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Was tust du, wenn das Böse an deine Tür klopft?
Ros führt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter ein scheinbar perfektes Leben in einer malerischen Kleinstadt. Doch als sie sieht, wer nebenan einzieht, wird aus Idylle schlagartig Angst. Denn Ros hat dieser Frau im Urlaub ihr dunkelstes Geheimnis anvertraut – in dem festen Glauben, sie nie wieder zu sehen.
Bald wird klar: Lotte ist nicht zufällig hier, sondern, um das makellose Leben von Ros zu zerstören. Was Lotte nicht weiß: Ros ist bereit, alles zu tun, um ihre Familie zu beschützen - und ihr Geheimnis um jeden Preis zu bewahren ...
Für alle Fans von Big Little Lies und The Silent Wife. Von der Autorin der Bestseller "Die Affäre" und "Das Klippenmädchen".
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Seitenzahl: 409
Veröffentlichungsjahr: 2025
Was tust du, wenn das Böse an deine Tür klopft?
Ros führt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter ein scheinbar perfektes Leben in einer malerischen Kleinstadt. Doch als sie sieht, wer nebenan einzieht, wird aus Idylle schlagartig Angst. Denn Ros hat dieser Frau im Urlaub ihr dunkelstes Geheimnis anvertraut – in dem festen Glauben, sie nie wieder zu sehen.
Bald wird klar: Lotte ist nicht zufällig hier, sondern, um das makellose Leben von Ros zu zerstören. Was Lotte nicht weiß: Ros ist bereit, alles zu tun, um ihre Familie zu beschützen - und ihr Geheimnis um jeden Preis zu bewahren ...
Für alle Fans von Big Little Lies und The Silent Wife. Von der Autorin der Bestseller "Die Affäre" und "Das Klippenmädchen".
Jill Childs hat schon immer Geschichten geliebt, echte und erfundene. Über 30 Jahre lang bereiste sie als Journalistin die ganze Welt – je nachdem, wohin die Nachrichten sie führten. Heute lebt sie als Autorin mit ihrem Mann und ihren Zwillingen in London.
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Jill Childs
Die Verratene
Aus dem Englischen von Uta Hege
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Informationen zum Buch
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Widmung
PROLOG
Kapitel 1 — ROS
Kapitel 2 — ROS
Kapitel 3 — ROS
Kapitel 4 — ROS
Kapitel 5 — ROS
Kapitel 6 — ROS
Kapitel 7 — ROS
Kapitel 8 — ROS
Kapitel 9 — ROS
Kapitel 10 — LOTTE
Kapitel 11 — ROS
Kapitel 12 — LOTTE
Kapitel 13 — ROS
Kapitel 14 — ROS
Kapitel 15 — ROS
Kapitel 16 — LOTTE
Kapitel 17 — LOTTE
Kapitel 18 — ROS
Kapitel 19 — LOTTE
Kapitel 20 — ROS
Kapitel 21 — LOTTE
Kapitel 22 — LOTTE
Kapitel 23 — LOTTE
Kapitel 24 — LOTTE
Kapitel 25 — LOTTE
Kapitel 26 — LOTTE
Kapitel 27 — ROS
Kapitel 28 — ROS
Kapitel 29 — ROS
Kapitel 30 — ROS
Kapitel 31 — ROS
Kapitel 32 — ROS
Kapitel 33 — ROS
Kapitel 34 — ROS
Kapitel 35 — ROS
Kapitel 36 — LOTTE
Kapitel 37 — SCHULE
Kapitel 38 — ROS
Kapitel 39 — ROS
Kapitel 40 — ROS
Kapitel 41 — ROS
Kapitel 42 — ROS
Kapitel 43 — ROS
Kapitel 44 — ROS
Kapitel 45 — ROS
Kapitel 46 — ROS
Kapitel 47 — LOTTE
Kapitel 48 — LOTTE
Kapitel 49 — ROS
Kapitel 50 — LOTTE
Kapitel 51 — LOTTE
Kapitel 52 — LOTTE
Kapitel 53 — ROS
Kapitel 54 — LOTTE
Kapitel 55 — LOTTE
Kapitel 56 — ROS
Kapitel 57 — ROS
Kapitel 58 — ROS
EPILOG
EIN BRIEF VON JILL
DANKSAGUNGEN
Impressum
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Für Ilkley
Man hätte meinen können, dass auf dem Küchenboden eine riesengroße Marionette läge, die achtlos fallen gelassen und dann dort zurückgelassen worden wäre.
Sie liegt zusammengesunken mit verdrehten Gliedern da, ein Bein ist ausgestreckt, und ihre Finger, die umarmen und liebkosen hätten wollen, sind zu steifen, unförmigen Krallen erstarrt. Und diese Augen. Riesengroß und glasig starren sie blind die frisch gestrichene Decke an. Der verzerrte Mund spiegelt die Panik und den Schock, die ihnen überdeutlich anzusehen sind.
Dies war kein sanfter Tod am Ende eines langen, guten Lebens, nachdem alle Lieben noch mal unter Tränen an ein Krankenbett getreten sind. Man kann unmöglich übersehen, dass dieser Tod gewaltsam eingetreten ist. Die eleganten Bögen des verspritzten Bluts erzählen ihre eigene Geschichte mit den unterbrochenen Mustern, die den Rand des Küchentresens und die Schranktüren überziehen und auf dem ordentlich gewischten Küchenboden angetrocknet sind.
Später, sehr viel später werden Freundinnen und Freunde, Nachbarinnen und Nachbarn, Polizistinnen und Polizisten, Anwälte und Anwältinnen jede Menge Fragen stellen.
Welche überbordenden Gefühle können jemanden dazu getrieben haben, einem anderen Menschen derart tief ein Messer in das Fleisch zu rammen, dass nur noch der Griff zu sehen ist? Wer hat vielleicht etwas gesehen und geschwiegen, als es zu der grauenhaften Tat gekommen ist? Und was vielleicht die allergrößte Frage ist – wie ist es möglich, dass sich in so einer engen Gemeinschaft, in der alle füreinander da sind, eine derart grauenhafte Tat ereignet hat?
Tatsächlich gibt es Fragen über Fragen. Doch sie alle kommen zu spät.
ROS
»Das Leben ist echt hart.«
Ros drehte sich verwundert nach der Stimme um. Die Frau, die auf der Liege ein Stück weiter lag, hatte einen ordentlichen, dunklen Bob und prostete ihr grinsend zu. Auf ihrem Kokosnusscocktail schwamm eine dicke Kirsche, und das Glas war hübsch mit einem knickbaren Strohhalm und einem Papierschirmchen verziert.
»Aber irgendjemand muss es schließlich leben, stimmt’s?« Die Fremde zwinkerte ihr zu, bevor sie sich den Strohhalm zwischen ihre leuchtend rot geschminkten und zu einem perfekten O geformten Lippen schob.
Mit ihren vielleicht Mitte dreißig war sie fast so alt wie Ros, aber in deutlich besserer Form. Sie hatte lange, wohlgeformte Beine und trug über ihrem winzigen Bikini einen offenen Seidenkimono, der ihre gleichmäßig gebräunte Haut und ihren schlanken Körper vorteilhaft zur Geltung brachte.
Ros hatte schon seit Jahren keinen Bikini mehr getragen, und wenn sie es genau bedachte, würde sie das sicher auch nie wieder tun. Doch über solche Dinge dachte sie nur selten nach, denn dafür hatte sie normalerweise viel zu viel zu tun.
