Die verlorenen Erinnerungen - Lotti Rost - E-Book

Die verlorenen Erinnerungen E-Book

Lotti Rost

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Beschreibung

Evans sah sie an und schüttelte dabei leicht den Kopf. »Du lernst wirklich nie, dich aus Schwierigkeiten herauszuhalten, oder?« ************************************************************************************************************************************************************ Nein, das ist nicht gerade Emilys Stärke. Nach den aufregenden Ereignissen in Melton Hill lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt, doch sie vermisst ihre neuen Freunde – und natürlich Professor Evans. Weil dieser aber all ihre Nachrichten ignoriert, beschließt Emily kurzerhand, als kleines ›Dankeschön‹ für ihre Rettung nach seiner Frau Coralie zu suchen. Nachdem deren Gedächtnis gelöscht wurde, will Emily heimlich dabei behilflich sein ihr nun ein schönes Leben zu ermöglichen. Aber alles entwickelt sich anders, als Coralie plötzlich spurlos verschwindet. Damit beginnt ein großes Chaos und Emily findet sich schnell in mehr als einer gefährlichen Situation wieder. Wer trachtet ihr und Professor Evans nach dem Leben? Und wem kann sie noch vertrauen?

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Für meine Oma,die wahre Lotti Rost.Danke, dass ich mir deinen Namen leihen darf.Ich trage ihn mit Stolz.Irgendwann essen wir wieder Schoki zusammen.

»Du bist wirklich ganz anders als die meisten Erwachsenen.« »Erwachsensein ist sowieso nur eine Illusion.«»Wie meinst du das?«»Das merkst du noch, wenn du älter wirst.»Hm.«

Impressum1. AuflageTexte: Lotti RostIllustrationen, Textsatz und Gestaltung: Maren HasenjägerVerlag:Lotti Rostc/o autorenglück.deFranz-Mehring-Str. 1501237 Dresden Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Prolog

Emily schreckte aus ihrem Schlaf hoch.

Etwas war nicht in Ordnung, das konnte sie sofort spüren. Ihr Kopf dröhnte und sie hatte das Gefühl, gerade eben noch geträumt zu haben… Aber je wacher sie wurde, umso mehr verschwammen die Bilder ihres Traums und die Erinnerungen daran glitten ihr durch die Finger wie Sand. Es fühlte sich an, als würde sie schwerelos durch die Dunkelheit treiben. Orientierungslos bewegte sie ihren Kopf und zwang sich, die Augen zu öffnen. Sofort bemerkte sie, was hier falsch lief: Sie war nicht in ihrem Bett, nicht einmal in ihrem Zimmer. Aber wo sie war, das konnte sie nicht sagen, jedenfalls kam ihr hier nichts bekannt vor.

Um sie herum war es dunkel, nur ein dünner Lichtstrahl fiel von der Decke in den leeren Raum. Das Zimmer, in dem sie sich befand, war klein und von den nackten, grauen Wänden blätterten die letzten Reste des Putzes ab. Panik stieg in ihr hoch und schnürte ihr fast die Kehle zu. Mit einem Ruck richtete sie sich auf und wollte sich mit den Händen abstützen, doch die waren mit einem Kabelbinder gefesselt. Fassungslos starrte Emily auf ihre zusammengebundenen Handgelenke.

Was war passiert? War sie nicht eben noch bei den Millers gewesen und hatte ihre beste Freundin Julie besucht? Wie war sie hierhergekommen?

Und wieso fühlte sich diese unwirkliche Situation so seltsam vertraut an? Hatte sie so etwas schon einmal erlebt?

Als sie versuchte sich zu erinnern, fuhr ein stechender Schmerz durch ihren Kopf, der ihr für einen Moment die Sicht raubte und sie zusammensacken ließ. Ihr Magen wollte sie wohl am liebsten dazu bringen sich zu übergeben, aber das ließ Emily nicht zu. Sie schluckte zweimal kräftig und versuchte vergeblich, ruhig durchzuatmen.

»Emily?«

Die Stimme kam aus einer Ecke des Raumes direkt hinter ihr. Emily hielt die Luft an, schloss die Augen und betete, dass sie gerade einfach nur sehr lebhaft träumte. Das hier konnte unmöglich gerade wirklich geschehen…

Aber die Angst in ihr fühlte sich so echt an und als sie ihr Herz laut gegen ihren Brustkorb hämmern hörte, da wusste sie: Das hier war kein Traum.

»Emily«, setzte die Stimme erneut an, »erinnerst du dich daran, was passiert ist?«

Es war eine dunkle Männerstimme, die nicht bedrohlich klang, sondern sanft und ruhig mit ihr sprach. Warum war er mit ihr in diesem Raum? Wie waren sie hierher gekommen? Es fiel Emily schwer, ihre Gedanken zu sortieren. Doch was auch immer geschehen war, vielleicht konnte diese Person ihr ja helfen?

Langsam drehte Emily sich um und sah tatsächlich in der Ecke hinter ihr jemanden sitzen. Der Mann war in dem schwachen Licht nur schlecht zu erkennen und er schien absichtlich etwas Abstand zu ihr zu halten, um sie nicht zu verschrecken. Er war groß und schmal, hatte zerzaustes, braunes Haar und eine lange Nase. Seine Hände waren ebenfalls mit Kabelbindern gefesselt. Und war das da Blut an seinem Hemd…?

Hätte Emily ihn gekannt, würde sie sich sicherlich an ihn erinnern, doch sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er schien sie allerdings zu kennen – oder woher wusste er sonst ihren Namen?

Um auf seine Frage zu antworten, schüttelte Emily vorsichtig den Kopf. Sie erinnerte sich an rein gar nichts.

Er nickte kaum merklich. Dann stellte er die nächste Frage:

»Und weißt du, wer ich bin?«

Emily schüttelte erneut den Kopf.

Für einen Moment wirkte er erleichtert, aber gleichzeitig auch traurig.

»Was denkst du, wie alt du bist?«, wollte er dann wissen.

Zuerst öffnete Emily den Mund, um ihm zu antworten, aber dann musste sie nachdenken. Wie alt war sie doch gleich?

»Fünfzehn… bald sechzehn«, erwiderte sie schließlich.

»Gut«, stellte der Mann nach einer kleinen Pause schließlich fest, »es hat funktioniert.«

»Was funktioniert?« Emily verstand gar nichts mehr. Ihre Stimme klang rau und kratzte in ihrem Hals. »Ich habe überhaupt keine Ahnung, was hier los ist.«

»Ich weiß«, fuhr er fort, »Das ist Teil des Plans.«

Kapitel 1: Hartnäckigkeit zahlt sich eben aus!

Obwohl der Abend immer näher rückte, schien die Sonne erbarmungslos. Emily wünschte sich wir­klich, sie könnte sich irgendwo in den Schatten eines der großen Gebäude um sie herum stellen, aber sie wollte ihre Position nicht verlassen. Von hier aus hatte sie einen hervorragenden Blick auf den Eingang des St. George Krankenhauses und konnte jeden beobachten, der hineinging oder herauskam. Und Emily wartete auf jemanden, der gleich Feierabend haben müsste... zumindest ihren Recherchen nach zu Folge. Sie wischte sich ein paar schweißnasse Strähnen aus der Stirn und versuchte dabei nicht zu blinzeln. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt.

»Komm schon«, flüsterte sie leise vor sich hin und bemerkte nicht, dass ihr rechter Fuß dabei unruhig auf den Boden wippte.

Um sie herum war es belebt, das Krankenhaus lag im Herzen von Richfield City. Außerdem waren gerade Sommerferien – deswegen waren auch überall Kinder und Jugendliche unterwegs. Nur wenige Meter weiter gab es ein großes Einkaufszentrum, Restaurants und vor allem Eisdielen, die bei dem Wetter natürlich gefragt waren. Neben Emily gingen zwei ältere Damen vorbei, die sich darüber unterhielten, dass für heute noch Hitzegewitter angekündigt waren, die sehnlichst herbeigewünscht wurden.

Emily hörte hin, aber nicht richtig zu. Gerade waren die automatischen Schiebetüren des Krankenhauseingangs zur Seite geglitten und drei Frauen kamen heraus. Sie hielt den Atem an und ging einen Schritt vorwärts, um besser sehen zu können. Es war die Frau ganz links, kein Zweifel. Obwohl sie sie bisher nur auf Fotos gesehen hatte, erkannte Emily sie sofort. Sie hatte lange, rote Haare, die in Wellen über ihre Schultern fielen und ihr fast bis zur Hüfte reichten. Die Sommersprossen in ihrem Gesicht und auf den Armen konnte man selbst von weitem sehen, genauso wie ihr auffällig farbenfrohes Sommerkleid in türkis mit rosa Punkten.

Die drei Frauen lachten und verabschiedeten sich voneinander. Emily konnte durch den Straßenlärm nicht ausmachen, was sie redeten, aber sie winkten und gingen in verschiedene Richtungen auseinander. Das war der Moment... ihre Chance!

Emily atmete noch einmal tief durch. Trotz der Hitze begann sie zu zittern, als sie den ersten Schritt tat, um der Frau mit den roten Haaren zu folgen. Sie ging schnurstracks in Richtung der Bahnhaltestelle und obwohl sie nur wenig größer als Emily war, hatte sie einen unheimlich schnellen Schritt.

