Die weisse Spinne (Kriminalroman) - Louis Weinert-Wilton - E-Book

Die weisse Spinne (Kriminalroman) E-Book

Louis Weinert-Wilton

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Beschreibung

Diese Ausgabe von "Die weisse Spinne" wurde mit einem funktionalen Layout erstellt und sorgfältig formatiert. Aus dem Buch: "Es war eine kleine Spinne mit silberglänzendem Glasleib und Ringen und Beinen aus irgendeinem harten, weißen Metall. Dawson sah die junge Frau unter seinen buschigen roten Brauen hervor einen Augenblick forschend an, dann hob er mit einem Ruck die breiten Schultern und schob die Spinne sorgfältig in eine Streichholzschachtel. "Also nichts. Es tut mir leid, Mrs. Irvine, daß ich Sie bemüht habe." Die Besitzerin des Warenhauses "Zu den tausend Dingen" lächelte verbindlich, und selbst der für solche Eindrücke unempfindliche Mann von Scotland Yard entdeckte, daß sie eine selten schöne Frau war. Wie sie so in ihrer ebenmäßigen Schlankheit vor ihm stand, reichte ihm der Scheitel ihres welligen braunen Haares fast bis zur Stirn, und Dawson war stolz darauf, nahezu an sechs Fuß zu messen. "Ich kenne zwar den Zweck Ihrer Nachforschungen nicht", meinte sie zögernd, "aber ich glaube kaum, daß Sie damit in den großen Geschäften des Westend Erfolg haben werden. Was Sie mir gezeigt haben, ist billigste Partieware und entspricht nicht dem Geschmack unserer Kunden. Vielleicht versuchen Sie es einmal in Stepney, Limehouse oder unten in Stockwell, wo für solche Massenartikel eher eine Absatzmöglichkeit besteht." Louis Weinert-Wilton (1875-1945) war ein sudetendeutscher Schriftsteller. In den 1960er Jahren entstand im Zuge der erfolgreichen Edgar-Wallace-Filme eine eigenständige Louis-Weinert-Wilton-Kriminalfilmreihe.

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Louis Weinert-Wilton

Die weisse Spinne

(Kriminalroman)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-2174-5

INHALTSVERZEICHNIS

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Inhaltsverzeichnis

»Diesen Artikel führen wir nicht«, sagte Mrs. Muriel Irvine mit ihrer dunklen Stimme und legte den kleinen Gegenstand, den sie bisher zwischen ihren gepflegten Fingern prüfend hin und her gedreht hatte, wieder auf das Tischchen.

Es war eine kleine Spinne mit silberglänzendem Glasleib und Ringen und Beinen aus irgendeinem harten, weißen Metall.

Dawson sah die junge Frau unter seinen buschigen roten Brauen hervor einen Augenblick forschend an, dann hob er mit einem Ruck die breiten Schultern und schob die Spinne sorgfältig in eine Streichholzschachtel.

»Also nichts. Es tut mir leid, Mrs. Irvine, daß ich Sie bemüht habe.«

Die Besitzerin des Warenhauses »Zu den tausend Dingen« lächelte verbindlich, und selbst der für solche Eindrücke unempfindliche Mann von Scotland Yard entdeckte, daß sie eine selten schöne Frau war. Wie sie so in ihrer ebenmäßigen Schlankheit vor ihm stand, reichte ihm der Scheitel ihres welligen braunen Haares fast bis zur Stirn, und Dawson war stolz darauf, nahezu an sechs Fuß zu messen.

»Ich kenne zwar den Zweck Ihrer Nachforschungen nicht«, meinte sie zögernd, »aber ich glaube kaum, daß Sie damit in den großen Geschäften des Westend Erfolg haben werden. Was Sie mir gezeigt haben, ist billigste Partieware und entspricht nicht dem Geschmack unserer Kunden. Vielleicht versuchen Sie es einmal in Stepney, Limehouse oder unten in Stockwell, wo für solche Massenartikel eher eine Absatzmöglichkeit besteht.«

Der Inspektor sah auf seinen unförmigen steifen Hut nieder und nickte gedankenvoll.

»Das habe ich schon getan. Genau kann ich es nicht sagen, aber es dürften wohl an die hundert Geschäfte sein, die ich wegen dieser Sache bereits abgelaufen habe. Meine letzte Hoffnung hatte ich auf Sie gesetzt, Mrs. Irvine«, schloß er, und es war deutlich zu hören, daß diese Worte mehr als eine Redensart bedeuteten.

Die junge Frau hob etwas betreten den Kopf und blickte in ein Paar harte graue Augen, die durchdringend auf ihr ruhten. Der dunkle Teint ihres hochmütigen Gesichts wich für Sekunden einer wächsernen Blässe, aber im nächsten Augenblick hatte sie bereits ihr höfliches Lächeln wiedergefunden, und ihre Stimme klang kühl und gelassen wie immer.

»Wollen Sie mir vielleicht sagen, weshalb, Mr. Dawson?«

Sie deutete einladend auf einen der Fauteuils, aber der Inspektor zog es vor, stehen zu bleiben.

»Bei der Geschichte will mir eines nicht gefallen, Mrs. Irvine«, platzte er barsch heraus. »Daß Sie nämlich die Spinne nicht wiedererkannt haben. Wenn man solch ein Ding schon einmal gesehen hat und noch dazu unter so ungewöhnlichen Umständen wie Sie, sollte es einem doch im Gedächtnis bleiben, denke ich.«

Er hielt inne, und seine stechenden Augen hafteten durchdringend auf der regungslosen Frau, aber er begegnete einem so kühl fragenden Blick, daß er die Selbstbeherrschung verlor.

»Wenn Sie Komödie spielen, muß ich Ihnen mein Kompliment machen«, polterte er brutal los. »Aber auf die Dauer wird Ihnen das nichts nützen, und wenn Sie es auch noch so klug anstellen. Ich bin nun seit vierzehn Monaten hinter dieser Spinne her, und so wahr ich Benjamin Dawson heiße, eines Tages werde ich diese meine Hände auf das Tier legen. Benjamin Dawson hat noch auf keiner Fährte versagt«, fuhr er etwas leiser fort, aber jedes Wort klang wie eine furchtbare Drohung, »und er hat sich auch noch nie an der Nase herumführen lassen. Fragen Sie in Scotland Yard, Madam, wenn Sie es nicht glauben sollten ...«

Er brach plötzlich ab, und es schien ihm zum Bewußtsein zu kommen, daß er doch etwas zu weit gegangen war.

Mrs. Irvine hatte sich in einen der tiefen Klubsessel gleiten lassen, und in dem starren, hilflosen Blick, mit dem sie zu ihm aufsah, lag etwas, was ihn unsicher machte. Er ärgerte sich, daß er seine Karten vorzeitig aufgedeckt und dadurch vielleicht eine Chance eingebüßt hatte. Aber es war nun einmal seine Art, es hie und da mit derben Überrumpelungen zu versuchen, und er hatte dieser Taktik bereits manchen Erfolg zu verdanken. Diesmal allerdings hatte er zu früh und ganz gegen seine Absicht losgeschossen. Das kam davon, weil er wegen der verdammten Spinne seine stählernen Nerven allmählich zu verlieren begann. Die junge Frau ließ einige Sekunden verstreichen, bevor sie auf seinen Ausbruch reagierte.