Verlegen wegen ihres Bauchs und ihrer Oberschenkel rutschte sie auf ihrem Liegestuhl herum. Du bist perfekt, Mummy, erzählten ihre Töchter ihr. Sie waren noch jung genug, um ihre Mutter zu bewundern, und Ros freute sich darüber, denn es würde garantiert nicht immer so bleiben.
»Auf jeden Fall.« Sie lächelte zurück und prostete der fremden Frau ironisch mit dem mitgebrachten Saftbecher aus Plastik zu. Um Geld zu sparen, brachten sie und Adam immer Snacks und etwas zu trinken mit. Sie hatte sich die Preise auf der Karte angesehen, und wenn sie alles an der Bar des Pools bestellen würden, wären sie bald blank.
Zwischen ihren Brüsten sammelte sich Schweiß. Eilig schob sie sich auf ihrer Liege tiefer in den Schatten ihres Sonnenschirms. Sie mochte Wärme, doch die wolkenlose Hitze auf Mallorca im August war sogar ihr zu viel. Den halben Tag lang cremte sie die Mädchen gegen deren Willen ein und trug ihnen die breitkrempigen Hüte, die sie vor der Sonne schützen sollten, hinterher.
Jetzt schirmte sie die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab und blickte Richtung Pool. Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht, und ihre beiden Töchter spritzten sich am flachen Ende unter lautem Juchzen gegenseitig nass. Es waren Freudenschreie, aber trotzdem war sie wachsam, denn mitunter wurde aus Sophies und Bellas Spielen plötzlich ernst, und dann kam es zum Streit.
Sie blickte auf und sah den Ober, der in ihre Richtung kam. Er ging zu ihrer Nachbarin und stellte schwungvoll einen Teller voll mit frischem Obst auf einem kleinen Tischchen ab.
Verstohlen sah sich Ros den Teller an. Stücke von Bananen, Ananas und Kiwi, ein Limettenschnitz und ein paar Stücke einer rot-orangefarbenen Frucht, die sie nicht kannte, waren dort zusammen mit einer kleinen Gabel kunstvoll arrangiert. Es sah phantastisch aus, nur dass es sicher furchtbar teuer war. Fürs selbe Geld bekäme man im Supermarkt bestimmt ein halbes Kilo frisches Obst. Wahrscheinlich hätten einige der anderen Mütter aus der Schule einen Schnappschuss von dem Obstteller gemacht und ihn gepostet, weil sie hofften, dass die anderen Frauen neidisch wären.
Lächelnd ließ der Ober den Blick an ihrer Nachbarin herunterwandern, doch das schien sie nicht zu stören, denn sie lächelte zurück, richtete sich auf, schlang sich den Kimono um den Bauch und schob sich die Sonnenbrille auf den Kopf.
»Natürlich ist das furchtbar dekadent«, erklärte sie und blitzte Ros vergnügt aus ihren blauen Augen an. »Aber was soll’s? Man lebt schließlich nur einmal, oder nicht?«
Anscheinend hatte Ros sie angestarrt. Mit einem entschuldigenden Grinsen wandte sie sich ab. Sie überlegte, ob sie weiterlesen sollte, auch wenn sie dabei bisher nicht weit gekommen war. Normalerweise war auch Adam mit am Pool, doch heute spielte er auf dem verdorrten Platz am Meer mit ein paar anderen Männern Golf, und die paar freien Stunden hatte er sich rechtschaffen verdient. Er brauchte diesen Urlaub wirklich dringend, denn er arbeitete hart, doch bisher hatte er den größten Teil der Zeit mit ihren Mädchen hier im Pool verbracht und sie von seinen Schultern springen lassen oder in die Luft geworfen. Lächelnd dachte Ros, dass er ein wirklich wunderbarer Vater war.
»Na los, probieren Sie.«
Die Stimme zog sie wieder in die Gegenwart zurück. Der Mund der Frau war voller Ananas, jetzt aber nahm sie den Limettenschnitz und drückte ihn über dem Obst, das Ros nicht kannte, aus. Dann pikste sie ein Stück mit ihrer Gabel auf und schob den Teller so, dass er für Ros erreichbar war. »Hier. Die Papaya ist echt gut.«
»Nein danke«, wehrte Ros verlegen ab.
»O doch! Die müssen Sie probieren!« Die Frau hielt ihr die Gabel mit dem wild schwankenden Stück Papaya hin. »Na los! Bevor es runterfällt.«
Papaya hatte Ros noch nie probiert. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, etwas so Exotisches zu kaufen, doch jetzt zupfte sie das Stück mit den Fingern von der Gabel ab, und als sie es sich in den Mund schob, löste es sich dort zu einem feuchten Klumpen auf. Sie leckte sich die Finger ab und konnte wegen ihres vollen Mundes während eines Augenblicks nicht sprechen, aber plötzlich traf sie der Geschmack mit aller Macht, und ihr entfuhr ein »O mein Gott, das schmeckt tatsächlich wunderbar«.
»Nicht wahr?« Grinsend pikste die Frau ein Stück Papaya für sich selbst auf. »Na los, greifen Sie zu. Alleine schaffe ich das alles nicht.«
»Sind Sie sich sicher?«
Lächelnd schob sich die Frau ein weiteres Stück Papaya in den Mund und pikste dann für Ros ein zweites Stück mit ihrer Gabel auf. Ros stellte sich schon vor, wie sie später ihrem Mann davon auf amüsante Art berichten und er lachen und wie immer scherzhaft sagen würde, dass er sie nicht einen Augenblick allein lassen könne, ohne dass sie irgendjemand Fremden treffe, der das dringende Bedürfnis hatte, ihr ausführlich die Geschichte seines Lebens zu erzählen. Und es stimmte, denn sie war ein offener Mensch und hörte anderen gerne zu. Das zahlte sich bei ihrer Arbeit, aber meistens ebenfalls in anderen Bereichen ihres Lebens aus, weshalb sie auch zu ihren Mädchen immer sagte, dass es niemals schaden könne, wenn man Freundschaft mit den Leuten schloss.
Am Ende hatten sie den Teller leer gegessen, und die Fremde legte ihre Gabel in die Pfütze Saft, die übrig war, tupfte sich den Mund mit einer ordentlich zusammengefalteten Serviette ab und reichte ihr die Hand. Eilig wischte Ros sich ihre Klebefinger mit dem Handtuch ab, schüttelte die angebotene Hand und fand die Geste seltsam förmlich, aber durchaus angenehm. Es war, als schlössen sie auf diese Weise einen Urlaubs-Freundschafts-Deal.
»Ich heiße Ros.«
»Lotte.«
»Ist das –«, begann Ros, als die Jüngere von ihren Töchtern tropfnass angelaufen kam und mit hängenden Schultern vor ihr stehen blieb.
»Mummy!«
Ros breitete ein großes Handtuch aus, wickelte die vierjährige Bella darin ein und rubbelte ihr sorgfältig die Haare ab. »Was ist denn los, mein Schatz?«
Bella blickte bitterböse Richtung Pool, in dem die große Schwester Sophie Handstände am flachen Ende machte und vermied, dorthin zu sehen, wo ihre Mutter saß.
»Sophie hat mich untergetaucht«, klärte die Kleine sie mit zornbebender Stimme auf.