Für einen kurzen Moment musste Emily schmunzeln, denn jemandem zu folgen, der sehr viel schneller als sie selbst ging, war mittlerweile ein Klacks für sie. Die Frau würde Emily nicht so leicht abschütteln können. Erleichtert stellte sie fest, dass die Frau Kopfhörer aus ihrer gelben Umhängetasche hervorholte und anzog. Dann gab sie etwas in ihr Handy ein und nickte glücklich vor sich hin. Wenn sie Musik hörte, würde sie hoffentlich weniger auf Emily achten. So zumindest die Theorie... Tatsächlich wurde es nun schwieriger, ihr zu folgen, denn anscheinend beflügelte die Musik sie dazu, noch schneller zu gehen – oder besser, zu tänzeln. Wie eine kleine Elfe wuselte sie durch die Menschenmassen, die ebenfalls auf dem Weg zur U-Bahn waren. Es war kurz nach 17 Uhr und es herrschte Chaos wegen der Rushhour. Emily war froh, dass die Haare und Kleidung der Frau gut sichtbar aus der Masse hervorstachen, sonst hätte sie sie vielleicht schon das eine oder andere Mal aus den Augen verloren.

Die Treppen zur U-Bahn waren überfüllt und von überall her ertönte Lärm. Die Frau musste nur kurz warten bis die Linie 5 einfuhr, in die sie einstieg. Als die Türen sich schon fast wieder schlossen, sprang Emily schnell hinterher. Hier lief die Klimaanlage zwar auf Hochtouren, aber bei der Menge an Menschen merkte man das kaum. Die Luft war stickig und Emily konnte außer den anderen Leuten um sie herum nicht viel sehen. Klein zu sein war manchmal wirklich nervig… Sie hatte keine Ahnung, wo die Frau aussteigen würde, also musste sie unbedingt wieder Sichtkontakt herstellen. Mit leisen gemurmelten Entschuldigungen drückte sie sich durch die Masse von Berufspendlern, bis sie endlich wieder den roten Haarschopf sehen konnte. Die Frau stand nun fast in Reichweite und tippt gerade etwas auf ihrem Handy. Dann steckte sie es zurück in ihre Tasche und schloss die Augen. Emily drehte sich ein wenig in die entgegengesetzte Richtung und beobachtete sie verstohlen aus den Augenwinkeln. Dabei bemerkte sie, dass sich die Finger der Frau in der Luft bewegten, als spielte sie auf einem unsichtbaren Klavier.

Ein seltsames Stechen durchfuhr Emilys Herz. Würde sie das hier wirklich durchziehen? Sie beobachtete das Profil der Frau. Emily wusste, dass sie jetzt etwa Mitte Dreißig sein musste, aber sie sah viel jünger aus. Die vielen Sommersprossen auf ihrer blassen, makellosen Haut verstärkten diesen Eindruck. Sie hatte eine kleine Stupsnase, Emilys eigener in der Form nicht unähnlich. Ihre Statur war zierlich und während sie sich so auf ihr imaginäres Klavierspiel konzentrierte, umspielte ein verschmitztes Lächeln ihre Lippen. Sie war nicht unbedingt eine klassische Schönheit, aber sie strahlte irgendwie eine ganz besondere Aura aus, die Emily sofort sympathisch fand. Und sie war niedlich, wie sie so gedankenversunken dastand und sich nicht darum scherte, ob jemand sie gerade beobachtete.

Emilys Nervosität verschwand langsam und sie entspannte sich. In ihre eigenen Gedanken versunken machte sich keine Sorgen mehr, ob sie das Richtige tat. Für sie fühlte es sich richtig an.

Die Bahn fuhr aus dem Tunnel heraus und nun überirdisch weiter. Dabei verließen sie das Zentrum und passierten Stationen in den verschiedenen Stadtteilen von Richfield City. Es wurde langsam leerer in dem Wagon, immer mehr Menschen stiegen aus. Noch vier Stopps, dann würde die Bahn die gleiche Strecke wieder zurückfahren. An der nächsten Haltestelle fragte sich Emily bereits, ob sie bis zur Endstation fahren würden, denn die Frau machte auch hier keine Anstalten, auszusteigen – bis sie plötzlich heftig zusammenzuckte, sich erschrocken umsah und mit einem leisen Aufschrei durch die sich gerade schließenden Türen hechtete. Emily fluchte leise und sprang hinterher, verwundert über ihre guten Reflexe. Nur war durch diese Aktion die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Frau sie bemerkt hatte – dachte Emily zumindest, doch die Frau war schon weiter gegangen und tänzelte gerade fröhlich vor sich hin summend über den Zebrastreifen auf die andere Straßenseite.

Die Hitze hier draußen traf Emily wie ein Schlag, doch wenigstens war die Sonne mittlerweile hinter dichten Wolken verschwunden. Sie griff den Saum ihres Shirts und schüttelte es ein wenig aus, um Luft darunter zu fächern. Auf ihrer Stirn spürte sie ein paar Schweißtropfen herunterlaufen, die sie mit ihrem Ärmel abwischte. Die Luftfeuchtigkeit war mittlerweile so hoch, dass Emilys Haare sich noch mehr als sonst lockten.

Hier waren weniger Menschen auf den Straßen unterwegs als noch in der Innenstadt, aber noch immer genug, dass nicht auffiel, wie Emily der Frau folgte. Also ging sie ihr weiter mit einigen Metern Abstand hinterher. Jetzt konnte es eigentlich nicht mehr weit sein...

Der Himmel hatte sich mittlerweile zusehends verdunkelt und die Menschen, die draußen vor den Cafés und Eisdielen saßen, packten eilig ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Nachhauseweg. Die ersten Tropfen fielen zu Boden und um Emily herum waren die Geräusche von sich öffnenden Regenschirmen zu hören. Sie selbst hatte ihren Schirm natürlich zu Hause vergessen. Ohne Vorwarnung zuckte plötzlich ein gewaltiger Blitz über den Himmel und Emily kniff vor lauter Schreck die Augen zusammen. Der Donner folgte laut grollend und hielt lange an. Als sie wieder aufsah, konnte sie gerade noch einen Zipfel des türkisfarbenen Kleids erhaschen, als die Frau in eine Seitenstraße einbog. Emily lief ihr nach und dachte zuerst, sie hätte sie aus den Augen verloren, doch dann ertönte eine fröhliche, aber heiser klingende Stimme.

»Hallo Ondrej! Oh, und Mikesch ist auch da! Miau, miau!«

Um die Ecke befand sich ein kleines Café, auf dessen geöffneter Türe der Name »Café Chocolat« zu lesen war. Der Regen wurde stärker und prasselte auf Emily herunter, es roch überall nach nasser Erde. Ein wahrer Wolkenbruch tat sich auf, aber sie stellte sich direkt neben die Türe des Cafés, damit sie kein Wort verpasste. Dass sie dabei patschnass wurde, konnte ihr kaum gleichgültiger sein.

»Ah, suchst du Schutz vor dem Regen, Violet? Verwöhn’ den Kater nicht zu sehr, er hat mir heute nur Scherereien gemacht«, erwiderte im Inneren eine Männerstimme mit osteuropäischem Akzent.

Emily spitzte die Ohren und schmunzelte. Violet also...

»Aber er ist doch so ein Schnuckel, nicht wahr, du süßer Mikesch, du«, erwiderte die Frau namens Violet und Emily glaubte fast, das Schnurren des Katers bis draußen hören zu können. »Und keine Sorge, Ondrej, ich habe einen Schirm dabei. Ich wollte noch Kuchen bei dir für heute Abend kaufen.«

Der Regen prasselte unaufhaltsam auf den Asphalt, es bildeten sich schon kleine Bäche neben dem abgesenkten Bordstein. Emilys T-Shirt war mittlerweile durchgeweicht und langsam drang auch Wasser in ihre Turnschuhe. Hätte sie doch nur ihre Sandalen angezogen! Oh, aber dann hätte sie wohl kaum so einfach mit der Frau Schritt halten können.

»Wie viele Stücke Kuchen sollen es denn sein? Bekommst du Besuch?«, erkundigte sich der Mitarbeiter des Cafés.

»Nein, ich wollte mit mir selbst feiern, dass jetzt Wochenende ist«, erklärte Violet gerade, »Ich denke, drei Stücke sind da wohl angemessen.«

»Mit dir selbst feiern, was? Ich pack dir mal was ein... lass dich überraschen.«

»Danke Ondrej! Aber denk dran, nichts mit Kaffeegeschmack! Das ist mir viel zu bitter!«

Emily hätte vor der Tür fast lauthals losgelacht. Sie schlug sich blitzschnell die Hände vor den Mund und es kam nur ein leises Prusten heraus, das im Geräusch des Regens unterging. Sie mochte keinen Kaffee! Das war zu gut!

Noch immer grinsend lauschte sie dem Rest der Konversation. Viel sprachen die beiden nicht mehr, ein wenig über das Wetter und den Kater, der ab und zu ein leises Maunzen von sich gab.

Emily lauschte den Schritten auf dem Holzboden des Cafés, damit sie rechtzeitig aus dem Blickfeld verschwinden konnte, wenn die Frau herauskam. Was nur wenige Minuten später der Fall war, so dass Emily versteckt in einem benachbarten Hauseingang wartete, bis die Luft wieder rein war. Sie war jetzt nass bis auf die Unterwäsche... natürlich hätte sie auch irgendwo überdacht warten können, bis die Frau wieder aus dem Café kam, aber dann hätte sie das Gespräch verpasst. Und sie musste sicher sein, dass die Frau heute Abend allein war.

