Die Weltengang-Maschine - Mikael Lundt - E-Book

Die Weltengang-Maschine E-Book

Mikael Lundt

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Beschreibung

Ein fantastischer Roadtrip durch Raum und Zeit, ein Ringen um Macht zwischen Himmel und Hölle – und mittendrin der arbeitslose Bernd Bratzke, der noch nie im Leben etwas von Bedeutung vollbracht hat. Doch ein Fax von Gott reißt ihn aus seiner Lethargie und zwingt ihn, den Kampf aufzunehmen – gegen die Schergen des Satans, das drohende Chaos im Universum und seine eigene Unfähigkeit, Dinge zu Ende zu bringen. Mit einer vom Schicksal zusammengefügten Truppe zieht er los, um die Weltengangmaschine vor einem teuflischen Komplott zu retten. Eine Fernbedienung verleiht Bernd den Hauch von göttlicher Potenz, doch es fehlt ihm jegliche Weisheit. So stolpert er von einer Katastrophe zur nächsten. Wird es ihm gelingen, die Welt vor der Verwandlung in eine satanische Spielwiese zu bewahren?

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Mikael Lundt

 

Die Weltengang-Maschine

Bernd Bratzke und das Fax von Gott

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erleuchtung

In einem Inferno aus Qualm und Schweiß, einem Sturm aus Getöse und Gestank, fand ein Mann unerwartet zu eisernem Willen. Wie im Auge eines Orkans aus Spielautomatengebimmel und Stammtischparolen saß Bernd Bratzke am Tresen seiner Stammkneipe und konzentrierte den gesamten Geist. Die Umwelt verblasste allmählich, während er wie in Trance auf die dicke Blase am Boden eines Weißbierglases starrte.

Er würde nicht locker lassen, nicht dieses Mal. Bernd ahnte, dass sie der Kraft seiner Gedanken nicht mehr lange widerstehen konnte. Er riss die Augen noch ein Stück weiter auf und beugte sich langsam näher an das Glas heran.

„Alkadambarbara“, flüsterte er.

Und da geschah es! Majestätisch erhob sich die Blase vom Grund und stieg in kreisenden Bewegungen empor, bis sie friedlich mit dem samtigen Himmel aus Schaum verschmolz.

„Das ist die Magie der Unendlichkeit!“, rief er durch die Kneipe, reckte das Glas freiheitsstatuengleich in die Höhe und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter.

Sogleich gingen mit einem dumpfen Gluckern die Lichter aus. Bernd sank in eine tiefe Umnachtung.

 

Knorpelknie

„Der Knorpel braucht Druck“, röhrte Irmgard Gwizek vom Podium hinunter ins Publikum. Ihre durchdringende Reibeisenstimme verlieh dem soeben Gesagten den nötigen Nachdruck, so dass niemand daran zu zweifeln wagte. Die gut 30 anwesenden Senioren duckten sich in die Stuhlreihen. Das hätte Irmgard als Beweis genügen können, dass ihre Worte angekommen waren. Dennoch wiederholte sie lauter als zuvor: „Der Knorpel braucht Druck, sonst macht der, was er will!“ Das war das fulminante Ende ihres 20-minütigen Vortrags über den richtigen Umgang mit Gelenken. Sie schnappte sich ihren orthopädischen Gehstock und stieg von der Bühne.

„Dankeschön, Irmgard!“, rief ein herbeigeeilter Moderator. „Wer ist der Nächste? Ach, hier hab ich ihn. Horst, komm bitte zu mir. Einen kräftigen Applaus für unseren Horst, er wird euch erklären, warum Melkfett besser ist als Vaseline.“

Irmgard schlurfte derweil durch die Reihen bis ans Ende des Saals – dort lag die Bar des Seniorenzentrums, welches sie seit zwölf Jahren bewohnte.

„Doppelten Korn“, rief sie Otto zu, der heute an der Theke Schicht hatte. „Weißt du, manchmal glaube ich, die Leute verstehen die einfachsten Dinge nicht.“

 

„Was meinst du, mein Täubchen?“, flötete Otto und stellte den Schnaps auf die Theke.

„Na, zum Beispiel Pekinesen!“, sagte Irmgard energischer, als es nötig gewesen wäre.

„Stimmt“, gab Otto zu, „die verstehe ich auch nicht.“

„Papperlapapp, stell dich nicht dümmer als du bist. Der Pekinese ist recht simpel gestrickt. Nehmen wir die Ernährung: Pekinesen lieben Leberwurst. Aber sie hassen Knoblauch“, erklärte Irmgard immer noch überaus lautstark.