Ros schnalzte mit der Zunge, denn auch wenn sie nicht Partei ergreifen wollte, glaubte sie dem Kind. Sie hatte Sophie diesen Sommer schon des Öfteren dabei erwischt, wie sie die kleine Schwester drangsalierte, auch wenn sie nicht wusste, was der Grund für ihr Verhalten war. Jetzt nahm sie die noch immer in das Handtuch eingehüllte Tochter in den Arm und drückte sie. »Das war nicht nett von ihr. Arme Bella.« Eilig trocknete sie auch noch das Gesicht der Tochter ab, küsste ihre Nasenspitze, klopfte auf den Liegestuhl und fragte sie: »Warum bleibst du nicht hier bei mir? Wir können Karten spielen, wenn du willst.«
Doch Bella schüttelte den Kopf, besprühte ihre Mutter dabei leicht mit chlorigem Wasser, schüttelte das Handtuch ab, atmete tief durch und rannte wieder dorthin, wo die Schwester schon auf sie zu warten schien. Sie krabbelte zurück ins Wasser, und die beiden fingen wieder an herumzutollen, so als wäre nie etwas passiert.
»Wie alt sind die beiden?«
Ros breitete das nasse Handtuch in der Sonne aus. »Sophie ist acht und Bella vier, das heißt, fast fünf.« Sie schirmte abermals die Augen mit der Hand gegen die Sonne ab, um sich zu vergewissern, dass der Frieden zwischen ihren Töchtern hielt. »Und meistens kommen sie prima miteinander aus. Zumindest, wenn sie sich nicht gerade gegenseitig an die Gurgel gehen.«
Lotte verzog das Gesicht. »Stecken Sie sie einfach in den Kinderclub. So mache ich’s auf jeden Fall. Ansonsten wäre dies kein Urlaub, sondern einfach Kinderhüten, nur mit Sonnenschein.«
»Sie haben Kinder?«, fragte Ros sie überrascht, weil keine von den anderen Müttern, die sie kannte, so gelassen, selbstbewusst und attraktiv wie Lotte war. Und keine einen derart herrlich straffen, flachen Bauch besaß.
»Nur eins. Caitlyn. Sie ist genauso alt wie Ihre Jüngere.«
»Aha.« Ros wandte sich von ihrer neuen Bekannten ab und zog noch mal das Handtuch glatt. Sie war etwas enttäuscht, denn vier war noch sehr klein, und ihrer Meinung nach gehörten Kinder in dem Alter nicht den ganzen Tag in irgendeinen Club. Im Grunde aber stand es ihr nicht zu, das zu beurteilen. Sie kannte diese Frau und ihre Tochter schließlich nicht. Vielleicht ging Caitlyn ja tatsächlich gern in diesen Club, und vielleicht brauchte Lotte einfach einmal etwas Zeit für sich.
Die hätte auch sie selbst gebrauchen können, denn natürlich war sie glücklich, aber neben dem Versuch, mit ihrem eigenen Unternehmen durchzustarten, und den ganzen anderen Dingen, die sie leisten musste – Einkauf, Kochen, Putzen, Waschen, Kinder –, hätte sie tatsächlich gerne hin und wieder einen Augenblick für sich gehabt.
Selbstverständlich ging ihr Mann phantastisch mit den Mädchen um, vor allem mit Sophie. Tatsächlich standen sie und Adam sich besonders nah, und seit sie etwas älter war, ging Adam häufiger mit ihr ins Moor oder zum Fahrradfahren. Die Zeit, die sie alleine miteinander hatten, tat den beiden gut, doch es war immer Ros, die auf den letzten Drücker die Kostüme für den Welttag des Buches oder für die Aufführung am Schuljahresende nähte, die Geschenke für die zahllosen Geburtstagspartys kaufte und verpackte, die die Mädchen in den Schwimmkurs und zum Turnen, zur Klavierstunde und zu den Pfadfinderinnen kutschierte und beim Abholen draußen in der Kälte stand, bis ihre Töchter wieder angelaufen kamen.
»Haben Sie das hier schon gelesen?« Lotte griff nach einem Taschenbuch und drückte es ihr in die Hand.
Ros drehte es herum und überflog den Klappentext. »Können Sie es empfehlen?«
»Normalerweise interessieren mich Thriller nicht besonders, aber den hier habe ich am Flughafen gekauft und dann in einem Rutsch gelesen. Nein, behalten Sie’s«, wehrte sie ab, als Ros den Arm ausstreckte, um es ihr zurückzugeben. »Schließlich habe ich es durch und bin schon längst bei einem anderen Buch.«
»Danke!« Neugierig schlug Ros die erste Seite auf, doch als sie nach dem ersten Absatz etwas dazu sagen wollte, kamen ihre Töchter unter lautem Klatschen ihrer kleinen Füße auf den heißen Fliesen angerannt.
Sie richtete sich, wieder ganz die Mutter, eilig auf und griff nach ihren Handtüchern. »Alles okay, Mädels?«
»Hast du gesehen?« Sophie lief noch etwas schneller und kam vor der kleinen Schwester bei ihr an. »Ich bin den ganzen Weg von einem Ende bis zum anderen geschwommen, unter Wasser, und ich bin nicht ein Mal aufgetaucht. Hast du gesehen?«
»Aber hallo, toll.« Ros schüttelte ein Handtuch aus und hielt es ihrer Tochter hin. »Du hast die ganze Bahn geschafft?«
»Ich auch, Mummy.« Jetzt war auch Bella angekommen und ließ sich keuchend auf das Fußende der Liege fallen.
Ros schob die Füße an die Seite, damit Bella Platz bekam. Die beiden Mädchen waren tropfnass, und als sich kleine Pfützen um sie bildeten, bat sie: »Passt auf, dass ihr nicht alles nass macht, ja?«
»Das hast du nicht. Du lügst«, fuhr Sophie ihre kleine Schwester an.
»Habe ich doch.«
Als Ros die Unterlippe ihrer jüngeren Tochter zittern sah, bat sie mit einem Seufzer: »Bitte, Mädchen!«, und schob in der Hoffnung, irgendwas zu finden, um die beiden abzulenken, ihre Hand in die enorme Tasche, die am Kopf der Liege stand.
Sie tastete zwischen der Flasche mit der Sonnenmilch, der Packung mit den Taschentüchern und dem Buch von ihrem Ehemann herum, doch Sophie hatte offenbar noch nicht genug, denn wieder wandte sie sich Bella zu, verzog verächtlich das Gesicht und stellte fest: »Das ist nicht wahr. Und Lügen haben kurze Beine, so wie du.«
Die Kleine brach in lautes Heulen aus, doch endlich hatte Ros die Packung mit den Keksen in der Hand und riss sie auf. »Hört auf, ihr beiden. Sophie, wenn du deiner Schwester einen Keks gibst, kriegst du auch einen.«
Das Mädchen zögerte. »Bekommen wir ein Eis?«
Wie aufs Stichwort hörte Bella auf zu weinen und sah die Mutter hoffnungsvoll aus tränennassen Augen an. »Ja, bitte, Mummy.«
»Hm.« Das Eis hier an der Poolbar kostete das Doppelte von dem im Supermarkt, deswegen hatte sie am Vortag dort welches gekauft.
Sophie riss ihr schlecht gelaunt die Plätzchenpackung aus der Hand. »Dann eben nicht.« Sie nahm sich wütend einen Keks und warf die Packung Bella in den nassen Schoß. »Hier.«
»Sophie.« Ros schüttelte den Kopf. »Geh bitte nett mit deiner Schwester um.«
Auch Sophie ließ sich auf die Liege fallen.
»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte sie, und Bella jammerte mit vollem Mund: »Mir ist so langweilig.«
Ros atmete tief durch. An ihrer Seite hatte Lotte sich bequem auf ihrem Liegestuhl zurückgelehnt, elegant eins ihrer Knie angezogen, sich die Sonnenbrille wieder aufgesetzt und fuhr mit der Lektüre ihres neuen Taschenbuches fort.