Der Regenschirm, den Violet aufgespannt hatte, war so bunt wie der Rest an ihr, so fiel es Emily auch weiterhin leicht, ihr zu folgen. Sie ging an den verschiedenen kleinen Geschäften vorbei, die Kopfhörer wieder auf den Ohren und bewegte sich genauso elfenhaft wie zuvor. Einzig die Tatsache, dass sie manchmal über einen kleinen Vorsprung stolperte oder gedankenverloren fast gegen jemanden lief, zerstörte dieses elegante Bild.

Als sie schließlich an einem großen Wohngebäudekomplex ankamen, blieb Emily überrascht stehen. Die Frau ging bis zu dem Eingang mit der Nummer 27, der zu einem Wohnhaus mit sonnengelber Fassade gehörte. Dann kramte sie einen Schlüsselbund mit mehr niedlichen Anhängern als Schlüsseln daran hervor und öffnete zuerst ihren Briefkasten. Emily schickte ein Dankeschön gen Himmel, denn genau darauf hatte sie gehofft. Das Schicksal meinte es heute gut mit ihr! Das ermutigte sie für das, was noch vor ihr lag. Akribisch beobachtete Emily, welchen Briefkasten die Frau öffnete und zählte an den vielen Namensschildern ab, in welcher Reihe er war, damit sie ihn wiederfinden konnte. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Regen nachgelassen hatte und nur noch vereinzelte Tropfen vom Himmel fielen.

Die Frau klappte ihren Schirm zusammen und ging in das Gebäude. Emily wartete. Trotz des Regens war die Luft noch immer aufgeheizt und schwül. Im Hintergrund hörte sie ein paar Kinder spielen und lachen, die nach dem Regenschauer wieder aus ihren Häusern gekommen waren.

Die nasse Kleidung klebte unangenehm auf Emilys Haut und ihr Körper begann vor Nervosität zu zittern. Im siebten Stock des riesigen Gebäudes kam jemand aus dem Treppenhaus auf den Außenflur. Selbst aus dieser Entfernung war das türkisfarbene Kleid noch immer ein perfekter Blickfang. Eine der mittig gelegenen Wohnungstüren wurde geöffnet und wieder geschlossen. Emily atmete tief durch.

Jetzt kam der schwierigste Part.

»Du schaffst das. Du hast ja wohl schon Dinge getan, die viel verrückter waren... vor allem in letzter Zeit«, sprach sie sich selbst Mut zu.

Sie ging auf die Briefkästen zu und zählte die Reihen ab. Da war der Name. Violet…

Sie hatte ihn eben schon im Café gehört. Das Schild am Briefkasten war handgeschrieben, mit einer verschnörkelten Schrift. Es sah so natürlich aus, als hätte jemand diesen Namen schon hundertmal geschrieben. Und doch sah es so falsch in Emilys Augen aus.

»Violet Summers...«, las sie leise vor. Es war falsch... Doch für Coralie Evans war das ihr richtiger Name, den sie von Geburt an trug. Würde Emily das schaffen? So zu schauspielern, dass Coralie nichts merkte? Würde sie niemals aus ihrer Rolle fallen? Würde sie niemals aus Versehen »Coralie« statt »Violet« sagen? Sie war ihre Zweifel schon tausende Male durchgegangen. Und jetzt war sie schon viel zu weit gekommen, um einen Rückzieher zu machen.

»Möchtest du rein?«

Die Stimme hinter ihr kam so unerwartet, dass Emily hätte schwören können, sie wäre vor Schreck mindestens einen halben Meter in die Luft gehüpft – wie die Katzen aus den Internetvideos, neben die man eine Gurke legte.

»Rein?«, wiederholte sie außer Atem. Ihr Herz pochte gegen ihren Brustkorb.

Die Frau hinter ihr trug ein Kleinkind auf dem Arm und hantierte mit einem Einkaufsbeutel und ihrem Haustürschlüssel.

»Ja, rein. Hast du deinen Schlüssel vergessen?«

Emily nickte, sie war noch zu perplex für eine Antwort.

Die Frau sah sie zwar etwas argwöhnisch an, öffnete allerdings die Tür und hielt sie für Emily auf, nachdem sie hindurch gegangen war. Sie ging in Richtung Treppenhaus, Emily blieb vor den Aufzügen stehen. Sie fuhr bis in den siebten Stock, nutzte die kleine Verschnaufpause, um durchzuatmen und stieg dann aus. Über den Außenflur ging sie an den Wohnungstüren vorbei und betrachtete dabei jede einzelne ganz genau. Als sie vor einer der mittig gelegenen Türen eine Fußmatte mit Katzenmotiv sah, blieb sie stehen. Zufrieden las sie den Namen auf dem Klingelschild. Da stand es wieder. Violet Summers.

Emily konnte spüren, wie sich ihre Knie in Wackelpudding verwandelten. Aber sie würde das jetzt durchziehen. Sie nahm all ihren Mut zusammen und drückte den Klingelknopf, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Das schrille Geräusch verhallte in der Stille.

Dann konnte man Schritte von der anderen Seite der Tür hören.

»Ich komme schon!«, antwortete von drinnen die heisere Frauenstimme. Sie klang genauso fröhlich und überschwänglich wie zuvor im Café.

Emily trat höflich einen Schritt zurück und im selben Moment wurde die Türe förmlich aufgerissen.

Coralie Evans sah Emily mit ihren großen, grünen Augen neugierig an. Dann schreckte sie plötzlich zusammen und Emily blieb ihr »Hallo« im Halse stecken.

»Oh, ich soll doch dieses Ding benutzen!« Coralie schnipste mit den Fingern und griff dann nach einem Hörer, der im Inneren neben der Wohnungstüre hing. »Ja, wer ist da?«, fragte sie durch den Hörer und ihre Stimme ertönte gleichzeitig auch durch die Freisprechanlage neben dem Klingelschild.

Emily starrte sie einen Moment verwirrt an, doch Coralie schien auf ihre Antwort zu warten.

»Hallo!«, sagte sie vor lauter Nervosität viel lauter als gewollt, »Ich bin Emily!«

»Hallo Emily, ich bin Violet!«, erwiderte Coralie und legte lachend den Hörer wieder in seine Halterung. »Aber das hast du bestimmt schon gelesen«, fügte sie hinzu und deutete auf ihre Klingel.

»Ich... ja! Also, das kommt jetzt bestimmt etwas plötzlich, ich wollte Sie nicht so überfallen...«, stammelte Emily und bemühte sich, ihre Gedanken wieder zu sortieren. Ihr Plan! Sie sollte sich an ihren Plan halten!

»Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir Klavierstunden geben können!«, platzte es plötzlich völlig unverblümt aus Emily heraus. Als sie die Worte ausgesprochen hatte, war ihr klar, dass sie gerade total mit der Tür ins Haus gefallen war.

Coralie – nein, Violet musterte sie für einen kleinen Moment, dann warf sie ihre Arme in die Luft und rief gut gelaunt:

»Okay!«

Emily sah sie perplex an. Das hatte sie sich irgendwie schwieriger vorgestellt.

Violet zog sie an ihrem Arm ins Innere der Wohnung.

»Klingt spaßig, aber komm erst mal rein, du bist ja ganz nass... bist du auch in diesen Regen gekommen? Hattest du keinen Schirm? Hier ist leider alles unordentlich, ich habe nicht mit Besuch gerechnet... Warte, ich hole dir ein Handtuch!«

Emily wusste nicht, wie ihr geschah. Violet zog sie hinter sich her durch den Flur bis in ein kleines Wohnzimmer, dessen Wände abwechselnd gelb und grün gestrichen waren. Hier sah es – gelinde gesagt – aus wie nach einem Bombeneinschlag. Und die Bombe hatte offensichtlich aus Klamotten und Notenblättern bestanden. Das Level der Unordnung stand dem im Büro des Professors in nichts nach.

Coral-… Violet lachte etwas verlegen und kratzte sich am Hinterkopf, als sie sich in ihrem eigenen Chaos umsah.

»Ich suche dir schnell etwas zum Trocknen, warte kurz.«

Sie durchwühlte einen Stapel nach dem nächsten, warf einige Kleidungsstücke über ihre Schulter in eine andere Ecke des Raums und hob schließlich mit einem triumphierenden »Ha!« ein Handtuch hoch. Sie roch kurz daran, dann hielt sie es Emily lächelnd hin.

»Ist frisch, versprochen«, erklärte sie dabei.

Emily nahm das Handtuch zögerlich entgegen und erkannte kleine, rosa Katzen auf dem Stoff. Etwas überfordert starrte sie Violet an und wusste nicht so recht, was gerade geschah. In ihrem Kopf war Emily diese Szene schon tausende Male durchgegangen, aber so war das nie abgelaufen.

Violet schnalzte kurz mit der Zunge, dann nahm sie Emily das Handtuch ab und frottierte ihr mit großem Elan die zerzausten Locken.

»Draußen ist es zwar warm, aber wenn du so nass herumläufst, holst du dir trotzdem eine Erkältung!«, mahnte sie dabei. Dann zuckte sie plötzlich zusammen, als wäre ein Blitz durch sie gefahren. »Willst du Tee und Kuchen? Ich habe ganz viel da!«

»Ich – also...«, setzte Emily an, kam aber nicht weiter zu Wort.

