Katastrophe 1940 - K. L. Kossak-Raytenau - E-Book

Katastrophe 1940 E-Book

K. L. Kossak-Raytenau

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Beschreibung

Krieg? Nein! Der kommt nicht infrage. Nicht nur, dass der Krieg offiziell geächtet ist — das hätte nicht viel zu bedeuten, denn es vergingen ja kaum einige Jahre ohne Krieg irgendeines Starken gegen einen Schwachen. Hatte nicht die Union erst vor kurzer Zeit Nicaragua eingesteckt — Pardon — wegen fortwährender Unruhen und angeblicher Misswirtschaft gewissermaßen in Schutzhaft genommen. Also, Krieg wäre schon möglich, aber er will keine rohe Gewalt, keine Schlachtopfer, er will den Gegner mit der Stärke seines Gehirnes niederringen, entwaffnen, das erreichen, was seit zwanzig Jahren in diesem Zimmer erstrebt, aber nicht erreicht wurde: Deutschlands Freiheit!

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Seitenzahl: 536

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Katastrophe 1940

 

 

 

K. L. Kossak-Raytenau

 

 

 

Verlag Heliakon

 

Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon

Titelbild: Pixabay (BarbaraALane)

 

©2023 Verlag Heliakon

www.verlag-heliakon.de

[email protected]

 

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Inhaltsverzeichnis

Titelseite

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

XIII.

XIV.

XV.

XVI.

XVII.

XVIII.

XIX.

XX.

XXI.

XXII.

XXIII.

XXIV.

XXV.

Epilog

 

 

 

I.

Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Dr. Friedrich Wessel, erhebt sich von seinem Parlografen und zieht das nach seinem Diktat selbsttätig beschriebene Blatt heraus. Er hat in Vertretung des schwer erkrankten Außenministers für den morgigen Neujahrsempfang beim Reichspräsidenten die Rede vorbereitet. In Anbetracht der politischen Lage, des wenig liebenswürdig verlaufenen Jahres 1959 — in 24 Stunden ist es zu Ende — eine heikle Aufgabe!

1937, 38, 39! Drei Jahre ist er schon Staatssekretär. —

Harte Striche stehen zwischen den etwas verschleierten grau-blauen Augen des erst zweiundvierzigjährigen. Zwei tiefe Rinnen springen von der geraden, starken Nase zu den Mundwinkeln und machen sein Gesicht älter. Aber der frühere Meisterreiter und Fechter fühlt sich mit seinem schlanken, trainierten Körper jung, oft viel jünger noch, als er ist, und es muss schon allerhand kommen, bis sich seine Nerven melden.

Er gilt als der beste Diplomat des Kontinents, als der Diplomat. Vor vier Jahren hat er als Führer einer deutschen Delegation den als schlau bekannten polnischen Unterhändler glatt überspielt und das erste Ostabkommen nach Hause gebracht, das die Zwangsverträge wenigstens teilweise korrigierte und Deutschlands Lage gegenüber Polen erleichterte. Dieser Schachzug hatte seinen Ruf begründet.

Kein Zufall, dass er trotzdem noch nicht Außenminister ist! Er hielt sich noch zurück, wollte sich nicht abnutzen lassen im Parteigezank, das schon so manchen verbraucht hatte.

Er fühlte, dass sein e Zeit noch nicht gekommen war.

In den Kabinetten aber rechnete man mit ihm. In Tokio, Nanking, Moskau, Stockholm hatte er gearbeitet, und dort saßen Freunde. Verbündete von ihm. Seine Ferien verbringt er deshalb auch möglichst weit fort von Berlin!

In Moskau zum Beispiel!

Er ist ein begeisterter Freund Russlands! Des neuen Russland!

Den Zusammenbruch der Bolschewikenherrschaft hat er als Legationsrat in Moskau miterlebt!Ein Wunder, dass er dem Blutbad, das die Roten vor ihrem endgültigen Sturz noch anrichteten, entkommen war!

Oder er reist nach Japan. Ganz inoffiziell natürlich. Aus Leidenschaft für den Osten, für die See. Aus Leidenschaft für den Fischsport reist er nach Schottland oder Tirol. Ganz harmlos. Er ist eben durch und durch Sportsmann …

Die Kugel, die ihm einige Monate nach dem Ostpakt in Garmisch während einer Skipartie in die Schulter fuhr, war allerdings ein peinlicher Beweis dafür, dass man hier und dort seine sportmännische Betätigung auch anders einschätzte! Wer ihn damals zur Strecke bringen wollte, kam nie heraus. Eine Dame aus der Gesellschaft, die geflissentlich seine Nähe gesucht hatte, die Doktorin der Medizin, Lydia Koronska aus Warschau, wurde wohl stark verdächtigt, aber beweisen konnte man ihr nichts!

Seit dieser Zeit trug er eine Waffe bei sich. Er liebte sein Leben, denn er brauchte es. Nicht so sehr für sich als für sein Land.

In dem glatten, harten Schädel, auf dem nur recht spärlich Haare wuchsen, formten sich gigantische Pläne.

Wessel wirft einen Blick auf die riesige Weltkarte an der Wand seines Zimmers.

Die roten Linien, die Deutschlands Grenzen bilden, springen jäh in die Augen.

Er kennt sie genau, besser wohl als jeder Kartograf, könnte sie peinlich richtig nachzeichnen, aber er will sie nicht nach-zeichnen, er will sie um-zeichnem

Seit Jahren lauert er auf diese Stunde!

Sein Vater, in Flandern als Oberst zum Krüppel geschossen, hat ihn dazu erzogen. Was der Vater nicht mehr erleben konnte, Deutschlands Aufstieg aus tiefster Erniedrigung — der Sohn sollte es. Der sollte ein Freies, ein wieder erstarktes Deutschland kennen!

Und so lauert er auf diese Stunde, lauert wie ein Raubtier, geduckt zum Sprunge, die Muskeln gespannt.

Krieg? Nein! Der kommt nicht infrage. Nicht nur, dass der Krieg offiziell geächtet ist — das hätte nicht viel zu bedeuten, denn es vergingen ja kaum einige Jahre ohne Krieg irgendeines Starken gegen einen Schwachen. Hatte nicht die Union erst vor kurzer Zeit Nicaragua eingesteckt — Pardon — wegen fortwährender Unruhen und angeblicher Misswirtschaft gewissermaßen in Schutzhaft genommen. Also, Krieg wäre schon möglich, aber er will keine rohe Gewalt, keine Schlachtopfer, er will den Gegner mit der Stärke seines Gehirnes niederringen, entwaffnen, das erreichen, was seit zwanzig Jahren in diesem Zimmer erstrebt, aber nicht erreicht wurde: Deutschlands Freiheit!

Und er kennt das Brett des politischen Spieles, und er will, wenn irgend möglich, die Partie bald beginnen. Einem Mann musste es ja gelingen, einer musste ja kommen und das große Werk vollbringen — konnte nicht er dieser Eine sein?

Aber nicht nur diese roten Grenzstriche mussten verschwinden — alle diese Linien auf der europäischen Karte gehörten ausgelöscht! Alle!

Er tritt an die Wand heran.

Ein Gewirr von Staaten, ein Mischmasch von Grenzen, eine Palette von Farben … die Landkarte von Europa! Wie ein Lumpenkittel von bunten Fetzen! Und darunter Hass, Neid, Eifersucht, Unruhe, glimmende Flammen, lauernde Gase!

Europa!

Er tritt an den Tisch und überfliegt noch einmal den letzten Absatz seiner Rede, die der Reichspräsident morgen an das diplomatische Korps richten wird.

Man soll Deutschland endlich Ruhe und Frieden geben, arbeiten lassen! Der Dawes-Plan — ein Gott — wie lange ist das schon her — war gescheitert! Der Zwangplan, den allzu leichtgläubige Gemüter zum Unheile Deutschlands unterfertigten, musste kassiert werden. Nach fünf Millionen Arbeitslosen, Hungerkrawallen und Aufständen hat er sich fast von selber erledigt!

Das Hoover-Loucheur-Mumm-Abkommen — ein Irrtum, der im Winde zerflatterte.

Die große Deklaration von Salzburg — ein Irrsinn wie alles vorher. Alles zwecklos, alles unerfüllbar.

Die Folgen? Mord, Totschlag, würgende Arbeitslosigkeit, Armut und Verzweiflung im Reiche — Frankreich ein geruhsamer Rentnerstaat, Amerika im Überfluss!

Amerika im Gold schwimmend, Frankreich übermütig mit seinen afrikanischen Trabanten und europäischen Vasallen — und Deutschland ein Knechtsstaat, auf Generationen tributpflichtig, versklavt durch brutale Gewalt, Betrug, Heuchelei und Lüge!

Und die Franzosen denken heute ebenso wenig wie vor 20 Jahren daran, die Kohlengruben des Saargebiets restlos herauszugeben!

Deutschlands Schuld — wie immer! Warum weigerte es sich denn auch kürzlich noch, die deutsche Zivilluftschifffahrt wieder unter französische Kontrolle zu stellen:

Und England? Was war aus dem einst so stolzen Albion geworden! Im Schlepptau Amerikas sucht es seine wankende Macht zu halten! Furcht vor dem mächtigen Frankreich lässt Sympathien für Deutschland, die offenbar in der breitesten Masse des Volkes vorhanden sind, nicht laut werden.