»Weshalb erzählen Sie mir das alles?« fragte sie abweisend. »Und was berechtigt Sie überhaupt, so mit mir zu sprechen? Soll das ein regelrechtes Verhör sein? Wenn ja, dann stellen Sie mir klar und deutlich Ihre Fragen, und ich will sie ebenso klar und deutlich beantworten, soweit ich es vermag. – Bisher wollten Sie lediglich von mir wissen, ob wir solche Spinnen, die Sie mir gezeigt haben, auf Lager haben, und ich antwortete Ihnen wahrheitsgemäß mit einem ›Nein‹.«

Dawson schob den mächtigen Unterkiefer vor und nickte.

»Allerdings. – Aber ist es Ihnen wirklich gar nicht aufgefallen, daß genau solch eine Spinne, von der plötzlich in ganz London auch nicht ein Exemplar aufzutreiben ist, seinerzeit bei Ihrem Gatten gefunden wurde?« Der Inspektor zog ein abgegriffenes Notizbuch aus der Tasche und blätterte einige Augenblicke darin. »Am 11. Juni vorigen Jahres. Diese Spinne war mit den übrigen Resten der Kleidungsstücke, dem gravierten Uhrdeckel und dem Trauring einer der wenigen Anhaltspunkte für die Identität des Toten, den man auf der Strecke der Untergrundbahn in Hampstead gefunden hatte.« Um Dawsons breiten Mund zeigte sich ein lauernder Zug, und er sah wieder in sein Taschenbuch. »Und Sie selbst, Mrs. Irvine, haben bezüglich der Spinne folgendes zu Protokoll gegeben: › ... auch die Spinne spricht dafür, daß der Tote mit meinem Gatten Richard Irvine identisch sein dürfte. Wir führen ein Galanterie- und Bijouteriewarengeschäft in Fulham und erhielten Ende April eine zwölf Stück enthaltende Musterkollektion dieses Artikels, die mein Mann an sich nahm ... Warum er eine dieser Spinnen noch im Tode krampfhaft in der Hand hielt, vermag ich mir nicht zu erklären. Ebenso kann ich nicht sagen, wohin die übrigen elf Stück der Kollektion gekommen sind.‹«

Der Inspektor klappte das Buch zu und steckte es in die Tasche. »Damals hatten Sie mit Ihrem Gatten einen kleinen Laden im Südwesten, in dem Sie selbst bedienten – heute sind Sie die alleinige Besitzerin dieses Warenhauses, das zwei Stockwerke einnimmt und zu den größten Geschäften Londons zählt. – Wie hoch war doch gleich die Summe, auf die Mr. Irvine versichert war?« fragte er unvermittelt und pflanzte sich breitbeinig vor der jungen Frau auf.

»Fünfundzwanzigtausend Pfund«, erwiderte diese gelassen und ohne einen Augenblick zu zögern.

»Ein schönes Stück Geld für einen kleinen Geschäftsmann, dem es nicht gerade zum besten ging«, meinte der Inspektor. »Soviel ich weiß, mußten Sie einige Monate vor dem Tode Ihres Gatten einen Ausgleich mit Ihren Gläubigern treffen, und nach dem seltsamen Unglücksfall wurde eine Menge von Forderungen angemeldet. – Aber mit fünfundzwanzigtausend Pfund läßt sich schon etwas anfangen.«

Die junge Frau ließ sich nicht aus der Fassung bringen.

»Sie scheinen zwar sehr gut informiert zu sein«, sagte sie leichthin, »aber eines wissen Sie offenbar doch nicht: daß nämlich die Versicherungssumme noch nicht zur Auszahlung gelangt ist.«

Über Dawsons breites Gesicht ging ein hämisches Grinsen, und er rieb sich mit sichtlicher Befriedigung die Hände.

»Oh, auch das ist mir bekannt. Diese Versicherungsgesellschaften sind manchmal verdammt umständlich und eklig, wenn es ans Zahlen geht. Es scheint da in Ihrem Falle irgendeine Kleinigkeit nicht zu stimmen. Aber Sie können ja warten, Mrs. Irvine. Denn mit der Aussicht auf fünfundzwanzigtausend Pfund hat man schließlich einen Kredit. – Dieses schöne Geschäft kann nicht billig gewesen sein.«

»Nein«, gab sie unumwunden zu, »aber immerhin doch ganz preiswert.«

Der Inspektor hatte das Gefühl, daß die Frau sich nun völlig in der Gewalt hatte und daß er von ihr auch nicht ein Wort von dem erfahren würde, was er wissen wollte.

Tatsächlich war Mrs. Irvine seine letzte Hoffnung gewesen, denn an dieser unscheinbaren Spinne drohte sein Ruf als einer der Unfehlbaren von Scotland Yard zuschanden zu werden. Dreimal war sie ihm während des letzten Jahres bei rätselhaften Kapitalverbrechen untergekommen, die noch immer der Lösung harrten, und gestern hatte man bei dem berüchtigten Charles Lewis das vierte Exemplar gefunden. Der Mann baumelte in einem versperrten Separatzimmer seines Spielklubs an einer Portierenschnur, und niemand wußte, wie er dahin gekommen war. In seiner krampfhaft geballten Rechten hielt er eine silberglänzende Spinne, und als Dawson das Ding erblickt hatte, stieß er einen fürchterlichen Fluch zwischen den gelben Zähnen hervor. Lewis war einer der größten Schurken von London, und der Inspektor hätte ihm mit besonderer Genugtuung den Strick persönlich um den Hals gelegt; aber die verwünschte Spinne verdarb ihm das Vergnügen, das er sonst bei der Sache empfunden hätte.

»Haben Sie einen Mann namens Charles Lewis gekannt?« wandte er sich plötzlich wieder an die junge Frau. »Oder wissen Sie vielleicht, ob er zu den Bekannten Ihres Mannes zählte?«

»Nein«, sagte sie nach einer kleinen Weile ruhig, »ich höre diesen Namen zum erstenmal. Mein Mann hatte allerdings einen sehr großen Bekanntenkreis, aber ich habe mich um seinen Verkehr nie gekümmert.« Sie richtete ihre großen dunklen Augen voll auf den Inspektor und suchte in seiner Miene zu lesen. »Weshalb wollen Sie das wissen?« fragte sie nach einer kleinen Pause. »Hängt das auch mit der Spinne zusammen?«

Dawson ließ sich mit der Antwort Zeit.

Je länger er diese Frau, die sich so meisterhaft zu beherrschen wußte, beobachtete, desto weniger wollte sie ihm gefallen, und er war sehr zufrieden mit der Eingebung, die ihn in das Kaufhaus »Zu den tausend Dingen« geführt hatte. Die kühle Fassung der interessanten Frau hatte ihn nicht zu täuschen vermocht. In ihrem Wesen und in ihrem ganzen Verhalten lag etwas, was sein Mißtrauen geweckt hatte, und er konnte sich auf seine Witterung verlassen. Sie wußte unbedingt mehr, als sie sagen wollte, aber für solche Fälle hatte er eine bewährte Methode, der wohl auch die Nerven dieser beherrschten Frau auf die Dauer nicht standhalten würden.