„Jetzt, wo du's sagst, da könnte etwas dran sein.“

Just in diesem Moment schallten empörte Rufe zu ihnen nach hinten: „Könnt ihr bitte mal die Klappe halten?! Ich versuche, hier einen Vortrag zu halten!“ Es war Horst, dem die Pekinesen-Nummer ganz schön auf den Zeiger ging.

„Friss Melkfett!“, schrie Irmgard zurück und warf ihren Gehstock in Richtung Bühne. Horst ging ihr seit Ewigkeiten auf die Nerven. Wie fast alles in diesem Irrenhaus voller langweiliger Alter. Hier konnte man nicht mal in Ruhe seinen Schnaps trinken und mit dem Barkeeper flirten.

 

Währenddessen steckte Harald Kiesewetter im dichten Berufsverkehr fest. Er hatte andere Probleme. Wie vielen Rheumatikern und Osteoporose-Patienten ging ihm die Hitze der vergangenen Tage an die Nieren – oder besser gesagt an die Knie – Haralds größtem Leiden. Er schätzte die Kälte. Sie erlöste ihn jedes Mal von dem elenden Zucken, das ihn seit Jahren plagte, und brachte ihm Frieden. Und so wünschte er sich sehnlichst den Winter herbei, als er in seinem 96er Fiat Panda durch die brütend heiße Innenstadt kroch. Und da zuckte es wieder, das rechte Knie.

„Verdammt!“, fluchte Harald.

Er würde sich schleunigst einen Wagen mit Automatik kaufen müssen. Dieses Zucken war die Hölle! Es hatte seine Karriere als Sanitär- und Heizungsinstallateur viel zu früh beendet. Obendrein gingen acht Auffahrunfälle auf das Konto des Knies. Einmal war er mit Vollgas in einen Mülllaster gefahren, weil sich sein Bein ruckartig versteifte. Er hatte mehrere riesige Müllkübel einfach weg gerammt und den Inhalt großflächig über drei Fahrspuren verteilt. Es war eine Sauerei gewesen. Beschimpft hatte man ihn, gegen sein Auto getreten. Man hätte ihm, wenn er nicht mit Karacho davon gerast wäre, sicher noch Schlimmeres angetan. Ungern dachte er an den Vorfall zurück. Zu Hause hatte er seinen Wagen mit Sprühdosen aus dem Baumarkt umlackiert, vorne türkis, hinten orange. Diese Farben waren im Angebot gewesen, und da man für ein ganzes Auto ziemlich viele Dosen brauchte, ging es nicht anders. Harald war Frührentner.

„Ach, hätte ich doch was Vernünftiges gelernt!“, seufzte er und fuhr auf den Parkplatz des Seniorenzentrums. Er war genau in der richtigen Stimmung für seinen Vortrag: Über Gott und die Welt.

 

Drinnen kippte Irmgard ihren sechsten Korn hinunter und funkelte Horst immer noch böse an. Dieser veranschaulichte die Unterschiede von Melkfett und Vaseline anhand einer Langzeitstudie, die er an seinen beiden Pobacken durchführte.

„Ich brauche ein paar Freiwillige“, rief er ins Publikum. Ohne zu zögern, schleppten sich Gerlinde und Hildegard zu ihm nach oben.

„Nutten!“, schrie Irmgard. Doch das Treiben auf der Bühne ging ungehindert weiter.

„Ihr müsst fühlen, wie das wirkt!“, forderte Horst die beiden Damen auf. „Packt ruhig richtig an“, stöhnte er.

„Ekelhaft“, sagte Irmgard knapp und drehte sich wieder dem Barkeeper zu, der den nächsten Schnaps einschenkte. „Guter Junge“, lobte sie Otto. „Magst du nachher auf mein Zimmer kommen?“

Schlagartig verstummte der Saal. Harald Kiesewetter war eingetreten und steuerte zielsicher auf das Podium zu. Alle Blicke folgten ihm. Lediglich die auf der Bühne heftig im Vaselinerausch vor sich hin rubbelnden Horst, Hildegard und Gerlinde bekamen nichts mit – bis Harald direkt hinter ihnen stand. Sein im gleißenden Scheinwerferlicht bedrohlich zuckendes Knie holte aus und trat rücksichtslos um sich.

„Spürt das Knie Gottes!“, brüllte Harald, offenbar wie im Wahn.

Ein Raunen ging durchs Publikum und auch Irmgard wandte sich wieder um. Das war ein Kerl, ein echter Mann. Und schön war er, trotz seiner Halbglatze und des deutlichen Bauchansatzes. Und wie er mutig mit dem unsittlichen Gesindel abrechnete. Irmgard war verliebt.