»Oh, es ist kein Vergnügen, ein deutscher Staatssekretär des Äußeren zu sein!«, murmelt Wessel, als er die Rede überliest. »Wenn ich nur ein mal, morgen zum Beispiel, sagen könnte, was ich mir denke! Dieser illustren Gesellschaft sagen könnte, wie kindisch dieses europäische Gezänk ist, dieser ewige Kuhhandel, dieses Feilschen, Erpressen, diese Nadelstiche in Form mehr oder minder höflicher Noten, diese Bosheiten, Forderungen unter Hinweis auf den sagenhaft alten und doch so lebendigen Vertrag von Versailles —, ach, wenn ich ihnen nur einmal sagen könnte, wie komisch ich diese Sitzungen in Genf finde, diesen Völkerbund, diese Beschlüsse, an die sich niemand bindet, der nicht will, wie lächerlich dies alles wird und wie katastrophal es sich auswirken muss!« Die vollkommene Einigung Chinas unter Tschang-Lu, die Erstarkung der indischen Bewegung, die fortschreitende Organisation der Afrikaner, der Südamerikanische Staatenbund und nicht zuletzt die grausame Tatsache, dass Amerika, dass die Union zu vierzig Prozent bereits Teilhaber der Wirtschaft des Europäischen Kontinents ist — Wessel lacht auf: »Bagatellen für Leute, die seit 20 Jahren mit dem Wortspiel Paneuropa jonglieren! Und was geschah inzwischen?« Seine Gedanken irren umher:

In Berlin sitzen acht amerikanische Generalmanager und kontrollieren mehr als die halbe deutsche Industrie! In Paris sitzen fünf. In London sechs. In Wien, Warschau und Prag je drei. In Belgrad, Sofia und Bukarest je zwei. Die europäischen Staaten sind fast nicht mehr als riesige Filialen des amerikanischen Kapitals. —

Die Eisenbahnen in Deutschland, Polen, Österreich, der Tschechei, von Bulgarien und Jugoslawien werden von amerikanischen Gesellschaften kontrolliert.

Der Welsenschatz liegt in den Vitrinen des Fetthandlers Gould. Raffaels Sixtinische Madonna ist in dem Hungerjahr 1933 aus der Dresdner Galerie in das Palais des Ölkönigs Shermann übersiedelt, um hunderttausend deutsche Kinder vor Siechtum zu bewahren.

Die Rembrandts des Wiener Kunsthistorischen Museums hängen in einigen Palais der Fifth Avenue.

Musste man nicht endlich Schluss machen?

Ach, Europa zankte sich um Fetzen und abgenagte Knochen seiner Macht und sandte Tag um Tag die letzten Reste seiner kostbaren, unersetzlichen Schätze übers Meer — für immer und um ein Butterbrot. Um Corned beef!

Er aber, Friedrich Wessel, Staatssekretar des Auswärtigen Amtes, konnte nicht sprechen, nichts sagen, gerade er musste schweigen — noch schweigen!

Ja, im Gegenteil, gerade er musste vorsichtig sein! —

Nun, dieses Jahr ist so gut wie zu Ende!

Schlecht genug ist es gewesen, es ist nicht schade darum!

Eine blau aufglühende Lampe reißt Wessel aus seinen dumpfen Erinnerungen. Er legt einen kleinen Hebel auf einem Schaltbrett um, und aus der Scheibe des Teleradiovisors. des Fernsehsprechapparates, erscheint sein Freund und Mitarbeiter, Geheimrat Dr. Johann Berg.

»Entschuldige, dass ich störe, aber Stolz, Mexiko City, ist am Haupttele und verlangt dich!«

»Mich? Heute am 30. Dezember!« Er lacht. »Will er mir vielleicht ein glückhaft Jahr 1940 wünschen?«

»Ich glaube nicht! Er sieht höchst aufgeregt aus und funkt Code!«

»Oh, da riecht etwas brenzlich! Komm doch bitte zu mir. Cluse und Groß sollen zum Chiffrieren und Klarmachen sofort in die Funkbude.«

Dr. Berg verschwindet von der Scheibe und nach wenigen Minuten tritt er ins Zimmer seines Chefs.

»Apparat klar!« meldet er und kommt zum Schreibtisch.

»Ich habe noch den Auftrag gegeben, quer zu funken und zu stören, man kann nicht wissen, und es schadet sicher nicht.«

»Gut, mein Lieber. Sie sollen uns nichts fischen. Und nun los, werden gleich sehen, was uns Stolz serviert.«

Mit der Ausgestaltung der deutschen Erfindung, des Teleradiovisors, der Bild und Stimme auf beliebige Entfernung in vollkommener Klarheit bringt, eine Erfindung, die erst in der letzten Zeit diese Stufe erreicht hatte und nur in Deutschland und seinen Auslandstationen bereits verlässlich funktionierte, war dem amtlichen, insbesondere diplomatischen Dienst — nur diesem, denn jedem Privatverkehr war der Teleradiovisor entzogen — ein ganz außerordentlich wertvolles Werkzeug für den Nachrichtenverkehr in die Hand gegeben. Freilich, es kam vor, dass trotz noch so geheim gehaltener und stets wechselnder Wellenlängen und der raffiniert angelegten Zwischenschaltungen, Koppelungen, Ab- und Umleitungen, Umschaltungen, ein Gespräch gefischt werden konnte. Es wurde daher in wichtigen Fallen nach einem Geheimcode gesprochen, der in bestimmten Zeitraum ausgewechselt oder umgestellt wurde und den zu entziffern nach menschlicher Voraussicht nicht möglich war. Im Empfangsraum wurde nach dem Gehör geklärt, übersetzt, und der deutsche Text an den richtigen Empfänger weitergegeben. Ebenso wurde die Antwort dem Sender in Code gegeben und an der anderen Empfangsstelle wieder geklärt.

Dieses Verfahren erforderte natürlich zuverlässige Männer an den Apparaten, erstklassig in technischer und menschlicher Hinsicht. Hier in der Zentrale in Berlin arbeiteten vor allem Chefingenieur Cluse, einer der Miterfinder des Apparates, Oberingenieur Groß und Chefmechaniker Jobst. Allen dreien war der Äther mit seinen Geheimnissen das Feld leidenschaftlichen Forschens. Ihre Namen waren weltbekannt. Ihre im wahrsten Sinne des Wortes „aus der Luft“ gegriffenen Erfolge grenzten an das Fabelhafte.

Jetzt sitzen sie vor den Röhren, Sendern, Schaltern und Tafeln und warten auf das Zeichen Wessels.

Ein grünes und ein blaues Licht flammen auf. Jobst schaltet ein, und auf der Scheibe erscheint das Bild des deutschen Gesandten in Mexiko, Dr. Werner v. Stolz.

Er sitzt am Schreibtisch und trommelt mit den Fingern.

Jobst macht einige Handgriffe, und das Bild ist nun auch gleichzeitig auf der Empfangsscheibe des Staatssekretärs zu sehen.

Cluse gibt Jobst ein Zeichen.

»Aka — de — be — zwei a — drei be.«

»Auswärtiges Berlin«, spricht Jobst in das Mikrofon, und eine Sekunde später öffnet Dr. Stolz den Mund.

»Oka — null vier, sechs — zwei.«

»Gesandtschaft Mexiko, ich spreche.«

Wessel sieht das Bild und die Mundbewegungen. Er hört den Gesandten nicht direkt sprechen, denn dessen Worte werden dort erst in Code übertragen, weitergegeben und unten bei Cluse geklärt, und er hört erst die deutsche Übertragung am Hörer.

»Guten Tag, Herr Staatssekretär! Ich melde mich zum dringenden Bericht!«

Wessel winkt mit der Hand.

»Guten Tag, lieber Doktor! Ich freue mich, Sie wieder zu sehen und zu hören!«

Dr. Stolz zuckt mit den Schultern.

»Ich fürchte, es wird Sie nicht erfreuen! Mein Geheimdienst brachte mir vor wenigen Stunden außerordentlich wichtige Nachrichten! Nein, keine Enten, sondern sicher, absolut sicher! Ich habe das Wesentliche sofort überprüft und fand, dass es stimmt. Mag sein, dass manches Detail nicht der Wirklichkeit entspricht — aber das spielt gar keine Rolle —, denn was absolut sicher ist, wird von größter Tragweite sein!«

Er öffnet eine Lade seines Schreibtisches, und gespannt sehen Dr. Wessel und Dr. Berg auf jede seiner Bewegungen.

»Also ich berichtet meine Meldung R 2033 ist doch bekannt?!«

Dr. Wessel öffnet eine Mappe, die vor ihm liegt.

»Liegt vor mir!«

»Ich muss nun hinzufügen, dass die Note von U.S.A. durch eine Klausel, deren Text ich soeben erfahren habe, wesentlich verschärft wurde!«

»Die Note der amerikanischen Regierung ist schon reichlich stark!« meint Wessel.

»Gewiss! Die Regierung der Union verlangt nun in dieser Klausel für die Ermordung der zwei amerikanischen Ölgrubenbesitzer Davis und Nord, nicht nur etliche Millionen Dollar — amerikanisch natürlich — sondern —«, Stolz macht eine sekundenlange pause, »sondern außerdem die Zustimmung zur Besetzung des gesamten Öldistriktes durch amerikanische Truppen zur Sicherung seiner Staatsbürger. Vorgesehen ist eine Division und die Stationierung von je einer Flugzeugstaffel bei Tampico und Vera Cruz. Frist der Annahme des Ultimatums — denn es ist nichts anderes — 30. Dezember 39, sechs Uhr Nachmittag!«

»Stolz, wissen Sie, was Sie da sagen?!«

»Genau, Herr Staatssekretär! Sehr genau! Gestatten Sie, dass ich weiter berichte. Agent A. F. kam heute über El paso aus U.S.A. zurück. Die Grenze ist so gut wie gesperrt. Zwei amerikanische Divisionen sind marschbereit, das achtzehnte Luftgeschwader ist hangarfrei!«

»Stolz!«

»Ich begreife, Herr Staatssekretär, aber ich verbürge mich für diese Nachrichten! A. F. ist absolut verlässlich, und alle anderen vorliegenden Meldungen sagen dasselbe! Aber ich bin noch nicht fertig. Ich habe noch weit mehr!«

»Der hiesige amerikanische Gesandte Watson überreichte heute ein weiteres Protestschreiben seiner Regierung. Die Union behauptet, Beweise dafür in Händen zu haben, dass in den letzten drei Monaten etwa achttausend japanische Soldaten und Offiziere, als gewöhnliche Arbeiter verkleidet, in mexikanischen Hafen gelandet sind und als Taglöhner und so weiter auf Haziendas leben! —

Die Regierung von U.S.A. behauptet weiter, dass in den letzten Wochen etwa fünftausend Kisten Maschinenbestandteile aus Japan in amerikanischen Hafen ausgeladen wurden — dass es sich aber nicht um Maschinenbestandteile — sondern um Maschinengewehre handle — und um Geschütze. Die Regierung von U.S.A. verlangt sofortige Untersuchung unter Kontrolle von amerikanischen Organen und jedenfalls umgehende Beschlagnahme der Sendungen!« …

Wessel schweigt. Er glaubt nicht alles. Er kann einfach nicht alles glauben. Es ist zu ungeheuerlich! Ist alles wahr, dann konnte dort drüben Krieg entstehen, ein Brand, dessen Ausdehnung nicht abzusehen war …

Stolz zieht seine Uhr.