»Eigentlich wollte ich zuerst sagen: ›Das geht Sie nichts an‹«, unterbrach er das Schweigen, »aber schließlich, warum sollen Sie es nicht wissen? Es dürfte Sie ja schließlich sehr interessieren. – Gewiß, auch meine letzte Frage hing mit der Spinne zusammen. Der ehrenwerte Mr. Charles Lewis ist nämlich gestern von Unbefugten aufgeknüpft worden, und man hat bei ihm ein solches Ding gefunden. Seltsam, wie? – Und vor fünf Monaten«, fuhr Dawson langsam fort, »hatte der Edelsteinhändler Paul Rubin, dem man Juwelen im Werte von achtzigtausend Pfund geraubt und dann den Schädel eingeschlagen hatte, ebenfalls eine der Spinnen bei sich und noch einige Monate früher der erstochene Wächter der London Joint Stock Bank, die bei dieser Gelegenheit um hundertachtundvierzigtausend Pfund erleichtert wurde. – Von den zwölf Spinnen, die Ihr Gatte nach Ihrer Aussage bei sich hatte, wären damit vier zum Vorschein gekommen. Es bleiben also noch acht, und ich werde nun dafür sorgen, daß sie unter etwas anderen Umständen zutage gefördert werden. – Zunächst werde ich einmal versuchen, ob gegen eine Belohnung von zehn Pfund für das Stück wirklich in ganz London nichts von diesem Zeug aufzutreiben ist.«

Die junge Frau saß mit gesenktem Haupt da, und nichts verriet, daß die Worte irgendwelchen Eindruck auf sie gemacht hatten.

Aber Dawson war offenbar zufrieden, denn als er wenige Augenblicke später die teppichbelegte Treppe des Hauses bedächtig hinabstieg, lag ein Schmunzeln auf seinem roten Gesicht.

In den belebten Stockwerken blieb er eine Weile stehen und sah mit Interesse in die lange Flucht der strahlend erleuchteten Verkaufsräume, in denen sich eine dichte Menge drängte. Das Warenhaus »Zu den tausend Dingen« schien glänzend zu gehen, und der Inspektor schüttelte unwillkürlich den Kopf, als er seinen Weg fortsetzte. Es gab da einiges, das er sich nicht zusammenreimen konnte und das in seine Kombinationen über die weiße Spinne nicht recht passen wollte.

Auf der Straße hielt er nach einer Taxe Umschau, die ihn schnell nach Scotland Yard bringen sollte.

Als der Wagen anfuhr, warf Dawson ganz mechanisch noch einen Blick auf die Front des Warenhauses und fuhr unwillkürlich zusammen.

Im Schatten des Portals stand ein stutzerhaft gekleideter Herr mittleren Alters mit angegrautem Haar an den Schläfen und einer schwarzen Binde über dem linken Auge, die sein scharfgeschnittenes Gesicht noch markanter erscheinen ließ.

Der Inspektor lehnte sich zurück und stieß einen leisen, langgezogenen Pfiff aus.

Es konnte ein Zufall sein, der Mann konnte vor dem stark besuchten Geschäft tatsächlich auf irgend jemanden warten – aber Dawson freute sich doch, daß er John Corner, den Schlepper und Spießgesellen des toten Charles Lewis, gerade noch im letzten Augenblick an der Schwelle des Warenhauses »Zu den tausend Dingen« erblickt hatte ...

*

Der Mann von Scotland Yard war schon lange gegangen, als Mrs. Irvine noch immer in ihrem regungslosen Sinnen verharrte. Erst der silberne Schlag der kleinen Uhr auf dem Kamin schreckte sie aus ihrem Brüten auf, und sie blickte mit so verstörten Augen durch den eleganten Raum, als ob sie aus einem entsetzlichen Traum erwacht wäre.

Plötzlich aber schnellte sie lautlos zu den beiden Türen, von denen die eine zu dem Korridor, die andere zu den Kontorräumen führte, und schob die Riegel vor.

Es drängte sie, etwas zu tun, was vielleicht Wahnwitz war, aber sie stand unter einem unwiderstehlichen Zwang, als sie den schweren Tresor öffnete und eines der kleinen Stahlfächer aufschloß.

Aus der hintersten Ecke brachte sie einen einfachen Karton zum Vorschein, und wieder flog ihr Blick ängstlich forschend durch den Raum, ob sie auch wirklich allein und unbeobachtet sei.

Sie hielt die Schachtel eine Weile unschlüssig in der Hand, bevor sie den Deckel abhob und mit halbgeschlossenen Augen auf den Inhalt starrte: eine Anzahl silberglänzender Spinnen!

Muriel Irvine sagte sich, daß ihr Geldschrank von heute an für diese kleine unscheinbare Schachtel kein zuverlässiger Aufbewahrungsort mehr sei. Sie versperrte den Schrank und machte sich an der Wandtäfelung unterhalb des breiten Doppelfensters zu schaffen. Als sie das kleine Geheimfach in dem dicken Mauerwerk freigelegt hatte, schob sie den Karton hinein und schien damit ihre überlegene Ruhe wiedergewonnen zu haben. Geräuschlos schob sie die Riegel von den Türen zurück. Dann drückte sie auf einen der Knöpfe am Rande ihres Schreibtisches. Miss Constancia Babberly, die Geschäftsführerin des Hauses, zog in ihrem Kontor die Mundwinkel höchst mokiert herab, als sie das Klingelzeichen vernahm.

»Mylady will sich wahrscheinlich bereits wieder empfehlen«, sagte sie zu dem jungen Korrespondenten. »Ist Ihnen schon solch ein Chef vorgekommen, der das Kontor fast Tag für Tag einige Stunden vor Geschäftsschluß verläßt? Mir noch nicht.«

Sie begann sich umständlich die etwas zu lang geratene Nase zu pudern und zupfte vor dem Spiegel kokett ihr Kleid zurecht.

Sie hatte eine mehr als schlanke Linie und war bestrebt, möglichst viel davon sehen zu lassen.

Um ihre Stellung zu betonen, hatte sie sich eine ungemein hoheitsvolle Miene zugelegt, die sie vor Jahren einmal einer vornehmen Kundin abgeguckt hatte. Seit jener Zeit ging auch Miss Babberly mit dünnen Lippen und halbgeschlossenen Augen umher, aus denen sie ihre Umgebung mit vornehmer Blasiertheit anblinzelte. Gegen die weiblichen Angestellten war sie bissig, und nur die jüngeren männlichen Angestellten durften sich ihrer Gewogenheit erfreuen.

Von Mrs. Irvine war sie nicht entzückt. Sie haßte junge Frauen, besonders wenn sie auch noch hübsch waren.

Aber auch im geschäftlichen Verkehr gefiel ihr Mrs. Irvine nicht. Sie hatte eine so kühle, herablassende Art, ihrer ersten Angestellten ihre kurzen bestimmten Anordnungen zu erteilen, und war jeder Vertraulichkeit so wenig zugänglich, daß Miss Constancia vor Ärger das Blut in den Adern kochte.

Als sie das Chefzimmer betrat, das in seiner ganzen Ausstattung mehr einem reizenden Salon als einem Geschäftskontor glich, war die junge Frau bereits dabei, die Handschuhe zuzunesteln. Sie schien in Eile zu sein und blickte nicht einmal von ihrer Beschäftigung auf.

»Ich gehe«, sagte sie kurz. »Die Kassenblocks und die Schlüssel lassen Sie wie immer in meine Wohnung bringen. Und morgen vormittag können Sie zwischen zehn und ein Uhr nicht mit mir rechnen. Dafür werde ich mittags pünktlich kommen und die Post erledigen.«

»Sehr wohl«, erwiderte die Geschäftsführerin, aber ihre Miene verriet, daß sie das höchst ungehörig fand.

Sie wollte dies endlich einmal etwas deutlicher zum Ausdruck bringen und zu verstehen geben, was das so vernachlässigte Geschäft an ihr hatte. Schließlich waren sieben Pfund die Woche wirklich ein Bettellohn für ihre langjährige Dienstzeit und die Arbeitsleistung, die ihr aufgebürdet wurde!

»Madam können sich völlig auf mich verlassen«, fuhr sie daher selbstbewußt fort. »Es sind allerdings die Stunden des regsten Geschäftsverkehrs, und man muß gehörig hinterher sein, um völlig allein den großen Betrieb zu überblicken.«

Sie war gespannt, was Mrs. Irvine hierzu meinen würde, aber die Antwort, die sie erhielt, befriedigte sie nicht.

Mrs. Irvine stand bereits an der Tür, als sie sich nochmals umwandte und die Geschäftsführerin mit einem nachdenklichen Blick aus ihren dunklen Augen ansah.

»Das kann ich verstehen«, stimmte sie zu. »Aber es handelt sich nur noch um wenige Tage. Ich beabsichtige, eine weitere Kraft einzustellen, die Sie sehr wesentlich entlasten wird.«

Sie verschwand mit einem leichten Kopfnicken, aber wenn Blicke töten könnten, wäre sie wohl kaum weit gekommen.

Als Mrs. Irvines schlanke Gestalt im Portal erschien, trat der Herr mit der Binde über dem linken Auge ihr in den Weg und lüftete höflich den Hut.

Die junge Frau dankte sehr kühl und mit einer leichten Falte zwischen den Brauen, aber als der Mann ihr einige Worte zugeflüstert hatte, folgte sie ihm willig zu der eleganten Limousine, die an der Seitenfront des Hauses in einer schmalen Quergasse hielt.

2

Inhaltsverzeichnis

Eine Stunde später wäre diese Begegnung nicht mehr unbemerkt geblieben, aber Inspektor Dawson war eben erst dabei, seine Anordnungen zu treffen.

Er hatte in seinem kleinen Dienstzimmer in Scotland Yard noch einmal alle Akten durchstudiert, die sich auf die Fälle der weißen Spinne bezogen, und ließ sich nun den Sergeanten Meals kommen.

»Ich habe einige Sachen für Sie, die dringlich und wichtig sind«, sagte er zu dem wohlgenährten Mann mit dem freundlichen Gesicht. »Aber gehen Sie dabei behutsam vor, denn wenn Sie mir einen Schnitzer machen, werden Sie diesmal nichts zu lachen haben. Sie sind ja in manchen Dingen ganz geschickt, aber zuweilen gehen Sie zu scharf ins Zeug und verderben damit alles.«

Der vierzigjährige Meals lächelte verlegen wie ein Schuljunge, der einen Tadel erhält, und sah den Inspektor verschüchtert an.

»Ich weiß«, gab er schuldbewußt zu. »Aber es soll nicht mehr vorkommen.«

»Das will ich zu Ihrem Besten hoffen«, knurrte Dawson. »Also, diesmal tun Sie nur das, was ich Ihnen sage, nicht mehr. Übrigens«, sprang er plötzlich ab, »etwas Neues über Lewis?« Der Sergeant nickte und legte ein kleines Päckchen vor den Inspektor auf den Tisch.

»Ich habe hinter einer der Portieren ein Paar Damenhandschuhe gefunden«, sagte er halblaut, »und in einem der Finger steckte ein Ring, der wahrscheinlich mit abgestreift worden ist.«

Dawson schlug das Papier auseinander, nahm die Handschuhe, besah sie eingehend, roch daran und griff dann nach dem Ring. Es war ein sehr kostbares Stück, ein Platinreif mit einer selten schönen Perle und einem Kranz großer regelmäßiger Brillanten.

»Nach meiner Schätzung mindestens drei- bis vierhundert Pfund«, meinte er lakonisch. »Sind Sie auf keine Verlustanzeige gestoßen?«

»Nein. Ich glaube, die Verliererin wird wohl keinen Wert darauf legen, die Sache an die große Glocke zu bringen«, erwiderte Meals und blinzelte den Inspektor vielsagend an.

»Geben Sie die Sachen ins Depot. Das hat schließlich bis morgen Zeit. Anderes ist mir wichtiger. – Also hören Sie zu: Erstens möchte ich Ihnen Mrs. Muriel Irvine, die Besitzerin des Warenhauses ›Zu den tausend Dingen‹, 72 Wardour Street, empfehlen. Sie wissen, wie ich das meine! Zweitens kümmern Sie sich wieder einmal um unseren alten Freund John Corner. Trachten Sie herauszubekommen, was er in der letzten Zeit getrieben hat und womit er sich jetzt beschäftigt. Besonders begierig wäre ich zu wissen, ob er sich in der Gegend des Warenhauses von Mrs. Irvine öfter sehen läßt und was ihn dorthin zieht. Und im Laufe des morgigen Vormittags suchen Sie die Continental Insurance Company auf, und lassen Sie sich von der Rechtsabteilung eingehend darüber informieren, weshalb an Mrs. Irvine bisher die Summe, auf die ihr verunglückter Gatte versichert war, nicht ausgezahlt worden ist. – So, das wäre alles. Vielleicht sehe ich mich heute noch einmal im ›Klub der Siebenundsiebzig‹ um. Ich möchte das Zimmer, in dem Lewis seine schöne Seele ausgehaucht hat, doch noch einmal näher in Augenschein nehmen.«

Meals hatte dem Inspektor mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört und sich einige Notizen gemacht.

Sein frisches Gesicht glänzte vor Eifer, und er konnte es offenbar nicht erwarten, an die Arbeit zu gehen.

Aber Dawson rief ihn noch einmal zurück.

»Lassen Sie das Ding hier sofort fotografieren«, sagte er, indem er die weiße Spinne aus der Zündholzschachtel nahm, »und geben Sie in der Nachrichtenabteilung den Auftrag, für sämtliche morgigen Abendblätter mit einem Abzuge folgende Anzeige aufzugeben:

›Zehn Pfund Belohnung ...‹«

Der Inspektor hielt einige Augenblicke inne, um sich den Text zu überlegen. »Also: ›Zehn Pfund Belohnung erhält derjenige, der ein Exemplar vorstehend abgebildeter Spinne – in Klammern: silberglänzender Glasleib, sechs Beine, zwei Körperringe und zwei Längsstreifen aus weißem Metall – abliefert oder anzugeben vermag, in welchem Geschäft solche Nachbildungen zu haben sind oder bei wem er eventuell eine solche Spinne gesehen hat. Mitteilungen an Inspektor Dawson, Zimmer 58, Scotland Yard.‹«

3

Inhaltsverzeichnis

Es war nach den späteren Feststellungen genau neun Uhr vierzig Minuten, als der im ganzen Polizeikorps bekannte Detektiv Dawson von einem patrouillierenden Wachmann zum letzten Male gesehen wurde. Er stand an einem der östlichen Ausgänge von Regents Park und schien jemanden zu erwarten, war aber dann plötzlich verschwunden.