„Otto, ich muss gehen, wir machen ein andermal rum“, sagte sie geistesabwesend und trabte zur Bühne.

 

Harald kam kurze Zeit später auf dem Beifahrersitz seines Autos wieder zu sich. Er rieb sich die Augen, sie brannten fürchterlich. Unsicher sah er aus dem Fenster. Sie fuhren auf der Autobahn. Als er sich nach links drehte, sah er eine fremde Frau am Steuer, die mit Vollgas über die Straße jagte. Sie sah aus wie eine menschgewordene Bergziege, die stramm auf die 80 zuging. Eine wahrlich hässliche alte Schachtel.

„Wie zum Geier bin ich hierhergekommen? Ich kann mich an nichts erinnern!“, fragte Harald.

„Chloroform!“, entgegnete Irmgard knapp. „Ich hab immer ein Fläschchen in der Handtasche, für spontane Einfälle.“

„Ja, wie… was haben Sie?!“, stammelte er.

„Nur mit der Ruhe, es ist nichts passiert. Ich habe Sie da rausgeholt, bevor die Bullen angerückt sind. Sie haben den Schweinepriestern ganz schön in den Arsch getreten.“

In Haralds Hirn wehten schwarze Nebelfetzen umher und gaben sporadisch den Blick frei auf eine Bühne. Er sah sich selbst direkt von oben, wie er wild zuckte. „Oh, ich verstehe. Es ist wieder passiert“, murmelte er in sich hinein.

„Schon gut, Harald, ich darf Sie doch Harald nennen, kein Stress! Wir sind auf dem Weg an einen sicheren Ort.“ Er mochte das zwar gern glauben, doch beschlich ihn das Gefühl, dass hier etwas grundsätzlich schief lief.

 

 

Truhe in Frieden

38 Kilometer von Irmgards und Haralds Position entfernt sah Primodan Ostarovic an seinem dicken Leib herab und runzelte die Stirn. Sein Innenleben benahm sich wie ein zähflüssiges Gemisch aus Gummi und geschmolzenem Kunststoff. Hier und da trieben sicher auch ein paar rostige Schrauben durch die Masse und rieben aneinander. Es gärte und rumorte. Er hatte das sichere Gefühl, dass das nicht mehr lange gutgehen würde mit seinem Innersten. Es versuchte auszubrechen, die Bauchdecke zu durchstoßen und hervorzuquellen, um die Welt zu überspülen und zu ertränken. Dazu durfte es nicht kommen. Nicht wenn er es zu verhindern wüsste! Doch guter Rat war teuer. Es blieb ihm eine Möglichkeit, die Sache ins Lot zu bringen: Er würde sich einfrieren müssen. Und so fuhr Primodan flink zum Elektronikmarkt seines Vertrauens und kaufte die größte und beste Gefriertruhe im Sortiment. Sie war unverschämt teuer, aber dafür hatte sie Energieeffizienzklasse A+++. Man dachte ja an die Umwelt. Das Einfrieren war ein Klacks, Truhe auf, Beine anwinkeln und Deckel zuziehen. Prompt ward es finster und frostig. Das war nicht unangenehm, dachte Primodan, als sich sein Innenleben beruhigte und der eisige Nebel seines Atems auf der Brust kondensierte. Er spürte Eiskristalle zwischen den Nasenhaaren wachsen. Bereitwillig fügte er sich in sein Schicksal. Sollten sich doch die Archäologen in ein paar hundert Jahren die Köpfe darüber zerbrechen, was hier und heute vorgefallen war. Die Tragödie war vorerst abgewendet. Und das war die Hauptsache.

Mit einem Knirschen schwang die Kellertür von Primodans Haus auf, sie führte vom Garten direkt in die Waschküche. Wie Einbrecher schlichen Irmgard und Harald in das düstere Gewölbe.

„Hier sind wir sicher!“, flüsterte sie und zog Harald tiefer in den Raum. Vor ihnen standen Waschmaschine, Trockner, Heißmangel, Bügelbrett und eine nagelneu wirkende Gefriertruhe, auf der noch das Preisschild und der Energieeffizienzklassenaufkleber prangten.

„Merkwürdig“, grübelte Irmgard.

„Was denn?“, wollte Harald wissen.

„Na, die Truhe!“

„Was soll damit sein?“

„Die gehört hier nicht hin.“

„Das ist doch scheißegal!“, blaffte Harald, dem vom Chloroform immer noch der Schädel dröhnte.