»Es ist genau fünf Uhr. Wir haben also noch eine Stunde Zeit. Ich glaube nicht, dass dieser Konflikt … einen Moment, bitte … mein Apparat!« Er beugt sich nach rechts, nimmt einen anderen Hörer an sein Ohr und lauscht. Wessel und Berg sehen, wie sich seine Finger zu Fäusten krampfen.

Jetzt legt er den Hörer hin, aber es vergehen einige Sekunden, ehe er, außerordentlich aufgeregt, weiterspricht.

»Man meldet, dass soeben die amerikanische Gesandtschaft gestürmt, angezündet und der Gesandte Watson ermordet wurde! Das Gesandtschaftspersonal ist geflüchtet. Ein Teil ist verwundet … ein Teil wurde auf der Straße niedergemacht … Mrs. Watson ist schwer verletzt … es ist gelungen, sie dem Pöbel zu entreißen … Sie hören Schüsse … Militär geht vor, die Straßen werden gesäubert … ich sehe von hier die Flammen des Brandes in der Gesandtschaft … einen Moment, bitte … man berichtet mir Weiteres aus der Stadt!« …

Wessel und Berg schweigen. Das Gehörte, der Eindruck der Schüsse, die auf eine Entfernung von Tausenden von Kilometern an ihr Ohr schallen, ist ungeheuer.

Freilich, Revolutionen, Aufstände, das sind für Mexiko keine Neuheiten. Konflikte mit der Union ebenfalls nicht. Diese Gegnerschaft, geboren aus den reichen Ölquellen Mexikos und dem Ölhunger der Staaten, ist man gewohnt. Aber jetzt — das sah doch etwas anders aus — Gesandtenmord — und scheinbar Japan dazwischen …

Die Nachricht klang reichlich fantastisch!

Aber was hatte ihm sein Freund, Oko Kumari, damals Gesandter in Moskau, gelegentlich einer Aussprache über die großen Probleme der Weltpolitik gesagt?

»Sie warten, ich warte, Japan wartet! Der große Tag wird kommen und uns bereitfinden!«

Das waren seine Worte gewesen.

War der große Tag angebrochen?

Die Figur des Gesandten auf der Scheibe des Fernsehers wird kleiner, dafür umstehen ihn jetzt zwei Herren. Man hört sie nicht sprechen, ihre Stimmen werden abgeschirmt, aber man erkennt sie; es sind Rost und Feld, zwei Herren der Gesandtschaft.

Nun wendet v. Stolz sein Gesicht wieder den beiden zu.

»Ich setze meinen Bericht fort! Feld meldet eben, dass der englische Gesandte beim Präsidenten schärfsten Protest gegen den Vorfall im Gesandtschaftsviertel eingelegt hat. England übernimmt vorderhand die Interessenvertretung der Union. Mrs. Watson befindet sich in der französischen Gesandtschaft, die von einer Maschinengewehrkompanie bewacht wird. Auch alle anderen Gesandtschaften und Konsulate stehen nun unter strenger Bewachung. Ich …«

Pfeifende Töne schneiden seine Worte ab.

»Störungsversuche, fremde Wellen!«, meldet Cluse.

»Werde sehen, ob ich Ordnung machen kann!«

Das Bild aus der Scheibe wird verschwommen. Unklare Töne mischen sich in grell pfeifende.

Minutenlang ist Unruhe, dann wird das Bild wieder klar.

»Verbindung wiederhergestellt!«, meldet man von unten.

»Auch die anderen Gesandtschaften und Konsulate stehen unter strenger Bewachung!« wiederholt Dr. Wessel.

»Wir hatten Störung!«

»War anzunehmen! Ich sende von nun an auf X.Z. verstärkt! Setze Bericht fort: Mrs. Watson ist soeben gestorben. Amerikanischer Gesandtschaftssekretär Cox konnte sich in die spanische Gesandtschaft retten.«

»Was denken Sie zu tun, Stolz?«

»Abwarten, denke ich! Wir haben weder mit Mexiko noch mit U.S.A. Differenzen.

»Glauben Sie, dass es sich um einen der gewöhnlichen Zwischenfälle handelt?«

Stolz machte eine abweisende Handbewegung.

»Nein! Das glaube ich nicht! Ich habe hier ja schon einiges mitgemacht und kann urteilen. Die Sache ist diesmal ernst. Sehr ernst! Nach meinen Berichten ist die Lage im Ölgebiet außerordentlich kritisch. Darüber habe ich ja schon vor Monaten berichtet. Die Ermordung von Davis und Nord ist nur die Folge zahlloser amerikanischer übergriffe. Es ist nicht zu leugnen, dass die amerikanische Ölpresse seit Jahren die Annektierung des Ölgebietes verlangt. Ob aber der Konflikt von den Staaten jetzt tatsächlich herbeigeführt wurde, ist schwer nachzuweisen. Jedenfalls dürfte die Union nicht unvorbereitet sein. Ich selbst glaube, …«

Stimmengewirr im Raum, Sausen. Dann wird es plötzlich still. Das Bild auf der Scheibe ist ausgelöscht.

»Verbindung aus!« meldet Cluse.

»Was ist los?« fragt Wessel unten an.

»Mexiko Station wird von drei Seiten angefunkt! Wahrscheinlich wieder die Station auf Jamaika, die uns ausschaltet«, sagt Cluse wütend.

Gespannt blicken Wessel und Berg auf die Scheibe. Sie wissen, dass alles geschieht, um den Empfang wiederherzustellen. In der letzten Zeit hatte sich eine neue Station unangenehm bemerkbar gemacht. Cluse hatte sie einige Male angepeilt und als die neue amerikanische Marine-Großstation auf Jamaika festgestellt. Seitdem führt er einen Störungswellenkampf gegen sie.

Jetzt zucken Schatten über das matte Glas und plötzlich sieht man wieder Stolz. Aber nun sitzt er nicht mehr am Schreibtisch — er steht, und man merkt deutlich, dass er sich in großer Erregung befindet. »Setze fort!«, sagt er nur.

Er atmet schwer, und es dauert einige Sekunden, ehe er weiterspricht.

»Die Stadt ist in Aufruhr. Die Forderungen der Staaten sind allgemein bekannt geworden. Das Volk ist nicht zu halten. Im Ölgebiet zählt man jetzt schon an die hundert tote Amerikaner, und viele Hunderte sind verwundet. Es kommt zu regelrechten Gefechten bei den Ölcamps, die von den Amerikanern, wie sich jetzt herausstellt, zur Verteidigung eingerichtet sind, und zwar ziemlich gut, denn es treten auch Maschinengewehre in Aktion. Die Verluste der Mexikaner, es handelt sich nicht um reguläre Truppen, sondern meist um Banden, um Indus, sind außerordentlich schwer. Einige Camps sind von den Angreifern umzingelt. Bohrtürme und Verwaltungsgebäude sind an mehreren Stellen in Brand gesteckt. Die Aufständischen verschonen merkwürdigerweise die englischen Camps vollständig, ihre Wut richtet sich nur gegen Amerika. Trotzdem sind unter den Toten auch Englander. Es ist …« Die Türe seines Arbeitszimmers wird ausgerissen und Legationsrat Rost stürzt zum Schreibtisch. Man sieht, wie Dr. Stolz die Hände wie abwehrend vor sein Gesicht hält. Stockend und erregt klingt jetzt seine Stimme:

»Meldung unserer Gesandtschaft in Washington kommt eben durch. Mexikanischer Gesandter Pedro Vida in Washington wurde vor dem Weißen Haus von einem Amerikaner erschossen. Die Staaten haben der mexikanischen Regierung gefunkt, dass sich die Union jede Entscheidung vorbehalte. Man fasst dies hier als Kriegsdrohung auf. Es laufen bereits Gerüchte um, amerikanische Truppen seien angewiesen, die Grenze zu überschreiten. Ein Luftgeschwader soll angeblich Nagalis mit Brandbomben belegt haben … wir müssen Bestätigung dieser Nachrichten abwarten … Vorläufig glaube ich nicht daran … Ich bitte mich jetzt zu entschuldigen, wir haben tausende Landsleute im Ölgebiet …«

Wessel antwortet ruhig, fast gelassen:

»Ich danke Ihnen, Stolz! Halten Sie uns weiter auf dem Laufenden. Vermeiden Sie peinlich nach einer Seite hin als parteiisch zu erscheinen.«

Er grüßt mit der Hand.

»Gespräch mit Oka — null — sechs — zwei beendet!« ruft Dr. Berg den Funkraum an, und Jobst spricht in den Sender:

»Aka — de — be —zwei a — drei be — strich null!«

»Auswärtiges Berlin schließt!«

»Strich — oka —— null vier!«

»Verstanden, Gesandtschaft Mexiko!«

Wessel und Berg sehen sich wortlos in die Augen.

Langsam nimmt der Staatssekretär das Konzept der Neujahrsrede vom Tisch.