»Tut mir leid, ich bin so aufgeregt... ich bekomme selten Besuch«, erklärte Violet. Sie lächelte noch immer, als könnten ihre Mundwinkel nur in eine Richtung zeigen. Sie schob mit Schwung einen Berg Klamotten von der Couch und klopfte auf den bunt gemusterten Bezug. »Setz dich, ich bringe uns den Tee und dann können wir reden, ja?«

Vorsichtig legte Emily das Handtuch auf die Couch und setzte sich darauf. Sie war platt. Sie hatte ja bereits von Leo erfahren, dass Coralie etwas... speziell war, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie sie direkt in ihre Wohnung einladen und Kuchen anbieten würde. Anscheinend hatte sich ihr Charakter nicht verändert und das gestaltete den Plan auf jeden Fall etwas einfacher. Wenn Coralie so vertrauensselig war, würde Emily sich bestimmt schnell mit ihr anfreunden können. Und das war nötig, wenn sie von jetzt an auf die Frau des Professors aufpassen wollte. Das war schließlich der Sinn der ganzen Sache – Emilys Art, sich erkenntlich zu zeigen. Sie wollte dafür sorgen, dass es Coralie gut ging und sie ein perfektes Leben haben könnte. Emily nickte zuversichtlich. Dafür hatte sie in den letzten Monaten bis spät in die Nacht recherchiert und schließlich endlich herausgefunden, wo Coralie sich jetzt aufhielt und wie sie hieß, seit ihr Gedächtnis gelöscht wurde.

Emily nutzte den kurzen unbeobachteten Moment und sah sich genauer in dem Zimmer um. An den Wänden hingen viele Postkarten mit niedlichen Tieren oder schönen Landschaften, die das ohnehin schon bunte Zimmer noch farbenfroher wirken ließen. Außer der Couch gab es in dem Wohnzimmer noch einen kleinen Tisch und zwei Bücherregale, in denen auch Dekoration stand. Neben dem Fernseher und der Spielekonsole erblickte sie in einer Ecke des Raums ein schwarzes Klavier. Erleichtert lächelte Emily. Ihre Recherchen stimmten also – Coralie konnte dieses Instrument entweder wieder oder noch immer spielen. Ihr Plan mit den Klavierstunden würde also gelingen.

Coralie... nein, verdammt noch mal, Violet kam wieder in das Zimmer und stellte Emily eine Tasse mit dampfendem Tee und einen Teller mit Kuchen hin.

»Also, du hast gesagt, du willst Klavier spielen lernen?«, fragte sie auch gleich und rutschte neben Emily auf die Couch. Dabei sah sie sie neugierig an. Diese Augen... sie strahlten so hell, es fiel ihr schwer wegzusehen. Emily bemerkte, wie sie ihre Konzentration verlor, wenn Violet sie so anstarrte.

Halt dich an den Plan! Du hast das alles durchdacht!, erinnerte sie sich selbst.

»Ja... ich hatte überlegt, damit anzufangen und Sie wurden mir empfohlen.«

»Du musst nicht so förmlich reden, Emily... sag einfach ›du‹«, wurde sie von Violet unterbrochen.

Emily schluckte.

Das genaue Gegenteil vom Professor, schoss es ihr sofort durch den Kopf. Wie hatten die beiden nur zusammenkommen können? Sie musste ihn doch wahnsinnig gemacht haben! Allein wie nah sie an Emily herangerutscht war... das war ja sogar ihr etwas unangenehm!

»Okay«, sagte Emily nur kleinlaut.

»Und wer hat mich empfohlen?«, wollte Violet wissen und sie schien vor Neugierde fast zu platzen. Falls überhaupt möglich, kam sie noch näher an Emily heran.

»Das war Alex... wir hatten mal Kurse in der Schule zusammen.«

Natürlich war das ausgemachter Unsinn. Alexander, beziehungsweise Alex gab es zwar wirklich, aber Emily hatte ihn nie getroffen. Sie wusste allerdings, dass er in ihrem Alter war und durch seine Mutter gelegentlich Kontakt zu Violet hatte.

»Oh, ihr seid auf der gleichen Schule?«

»Ja und er hat mir erzählt, wie gut Sie... äh, du spielst.«

»Ach so...«

Für einen Moment wirkte Violet nachdenklich, doch das überspielte sie schnell mit einem Lachen. Ihre Stimme klang dabei noch etwas heiserer.

»Ehrlich gesagt habe ich noch nie Klavierstunden gegeben.«

Emily rutschte das Herz in die Hose. Wenn Violet ablehnte, hatte sie keinen Plan B.

»Aber es klingt lustig!«

Vor lauter Erleichterung atmete Emily hörbar aus.

»Du würdest es also machen?«

Violet nickte eifrig.

»Ja, warum nicht? Wenn Alex mich schon empfohlen hat... Und wo sollen wir üben? Soll ich zu dir kommen?«

Jetzt konnte es etwas schwierig werden, das wusste Emily.

»Ich dachte, vielleicht geht es hier? Ich habe leider kein Klavier zu Hause...«

»Das wird aber schwierig mit dem Üben, wenn du kein Klavier daheim hast«, überlegte Violet und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen das Kinn.

»Vielleicht genügt es, wenn ich hier viel üben kann?«

»Für den Anfang wird das schon in Ordnung sein«, lenkte Violet lächelnd ein, »Aber wie kommst du dann darauf, ausgerechnet dieses Instrument zu lernen?«

»Ich finde einfach, dass es schön klingt«, erwiderte Emily und ihr war klar, dass diese Antwort nicht sehr überzeugend klang.

Doch Violet nickte überschwänglich, legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr direkt in die Augen.

»Nicht wahr? Klavierspielen ist wie Zaubern! Wenn ich spiele, kann ich mit jedem einzelnen Ton so viele Emotionen erwecken und so wild vor mich hinträumen, wie ich will! Ich liebe es!«

Jetzt war es an Emily, zu lächeln. Violets Begeisterung für das Instrument war deutlich zu spüren.

»Soll ich dir etwas vorspielen, Emily?« Violet hatte kaum ausgesprochen, da lief sie auch schon zu ihrem Klavier und hob den Deckel über den Tasten an.

»Gern.«

Emily lehnte sich auf dem Sofa zurück und beobachtete Violets schmalen Rücken, während sie sich auf den Klavierhocker setzte und ihre Finger über die Tasten gleiten ließ. Sie spielte ein kurzes Stück mit einer wunderschönen Melodie, die bei Emily eine Gänsehaut am ganzen Körper auslöste. Es war kein trauriges Stück, aber es klang so sehnsüchtig... so voller Liebe... sie spürte, wie sie einen Kloß im Hals bekam. Die letzten Noten summte Violet mit, dann verstummten die Töne. Sie legte die Hände in ihren Schoß und blieb noch eine Weile auf dem Hocker sitzen. Emily traute sich nicht, irgendetwas zu sagen. Man konnte ihr bestimmt noch anhören, dass sie fast losgeweint hätte.

»Weißt du, Emily«, sagte Violet schließlich mit einer Stimme, die ernster und leiser als noch zuvor klang, »ich bin froh, dass ich Klavierspielen kann. Vor acht Jahren... da hatte ich einen Unfall. Ich habe sogar ein paar Monate im Koma gelegen. Und als ich wieder aufgewacht bin, konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Aber als ich bei einer Freundin zu Besuch war, habe ich ihr Klavier gesehen und aus einem Gefühl heraus einfach ein wenig darauf herum geklimpert. Da habe ich gemerkt, dass ich Klavierspielen kann. Und als ich mich wieder daran erinnert habe, habe ich fast den ganzen Tag geweint. Ich war so glücklich, dass ich mich wenigstens an eine Sache erinnern konnte.«

Emily schluckte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Coralie so schnell darauf zu sprechen kommen würde. Sie hatten sich gerade erst vor einer Viertelstunde kennengelernt und sie erzählte schon etwas so Persönliches aus ihrem Leben. Man konnte das leichte Zittern in ihrer Stimme deutlich hören, als sie sprach.

»Es tut mir leid, dass du deine Erinnerungen verloren hast. Aber es ist schön, dass du wieder Klavier spielen kannst.«

Die Abendsonne schien in das Zimmer und tauchte alles in ein orange-rotes Licht.

Violet drehte sich zu ihr herum und ihr Lächeln war wieder da. So ein ehrliches, liebevolles Lächeln hatte Emily selten bei jemandem gesehen.

»Vielleicht ist das ja Schicksal. Ich habe mich wieder daran erinnert, damit ich es dir beibringen kann.«

Emily nickte. Mit der leuchtenden Abendsonne im Zimmer konnte man die glänzende Narbe sehen, die sich seitlich von Violets Haaransatz bis zu ihrer rechten Schläfe zog. Sie war verheilt und durch das lange Haar kaum auszumachen, außer man achtete darauf. In diesem Moment erschien sie wie eine Warnung. Emily durfte keinen Fehler machen – die Frau, die gerade vor ihr saß, hatte schon genug durchmachen müssen. Sie würde ihr helfen, so gut es ging, das schwor sich Emily.

»Ich kann übrigens auch Gitarre spielen!«, rief Violet plötzlich wieder mit ihrer lauten und fröhlichen Stimme.

»Wirklich?«, fragte Emily völlig perplex.