„Eben nicht“, entgegnete Irmgard und schritt auf die Truhe zu. Sie zog den Griff nach oben und mit einem saftigen „Kchhhawopp“ schwang der Deckel auf. „Heilige Sch ...“, entfuhr es ihr, „komm her!“

Harald dachte nicht daran, in die Eisnebel spuckende Truhe zu schauen. „Ach, lass mal“, maulte er.

„Komm her, du Lurch!“, schrie Irmgard und Harald gehorchte. Diese Alte hatte wirklich ein bestimmendes Wesen. Er lugte in die Truhe und sah einen blau angelaufenen, vor sich hin zitternden Mittsechziger, der sie mit steifen Augen ansah. „Haben Sie es auch mit den Knien?“, wollte Harald wissen.

„Ööööööööhhh“, stöhnte der Kühltruheninhalt.

„Na, ich meine Rheuma! Da soll Kälte ja wahre Wunder wirken.“ Der Gefrostete öffnete seinen Mund einen Spalt und hauchte stumme Worte ins Zwielicht.

 

Eine gute halbe Stunde war vergangen seit Irmgard und Harald den Kerl aus der Truhe gezogen und in die Badewanne geschleift hatten. Unvermittelt riss Primodan die Augen auf. „Ihr Narren! Was habt ihr getan?“

„Wir haben dich aufgetaut“, sagte Irmgard ruhig.

„Aber in mir ist die Hölle los, es wird alles vernichten, wenn es ausbricht.“

„Quatsch nicht wieder solchen Unfug, das hatten wir schon alles, du musst aufhören, diese Jalapenos zu essen, davon kriegst du Wahnvorstellungen.“

Primodan grübelte. Das mochte stimmen. Irmgard hatte so gut wie immer recht. Schon damals, als sie zusammen in ein und derselben Linksterroristenzelle waren. Sie hatte den richtigen Riecher und einen sechsten Sinn für echte Gefahren. Deshalb hatte man sie bei all den Operationen nie erwischt.

„Irmgard, dann sei so nett und reich mir das Handtuch. Wir gehen ins Wohnzimmer und unterhalten uns in Ruhe bei einem Tässchen Tee weiter“, schlug Primodan vor.

Harald, der die ganze Unterhaltung wortlos verfolgt hatte, verspürte plötzlich einen unbändigen Fluchtinstinkt. Doch Irmgard hatte es sofort bemerkt.

„Denk nicht mal dran“, sagte sie knapp und stieß ihm mit dem Gehstock ans Knie. Heulend krümmte sich Harald zusammen. Er kannte diese Frau keine drei Stunden und schon machte sie ihn mehr fertig als seine Ex und ihre sechs Kaninchen.

 

Traumtee

„Wisst ihr, als ich in der Truhe vor mich hingefrostet hab, da bin ich in einen zwiespältigen Geisteszustand geglitten“, begann Primodan zu erzählen und schenkte den beiden ihm Gegenübersitzenden eine Tasse Ostfriesenmischung ein. „Ich wusste plötzlich nicht mehr, ob ich noch ich bin oder nur ein fremder Geist in diesem Körper. Versteht ihr, was ich meine?“

„Nein“, hab Harald patzig zurück und stieß synchron mit dem zuckenden Knie an den Couchtisch, was seinen Ausruf eindrucksvoll untermalte.

„Wer ist denn dieser Knallfrosch?“, wollte Primodan wissen.

„Darf ich vorstellen, mein Verlobter, Harald“, erklärte Irmgard unumwunden. Haralds eben noch gefasst wirkendes Äußeres bröckelte. Er wollte gerade zum Widerspruch ansetzen, da legte ihm Irmgard unter dem Tisch sanft die Hand aufs Knie und raunte ihm zu: „Halt's Maul und spiel mit“. Er wusste nicht, wieso, gehorchte aber. Primodan musterte ihn von oben bis unten und kratzte sich demonstrativ am Kinn.

„Wir haben uns im Seniorenzentrum kennengelernt“, erklärte Harald wahrheitsgemäß und setzte ein Lächeln auf. Der Gastgeber nahm einen großen Schluck Tee und spülte damit seine Zweifel hinunter.