Und liest:

»Die Regierung des Deutschen Reiches, unablässig bestrebt, das kostbarste Gut der Menschheit, den Frieden zu bewahren, ist glücklich, feststellen zu können, dass bis auf kleinere Vorfälle, die sie allerdings lebhaft bedauert, der Weltfriede auch im abgelaufenen Jahr nicht ernstlich gestört wurde.

Die Regierung des Deutschen Reiches gibt sich der Hoffnung hin und glaubt sich darin mit den hohen Regierungen, die Sie, meine Herren, vertreten, eines Sinnes, wenn sie annimmt, dass das aufrichtige Bestreben aller, ernster als je zuvor, sein muss, zwischen den Völkern endlich jene Gegensätze zu beseitigen, die seit dem Ende des unseligen Weltkrieges den Weg zu jener wahren, echten Gemeinschaft der Völker verbauen, welche das Deutsche Reich mit ehrlichem Wollen und unter Aufsichnehmen und Ertragung schwerster Lasten seit nunmehr 20 Jahren erstrebt.«

»Das war der Schluss meiner Neujahrsrede, lieber Freund! Er ist nicht mehr richtig. Mir scheint, er ist überholt. Die Stunde, deutlicher und wahrer zu reden, ist gekommen …«

Er nimmt das Blatt zwischen die Finger und reißt es mit einer jähen Bewegung mittendurch.

 

 

 

II.

Der Schuss, der den mexikanischen Gesandten Pedro Vida vor dem Weißen Haus niederstreckte, war auf Tausende von Kilometern vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean, von Fort William bis Galvestone gehört worden. Radio, Telefon, Lautsprecher hatten die Tat in hundertundfünfzig Millionen amerikanische Ohren gebrüllt, und in Millionen Zeitungsblättern war kaum eine Stunde später das Bild von dem Attentat auf Pedro Vida zu sehen.

Und während der Leib des Pedro Vida in die mexikanische Gesandtschaft überführt wurde, während Donna Elisa über dem toten Gatten, der sie vor einer halben Stunde ernst, aber dennoch fröhlich verlassen hatte, niederstürzte, saß Präsident Thomas Theodor Clifton an seinem Schreibtisch und las den Brief, den der Ermordete im Auftrage des Präsidenten von Mexiko dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht mehr gebührlich hatte übergeben können. Hinter dem Präsidenten hängt das Sternenbanner. Es reicht von der Decke bis zum Fußboden und seine Farben, Sterne und Streifen beherrschen das Zimmer.

Unter dieser mächtigen Flagge erscheint selbst der große, hagere Präsident klein. Er scheint fast zu verschwinden unter dem Symbol der Macht des Staates, der Flagge, die ihn gleichsam beschirmt, aber auch drohend zur Pflicht ruft gegen das Land, das mächtigste, freieste und reichste der Erde, gegen das von Gott gesegnete Land!

Präsident Ortiba verspricht in dem Schreiben zwar strenge Untersuchung der Vorfälle in Tampico und Bestrafung der Schuldigen, auch die Zahlung einer Entschädigung — aber er bittet gleichzeitig um Verweisung der Angelegenheit an ein Schiedsgericht, da nachweislich den maßlosen Übergriffen amerikanischer Untertanen die Hauptschuld an den Vorfällen zuzuschreiben sei. Im übrigen bedauert der Präsident, die Erfüllung des Ultimatums bis zur Entscheidung des Schiedsgerichts ablehnen zu müssen.

Präsident Cliston telefoniert um ein Eiswasser. Der Mord vor seinem Haus, aber noch mehr der Ton des Briefes, den er anmaßend findet, hatten ihn doch aufgeregt. Er trinkt das erfrischende Getränk gierig und versinkt in Gedanken …

Er hat das Land da unten als Generalanwalt der Standard Oil kennengelernt. Ein Paradies ist dieses Mexiko, ein Paradies an Schönheit und eine Schatzkammer — und dabei doch bettelarm. Verkommen und verlottert!

Lediglich um Tampico hat die Macht der Standard Oil Ordnung geschaffen. Organisation, amerikanische Ordnung, aber sonst — das Volk?

Er schüttelt ernst das ergraute Haupt.

Eine Handvoll Weißer, dann Mestizen, meist faul, schlau, skrupellos, lauernd — schließlich die Indo, Indianer, Criados. Eine Horde von Lumpen.

Der Präsident ein Indianer. Clifton schüttelt missbilligend den Kopf. Ein Indianer Präsident! Und dieser Miguel Vacas? Bei Gott, ein Bandit!

Was konnte aus einem Land werden, wo Indianer Präsidenten, Banditen Kriegsminister sind?

Dumm natürlich, dass dieser Harris geschossen hat. Es ginge schöner, einfacher, lebte dieser Vida noch. So werden sie drüben ein Geschrei erheben, um so mehr, als die Tat vor dem Weißen Hause geschehen ist. Aber die Morde an Watson und Davis, an Nord gingen voran, nicht zu sprechen von den Toten in Tampico.

Diesmal musste Mexiko eine Lektion erhalten. Eine ganz energische …

Der Präsident der National City Bank hat bereits beim Staatssekretär ernsthaften Protest gegen die Beeinträchtigung der Geschäfte in Mexiko und die Gefahr umfangreicher Verluste eingelegt. Und der gute, alte Mr. Dolly von der Standard war auch schon da gewesen. Vollkommen verständlich! Die Standard hat im Öldistrikt zwei Milliarden Dollar stecken. Immerhin eine Menge Geld!

Und die National City Bank hat eine Milliarde in Mexiko-Anleihen liegen. Allerdings — es sind erstklassige Sicherheiten vorhanden, Zölle, Tabak und so weiter, aber immerhin, man kann nicht wissen! Ja, die Leute haben recht, unbedingt.

Und die Jingo-Presse! Sie tobt und fordert, wie schon so oft, Einmarsch in Mexiko.

Drei Milliarden Dollar. Standard Oil und National City! Und: Öl! Öl! Öl!

Liegt da nicht der Bericht des Federal Oil Conservation Board?

Er nimmt das Heft in die Hand und blättert, überprüft noch einmal Aufstellungen, Diagramme, Tabellen. Außerordentlich interessant.

Nein! Beunruhigend, steigend beunruhigend!

1934 eintausendsiebenhundert Millionen Hektoliter Erdölproduktion in der Union — dann das große Erdbeben Anfangs 1936 und schon ein rapides Sinken der Produktion! 1936 nur eintausendvierhundert Millionen, ein Jahr später rund eintausend Millionen und seither Stillstand, nein, eher ein Abgleiten, nicht sehr, aber immerhin!

»Es gelingt nur unter Heranziehung aller, auch der schon stillgelegten Quellen, dieses Quantum von rund tausend Millionen Hektoliter zu fördern. Ein neuerliches Erdbeben im maßgebenden Ölland kann ein plötzliches Versiegen der Quellen zur Folge haben. Es sei überdies die Aufmerksamkeit der Regierung neuerlich darauf gelenkt, dass alle Quellen, auch die reichlich fließenden, deutlich starke Ermüdungserscheinungen zeigen. Es muss unter diesen Umständen damit gerechnet werden, dass die im Lande liegenden Quellen in wenigen Jahren versiegt sind.«

So schließt der Bericht.

Ja, Mexiko!

Er blättert um und seine Züge verfinstern sich.

Unerhört, wie in diesem Land die Produktion steigt. Unerhört und doch ein Segen, denn mehr als sechzig Prozent gehen auf amerikanische Rechnung — der Rest gehört den Englandern. Leider. Diesem Mister Deterding! Engländer und immer wieder Engländer! Das musste sich auch bald ändern.

Nun, jedenfalls liefert Mexiko heute schon die Hälfte der amerikanischen Quellen, und diese können morgen versiegen. Mexiko aber birgt nach Geheimberichten der Agenten noch Dutzende von Vorkommen in sich. Milliarden Hektoliter.

Ein wundervolles Land, ein Stück Garten Gottes und nicht in Gottes gesegnetem Land gelegen!

Very pitiable!

Fünfhundert Millionen Hektoliter Erdöl liefern die Quellen dort unten — in fremder Erde!

Er entfaltet die dem Bericht beigefügte Karte der Staaten und Mexikos. Tief beugt sich sein Kopf nieder. Hier. Arizona, New Mexiko, … Texas … hm, vor hundert Jahren gehörten auch diese Staaten noch zu Mexiko — sind jetzt die reichsten der Union!

Sein harter, knochiger Finger gleitet weiter. Hier die Grenze. El Paso, del Norte, Laredo, dann am Rio Grande entlang — dann Matamoros! Wie leicht der finger die Grenze überwindet! Das ist nun schon Tamaulipas, Mexiko — und jetzt die Küste entlang — Tampico.

Das kennt er genau. Ölland, wichtiger noch als Gold, ein herrliches Land.

Tamaulipas. Fünfhundert Millionen Hektoliter Öl. Achthundert, vielleicht tausend, zweitausend Millionen! Ein Strom von Öl, ein gigantisch großes Meer, ein Ozean von Öl ruht dort schwer unter Urwald und wartet auf die Bohrtürme, auf Rohre und Pumpen, wartet seit Jahrmillionen — auf die Union!

Was geschieht, wenn morgen unsere Quellen versiegen, die früher einmal für unversiegbar gehaltenen Quellen der Union? Was geschieht dann?

Mosul — sehr fraglich —, Venezuela, Kolumbien — gewiss, außerordentlich aussichtsreich — aber diese Quellen hier liegen vor der Türe der Union, man braucht nur die Grenze um einige hundert Meilen nach dem Süden zu verschieben — und die Felder gehören den Staaten!

Man muss das Öl haben — so oder so!

Ohne Öl keine Luftschifffahrt, Flotte, ohne Flotte kein Handel — ohne Handel keine Union.

