Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Panik verbreitet sich in allen Getreidebörsen der Welt! — Aufruhr, Angst und Entsetzen in den Staaten, Kanada, in ganz Europa: die neue Ernte ist durch geheimnisvoll auftauchende Erkrankungen bedroht, die Vorräte in den Silos sind vernichtet, — eine gigantische Hungerkatastrophe ist im Anmarsch … Man glaubt an eine Naturerscheinung und wird unruhig, bis man mit Entsetzen erkennt, dass verbrecherische Hände am Werke sein müssen. Millionen von Flugzetteln tauchen auf: ein Mensch erklärt der Welt den Krieg, will sie durch Hunger vernichten. Da findet man eine winzige Spur, und es beginnt eine atemberaubende Jagd, von deren Ausgang das Schicksal von vielen Hundert Millionen Menschen abhängt … es geht um Brot, um die Nahrung …
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 336
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Lermontow vernichtet die Welt
Karl L. Kossak-Raytenau
Verlag Heliakon
Umschlaggestaltung: Verlag Heliakon
Titelbild: Pixabay (pixel2013)
©2023 Verlag Heliakon
www.verlag-heliakon.de
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verfassers unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über-setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Inhaltsverzeichnis
Title Page
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
XXVI.
Paul Ackermann legte den Hörer auf die Gabel, trocknete sich die Stirne, nahm eine Zigarre und lächelte dann sein Gegenüber an.
»Na, Peritzky, »das war schon wieder ein Geschäft in Weizen! Weizen und wieder Weizen! Und Sie, Sohn eines begabten Vaters, wollen mir einreden, dass Weizen in diesem Jahr knapp werden wird!« Er hob die Augenbrauen und machte ein Gesicht, als sei er unangenehm berührt. »Ich staune, Peritzky, ich staune kolossal!« Dann beugte er sich nieder und schlug dem Händler dessen dickes Gesicht etwas schlaff geworden war, leicht und scherzend auf die Schulter. »Na, was ist denn los? Verkatert, Peritzky? Sorgen? Hm? Wie?«
Josef Peritzky hatte die Hände aus dem umfangreichen Bauch gefaltet, und es sah aus, als lägen sie dort wie auf einem breiten, bequemen Kissen.
»Ja, mein lieber Ackermann, Sorgen, ungewöhnlich dicke Sorgen! Ihnen kann ich das ja sagen … die Geschäfte sind Flau … wir haben Mai, aber dieser sogenannte Wonnemonat, na …«
Paul Ackermann stand auf. »Ja, mein lieber Peritzky, die Zeiten, von denen Sie träumen, sind vorbei! Diese dicken Geschäftchen, diese netten kleinen Spekulationen, Hausse und Baisse, die um diese Zeit so sicher einsetzten, wie die Sonne schien, sind vorbei ...« Er wurde ernst. »Sehen Sie, man kann gewiss sagen, dass Paul Ackermann gegen das Verdienen nichts einzuwenden hat …«
Josef Peritzky hob den schweren Kopf. »Das kann man sagen …«
»Gut, … das ist mal so …, mein alter Herr«, fuhr Ackermann fort und sah auf ein Bild, das über dem Schreibtisch hing und einen klugen, energischen Männerkopf aus den achtziger Jahren zeigte, »mein alter Herr war Laufjunge bei Cramer in Essen, Peritzky, das wissen Sie so gut wie alle anderen, die mich kennen, und auch er hat gerne und gut verdient … sehr gut sogar, aber sehen Sie, Mann, es ist etwas anderes, ob man an Eisen verdient oder an Weizen, Gerste, Roggen ...« Paul Ackermann machte eine Pause und sagte dann mit Betonung: »an Brot eben, Peritzky …«
Der alte Händler sah den Mann, dessen Vater sein Freund gewesen war, einige Sekunden stumm an. Dann schüttelte er den Kopf. »Es ist wohl doch eine andere Zeit heute, Her-r Ackermann, eine ganz andere Zeit … warum soll man nicht mehr an Getreide verdienen?«
»Ehrlich verdienen kann man auch heute noch daran. Sie wissen selbst, wie oft bis in die letzte Zeit gewissenlose Schufte die Weizenpreise in Chicago hinaufgetrieben haben. Erinnern Sie sich nicht an den gigantischen Raubzug – den größten aller Zeiten auf diesem Gebiet –, den der alte, geheimnisvolle Hutchinson in den achtziger Jahren am Weizenpitt von Chicago ausführte? Mein Vater hat mir diese Geschichte hundertmal erzählt. Wissen Sie nicht, dass dieser alte Hutsch, wie man ihn nannte, innerhalb von acht Tagen den Weizenpreis von einundneunzig Cent – sowieso schon ein sehr anständiger Preis – auf zwei Dollar hinauftrieb. Und wissen Sie, Peritzky, was die Folge war … Hunger, verdammter Hunger! Bei jedem Cent, den der alte Kornwucherer verdiente, wurde das Brot teurer, der Hunger schärfer … Siebzehn Millionen Dollar soll der Mann damals verdient haben … verdient durch Wucher am Brot der Armen … Natürlich kam auch für ihn der Tag, wo ihn der Pitt, der Weizenpitt von Chicago, den er beherrschte, zu lange beherrschte, niederschlug, wo ihn der Weizen, der so goldgelb wie der Dollar ist, begrub ... aber sehen Sie, Peritzky, diese Geschichte des alten Hutsch, dieses Haifisches, habe ich nicht vergessen und ich will und werde sie nicht vergessen …«
Peritzky nickte. »Sie haben recht meine Firma hat damals dreißigtausend Taler verloren, und der alte Hutsch hätte uns bald um die Ecke gebracht … wie so viele andere. Sie haben recht … so war es einmal … und das war nicht nur der alte Hutsch …«
»Ja, so war es einmal, und das darf nicht wiederkommen … und kann Gott sei Dank auch nicht wiederkommen! Jetzt gibt es so viel Weizen in der Welt, dass niemand daran denken kann, ihn zu kontrollieren und den Preis in die Höhe zu treiben … keine Macht der Erde hat Geld genug, um das zu tun … das Brot, die Nahrung der Armen, ist kein Objekt der Spekulation mehr.«
Peritzky hob den runden Kopf.