»Ja! Als ich damals entdeckt habe, dass ich Klavierspielen kann, habe ich auch gleich ganz viele andere Instrumente ausprobiert. Ich dachte, vielleicht ist ja eins dabei, bei dem es mir genauso geht. Und bei der Gitarre hat es dann geklappt.«

»Wie viele Instrumente hast du ausprobiert?«

»Oh... sehr viele. Ich sag dir eins, ein Didgeridoo zu spielen ist sehr viel schwerer, als es aussieht!«

Emily hatte gerade einen Schluck von ihrem Tee nehmen wollen, doch bei der Vorstellung musste sie lachen.

»Wirklich? Ein Didgeridoo? Sind das nicht diese langen Röhren aus Australien?«

Sie unterhielt sich mit Violet... Sie tranken zusammen Tee und aßen Kuchen, während die Abendsonne immer dunkler wurde und sie schließlich das Licht im Wohnzimmer anmachen mussten.

Violet stellte ihr nur noch wenige Fragen bezüglich ihres seltsamen Auftritts und Emily wunderte sich schon, warum sie ihre Neugierde auf einmal abgelegt hatte. Stattdessen überlegte sie schon, welches Musikstück sie Emily als erstes beibringen wollte.

»Kinderlieder sind immer leicht... vielleicht hast du ja eins, das du besonders gern magst?«

»Da fallen mir schon welche ein.«

»Wirklich? Toll! Und wann wollen wir uns zu unserer ersten Stunde treffen?«

»Morgen muss ich arbeiten... aber am Sonntag hätte ich Zeit«, erklärte Emily und hoffte, dass der Tag passen würde.

»Du arbeitest?«, fragte Violet und die Neugierde schimmerte wieder in ihren Augen.

»Nur nebenbei, um etwas Taschengeld zu verdienen.« Das war nicht gelogen. Emily hatte sich eine Arbeitsstelle für ein paar Stunden in der Woche bei einem kleinen Souvenirladen gesucht, wo sie die neue Ware auspackte und in die Regale einräumte. Sie konnte doch nicht immer nur auf die Millers angewiesen sein. Außerdem würde sie das Extrageld brauchen, denn jetzt kam der unangenehme Teil.

»Wo wir gerade davon sprechen... wie viel wird denn so eine Klavierstunde bei dir kosten?«

Emily spürte, dass sie rot wurde. Es war ihr unangenehm zu fragen, aber sie würde das Geld ja irgendwie auftreiben müssen, auch wenn sie dann noch einen zweiten Job brauchte.

Violet legte den Kopf schief und blickte in Richtung Decke.

»Nun ja, gemessen an der Tatsache, dass ich keine Erfahrung als Klavierlehrerin habe...«

Emily hielt den Atem an.

»... kostet dich eine Klavierstunde...« Violet grinste. »... eine Stunde deiner Zeit.«

Zuerst verstand Emily nicht richtig, was sie eben gehört hatte, dann ging ihr ein Licht auf.

»Das geht doch nicht!«, protestierte sie sofort.

»Mein Unterricht, meine Regeln«, erklärte Violet und streckte ihr die Zunge raus.

»Aber-«, setzte Emily noch einmal an, wurde jedoch sofort unterbrochen.

»Mau, mau, mau«, machte Violet wie eine Katze, die meckerte, weil es noch kein Essen gab. »Wenn dir das nicht passt, musst du dir eine andere Lehrerin suchen.«

Emily seufzte und ließ beschämt den Kopf hängen.

»Danke«, murmelte sie dann kleinlaut.

Violet klopfte ihr liebevoll auf die Schulter, dann wechselte sie schnell das Thema.

»Es wird langsam spät, machen sich deine Eltern zu Hause keine Sorgen?«

Emily lächelte, aber sie wollte nach so einem schönen Abend nicht die Stimmung ruinieren mit ihrer deprimierenden »Meine-Mama-ist-tot-und-mein-Vater-kümmert-sich-­nicht-­um-mich«-Geschichte. Also sagte sie nur: »Ja, so langsam sollte ich wohl nach Hause gehen.«

»Fährst du mit der Bahn? Ich bringe dich noch zur Haltestelle.« Violet stand auf und suchte sich ein paar Sandalen aus ihrem Chaos. Sie hatten unterschiedliche Farben, aber sie lachte nur, als sie bemerkte, dass Emily verwundert ihre Wahl betrachtete.

»Ist doch witzig so.«

Gemeinsam gingen sie aus der Wohnung und fuhren mit dem Aufzug nach unten. Auf dem Weg zur Bahnhaltestelle summte Violet noch einmal die Melodie des Liedes, das sie auf dem Klavier gespielt hatte. Emily beobachtete sie aus dem Augenwinkel und musste sich immer wieder klar machen, dass sie tatsächlich Professor Evans’ Frau gefunden hatte. Sie hatte es geschafft! Innerlich jubelte sie vor Freude. Während sie auf die Bahn warteten, tauschte sie mit Violet Handynummern aus.

»Sonntag soll es wieder so warm werden... Vielleicht gehen wir nach der Klavierstunde ein Eis essen. Also nur, wenn du Lust hast«, schlug Violet vor.

Emily stimmte begeistert zu. Genauso hatte sie sich das vorgestellt – Violet machte es ihr wirklich leicht, ihren Plan in die Tat umzusetzen. Als die Bahn mit lautem Gebimmel einfuhr, umarmte Violet sie sogar kurz. Emily blieb noch einen Moment in der Tür stehen und winkte zum Abschied.

»Ach und Emily«, fiel Violet noch ein, »grüß bitte Alex von mir.«

»Mach ich!«, erwiderte Emily.

»Und sag ihm, dass ich ja noch gar nicht wusste, dass auf dem St. August Internat für Jungen jetzt auch Mädchen erlaubt sind.«

Die Bahntüren fielen zu und Emily fiel zeitgleich die Kinnlade herunter. Sie starrte Violet erschrocken an, bis die Bahn sich in Bewegung setzte, doch die stand nur lächelnd auf dem Bahnsteig und winkte ihr hinterher. Wie paralysiert stand Emily mehrere Minuten in der Bahn, während die Gedanken in ihrem Kopf Achterbahn fuhren. Wie hatte sie das nur vermasseln können? Sie hatte sich gar nicht über die Schule informiert, auf die Alex ging! Und warum hatte sie nur so viel Pech, dass es ausgerechnet ein Internat ausschließlich für Jungen war? Dass es so etwas überhaupt noch gab! Vor allem aber fragte sie sich, weshalb Violet sich auf sie eingelassen hatte, obwohl sie ihr doch offensichtlich eine Lüge aufgetischt hatte?

Hatte sie etwas geahnt? Nein, das war unmöglich... Niemand wusste etwas von Emilys geheimer Mission, nicht einmal Leo oder Julie. Das hier hatte sie wirklich ganz alleine zu verantworten. Und sie würde das auch hinbekommen.

Kapitel 2: Gründliche Recherche ist viel mehr Arbeit, als man denkt

Schon bevor Emily nach Melton Hill gegangen war, um ihr Jahrespraktikum bei Professor Evans anzutreten, hatte sie nicht das typische Leben eines sechzehnjährigen Teenagers geführt.

Es war jetzt schon fast vier Jahre her, dass ihre Mutter gestorben war. Sie hatte keinen Schulabschluss, ihr Vater mied den Kontakt zu ihr, zahlte keinen Unterhalt und Emily hatte keine Ahnung, was aus ihr werden würde.

Während ihrer Zeit in Melton Hill hatte sie ein neues Zuhause gefunden, einen Ort, an dem sie sich wohl und willkommen gefühlt hatte. Freunde, die sie unheimlich liebgewonnen hatte. Und irgendwo ganz tief in ihrem Herzen hatte sie gehofft, dass Sie bei Professor Evans bleiben und er – zumindest ein bisschen – wie ein Vater für sie werden könnte.

Doch so viel war passiert in den Monaten ihres Praktikums und Emily war klar, dass ihr Leben nie wieder normal verlaufen würde.

In dem unterirdischem Tunnelsystem der Stadt lag ein ungeheuer großer Goldvorrat versteckt, der nicht abgetragen werden konnte, ohne die gesamte Stadt zu zerstören. Professor Evans beschützte dieses Geheimnis, indem er mit seiner mysteriösen Formel dafür sorgte, dass es ständig in Melton Hill schneite und der Grund und Boden der Stadt vor neugierigen Augen verborgen blieb. Emily hatte all das erfahren, hatte einen Angriff durch den völlig geisteskranken Ian Rutherford überlebt, den angsteinflößenden Weg durch einen der Tunnel, die Entführung und ihre Rettungsaktion… nur um dann zurück zu den Millers geschickt zu werden.

Es war jetzt fast zwei Monate her, seit sie Melton Hill verlassen hatte. Zwei sehr lange Monate. Zu diesem Zeitpunkt steckte der Plan, Coralie zu finden, noch in den Kinderschuhen.

Emilys Handy vibrierte in ihrer Hosentasche, als sie gerade in der Bahn stand und nach Hause fuhr. Sie zog es hervor und warf einen beiläufigen Blick darauf.

Mimi, was ist so los bei dir? Meld' dich, ich langweil' mich auf der Arbeit zu Tode...