Er steht auf. Er ist nicht aufgeregt, seine Ruhe verlässt ihn nie. Er ist Amerikaner, Vollblut, aber er hat das englische Phlegma und mag sein Gehirn noch so schnell arbeiten, sein Gesicht verrät wenig oder nichts davon. Und dieser Ruhe verdankt er seine Erfolge als Anwalt der Standard Oil, der Western Pazific und schließlich der Steel Corporation. Ruhe bewahren und den Gegner anspringen, wenn er in Wut ist. Dann ein Schlag und knock out. Das ist seine Philosophie. Er hat keine andere, und sie scheint sehr gesund zu sein. Während er sich erhebt, spricht er mit sich selber.

»Mexiko wird die vorbereitete Rechnung für ermordete Amerikaner diesmal nicht bezahlen können!«

»Das Volk, das mich, Thomas Theodor Clifton, zu seinem Präsidenten erwählt hat, soll mir nicht vorwerfen, ich hätte meine Pflicht nicht erfüllt, sie verletzt dadurch, dass ich nicht sofort gegen diese mexikanischen Banditen vorgegangen sei, gegen diese Indianer, die es wagten, sich an der geheiligten Person eines Gesandten zu vergreifen — an Geld und Gut der Union!

Was haben denn andere Präsidenten getan? Bei Hawai, Kuba, den Philippinen, in Panama und jüngst Nicaragua? Was hat Polk getan, Roosevelt, Kinley, Wilson … Thomas Theodor Clifton zeigt seine Zähne. Er lächelt. Wilson!! Warum also zögern; er setzt sich nieder und legt die Karte zur Seite. Sorgsam faltet er sodann den Brief des Präsidenten von Mexiko und legt ihn in eine verschließbare Ledermappe. „Secret“ steht in schönen Goldbuchstaben darauf.

Dann spricht er ein paar Worte in den Apparat und lässt Mister Johnson, den Staatssekretär, zu sich rufen.

Politik ist ja eigentlich nicht seine Sache, ist eine Angelegenheit des Staatssekretärs. Dieser Johnson hat ihm bei der Wahl ganz außerordentliche Hilfe geleistet, und er steht der Steel nahe, der Western. Und er hat ein besonderes Ohr für Politik. Er ist feurig, kühn und hasst die Mexikaner, verachtet sie, wie alle, die nicht Amerikaner sind. Nur Engländer lässt er noch gelten. Er ist ein starker Staatssekretär, hart, und der Wind, der von Süden bläst, ist ihm recht. Es ist sein Wind, der, den er braucht.

Staatssekretär Johnson war gerade im Begriff gewesen, selber den Präsidenten aufzusuchen. Lebhaft betritt er das Zimmer. »Ich komme mit schlechten Nachrichten!«

Und während er seiner umfangreichen Mappe ein Schriftstück nach dem anderen entnimmt, kommen fast überstürzt die Worte aus seinem Mund.

»Unsere Kolonien in Tamaulipas, in Tampico, im ganzen Ölland sind in Gefahr, Mr. President. Der Konsul von Santander ist schwer verletzt, das Konsulatsgebäude ist abgebrannt. Zehn weitere Bohrtürme außer den schon gemeldeten stehen in Flammen. Der Schaden ist nicht mehr abzuschätzen. Zwanzig Camps, die tiefer im Inneren liegen, sind von Aufständischen belagert und halten sich nur mit letzter Kraft. Wenn sie fallen«, Johnson macht eine Pause und fährt dann schnell und hart fort, »wenn sie fallen, Mr. President, gibt es einige Tausend Tote — auch Frauen und Kinder!«

Er sieht den Präsidenten scharf an. Er kennt ihn seit zehn Jahren, hat mit ihm Seite an Seite gearbeitet — aber er ist seiner nicht sicher. Und er — und andere müssen wissen — bald wissen — wie es steht, was Mister Clifton zu tun gedenkt.

Und er berichtet weiter.

»Oberst Harrison vom Geheimdienst meldet, dass in Nordmexiko, in Sonora, Chihuahua umfangreiche Sprengungen von Eisenbahnen, Brücken und Brunnen vorgenommen werden. Er versichert weiter, dass an diesen Sprengungen Japaner beteiligt sind, vermutlich …«

Der Präsident steht schnell auf.

»Johnson, ich wünsche dafür Beweise. Unleugbare Beweise. Sagen Sie das Harrison!«

»An right, Mr. President. Ich denke, dass Harrison recht berichtet!«

»Beweise, Johnson!« sagt der Präsident wieder.

»All right! Es ist jedenfalls auffällig, dass eines unserer Flugzeuge, das bei einem Übungsflug wahrscheinlich über die Grenze kam, beschossen wurde. Es wird weiter gemeldet, dass Banden über die Grenze brechen, Vieh wegtreiben und plündern. Eine ganz außergewöhnliche Sache, Mr. President, denn seit Jahren ist die Grenze ruhig!«

»Die Grenzreiter können diesen Banden ohne Weiteres auf mexikanisches Gebiet folgen, Johnson. So wurde es immer gehalten.«

»Gewiss, Mr. President! General Bing ist so instruiert, und ich denke, es ist möglich, dass unsere Abteilungen die Grenze bereits überschritten haben.«

Staatssekretär Johnson drückt sich vorsichtig aus. Denn genauer müsste er sagen, dass Truppen der Union tatsächlich die Grenze überschritten haben. Er müsste weiter berichten, dass Flugzeuge der Union bereits in Staffeln über die Grenze flogen, auch Bomben abwarfen.

»Das erste Geschwader kreuzt vor Kay West. Admiral Hamilton erwartet Ordre. General Dewis vom Generalstab hat über Auftrag Süd halbmobil gemacht. Fall S. II. Er ist in zwei Stunden marschbereit. Zehn Luftgeschwader sind an befohlener Stelle konzentriert. Oberst Lindy ist flugfertig.«

»Recht so Johnson. Wie viele Leute sagten sie, sind in den Camps?«

»An zweitausend.«

»Und sie können nicht zur Küste durch; absolut nicht?«

»Ausgeschlossen, Mr. Präsident! Sie sind von mindestens zwanzigtausend Rebellen eingeschlossen. Wenn nicht sofort Hilfe kommt, sofort«, er unterstreicht das Wort mit einer scharfen Handbewegung, »so sind unsere Leute verloren!«

Das ist richtig. An die zweitausend Amerikaner sind in den einzelnen Camps eingeschlossen. So weit stimmt es. Aber wiederum verschweigt Johnson, dass die Leute durch geheime Agenten ausdrücklich aufgefordert sind, zu bleiben, dass die Standard Oil ihren Ingenieuren befohlen hat, die Bohrtürme zu verteidigen, dass die Camps keineswegs wehrlos sind, dass sie Maschinengewehre haben und von Haus aus für einen solchen Fall eingerichtet sind. Er zeigt auch nicht das Radiogramm des Gouverneurs von Tamaulipas, der bittet, die Amerikaner möchten jede Feindseligkeit unterlassen, denn nur so könne er für das Leben der Eingeschlossenen garantieren. Johnson kennt den Brief, den der Präsident verschlossen hält. Vida hat vorher mit ihm darüber gesprochen. Er weiß, dass Mexiko keinen Krieg will, er ist aber seinerseits überzeugt, dass dieser Krieg eine Notwendigkeit ist. Harrison, Hamilton, Dewis, Bing und Plunkett sind an seiner Seite. Armee und Flotte wollen endlich zeigen, was sie leisten können.

Präsident Clifton setzt sich nieder. Diese Nachrichten sind bedenklich, viel ärger, als er dachte. Es ist ausgeschlossen, die Leute in den Camps ohne Hilfe zu lassen. Die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden muss also innerhalb einer kurzen Zeit, in wenigen Stunden getroffen werden.

Er muss entscheiden. Nicht das Repräsentantenhaus, nicht der Senat.

Ist das Land in Gefahr, kann er die Vertreter des Volkes, der Bundesstaaten, den Senat, zur Seite schieben, ist er Diktator über hundertundfünfzig Millionen Menschen, Herr über Frieden und Krieg, Tod und Leben.

Diktator, Kaiser, Zar!

Keine Macht der Erde kann sich mit der seinen messen. Kein Mensch der Erde, kein Staat.

England?

Dessen Schiffe bringen den Tribut Old Englands seit zwanzig Jahren herüber und wo einst Englands Banner geweht, flattern Stars and Strips. Man rühmt sich wohl der Verwandtschaft, aber ebenbürtig an Macht ist der Vetter schon lange nicht mehr. Seit fünfzehn Jahren, seit dem großen Krieg.

„Rule, Britannia, rule the waves

Britons never shall be slaves!«

Sein Ururgroßvater, der Engländer, hatte es gesungen. Sie singen es noch, immer noch — aber schwerer, mächtiger und zahlreicher sind die Kiele, die unter dem Sternenbanner die Meere furchen.

Und Europa?

Wieder zeigt er seine schmalen, hohen Zähne. Europa, ein verrücktes Land. Wer nimmt es ernst? Ja, wäre es einig, aber so! Einer lauert dort auf den anderen und zusammen dienen alle letzten Endes der Union.

Und Japan? Dass die Gelben lauern, wer in den Staaten weiß es nicht; doch wo ist die Kraft? Siebzig Millionen gegen mehr als das doppelte! Oh, man war auf der Hut und ließ keine herein, aber sonst; und China? Nothing. Noch lange nicht so weit, auch Russland nicht. —

Es war eine Chance, die er da hatte, Mexiko. Es konnte Geld kosten, Zeit und Opfer natürlich! Nun, man hatte alles. Geld in Überfluss, mehr als Zeit und Menschen — viele, viele Millionen würden zu den Fahnen eilen. Und der Kongress würde es nicht wagen, die Mittel zu verweigern, Mittel, um den Weg frei für gigantische Geschäfte zu machen, Mittel, um das Land zu züchtigen, in dem man Bürger der Union zu Hunderten abschlachtete.