„Jedenfalls“, fuhr Primodan fort, „ich frostete also vor mich hin und da merkte ich irgendwann, dass ich meine Augen nicht mehr zumachen konnte, was im Grunde egal war, weil es eh stockfinster in dem Kasten war, aber ich hatte das Bedürfnis dazu. Na, und während ich mich darauf konzentrierte, die Glubscherchen zu schließen, da merkte ich, dass es nicht mehr völlig finster war. Verrückt, oder? Erst dachte ich, das ist ja ein Blödsinn, wie kann es auf einmal heller werden und da erkannte ich, dass nicht nur alles heller, sondern auch konkreter wurde.“

Harald und Irmgard hatten mittlerweile ihren Tee vom Tisch genommen und folgten gebannt den Ausführungen Primodans über den Krieg im Grenzland zwischen Wachsein und Schlafen.

„Nunja, und irgendwann kam der Augenblick, an dem ich feststellte, dass ich durch einen Riss im Raum-Zeit-Kontinuum in eine andere Welt blickte. In dieser musste ich nicht gebrauchte Autoradios im Internet verkaufen, sondern führte ein Feinkostgeschäft!“

„Faszinierend“, entfuhr es Irmgard, „und lief der gut, dieser Laden?“

„Fantastisch“, gab Primodan zurück. Etwas sei aber regelrecht merkwürdig gewesen, er hatte in der Parallelwelt Hans geheißen, Hans Himmler.

 

Hans hatte Schuhgröße 46, trug aber immer Socken in 38, weil er fand, dadurch bliebe ihm das Blut besser im Kopf. In den Füßen werde es eh nicht gebraucht. Kritiker innerhalb seines Freundeskreises meinten, dass diese Marotte den gegenteiligen Effekt habe, und waren sich in der Hinsicht sogar recht sicher. An jenem Tag aber spürte Hans deutlich, wie die Thrombose-Socken seinen Kreislauf in Schwung brachten. Er fühlte sich stark, mental zu Höchstleistungen fähig und körperlich in der Lage, am Rande der Belastungsgrenze zu operieren. Hans holte ein Glas schwarze Oliven aus dem Regal und tippte 3,98 in die Kasse. „So, Madame Fröhlich, was darf's denn noch sein?“, sagte er mit femininer Fistelstimme.

„Drei Pfund Kadaverauflauf, bitte!“, quiekte Frau Fröhlich aus vollem Hals. Sie hatte ein bezauberndes Äußeres, aber eine Stimme wie ein Megaphon auf Koks. Hans war ihr verfallen, vom ersten Tag an, als sie sein Feinkostgeschäft betreten hatte. Sie besaß diesen Charme, wie ihn nur reife europäische Damen ausstrahlten. Verstohlen blickte Hans auf ihre Schenkel. „Hach, ja ...“, entfleuchte es ihm, „wie viel Schinken wollten Sie gleich?“

Frau Fröhlich setzte zu einem ohrenbetäubenden Protestquieken an. Sie holte so tief Luft, dass im Raum sofort ein Unterdruck entstand. Mehrere dicke Hausfliegen, die eben noch glücklich über dem Kadaverauflauf ihre Runden drehten, wurden eingesogen und verschwanden in Frau Fröhlichs Schlund.

„Halt, nein, ich meine: Auflauf! Wie viel wollen sie vom Auflauf?“, legte Hans hastig nach und Frau Fröhlich hielt inne – einerseits, weil Hans sie immer milde stimmen konnte, wenn sie sich zu sehr erregte und andererseits, weil die eben verschluckten Fliegen ein ungewohnt würziges Aroma hatten.

„Sagen Sie mal“, fing sie an, „mit was füttern Sie Ihre Feinkostfliegen?“

„Ach, nichts Besonderes“, entgegnete Hans, „Fleischabfälle, Schmatzofix, ein bisschen Scheiße.“ Frau Fröhlich taten diese Unterhaltungen gut, sie spürte, dass da mehr war als die typische Kundenbeziehung im Einzelhandel. Ob Hans genauso empfand?

Der spürte derweil, dass seine acht Nummern zu kleinen Socken zu kribbeln anfingen. Das war normalerweise ein untrügliches Zeichen für Nervosität, doch in diesem Fall vermutete Hans etwas anderes dahinter.

„Ameisen!“, kreischte er. „Sie fressen mich!“

Frau Fröhlich verschwendete keinen Gedanken an ihre eigene Sicherheit und hechtete hinter den Tresen. Sie riss Hans zu Boden und entrollte ihre Zunge. Damit umschlang sie seine Beine wie einen Baumstamm und streifte die Ameisen herunter – und hinein in ihren Mund. Mit eingesogen wurden Hose, Unterhose und Hans' Socken.

„Aaarrrgh, dieser Geschmack!“, johlte Frau Fröhlich ekstatisch. Hans wusste nicht, wie ihm geschah. