau ihm eindeutige Blicke zugeworfen, und er war erleichtert gewesen, als die beiden endlich den Palast verließen.
Nun musste er nur noch eine Frau hinauswerfen. Allerdings beharrte seine Großmutter darauf, sie hierzubehalten.
„Es geht nicht. Sie kann nicht bleiben, wenn wir Samira schützen wollen“, erklärte er.
„Doch, es geht. Sie werden sich in getrennten Flügeln aufhalten, und Ms Fletcher wird mit ihrer Recherche beschäftigt sein.“
Asim betrachtete die zierliche alte Dame, von der er offenbar seine Entschlossenheit geerbt hatte. Er wünschte, sie hätte schon damals im Palast gewohnt. Da seine Mutter sie jedoch nicht gemocht hatte, hatte sie sich in einen Sommerpalast zurückgezogen. Heute konnte er seine verstorbene Mutter zum ersten Mal verstehen, denn seine Großmutter konnte wirklich sehr hartnäckig sein.
„Eine Journalistin unter demselben Dach wohnen zu lassen wie eine schöne Prinzessin, die auf der Flucht vor der Presse ist, kann nicht gutgehen“, bekräftigte er.
„Ms Fletcher gehört nicht zu der Sorte, die hinter Sensationsstorys her ist. Ich habe dir doch von dem Buch erzählt, das sie schreiben will.“
Ja, das hatte sie. Auf dem Tisch lagen unzählige Artikel über Frauen in Afrika und Asien, die Jacqueline Fletcher verfasst hatte. Offenbar war sie ein Workaholic, doch Asim fragte sich, woher sie die Zeit für ein Buch nahm.
„Glaubst du, es gibt einen Unterschied zwischen Nachrichtenjournalisten und Paparazzi?“ Wie konnte sie nur so naiv sein? „Auch ein Nachrichtenjournalist wird sich auf eine Story stürzen, wenn er eine wittert. Und Samira ist momentan immer für eine Meldung gut.“
„Nicht nur momentan.“ Seine Großmutter verschränkte die Arme. „Die Frage ist eben, wie man damit umgeht.“
„Du glaubst, mit dieser Frau hier kann sie den Schaden begrenzen?“ Er traute seinen Ohren nicht.
Forschend betrachtete sie ihn. „Ich glaube, das sind zwei verschiedene Dinge. Du machst dir unnötig Sorgen. Ich habe Ms Fletcher überprüfen lassen.“
„Tatsächlich?“
Seine Großmutter nickte. „Ihr Leben ist ein offenes Buch und dreht sich fast nur um ihre Arbeit. Dieses Projekt ist ihr sehr wichtig. Und das wird sie nicht gefährden, indem sie an dem Ast sägt, auf dem sie sitzt.“
„Aber warum schreibt sie ausgerechnet ein Buch über dieses Thema? Sie hat vorher als Nachrichtenjournalistin gearbeitet. Warum legt sie das alles mit achtundzwanzig aufs Eis? Sie hatte doch eine vielversprechende Karriere vor sich.“ Am Vorabend hatte er im Internet noch einmal gründlich recherchiert.
„Ich habe eine Weile mit ihr korrespondiert, Asim. Schon bevor Imran …“ Die alte Dame atmete tief ein und verschränkte die Finger im Schoß. „Es war seine Idee, dass sie Kontakt zu mir aufnimmt, und ich glaube, sie fühlt sich deinem Cousin gegenüber verpflichtet, das Projekt zu beenden.“
„Verpflichtet?“, wiederholte er scharf. „Dafür ist es jetzt zu spät.“
„Du kannst sie nicht für die Ereignisse verantwortlich machen. Du weißt, dass sie genauso ein Opfer des Attentats war wie Imran.“
Widerstrebend nickte er. Trotzdem schien es ihm nicht richtig, dass Jacqueline Fletcher sich hier im Palast aufhielt.