ROS
»So trifft man sich wieder!«
Blinzelnd blickte Ros ins grelle Sonnenlicht, doch als ein Schatten auf sie fiel, setzte sie sich eilig auf dem Handtuch auf.
Es war Lotte, die ihr urplötzlich die Sonne nahm und amüsiert auf sie heruntersah. Sie trug eine schwarze Baseballkappe und einen Bikini unter einem offenen Baumwollhemd und schob sich, als ob sie einen Schleier lüften würde, ihre Sonnenbrille in die Stirn.
»Oh.« Ros schwamm in ihrem eigenen Schweiß und fragte sich, warum die andere Frau so frisch aussah. »Hallo.«
Inzwischen war es ein paar Tage her, dass sie am Pool geplaudert und zusammen Obst gegessen hatten, aber seither hatten sie sich nicht noch mal gesprochen, denn da Adam und die Töchter darin übereingekommen waren, dass der Strand erheblich interessanter sei als der Pool, kampierte die Familie seither jeden Tag im Sand.
Ros hatte Lotte ein-, zweimal durch die Hotelanlage laufen sehen, aber die Entfernung war zu groß für ein Gespräch gewesen, deshalb hatten sie sich einfach freundlich zugelächelt und gewinkt. Am Strand war sie bisher nie aufgetaucht.
Jetzt sah sie zu ihr auf und fragte: »Na, genießen Sie den Urlaub noch?«
Lotte nickte. »Morgen geht’s für uns zurück nach Hause in die raue Wirklichkeit.« Sie zeigte auf den Sand. »Ist es in Ordnung, wenn ich mich dazusetze?«
»Natürlich.« Eilig räumte Ros das Chaos aus Klamotten und den Handtüchern der Kinder auf, stellte die umgekippte Tasche mit dem Strandzeug wieder richtig hin, befreite die Flasche mit der Sonnenmilch vom Sand und ließ sie in die Tasche fallen. Es war, als müsste sie daheim die Kissen auf dem Sofa geraderücken und den Staub vom Couchtisch wischen, weil unangekündigter Besuch erschienen war.
Lotte zog ein ordentlich zusammengelegtes Handtuch aus der Tasche, die an ihrem Arm hing, nahm mit angezogenen Knien darauf Platz und schirmte die Augen wieder mit der Sonnenbrille vor der Sonne ab. Dann zog sie die Sandalen aus und schob die Zehen mit den leuchtend rot lackierten Nägeln in den lockeren Sand. »Wie geht’s den Mädchen?«
»Hier am Strand gefällt es ihnen deutlich besser als am Pool.« Ros blickte dorthin, wo ihr Mann mit Bella und Sophie im flachen Wasser stand. Er hielt die Kinder an den Händen, und sie sprangen kreischend über die herannahenden Wellen, traten gegen den Schaum und spritzten sich auf diese Weise gegenseitig nass.
Nach dem Gespräch mit Lotte hatte Ros vom Kinderclub erzählt, und Sophie hatte voll Interesse zugehört, doch Bella hatte stirnrunzelnd erklärt: »Auf keinen Fall, Mummy!«, als hätte ihre Mutter etwas Unvorstellbares von ihr verlangt, und da auch Adam nichts von der Idee gehalten hatte, hatte Ros das Thema abgehakt.
»Was ist mit Ihnen?« Lotte zog eine Tube Kokos-Sonnenmilch hervor und cremte sich ihre langen Beine ein. »Sind Sie noch länger hier?«
»Bis Samstag.«
»Echt? Und fliegen Sie von hier nach Gatwick?«
»Nach Leeds Bradford.«
»Ah, nach Yorkshire.« Lotte legte eine Eincreme-Pause ein.
»Genau.« Ros hatte sich bereits gedacht, dass Lotte ihrem Akzent nach eher aus London oder einer Grafschaft irgendwo im Süden kam und nördlicher als nach Watford bisher sicher nie gekommen war. »Von dort haben wir’s nicht weit nach Hause.«
Lotte starrte ihre Beine an und nickte stumm.
»Ilkley«, fügte Ros hinzu. »Sie wissen schon, das Moor von Ilkley. Etwas oberhalb von Leeds.«
»Genau«, stimmte ihr Lotte zu, und dann saßen sie schweigend da und Ros sah, dass ihr Mann inzwischen mit den Kindern Fangen spielte, während etwas links von ihnen ein junges Pärchen Hand in Hand so vorsichtig durchs Wasser watete, als würfe sie bereits die kleinste Welle um.
»Haben Sie auch mal Ausgang?«
»Bitte?«, fragte Ros, denn sicher hatte sie aufgrund des Lärms der Wellen und der lauten Kinderschreie irgendetwas falsch verstanden oder überhört.
Noch immer starrte Lotte vor sich auf den Sand. »Ich habe mich gefragt, ob Sie nicht vielleicht heute nach dem Abendessen etwas mit mir trinken gehen wollen. Ich habe einen von den Babysittern des Hotels gebucht und hätte Lust auf einen netten Mädelsabend, weil das hier mein letzter Abend auf Mallorca ist. Ich hätte einfach gern Gesellschaft, und ich kenne hier sonst niemanden.«
»Tja nun.« Ros zögerte, denn sie und Adam nahmen mit den Mädchen jeden Tag ein frühes Abendessen ein, und wenn die beiden schliefen, setzten sie sich noch mit einem Kaffee auf den Balkon und unterhielten sich. »Es ist nur so, dass ich –«
»Schon gut. Es tut mir leid, ich hätte Sie nicht fragen sollen. Als alleinerziehende Mutter ist man manchmal einfach etwas einsam, aber kein Problem. Vergessen Sie’s.«
Als Ros ihr angespanntes Lächeln sah, tat sie ihr leid. Vor allem war es wirklich ewig her, seit sie zum letzten Mal allein, ohne Mann und Kinder ausgegangen war. Und schließlich war sie hier im Urlaub, deshalb wären ein, zwei Drinks mit dieser Frau bestimmt okay. Und vielleicht würde es ja durchaus amüsant. »Ich müsste erst mit Adam sprechen, aber, nun, wenn er die Stellung hält, dann gern.«
Strahlend fragte Lotte: »Wirklich?«
»Sicher, warum nicht?«
Sie kicherten wie ungezogene Schulmädchen, dann aber fragte Lotte: »Meinen Sie, Ihr Mann sagt ja?«
Nach kurzem Überlegen meinte Ros: »Ich glaube schon.« Sie sah dorthin, wo ihr Mann durchs Wasser sprang, und plötzlich wogte ein Gefühl der Liebe in ihr auf. Natürlich würde Adam einverstanden sein, denn schließlich drängte er sie immer, irgendwelche neuen Dinge zu probieren. »Das heißt, im Grunde bin ich sicher, dass er einverstanden ist.«
»Phantastisch.« Lotte sprang begeistert auf, packte ihr Handtuch ein, zog die Sandalen an und stand wieder so, dass Ros im Schatten saß. »Ich muss jetzt los und Caitlyn aus dem Kinderclub abholen. Sollen wir uns heute Abend in der Eingangshalle treffen, vielleicht gegen neun?« Sie verzog gespielt unglücklich das Gesicht und fügte noch hinzu: »Wenn Sie bis Viertel nach nicht da sind, weiß ich, dass ich traurig und alleine durch die Kneipen ziehen muss.«
»Okay.«
»Dann hoffe ich, dass wir uns nachher sehen. Falls Sie es schaffen, geht der erste Drink auf mich.«
Die Augen abermals mit einer Hand gegen die Sonne abgeschirmt, sah Ros ihr hinterher, als sie entschlossenen Schrittes durch die Gruppen anderer Touristen lief. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es war, allein eine Tochter großzuziehen. Das war bestimmt nicht leicht.