Kurz vor Mitternacht lief bei der Kriminal-Abteilung die Meldung ein, daß Inspektor Dawson in Camden Town ermordet aufgefunden worden sei. Sein Körper war noch nicht ganz erkaltet und wies außer tiefen Strangulierungsspuren, die offenbar von einer starken Drahtschlinge herrührten, einen tödlichen Stich im Rücken auf. Die krampfhaft geschlossene Rechte hielt eine weiße Spinne umklammert.

Die Stunden, die folgten, zählten zu den übelsten, die Scotland Yard je durchlebt hatte.

Sir James Gaskill nahm mit eisigem Schweigen die einlaufenden Berichte entgegen, und nur das Zucken um seinen bartlosen, energischen Mund verriet, wie es in ihm gärte.

Dann war das Telefon im Chefzimmer länger als eine Stunde in geheimnisvoller Tätigkeit, aber kein Wort drang durch die gepolsterte Tür.

Durch die düsteren Gänge kroch das Grauen, und auf allen Mienen lagen verbissene Wut und erwartungsvolle Spannung.

Knapp nach halb zwölf war Sergeant Meals von seinen ersten Nachforschungen zurückgekehrt und suchte mit fieberhaftem Eifer Dawson im Hause aufzustöbern. Dann telefonierte er nach allen Richtungen, aber der Inspektor war nirgends zu erreichen. Als die Schreckensbotschaft kam, brach Meals förmlich zusammen.

Es dämmerte bereits, als aus dem Zimmer des Chefs plötzlich die Klingel durch das ganze Haus schrillte.

Die Kommissare, Oberinspektoren und Inspektoren versammelten sich erwartungsvoll um den grünen Tisch, aber Sir James schien es kurz machen zu wollen, denn er lud sie nicht ein, Platz zu nehmen.

»Das tragische Schicksal unseres armen Dawson dürfte Ihnen wohl den Ernst der Lage klargemacht haben«, sagte er. »Wir müssen gründliche und rasche Arbeit tun, und ich rechne damit, daß jeder von Ihnen alles aufbieten wird, um diese empfindliche Scharte, die uns einen unserer Besten gekostet hat, wieder auszuwetzen.«

Er neigte bereits verabschiedend den Kopf, als Herbert Bates, der jüngste, ehrgeizigste der Kommissare, sich die Chance nicht entgehen lassen wollte.

»Sir, wer, befehlen Sie, soll den Fall übernehmen?« fragte er ehrerbietig.

»Captain Raymond Conway, der überwachende Kommissar von Dover«, erwiderte Sir James leichthin, als ob es sich um die selbstverständlichste Sache von der Welt handelte.

Wenige Minuten später ging der Name in den Mauern von Scotland Yard von Mund zu Mund, aber niemand wußte damit etwas anzufangen. Er war in den letzten zwei Jahren oft genannt worden, doch da man seinen Träger nie zu Gesicht bekommen hatte und auch die Kollegen von Dover nur geheimnisvoll die Achseln zuckten, wenn man danach fragte, hatte er fast einen mythischen Klang bekommen.

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Inhaltsverzeichnis

Mr. George Turner hatte an diesem Abend eben sein Theater in Piccadilly betreten und war in den spärlich beleuchteten langen Gang eingebogen, der zum Treppenaufgang führte, als der erste Kapellmeister auf ihn losstürzte. In seinen flackernden Augen lag eine ratlose Verzweiflung, die Turner auf das Schlimmste gefaßt machte.

»Miss Mariman hat eben sagen lassen, daß sie heute nicht singen könne«, sprudelte der Dirigent aufgeregt hervor. »Jetzt – eine halbe Stunde vor Beginn der Aufführung.«

Der schwitzende Mann im Frack fuhr sich mit dem Finger zwischen Kragen und Hals und verzog das Gesicht, als ob er im Begriff stünde, sich die Kehle zu durchschneiden.

»Sie müssen uns eine andere Amneris besorgen«, stieß er keuchend hervor.

»Den Teufel muß ich«, fuhr ihn Turner an und schritt in sein Büro, wo er Hut und Mantel in weitem Bogen auf den nächsten Tisch warf.

»Wissen Sie, was ich tun werde?« rief er. »Ich werde statt der Amneris einfach eine Nackttänzerin auftreten lassen. Bei Gott, das werde ich«, schrie er, als er die gekränkte Miene des anderen sah, »damit das Publikum endlich einmal einen Begriff davon bekommt, welch eine verdammte Arbeit ich mit Ihrer Oper übernommen habe. Ich war unbedingt unzurechnungsfähig, als ich mich überreden ließ, in Kunst zu machen. Solange ich meine Revuen gab, hatte ich Geld und keine Sorgen – und jetzt habe ich kein Geld und nur Sorgen! Und für die großen Gagen, die ich zahle, habe ich eventuell eines Abends nicht einmal eine Vorstellung. – Was ist überhaupt los?« fuhr er den Dirigenten an. »Wo ist Miss Mariman, und warum kann sie nicht singen?«

»Miss Mariman ist in ihrer Garderobe. Aber sie hat einen schweren Nervenanfall gehabt ...«

»Kommen Sie mir nicht mit solchen Albernheiten«, wütete Turner. »Einen Nervenanfall! Wenn Sie Gallensteinanfall sagen würden, das könnte ich verstehen. – Wenn das einreißt, daß die Mitglieder wegen Nervenanfällen nicht auftreten, dann können wir unsere Bude glatt zusperren. Es wäre ohnehin das beste.«

»Sie hat einen furchtbaren Schrei ausgestoßen«, fuhr der Mann fort. »Ich habe ihn bis ins Probezimmer gehört, und das ganze Bühnenpersonal ist zusammengelaufen. Kurze Zeit darauf ist ihre Ankleidefrau ganz verstört auf mich losgestürzt und hat mir mitgeteilt, daß Miss Mariman auf keinen Fall singen könne.«

»Hat man nach einem Arzt geschickt?«

Der Direktor hatte plötzlich seine Ruhe wiedergewonnen, und in seinem feinen Künstlergesicht mit den ausdrucksvollen Augen spiegelte sich sogar so etwas wie Teilnahme.

»Jawohl«, versicherte der Dirigent, »aber sie hat ihn nicht vorgelassen.«

Turner wollte neuerlich auffahren, aber es fiel ihm ein, daß Miss Mariman ihre gewissen Eigenheiten hatte, und er beschloß, selbst nachzusehen, wie die Dinge eigentlich standen.

Er mußte einige Male an die Garderobe klopfen, bevor die Tür sich spaltbreit öffnete und der Kopf der Garderobiere erschien. Die schweigsame Alte gehörte nicht dem Personal des Theaters an, sondern stand in Privatdiensten der Sängerin. Dies war nur eine der Bedingungen, die Miss Mariman gestellt hatte.

Als die Frau den Direktor erkannte, zog sie die Tür etwas zu und wandte sich flüsternd nach innen.

Gleich darauf erschien ihr Gesicht wieder, und es blickte diesmal weit freundlicher als vorher.

»Madam läßt bitten, sich noch einige Augenblicke zu gedulden. Sie ist mit dem Ankleiden noch nicht ganz fertig.«

»Wird sie singen?« fragte Turner hastig, aber obwohl er seine Stimme gedämpft hatte, schien er doch drinnen gehört worden zu sein, denn es kam von dort eine Antwort.

»Gewiß, Mr. Turner. In zehn Minuten bin ich fertig.«

Der Direktor atmete tief und erleichtert auf, und als er nach etwa einer Viertelstunde eingelassen wurde, sprach aus dem Blick, mit dem er die Künstlerin betrachtete, ehrliche Besorgnis. Sie war bereits vollständig kostümiert und geschminkt, und es fiel ihm ein, daß er sie eigentlich noch nie anders gesehen hatte. Wenn er ihr auf der Straße begegnet wäre, hätte er sie gewiß nicht erkannt, da er absolut nicht wußte, wie sie im gewöhnlichen Leben aussah. Auch zu den wenigen Proben erschien sie immer dicht verschleiert – um ihr sehr empfindliches Organ zu schonen, wie sie sagte –, und es gab wohl niemanden im Theater, der je ihr wirkliches Gesicht gesehen hatte.

»Sie müssen entschuldigen, wenn ich Ihnen eine große Aufregung verursacht habe«, sagte sie und schlug ein Paar schöne dunkle Augen schüchtern zu ihm auf. »Es war eine ganz dumme Geschichte, und Mary war etwas voreilig.«

Als Turner gut gelaunt durch den Garderobengang zurückkehrte, begegnete er einer alten Garderobiere, die ihn belustigt angrinste.

»So vergnügt, Mrs. Kane?« fragte er jovial. »Warum?«

»Daß Miss Mariman so erschrocken ist«, erwiderte die Alte und schüttelte den Kopf.

Für Turner war die Geschichte zwar abgetan, aber es interessierte ihn doch, Näheres zu hören.

»Was hat es eigentlich gegeben?«

»Wahrscheinlich war es ein Spaß«, meinte die Frau. »So etwas kommt ja hier öfter vor, und man kann doch nicht annehmen, daß jemand gar so schreckhaft ist. Aber Miss Mariman scheint besonders nervös zu sein. Es war furchtbar, wie sie die Sache aufgenommen hat. Ich stand gerade vor der Garderobe, als sie diese betrat, und die Tür war noch offen, als sie den fürchterlichen Schrei ausstieß.«

»Weshalb hat sie denn geschrien?«

»Wegen einer Spinne.«

»Einer gewöhnlichen Spinne?« wunderte sich Turner.

»Ach wo, nicht einmal, sondern nur eine nachgemachte«, erklärte die Alte. »Ich hatte sie schon früher bemerkt, als ich nachsah, ob alles in Ordnung sei. Der Leib war aus Glas, und die Beine sahen aus, als ob sie aus Silber seien. Jemand hatte sie oben an den Garderobenspiegel gesteckt. Miss Mariman aber tat so entsetzt, als ob es eine Giftschlange sei ...«

Die Vorstellung konnte pünktlich beginnen, aber Turner vermochte doch ein Gefühl des Unbehagens nicht loszuwerden und saß sehr nervös im Hintergrund seiner Loge. Miss Mariman war zwar glänzend bei Stimme und spielte leidenschaftlicher und hinreißender denn je, aber dem scharfen Auge des Direktors entging es nicht, daß sie sich doch nicht ganz in der Gewalt hatte und noch immer gegen die Nachwirkungen einer außerordentlichen Aufregung ankämpfen mußte.

Nach dem ersten Akt traf er im Foyer plötzlich mit Ralph Hubbard zusammen.

Er hegte für diesen etwa dreißigjährigen Mann mit dem regelmäßigen, gelassenen Gesicht eine gewisse Zuneigung, obwohl er ihn eigentlich nur flüchtig kannte. Hubbard, der mit seiner Figur und seinen Manieren auch für die Bühne einen vollendeten Bonvivant abgegeben hätte, wußte trotz seiner kühlen Ruhe ungemein amüsant über alles zu plaudern, und Turner brauchte am heutigen Abend jemanden, der ihn etwas ablenkte.

»Seien Sie nett und leisten Sie mir Gesellschaft«, sagte er, indem er ihn in die Loge zog. »Sie tun ein gutes Werk, denn ich bin in einer erbärmlichen Stimmung. Aber wenn der Eiserne glatt fällt, dann sollen Sie mich in einer Laune sehen wie noch nie, und ich will einige Flaschen Sekt springenlassen.«

Er erzählte ihm, was sich abgespielt hatte.

»Sehen Sie«, meinte er, »von solch lächerlichen Kleinigkeiten sind wir armen Theaterdirektoren abhängig. Eine nachgemachte Spinne, vor der sich nicht einmal ein Kind fürchtet, kann uns einen unerhörten Skandal verursachen und eine Unmenge Geld kosten.«

Hubbard schien nur mit halbem Interesse zuzuhören, fragte aber doch:

»Wohin ist die Spinne gekommen?«

Der Direktor sah ihn verwundert an.

»Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich hat man das Ding der schreckhaften Miss Mariman so rasch wie möglich aus den Augen gebracht.«

In diesem Augenblick setzte das Orchester ein, und als der Vorhang hochging, richtete der junge Mann sein Glas scharf auf die wunderbare Erscheinung der Amneris.

»Wie gefällt sie Ihnen?« flüsterte Turner.

Hubbard setzte das Glas nicht ab, sondern nickte nur leicht, und erst als der Akt zu Ende war, kam er auf die Frage zurück.

»Ist die Frau wirklich so schön, wie sie aussieht, oder kann sie sich nur so fabelhaft herrichten? Ich habe mich vergeblich bemüht, das herauszufinden.«

»Das kann ich Ihnen leider auch nicht sagen«, meinte Turner mit etwas verlegenem Lächeln, und als der andere ihn verwundert ansah, begann er, ihm diesen seltsamen Umstand zu erklären.