„Wie kann ich ihr den Rücken kehren?“, fuhr seine Großmutter fort. „Es war das letzte Versprechen, das ich Imran gegeben habe.“
Asim beobachtete, wie sie mit den Tränen kämpfte, und sein Magen krampfte sich zusammen. Sie hatte immer so unerschütterlich gewirkt, doch der vorzeitige Tod seines Cousins hatte sie schneller altern lassen als der Verlust ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter. Imrans Tod hatte sie alle schockiert, aber für sie war es ein Schlag gewesen, von dem sie sich vielleicht nie erholen würde. Es sei denn, sie konnte sich auf etwas anderes konzentrieren.
Seufzend sank Asim auf die Lehne ihres Sessels und legte seine Hand beruhigend auf die Hand seiner Großmutter. Er wusste, dass er dies bereuen würde. „Du möchtest Jacqueline Fletcher wirklich hierbehalten?“
„Ich habe es Imran versprochen.“
Imran und Jacqueline Fletcher. Wie nahe hatten sich die beiden gestanden? Diese Frage hatte ihn die ganze Nacht beschäftigt.
Für einen Moment schloss Asim die Augen. „Und wenn sie sich als nicht vertrauenswürdig erweist?“
„Ich werde vielleicht älter, Asim, aber ich habe immer noch eine gute Menschenkenntnis“, erklärte seine Großmutter mit einem entrüsteten Unterton. „Und einen Blick für Talent.“ Sie deutete auf die Artikel auf dem Tisch. „Lies das, und sag mir dann, dass sie nicht begabt ist. Sie ist eine hervorragende Journalistin, aber aus ihren Artikeln sprechen auch Mitgefühl und Respekt.“
„Respekt?“ Das war ein Wort, das er nicht mit der Presse in Verbindung brachte.
„Bilde dir selbst ein Urteil.“
Ihr zuliebe stand er auf und nahm die Artikel vom Tisch.
„Du lässt sie also bleiben?“
Widerstrebend neigte er den Kopf. „Weil du es möchtest.“
„Du wirst es nicht bereuen, Asim.“
„Das hoffe ich.“
Nervös ging Jacqui im Vorraum auf und ab. Sie musste Probleme immer schnell lösen. Doch leider war der Sultan den ganzen Tag nicht zu erreichen gewesen.
„Seine Hoheit wird Sie jetzt empfangen.“
Als sie herumwirbelte, sah sie einen jungen Mann, der auf eine geöffnete Tür deutete. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Lady Rania hatte ihr an diesem Morgen versichert, dass sie ihren Enkel überzeugen würde. Aber Jacqui fragte sich, ob Asim sich überhaupt je umstimmen ließ, wenn er sich einmal entschieden hatte.
„Danke.“ Nachdem sie ihre Jacke glatt gestrichen hatte, trat sie ein.
Beim Anblick des Mannes, der vor dem riesigen Schreibtisch stand, stockte ihr der Atem. Er war noch größer, als sie ihn in Erinnerung hatte! Dazu diese breiten Schultern, der durchdringende Blick … Flüchtig überlegte sie, ob sie einen Knicks machen sollte, doch sie brachte es nicht über sich. Nachdem er sie am vergangenen Abend nackt gesehen hatte, war es für derartige Gesten wohl ohnehin zu spät.
„Guten Tag, Hoheit.“ Fasziniert betrachtete sie ihn. Er trug ein langes graues Gewand, das am Kragen und am Saum bestickt war, über einer hellen weiten Hose, die in Stiefeln steckte. Einen Dolch konnte sie diesmal nicht entdecken, doch er trug einen weißen, mit Silberfäden durchwirkten Turban. Er sah wirklich beeindruckend aus.
„Bitte setzen Sie sich, Ms Fletcher.“
„Danke, aber ich stehe lieber.“
„Gut. Es dauert auch nicht lange.“
Ihr wurde ganz flau. Eigentlich hätte sie ihren Standpunkt schon am vergangenen Abend klarstellen müssen, doch die vierundzwanzigstündige Reise und der schlimme Albtraum hatten ihren Tribut gefordert. Als der Sultan näher kam, musste sie sich zwingen, stehen zu bleiben. Eine primitive Angst überkam sie, denn Jacqui las in seinem Blick noch etwas anderes als Missbilligung. Mühsam schluckte sie.
„Sie können von Glück reden, Ms Fletcher, denn meine Großmutter ist ganz begeistert von Ihnen.“ Sein maskuliner, würziger Duft verwirrte ihre Sinne. „Also dürfen Sie bleiben.“
Es dauerte eine Weile, bis sie begriff. „Wirklich?“ Die Erleichterung, die sie überkam, schmerzte beinah körperlich.
„Ja.“ Seine Züge wirkten noch schärfer. Er beugte sich zu ihr hinunter, und prompt begann ihr Puls zu rasen. „Aber ich stelle einige Bedingungen.“
Jacqui nickte. „Ja?“, brachte sie hervor.
„Erstens: keine Fotos ohne Erlaubnis.“
„Natürlich. Ich …“
„Zweitens: Versuchen Sie gar nicht erst, über das Privatleben meiner Familienmitglieder zu berichten. Über geschichtliche Dinge zu schreiben ist eine Sache, nach Sensationsstorys zu suchen eine ganz andere. Notfalls würde ich Sie verklagen.“
Nun wurde sie wütend. „Deswegen bin ich nicht hier!“
Zu ihrer Überraschung umfasste er plötzlich ihr Kinn und hob es an, bis sie ihm ins Gesicht blickte. Es knisterte zwischen ihnen, und ein nie gekanntes Gefühl wallte in ihr auf, als sie seine Finger am Hals spürte. Sie war hin- und hergerissen zwischen Angst und Erregung. Jacqui blinzelte. Offenbar war sie im Begriff, den Verstand zu verlieren.
„Drittens.“ Asim machte eine Pause und ließ den Blick zu ihren leicht geöffneten Lippen schweifen, woraufhin diese zu ihrer Bestürzung sofort zu prickeln begannen. „Sie werden sich schriftlich mit meinen Bedingungen einverstanden erklären, und wir werden uns regelmäßig treffen, damit Sie mir von Ihren Fortschritten berichten. Ich werde regen Anteil an der Entstehung Ihres Buchs nehmen.“
Jacqui schluckte. „Natürlich.“ Vergeblich versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. „Aber Sie müssen mich nicht angreifen, um Ihren Standpunkt zu untermauern.“
„Angreifen?“ Er zog die Brauen hoch. „Ich erinnere Sie lediglich daran, dass mein Wille hier Gesetz ist. Falls Sie auch nur versuchen, meine Familie auszunutzen, werden Sie teuer dafür bezahlen. Verstanden?“
„Ja.“ Nachdem sie noch einen Moment regungslos dagestanden hatte, ging sie blitzschnell in die Knie und entwand sich seinem Griff.
Dann umfasste sie sein Handgelenk. Seine Haut war ganz warm. Angesichts des überraschten Ausdrucks in seinen dunklen Augen musste Jacqui ein Lächeln unterdrücken. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sie sich stark und selbstsicher. Nachdem sie so lange an sich gezweifelt hatte, war es eine große Erleichterung.
„Und ich hoffe, Sie, Hoheit, verstehen, dass ich mich nicht einschüchtern lasse.“ Sie spürte seinen schnellen Puls. „Wenn ich möchte, dass ein Mann mich berührt, fordere ich ihn dazu auf.“
Ein drohendes Lächeln umspielte seine Lippen. „Das werde ich nicht vergessen, Ms Fletcher.“
Seltsamerweise fand Jacqui seine Worte alles andere als beruhigend …
„Und, steht sie auf deiner Liste potenzieller Bräute?“, flüsterte seine Großmutter ihm zu, während sie nach dem Empfang Seite an Seite die Gäste verabschiedeten.
Sofort verspannte Asim sich. „Ich halte mir alle Möglichkeiten offen.“ Er beobachtete, wie die betreffende junge Frau mit ihren Eltern ging. Die drei waren bis zum Schluss geblieben, und er fragte sich, ob sie auf irgendein Zeichen gewartet hatten.
„Sie ist sehr hübsch“, murmelte seine Großmutter. „Und ausgesprochen gut erzogen.“
So gut erzogen, dass sie immer nur mit Ja oder Nein geantwortet und dabei den Blick gesenkt hatte.
Asim ließ den Blick zu einer Gruppe schweifen, in deren Mitte Jacqueline Fletcher stand. Sie unterhielt sich gerade mit einem der bekanntesten Anwälte des Landes. Sie hätte bestimmt nicht stumm vor einem Mann gestanden, mit dem ihre Eltern sie verheiraten wollten.
„Und sie möchte offenbar unbedingt eine Familie gründen“, riss die Stimme seiner Großmutter ihn aus seinen Gedanken. „Wusstest du, dass sie ehrenamtlich im Kinderkrankenhaus arbeitet? Sie liebt Kinder.“
„Ja, das hat sie gesagt.“
Die junge Frau war erst lebhafter geworden, als sie von den Kindern im Krankenhaus sprach und davon, dass sie später eine große Familie haben wollte. Er mochte Kinder und wünschte sich welche. Doch er fühlte sich unbehaglich in Gegenwart einer Frau, die keine anderen Interessen zu haben schien.
„Ihrer Mutter zufolge ist sie eine hervorragende Köchin. Ich schätze, sie wäre eine wunderbare Hausfrau.“
Forschend betrachtete er seine Großmutter. „Hier gibt es doch genug gute Köche.“
„Ich zähle nur ihre guten Eigenschaften auf. Warum bist du so gereizt?“
Asim zuckte die Schultern und runzelte die Stirn. Ja, warum war er so unzufrieden? „Tut mir leid. Ich dachte, ich wüsste, was ich wollte, und jetzt habe ich Zweifel.“
Sie nickte. „Ein Mann wie du braucht mehr als eine süße kleine Maus. Du brauchst eine richtige Frau.“
Asim ertappte sich dabei, wie er wieder den Blick auf Jacqueline Fletcher richtete. Eine richtige Frau, hatte seine Großmutter gesagt.
Aber nicht so eine wie sein ungebetener Gast. Sie wusste zwar, wie man Konversation machte, und hatte viele Interessen. Das war allerdings alles. Auf jeden Fall kleidete sie sich nicht besonders vorteilhaft, denn das dunkle Kostüm hätte sich eher für ein Geschäftstreffen geeignet. Auf dem Empfang hatten alle anderen Frauen lange Kleider getragen.
Wollte sie damit etwa Aufmerksamkeit erregen? Oder versteckte sie ihre Vorzüge unter dem weiten Blazer? Glaubte sie wirklich, er würde ihren süßen, verlockenden Körper dadurch vergessen?
„Asim, mein Lieber, du machst ein ganz finsteres Gesicht.“
Sofort straffte Asim sich. Er war seit zehn Jahren Sultan und war von klein auf bei offiziellen Anlässen dabei gewesen. Seine Gedanken in der Öffentlichkeit zu verbergen war ihm zur zweiten Natur geworden. Bis jetzt.
„Erlauben Sie mir, Sie zu Ihrer Suite zu begleiten“, riss der Klang einer tiefen, samtigen Stimme sie aus ihren Gedanken.
Als Jacqui herumwirbelte, sah sie sich dem Sultan gegenüber. Ihr Puls beschleunigte sich sofort, und ein Schauer rieselte ihr über den Rücken. Den ganzen Abend war sie auf Abstand zu Asim geblieben, hatte sich allerdings ständig nach ihm umgesehen. Er hatte die meisten Männer überragt und sah fantastisch aus in der hochgeschlossenen kupferfarbenen Tunika, der hellen Hose und mit dem schwarzen Turban.
Neben ihm fühlte sie sich wie eine graue Maus. Einen flüchtigen Moment lang wünschte sie, sie hätte etwas Weibliches, Verführerisches eingepackt, doch so etwas besaß sie überhaupt nicht. Außerdem hätte es an ihr lächerlich gewirkt.
„Vielen Dank für die Einladung zu dem Empfang, Hoheit. Sie haben wirklich interessante Gäste.“
Seine Miene war undurchdringlich, doch inzwischen hatte sie sich daran gewöhnt. Jeden Tag erstattete sie ihm für zwanzig Minuten in seinem Büro Bericht und stellte sich seinen Fragen. Er hatte einen scharfen Verstand und war sehr entschlussfreudig, doch sie hatte bisher nur wenige Blicke auf den Mann erhascht, den sie bei ihrer ersten Begegnung kennengelernt hatte. Umso besser, denn es hätte sie nur abgelenkt.
„Hatte, Ms Fletcher. Der Empfang ist vorbei.“
Als Jacqui sich umblickte, stellte sie fest, dass inzwischen auch die letzten Gäste gegangen waren. „Dann sage ich auch gute Nacht, Hoheit. Nochmals vielen Dank.“
„Freut mich, dass Sie es genossen haben.“ Der Sultan ging neben ihr her, und sie war sich überdeutlich seiner Nähe bewusst.
„Sie brauchen mich wirklich nicht zu meiner Suite zu bringen.“
„Sie liegt auf dem Weg.“ Er bedeutete ihr, vor ihm den reich verzierten Bogengang zu betreten.
Widerstrebend ging sie vor. Die kurzen täglichen Gespräche machten sie nervös genug, doch dies erinnerte sie an jenen ersten Abend, als er sie nackt und schreiend gefunden hatte. Ihm gegenüber fühlte sie sich sehr verletzlich.
Vielleicht liegt es auch daran, dass er ein so charismatischer, verführerischer Mann ist.
Blitzschnell umfasste Asim ihren Ellbogen, als sie über eine Unebenheit stolperte.
„Alles in Ordnung.“ Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, schaffte es jedoch nicht.
Als sie den Ausdruck in seinen Augen sah, atmete sie unwillkürlich schneller und spürte, wie Hitzewellen ihren Schoß durchfluteten. Tagelang hatte sie sich eingeredet, dass sie sich das erregende Prickeln bei ihrer ersten Begegnung nur eingebildet hatte. Sie hatte sich auf ihre Arbeit konzentriert, doch die Empfindungen, die nachts, wenn sie allein in ihrem Zimmer lag, in ihr aufwallten, sagten ihr etwas anderes.
Als Asim den Kopf neigte, atmete sie schneller. Dann ließ er sie unvermittelt los. „Verzeihen Sie, Ms Fletcher. Sie haben mich ja nicht dazu aufgefordert.“ Er lächelte ironisch.
Plötzlich erinnerte Jacqui sich an ihren ersten Abend im Palast, an die Wärme seiner Hand auf ihrer Schulter… „Ich muss jetzt gehen. Morgen liegt ein anstrengender Tag vor mir.“
Doch als sie einen anderen Flur betrat, ging er weiter neben ihr her. Er war ihr so nahe, dass sie das Rascheln seines Gewands hörte.
„Ich weiß. Meine Großmutter findet es sehr spannend, dass Sie sich mit ihren alten Freundinnen treffen. Wenn ich es richtig verstanden habe, verbringen sie den Nachmittag mit Ihnen und erzählen Ihnen vom Leben im Harem.“
„Sie wissen davon?“ Sie hatte es ihm nicht erzählt, weil er ihr deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass seine Familie tabu für sie war. Und die Tatsache, dass ihr immer ein Sicherheitsbeamter in diskretem Abstand folgte, erinnerte sie ständig daran, dass sie hier nur geduldet wurde.
„Meine Großmutter redet fast nur von ihren Treffen mit Ihnen.“ Nach einer Pause fügte der Sultan hinzu: „Egal was aus diesem Projekt wird, ich muss mich bei Ihnen bedanken, weil Sie ihr in einer sehr schwierigen Phase Freude machen.“
Verblüfft blieb Jacqui stehen. „Es freut mich, dass Sie so denken. Aber sie ist diejenige, die mir hilft. Ohne sie wäre dieses Projekt gar nicht möglich. Als Imran … Als Ihr Cousin damals sagte, ich könnte sie vielleicht befragen, hatte ich kaum zu hoffen gewagt, dass sie sich damit einverstanden erklären würde.“
„Ist es Ihnen wichtig?“
Sie nickte. Was zuerst nur eine interessante Idee gewesen war, hatte sich nun zu ihrem Lebensinhalt entwickelt. Als Hommage an ihren verstorbenen Freund.
„Setzen Sie sich.“ Inzwischen hatten sie den Hof vor ihrer Suite erreicht, und Asim deutete auf zwei Stühle im Garten.
Jacqui zögerte. „Ich muss wirklich …“
„Ich möchte mit Ihnen reden.“ Sein Gewand schimmerte im Mondlicht, und seine dunklen Augen funkelten.
Ihr Instinkt warnte sie vor einer Unterhaltung im Dunkeln. Doch Asim war ihr Gastgeber, und sie durfte ihn nicht brüskieren. Widerstrebend ging sie zu den Stühlen und setzte sich auf einen davon. Er nahm auf dem anderen Platz, halb ihr, halb dem Swimmingpool zugewandt. Stille umfing sie.
„Ich bin neugierig“, gestand Asim schließlich. „Warum hat eine Frau wie Sie sich einem solchen Projekt verschrieben?
„Eine Frau wie ich?“ Was wollte er ihr damit zu verstehen geben?
„Ich habe Ihr Profil gelesen. Trotz Ihres Alters gehören Sie zu den bekanntesten Auslandskorrespondenten Australiens. Sie haben einen Pressepreis bekommen. Sie sind ein Workaholic und sind für Ihre Hartnäckigkeit bekannt und für Ihre Eigenschaft, über den Tellerrand hinauszuschauen.“
„Sie haben mich überprüft.“ Das hätte sie eigentlich nicht überraschen dürfen.
„Natürlich. Und tun Sie nicht so, als hätten Sie keine Erkundigungen über mich eingezogen.“ Obwohl seine Augen beschattet waren, nahm sie den herausfordernden Ausdruck darin wahr.
Schließlich nickte Jacqui. „Mit fünfundzwanzig Jahren haben Sie die Thronfolge angetreten. Sie sind in Frankreich und England aufs Internat gegangen und haben dort Wirtschaftswissenschaften studiert.“ Sie machte eine Pause und dachte an die Berichte von damals über sein Faible für Extremsportarten und ausschweifende Feiern. „Obwohl Sie früher als … Abenteurer galten, haben Sie Ihr Land sowohl politisch als auch wirtschaftlich weit nach vorn gebracht. Sie haben auf die Loyalität Ihres Volkes Ihrer Familie gegenüber gebaut – und Sie werden sehr geachtet.“
„Touché, Ms Fletcher“, konterte Asim mit einem amüsierten Unterton.
Unwillkürlich umklammerte sie die Armlehnen. Mit diesem Mann, auf den ihre Sinne so stark reagierten, im Dunkeln dazusitzen, war keine gute Idee.
„Und?“
„Und ich bin fasziniert. Warum haben Sie Ihre Karriere an den Nagel gehängt, um über einen veralteten Lebensstil zu schreiben?“
„Ich hoffe, viele Leser interessieren sich für das Leben in einem Harem.“
„Weil Sex sich gut verkauft?“ Asim beugte sich zu ihr herüber, und sie rutschte ein Stück zurück.
„Es geht in dem Buch nicht nur um Sex. Ich möchte eine vergangene Epoche porträtieren.“
„Aber warum haben Sie eine herausfordernde Tätigkeit aufgegeben, um dieses Buch zu schreiben?“
Die Kehle war ihr plötzlich wie zugeschnürt, und Jacqui konnte nicht einmal mehr die Finger bewegen.
Er beugte sich noch näher zu ihr herüber. „Mich überrascht, dass Ihr Sender Sie dafür freigestellt hat.“
„Ich habe mich nicht freistellen lassen“, gestand sie, während ihr das Blut in den Ohren rauschte. „Ich habe gekündigt.“
Selbst jetzt versetzte es ihr einen Schlag, die Worte auszusprechen. Nachdem sie jahrelang ihre Karriere verfolgt hatte, verblüffte es sie immer noch, dass sie das Einzige aufgegeben hatte, was ihrem Leben einen Sinn verlieh – ihre Arbeit. Solange sie sich erinnern konnte, hatte sie Journalistin werden wollen. Aber diese Phase ihres Lebens war jetzt abgeschlossen, und das war auch richtig so. Denn ihretwegen war Imran gestorben. Sie hatte nur einen vergleichsweise geringen Preis dafür bezahlt.
„Verstehe“, erwiderte Asim.