»Und wenn wir eine Missernte bekommen, Herr Ackermann? Was dann?«
»Das ist doch lächerlich, Peritzky, Sie wissen doch, dass eine Missernte in allen Weizenzonen unmöglich ist! Fällt, sagen wir, Kanada aus, ist Argentinien da … klappt es dort nicht, springt Australien ein … versagt man dort, haben wir Indien, Rumänien, Ungarn ...« Er hob die Hände, als wolle er eine unsichtbare Gefahr abwehren, bannen. »Aber lassen wir das, schon der Gedanke daran kommt mir wie eine Herausforderung des Schicksals vor, wie eine Lästerung … es gibt Dinge, von denen man nicht spricht …«
»Bitte, Herr Ackermann, lassen wir es sein ...«, Peritzky versuchte zu lächeln, »und sprechen wir von Geschäften … ich rate Ihnen nochmals, mein Angebot zu prüfen Sie wissen, dass ich sonst nicht dränge, aber mir ist, als müssten Sie kaufen … ungarischen hochprima Weizen … oder Varletta, Manitoba …«
Ackermann winkte etwas ungeduldig ab.
»Kein Pfund, keinen Halm, Peritzky! Wirklich nicht … ich bin eingedeckt bis zum Rande«, er lächelte, »und bin davon überzeugt, dass ich nicht kaufen soll ...«
»Dann auf Wiedersehen, Herr Ackermann ... ein andermal vielleicht …«
»Sicher, Peritzky, es wäre bei Gsott nicht das erste Geschäft, das wir zusammen machen ...«
Bei der Tür blieb der Händler stehen. »Und wo steckt der junge Herr?«
Über Ackermsanns Gesicht, das in den letzten Minuten nachdenklich, ja ernst geworden war, lief ein Leuchten. »Peter ist in Kanada! Alberta, Saskatchewan, Manitoba …«
»Hm, feine Gegend für uns, Herr Ackermann … Weizen, nichts als Weizen!«
»Ja, der Junge soll das Geschäft gründlich kennenlernen und sich die Gegend, die uns mit Weizen überschwemmt, mal selbst besehen … man bekommt dann ein besseres Bild … dass ich drüben war, ist schon eine lange Zeit her …«
»Kanada!« Der alte Händler nickte versonnen. »Die Weizenprovinzen goldenes Land, Herr Ackermxann habe mir leider nie Zeit genommen. Und jetzt geht es nicht mehr … man wird alt. Nimmt er die Staaten auch mit?«
»Selbstverständlich! den ganzen Kontinent! Bis hinunter nach Argentinien«, er hob die Hand, »Sie wissen, dass ich jetzt stark mit den La-Plata-Staaten arbeite … kommen schnell auf, und wenn es so weitergeht, drücken sie Kanada bald an die Wand unerhörtes Land …«
Peritzky nickte schwer.
»Argentinien! Wer hat sich früher um argentinischen Weizen gekümmert. kein Mensch, Herr Ackermann … und jetzt schreit alles nach Santa Fee, Entre Rios, Buenos Aires, Cordoba … ja, ja, andere Zeiten, andere Zeiten … Und dann wird geheiratet nicht?«
Ackermann lächelte.
»Möglich, Peritzky! Darüber müssen Sie den Jungen fragen er ist der Bräutigam, und er soll bestimmen, wann es sein soll!« –
Als Peritzky gegangen war, blieb Ackermann vor seinem Schreibtisch stehen und sah nachdenklich über die lange Reihe von Gläsern, in denen Weizenproben der ganzen Welt goldig schimmerten.
Red Spring Wheat, Marquis, die neue Sorte Garnet, Kitchener, Ruby – alles hochgezüchteter Edelweizen aus Kanada, dann Varletta, die beste argentinische Sorte, Weizen aus der ungarischen Tiefebene, dem Wiener Boden, vom Marchfeld, Weizen von den fruchtbaren Lößböden von Schensi und Szetschwan in China … hervorragender Weizen aus Dakota, Kansas, Nebraska und – sein Blick flog jetzt voll Zärtlichkeit über den Weizen aus heimatlichem Boden, den Weizen aus der Kölner und westfälischen Bucht, der Magdeburger Börde, der oberrheinischen Tiefebene, der Wetterau … das war die Heimat! Brot aus eigener Erde!
Ackermanns offenes, etwas breites, gesund gefärbtes Gesicht mit den blauen Augen und dem kurzen Schnurrbart, in den sechsundfünfzig Jahre, jedes für sich, ihre Spuren gegraben hatten, wurde hell.
Nein! Da war Weizen! Weizen! Weizen! Brot! Brot! Brot!
Aus allen Teilen der Erde quoll der gelbe Segen hervor, und fast türmten sich die Berge voll bestem Weizen zum Himmel!
Da war Weizen, so weit das Auge sehen konnte, und nur ein Narr konnte inmitten dieser ungeheuren Mengen, dieser gigantischen Vorräte an Not denken!
An eine Missernte!
Paul Ackermann runzelte die Stirne.
O ja, es gab auch jetzt Subjekte, die bereit waren, jeden Tag bereit, an der Not des Volksgenossen zu verdienen, Lumpen gab es, die nur diarauf lauerten, aus Hunger Geld zu schlagen … die aber warteten umsonst!
Er überflog eine Aufstellung, warf schnell einige Ziffernreihen auf ein Blatt Papier, rechnete und nickte dann zufrieden.
Natürlich! Selbst dann, wenn diese Ernte, die jetzt im Halm stand, halb ausfiel, war es zwecklos, sich Sorgen zu machen, denn drüben lagerten Vorräte, die nur darauf warteten, sich über die Welt zu ergießen … theoretisch konnte die Welt also auf eine halbe Ernte verzichten … Freilich, er sah auf die Weizenproben, freilich, das würde die Preise aller Wahrscheinlichkeit nach in die Höhe treiben aber, war er denn verrückt, an eine solche Möglichkeit wie eine allgemeine Missernte zu denken?! Hatte ihm dieser Peritzky, der genau genommen schon zu alt war, um noch im Handel zu stehen, wirklich etwas in den Kopf gesetzt? Lächerlich! Es gab so viel Weizen, dass die ganze Menschheit ihn nicht aufzuessen vermochte und jedes Jahr ergossen sich neue Ströme über die Erde etwas kindisch wurde der Alte … reichlich sogar …
Als die Sekretärin eintrat und die Post vor ihn hinlegte, war der graue Spuk, der ihn für Minuten umfangen gehalten hatte, verschwunden.