»Mummy!«
Mit wild rudernden Armen kamen ihre Töchter auf sie zugerannt. Ihre Wangen und Nasen waren von der Sonne und vor Anstrengung gerötet, und ein Stückchen hinter ihnen tauchte auch ihr Vater auf.
Ros winkte ihren Mädchen, schüttelte den Sand aus zwei der Handtücher und hielt sie ihnen hin.
ROS
Ros stützte sich auf dem Balkongeländer ab und sah auf die Touristen, die vorbei am leeren Pool zu dem Hauptgebäude und dem Speisesaal marschierten, der um diese Uhrzeit hell erleuchtet war.
»Ich bleibe besser hier. Im Grunde kenne ich sie schließlich kaum.«
»Vor einer halben Stunde wolltest du noch gehen. Warum hast du jetzt plötzlich kein Interesse mehr?«
»Ich weiß es nicht.« Ros spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog, und drehte sich zu Adam um.
Er saß mit einem Buch in der Hand auf einem harten Plastikstuhl und hätte lesen wollen, jetzt aber gab er auf und hörte ihr geduldig zu.
»Ich weiß beim besten Willen nicht, warum ich Ja gesagt habe. Ich kenne sie nicht wirklich, und ich nehme an, nun, sie hat mir einfach leidgetan. Weil sie hier ganz allein mit ihrer kleinen Tochter ist.«
Achselzuckend meinte er: »Tja, wenn du nicht willst, brauchst du ja nicht zu gehen. Aber du hast gesagt, du hättest sie gemocht. Vielleicht würde es also durchaus nett sein.«
Ros sah an sich herab. Ihr Kleid war enger als die Kleider, die sie für gewöhnlich trug, sie hatte ihre schicken, neuen Sandalen an den Füßen, und zum ersten Mal in diesem Urlaub hatte sie sich sorgfältig geschminkt. »Es muss ja nicht so lange gehen, nicht wahr? Ich brauche ja nicht ewig wegzubleiben, wenn ich das nicht will.«
Er nickte zustimmend. »Genau.«
»Ich kann mir sowieso nicht vorstellen, dass wir lange unterwegs sein werden.«
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Und du bist dir ganz sicher, dass du nichts dagegen hast?«
Jetzt legte er sein Buch zur Seite, erhob sich von seinem Stuhl, legte ihr die Hände auf die Schultern und bat sie: »Zerbrich dir bitte meinetwegen nicht den Kopf. Geh los und amüsier dich, Schatz. Was sollte schon passieren?«
»Okay.« Sie beugte sich nach vorn und gab ihm einen sanften Kuss. »Es wird bestimmt nicht lange dauern.«
Lächelnd meinte er: »Du kannst so lange bleiben, wie du willst.«
Lautlos ging sie in das dunkle Zimmer und blieb vor dem Schlafsofa, auf dem die Mädchen schliefen, stehen. Die Decke hatte sich um Sophies Bein gewickelt. Behutsam machte sie sie los und deckte ihre Tochter richtig zu. Bellas Kopf lag direkt am Matratzenrand, und ihre wirren Haare hingen wie Tang herab. Ros schob sie sanft ein Stück zurück, und als sie leise schnaufte, küsste sie die feuchte Stirn, sog den Geruch von Salz, Sonnencreme und Himbeershampoo in sich ein und schlich auf Zehenspitzen aus dem Raum.
Lotte war schon in der Eingangshalle, und anscheinend hatte sie den Lift genau im Blick gehabt, denn kaum, dass dessen Türen aufgeglitten waren, sprang sie bereits auf.
Sie sah phantastisch aus. Ihr ärmelloses Baumwollkleid war lässig-elegant, die sonnengebräunte Haut verströmte einen seidig weichen Glanz, und ihre blauen Augen funkelten vergnügt. Als Ros sie sah, kam sie sich plötzlich wie ein Trampel vor.
»Aber hallo!« Lotte unterzog sie einer Musterung und stellte grinsend fest: »Da haben Sie sich aber echt herausgeputzt!«
Ros wurde rot. Immer noch ein bisschen unsicher gab sie zurück: »Sie sehen unglaublich aus.«
Als Antwort hakte Lotte sich entschlossen bei ihr ein und zog sie Richtung Tür. Ros wurde in den würzigen Geruch ihres bestimmt nicht billigen Parfüms gehüllt und fragte sich ein letztes Mal, ob sie nicht lieber hätte bei den Mädchen und bei Adam bleiben sollen.
Dann aber fragte sie: »Geht’s Caitlyn gut?«, und Lotte zog die Brauen hoch.
»Sie schläft, das heißt, dass es ihr bestens geht. Und das« – sie reckte warnend einen Zeigefinger in die Luft – »war hoffentlich das letzte Mal an diesem Abend, dass es um die Kinder ging. Okay?«
Die Automatiktür glitt auf, sie traten in die schwüle Abendluft, die nach Frittierfett, Salz und Blumen roch, und hörten das Konzert der Grillen, die im Gras versammelt waren.
»Auf geht’s.« Sie liefen los, und Ros entspannte sich. Das rhythmische Geklapper ihrer Schuhe, als sie Arm in Arm die Straße runterliefen, die Musik, die aus den Restaurants und Kneipen auf die Straße wehte, das Gefühl, dass unsichtbare Männeraugen ihnen hinterhersahen – alle diese Dinge hatte Ros zum letzten Mal mit ihren Freundinnen erlebt, bevor die Kinder auf der Welt gewesen waren.
Mit einem Mal blieb Lotte stehen, warf einen Blick auf Ros’ Sandalen und stellte fest: »Ich hoffe doch, dass du in diesen Dingern tanzen kannst. Aber gleich sind wir da, dann werden wir ja sehen.«
Ros hatte nichts dagegen, dass die Urlaubsbekanntschaft ganz spontan ins Du verfallen war, und fragte sie zurück: »Wo geht’s denn hin?«
Statt auf die Frage einzugehen, setzte Lotte ihren Weg mit schnellen Schritten fort. Dann erreichten sie den Strand, bogen in eine Straße voller Menschen ein, und als sie sich den Weg durch das Gedränge bahnten, hätte Ros am liebsten wieder kehrtgemacht. Wie jung die anderen alle sind. Muskulöse junge Männer, die wahrscheinlich jeden Tag ins Fitnessstudio gingen, und schlanke junge Frauen in High Heels, mit knappen Tops und noch knapperen Shorts, in denen ihre flachen Bäuche und die straffen Hintern vorteilhaft zur Geltung kamen. Was machte sie an einem solchen Ort? Sie ragte hier doch auffällig aus der Menge raus.
Sie öffnete den Mund, doch bevor sie etwas sagen konnte, wurde sie von Lotte erst nach links und danach unter einem pink flackernden Neonschild, auf dem ein riesiger Flamingo prangte, durch ein offenes Tor gezerrt. Zu ihrer Überraschung ließ der Türsteher sie einfach durch, und sofort wurden sie in harte Techno-Beats gehüllt.