»Johnson!«

»Mr. Präsident?«

»Ich denke, Johnson, Mexiko ist außerordentlich in Schuld uns gegenüber?«

»In der Tat, Mr. President!«

»Unser Ultimatum, Johnson, wurde nicht akzeptiert in der vorgeschriebenen Zeit?«

»No. Mr. President!«

»Ich denke, Johnson, dieses Land muss eine andere Regierung haben? Eine demokratische Regierung, Johnson?!«

»In der Tat, Mr. President, das wäre von Wichtigkeit für dieses Land, und es ist notwendig für unser Land!«

»Ich glaube, Johnson, es ist eine Chance für uns?«

»Ich glaube ja, Mr. President. Wir dürfen sie nicht aus der Hand geben. Dieses Land ist eine Schande. Und ich denke, was wird unser Land sagen, wenn zweitausend seiner Bürger ermordet werden — mindestens. Wir haben um Tampico rund dreißigtausend. Es würde außerordentlich großen Unmut hervorrufen, wenn die Regierung dieses Land nicht züchtigt. Sofort und entschieden. Maßgebende Personen sind außerordentlich beunruhigt, und die Presse will nicht mehr schweigen. Das ist meine Meinung, Mr. President!«

Das genügt Clifton. Er kann dem Kongress trotzen und auch dem Senat — aber er kann nicht gegen das Volk regieren und schon gar nicht gegen die maßgebenden Personen, von denen Johnson so vorsichtig sprach. Er weiß schon, wen Johnson meint. Wall Street! Persönlich liebt er freilich den Frieden. Es lässt sich voraussehen, dass ein Krieg Unannehmlichkeiten bringt. Arbeit. Aber es gibt keinen anderen Weg. Johnson sprach soeben deutlich, und das genügt.

Schließlich ist für die Union Mexiko kein Gegner.

Und sein Name — Thomas Theodor Clifton —, er würde neben dem Washingtons stehen, neben Lincoln — eine Wiederwahl war sicher.

»Johnson!«

»Mr. President?«

»Ich wünsche sofort den Sekretär für das Kriegswesen, Mr. Charles Brown und den Sekretär für die Flotte, Mr. Edward Stinton, zu sprechen. Entwerfen Sie mir unverzüglich eine Note an die Republik Mexiko, in der unser bewaffnetes Eingreifen begründet wird. Ich will sie in einer Stunde unterschreiben. Gründe, Johnson, sind klar. Davis, Nord, Watson, Nichtannahme des Ultimatums und so weiter. Informieren Sie dann die Presse. Es ist wichtig!«

Präsident Clifton steht kerzengerade am Schreibtisch. Er ist sich über die Tragweite seiner Entschlüsse klar. In wenigen Stunden wird das erste Geschwader die Anker lichten und Kurs auf Vera Cruz nehmen. Zu gleicher Zeit werden Truppen über die Grenze marschieren. Regimenter, Divisionen — werden Flugzeuge aufsteigen. Sie müssen in erster Linie den Camps zu Hilfe kommen, bei ihnen liegt die Rettung der Eingeschlossenen.

Krieg? Nein! Krieg kann man das wohl nicht nennen. Man wird schnell mit den Mexikanern fertig sein!

Er setzt sich nieder und beginnt mit seiner klaren, etwas harten Schrift, die Botschaft an den Kongress zu entwerfen.

 

* * *

 

Hunderte Rotationsmaschinen ächzen, Zehntausende, Hunderttausende Meter Papier rasen über die Zylinder! Die Maschinenmeister gehen besorgt auf und ab. Sie sind Tempo gewöhnt, aber heute, bei Gott, das war noch nicht da. Und eine halbe Stunde später speien die Maschinen die ersten Extra-Ausgaben aus.

Und in Minuten ist New York eine brüllende Hölle:

Krieg! Kriegt Krieg! Krieg gegen Mexiko!

Mr. Watson dead! Mrs. Watson dead! Ermordet durch mexikanische Banditen. Der mexikanische Präsident weiß davon! Der Kriegsminister an der Ermordung beteiligt. Zwanzig Ölcamps mit zehntausend Amerikanern mit Frauen und Kindern von Banditen umzingelt; Hunderte bereits tot!

Die Flotte geht in See … Teile der Armee rücken in Mexiko ein …

Tod den Mexikanern! Tod den Indios!

Hunderttausende brüllen, Lautsprecher schreien, in den Straßen wogt die Menge auf und nieder. —

In der 142. Straße fährt Guiseppe Stratini mit seiner Frau vom Theater nach Hause. Zehn Jahre lebt er in den Staaten, und er denkt daran, demnächst mit fünfzigtausend Dollar in seine Heimat zu reisen. Für immer. Er hat genug von Amerika. O bella Italia!

Brüllen weckt ihn aus seinen Träumen. In Sekunden ist sein Wagen von Demonstranten eingeschlossen. Er kann nicht weiter.

»O Maria. una dimostrazione!«

Er spricht zu seiner Frau in seiner geliebten Sprache, aber nicht lange, nur einige Sätze.

»Damned Criado. son of a bitch. far to hell!« Er hört es noch, versteht es schon nicht mehr, denn ein Stockhieb reißt ihn nieder, ein Zweiter seine Frau, und in fünf Minuten sind Auto und die zwei Menschen nur mehr eine formlose Masse.

»Ein mexikanischer Spion!«, brüllt die Menge. Die Riesenstadt ist in Aufruhr. In einer Stunde liegen an die hundert Schwarzen erschlagen, dreißig andere mit dunkler Hautfarbe, Italiener, Mexikaner, Spanier gleichfalls, und im Negerviertel Haarlem brennt es bereits. Zwei Brigaden Bundespolizei, eine zu Pferd, sperren die Zugänge zum schwarzen Viertel, und als Ersatz beginnt eine Treibjagd auf versprengte Neger in der ganzen Stadt.

Tötet die Mexikaner, die Neger, alle Farbigen! Schon geht man auch auf Chinesen und Japaner los.

Die Stadt heult auf, Redner, die an hundert Stellen auftauchen, peitschen die Leidenschaft bis zur Siedehitze, und wenige Stunden später werden in den Südstaaten, wo Hunderttausende Mexikaner als brave, genügsame Landarbeiter ihr Brot hart verdienen, die ersten ermordet, die ersten Farbigen gelyncht. Der Ku-Klux-Klan erhebt sein schreckliches Haupt — alles colored people ist in Gefahr. Ganz Amerika tobt, ist wie im Fiebertaumel.

Man hat es gewagt, den Gesandten zu ermorden, seine Frau, Davis und Nord, man hat Frauen geschändet und Kinder — und noch sind Tausende in der Gewalt dieser Banditen! Das sollen sie büßen!

Eine Welle von Hass und Wut, Angst und Sorge um das Schicksal der Eingeschlossenen geht über die Staaten und bricht jeden Widerstand. Doch es gibt keinen. Das Land ist einig. —

Im sechzigsten Stockwerk des Empire State Building ist das Büro des Präsidenten der Standard Oil, Billy Dolly. Er sieht eben auf die Scheibe seines Fernsehers. Eine Versammlung in der World Hall. Eddy Thanvill, Senator des Staates New York, spricht. Gerne lauscht Billy Dolly seinem Freunde Eddy, Mitglied der auswärtigen Kommission des Senates. Über das Rednerpult ist die Flagge gebreitet. Das Sternenbanner. Billy findet dies außerordentlich wirksam.

Eddy Thanvill breitet eben die Arme weit aus und schließt seine Rede: »Ladies and Gentlemen! Sie haben Lady Watson ermordet, Mr. Watson, Davis und Nord, sie haben Kinder geschändet und Frauen und viele Tausend sind noch in der Gewalt dieser Teufel! Ladies and Gentlemen, ich sage: dieses Volk sei verdammt!«

Das war ein guter Schluss. Die Versammlung tobt, Eddy wird getragen. Er spricht, schreit, aber man versteht kein Wort.

Billy Dolly lächelt. Eddy ist wahrhaftig ein Künstler. Und dieser Robinson Crane ein Genie! Teuer, aber eine Klasse! Diese Umzüge, Versammlungen, das macht ihm keiner nach. In wenigen Stunden. Ein Rekord! Fabelhaft. Er schaltet Lautsprecher und Seher aus. Ein Druck auf einen Knopf. Im Inspektionszimmer des Hangars am Dach über dem achtzigsten Stockwerk leuchtet eine Birne auf. Ingenieur Penfield, der seit einer halben Stunde auf dieses Zeichen wartet, springt auf.

»Ich werde in zehn Minuten starten, Penfield!« hört er. Und eilt in die Halle. Zwei Mechaniker stürzen ihm entgegen.

»Go on!« Mit hastigen Handgriffen und scharfen Blicken prüfen die drei nochmals den Apparat.

Ein leichtes Singen. Eine Tür öffnet sich. Billy Dolly tritt heraus und steigt in das Flugzeug ein. Penfield und ein Mechaniker springen auf ihre Sitze, der Motor springt leise an. Ein Druck auf einen Hebel und die Hallentüre öffnet sich, ein zweiter, und vom Katapult abgeschossen saust „The golden swallow“, Die goldene Schwalbe, mit 300 Kilometer Geschwindigkeit gegen Süden.

Nach Washington.

Billy Dolly nimmt den Hörer und klingelt dem Mechaniker. Der weiß schon Bescheid und stellt auf die Metropolitan Opera ein.

Die sendet heute „The Night.“

Eine neue wunderbare Oper von Fred Carry mit Miss Gracia als Star.

Bin Dolly hört diese Oper so oft als möglich.

Zufrieden lehnt er sich in die weiche Ecke.

 

 

 

 

 

 

III.

Seit Tagen ist Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Republik Mexiko.