Er arbeitete ruhig, sicher und gut gelaunt wie immer die Post durch und sah dann auf die Uhr.
Dieser Peritzky hatte ihn mächtig Zeit gekostet, und jetzt war es bald Zeit, zur Sitzung zu gehen.
Als er die Hand nach der Klingel ausstreckte, um seine Sekretärin zu rufen, stand sie bereits vor ihm und hielt ihm ein Radiogramm entgegen.
Ackermann öffnete es; die Depesche war chiffriert; er entnahm dem Geheimfach den Schlüssel, übertrug sie, schrieb den Text nieder und überlas ihn dann nochmals Wort für Wort.
Winnipeg via Atlantir-Radio
stelle fest dass offizieller Bericht des board grains com. tatsachen nicht entspricht stopp saat durch fröste schwer geschädigt stopp wetter gegenwärtig äußerst trocken stopp grane schätzt ausfall bis jetzt 30 prozent stopp fliege heute alberta stopp preissituation ganz leicht ansteigend stopp vorsicht notwendig
Peter
Paul Ackermann sah schweigend aus die Depesche nieder.
Vorsicht notwendig … Peter!
Peter Ackermannl
Nicht ein Fremder, der das depeschierte … sondern sein einziger Sohn …
Board of Grain … das war die oberste kanadische Getreidebehörde … und nun fand sein Sohn, dass ihr letzter Bericht über den Stand der Saaten zu optimistisch sei. Aber auch Grane, der Mann, der das Haus Ackemann seit zehn Jahren drüben vertrat, der Einkäufer, auf den man sich verlassen konnte, wie immer es kam, fand dasselbe …
Immerhin …
Man schrieb erst Mai, und morgen konnte es regnen.
Wenn der Board optimistisch war, dann hatte er sicherlich Grund. Die Männer hatten alle Daten in der Hand, während sein Sohn ja doch nur dort und da Stichproben machen konnte … Das ganze Weizenland zu inspizieren, das dauerte Monate … Um hier ganz klarsehen zu können, musste man schon amtliche Daten haben …
Regen konnte bei dem gesegneten kanadischen Boden alles wiedergutmachen … das kannte man …
Paul Ackermann lächelte.
Peter nahm die Sache so ernst wie alles, was er tat. Und mit Recht! Immerhin musste er sich hier auf die Seite der größeren Erfahrung, an die Seite des Board stellen!
Er verschloss die Depesche sorgfältig und stand auf.
Das Telefon schrillte. Unwillig griff er nach dem Hörer … mitunter war diese Erfindung wirklich eine Qual …
»Ja, Ackermann! Gewiss! Wie? Wie!« Er sprang fast vom Stuhl hoch. »Wie? Ich soll Weizen kaufen? Herr, wie heißen Sie? Mit wem spreche ich denn? Was? Das ist egal!? Ich soll Weizen kaufen?« Ackermann hatte Lust, in »die Muschel zu springen. »Melden Sie sich doch … man nennt seinen Namen … was ist denn das … Weizen soll ich kaufen … Herr«, Ackermann schlug auf den Schreibtisch und schrie wütend: »Sie werde ich mir kaufen, verstanden … ich werde Sie …« Da nichts mehr zu hören war, warf er den Hörer hin und klingelte bei der Telefonzentrale Sturm.
»Wer hat jetzt angerufen?«
»Weiß ich nicht! Er verlangte nur dringend, Sie zu sprechen!«
»So!? Dringend! Kennen Sie nicht die Stimme?«
»Leider nein, Herr Ackermann, keine Ahnung!«
»Danke! Halt! Von nun an verbinden Sie nur, wenn der Name genannt wird, … ich bin nicht für jeden Verrückten zu sprechen … danke!«
Ackermann war wütend.
Kaufen Sie Weizen! Kaufen Sie Weizen! Kaufen Sie Weizen! Mehr hatte der Unbekannte am anderen Ende nicht gesagt … andauernd dasselbe! Er schlüpfte in den Mantel und knurrte ärgerlich vor sich hin. »Wirklich eine Unverschämtheit! Sicher so ein Händler, der mich auf diese lächerliche Weise reizen will … gelacht … jetzt kaufe ich erst recht nicht … keinen Halm und nicht geschenkt!«
»Ein Eilbrief, Herr Ackermann!«
Er hatte schon die Hand an der Tür.
»Geben Sie mal her!«
Ärgerlich riss er den Umschlag durch, überflog die Zeilen, fuhr sich dann über die Stirne und setzte sich dann hin.
Das war denn doch allerhand!
Herrn Paul Ackermann, Getreide-Import -Export.
Kaufen Sie Weizen! Kaufen Sie Weizen!
Kaufen Sie Weizen! Ein Freund.
»… Also, Herr Mücke, was halten denn Sie von der Sachse? Können Sie sich das alles zusammenreimen?« Paul Ackermann blieb stehen, sah seinen Prokuristen an und ging dann wieder unruhig im Zimmer auf und ab.
Otto Mücke strich sich mit den langen Fingern der rechten Hand über die spiegelglatte Glatze, sah dann scheinbar etwas gedankenverloren auf den leeren Ärmel an der linken Seite, dachte einige Sekunden, so, als wäre gar nicht er der Leidtragende, an den Sturmangriff am Chemin des Dames, bei dem er den linken Arm den Franzosen gelassen hatte, und kniff dann ein Auge zu.
Als Ackermann, der seinen Prokuristen genau beobachtet hatte, das sah, wusste er, dass Herbert Otto Mücke, seit zwanzig Jahren Prokurist der Firma Paul Ackermann, Getreide-Import und -Export, nun den Mund aufmachen würde.
Endlich, denn man konnte gegen Otto Mücke eine Menge einwenden – so zum Beispiel das eine, dass ein laubfroschgrüner Binder zu einem schwarzen, schon etwas glänzenden Salonrock nicht das Höchste an Schick sei – oder dass weiterhin die hellgelben Beinkleider zu eben diesem Salonrock in einigem Widerspruch stünden – man konnte also an dem äußeren Menschen Mücke eine Menge aussetzen – ja, das konnte man – ihm aber nachsagen, dass er viel, ja auch nur genügend sprach, das konnte man nicht tun, ohne die Wahrheit schwer zu beleidigen!
