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Ein leises Schnurren dringt aus dem mit einer weißen Stahlbau überzogenen Roboter; die Augen scheinen sich zu weiten, und der Mund mit den beweglichen Lippen scheint sich zu bewegen – bleibt aber doch stumm. Die freudige Genugtuung des Meisters schlägt jäh in Ungeduld um. »Nun, los, sprich! Sprich! Ich warte!" Das leise Schnurren wird stärker; es ist, als würde der Maschinenmensch wahrhaftig nachdenken. Langsam führt er eine Hand zum Kopf, lässt sie wieder sinken und sagt dann langsam, jeden Buchstaben betonend: »Ich heiße Mors!" Eine leichte Röte des Unwillens fliegt in das Gesicht Voß', dann sagt er schnell: »Nicht Mors, du Stümper, nicht Tod, Mars ist dein Name! Mars nenne ich dich!" Seine Hand öffnet jäh die Brustwand des Roboters, dessen helle Augen tückisch zu lachen scheinen, und während er eine Verbindung öffnet, eine andere wieder schließt, eine Quecksilbersäule matt aufleuchtet, fragt er nochmals: »Wie nennst du dich?!" »Mars ist mein Name! Mars!"
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Seitenzahl: 319
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Die Welt am laufenden Band
Karl L. Kossak-Raytenau (Karl Ludwig Kossak)
„Zement und Stahl,
Transmissionen sind
die Tabernakel, wo meine
Götter wohnen.“
Verlag Heliakon
2023 © Verlag Heliakon, München
Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon
Titelbild: Pixabay (Kellepics)
©2023 Verlag Heliakon
www.verlag-heliakon.de
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Inhaltsverzeichnis
Titelseite
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Felix Voß, Ingenieur, Erfinder und Führer der Industrie, den seine Freunde mit Hochachtung und scheuer Bewunderung, seine Feinde aber mit einem zornigen, fast ängstlichen Lächeln um die Lippen meist nur den „Herrn der Gigantik“ nennen, zieht die Stirne in schmale, nachdenkliche Falten und greift dann schnell in die offene Brustwand des riesigen Roboters, der eisern und stählern, breit und wie drohend vor ihm steht.
Er greift in das Gewirr der Drähte, Spulen, Magneten, Relais, Sicherungen und Kabel, die statt Nervenstränge, Muskel, statt Herz, Lunge und Blutgefäße die Brust des Roboters ausfüllen, schraubt an einer Sicherung, schaltet ein Kabel ein und dreht sich dann lächelnd zur Seite.
»Hier sitzt der Fehler, meine Herren, hier links!“
»Beim Herz also, Vater!“ Robert Voß, der neben den drei Ingenieuren im Konstruktionsbüro der „Gigantik“ steht, neben den drei ersten Mitarbeitern, die ihrem Herrn und Meister mit großen, ehrfurchtsvollen Augen auf die Finger sehen, bekommt ein leises Zucken um den etwas harten Mund. Er als einziger von jenen, die hier stehen, hasst diese Arbeit, diesen Roboter, der menschenähnlich vor ihm steht, nicht Mensch ist und doch Menschenarbeit verrichten soll, ja schon verrichtet; aus diesem Hass macht er kein Hehl. Unwillig schiebt er Tyß, der knapp neben seinem Herrn steht, um ja keine Bewegung zu verlieren, zur Seite, tritt näher, sieht seinem Vater, der ihn um einen Kopf fast überragt, in die hellen Augen und sagt nochmals und mit verhaltener Mahnung in der Stimme: »Beim Herz also, gerade beim Herz, nicht, Vater?“ …
Voß sieht eine Sekunde wie betroffen in die Augen seines Sohnes, die ebenso dunkel sind und brennend wie seine hell und leuchtend, und es ist, als würde der Schatten eines Schattens über sein scharf geschnittenes‚ kühnes Gesicht zucken; dann aber lächelt er schon wieder.
»Jawohl, mein Junge, beim Herz! Das heißt, soweit wir diesem Burschen hier ein Herz vergönnen!“ Lachend schlägt er dem Roboter auf die eisernen Schultern, und die Drähte, Spulen und Kabel klirren und summen leise, als wolle der Maschinenmensch antworten. »Denn von diesem unbequemen Muskel“, spricht Voß weiter, »soll mein Mars befreit sein! Herz! Herz!“ Seine Augen sehen wie suchend und sehend in die Ferne, und für eine Sekunde gleitet seine rechte Hand zum eigenen Herzen, als schmerze es, und als müsse er es festhalten, umklammern; dann sagt er härter, aber mit Wissen in der Stimme: »Herz, mein Junge, das ist Liebe, Kummer, Wahn der Eifersucht! Herz, ach, das ganze Leid der armen Menschheit schließt es ein, und tausendmal Millionen gibt es Tod! Versagt es, schlägt es jäh zum letzten Mal, reißt es uns aus Arbeit, Schaffen, Hoffen! Und darum“, seine Augen funkeln dunkel, und die Hand schließt sich zur Faust, »darum fort damit!“ Die Augen, die für Sekunden wie trübe geworden waren, strahlen wieder blau wie frohe Lichter. »Fort mit Leid und fort mit Tod!“ Seine Hand fährt hoch … »Der stirbt mir nicht an Liebeskummer, nicht an Angina pectoris und nicht an Thrombose, der nicht, was, Tyß ?“
Tyß lacht hell auf.