Die Regierung von Mexiko weiß, was der jetzt entbrannte Krieg für das Land bedeutet. Das Volk aber, an Revolutionen, Aufruhr, Mord und Totschlag seit Jahrzehnten gewöhnt, sieht in der Kriegserklärung nichts anderes, als eine der üblichen Demonstrationen der Union, erblickt darin, soweit es überdies dazu wirklich Stellung nimmt, nichts Besonderes, wertet es höchstens als eine neue Drohung, als Erpressung des Mächtigen dem Schwachen gegenüber.

Die im Norden des Landes siedeln, Nachbarn der Staaten der Gringos, wie der Mexikaner den Amerikaner verächtlich nennt, sind allerdings erstaunt über die Schnelligkeit, mit welcher der Yankee diesmal über die Grenze bricht, aber gerade sie sind an Krieg gewohnt, an Umsturz und Plünderung seit Villa, dem Volkshelden, bis zu Vacas, dem jetzigen Kriegsminister, und gerade sie an der Grenze hassen den Gringo, wie niemand auf dieser Welt ihn hasst! Die Männer in den Städten und Dörfern, die Hirten auf den Haziendas, die Indios in ihren versteckten Siedlungen — sie schnallen den Gürtel, an dem der alte schwere Revolver hängt, fester, sehen Sattel und Zaumzeug nach, schieben neue Patronen in die Magazine und denken an die Beute, die ihnen winkt!

Weniger begreifen sie, dass sich ihre regulären Truppen ohne jedes Gefecht zurückziehen und nur leichte Kavallerieabteilungen und Gendarmerie zurückbleiben. Wie der Wind kommt eine Streife, fegt durch ein Dorf, eine Stadt, und ist schon wieder verschwunden. Die an den wenigen Bahnlinien hausen, an der Linie El Paso – Mexiko City zum Beispiel, hören Sprengschüsse, sehen Schienen auseinandergerissen, Bahndämme unter Dynamitdruck in der Luft zerstäuben, Stationshäuser, meist armselig genug, wie Bretterbuden zusammenfallen. Sie helfen selber die sparlichen Brunnen mit hartem Geröll füllen und Wasserleitungen vernichten. Überall an Straßen, Brücken, Viadukten arbeiten kleine Sprengkommandos, von berittenen Abteilungen oder Panzerautos gedeckt, durch Flugzeuge weithin gesichert. Wie aus dem Erdboden hervorgezaubert sind diese Kommandos da, arbeiten wie vom Teufel gehetzt mit verbissener Wut. Könnte man näher an sie heran, würde man mit Staunen sehen, dass es nicht nur Mexikaner sind, auch Mongolen sind dabei, Chinesen? Nein, es sind ganz ohne Zweifel Japaner und sicherlich geübte Leute, denn wie sie in fliegender Hast ihr Werk der Zerstörung vollbringen, das verrät große Sachkenntnis und Erfahrung.

Die japanischen Arbeiter auf den Haziendas waren ausnahmsweise einmal keine amerikanische Erfindung gewesen.

Es sind japanische Pioniere, ausgesuchte Leute, altgediente Reservisten, Offiziere, die nicht nur gekommen waren, um der Enge des Vaterlandes zu entrinnen, die nicht nur gekommen waren, um zu siedeln, sondern auch, wenn es notwendig sein sollte, für Japans Interessen zu kämpfen! In der Heimat, in Asien oder in der Wüstenglut der mexikanischen Sonora — sie waren und sie blieben Japaner.

Erdfontänen steigen turmhoch zum Himmel, grotesk in ihren Formen, wie die Kakteen des Landes, Bauwerke, an denen tausende Menschen viele Jahre gearbeitet, stürzen in Minuten in Schutt und Asche zusammen — der Krieg beginnt seine grauenerregende Wanderung und die Erde erbebt unter seinen ersten furchtbaren Schritten.

Haziendas gehen zu Dutzenden in Flammen auf und Herden von tausenden Pferden, Rindern, Schafen und Schweinen ziehen nach dem Süden, werden so schnell es geht verfrachtet; endlose Züge schieben sich fast ineinander — so kurz ist der Abstand, den sie halten.

In den Gold- und Silbergruben, in den Kupferwerken steigen Ingenieure in die Tiefe, demontieren Förderanlagen, lassen die Schächte versausen, vergraben wichtige Maschinenbestandteile und setzen, ehe sie abziehen, hart und ohne Rührung alles in Brand, was nur brennen will.

Und auf einmal sagt es einer dem andern, auf einmal weiß es jeder, der es wissen soll: der Gringo will Mexiko, will diesem Lande, wie vor hundert Jahren schon einmal, die besten Provinzen stehlen, an sich reißen, sie wissen, der Gringo will Mexiko unterjochen, knebeln, ihren heiligen Glauben nehmen und erfahren nun, was beschlossen ist von Ortiba und Vacas!

Gehorchen ist sonst nicht ihre Art und was unten in Mexiko City ausgekocht wird, was kümmert sie das? Diesmal aber ordnen sie sich gerne freiwillig unter, es ist ja Ortiba, der sie ruft, und Vacas, der alte Held — und es geht gegen die Staaten!

Und als sie den Befehl bekommen — und keiner weiß so richtig, wer ihn zuerst gegeben — die engere Heimat zu verlassen, das Dorf, die Stadt, und nach dem Süden zu ziehen, hinaus in die wilden Felsengebirge, in die unheimliche Öde der Sonora, in andere Landstriche —, da zögern nur wenige, denn die große Masse hat wenig zu verlieren. Eine armselige Hütte, ein paar Schweine. Ziegen, vielleicht eine Kuh.

Und so leert sich langsam ein Dorf nach dem anderen. Spät gehen die Behörden, ganz zuletzt die Pioniere, und wenn sie abziehen, bleiben nur noch Trümmer zurück.

Hoch oben kreisen Flugzeuge — es dauert nicht lange, und die ersten Bomben krachen nieder. Bomben, so hoch wie ein Mann und so schwer wie ein Rind. Und wer noch bleiben wollte, wer sich trotz aller Not noch an die zerfetzte Heimat geklammert hatte — jetzt eilt auch der schnell den anderen nach, die dem Süden und Westen zustreben. Es dauert nur zwei Tage, und der äußerste Norden und Osten sind leer. Was bleibt und Stunde um Stunde größer wird, ist eine Wüste, fast so trostlos, wie die schreckliche, entsetzliche Sonora.

 

* * *

 

Im Nationalpalast zu Mexiko City ist die Nacht zum Tag geworden.

Das riesenhafte, unschöne Gebäude mit seiner lang gestreckten Front ist die Herzkammer der Republik.

Die Präsidentschaftskanzlei, Krieg — Äußeres — und Inneres umschließen die Mauern, in denen das Schicksal des Landes in wenigen Händen liegt.

Eine Flugzeugstaffel kreist zur Sicherung des Gebäudes einige hundert Meter hoch. Jetzt schnellt aus dem Osten ein Eindecker heran, macht eine Schleife über dem Palast und geht nieder. Im gleichen Moment leuchten auf einem Teil des Daches grelle, quadratische Grenzlinien auf, die Maschine macht eine elegante Kurve, setzt sich nieder, rollt noch zehn Meter über den Boden, und schon springt der Pilot vom Sitz, eilt einige Schritte über das Dach, klappt eine Falltüre auf und steigt in den schmalen Schacht, der vom Dach in das Dienstzimmer des Adjutanten Vacas führt.

»L. M. 201 von Vera Cruz zurück!«

Kaum hat sich das Flugzeug auf das Dach gesetzt, liegt wieder Finsternis darüber, und nur im Scheinwerferlicht konnte man die sehr flach gewölbten, drehbaren Kuppeln sehen, aus deren Schlitzen die Läufe der Flakgeschütze und Maschinengewehre herausragen.

Entlang der Nordseite des Daches schimmern, wenn Scheinwerferlicht darüber huscht, fein wie Silberfäden, die Drähte der Radiostation. Unten, im Empfangsraum, fliegen die Finger über das Papier, jagen Boten, schrillen Klingeln, klappen Schalter, glühen Lampen auf. Botschaft um Botschaft fließt von hier durch den Äther, kommt aus weiter Ferne, durchströmt Drähte, Röhren, Quecksilber, wird auf geheimnisvolle Spulen verladen, eilt frei und ungebunden und doch gebändigt durch den Raum.

Die Gesandtschaften von Paris, London, Berlin, von Buenos Aires und Madrid, die Gouverneure von Nuevo Leon, von Tamaulipas, von Sonora und Chihuahua senden Nachrichten und warten auf Antwort. Der Kommandierende General von Vera Cruz und der Hafen-Admiral wünschen den Kriegsminister, und General Mendez sendet chiffriert den letzten Heeresbericht. Und dazwischen funkt ein Sender mit fremden Wellen, stört, morst sinnlose Zeichen, die niemand entziffern kann! Paris meldet sich, London, und immer neue Wellen strömen ein und fast überfluten sie die drei Stationen.

In der Zentrale rauft sich Juliano Corrozza die Haare.

Seit zehn Stunden hat er nicht Zeit, sich richtig eine Zigarillo anzuzünden!

O, madre de Dios!

Dringend! dringend! dringend!

Dieser Teufel Vacas! Dieser Ortiba!

Sie wollen ihn wohl zugrunde richten! Und erst diese Gringos!

Oh, alle Heiligen mögen Mexiko beistehen, das ist die Hölle!

Und er dirigiert, notiert, gibt Anweisungen und ist in Wirklichkeit erfreut über die Arbeit und ist stolz, dass alles klappt, denn er, Juliano Corrozza, hat das eingerichtet, mit einigen Herren aus Alemania allerdings — aber immerhin, es klappt, und als sich jetzt am Telefon Berlin meldet, geht er selbst zum Apparat und empfängt.

Auswärtigeg Berlin, Ausgezeichnet! siento mucho que … ich bedaure sehr … der Präsident spricht … qué lastima, wie schade! Ah, so, ich bitte, die Leitung ist frei! …

Er hört, kontrolliert dort und da — nur jetzt keine Störungen, nur jetzt keine Unterbrechung, das Ohr des Landes und sein Mund, sie dürfen nicht versagen! Man muss zur ganzen Welt sprechen können, die ganze Welt hören! Es handelt sich um das Schicksal des Landes!