„Bestimmt hat Ihre Großmutter Ihnen von den Essays erzählt, die ich verfasst habe.“ Nachdem Jacqui einmal tief durchgeatmet hatte, sprach sie weiter. „Sie wurden sehr gut aufgenommen, und ich habe schon lange mit dem Gedanken gespielt, irgendwann ein Buch zu schreiben.“ Wenn sie in Rente wäre.
„Trotzdem ist es eine bemerkenswerte Entscheidung für eine Frau mit so vielversprechenden Aussichten“, meinte er nachdenklich. „Meinem Cousin zufolge war Ihr Job für Sie eine Berufung.“
Dieser Mann war viel zu scharfsinnig für ihren Geschmack. „Ich versichere Ihnen, dass ich meine ganze Energie in dieses Projekt investiere. Ich nehme es sehr ernst.“
Asim machte eine wegwerfende Geste. „Trotzdem müssen Sie meine Zweifel verstehen, was Ihre Entscheidung betrifft. Schließlich ist das Interesse der Medien am Aufenthaltsort meiner Schwester momentan sehr hoch.“
„Sie glauben, ich wäre hier, um eine Exklusivstory über Ihre Schwester zu schreiben?“ Jacqui krauste die Stirn. „Aber sie befindet sich doch auf einer Privatinsel in der Karibik.“ An Prinzessin Samira hatte sie überhaupt nicht gedacht. „Und ich dachte, Sie würden meine journalistischen Fähigkeiten infrage stellen. Oder dass Sie befürchten, ich würde eine Sensationsstory über Sexsklavinnen schreiben und kein gut recherchiertes Sachbuch.“
„Beides ist mir in den Sinn gekommen.“ Sein Eingeständnis kam einem Schlag ins Gesicht gleich. „Aber meine Recherchen über Sie und unsere täglichen Gespräche haben mich etwas beruhigt.“
„Etwas!“, wiederholte Jacqui entrüstet, woraufhin Asim die breiten Schultern zuckte.
„Es ist schon ein komischer Zufall, dass Sie genau zu dem Zeitpunkt eintreffen, wo Samira von der Presse verfolgt wird.“ Nach einer Pause fügte er hinzu: „Ich habe Ihnen meiner Großmutter zuliebe erlaubt zu bleiben, aber Ihre Erklärung überzeugt mich nicht ganz.“
„Sie haben keine besonders hohe Meinung von der Presse, stimmt’s?“
„Ich spreche aus Erfahrung.“ Seine Stimme klang hart.
Jacqui erinnerte sich an die Berichte über seine Zeit als jetsettender Playboy, bevor er die Thronfolge angetreten hatte. Selbst jetzt machte er ständig Schlagzeilen, denn er war ebenso attraktiv wie reich. In älteren Berichten hatte sie von der schwierigen Beziehung seiner Eltern gelesen. Die Boulevardpresse hatte regelmäßig über die Eskapaden des Paars und die unweigerlich folgenden Eifersuchtsdramen berichtet.
„Ich bin Journalistin, keine Sensationsreporterin!“
„Ja, das sagten Sie bereits.“
Jacqui dachte nach. Asim hatte sie unterstützt … bis jetzt jedenfalls. Aber er konnte es sich jederzeit anders überlegen. Sie schauderte und beugte sich vor, wobei sie automatisch die Arme verschränkte, als könnte sie den Schmerz dadurch fernhalten. „Alles, was ich Ihnen gesagt habe, ist wahr.“
„Aber da ist noch mehr.“
Ja, das stimmte. Zum Teufel mit ihm! „Ich kann den Job nicht mehr machen. Ich habe es versucht, und …“ Jacqui schüttelte den Kopf. „Es ging einfach nicht. Selbst die Arbeit in der Redaktion, mit all den Kollegen und unter Zeitdruck … Das war alles zu viel.“ Sie blinzelte und blickte dann in den Mond. Auch in jener ersten, einsamen Nacht im Krankenhaus hatte sie zum Mond geblickt, während sie das traumatische Erlebnis zu verarbeiten versuchte. „Seit dem Bombenanschlag, seit Imrans Tod kann ich nicht mehr arbeiten.“
„Posttraumatische Belastungsstörung?“