»Gewiss nicht, Herr Voß, das sicher nicht!“
»Aber hier“, wieder greift Voß mit der schlanken, etwas nervösen Hand, die einem Pianisten gehören könnte, in die Brust, »hier noch ein Relais, Tyß, zum Mikrophon, zur Sprachzentrale, sonst stottert er mir und diese Sicherung verstärken Sie, sonst brennt sie durch!“
»Jawohl, Herr Voß!“
»Dann ist der Bursche wohl in Ordnung, was?!“ Mit einer leichten Handbewegung klappt Voß die Brustwand zu. Sekundenlang hängt sein Blick fast zärtlich am Roboter, dessen Augen glasklar in unbekannte Fernen zu sehen scheinen, dann sagt er schnell und kalt: »Und nun, marschier’, du Mensch!“
Eine Welle des Zornes schießt über das Gesicht von Robert Voß, und er sagt hastig und scharf: »Du sollst nicht Mensch zu ihm sagen! Er ist kein Mensch, diese Maschine!“
Halb lachend, halb unwillig wehrt Voß ab.
»Lass diese Kinderei!“ Wieder sagt er schnell: »Marschier’ drei Schritte vor!“
Einige Sekunden steht der Roboter still; es ist, als würde er überlegen, denken, als sei er wirklich ein Mensch, der nur zögere, einen erhaltenen Befehl auszuführen. Dann aber geht ein leises, unbestimmtes Zittern durch den Körper, ein Schnurren und Klirren; ein Fuß hebt sich schwerfällig vom Boden, dann der andere, und während die Ingenieure und Robert Voß mit großen Augen auf ihn sehen, geht der Roboter steif, aber fest und gerade drei Schritte vor, bleibt dann starr stehen, und seine Augen scheinen zu leuchten.
Und Felix Voß breitet triumphierend die Arme aus.
»Da! Da, er geht! Er geht! Drei Schritte! Keinen mehr und keinen weniger! Ich befehle, und er marschiert, so wie ein Mensch! Ja, besser als ein Mensch, denn wenn wir Fehler machen“, er klopft an die eiserne Brust des Roboters, »er macht uns keine, er irrt sich nie, kann nicht irren, und wo ist der Mensch, der da nicht irrt!“
Ingenieur Tyß nickt begeistert Beifall.
»So ist es, Meister! Das Modell ist jetzt in Ordnung! Wir sind ein schönes Stück vorwärtsgekommen.“
Voß nickt.
»Das wohl, Tyß, aber wir sind noch lange nicht am Ende! Das Ziel ist fern, aber“, seine Züge werden hart, »es wird erreicht!“ Er wirft seinem Sohn, der schweigsam, düster neben ihm steht, einen etwas ironischen Blick zu und wendet sich dann wieder zu dem Roboter, der starr vor ihm steht und gleichsam seine Befehle zu erwarten scheint, und fragt heiter: »Du Mensch, was ist die Uhr?“ Erwartungsvoll zieht er die seine und sieht gespannt auf den Maschinenmenschen.
»Die Uhr ist vier und sechs Minuten!“ antwortet der monoton.
Voß’ Augen leuchten triumphierend auf; sie suchen Robert und Tyß, während die beiden jungen, Salm und Sims, die sich schon wieder teils den Zeichenbrettern, teils dem großen Schaltbrett zugewandt hatten, schnell wieder herantreten, um nichts von dieser Stunde, auf die sie schon lange gewartet haben, zu verlieren. Dann fragt Voß weiter:
»Und welcher Tag ist, Mars?“
»Freitag!“
»Und der wievielte und welcher Monat? Sprich!“
»Der erste Mai!“ antwortet der Roboter, ohne zu zögern, und hebt dabei leicht einen Arm, als wolle er seine Antwort noch bestätigen, unterstreichen.
In Voß’ offenem Gesicht, das mit seinen hellen Augen, der scharfen, leicht gebogenen Nase und dem kühnen Blick dem eines Kapitäns, eines Eroberers gleicht, eines Mannes, der nur gewohnt ist, zu befehlen und nicht zu gehorchen, leuchtet die Genugtuung wie Feuer, und er schlägt dem Roboter, als wäre dieser wirklich ein Mensch wie er, anerkennend auf dessen Schulter.
»Brav, mein Sohn und nur eines noch: wie ist dein Name?“
Ein leises Schnurren dringt aus dem mit einer weißen Stahlbau überzogenen Roboter; die Augen scheinen sich zu weiten, und der Mund mit den beweglichen Lippen scheint sich zu bewegen – bleibt aber doch stumm.
Die freudige Genugtuung des Meisters schlägt jäh in Ungeduld um.
»Nun, los, sprich! Sprich! Ich warte!“
Das leise Schnurren wird stärker; es ist, als würde der Maschinenmensch wahrhaftig nachdenken. Langsam führt er eine Hand zum Kopf, lässt sie wieder sinken und sagt dann langsam, jeden Buchstaben betonend: »Ich heiße Mors!“
Eine leichte Röte des Unwillens fliegt in das Gesicht Voß’, dann sagt er schnell:
»Nicht Mors, du Stümper, nicht Tod, Mars ist dein Name! Mars nenne ich dich!“ Seine Hand öffnet jäh die Brustwand des Roboters, dessen helle Augen tückisch zu lachen scheinen, und während er eine Verbindung öffnet, eine andere wieder schließt, eine Quecksilbersäule matt aufleuchtet, fragt er nochmals: »Wie nennst du dich?!“
»Mars ist mein Name! Mars!“
Mit einem leichten Schlag schließt Voß die Brustwand; die Stirne ist schon wieder glatt und die Augen froh. »Nun also, Mars! Und dass du es nicht vergisst! Und jetzt auf deinen Platz!“ Er weist mit der Rechten scharf gegen die eine Seitenwand des Büros und wiederholt: »Auf deinen Platz!“
Gehorsam hebt der Roboter die Füße, marschiert in die Ecke, die ihm sein Herr gewiesen hat, wendet knapp vor der Mauer scharf um und bleibt mit dem Gesicht gegen das Büro so starr stehen, als sei er nie einen Schritt gegangen.
Felix Voß nickt zufrieden und wendet sich dann zu den Ingenieuren, die schon wieder bei ihrer Arbeit sind, er geht von einem Zeichenbrett zum anderen und bleibt dann vor Sims stehen, der sich über das seine beugt und kaum aufzusehen wagt.
»Sims!“
»Herr Voß!“
»Sie sind noch immer nicht weitergekommen, sehe ich!“ Er beugt sich über das Brett, »und doch …“ Über das junge, noch etwas unfertige Gesicht des Ingenieurs fliegt jähes Erschrecken. Alles möchte er ertragen, nur Tadel nicht! Er soll ihn arbeiten lassen, bis die Augen müde zusinken, bis die Hand nicht mehr den Zirkel halten kann, das ist gleich, nur zufrieden soll er sein!
Er hebt die Augen zu Voß, und sie bitten um Nachsicht.
»Herr Voß, ich habe bis jetzt die Lösung leider umsonst gesucht, ich …“ Er schluckt und versucht zu lächeln, »aber ich glaube, ich bin auf der Spur!“ Er seufzt. »Die Aufgabe, entschuldigen Sie, ist schwer, aber …
Voß sieht ihn an, und Sims weiß nicht, was er denkt. Ist es Ungeduld, Mitleid, findet er ihn unbrauchbar? … Der Blick ist ruhig, geht über ihn gleichsam hinweg; ehe er aber noch weiter raten kann, schiebt ihn Voß mit leichter Hand fort und setzt sich hin.
Die lange, schmale, aber kräftige Künstlerhand fliegt über das harte Papier; kaum dass er den Zirkel oder sonst etwas zu Hilfe nimmt, aber schon ist die Zeichnung am Brett, so exakt und doch so leicht hingehaucht, dass Sims sich verwirrt über den Kopf streicht.
Voß sieht ihn an, und als er die großen, halb erstaunten, halb ungläubigen Augen sieht, lächelt er.
»Ja, Sims, so denke ich mir den neuen Antrieb … Er malt wie mit Zauberhand ein Dutzend Formeln an die Seite des Brettes. »Das rechnen Sie nach, aber ich denke, es ist in Ordnung! Einfach, nicht?“
Sims kneift die Lippen zusammen. Jetzt, wo er die Lösung vor sich sieht, ist sie wirklich verblüffend einfach und nicht zu begreifen, dass er zwei Dutzend Nächte sie vergeblich gesucht. Er umklammert ein Lineal. »Ich finde es genial, Herr Voß! Ach, wer das doch alles könnte! Was sind wir doch für Stümper gegen Sie, Herr Voß!“
Voß dreht den Körper halb herum und lacht heiter auf.
»Nicht doch, Sims! Wissen Sie, wie ich die Lösung fand? Na, sozusagen im Schlaf! ja, ja!“ Er nickt dem Ingenieur, der ihn ungläubig ansieht, zu. »Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf! … oder so ähnlich, nicht wahr? Ja also, das hätten wir jedenfalls! Was liefert die Maschine jetzt?“
»Zehntausend Ziegel in der Stunde!“
Voß wirft schnell einige Zahlen auf das Brett und sagt dann wie von einem Druck befreit:
»Zehntausend? Jetzt wird sie fünfzigtausend geben, Sims, fünfzigtausend, nicht mehr und nicht weniger, das heißt“, ein leichtes Lächeln zuckt über das Gesicht, »eher mehr, denn nicht wahr, wir wollen doch nicht schlafen und weiter sehen!“
Sims versteht nicht ganz; denn wie soll die Leistungsfähigkeit dieser Maschine, die ihm schon jetzt hundert schlaflose Nächte brachte, noch erhöht werden? Er versteht also nicht, sagt aber schnell: »Gewiss, Herr Voß, gewiss!“
»Eben! Wir sind noch nicht am Ende … Hügel, Berge hoch werden sich die Ziegel türmen, einen Montblanc werden wir aufrichten, Ziegel auf Ziegel, bis zum Himmel, bis sie an die Wolken stoßen …“ Seine Augen leuchten. »Einen neuen Turm zu Babel, und meiner“, seine Augenbrauen ziehen sich wie drohend zusammen, »meiner wird stehen, Sims, der wird stehen!“
»Gewiss, Herr Voß, gewiss!“
»Und wer“, Robert Voß schiebt sich langsam näher, und seine Stimme ist tief, »und wer wird diese Berge Ziegel kaufen, das Hochgebirge, den Turm zu Babel?“
Eine Sekunde ist Voß still, und es scheint, als würde er über diese Frage maßlos erstaunt sein, so ungefähr wie ein Kind, das den Mond verlangt und hört, dass er weit, ungeheuer weit entfernt ist, dass es ihn nie bekommen kann. Er sieht seinen Sohn nachdenklich an, wie einen Fremden fast, wie einen, den er noch nie sah und dessen Erscheinen unerwartet kommt, und sagt dann langsam: »Wer sie kaufen wird, mein Junge? Wer sonst als die Welt? Die Ziegel werden ja billiger, so billig, dass alles bauen wird! Alles, jedermann wird bauen können, und jedermann wird sein Haus haben! Fort mit den Zinskasernen, fort mit den Hütten! Jedem sein Haus! Die Ziegel werden nichts mehr kosten, so gut wie nichts! Sie werden den Erzeugern aus der Hand gerissen werden, und wir, wir werden immer neue Maschinen bauen, immer wieder bessere Ziegelmaschinen …“
»Fantastisch, Herr Voß“, Ingenieur Tyß reibt sich die Hände, „die „Gigantik“ wird blühen … und …“
Robert Voß wischt mit einer energischen Handbewegung Tyß’ Rede fort und fragt etwas scharf: »Und das Geld, um zu bauen … denn ohne Geld kann man es ja nicht …“
»Geld?“ Voß scheint wieder sehr erstaunt zu sein. »Geld? Erst Maschinen, dann kommt das Geld schon von allein, denn Maschinen machen ja doch Geld, verstehst du, sie produzieren, und was sie produzieren, ist Geld, Ware, wird zu Geld! Aber diese Ware muss billig sein, viel billiger als jetzt!“ Er setzt sich auf einen der kühlen, sachlichen Stahlhocker, und sein Blick gleitet von seinem Sohn über Tyß, der neben ihm steht, über Sims, der den Kopf vom Zeichenbrett hebt und lauscht‚ und über Salm, der beim Schaltbrett steht und die Hebel des großen Schalters, der ferne Maschinen steuert, hebt und senkt; und während seine Augen auf die aufzuckenden optischen Signale achten und die Hände nur mehr wie mechanisch arbeiten, hängen alle seine Sinne an Voß, der ihn eben jetzt scheinbar scharf mustert, etwas stockt und dann weiterspricht. »Ja, das ist das Problem …“ Er lächelt, und der Zirkel, den er aufgenommen hat, deutet auf Roberts Gesicht. »Da haben wir zum Beispiel einmal die Rasierklinge! Vor Jahren war sie dem Arbeiter zu teuer, entweder ließ er den Bart stehen oder er rasierte sich weniger, und jetzt, was kostet sie jetzt? So gut wie nichts, armselige Pfennige, und schon ist der Absatz gestiegen, himmelhoch gestiegen und steigt noch immer weiter! Und so geht es mit allen Dingen! Kleider! Schuhe! Töpfe! Messer! Gläser! Kannen! Mache sie billiger, als sie heute sind, viel billiger, und aus dem Luxus wird Notwendigkeit der Massen! Und dazu brauchen wir die Maschine und wieder die Maschine! Sie allein schafft uns die billige Ware, nur Sie …“
Robert Voß’ Gesicht zeigt deutlich seine Gedanken. Er schweigt und sieht um sich, als müsse er alles, was er sieht, seinem Gehirn für immer einprägen, als habe er es noch nie gesehen. Sein Blick umfasst das breite Konstruktionsbüro, dessen sachliche Kühle ihn immer wieder fast schmerzlich berührt; in einer scharf ausgerichteten Reihe stehen die drehbaren, von seinem Vater entworfenen Stahlhocker, vor ihnen die nach jeder Richtung hin verstellbaren Zeichenbretter. An den glatten, weißen Seitenwänden hängen Pläne gigantischer Maschinen, teils erst dem Gehirn seines Vaters entsprungen, teils schon Wirklichkeit aus Stahl und Eisen, Kupfer und Kabel; unter ihnen in großen Glasvitrinen Maschinen modelle, blank, blitzend und kühl, Kunstwerke des menschlichen Geistes, jedes lebendiges Zeugnis für Felix Voß’ nie rastendem Gehirn, dem jeder Gedanke Maschine und jedes Denken Kurbel und Kolben, Rad und Energie bedeuten. Und an der rechten Schmalseite ein riesiges Schaltbrett aus weißem Marmor; mit Hebeln und Griffen und funkelnden Augen, die bald rot, bald grün, bald blau und gelb aufleuchten; unsichtbar wie die Nervenstränge des Menschen laufen von hier aus zu den Maschinen der daneben liegenden Halle tausende Drähte, Kabel, gebündelt und gebändigt, und was immer draußen geschieht, die Lichter, Manometer, die Regler und Messer zeigen es gedankenschnell und lautlos an, und schon hebt Salm einen Hebel, drückt einen anderen nieder, schickt Botschaft von Maschine zu Maschine, dirigiert Millionen Pferdekräfte, kommandiert Millionen Wellen, Kurbel, Gestänge, Kolben und Scheiben und bleibt doch stumm, als wäre alles nur ein leichtes Spiel.
Mit gefurchter Stirne sieht Robert Voß durch die riesige Glaswand, die das Büro abschließt gegen die Maschinenhalle. Dort stehen sie, die Geschöpfe seines Vaters, die stummen Diener seines Willens, die Maschinen!
Funkelnd drehen sich die Transmissionen, die Schwungräder, die Kolben sausen auf und nieder, die Riemen surren leicht, Kupfer blitzt im rasenden Umlauf der Motoren.
Und quer über die Halle wandert unerbittlich wie das Schicksal selbst ein eisernes Band, voll beladen mit Werkstücken, die fast noch ohne Form und Inhalt, ohne Gestaltung sind. Und davor eine graue Kette von Arbeitern im grauen Overall. Mit unverändert gleicher Gebärde fahren die Hände vom Montagetisch zum Werkstück am laufenden Band, das scheinbar langsam und für sie doch rasend schnell vorüberzieht, wieder wie das Schicksal, das einmal die Hand bietet und für immer zurückzieht, wird sie nicht ergriffen.
Auf und nieder fährt die Hand, setzt hier eine Schraube ein, dort zieht eine andere sie an; hier wird blitzschnell eine Niete verhämmert, der Nebenmann verkeilt schon den Zylinderblock, der neben ihm die Kurbelwelle. Die Hände fahren hoch und sinken wieder im gleichen Rhythmus, den nichts unterbricht als der schrille Pfiff der Sirene, der Arbeitsruhe! Wie der Lavastrom unerbittlich vorn geborstenen Krater niederfließt und erbarmungslos alles unter sich begräbt, so wandert das laufende Band durch die Halle und ist Schicksal für alle, die ihm dienen. Dienen müssen!
Robert Voß’ Augen werden noch dunkler; seine rechte Hand fährt hoch und weist auf die Halle. »Maschinen! Noch mehr Maschinen? Ist das noch nicht genug, Vater?“
»Noch lange nicht, mein Junge!“ Voß steht schnell auf und legt seinem Sohn die Hand auf die Schulter. »Dass du das nicht verstehen willst und kannst!? Frei will ich die dort machen, die am laufenden Band! Frei durch die Maschine, das ist das Ziel!“
Robert Voß schüttelt jäh den Kopf.
»Frei? Du machst sie zu Sklaven, Vater!“
Ehe Voß noch antworten kann, ist Tyß beflissen nahe.
»Aber Herr Robert!“
Und Salm, der junge, dessen Augen kaum noch auf die Lichter sehen, ruft schnell:
»Wir, die Maschinenbauer, brechen doch die Ketten!“
Voß sieht seinen Sohn mit deutlicher Ungeduld und Unwillen an.
»Versklaven? Kannst du mich denn noch immer nicht begreifen? Wenn sich die Menschheit jetzt noch immer plagt und rackert, dann nur deshalb, weil wir nicht genug Maschinen haben, weil der Lohn für die teuren Waren nicht langt! Stell’ mehr Maschinen ein, und es wird alles so billig werden, dass wir mit weniger Arbeit mehr kaufen können! Vier, fünf Stunden Arbeit und vielleicht drei Tage in der Woche!“
Robert Voß schüttelt den Kopf.
»Und wo willst du die Menschen hinstellen, die deine Maschine um die Arbeit bringt? Zum Beispiel deine Ziegelmaschine, deine famose! Und die Schuster, Schneider, wo sollen sie hin, wenn du Schuhe, Kleider mit der Maschine herstellst, was soll mit ihnen werden?“
Felix Voß lächelt überlegen und zeigt hart auf die Maschinenhalle.
»Dorthin, mein Junge, an die Maschinen! Begreifst du denn nicht, dass wir Arbeiter brauchen werden, die Maschinen herstellen! Kohlenarbeiter, um die Kohle zu fördern für Hochöfen, wo sie Erz gießen, Stahl, Arbeiter für die Erzgruben von Kupfer, Bauxit, Nickel, Chrom, Zinn, Zink, Blei. Und Arbeiter zum Verladen, Arbeiter an den Kränen, und Lokomotiven und wieder Stahl, Kupfer und Nickel für diese Lokomotiven und wieder Arbeiter, die uns diese Lokomotiven, Schienen, Dampfschiffe bauen!“ Er sieht mit großen Augen in die Ferne. »Fort mit dem Schuhmacher, der viele Stunden, ja einen Tag braucht, um uns ein Paar Schuhe zu machen, fort mit diesem Hans Sachs, er hat in dieser Zeit nichts mehr verloren! An die. Stanzmaschine mit ihm, dort stanzt er in einer Stunde Sohlen für tausend Paar Schuhe, und diese Schuhe wird er kaufen können, nicht die anderen, sie sind zu teuer!“ Er schlägt seinen Sohn auf die Schultern: »Das ist die Sache, Hans Sachs stirbt aus, er ist erledigt!“
Tyß nickt Robert Voß bedeutungsvoll zu.
»Jawohl, der ist erledigt … fertig …“
Und Ingenieur Salm reißt mit weiter Gebärde einen Hebel am Schaltbrett nieder und ruft froh und stolz herüber, so, als sei es nur sein Verdienst:
»Und wir sind angetreten, wir Maschinenbauer, Herr Robert Voß!“
Der wirft ihm einen Blick zu, als verstünde er ihn nicht ganz, und fragt dann bohrend:
»Und was soll mit jenen geschehen, die nicht Maschinen bauen können? Und wohin mit den Maschinen, mit den vielen, allzu vielen Maschinen, Vater?“
Voß, der schon aufgestanden ist, winkt ungeduldig ab; sein Blick fliegt über die Maschinenhalle, er breitet die Hände aus, als wolle er sie umfassen, und seine Stimme wird voll tönenden Klanges.
»Das alles dort ist noch zu wenig, ein schwacher Beginn erst, Robert! Der Tag aber wird kommen, wo wir wirklich Herren sind auf dieser Erde und nicht wie jetzt Diener der Maschinen! Die Luft werden wir beherrschen, den Schoß der Erde werden sie uns aufreißen, dass sie uns alle Kostbarkeiten gibt, alle Wasser werden wir mit ihr durchfurchen und endlich wird sie uns hinaustragen zu den Planeten, die heute nur von fern uns schimmern! Milliarden Kurbelwellen werden für uns sich drehen, und die Arme werden frei sein von harter Arbeit!“ Es ist, als hätte Felix Voß vergessen, dass Menschen um ihn sind, und es ist, als stünde er in einem Dom, hingerissen von Andacht und Verehrung. Er hebt die Arme hoch, und es ist, als würde er beten. »Maschine! Götterwort! Diener uns aus Stahl und Eisen, Diener uns aus unserm Geist!“
Andächtig stehen Tyß und die anderen vor ihm, der sich zu dem Roboter wendet und ihm mit jäher Gebärde zuruft: »He du, da her zu mit!“
Ein leichtes Glühen schießt in die harten Augen, dann hebt der Roboter die Füße und kommt mit schweren Schritten auf Voß zu, der ihn mit großen Augen erwartet und um den sich, als suchten sie dort vor etwas Großem, unwirklichem Schutz, die anderen scharen.
Wie ein Soldat bleibt der Roboter knapp vor seinem Herrn stehen, der ihm ruhig eine Hand auf die breiten, wie gepanzerten Schultern legt und dann auf die anderen sieht.
»Den einen haben wir, aber das ist nichts! Erst wenn wir tausend, hunderttausend vor uns stehen haben werden, Millionen, dann ist das Werk getan! Dann wird diese arme Welt wieder das Paradies, das sie einmal …“ er lächelt, »vielleicht gewesen ist!“ Er macht eine Sekunde Pause und fragt dann mit Wärme in der befehlenden Stimme: »Kind meines Geistes, nicht der Lenden, wer ist es, der dich schuf?“
Mit einem Ruck fährt die Rechte des Roboters vor, als wolle sie auf Voß weisen.
»Voß, das Gehirn, der Herr der „Gigantik“ ist es, der mich schuf!“
Die Augen des Meisters leuchten wie nach einem Sieg, und er ruft schnell: »Und er ist dein Herr und Meister?“
»Mein Herr und Meister!“ antwortet der Roboter und neigt sich dabei vor, als verbeuge er sich.
»Und wie dein Name?" fragt Voß weiter.
»Mars! Mars ist mein Name!“
»Gut!“ ruft Voß freudig, »und nun zurück, bis ich dich wieder rufe! Zurück, und was dir fehlt, das wird dir werden, Mars! Dein Schöpfer, ich, ich werde dich vollenden, bis du vollendet bist!“ Mit weitem Blick sieht Voß dem Roboter nach, der sich langsam zu seinem Platz zurückbegibt, und wendet sich dann zu seinem Sohn:
»Ich geh’ durchs Werk … und du?“
»Ich habe hier zu tun … aber“, er zögert und scheint zu überlegen, sagt dann aber fast heftig: »Ja, ich wollte nochmals fragen, sollen die Leute wirklich gehen? Es sind alte Arbeiter unter ihnen!“
Voß zieht die Stirne in Falten. »Ja, ja, die Sache ist doch schon erledigt! Sie sind überflüssig!“
»So? Überflüssig? Für dich! Und was sollen sie tun? Weißt du das auch vielleicht?“
»Ich weiß es! Sie sollen an die Baustellen, es wird gebaut, dort ist ihr Platz !“
»Sie sind also?“
»Jawohl, sie sind entlassen! Wer Arbeit sucht, der wird sie finden! Mir wird der Tag zu kurz! Wir gehen jetzt! Ja“, sein Blick fliegt durch die Glaswand und Maschinenhalle nach, links, wo sich in leichten, bergan steigenden Wellen blühende Felder dehnen und sich ein alter Bauernhof an die weiße Mauer der Gigantik fast anschmiegt. Er sieht hin, und sein Blick wird hart und eisern. »Das dort ist wichtiger! Wann endlich wird er verkaufen, der – Bauer? Der Bauer an der Gigantik, der Bauer zwischen Stahl und Eisen, war er nicht hier?“
Robert Voß schüttelt den Kopf, und es ist, als wäre er selbst der Bauer.
»Verkaufen? Er wird nicht verkaufen, Vater, und er wird nicht kommen! Ich glaube es nicht, und ich begreife es!“
»Und ich“, seine Stimme wird drohend. »ich sage dir, er wird verkaufen! Er muss! Ich kreise ihn ein mit Kolben und Turbinen! Ich schlinge ihm ein Netz aus sichern Drähten um den Hals, in dem er bleibt!“ Er lacht etwas verächtlich auf. »Der Alte ist verrückt, ich muss und will vergrößern, Maschinen herstellen, und er, er melkt die Kuh! Also, ist das nicht Witz, die Kuh hier sozusagen unter meinen Dynamos und Maschinen! Na, gut, ich kann noch warten, nicht lange zwar, doch er wird kommen!“ Er nickt Robert etwas nachlässig zu und winkt den Ingenieuren. »Wir gehen, los, meine Herren!“
Stumm und starr wie der Roboter steht Robert Voß, dann geht er langsam zur Seite und bleibt vor dem Maschinenmenschen stehen, dessen Augen in der Dämmerung zu glühen scheinen. Scheu, wie zögernd legt er ihm eine Hand auf die Schulter, und als er spricht, ist es, als würde er zu sich selbst reden.
»Dich also nennt er sein Kind aus seinem Geist, wie mich eins aus seinen Lenden! Dich aber liebt er mehr … nein …“ seine Stirne furcht sich, »dich liebt er … dich! Du bist aus Stahl und Erz, aus tausend Rädern, aus Spulen, Stiften …“ Er öffnet mit zögernden Händen die Brust und Stirnwand, und sein Blick bohrt sich tief in den Roboter, »… du hast Hirn aus Glas und funkelndem Quecksilber und Metall … bist kalt und leblos und dennoch lebst du … sollst dennoch mir Bruder sein, und denkst, denkst, denkst … nicht so wie ich, aber du denkst!“ Er streicht wie mit hilfloser Gebärde über das glatte Gesicht und fragt dann leise, als sollte es sonst niemand hören: »Und wer bin ich …?“
»Bist Robert Voß, der Sohn des Herrn der „Gigantik“, der Sohn …“
»Der Sohn!“ Robert sagt es so langsam und ohne Stimme, dass es wie ein Echo klingt, »der Sohn! und du, du Stahlhaut, du Draht! Du Mikrophon! Du Kabel! Du Spuk du, in dieser kalten, armen Zeit aus Stahl und Eisen, Glas und Erz, wer bist denn du?“
Langsam bewegen sich die Lippen, die beiden Arme heben sich, und die grünlich schillernden Augen sehen in die Ferne.
»Dein Diener, Herr, Roboter bin ich dir, dein Sklave!“
Wie ein leichter Schleier legt sich die Dunkelheit über das Konstruktionsbüro und wie Licht aus einer anderen Welt der bläuliche Schimmer des Neon-Lichtes, das aus der Maschinenhalle herüberflutet.
Mit großen, fast unwirklichen Augen steht Robert Voß vor dem Roboter, dessen Schatten schwer, wie körperlich, niederfallen, und fragt leise, dringlich: »Und wie ist dein Name, Sklave, wie?“ Eine Sekunde zögert der Roboter, dann neigt er sich langsam gegen den Mann vor, der klein vor ihm steht, und sagt wie flüsternd:
»Mors heiße ich, Mors ist mein Name!“
Otto Sorge sieht sich in der kleinen, aber sauberen Wohnküche seiner bescheidenen Wohnung um, als müsse er sich erst wieder zurechtfinden, legt die Hand auf die Lehne des Rollstuhls, in dem seine getreue Gefährtin, der vor vielen Jahren einmal eine Maschine die Beine verkrüppelte, das Leben verbringt, wischt dann mit der anderen Hand über den Tisch, um den die jüngeren Freunde sitzen, und nickt Paul Kempe, der ihm zunächst sitzt und dessen Augen unruhig leuchten, wie beruhigend zu.
»Ja, ja, Paul, es ist schwer, man sollte meinen …“
»Nee, nichts zu machen, ich renne von Baustelle zu Baustelle und sage, Mensch, da muss doch wohl Arbeit sein, nicht, wo doch jetzt egal gebaut wird, nicht? Die Straßen lang stehen die Gerüste, und wo du hinguckst, buddeln sie die Erde auf … also, denke ich mir, da muss doch mal wo Arbeit für Paul Kempe sein, “aber nichts zu wollen …“
»Hm …“
»Nee, Vater Sorge, da ist nichts zu erben für mich! ›Was, Arbeit willst‹, sagt der Polier zu mir, ›Arbeit bei uns? Mensch, du hast wohl einen Vogel … nicht?‹«
›Was, Vogel‹, sage ich, ›da wird ja doch gearbeitet, nicht? Der Voß, der hat uns doch gesagt, jetzt mit den neuen Ziegelmaschinen wird gebaut, wo doch die Ziegel und so, billiger sind, nicht?‹
›Klar‹, sagt der Mensch, ›es wird egal gebaut, hast ja Augen im Kopf, Junge, das siehst doch wohl, dass da gebaut und nicht gebuttert wird.‹
›Also‹, sage ich, ›da muss dann doch auch Arbeit sein, nicht?‹
›Ist auch‹, sagt der Lapps und sieht mich schief an, ›oder glaubst du, das geht von alleine, Mensch?‹
›Na also‹, sage ich, ›dann gibt es wohl Arbeit, nicht?‹
›Gibt es, aber nicht für dich! Da sind wir versorgt, und überhaupt, siehst du nicht, dass wir da vorneweg Maschinen haben, Mensch? Oder‹, weißt, Sorge, da bekiekt er mich so schief, ›kannst du da mit ... kannst du so mit einem Zuck einen Zentner in die Luft schmeißen, was? Oder die Ramme da in die Erde wuchten, kannst du das?‹
Ich sah mir das an und Leute, da bleibt mir egal die Spucke weg, und dann sage ich, ›nee, Mensch, das kann ich nicht, ich bin keine Maschine nicht, was?‹
Da lacht der Kerl und sagt, ›tja‹, sagt er, ›das ist es eben, das bist du nicht, und so können wir dich nicht einstellen …, denn sonst geht nichts vom Fleck!‹ Und so ging es mir, wo ich um Arbeit ankam; sie bauen, das ist richtig, da hat der Voß ja nicht gelegen, aber wie bauen sie?“ Paul Kempe springt auf und stemmt die harten Hände auf den Tisch, als wolle er ihn in die Erde rennen, »wie bauen sie, Leute, wie, Sorge?“ Er schlägt auf die Platte. »Mit Stampfmaschinen, Rammen! Mörtelmaschinen! Mit Aufzügen für die Ziegel, Schottermischer und so Zeugs … ja, meine Leute, da können wir nicht mit, da geht uns der Atem aus, aber die Maschinen, die schaffen’s, schaffen’s leicht …“
Fitze, der neben Kempe sitzt, reckt sich etwas höher und sieht Kempe an.
»Da wächst so ein Bau schneller als mir der Bart! Stock um Stock.“
Kempe verzieht den Mund.
»Klar, Mensch, klar, die Maschinen schaffen‘s! Stell’ eine hin, gieß ihr Benzin und Öl ins Maul oder Holz, reiß einen Hebel rum, und sie legt los, dass du dein Maul aufreißt …“
»Tja“, Bolke kratzt sich den runden Kopf und schüttelt ihn nachdenklich, »tja, aber man soll doch leben, nicht? Man muss doch leben?!“
Paul Kempe wischt erregt über den Tisch, als lösche er etwas aus, und seine Augen werden um Schatten dunkler. »Wir, wir saufen kein Benzin, und wir, Leute, sind nicht aus Stahl und Eisen … unsereiner ist ein Mensch! Da“, er greift sich an den Kopf, als wolle er sehen, dass er noch da ist, »da ist ein Kopf und da ein Hals, die Brust, der Bauch, der Magen nicht zu vergessen“, er lacht bitter auf, »und da sind Schenkel, Beine und Füße, und da drinnen“, er schlägt sich fest an die Stirne, »da sind Gedanken, da ist das Gehirn, und da drinnen“, er greift sich an die Brust, »da ist ein Herz!“ Er schweigt eine Sekunde und sieht um sich. Dann springt er auf, und seine Stimme wird lauter, dröhnt indem kleinen Raum: »Da ist ein Herz, jawohl, und Blut ist da, richtiges Blut! Bald ist es lau, so lau nur, bald aber ist es heiß, Leute, so richtig heiß …“ Er hält etwas inne, als müsse er sich sammeln, und spricht dann schnell weiter: »Und Blut“, seine Augen sehen wie verlangend in die Ferne, so, als sähe er dort etwas, was ihn hinreißt, hinzieht, »Blut, das heißt Liebe, eine Frau, jawohl … eine Frau, das brennt und reißt und glüht und jagt im Blut, Leute; da sitzen tausend Dinge, im Menschenblut! Es ist eben kein Benzin, kein Öl, kein Gas, es ist nichts als Blut!“ Er wischt sich langsam über die heiße Stirne und die brennenden Augen. »Und das sind wir, Leute, wir, die wir da sitzen, und das sind die Maschinen und Motore aus Stahl und Eisen, Nickel, Kupfer mit Kurbelwellen, Stangen, Rädern! Mit Kugellagern,Widerständen, Bolzen, Scheiben, mit Schieborn und Exzentern, Kolben, Vergasern und Ventilen – wo aber ist das Blut? Wo aber ist das Herz und Hirn, die Not!? Nichts haben sie, kein Blut und nichts und keine Pein, nichts als nur Öl, Benzin und Gas! Schütt’s ihnen nur ins Maul, und sie geh’n los, solang du willst, und schaffen tausendmal mehr als du, du Mensch …“
Der alte Sorge weiß nicht, was er sagen soll. Was der da sagt, das ist so neu wie eine andere Welt und doch auch wieder so vertraut, als hätte er es schon immer gewusst. Was der da sagt, ist so wahr wie das Leben und doch wieder, das fühlt er mehr, als dass er es sagen könnte, auch wieder nicht wahr.