Anscheinend wusste Lotte ganz genau, wohin sie wollte, denn sie nahm Ros’ Hand und zog sie durchs Gewühl der jungen Clubbesucher bis nach hinten und dort über eine schmale Wendeltreppe auf die Galerie, von der aus die gesamte Tanzfläche zu überblicken war. Hier herrschte deutlich weniger Gedränge, und auch die Musik war nicht mehr ganz so laut.
»Warst du schon mal in diesem Club?«, verfiel Ros ebenfalls ins Du.
»Sagen wir so: Ich habe recherchiert, wo man hier hingehen kann.« Als Lotte lachte, konnte Ros im Stroboskoplicht ihre weißen Zähne blitzen sehen. Dann zeigte sie auf einen freien Tisch und forderte sie auf: »Beleg den schon mal mit Beschlag, okay? Ich gehe uns was zu trinken holen.«
Gehorsam setzte Ros sich an den Plastiktisch und spähte über das Geländer auf das Treiben unter sich. Das hier war eine völlig andere Welt, und während sie und Adam abwechselnd am Pool und Strand gewesen waren und abends ganz allein auf dem Balkon gesessen und sich unterhalten hatten, hatten sich in diesem und in Dutzenden von anderen Clubs die jungen Leute ausgetobt. Sie glaubte nicht, dass sie da unten in das Treiben auf der Tanzfläche gehörte, aber Lotte hatte gut gewählt, denn von hier oben bot sich ihnen ein wunderbarer Blick auf das Geschehen.
Dann tauchte Lotte mit zwei großen Cocktailgläsern mit Papierschirmen und abknickbaren Strohhalmen wieder auf. Ros wagte nicht zu fragen, was sie dafür hatte zahlen müssen, aber schließlich würde sie das, wenn sie an der Reihe wäre, einen auszugeben, früh genug herausfinden.
»Die haben wir uns verdient!« Schwungvoll stellte Lotte die zwei Gläser auf den Tisch, und als auch sie sich setzte, stießen sie mit ihren Knien aneinander, weil der Tisch so winzig war, dass er im Grunde gerade genug Platz für die Getränke bot. »Ich hoffe, dass ich was genommen habe, was du magst …«
Ein Ober trat an ihren Tisch, stellte zwei weitere Cocktailgläser ab und wandte sich zum Gehen.
»Ich habe nämlich jeweils zwei für uns bestellt.«
Ros beugte sich wie Lotte über eins der Gläser, nahm den Strohhalm in den Mund, genehmigte sich einen großen Schluck und rang nach Luft. Sie hatte angenommen, dass es nur ein Hauch von Alkohol mit jeder Menge Fruchtsaft wäre, aber schon der erste Schluck stieg ihr zu Kopf. »Mein Gott. Was ist da drin?«
Lotte lachte. »Oh, ein bisschen dies, ein bisschen das.«
»Und jede Menge anderes Zeug.« Auf alle Fälle Rum. Und vielleicht Wodka. Und ein Tropfen Kokosnuss.
»Cheers!« Grinsend stieß Lotte mit ihr an. »Und jetzt erzähl mir was von dir.«
Ros zog die Brauen hoch. Sie trank so selten Alkohol, dass ihr schon nach dem einen Schluck ein bisschen schwummrig war und ihre Fingerspitzen kribbelten. »Von mir? Da gibt’s nichts zu erzählen.«
»Also bitte.« Lotte beugte sich über den Tisch und sah sie forschend an. »Dann mache ich eben den Anfang, wenn du willst. Aber alles, was wir uns erzählen, bleibt unter uns, okay?«
»Okay.«
»Also, ich habe gerade meinen Job verloren und keine Ahnung, wo wir nächsten Monat leben werden, obwohl Caitlyn in vier Wochen mit der Schule anfangen soll. Oh, bevor du fragst, ihr Dad ist außen vor. Er hat mich sitzen lassen, kurz nachdem ich von meiner Schwangerschaft erfahren hatte. Zumindest glaube ich, dass er ihr Vater ist. Auf alle Fälle habe ich ihm das erzählt. Wobei ich mir im Grunde nicht ganz sicher war.« Sie prostete Ros zu. »So viel zum Thema Ehrlichkeit.« Sie saugte abermals an ihrem Strohhalm, schluckte und erklärte: »Jetzt bist du dran. Los. Erzähl mir deine schmutzigen Geheimnisse.«
»Habe ich was verpasst?« Ros lachte unbehaglich auf. »Fängt man nicht erst einmal mit Small Talk an?«
Verächtlich stellte Lotte fest: »Small Talk ist für Loser. Wenn man miteinander redet, sollte es um große Dinge gehen.«
Auch Ros nahm wieder ihren Strohhalm in den Mund, trank einen Schluck und sagte: »Also, ich bin Ros und seit elf Jahren verheiratet. Mein Mann heißt Adam, und die beiden Mädchen sind –«
»O nein«, fiel Lotte ihr ins Wort, und als sie sich dabei vornüberbeugte, wehte Ros ihr rumlastiger Atem ins Gesicht. »Statt mir von deinem tollen Mann und deinen tollen Kindern vorzuschwärmen, erzähl mir lieber von den Dingen, die in deinem Leben nicht so super sind. Na los. Was bringt dich um den Schlaf?«
Ros schüttelte den Kopf. »Im Grunde nichts, außer wenn Adam schnarcht.« Als Lotte wieder das Gesicht verzog, runzelte sie verständnislos die Stirn. »Was ist? Du guckst, als hätte ich was Furchtbares gesagt.«
»Das hast du nicht, und genau da liegt das Problem. Ich dachte, dass wir, na du weißt schon … dass wir uns echt gut verstehen.«
»Aber das tun wir doch.« Ros wusste nicht, ob Lotte sie nur aufzog oder tatsächlich beleidigt war.
Dann grinste sie mit einem Mal. »Auf jeden Fall sind wir hier unter uns. Na los, erzähl mir deine schmutzigen Geheimnisse. Ich werde sie auch niemandem verraten.«
»Was mich um den Schlaf bringt?«, fragte Ros und dachte kurz darüber nach. »Tja, vielleicht die Sorge um die Mädchen.«
»Und warum?«
»Das heißt, im Grunde geht’s nur um Sophie. Ich habe das Gefühl, dass sie sich in den letzten Monaten total verändert hat.«
»Ich hatte doch gesagt, die Kinder wären heute Abend ausnahmsweise mal tabu!« Lotte schüttelte den Kopf, dann aber gab sie achselzuckend nach. »Aber wenn dich das Thema um den Schlaf bringt, schätze ich … sprich einfach weiter, ja?«
Ros zögerte. Sie wollte eigentlich nicht über dieses Thema reden, aber schließlich waren sie an einem fremden Ort, sie würden sich nach diesem Abend niemals wiedersehen, und vor allem wirkte Lotte ehrlich interessiert. »Sie leidet unter Alpträumen und, nun, in ihrem Alter ist das furchtbar peinlich, aber sie macht manchmal wieder in die Hose. Mir ist klar, dass das idiotisch klingt, aber sie ist schon acht, und es ist in den letzten Monaten des Öfteren passiert. Ich hatte überlegt, deshalb mit ihr zum Arzt zu gehen, aber es ist ihr so peinlich, dass ich ihr versprechen musste, dass niemand etwas davon erfährt. Inzwischen kam es sogar einmal in der Schule vor, vor all den anderen Kindern, und ich wage kaum, mir vorzustellen …« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Ich hätte dir das nicht erzählen sollen. Du wirst doch nicht –«
»Natürlich nicht.« Mit einem mitfühlenden Lächeln meinte Lotte: »Aber vielleicht tut es dir ja gut, wenn du dir diese Dinge einmal von der Seele reden kannst.«
Ros seufzte. »Sie ist einfach nicht sie selbst. Erst vorgestern hat sie so wild auf Bella eingeschlagen, dass die eine aufgesprungene Lippe hatte, und das nur, weil Bella eins von ihren Büchern hatte, das sie gerade hätte selbst lesen wollen. Ich habe früher nie erlebt, dass sie so ausgerastet ist. Im Grunde kamen die beiden immer prima miteinander aus.«
»Und was ist deiner Meinung nach der Grund für die Veränderung?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab Ros achselzuckend zu. »Vielleicht die Schule? In St. Stephen’s – ihrer Schule – wird den Kindern sehr viel abverlangt. Vielleicht kommt sie ja mit dem Arbeitspensum nicht zurecht.«
Nachdenklich stellte Lotte fest: »Acht ist ein blödes Alter, denn da ist man nicht mehr klein, aber auch noch nicht wirklich groß.«
Zwei junge Männer in hautengen T-Shirts blieben im Vorbeigehen stehen, und der eine, mit zerzaustem blondem Haar, der ganz bestimmt noch keine dreißig war, sah Ros mit einem breiten Lächeln an.