Kniff aber Herr Mücke ein Auge zu, dann konnte man einen Schlepper besten rumänischen Weizen gegen einen harten Halm setzen, dass er sprach.
»Ja, was soll ich da sagen, Herr Ackermann, nicht? Mir ist der ganze Rummel verdächtig. Der Mensch, der Ihnen da seit einer Woche jeden Tag so einen Wisch schickt und Sie auffordert, Weizen zu kaufen, ist natürlich einer von den Jungens, die dick in Weizen stecken und ihn los werden wollen, nicht?«
»Sie meinen also, dass wir …«
»Natürlich, Herr Ackermann, ich meine, dass wir Weizen genug haben … dass wir, sagen wir, sogar mehr als genug haben …«
»Na ja, Mücke, das ist in gewisser Hinsicht richtig, aber …« Ackermann nahm ein Blatt Papier auf und überflog es schnell, »aber sehen Sie, Mücke, da haben Sie zum Beispiel die Nachrichten aus Rumänien Vielversprechend, wenn die Dürre nicht anhält … sie hält aber an … ebenso klagt man in Ungarn über wenig Regen … und dann, was sagen Sie zu Peters letztem Bericht …«
»Meine Meinung ist, dass junge Leute leicht den Kopf verlieren. Ich will nicht gesagt haben, dass Ihr Sohn von der Sache nichts versteht … im Gegenteil, Herr Ackermann, er versteht sogar eine ganze Menge … Aber sehen Sie, wenn so junge Menschen das erste Mal so ein bisschen Dürre sehen … so tausend Morgen in der Dürre oder noch mehr, wenn sie so kilometerlang Felder sehen, die nach Wasser schreien, Erde, die vor Hitze ausbricht und klafft, dann werden sie nervös und meinen, die Ernte sei beim Teufel, nicht? Aber sehen Sie, Herr Ackermann, wir zwei, meine ich, wir haben einen breiten Hut voll Erfahrung, und wir wissen, dass wir jetzt Mitte Mai noch nichts wissen können, nicht? Kann sein, dass kein Regen kommt und die Ernte miserabel wird … sehr miserabel, Herr Ackermann … kann sein, dass es morgen und vierzehn Tage lang regnet und die Ernte großartig wird, nicht? Ich sage, wir lassen uns nicht bluffen, wir nicht!«
»Sie sind also dafür …«
»… nicht zu kaufen … sagen wir noch nicht zu kaufen, Herr Ackermann! Kein Bushel! Die Leute ersticken in Weizen und machen jetzt jeden Zauber, um ihn loszubekommen, das ist alles!«
»Na schön, Mücke! Sie sollen wieder einmal recht haben … ich kaufe also nicht …« Er sah sich um. »Was ist denn los, Fräulein?«
»Herr Constantinescu ist mit dem Flugzeug angekommen und fragt vom Tempelhofer Felde an, ob er Sie sprechen kann … möglichst sofort …«
Ackermann sah erst Mücke, dann seine Sekretärin an.
»Constantinescu? Am Flughafen?« Er schüttelte erstaunt den Kopf. »Das ist aber sonderbar! Geben Sie mir die Verbindung herein … ich spreche selbst mit ihm!«
Während das Fräulein verschwand, setzte sich Ackermann und hob den Hörer ab.
»Sind Sie es, Constantinescu? Ja, hier spricht Ackermann. Aber jetzt sagen Sie mir gefälligst, was Sie in Berlin machen!? Was? Sie wollen sich etwas amüsieren? Ausspannen? Also wissen Sie, mein lieber Constantinescu, das ist aber doch die Höhe!« Ackermanns Stimme wurde schärfer. »Hätte das nicht noch ein bisschen Zeit gehabt, wie? Vielleicht nach der Ernte? Nein? Na schön, wir werden uns darüber noch sehr unterhalten … Wenn Sie für Geschäfte Zeit haben, so können Sie kommen … auch sofort! … Gut, ich erwarte Sie … Wiedersehen!« …
Als Ackermann den Hörer hingelegt hatte, schwieg er einige Sekunden. Dann wendete er sich zu seinem Prokuristen.
»Haben Sie Worte, Mücke? Constantinescu fliegt jetzt, einige Wochen vor der Ernte, nach Berlin, um sich zu amüsieren! Ist der Mann Verrückt geworden oder nicht?!«
Otto Mücke streckte seinen langen, weißen Zeigefinger wie ein Florett vor sich hin. »Constantinescu … Constantinescu natürlich ist er verrückt!«
* * *
Was an einem Menschen schwarz sein kann, war an Carol Constantineseu schwarz – tiefschwarz!
Die Haare waren schwarz wie beste preußische Stiefelwichse, die Augen funkelten tiefschwarz, der Schnurrbart war schwarz, der sehr moderne Sakkoanzug war schwarz, die Krawatte, die Schuhe, die Seidenstrümpfe, und – es kann leider nicht verschwiegen werden – sogar die Fingernägel erwiesen sich als solidarisch und zeigten einen diskreten, schmalen Trauerrand, so, als wollten sie dort, wo Carol Constantinescu sozusagen aufhörte, teilweise wenigstens aufhörte zu sein, eine ihm passende Umrahmung angeben.
Ansonsten war Herr Constantinescu genau in der Mitte zwischen vierzig und fünfzig – in den besten Jahren also, deren sich ein Mann erfreut. Im Übrigen war er Getreides Agent und Ackermanns Vertrauensmann für Großrumänien, weiterhin sein ausgesprochener Liebhaber eines möglichst bequemen, sorgenfreien Lebens.
Er eilte nun wie ein schwarzer, gut genährter Panther in das Zimmer und drückte Ackermann die Hand, dass der zusammenzuckte.