Emily lächelte, als Leos Nachricht auf ihrem Handydisplay aufleuchtete. Seit sie nicht mehr in Melton Hill war, schrieb Leo ihr regelmäßig und an den Wochenenden telefonierten sie manchmal stundenlang. Zumindest, wenn Leo nicht irgendwelche komischen »Extraschichten« übernehmen musste, über die sie aber nie viele Worte verlor.

Bin gerade fertig mit der Arbeit... noch zwei Haltestellen, dann bin ich wieder zu Hause. Lass uns dann weiterschreiben, antwortete Emily ihrer Freundin. Sie verstaute ihr Handy wieder in ihrer Tasche und blickte durch das Fenster nach draußen. Es war Sommer und mittlerweile konnte man den ganzen Tag in kurzer Kleidung herumlaufen. Bald waren Schulferien und auch, wenn das für Emily keine Rolle mehr spielte, freute sie sich, dass ihre Freundin Julie dann wieder mehr Zeit für sie haben würde. Seit Emily nicht mehr in Melton Hill war, fühlte sie sich oft einsam. Sie betrachtete ihr Bild, dass sich im Fenster der Bahn spiegelte. Ihre kinnlangen, haselnussbraunen Locken standen heute irgendwie mehr ab als sonst und Emily versuchte, einige Strähnen hinter ihre Ohren zu klemmen. In circa vier Monaten war ihr siebzehnter Geburtstag, doch sie wusste, dass die meisten Leute sie für jünger hielten. Das lag zum einen daran, dass sie sehr schmal und nicht besonders groß war (exakt 155 Zentimeter, um genau zu sein), aber auch an ihrer Stupsnase und ihren großen, blaugrauen Augen. Es gab nicht viel, was Emily an ihrem Aussehen mochte. Das kleine Muttermal unter ihrem linken Auge vielleicht. Ihre Mutter hatte immer gesagt, dass sie das süß an ihr fand.

An ihrer Haltestelle stieg sie aus und schlängelte sich an ein paar Leuten vorbei, die mitten im Weg stehen geblieben waren, um sich zu unterhalten. Little Melbourne war eine schöne Stadt, nicht besonders groß, aber auch keine Kleinstadt. Es gab keine hohe Kriminalitätsrate und viele Leute kannten sich untereinander. Die Wohngegenden waren meistens ruhig und es gab viele Familien mit Kindern. Emily passierte einige bunt angemalte Häuser und durchquerte mehrere Straßen auf ihrem Heimweg.

Schließlich kam sie an einigen Wohnhäusern vorbei, die alle gleich aussahen und von denen jedes Platz für drei oder vier Wohnungen bot. Sie selbst wohnte in der Nummer 137 im dritten Stock, direkt unter dem Dach. Sie war heute nicht scharf darauf, nach Hause zu kommen. Eigentlich war sie das nie. Unglücklicherweise hatte sich Emily ihre Mitbewohnerinnen nicht aussuchen dürfen, als das Jugendamt sie in die Wohnung gesteckt hatte und Jennifer und Viviane waren irgendwie schwierig. Das war nicht unbedingt der Fehler der beiden, aber Emily fand keinen richtigen Anschluss in ihrer Wohngemeinschaft. Immerhin war es besser in einer eigenen Wohnung betreut zu werden, als im Heim ein Zimmer zu haben. Und den Millers konnte sie ja auch nicht ewig auf der Tasche liegen. Es war nett, dass Julie ihr Zimmer für die erste Zeit nach ihrer Rückkehr aus Melton Hill mit ihr geteilt hatte, aber es war besser, wenn jeder von ihnen ein eigenes Zimmer hatte. Vor allem, weil Emily so unbemerkt ihren Recherchen nachgehen konnte und keine unbequemen Fragen der Millers beantworten musste...

Emily schloss ihre Haustüre auf und schleppte sich die Treppen nach oben. Jennifers Schuhe standen vor der Wohnungstüre, also war sie da. Seufzend ging Emily hinein und versuchte unauffällig direkt in ihr Zimmer zu gehen. Aus dem Zimmer gegenüber dröhnte laute Musik und die Türe ihrer anderen Mitbewohnerin, Viviane, war nur angelehnt, sie war wohl gerade im Bad... Full House also...

Emily schloss ihre Zimmertüre so lautlos wie möglich hinter sich. Es war schön, nicht allein zu wohnen, aber es war ganz anders als in der Pension bei Annie. Sie unternahm nichts gemeinsam mit Jennifer und Viviane und während die eine sie immer nur wie Dreck behandelte, war sie für die andere quasi Luft. Jennifer klaute ständig das Essen aus dem Kühlschrank, das Mrs. Miller ihr mitgab und tat dann so, als wäre sie es nicht gewesen. Sie hörte immer laute Musik, wenn ihr danach war, auch mitten in der Nacht. Wenn Emily sie um etwas Ruhe bat, bekam sie nur schnippische Antworten.

Viviane war immer viel unterwegs und half nur dann im Haushalt, wenn eine Kontrolle durch das Jugendamt anstand. Und selbst dann tat sie nur das Nötigste. Außerdem brachte sie immer irgendwelche fremden Leute mit in die Wohnung, die auch oft über Nacht blieben. Emily hatte wirklich keine Lust mehr zu spät zur Arbeit zu kommen, weil einer von Vivianes Freunden mal wieder das Bad besetzte...

Seufzend legte Emily ihre Tasche auf dem Boden ab und ließ sich auf ihr Bett fallen. Eigentlich war es nicht ihr Bett, sie besaß keine Möbel mehr. Die gesamte Einrichtung in ihrem Zimmer gehörte dem Jugendamt. Ihr Besitz passte in zwei Umzugskartons... da waren ihre Bücher, ein paar Stofftiere und Krimskrams sowie ihre Klamotten. Der Großteil ihrer Kleidung stammte aus dem Besitz ihrer verstorbenen Mutter, denn Emily hatte es nicht über sich gebracht, die Sachen wegzugeben. Und da sie ohnehin kein Geld für neue Kleidung hatte, trug sie sie eben selbst. Das Handy, das sie besaß, war schon etwas veraltet, aber die Millers hatten es ihr vor zwei Jahren geschenkt und Emily war sehr dankbar dafür. Sie zahlten monatlich ihren Vertrag, so dass Emily immer mit ihnen und Julie und jetzt auch mit Leo in Kontakt bleiben konnte.

Bin jetzt zu Hause... sag Bescheid, wenn du Zeit zum Schreiben hast, lautete Emilys nächste Nachricht an Leo. Dann öffnete sie noch einmal die Nachrichten, die sie an Professor Evans geschickt hatte. Bisher hatte er auf keine einzige geantwortet. Und auch ihre Anrufversuche waren umsonst gewesen – sein Handy war entweder immer ausgeschaltet oder er ging nicht dran.

Weil Emily mit Leo auch Briefe hin und her schickte, hatte sie ein paar Mal einen Brief für Professor Evans beigelegt. Leo beteuerte jedes Mal, dass sie ihn übergeben hatte, allerdings hatte er noch nie zurückgeschrieben oder sich sonst in irgendeiner Weise dazu geäußert. Alles, was sie von Professor Evans wusste, erfuhr sie durch Leo oder Annie. Und das tat weh. Dem Professor war es wohl ganz recht, dass Emily nicht mehr bei ihm war und er sich nicht mehr um sie kümmern musste.

Fairerweise musste sie zugeben, dass sie ihm eine Menge Ärger bereitet hatte. Aber es war kein schönes Gefühl, nie eine Antwort von ihm zu erhalten... Am Anfang hatte er ab und zu mit Mr. Miller telefoniert, aber anscheinend jedes Mal eine Gelegenheit abgepasst, zu der Emily garantiert nicht anwesend war.

Es war schmerzhaft für Emily, dass sie nicht mehr in Melton Hill sein konnte. Und es war bitter, dass ihr Kontakt zu Professor Evans von einem auf den anderen Tag so abrupt abgebrochen war, obwohl sie sich während ihres Praktikums fast tagtäglich gesehen hatten. Julie musste sie oft trösten, aber nur Leo kannte die ganze Geschichte und nur mit ihr konnte Emily wirklich über alles reden. Na ja, über fast alles...

Sie warf einen Blick hinüber zum Schreibtisch, auf dem sich alte Zeitungen und ausgedruckte Artikel stapelten. Evans hatte wirklich keinen guten Einfluss auf ihren Ordnungssinn hinterlassen... Aber diese Papierstapel dienten alle nur einem Zweck: Emily hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Coralie Evans ausfindig zu machen und sich dann um sie zu kümmern.

Das klang vielleicht – oder sogar bestimmt – vermessen, denn natürlich hatte Coralie bereits Leute in ihrem Leben, die dafür sorgten, dass sie alles hatte, was sie brauchte. Aber Emily wollte sicher gehen, dass es der Frau des Professors nicht nur gut ging, sondern dabei helfen, dass sie das bestmögliche Leben hatte, das man nur haben konnte. Dadurch erhoffte sich Emily wenigstens einen Teil ihrer Schuld, die sie gegenüber Evans empfand, begleichen zu können. Natürlich würde sie ihm niemals davon erzählen! Und am besten auch niemandem sonst. Wenn ihr Vorhaben gelang, könnte sie immer noch mit der Sprache herausrücken. Aber erst einmal war das ihre geheime Mission. Wie genau sie das anstellen würde… Nun ja, das galt es zu klären, wenn sie Coralie gefunden hatte. Und aktuell war sie davon noch weit entfernt.