 

* * *

 

Im Vorzimmer des Präsidenten klingen die großen Radsporen gedämpft an den Hacken.

Der Stadtkommandant spricht lebhaft auf den Chef der Gendarmerie ein. Der Innenminister zündet dem Chef der Eisenbahnen eine Zigarillo an und setzt seine Betrachtungen über die Gringos fort.

Man wartet auf den Präsidenten, man wartet auf den Kriegsminister Vacas, der seit fünf Stunden bei ihm ist und über Nacht zu bleiben scheint.

Der Stadtkommandant hat Fliegeralarm angeordnet.

Auf zwei Sirenenzeichen sind alle Lichter zu löschen, die Straßen zu verlassen, die Fensterläden zu schließen. Wer Licht brennt, wird herausgeholt, und es kann ihm passieren, dass er vierundzwanzig Stunden später für immer ruhig im Sand liegt. Seit Beginn des Krieges ist verstärkter Belagerungszustand, und der Kriegsminister ist kein Spaßvogel!

Die Fremden tragen offizielle, mit einem Stempel des Militärkommandos versehene Armbinden in der Farbe ihres Landes — aber wer konnte, verließ die Stadt, besonders die Engländer! Auch die hatten zwei Tote — man hatte sich nicht lange Zeit genommen, den Unterschied zwischen Amerikaner und Engländer festzustellen.

Plakate, welche die Farben der einzelnen Länder zeigen, und ihre Träger unter den Schutz der Regierung stellen, kleben zu Tausenden an den Mauern, vor allem japanische, auch schwarz-weiß-rote, die betonen, dass Alemania ein besonderer Freund Mexikos ist.

Unheil brütet über der Stadt, die lärmend und doch merkwürdig still ist. Das ist wahrhaftig keine Revolution, wie man sie gewohnt ist, eine Revolution, die kommt und geht, und die besonders hier in der Hauptstadt des Landes bis auf einige Schüsse, einige Hinrichtungen und schließlich einen andern Präsidenten meist gar nicht zu spüren war! Nein, diesmal ist es Krieg, wirklicher Krieg, das weiß man nun.

Wo Radio und Telefon nicht hinlangen, dorthin jagen Boten auf den besten, ausdauerndsten Pferden und hinaus in die Kakteenwüsten, in die fast wasserlosen Ebenen, in den undurchdringlichen Urwald, in das pfadlose Hochgebirge, zu den Indios, den alten Herren Mexikos, zu den Otomis, Nahuas, Mixteken, Zapoteken, Mayas und Yaquis, eilen, schleichen, rasen die Boten Ortibas, des Indianerpräsidenten, laufen seit Tagen Tarahumarer, die schnellsten Läufer der Erde, Läufer, die das schnellste Pferd überholen und die einen Tag dahin sausen, ohne müde zu werden.

Bote um Bote eilt von Stamm zu Stamm, Feuer flammen auf Hunderten, von Weißen nie betretenen Gipfeln, geheimnisvolle Zeichen werden ausgetauscht, Zeichen, älter als jede weiße Kultur, Trommeln tönen unter schnellen und kurzen Rhythmen in die Nächte, schauerlich und drohend, und eine Saat geht auf, die Ortiba seit zwanzig Jahren, Stunde um Stunde, Tag um Tag gesät: — die Indianer Mexikos stehen auf wider den Fremden, die Indianer Südamerikas, nicht wie ihre Brüder im Norden durch brutalen Mord, Alkohol und Betrug vernichtet, sondern noch viele, viele Millionen stark, zahlreicher vielleicht als vor hundert Jahren, zahlreicher jedenfalls als die Weißen in diesem Land und furchtbarer sicherlich als vor Zeiten, denn in ihren Händen befinden sich nun nicht mehr Streitäxte aus Stein, Obsidian-Messer, sondern moderne Waffen, Karabiner, Pistolen und Maschinengewehre, und sie handhaben diese Waffen wie einst jene, die sie gegen Cortez führten!

Uralte Mordlust und Grausamkeit, fast eingeschlafen, werden wach, als sie das Zeichen ihrer Führer ruft, und sie stehen auf und steigen aus den Bergen nieder, kommen aus der Wüste, den Wäldern, ernst, würdevoll und schweigsam, aber tödlichen Hass in ihren wilden Herzen.

Vor unendlich langen Jahren hatten ihre Urväter weiße Menschen mit Liebe und Ehrfurcht gleich Göttern empfangen, und diese weißen Götter hatten als Dank dafür, aus Gier nach Gold und Raub, Millionen der ihren wie Hunde geschlachtet, das Land verwüstet, die heiligen Tempel vernichtet und Moctezuma, den Sohn Gottes, feige ermordet!

Nichts ist vergessen, alles noch klar, als wäre es gestern geschehen, und so steigen sie nieder, eilen durch weglose Wüsten den Weißen entgegen, bereit, sie nicht noch einmal in Demut und Glauben zu empfangen!

 

* * *

 

Präsident Benito Ortiba blickt von den Radiodepeschen, die sein Adjutant eben gebracht hat, auf, wirft erregt die unvermeidliche Zigarillo in den Aschenbecher und wendet sich seinem Freunde zu.

»Bei der Heiligen Jungfrau von Guadalupe, die Gringos sind Teufel, Miguel!«

Der Kriegsminister nickt.

»Por dios. es ist so, mein Präsident!«

Benito Ortiba schlägt mit der flachen Hand auf die Depeschen.

»Sie brennen und morden, bombardieren und vergasen friedliche Ortschaften, Miguel, und wir haben noch keinen Schuss abgegeben! Sie denken wohl, wir werden wieder zu Kreuz kriechen, Miguel, wie? Wie immer auch diesmal. Sie quälen uns, stehlen uns unser Gold, Silber, Öl, sie mischen sich in unsere Politik, und wenn ein Straßenköter einen von ihnen anklafft, drohen sie und schicken Kriegsschiffe. Aber, bei meinem Seelenheil, Miguel Vacas, sie treiben es zu arg!«

Miguel Vacas springt vom Stuhl und haut mit der Faust auf die kostbare Onyxplatte des Schreibtisches.

»Du hast recht, Benito, sie treiben es zu arg!« Er packt den Präsidenten erregt beim Arm.

»Sie scheren sich einen Teufel um dich, um den Präsidenten von Mexiko, um Benito Ortiba, einen Teufel, hörst du? Wir Mexikaner müssen ihnen ausweichen, wenn wir einem von ihnen auf der Straße begegnen, und dich …« Miguel Vacas neigt sich näher zu dem Präsidenten, »dich, Benito Ortiba, Präsident von Mexiko, nennen sie — den schmutzigen Indianer!«

Mit einem Wutschrei fährt jetzt auch Ortiba in die Höhe.

Tausend Bilder und Gedanken umstürmen ihn.

Er ist Indianer, Yaqui, und er ist stolz darauf.

Die Yaqui waren einst die grausamsten Indianer Mexikos, die tapfersten, und sind jetzt die Garde des mexikanischen Heeres. Gerade in ihnen lebt noch der Rest der Urrasse am stärksten, wildes Blut, mühsam gebändigt, und wenn es je durchbricht, wenn es aufflammt, reißt es jeden Widerstand nieder. Nur Schritt um Schritt waren die Yaquis vor den Eroberern gewichen, immer wieder waren sie hervorgebrochen aus Felsenwüsten, in die ihnen kein Weißer folgen konnte, und jetzt lebt der Rest des Volkes zumeist in den weiten Kakteenwüsten, immer noch Feind aller Fremden und Blutfeind der Gringos.

Benito Ortiba ist ein reinrassiger Yaqui. Er kennt Europa, hat in Deutschland studiert, spricht deutsch und englisch geläufig. Er ist seiner Bildung nach Europäer, Soldat, Techniker, der einige Brücken, Eisenbahnen im Lande gebaut hat — in seinem Inneren aber ist er ein Yaqui geblieben, der stolz die tausendjährige Kultur seiner Rasse rühmt, der Azteken und Zapoteken, eine Kultur, die war und schon die herrlichsten Blüten trieb, ehe es diese Fremden gab, die sein Land unterjochen, sein Volk vernichten wollen, die Schritt um Schritt vorwärtsdringen, berechnend, Zoll um Zoll des reichen Landes einsteckten — und dann noch alle Mexikaner verachten und beschimpfen!

»O, Dios mio, was ist aus Mexiko geworden!«

Passt ein Gesetz den Fremden nicht, darf es nicht angewendet werden. Nicht er regiert und nicht die vor ihm hatten regiert, nein, dort oben im Norden, tausende Meilen von hier entfernt, wird Mexiko regiert, im Weißen Haus, in der National City Bank, in den Büros der Standard Oil — das sind in Wirklichkeit die Herren des Landes, Gringos! Geldgierige Gringos!

O Santa Maria! Miguel Vacas hatte tausendmal recht …

Ein gefährlicher Kerl, dieser Vacas!

Drei Jahre hat er als Bandit und Bandenführer zwei Provinzen unsicher gemacht und wie vor zwanzig Jahren den Nationalhelden Villa, dessen Bild in jeder Hütte neben dem der Maria hängt, so hatte auch ihn amerikanische Kavallerie gejagt, weil er die Frechheit besessen hatte, seine Streifzüge bis in die Staaten auszudehnen.

Aber Miguel Vacas fingen sie nicht, ebenso wenig wie Villa!

Im Gegenteil! Mit seiner stattlichen Schar von Anhängern, heute einige Hundert, morgen einige Tausend, hetzte er die Gringos von einem Fleck zum anderen, bis ihnen der Atem ausging und General Bing in ohnmächtiger Wut einen Preis von fünfzigtausend Dollar aus eigener Tasche auf den Kopf des verdammten Banditen Vacas setzte. Tot oder lebendig!