»Großartig! Großartig sehen Sie saus, Herr Ackersmann« – Ackermann konnte er nicht sagen, und wenn er hätte sterben müssen – er blieb bei Ackersmann – »wunderschön sehen … ich bin serr entzückt, Sie zu besehen!«
Ackermann zeigte auf den Stuhl, schob Zigarren und Zigaretten hin, zündete Constantinescu, der sich für Zigaretten entschieden hatte, und sich selbst eine an und knurrte dann etwas übellaunig: »Ich weniger, Constantinescu! Wirklich! Was soll denn das heißen! Wie Sie sich Ihr wertes Leben sonst einrichten, ist nicht meine Sache, aber wir stehen jetzt knapp vor der Ernte, ich warte jeden Tag auf Ihre Berichte, benötige sie, wie Ihnen nicht unbekannt sein dürfte, wie einen Bissen Brot, und Sie fliegen, als läge draußen Schnee, nach Berlin … Sie haben auf dem Posten zu bleiben, verstehen Sie? – Oder sind Sie vielleicht wahnsinnig geworden?«
»Ha ha ha ha! Serr lustik! Serr lustik! Ich bin wahnsinnig geworden, ich, Carol Constantinescu … serr lustik! Herr Ackersmann … o nein«, er verdrehte die Augen, dass man nur den weißen Augapfel unter den buschigen schwarzen Augenbrauen sah, »o nein, ich bin nicht wahnsinnig … ich bin wunderschön gesund und vernünftig … aber ich habe kommen müssen verstehen Sie, Herr Ackersmann … müssen …«
»Nein, ich verstehe nicht … kein Wort verstehe ich …«
Constantinescu griff nach seiner lackschwarzen Aktenmappe, entnahm ihr eine kleine Blechschachtel, stellte sie auf den Schreibtisch, und auf einmal sah Ackermann, dass das Gesicht des Rumänen sich jäh gewandelt hatte.
Das lustige Lachen war wie fortgewischt, die Augenbrauen standen eng beisammen, und von der Nase sprangen scharfe Falten zu den Mundwinkeln.
»Posten bleiben … ich bin gebleiben … bin ja gebleiben«, er schlug auf die Blechschachtel, öffnete sie und legte dann den Inhalt, einige Dutzend Ähren, Blätter und Halme, vor Ackermann hin, »da, ich bin gebleiben, da sehen Sie sich das serr gut an, Herr Ackersmann, serr gut!«
Paul Ackermann warf einen Blick auf Constantinescu, nahm dann eine Weizenähre in die Hand, wog sie mit einem zärtlichen Blick auf der Hand und prüfte sie. Nach einigen Sekunden legte er sie fort, nahm eine andere, griff nach einem Blatt, einem Stängel, brach da und dort ein Korn auf und wurde, je länger die Prüfung dauerte, um so unruhiger, bis er dann nach einer Lupe griff und das ganze vor ihm liegende Material nochmals untersuchte.
Nach wenigen Minuten schien er seinen Gast vergessen zu haben.
Seine Bewegungen wurden hastig, fahrig, er schaltete, ohne Constantinescu auch nur einen Blick zuzuwerfen, eine starke Lupe ein und untersuchte die Proben, die vor ihm lagen, immer wieder.
Constantinescu saß inzwischen unbeweglich da.
Seine schwarzen Augen waren auf Ackermann gerichtet, und jeder Muskel schien gespannt zu sein.
Als dann der Getreidehändler seine Untersuchung beendet hatte, wendete er sein Gesicht stumm dem anderen zu, und Constantinescu sah, dass es weiß wie Kalk war.
»Was soll denn das heißen, Mensch?« Man sah, dass er sich nur mühsam beherrschte. »Wollen Sie mir nicht sagen, was das heißen soll? Sprechen Sie doch endlich …«
Der Rumäne griff, als wäre keine Spur von Erregung in ihm, nach einer Zigarette. »Wir haben Weizengelbbrand« … wir haben Flugbrand der Gerste … wir haben auch Weizenflugbrand …«, er ließ auf einmal jäh die Zigarette fallen und hob die Hände hoch, »es ist so … wir sind verloren!«
Paul Ackermann versuchte zu lächeln, aber sein gesundes Gesicht verzerrte sich nur.
»Constantinescu, Ihre Fantasie geht Ihnen durch … sind Sie deshalb gekommen?«
Der Rumäne nickte stumm.
»Constantinescu … etwas Brand gibt es ja leider überall … verstehen Sie … überall … sagen Sie mir, von wo sind denn die Proben da her? Wo ist denn das verseuchte Gebiet? Ist es groß?«
Der Rumäne ließ die Hände auf die Knie sinken, und seine großen Augen sahen Ackermann wie erschreckt an.
Constantinescu schwieg einige Sekunden, dann sagte er wie scheu und beschrieb mit den Händen einen Riesenkreis. »So groß … serr groß …« er machte eine Pause, »die ganze Walachei …«
Ackermann sprang so jäh aus, dass er seinen Stuhl umwarf.
»Constantinescu, sind Sie denn wirklich verrückt geworden?« Er konnte sich nicht beherrschen und schrie so laut, dass Fräulein Holm erstaunt den Kopf zur Tür hereinsteckte, schnell aber wieder zurückzog. »Sind Sie vielleicht betrunken, Mensch? Oder sind Sie nach Berlin geflogen, um mich anzuulken?« Er fasste den Rumänen hart an der Schulter und rüttelte ihn. »Mensch, Constantinescu, sprechen Sie doch endlich vernünftig … damit scherzt man nicht …«
»Ich scherze nicht, Herr Ackersmann! Diese Proben sind aus der ganzen Walachei … alles ist krank … alles ist serr schwerr krank …«
»Aber, Constantinescu, aus Ihrer letzten Inspektion, die noch keine fünf Wochen zurückliegt, haben Sie doch alles in Ordnung gefunden! Die offiziellen Berichte des Landwirtschaftsministeriums, die keine zwei Wochen alt sind«, Ackermann suchte hastig ein Schriftstück, fand es, schlug erregt darauf und legte es vor dem Rumänen auf den Tisch, »da … da lesen Sie … diese Berichte melden kein Wort von einer Krankheit … da haben Sie … lesen Sie …«, der Stand des Getreides ist bis auf die Schäden der Dürre, die bereits gemeldet wurde, ein durchaus zufriedenstellender … durchaus zufriedenstellender steht hier, Constantinescu! da steht kein Wort von irgendeiner Krankheit, nichts von Brand, nichts, nichts … Wollen Sie mir das erklären, ja?«
Carol Constantinescu streckte die Beine weit von sich hin; sein Blick flog über die eleganten Lackschuhe, die Strümpfe aus Seide, die langen Finger, die Nägel mit dem diskreten Trauerrand, und er sah dann wie verloren vor sich hin.