Natürlich hatte sie nicht nichts herausgefunden. Emily setzte sich an ihren Schreibtisch und zog ein Notizheft aus dem Papierstapel. Als sie es aufschlug, war es voller Gekritzel und Pfeilen, die wiederum auf anderes Gekritzel verwiesen. Auf der ersten Seite war noch schön leserlich der Name »Coralie Evans« zu lesen, danach konnte man sehen, wie die Schrift mit jeder Seite krakeliger wurde. Nur zwischendurch waren wieder in sauberer Schrift Namen notiert. Unter anderen auch die Namen Elizabeth und Richard Evans, auf die Emily zu Beginn ihrer Recherche gestoßen war.

Ohne jeden Anhaltspunkt hatte Emily vor einem Monat einfach damit angefangen, nach Menschen mit dem Nachnamen Evans im Land zu suchen – was sich als Griff ins Klo entpuppte, da es diesen Nachnamen echt häufig gab.

Ihr war klar, dass Coralie mittlerweile einen anderen Namen trug, aber sie hatte trotzdem weitergesucht und jede Datenbank, jedes Zeitungsarchiv durchwühlt. Das gestaltete sich insofern schwierig, als dass sie auf ihrem veralteten Handy viele Seiten nicht gerade leserfreundlich angezeigt bekam und um einen Laptop benutzen zu können, musste sie jedes Mal Julie fragen, die einen besaß. Die ganze Sache zog sich also.

Sie fand Professor Evans auf der Seite der Universität von Melton Hill und eine Million anderer Menschen und Firmen mit demselben Namen. Sie durchforstete Zeitungsarchive nach dem Stichwort »Evans« und ärgerte sich besonders über einen Reporter, der ebenfalls diesen Nachnamen trug und ihr deshalb ständig angezeigt wurde. Sie ging zwischendurch auch immer wieder in die Städtische Bibliothek, um sich Artikel auszudrucken und dann in Ruhe abends im Bett lesen zu können. Über Coralie Evans konnte sie aber nichts finden.

Schließlich erinnerte sich Emily an Annies Erzählung, laut der die Millers Coralie damals aus Melton Hill mitgenommen hatten, um sie zu der Kontaktperson zu bringen, die ihr ein neues Leben mit neuen Erinnerungen ermöglichen würde. Das hatte Emily darauf gebracht, dass Coralie vielleicht gar nicht so weit weg sei. Als sie den Radius ihrer Suche auf ihre nähere Umgebung verkleinert hatte, war sie auf die Namen Elizabeth und Richard Evans gestoßen.

Neben den Namen in ihrem Notizbuch standen da Stichpunkte wie »Inhaber einer großen Firma«, »großzügige Spenden« oder »reich«, »leben in Richfield City«. Über den Namen gab es einen Pfeil, der auf die Notiz »Eltern des Professors?« zeigte. Das Fragezeichen hatte Emily später durchgestrichen.

Es gab kein Foto von den beiden in den Zeitungen und Berichten, aber Emily erinnerte sich natürlich an die Geschichte, die Gwendolin ihr in Porter Haven erzählt hatte.

Der Professor war damals von zu Hause weggelaufen und Gwen hatte durch einige seiner Andeutungen gefolgert, dass er aus reichem Hause kam. Aus weiteren Zeitungsberichten erfuhr Emily, dass Richard anscheinend den Namen seiner Frau bei der Hochzeit angenommen und so das Familiengeschäft ihres Vaters übernommen hatte.

Stolz lächelte Emily, als sie ihre Notizen noch einmal durchlas. Es war der erste Schritt in die richtige Richtung gewesen, um mehr über Coralie herauszufinden, auch wenn ihr das zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst gewesen war. Sie hatte aus purer Neugier etwas mehr über die Herkunft des Professors herausfinden wollen. Die nächste Seite auf ihrem Notizheft hatte die Überschrift »Meredith Brooks«. Daneben war auch ein Foto aus einem Zeitungsartikel mit einer Büroklammer von Emily befestigt worden. Das Foto zeigte eine Frau, schätzungsweise Anfang oder Mitte 40, die einen Blazer und eine Seidenbluse trug. Sie war hochgewachsen, hatte ein hübsches Gesicht, umrahmt von dunkelblonden, langen Haaren, aber ihr Lächeln wirkte ein wenig aufgesetzt und kühl. Emily erinnerte sich nur zu gut daran, wie ihr fast das Herz stehen geblieben wäre, als sie die Frau wiedererkannt hatte. Zuletzt hatte sie sie auf dem Foto gesehen, das sie heimlich in Professor Evans’ Büro betrachtet hatte – auf dem auch Coralie zu sehen gewesen war. Das war ihre erste heiße Spur gewesen und ein Riesenerfolg für Emily. Bisher hatte sie weiter herausgefunden, dass die Frau Meredith Brooks hieß und die Nichte von Elizabeth und Richard Evans war. Sie überflog ihre Notizen und den Zeitungsartikel, den sie dazu abgeheftet hatte. Darin stand, dass das Ehepaar Evans eine große Summe für die Restaurierung des St. George Krankenhauses gespendet hatte, welches privat geführt wurde von ihrer Nichte und deren Mann – Meredith und Alan Brooks. Und da war die Verbindung! Emily war noch immer aufgeregt, wenn sie sich das so durchlas. Doch sie musste noch mehr recherchieren.

Sie griff nach ihrem Rucksack und holte einen Stapel neuer Zeitungsartikel hervor, die sie nach ihrer Arbeit in der Bibliothek ausgedruckt hatte. Sie hoffte, auch noch ein Bild von Alan Brooks zu finden, um ihren Verdacht endgültig zu bestätigen. Und sie musste den Papierstapel nicht lange durchsuchen, da fand sie schon ein Bild vom Ehepaar Brooks. Der Mann mit den kurzen, schwarzen Haaren, den breiten Schultern und dem absolut neutralen Gesichtsausdruck war ebenfalls auf dem Foto mit Coralie zu sehen gewesen. Kein Zweifel, der Professor hatte damals Meredith Brooks – seine Cousine – damit beauftragt, sich um Coralie zu kümmern. Sie war die Kontaktperson, die ab und zu Fotos oder Nachrichten schickte. Es machte Sinn, denn er hatte damals jemanden gebraucht, der Coralie nicht kannte, um ihre Erinnerungen nicht zu triggern. Und sie gehörte zur Familie, sicher vertraute er ihr.

Nickend schrieb Emily ihre neuesten Erkenntnisse auf und schlug eine neue Seite in ihrem Notizheft auf, die die Überschrift »Alan Brooks« verpasst bekam.

Dann lehnte sie sich zurück und überlegte. Richfield City war eine Großstadt, nicht zu vergleichen mit Little Westbourne. Aber es war gar nicht so weit weg. Mit der Bahn brauchte sie vielleicht eine Stunde, in der Rushhour etwas länger. Entgegen ihrem Namen gab es in der Stadt auch sehr viele Obdachlose und viele Viertel, in denen die ärmere Bevölkerung in riesigen, grauen Betonblöcken in engen Wohnungen leben musste. Es gab durchaus auch viele schöne Ecken in der Stadt, nicht zuletzt im Villenviertel, wo ein prunkvolles Haus neben dem nächsten stand. Emily war schon lange nicht mehr in Richfield City gewesen, zuletzt für einen Schulausflug in das hiesige Naturkundemuseum dort, das eine beträchtliche Sammlung von Dinosaurierknochen aufwies.

Jemanden in einer so riesigen Stadt wie Richfield City zu verstecken, war bestimmt leicht. Ob Coralie wirklich hier untergekommen war? Emilys Herz pochte schneller bei der Vorstellung, dass sie vielleicht schon seit acht Jahren quasi direkt neben Coralie wohnte. Vielleicht war sie auf der Straße sogar schon mal an ihr vorbeigelaufen? Sie schüttelte den Kopf, es war noch zu früh für solche Gedanken, sie musste ihren Verdacht zunächst einmal bestätigen und auch noch immer herausfinden, wie Coralies neuer Name eigentlich lautete.

Sie beugte sich wieder über den Papierstapel und suchte weiter nach irgendwelchen Hinweisen. Sie stockte, als auf einer der Seiten ein weiterer Bericht über das St. George Krankenhaus auftauchte. Es ging um eine Feier zur Neueröffnung nach der Sanierung, die erst vor zwei Wochen stattgefunden hatte. Unter dem Bericht gab es einen Link und anscheinend auch ein Video, das auf dem Papier natürlich nicht viel taugte. Emily kramte ihr Handy hervor, um den Link einzugeben, doch ihr Handy verband sich nicht mit dem W-Lan und sie hatte für diesen Monat zu wenig Datenvolumen übrig, um sich jetzt noch Videos anzuschauen. Warum funktionierte denn das W-Lan schon wieder – oh.

Ihre Mitbewohnerin Jennifer machte sich manchmal einen Spaß daraus, einfach das Passwort zu ändern, nur um Emily zu ärgern. Für so einen Blödsinn hatte sie heute keine Zeit. Auch wenn sie lieber barfuß über eine Horde Kellerasseln gehen würde als mit Jennifer zu reden, stand Emily auf und ging zum Zimmer ihrer Mitbewohnerin hinüber. Sie klopfte vorsichtig an und als von drinnen ein lang gezogenes »Jaaaa?« kam, öffnete sie die Tür.