Dass er keine Arbeit findet, der Paul, das ist wahr und schlimm, denn wie soll er die Ida, seiner Schwester Kind, heiraten, die sie zu sich genommen haben, und wie soll er leben, wenn er nicht arbeitet? Tja, das ist richtig, aber wieder auch nicht richtig, denn warum haut er immer auf Voß los? Einmal war es sein Herr, und jetzt, wo er invalid ist, sieht er noch immer nach ihm. Ein guter Herr! Maschinen baut er, das ist wohl richtig, aber tun das nicht andere auch? Finden nicht andere auch Arbeit? Redet er nicht zu viel, der Paul? Ist ja ein guter Junge, aber auf den Voß soll er nicht losgehen, auf den nicht, der hat einen Kopf und, aber das kann man dem Paul nicht sagen, sonst geht er hoch, es ist ja doch so, dass die Maschinen Arbeit bringen. Vielleicht auch nehmen! Er seufzt, man findet sich eben nicht mehr zurecht in dieser Welt, er nicht mehr! Vielleicht die Jungen, die sind ganz anders als er! Du lieber Gott, ist eben eine andere Zeit, und wenn er nur Geduld hat, dann wird der Paul auch noch Arbeit finden, auch die anderen! Dann kann er die Ida nehmen und mit dem Schwätzen aufhören, das tut doch nie gut! Er sieht von einem zum anderen, aber wie er in die starren, etwas verkrampften Gesichter sieht, da weiß er wieder nicht, was er sagen soll, und so murmelt er nur unsicher:
»Ja, die Maschinen … da können wir eben nicht mit, da nicht …“
Die alte Mutter, die an ihren Rollstuhl gefesselt ist wie eine Schnecke an ihr Haus, streicht sich eine weiße Haarsträhne aus der Stirne und fragt, als glaube sie, Antwort bekommen zu können, richtige, vollgewichtige Antwort: »Und soll das so weitergehn? Ehe die Maschine mich kaputt riss, konnte ich arbeiten, soviel ich wollte … und das habe ich getan, nicht wahr, Sorge?“
Der Alte fährt mit zärtlicher Gebärde über den mageren Arm.
»Das hast du, Mutter, das hast du wohl getan!“ Die Alte lächelt, und die Erinnerung zündet die müden Augen mit lichten Feuern an.
»Als Kind mit zehn Jahren musste ich schon in die Fabrik, mit dreizehn stand ich an einer Kattunmaschine, jawohl, mit dreizehn schon …“ In ihrer Stimme zittert der Stolz des arbeitsreichen Lebens. »Und Maschinen gab es auch zu jener Zeit schon, Leute … viele gab’s, aber auch Arbeit, nicht gut bezahlt, aber doch Arbeit und darum auch Brot! Warum soll es das jetzt nicht mehr geben? Das geht vorbei, sicherlich geht’s vorbei!“
Paul Kempe schüttelt erregt den Kopf.
»Das will ich schon erleben, ich bin zu jung zum Feiern! Mit dreißig muss man schaffen können!“ Fitze nickt ihm zu.
»Das ist es, Kempe‚ arbeiten dürfen, arbeiten!“ Sorge, der nur den Wunsch hat, dass Kempe sich beruhigt, schiebt ihm Tabak hin.
»Ist ja auch begreiflich, Leute, aber ihr werdet nicht umsonst warten! Seht doch mal an, was geschafft wird! Ist ja wunderbar, aber auf einmal können Sie's nicht schaffen, aber es kommt, Leute, es kommt, ich sage es euch, sie holen euch, und dann geht’s los!“
Ehe er weitersprechen kann und Kempe, der an seinen Lippen hängt, als könne von dort Arbeit kommen, sich eine Pfeife stopt't, wird die Türe aufgerissen, und Ida springt in das Zimmer, dass der Wind jäh die Zeitungen, die am Tisch liegen, zu Boden fegt. Und wie sie hereintritt, ist es, als würde ein jähes Feuer angezündet. Es ist nicht sicher, ob es von ihren Augen herleuchtet, die bald grau, bald grün wie Malachit strahlen, wie Fackeln lodern und flackern, oder von ihrem Haar! Es ist dunkelbraun, halblang geschnitten und fließt weich und in natürlichen Wellen um den Kopf; und im Braun flimmert und glitzert es kupfern, als würden Sonnenstrahlen blitzschnell dahingleiten, als leuchte flüssiges Kupfer unter laubbrauner Decke gefährlich hervor. Oder vielleicht kommt das seltsame Feuer, das Ida anzündet, von ihrer blassweißen Haut, über der ein unwirklicher Hauch von Rosa liegt, einem Rosa wie auf Pfirsichblüten – oder aber vielleicht von ihren vollen, roten Lippen, dem kräftigen Mund – oder kommt es von den. runden Schultern, der nicht allzu großen Gestalt, der Brust, die wie verlangend vordrängt? Das Feuer ist da, und es ist wie ein Funke, der auf staub dürres Laub fliegt, er zündet, reißt Kempe hoch und die anderen, die, als sähen sie Ida zum ersten Mal, sie starr ansehen.
Kempes Hände fahren halb hoch, er macht einen Schritt ihr entgegen, sie aber nickt ihm kaum zu, sieht über die anderen fort, als wären sie nicht da, und sagt schnell, wie gejagt:
»Ich bin entlassen … ich und fünfzig andere … aus …“
Anna Sorge versucht, sich im Rollstuhl aufzurichten, gleitet wieder zurück und fragt hilflos:
»Aber warum denn, Mädchen? Warst du vielleicht, ich meine ungebührlich? Du bist manchmal so …“
Ida zuckt verächtlich mit dem Mund.