»Erklären? Nein, das kann ich nicht, Herr Ackersmann, gar nicht! Ich kenne diesen Bericht da …« er legte beschwörend die Hand auf die Brust, »ich meine, es ist ganz sicher, dass er gestimmt hat … ganz sicher … aber …«
Ackermann wurde ärgerlich.
»Mein lieber Mann, Sie werden mir doch nicht einreden wollen, dass Weizen und Gerste in der ganzen Walachei über Nacht krank geworden sind, dass der Brand sozusagen vom Himmel gefallen ist … nicht? Das ist denn doch zu, na, ich möchte das für mich behalten, was ich darüber denke …« Ackermann lief aufgeregt durch das Zimmer. »Die Sache ist natürlich die, dass sie da unten eine ganz miserable Wirtschaft haben … die Sache ist einfach die, dass euer Saatgut verlumpt und verseucht ist und sich kein Mensch darum kümmert …« Er hatte sich in Hitze gesprochen, verschnaufte ein wenig und legte dann wieder los: »Eure großen Herren verprassen ihr Geld in Paris, in Monte und weiß der Teufel noch wo … Eure Verwaltet stehlen wie die Raben, schinden die Pächter, und der Bauer, der arme Hund, hat von einem anständigen Saatgut keine Idee … und dann wird zum Tiberfluss noch der Inspektor, der aus Bukarest kommt, gekauft, und der frisiert dann den Bericht … alles in Ordnung, heißt es dann, und inzwischen geht die Ernte zum Teufel … so ist es, und Sie, Constantinescu«, Ackermann trat einen Schritt zurück, »als wolle er zwischen sich und seinem Agenten Distanz schaffen, »Sie, Mann, der mich jeden Monat schweres Geld kostet, Sie lassen dafür in Paris arbeiten, haben natürlich wie immer drei Freundinnen, sind auf der Inspektion verschlafen und staunen jetzt über das Unglück, nicht?« Er hob die Hände zum Himmel, als würde er ihn als Zeugen anrufen. »Ein wunderbares Land, dieses Rumänien, ein fabelhafter Boden und ein herrlicher Weizen, ein goldener Weizen! Aber solche Dinge … na …«
Constantinescu ließ seine Blicke verzweifelt im Zimmer umherwandern.
»Sie sind serr ungerecht, Herr Ackersmann, serr ungerecht! Ich werde Ihnen etwas sagen«, er beugte sich etwas vor und hob die rechte Hand, als wollte er schwören, »es ist jeddes Wort, dass ich gesprochen habbe, wahr … jeddes Wort! Ich habbe vor einem Monat das ganze Rayon, diese Walachei inspiziert«, er legte eine Hand auf die Brust, »ich war zwei Tagge auf das serr große Gut von meinem Freunde Tatilescu … ich habbe das Feld jeden Tag angesehen … wunderbares Weizen … es war alles serr gutt, Herr Ackersmann, so gutt, wie ich es habbe geschrieben … Und jetzt habbe ich wieder meinen Freund besucht … und bin wieder über alle Felder gegangen, und da habben ich gesehen, dass ist viel krank … serr viel krank … ich habbe meinem Freunde nichts gesagt, ich habbe gesehen, dass andere Walachei ist auch krank, bin schnell fortgefahren, habbe ein Flugzeug genommen und bin fortgefloggen … ich bin serr erschreckt ..., Herr Ackersmann, serr erschreckt …«
»Das ist ja alles unglaublich, Constantinescu«, er sah, dass »der Rumäne gekränkt den Mund verzog, »ich meine, es ist fast nicht zu glauben, es widerspricht jeder Erfahrung, dass Getreide sozusagen über Nacht krank wird … das verstehe ich einfach nicht; wenn es aber so ist, dann muss sofort etwas geschehen! Wir müssen Gewissheit haben, und das gleich! Haben Sie mit jemand darüber gesprochen?«
Constantinescu hob die Augen zum Himmel.
»Mit keine Seele!«
»Gut! Dann passen Sie auf!« Ackermann dachte einige Sekunden nach. »Sie fliegen noch heute zurück, mein Lieber … ja, noch heute … wenn ich nicht irre, so haben Sie in ungefähr drei Stunden eine Maschine … Zu Hause setzen Sie sich in Ihren Wagen und klappern los … Weiter senden Sie mir aus allen Distrikten Proben – möglichst zahlreich … Weizen, Gerste, Mais … natürlich auch Blätter und Stängel … vergessen Sie nicht, dass jede Probe Herkunftsbezeichnung tragen muss … Außerdem«, Ackermann sah Constantinescu scharf an, »sehen Sie sich die Sache genau an und senden mir täglich Berichte.« Er blieb vor Constantinescu stehen. »Und nun angenehme Reise! Es ist möglich, dass man Sie auf eine Zeit in gewissen Bukarester Lokalen vermissen wird … Vergessen Sie nicht, dass von Ihrer Arbeit eine Menge abhängt und dass«, er machte eine Pause, »dass Cordianu, Ihr Freund Cordianu, seit drei Jahren auf Ihren Posten wartet …« Als Ackermann sah, dass der Rumäne zusammenzuckte, flog ein leichtes, unmerkliches Lächeln über sein Gesicht, und er legte beruhigend die Hände auf dessen Schulter. »Und wenn Sie Ihre Inspektion so einrichten, dass nicht ganz Rumänien davon erfährt, so habe ich nichts dagegen … und nun, mein Lieber, wollen wir nachsehen wann Sie fliegen können! Kommen Sie!«
Baron Stephan Csarady prüfte den Kutschwagen, den ein Stallknecht vorführte, mit einem scharfen Blick, gab den beiden prachtvollen Rotfüchsen ein paar zärtlichkräftige Schläge auf die Hinterhand, sprang trotz seiner sechzig Jahre schwungvoll auf, half seiner Nichte, Hedda Poschendorff, die seit zwei Tagen hier war, auf den Sitz und schwenkte dann grüßend die Peitsche gegen seine Frau, die unter der Auffahrt stand und dem Wagen nachsah, der nach einer Runde um die mächtige Linde in die breiteschattige Allee einbog, die in die Weite führte.