Dann gingen die Männer weiter, und mit einem amüsierten Grinsen meinte Lotte: »Na, dem hattest du es aber angetan. Und jetzt zurück zu dir. Abgesehen von den Kindern gibt es doch bestimmt die eine oder andere Leiche, die du selbst im Keller hast, denn die hat schließlich jeder, und vor allem weißt du über meine Leichen schon Bescheid.«
»Tja nun, mein Unternehmen läuft nicht wirklich gut. Meinst du, das zählt?«
»Zumindest für den Anfang«, stimmte Lotte gnädig zu und sah sie fragend an. »Was machst du denn beruflich?«
»Personalvermittlung«, klärte Ros sie schulterzuckend auf. »Früher war ich bei einer Agentur in Leeds, aber als Sophie kam, habe ich mit der Arbeit aufgehört. Und letztes Jahr habe ich meine eigene Agentur gegründet, weil ich so den größten Teil der Arbeit von daheim aus machen kann.«
»Aber hallo.« Lotte sah beeindruckt aus.
»Im Grunde ist es bisher nicht der Rede wert.« Ros nahm den nächsten Schluck aus ihrem Glas und blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen stiegen. »Wir leben bisher immer noch von Adams Geld, weil meine Agentur noch in der Aufbauphase ist.«
»So was braucht eben Zeit. Aber es ist immer gut, wenn jemand Ehrgeiz hat.«
»Das stimmt.« Ros dachte an das Glücksgefühl, als sie ihr Unternehmen angemeldet und die ersten potenziellen Kunden angeschrieben hatte, bevor sie am Nachmittag die Kinder aus der Schule und dem Kindergarten abholen gegangen war. Doch dass der Aufbau ihres Unternehmens und vor allem die Gewinnung irgendwelcher Kunden derart lange dauern würde, hätte sie beim besten Willen nicht gedacht. »Wobei man nicht vor lauter Ehrgeiz pleitegehen darf.«
»Und wie kommst du an deine Kundschaft?«
»Überwiegend über die sozialen Medien.« Ros verbrachte täglich ein, zwei Stunden online und bot ihre Dienste auf diversen Websites aus ihrer Gegend an. »Vor allem aber spricht sich das in einem kleinen Ort wie Ilkley schnell herum. Die meisten Frauen, die ich bisher vermittelt habe, waren Mütter aus der Schule, aber das waren überwiegend Teilzeitjobs, deswegen wurde die Vermittlung auch nicht wirklich gut bezahlt.«
»Besser als nichts!« Nach einem letzten Schluck aus ihrem ersten Glas schob Lotte es zur Seite und nahm sich den zweiten Cocktail vor. »Na los, wie willst du mithalten, wenn du bisher nicht einmal deinen ersten Cocktail ausgetrunken hast?«
Auch nach dem zweiten Glas war noch nicht Schluss, denn jedes Mal am Ende einer Runde wurden ihnen frische Cocktails auf den Tisch gestellt. Wenn Ros bezahlen wollte, winkte Lotte immer ab und sagte, dass sie ganz allein dort sitzen würde, hätte Ros sich nicht bereit erklärt, mit ihr an ihrem letzten Abend auszugehen.
Ros’ Lippen fühlten sich wie Gummi an. Mühsam riss sie die Augen auf und sah in Lottes lächelndes Gesicht. Ihr Stuhl vibrierte zu den harten Technoklängen, das Gedränge auf der Tanzfläche nahm immer weiter zu, und die halb nackten Körper, die mit in die Luft gereckten Armen umeinander kreisten und sich wanden, schimmerten vor Schweiß und Öl.
Irgendwann stand Lotte auf und verschwand. Als sie fünf Minuten später wiederkam, nahm sie den Platz an ihrer Seite ein und rückte ihren Stuhl so dicht an den von Ros heran, dass ihre Beine sich berührten und Ros an ihrem Ohr den warmen Atem ihrer neuen Freundin spürte, und wollte von ihr wissen: »Also, Missus Seit-elf-Jahren-Verheiratet, bist du oft fremdgegangen?«
Ros atmete geräuschvoll aus, und ihr Gehirn stellte vorübergehend seine Arbeit ein. »Fremdgegangen?«
»Du weißt schon, ob du deinen Mann betrogen hast. Das wäre nichts, weswegen du dich schämen müsstest, denn das machen schließlich alle Frauen irgendwann.«
»O nein! Ich würde nie –«
Mit einem gleichmütigen Achselzucken fragte Lotte sie: »Und wie sieht es bei Adam aus? Na los, ich werde niemandem davon erzählen, aber er hat doch bestimmt mal was mit irgendwelchen anderen Frauen gehabt. Oder hat er seine Spuren jedes Mal so gut verwischt, dass du nichts davon mitbekommen hast?«
Ros schüttelte den Kopf. Ihr wurde übel von den bunten Blitzen, die durchs Dunkel zuckten, und sie atmete tief durch. »So ist er nicht.«
»Ach nein? Ich dachte, alle Männer wären so«, bemerkte Lotte amüsiert. »Wie ist er denn im Bett?«
Ros war derart benommen von dem vielen Alkohol, dass es ihr schwerfiel, sich zu konzentrieren.
»Tja nun.« Sie zögerte. »Okay. Ich meine, wir sind Eltern, und mit unserer Arbeit und den Mädchen fallen wir abends meist wie tot ins Bett –«
»Moment mal.« Lottes Augen fingen an zu blitzen. »Soll das heißen, er hat seine Dienste eingestellt?«
»Das wollte ich damit nicht sagen.«
»Das war gar nicht nötig, denn um das zu wissen, reicht ein Blick in dein Gesicht. Und wie lange geht das jetzt schon so?«
»Ich habe nie gesagt –«
»Aber es stimmt, nicht wahr? Jetzt guck nicht so entsetzt«, bat Lotte sie und lachte fröhlich auf. »Na los, erzähl. Was läuft da zwischen euch, auch wenn ich vielleicht besser fragen sollte, was da nicht mehr läuft.«
Ros spürte, wie sie rot wurde. »Ich hätte nicht … ich meine, Adam hatte es in letzter Zeit nicht leicht.« Obwohl sie es dabei beließ, verdüsterte sich ihre Stimmung, weil ihr Mann tatsächlich in der letzten Zeit nicht mehr er selbst gewesen war. Was sicher daran lag, dass ein paar Monate zuvor sein Bruder Charles vollkommen überraschend einem Herzinfarkt erlegen war. Die beiden Brüder waren nicht besonders miteinander ausgekommen, doch auch wenn sie aus Erfahrung wusste, dass er nicht auf dieses Thema angesprochen werden wollte, spürte sie, dass Adam seit Charles’ Tod völlig verändert war.