»Wissen Sie, die Geschichte mit Miss Mariman ist eigentlich von Anfang an so eine Art Theater im Theater. Schon wie ich zu ihr gekommen bin, war nicht ganz alltäglich. Ich hatte für die Oper ursprünglich eine andere Vertreterin dieses Faches engagiert, die aber einen Tag vor der ersten Vorstellung bei der Generalprobe von ›Carmen‹ einen schweren Unfall erlitt. Alle Abendblätter waren damals voll von der Geschichte, und ich befand mich in schauderhafter Verlegenheit. Denn eher finden Sie eine Hochdramatische, die nicht zu fett ist, oder einen Tenor, der wirklich so viel kann, wie er sich einbildet, als eine halbwegs gute Erste Altistin. – Da wurde ich plötzlich ans Telefon gerufen, und eine Dame erbot sich einzuspringen. Sie hätte das Repertoire, das ich brauchte, und wäre bereit, mir sofort vorzusingen. In solchen Fällen greift man natürlich nach jedem Strohhalm, und ich war einverstanden. Kaum eine halbe Stunde später wurde mir Miss Mariman gemeldet. Die Figur imponierte mir sofort, aber sie hatte einen seidenen Schleier so geschickt ums Gesicht geschlungen, daß davon nicht viel mehr zu sehen war als ein Paar großer dunkler Augen. Das war mir natürlich zu wenig, denn beim Theater kann man schon gar nicht die Katze im Sack kaufen. Aber sowie ich die erste Anspielung darauf machte, stieß ich sofort auf energischen Widerstand. ›Eine meiner ersten Bedingungen wäre, daß ich es in dieser Hinsicht halten kann, wie ich will‹, erklärte sie mit einer so kühlen Bestimmtheit, daß ich sofort wußte, daß da nichts zu machen war. Zuerst ärgerte ich mich über diese Marotte und wollte die verschleierte Dame schon hinauskomplimentieren, aber dann kam mir meine verdammte Situation zum Bewußtsein, und ich entschloß mich, die geheimnisvolle Frau vor allem einmal anzuhören. – Nun, nach der heutigen Amneris können Sie sich wohl vorstellen, wie das damals war, und ich hätte in jenem Augenblick noch ganz andere Bedingungen unterschrieben als die fünfzig Pfund pro Abend und die verschiedenen besonderen Klauseln, auf denen Miss Mariman bestand. Ich muß übrigens sagen, daß mir daraus bisher nicht die geringsten Schwierigkeiten erwachsen sind, und nur mit den Kolleginnen hat es deshalb anfangs einige Reibereien gegeben. Aber die alte Dienerin von Miss Mariman scheint sehr resolut und kurz angebunden zu sein und hat ihrer Herrin rasch Ruhe verschafft.«

»Wirklich, wie in einem Roman«, gab Hubbard lächelnd zu und drehte das Monokel gedankenvoll zwischen den Fingern. Dann klemmte er das Glas wieder ins Auge und schien das Parkett nach Bekannten abzusuchen.

Plötzlich aber wandte er sich rasch um und sagte unvermittelt:

»Können Sie mir die Adresse von Miss Mariman geben, Mr. Turner?«

Der Direktor zog mit einem verschmitzten Lächeln die Brauen hoch, schüttelte dann aber nachdenklich den Kopf.

»Lassen Sie das. Glauben Sie mir, es kommt nichts dabei heraus.«

»Das kann man nie wissen«, erwiderte der andere mit einem so seltsamen Lächeln, daß ihn Turner überrascht ansah. Er hätte diesen kühlen Mann nie für so abenteuerlustig gehalten.

»Schön«, sagte er, »wenn Sie durchaus wollen, kann ich Ihnen dienen: Mayfair, 3 Berkeley Street.«

Als die letzte große Szene der Amneris vorüber und der Abend damit endgültig gerettet war, konnte es Turner nicht abwarten, aus dem Theater zu kommen.

»Worauf legen Sie mehr Wert?« fragte er. »Auf eine glänzende Aufmachung oder auf ausgezeichnete Küche mit allen möglichen Spezialitäten und den köstlichen Tropfen? Im ersteren Falle schlag' ich Ihnen Ritz oder Carlton vor, sonst aber weiß ich etwas Besonderes.«

Hubbard entschied sich ohne weitere Überlegung für das Besondere, und der Direktor ließ seinen Wagen zum Bühneneingang beordern.

»Wohin geht also die Fahrt?« fragte Hubbard lächelnd, als sie am Wagen standen, und Turner nannte ihm ein Restaurant am St. James Square. »Und wie lange werden wir bleiben?«

»So lange wie man eben braucht, um ein gutes Dinner in aller Behaglichkeit einzunehmen und sich nachher gemütlich auszuplaudern. Ich glaube, etwa zwei Stunden werden Sie mir also schon opfern müssen.«

»Zwei Stunden – mit größtem Vergnügen«, sagte sein Begleiter und stieg in den Wagen.

Als das Auto im Straßengewühl verschwunden war, nahm ein kräftiger, unscheinbarer Mann, der am Haupteingang gestanden hatte, die Pfeife aus dem Mund, spuckte kunstvoll aus und sah dann auf seine große Taschenuhr.

Sie zeigte auf ein Viertel nach zehn.

Der Mann klopfte die Pfeife an einem der Pfeiler aus, und wenige Augenblicke später ging er eilig zur nächsten Telefonzelle.

*

Turner hatte wirklich nicht zuviel versprochen. Das von ihm zusammengestellte Dinner war erstklassig, und man konnte verstehen, daß in dem verhältnismäßig kleinen Speiseraum fast kein Plätzchen frei war.

Der Direktor kannte eine Menge der Herren im Frack und der Damen in großer Abendtoilette und tauschte ununterbrochen Grüße aus, und auch Hubbard schien sich für das bunte Bild sehr zu interessieren. Er blinzelte durch sein Glas immer wieder über die Tischreihen, und zuweilen verriet ein leichtes Zucken in seinem sonst so beherrschten Gesicht, daß irgendeine Erscheinung seine besondere Aufmerksamkeit erweckte.

Vor allem galt dies von einem langen, hageren Herrn mittleren Alters, der allein an der gegenüberliegenden Wand saß und seine vorstehenden Augen von Zeit zu Zeit suchend durch den Raum gleiten ließ.

Der Mann hatte einen ausgesprochenen Pferdeschädel mit einem stark vorspringenden Kinn und einer fliehenden Stirn, und der breite Mund mit dem kräftigen Gebiß vervollständigte den brutalen Eindruck. Von den großen, fleischigen Ohren zog sich um den Hinterkopf ein schmaler Haarkranz, und darüber glänzte eine sichtlich mit großer Sorgfalt gepflegte Glatze wie ein riesiger, polierter Fingernagel.

»Wenn ich die nächste Revue gebe, lade ich den Herrn ein«, sagte Turner, der den auffälligen Gast auch bemerkt hatte. »Der Mann ist eine Nummer für sich.«

»Und was für eine Nummer«, stimmte Hubbard mit einem vielsagenden Lächeln bei, und sein Blick wanderte unwillkürlich wieder zu dem Herrn hinüber.

Dieser fing den Blick diesmal auf, und seine kalten Augen hafteten sekundenlang wie in stummer Zwiesprache auf dem Begleiter Turners.

Aber Hubbard sah bereits wieder geradeaus und vermied es von nun an sichtlich, dem andern irgendwie Aufmerksamkeit zu schenken.

Übrigens wurde der Mann mit der wunderbaren Glatze gleich darauf in Anspruch genommen. Ein tadellos gekleideter Herr mit einer Binde über dem linken Auge, den er offenbar mit Ungeduld erwartet hatte, nahm an seinem Tische Platz. Die beiden begrüßten einander mit der formlosen Gemessenheit alter Bekannter, aber Hubbard, der jede Phase dieser Begegnung gespannt verfolgte, sah mehr. Es entging ihm nicht, daß in den Augen des Kahlköpfigen eine hastige, besorgte Frage stand, und daß er sich mit einem Ruck zurücklehnte, als der Neuangekommene einige Male mechanisch über die Tischdecke strich, als ob er sie von Brosamen säubern wollte.

Der Mann mit dem Pferdekopf zwinkerte nervös mit den Augen und rieb sich das Kinn. Dann steckte er sich gelassen eine große schwere Zigarre an, vermochte aber nicht zu verhindern, daß seine Hand dabei merklich zitterte.

Turner neigte sich etwas vor und deutete mit einer leichten Kopfbewegung nach dem Tisch.