Hedda sah noch einmal zurück.
»Tante Elga ist, so scheint mir, noch immer keine Freundin von viel Sonne …, ich wieder«, sie hob den Kopf und sah dem goldenen Ball voll entgegen, »ich wieder liebe sie heiß!«
Baron Csarady wischte über seinen weißen, etwas ausgezogenen Schnurrbart und hielt die Füchse, die etwas zu lange im Stall gestanden hatten, kürzer. »Ja, wenn der Sommer kommt, verkriecht sich Elga wie ein Maulwurf! Angeblich«, er sah seine Nichte an und schmunzelte, »bekommt sie Migräne, in Wirklichkeit aber«, er hob die Peitsche und zog dem Stangenpferd eine leichte über, »hat sie es nur mit der Eitelkeit! …«
»Aber Onkel Stephan … wie kannst du nur …«
»Wenn ich es dir sage! Sie hat nämlich … aber schwöre mir, dass du mich nicht verrätst …«
Hedda lachte und hob die Hand.
»Ich schwöre!«
»Gut! Sie hat nämlich auf der Nase … genau auf der Nasenspitze eine ganze Sammlung von Sommersprossen …«
»Du bist aber sehr garstig, Onkel Stephan … Tante Elga ist die entzückendste Frau im ganzen Komitat …«
»Aber Mädel«, er schwang die Peitsche und knallte wie nur ein Csikos, »aber Mädel, und ob sie entzückend ist! Ich schwöre«, er hob die Hand und lachte über das ganze breite, braun gebrannte Gesicht, in dem nur der buschige Schnurrbart weiß war, »dass ich sie noch immer so liebe wie damals als junger, verrückter Husar, und wenn sie auch siebenunddreißig Millionen Sommersprossen hätte! He, du Ausbrecher, soll ich dir eine anständige überziehen?«
Er sah Hedda an.
»Und im Übrigen, mein Mädel, soll eine Frau eitel sein … das ist gut und recht … wir Männer wollen eitle Frauen … mit Maß natürlich … und siehst du, da graben sie in Ägypten oder weiß der liebe Gott wo Gräber auf, und, bei meiner Ehre, was finden sie, Mädel? Lippenstifte, Puderdosen, Nagellack ja, mein geliebtes Mädel, das finden sie … ach ja, Gott ist groß, und die Frauen sind eitel … so ist es …«
»Bist noch immer der alte, Onkel Stephan, lustig und munter …«
»Das bin ich, Mädel, das bin ich … Ungar bleibt Ungar! Da sieh!« Er hielt den Wagen jäh an und streckte den Arm weit aus, »das ist unser Land goldener Boden, mein Kind, goldener Weizen goldenes Land Ungarn!«
Hedda Poschendorff richtete sich auf, hielt die eine Hand über die Augen und sah um sich.
Wohin das Auge blickte, war der Boden eben, und was sie sah, war wogender, goldig schimmernder Weizen, der sich leicht und rhythmisch im Winde neigte und hob wie goldene, sanft bewegte Wellen …
Das Bild war ihr nicht neu, aber immer wieder packte sie diese unendliche goldene Flut, die scheinbar bis in den Horizont vorstieß, in die Unendlichkeit.
Sie liebte dieses Bild, wie sie so in die sich wiegenden Milliarden Halme sah, war es ihr, als stünde sie nicht mehr auf einem Wagen mitten im ungarischen Weizenland, sondern als läge sie in einem schmalen Kahn, der langsam, unbeschwert und scheinbar ohne Ziel dahintrieb … weit, weit in die Ferne … einem anderen Kontinent zu, wo Weizen wuchs, blühte und reifte so wie hier, und den geliebten Mann umfing so wie dieser Weizen sie selbst …
Sie ließ die Hand sinken.
»Wunderbar, Onkel, wunderbar … einfach … nur Weizenfelder… nur … und eben deshalb so großartig …
»Ja, mein Mädel, nur Weizen … nein, nein, ich weiß schon, wie du das meinst … ich sage nur Weizen, aber warte mal, was machen die drinnen in der Stadt, wenn wir dummen Weizenbauern, wie sie uns nennen, einmal keinen mehr bauen!?« Er hob die langen, sehnigen Arme, an denen das weiße Hemd bis an den Ellbogen aufgeschlagen war. »Was machen sie dann, die feinen Leute in der Stadt? Hungern müssen sie, mein Mädel, einfach hungern …, denn siehst du«, er breitete seine Arme weit aus, »das kannst du essen … davon kannst du leben, aber kannst du von einer Maschine satt werden? Eisen, mein geliebtes Mädel, kann man nicht essen!« Er hob die Hände zum Himmel »O goldenes Ungarland, geliebte Erde, heilig bist du, mein Ungarland …«
»Ja, Onkel, du hast recht! Glücklich und Herr ist man nur auf eigener Erde!«
»Ja, Kind, und dein Bräutigam ist ein kluger Mann – denn immer wird man Getreide brauchen … Weizen, Roggen, Gerste, Mais – ein kluger Mann … wollte Gott, ich hätte ein Kind, einen Sohn …« Er ließ die Pferde leicht angehen. »Aber wann kommt der Herr Bräutigam? Hast wohl schon große Sehnsucht, was?«
Hedida Poschendorff sah ihrem Onkel voll ins Gesicht, und ihre Augen strahlten voll Licht.
»Ja, Onkel Stephan, ich liebe Peter, und ich sehne mich nach ihm … sehne mich sehr …«
In einem der Meierhöfe, der schon weit draußen lag, fuhr der Baron ein, gab die Zügel einem Jungen, der heranschoß, half Hedda vom Wagen und ging zu den Ställen, von wo ihm schon der Verwalter eiligst entgegenkam.
»Gnäddiger Herr Baron, geben uns die Ehre! Gott grüße das gnäddige Freilein!«
»Guten Dag, Herr Verwalter!« Sie gab Michael Farkas, dem Ersten Verwalter ihres Onkels, die Hand. »Kennen Sie mich noch?«
»Oh!« Farkas verneigte sich so tief, wie es sein Bauch zuließ, »olh, werde ich nicht kennen das gnädige Freilein! Oh, waiß ich noch wie gestern … genau so wie gestern …«
Hedda lachte, und der Baron schmunzelte.