Lotte bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. »Dann liegt’s also an ihm. Das heißt, dein Mann ist das Problem.«
Ros antwortete nicht. Ihr Sexleben ging niemanden was an, und wenn der arme Adam etwas von der Unterhaltung mitbekommen hätte, hätte er sich ganz zu Recht gedemütigt gefühlt. Sie hätte nichts von dieser Angelegenheit erzählen sollen, aber Lotte hatte offenbar das Talent, die Menschen zu durchschauen und ihnen Dinge zu entlocken, die sie niemals hätten sagen wollen.
Sie saßen schweigend da, doch schließlich meinte Lotte: »Weißt du was? Wir sollten tanzen gehen.«
»Gute Idee!«, stimmte ihr Ros bemüht begeistert zu. Obwohl sie von dem ganzen Alkohol und Lärm total benommen war, wäre sie dankbar für die Ablenkung von diesem peinlichen Gespräch. »Nur ein, zwei Lieder, und dann muss ich langsam ins Hotel zurück.«
»Warum denn das?« Lotte verzog gespielt entgeistert das Gesicht. »Du willst doch wohl nicht kneifen, kaum dass wir hier angekommen sind.« Sie sprang entschlossen auf und packte Ros am Arm. »Na los! Ich habe schon zwei wirklich schicke Spanier da unten für uns ausgeguckt. Da vorn.« Sie zeigte auf die Tanzfläche. »Siehst du die beiden da? Der Blonde hat gesagt, dass ich bei dir ein gutes Wort für ihn einlegen soll. Und seit ich weiß, dass du …« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Ich nehme an, er ist genau das, was du brauchst.«
»Die beiden?«, fragte Ros und blickte blinzelnd auf die beiden jungen Männer, die zuvor an ihrem Tisch vorbeigekommen waren. »Ich glaube wirklich nicht –«
»Ach, sei doch nicht so langweilig.« Schmollend nahm Lotte ihre Hand, um sie von ihrem Stuhl zu ziehen. »Na los, lass uns nach unten gehen und Hallo sagen. Und wenn schon nichts anderes, bauen wir wenigstens den Alkohol beim Tanzen ab.«
Als Ros versuchte aufzustehen und ihr der Fußboden entgegenkam, hielt Lotte sie auch weiter fest und lief entschlossen mit ihr los.
Sie hatte keine Ahnung, wie sie überhaupt die Treppe schaffte, aber auf einmal waren sie unten, und sie hatte das Gefühl, als würde sie im bunten Licht und in der lärmenden Musik, die aus den Boxen dröhnte, untergehen. Hilflos ließ sie sich von Lotte durch die Menge heißer Leiber ziehen, und plötzlich drehten sich die beiden jungen Spanier nach ihnen um. Der Dunkelhaarige nahm Lottes freie Hand und zog sie eng an seine Brust, während sein blonder Kumpel Ros die heißen Hände um die Hüften legte und im harten Rhythmus der Musik seinen schweißglänzenden, straffen Körper an ihr rieb. Mit seinem festen Fleisch und seinen harten Muskeln fühlte er sich fremd und nicht mal annähernd wie Adam an.
Ros kniff die Augen zu und konzentrierte sich darauf, nicht umzufallen, doch schließlich gab sie auf und lehnte, wie betäubt von all den hellen Lichtern, die vor ihren Augen und durch ihren Schädel zuckten, den Kopf an seine Schulter an.
ROS
»Mummy«, raunte eine leise Stimme irgendwo in ihrem Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war, doch irgendjemand brauchte sie. Sie musste reagieren, irgendwie, das Dröhnen ihrer Schläfen aber hinderte sie daran aufzustehen.
»Mummy.«
Bella? War es wirklich ihre kleine Tochter, die da zu ihr sprach? Sie flüsterte, wobei die Angst ihr deutlich anzuhören war. »Geht es dir gut, Mummy?«
Ros versuchte, die Augen aufzuschlagen, doch geblendet von dem grellen Licht, das sie umgab, kniff sie sie eilig wieder zu und versuchte, sich zu orientieren, während sie mit dem Gesicht nach unten irgendwo auf etwas Weichem lag. Es quietschte leise, als sie sich bewegte, und ihr kam die Galle hoch. Sie wurde schreckensstarr und betete, dass sich ihr Magen rechtzeitig beruhigen würde, ehe sie sich vor den Augen ihrer Tochter übergab.
Dann wurde eine Tür geöffnet. Kam da jemand aus dem Bad? Schuhe quietschten auf dem blank polierten Boden, und Adam sagte mit gesenkter, aber strenger Stimme: »Habe ich euch nicht gesagt, dass ihr die arme Mummy erst einmal in Ruhe lassen sollt? Holt eure Handtücher, und dann geht’s los.«
Ros tat, als würde sie noch schlafen, denn sie konnte sich noch nicht bewegen und hoffte einfach, dass man sie in Ruhe ließ. Ein leises Schlurfen und ein unterdrücktes Kichern, danach gedämpftes Flüstern, und am Ende zog jemand die Tür des Zimmers leise zu.
Sie hörte Sophies Stimme aus dem Flur. »Aber warum, Daddy? Ist Mummy krank?«
Die Schritte wurden leiser, und Ros hörte das ferne Surren der Fahrstuhltüren und das Summen, mit dem der Lift nach unten fuhr. Erleichtert ließ sie sich zurück auf die Matratze fallen. Ihr Schädel drohte, jeden Augenblick zu explodieren, und jede Faser ihres Körpers tat ihr weh.
Was hatte sie getan? Vor Schmerz und Scham fuhr sie zusammen. Die Mädchen hätten sie niemals in einem solchen Zustand sehen sollen, jetzt aber hatte der Anblick ihrer jämmerlichen Mutter sich den beiden sicherlich für alle Zeiten eingeprägt. Sie versuchte, sich an die Geschehnisse des Abends zu erinnern. Lottes Lächeln, während sie an ihrem Strohhalm saugte. All die Cocktails, die sie letzte Nacht getrunken hatte. Als sie daran dachte, kam ihr abermals die Galle hoch. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, in ihrem Alter, als verheiratete Frau?
Der Typ. Der junge blonde Spanier mit dem durchtrainierten, straffen Körper. Hatte sie …? O nein. Ganz sicher nicht. Sie hatte nur mit ihm getanzt, mehr war da nicht gewesen. Oder vielleicht doch? Sie hatte keine Ahnung. Die Erinnerung war ausgelöscht. Zumindest hatte sie es irgendwie zurück in diesen Raum geschafft, in dem sie nackt unter der Decke lag. Doch wie? Sie hatte keinen blassen Dunst.
Während sie versuchte, wieder einzuschlafen, drangen seltsame Geräusche an ihr Ohr. Das Knallen von Türen, die lauten Stimmen irgendwelcher Deutschen irgendwo im Flur, das Rumpeln, mit dem Koffer Richtung Lift gerollt wurden, das sich spitz und hart wie ein Schrapnell in ihr Gehirn zu bohren schien. Das Sonnenlicht, das durch die Vorhänge ins Zimmer fiel, tat ihren Augen weh, und die Matratze und das Bettzeug waren völlig durchgeschwitzt.