»Haben Sie Corner bemerkt?« fragte er leise. »Sie kennen ihn doch wohl? Es scheint, daß ihm im ›Klub der Siebenundsiebzig‹ der Boden zu heiß geworden ist, seitdem man dort seinen Herrn und Freund Lewis auf so rätselhafte Weise aufgeknüpft hat. – Übrigens«, fuhr er fort, »ist mir mit ihm vor einigen Tagen etwas Eigenartiges passiert. Ich begegnete ihm nämlich in Soho mit einer Dame, die nach ihrer Figur und ihrem Gesicht, das diesmal nicht verschleiert war, ganz gut Miss Mariman hätte sein können. Aber bestimmt kann ich es natürlich nicht behaupten ...«

Hubbard widerfuhr in diesem Augenblick etwas, was ihm noch nie geschehen war. Sein Glas fiel ihm aus dem Auge und klirrte auf den Teller.

»Die Spinne ...«, entfuhr es ihm halblaut.

»Ja, die Dame mit der Spinne«, sagte Turner etwas verwundert. »Aber ich möchte darauf schwören, daß es nur eine Ähnlichkeit war; denn so wenig ich auch von Miss Mariman weiß, ich halte sie unbedingt für eine Dame, und Corner ist kein Verkehr für eine Frau, die etwas auf sich hält.«

Der andere nickte flüchtig, und sein Blick folgte gleichgültig einem Mann, der eben durch die Reihen der Tische schritt und jemanden zu suchen schien. Er paßte nicht recht in diesen glänzenden Rahmen, denn er trug über einem einfachen Straßenanzug einen etwas verschossenen Mantel, und seine behäbige Erscheinung mit dem gesunden, freundlichen Gesicht ließ in ihm einen kleinen Geschäftsmann vermuten, der sich den Besuch eines derartigen Luxusrestaurants wohl kaum leisten konnte.

Als der Fremde an dem Tisch des Herrn mit der spiegelblanken Glatze vorüberging, sah er angelegentlich nach seiner Uhr, und fast im gleichen Augenblick schienen auch die beiden Freunde dafür Interesse zu haben, wie spät es sei.

Hubbard aber malte mit seinem winzigen Bleistift elf Uhr fünfundzwanzig auf das Theaterbillett, das er noch immer bei sich trug, und drehte es spielend zwischen seinen Fingern zusammen.

Der behäbige Mann schien nicht gefunden zu haben, was er suchte, denn er kam bereits wieder zurück und verschwand gleich darauf in sichtlicher Eile.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie nach Hause zu bringen«, sagte Turner, als sie etwa eine halbe Stunde später das Lokal verließen. Aber Hubbard lehnte lebhaft ab.

»Das würde für Sie einen zu großen Umweg bedeuten, und ich bin Ihnen für den reizenden Abend ohnehin schon genug verpflichtet.«

»Nun, gar zu unterhaltend scheint es für Sie nicht gewesen zu sein«, meinte der Direktor. »Sie waren eigentlich recht einsilbig.«

Der elegante Mann beugte sich zu ihm herab und lächelte ihn aus seinen grauen Augen seltsam an.

»Das will ich zugeben. Aber trotzdem dürfen Sie mir glauben, daß es für mich ein äußerst interessanter Abend war.«

Als er die nächste Straßenecke erreicht hatte, kreuzte ein untersetzter nächtlicher Bummler seinen Weg und schob die Pfeife aus einem Mundwinkel in den andern.

Beim Windham Club nahm Hubbard ein Auto und ließ sich zur Charing Cross Station fahren.

5

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»Haben Sie ihn schon gesehen?« fragte Meals.

»Wen?« brummte der alte Sergeant Stevens gleichmütig zurück, der ebenso grau und vergilbt aussah wie seine Akten, mit denen er seit mehr als zwanzig Jahren hauste.

»Nun, Kommissar Conway. Er soll schon drei Tage im Dienst sein, aber es hat ihn noch niemand zu Gesicht bekommen.«

Meals steckte die Nase in einen der Strafauszüge und fuhr mit dem Finger suchend über die einzelnen Spalten.

»Er hat das Zimmer Nummer 7 im Erdgeschoß eingeräumt bekommen«, fuhr er fort, als der andere schwieg. »Sie wissen, das mit den zwei Ausgängen. Man kann über ein paar Stufen direkt ins Freie gelangen ...«

Der Detektivsergeant mußte jedoch wahrnehmen, daß Stevens für das Thema tatsächlich nicht das geringste Interesse hatte, und vertiefte sich daher wieder in seine Arbeit. Nach einer Weile fühlte er aber doch das Bedürfnis, sich über die eigenartige Sache weiter auszusprechen.

»Es ist wohl in Scotland Yard noch nicht dagewesen, daß man vor den eigenen Leuten Verstecken gespielt hätte. Nicht einmal bei den Oberen hat sich Conway bisher sehen lassen, und es ist kein Wunder, daß diese darüber verschnupft sind. Als ich heute vor Kommissar Bates seinen Namen nannte, machte der ein Gesicht, als ob er Essigsäure geschluckt hätte. – Nun, mir kann es recht sein. Aber ich bin neugierig, wie der Herr Kommissar auf diese Weise mit dem Fall Dawson fertig werden will. Allein kann er die Geschichte doch nicht gut machen.«

Meals seufzte hörbar und wischte sich rasch über die Augen.

»Aber jetzt ist unsereiner anscheinend ganz überflüssig geworden«, fuhr er mit leichter Bitterkeit fort. »Und selbst wenn man aus eigenem Antrieb etwas tun wollte oder etwas zu melden hätte, wüßte man nicht, wie das anfangen. Der Herr Kommissar hat eine Diensteinteilung, nach der man sich nicht gut richten kann. Einmal kommt er um sieben Uhr morgens, das nächstemal um zwölf Uhr nachts ...«

»Es ist unter Nummer 2755 der Befehl erlassen worden, alle Meldungen an Kommissar Conway schriftlich im Protokoll zu hinterlegen«, bemerkte Stevens trocken, »Er läßt sich seine Mappe immer von dem diensthabenden Wachmann holen.«

Der Sergeant erwiderte nichts, aber er hob vielsagend die Schultern, womit er zu verstehen geben wollte, daß dies kein dienstlicher Verkehr für Scotland Yard sei. Die ganze Geheimnistuerei paßte ihm nicht. Am meisten wurmte es ihn aber, daß ihm bei der Verfolgung der Mörder Dawsons anscheinend auch nicht die geringste Rolle zufallen sollte. Er hatte gestern und heute wohl schon zwanzigmal versucht, sich selbst in Erinnerung zu bringen, aber sein hartnäckiges Klopfen an der verschlossenen Tür von Nummer 7 war stets unbeantwortet geblieben.

»Sergeant Meals, Kommissar Conway will Sie sprechen«, hörte er da plötzlich eine rauhe Stimme sagen.

Er fuhr unwillkürlich zusammen, weil er glaubte, daß ihm seine Nerven einen Streich gespielt hätten. Aber an der Tür stand tatsächlich ein Schutzmann, dem es zu lange zu dauern schien, bis Meals sich in Bewegung setzte.

»Sputen Sie sich«, riet er wohlmeinend, »denn der Kommissar hat es eilig, und ich glaube, es ist mit ihm nicht gut Kirschen essen.«