»Bist ein großer Schwindler, Farkas, ein sehr großer! Komm, Hedda!« Sie gingen durch einen der vollkommen modern eingerichteten Ställe, wo Pferd an Pferd stand, und während Hedda den Zucker verteilte, den sie mitgenommen hatte, berichtete Farkas seinem Herrn über die letzten Ereignisse.
Die große Muttersau hatte zwanzig Ferkel geworfen, zwei Stuten hatten gefohlt, und im Meierhof I hatte ein Csikos einen anderen aus Eifersucht niedergestochen … sonst gab es nichts von Bedeutung, nur dass Almassy da sei. Er sei draußen auf den Feldern, erzählte der Verwalter …
Nach dem Essen gingen Hedda und ihr Onkel zu Fuß in die Felder, »die den Meierhof umsäumten, fünfzig Schritte hinter ihnen der Verwalter, und bald standen sie wieder inmitten des Weizens.
Hedda ließ eine volle Ähre durch die Hand gleiten.
»Wie wird die Ernte, Onkel Stephan?«
Der Baron hob die Hand.
»Durch Gottes Hilfe großartig, mein Kind! Großartig! Ah, da kommt ja Almassy … na, den wollen wir uns gleich vornehmen!«
Nikolaus Almassy war das Gegenteil des runden, kurzen Verwalters. Er war unendlich lang und schmal, und hatte Farkas ein Fragment einer Nase, so besaß Almassy dafür ein Prachtexemplar, das, schlecht gemessen, sieben Zentimeter hatte, kühn nach unten stieß und den harten Mund mit den schmalen Lippen weit hinten ließ.
»Na, Almassy, wie gefällt Ihnen mein Weizen? Feine Sache, was! Den werden Sie aber auch zahlen müssen, wenn Sie ihn haben wollen!«
Almassy begrüßte den Baron, küsste Hedda die Hand und wackelte dann mit dem schmalen Kopf.
»Wie Gott will, Herr Baron, wie Gott will!«
Baron Csarady lachte.
»Lass den Herrgott aus dem Spiel, Almassy, den Preis machen wir schon allein aus … er steht wunderbar!« Er strich mit seinen Fingern leicht, wie liebkosend, über die Ähren, die sich vor ihm zu neigen schienen. »Ein wunderbarer Weizen, Almassy, das steht fest …«
»Herr Baron«, der Händler schielte über den Gutsherrn nach dem Verwalter, »Herr Baron halten zu Gnaden, dieser Weizen«, er deutete auf die Felder, in deren Mitte sie standen, »dieser Weizen ist prima … Csarady-Weizen aber der Weizen draußen bei Vorwerk III, IV und V dieser Weizen, Herr Baron halten zu Gnaden«, der Händler trat einen Schritt zurück, »ist krank!«
Baron Stephan Csarady stand einige Sekunden starr. Dann sprang er mit geballter Faust gegen Almassy vor.
»Das lügst du!«
Der Händler zog sich noch mehr zurück.
»Herr Baron halten zu Gnaden, ich lüge nicht! Der Weizen, Herr Baron, ich kann nur sagen, was ich mit meinen Augen gesehen habe, der Weizen hat Braunrost … und Schwarzrost …«
Csarady hob die Hand, ließ sie aber dann mit einem Blick auf seine Nichte sinken und lachte grimmig auf.
»So, Braun- und Schwarzrost … das ist so, als hätten wir da die Pest! Und sonst fehlt meinem Weizen nichts … Du sollst nicht schon am Vormittag Schnaps trinken, Allmassy … verstehst du!?«
»Halten zu Gnaden, aber ich trinke keinen Schnaps … überhaupt keinen … belieben der Herr Baron, sich den Weizen anzusehen …«
Baron Csarady wendete sich jäh zu seinem Verwalter, und seine Augen wurden hart.
»Farkas, ist mein Weizen krank oder gesund?«
Der Verwalter rang die Hände.
»Herr Baron, gnädiger Herr, vor drei Tagen war ich draußen … ich kann schwören, der Weizen war gesund … Almassy ist ein Narr!«
Csarady warf einen Blick auf den Händler, der steif und stumm dastand.
»Gehen wir! Farkas, meinen Wagen! Du kommst mit und auch Almassy! Und wenn der Weizen nicht in Ordnung ist, prügele ich dich mit meinen eigenen Händen … Komm, mein Kind!«
Baron Stephan ließ die Pferde laufen, was sie wollten, sprang, kaum dass das erste Vorwerk in Sicht kam, vom Wagen, half Hedda herunter und lief, ohne sich um die anderen zu kümmern, gegen die Felder.
Ohne auf Wege zu achten, lief er mitten in den Weizen, blieb stehen, riss dort und da eine Handvoll Halme heraus, warf einen Blick darauf und raste dann wie ein wilder Stier auf den Verwalter los, der stumm vor ihm auf die Knie sank.
»Da, du Hund von einem Verwalter!« Er warf Farkas ein Bündel Weizen ins Gesicht, »da, da! Ein Fremder muss kommen, um mir zu sagen, dass »der Weizen krank ist, dass wir Rost haben!« Csarady war weiß vor Wut. »Weil du ein Lump, ein Gauner, ein Dieb bist, der mich bestiehlt! Entschuldige, Hedda, aber Almassy hat recht, der Weizen ist krank, da sieh nur«, er zeigte ihr ein Dutzend Halme und Ähren, »Schwarzrost, Braunrost … noch sehr schwach, aber deutlich erkennbar … Und du, du betrügst mich und hast keine Augen im Kopf … du hast mein gutes Saatgut verkauft und Verseuchtes gesät … noch heute gehst du zum Teufel, und einsperren lasse ich dich, bis du schwarz wirst!«
Michael Farkas haschte nach der Hand seines Herrn, um sie zu küssen.
»Gnädiger Herr Baron, gnädiger, gutter Herr Baron, ich schwöre bei meinem Seelenheil«, er stand auf und legte seine breite Hand auf sein Herz, »ich schwöre bei unserer heiligen ungarischen Erde, ich habe nichts gestohlen, kein Saatgut verkauft, ich schwöre, ich habe nichts gesehen vor drei Tagen …«