»Ich hab ›Ja‹ gesagt, nicht ›Komm rein‹!«, schimpfte Jennifer sofort, doch Emily ignorierte sie.

»Sagst du mir das neue W-Lan Passwort?«, fragte Emily ohne Umschweife. »Bitte«, fügte sie dann zähneknirschend hinzu.

»Na gut«, erwiderte Jennifer achselzuckend. Dann grinste sie. »Oder warte, ich geb’ dir ’nen Hinweis und du musst es erraten.«

»Kannst du mir einfach nur -«, setzte Emily an, doch Jennifer redete einfach weiter.

»Also der erste Buchstabe ist der Anfangsbuchstabe vom Namen meiner Katze, die gestorben ist, als ich zehn war.«

»Woher soll ich den Namen wissen?«

Jennifer zuckte erneut mit den Achseln und Emily gab auf. Sie ging wieder zurück in den Flur und schloss die Zimmertüre hinter sich.

»Du bist voll langweilig!«, rief Jennifer ihr hinterher.

Aufgebracht stapfte Emily wieder zurück in ihr Zimmer. Sie hasste diese WG wirklich… Am liebsten wäre sie sofort zu Julie gefahren, um ihren Laptop zu benutzen und nach weiteren Hinweisen zu suchen – doch ihre Freundin war noch in der Schule und Emily musste sich gedulden. Heute Abend war sie bei den Millers zum Abendessen eingeladen, danach würde sie Julie bitten, ob sie sich den Laptop vielleicht für einen Tag ausleihen durfte. Offiziell natürlich, um Bewerbungen zu schreiben.

Emily starrte auf den braunen Umschlag, der unter all dem Chaos auf ihrem Schreibtisch hervorlugte. Darin lag noch immer ihr Praktikumszeugnis von Professor Evans. Sie hatte es bisher in keiner Bewerbung beigelegt und den Umschlag nicht mehr angerührt, seit er ihn ihr damals gegeben hatte. Sie wollte das Zeugnis gar nicht erst lesen, denn es erinnerte sie nur daran, dass sie niemals mehr ihre Arbeit beim Professor aufnehmen würde. Und auch, wenn sie diesen Umstand mittlerweile akzeptiert hatte, fand sie es noch immer zum Kotzen.

Mit einem Seufzer schaute Emily wieder auf ihr Handy, doch Leo hatte ihr noch nicht zurückgeschrieben. Sie beschloss, die Zeit sinnvoll zu nutzen und einen neuen Brief nach Melton Hill zu schicken. Natürlich war es manchmal seltsam, dass sie fast jeden Tag mit Leo über ihr Handy kommunizierte und ihr trotzdem noch zwischendurch Briefe schrieb, aber der Gesprächsstoff ging den beiden eigentlich nie aus. Und es war schön ab und zu Post im Briefkasten zu haben, die keine Werbung oder Rechnung war.

Emily zog ihr Briefpapier hervor und berichtete Leo, dass die Arbeit bei der Hitze wirklich anstrengend war und sie noch immer keinen Ausbildungsplatz gefunden hatte. Dass sie die Suche danach für die Suche nach Coralie vernachlässigt hatte, ließ sie lieber aus. Leo hatte schließlich keine Ahnung von ihrem Plan.

Sie beteuerte Leo in ihrem Brief noch, wie sehr sie sie vermisste, dann nahm sie einen weiteren Bogen von dem Papier. Nach einem anfänglichen Zögern schrieb sie in sauberer Handschrift in die erste Zeile.

Hallo Professor Evans,

Dann überlegte sie kurz.

Ich weiß, dass Sie wahrscheinlich keine Zeit haben werden, um auf meinen Brief zu antworten. Ehrlich gesagt, weiß ich noch nicht einmal, ob Sie meine Briefe überhaupt lesen. Leo erzählt mir zwar immer, dass sie sie lesen, aber vielleicht sagt sie das auch nur, weil sie mich nicht traurig machen möchte.

Ich hoffe wirklich, es geht Ihnen gut. Leo weicht mir immer ein bisschen aus, wenn ich sie nach Ihnen frage. Annie auch. Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob bei Ihnen alles okay ist.

Hier läuft alles prima.

Tut es das?, dachte Emily. In Bezug auf Ihre Suchaktion schon. Aber das konnte sie ihm ja schlecht schreiben.

Ich gehe auch weiterhin zur Therapie, wie ich es Ihnen versprochen habe.

Gelogen!, ertönte ihr schlechtes Gewissen laut und deutlich. Sie hatte schon zwei Mal geschwänzt. Aber es ging ihr wirklich gut! Sie brauchte keine Therapie. Ab und zu hatte sie zwar noch Albträume von ihrer Entführung vor zwei Monaten, aber sie verspürte nur noch selten Anflüge von Panik.

Eigentlich wollte ich Ihnen nur sagen, dass Sie sich immer bei mir melden können, wenn Ihnen danach ist. Oder wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann.

Bei was willst du ihm schon helfen? Emily seufzte. Sie unterschrieb den Brief, dann setzte sie noch einen Satz darunter:

PS: Solange Sie mich nicht ausdrücklich darum bitten, werde ich Ihnen Ihren Pullover nicht zurückschicken.

Sie betrachtete den Pullover, der zusammengefaltet neben ihrem Kopfkissen lag. Evans hatte ihn ihr kurz vor ihrer Entführung gegeben und sie hatte ihn die ganze Zeit über getragen, während sie in Rutherfords Gewalt gewesen war. Annie hatte ihn anscheinend versehentlich in ihren Koffer eingeräumt und Emily weigerte sich, ihn zurückzuschicken, solange der Professor sie weiterhin ignorierte.

Mit einem schweren Gefühl im Brustkorb steckte sie den Brief an Evans mit in den Umschlag, den sie bereits an Leo adressiert hatte. Dann blickte sie nachdenklich über den Zeitungsbericht, der auf dem Schreibtisch lag. Hoffentlich würde es ihr bald gelingen, Coralie ausfindig zu machen. Und vielleicht würde sie sich dann ja endlich etwas besser fühlen. Das Klingeln ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken.

»Bestimmt Leo...«, murmelte sie vor sich hin, während sie sich zu ihrem Bett streckte, um ihr Handy zu erreichen. Doch auf dem Display erschien ein anderer Name.

»Mr. Miller?«, fragte sie erstaunt über die Lautsprecherfunktion, »Fällt das Abendessen heute aus?«

»Nein, keine Sorge. Ist bei uns jemals ein Abendessen ausgefallen?«, erwiderte Mr. Millers Stimme am anderen Ende der Leitung und Emily konnte hören, dass er in sich hineinlachte, wie er es so oft tat. »Bist du schon losgefahren?«

»Nein, ich bin noch zu Hause.«

»Dann komm runter, ich hole dich ab.«

»Aber das ist nicht nötig, ich kann doch die Bahn nehmen!«, protestierte Emily. Sie mochte es nicht, wenn die Millers sich wegen ihr Umstände machten. Mal wieder.

»Ich komme sowieso gerade von der Arbeit, ich hatte früher frei, also ist das kein Problem. Und das Auto ist klimatisiert.«

Das war ein ziemlich gutes Argument. Nachmittags wurde das Sommerwetter langsam unangenehm, gerade in der Bahn. Emily betrachtete den Brief in ihrer Hand.

»Gut, aber ich muss noch zum Briefkasten, Post einwerfen.«

»Auf dem Weg zu uns ist bestimmt einer. Ich bin in drei Minuten da.«

Mr. Miller legte auf und Emily suchte ihre Sachen zusammen. Leise schlich sie sich aus dem Zimmer, um Jennifer nicht mehr auf sie aufmerksam zu machen. Als sie aus dem Treppenhaus kam, wartete sie im Hauseingang auf Mr. Miller.

Ein unbekannter, dunkler Wagen kam plötzlich näher und wurde langsamer. Emily spürte ihr Herz lauter klopfen und sie drückte sich gegen die Hauswand. Die Hand um ihr Handy verkrampfte sich schmerzlich. Sie konnte den Fahrer des Wagens nicht erkennen und er hielt nur wenige Meter entfernt von ihr an. Plötzlich fiel Emily das Atmen schwerer und sie wäre am liebsten wieder ins Innere des Hauses geflüchtet, doch ihr Körper war stocksteif und bewegte sich nicht. Sie schnappte nach Luft und zwang sich, ruhig durchzuatmen, als eine ältere Dame aus dem Auto stieg. Sie nickte Emily kurz zu und lud dann ihre Einkäufe aus. Während sie das tat, kam ein zweites Auto direkt hinter dem ersten zum Stehen. Emily atmete erleichtert aus, als sie Mr. Miller hinter dem Steuer sah. Okay, sie musste sich eingestehen, dass sie vielleicht doch noch ab und an zu den Therapiesitzungen gehen sollte... In Situationen, die sie auch nur entfernt an ihre Entführung erinnerten, kam immer wieder Panik in ihr auf.

Mr. Miller öffnete die Beifahrertür und winkte Emily zu.

»Ihr Taxi ist da, junge Dame.«

Mit einem Lächeln ging Emily zu ihm hinüber und stieg in den Wagen. Die Klimaanlage war eine wahre Wohltat, vor allem nach dem Schreck gerade.

»Vielen Dank, Mr. Miller.«

»Du sollst mich doch duzen«, erwiderte er und verzog dabei das Gesicht, »Immer bist du so förmlich...«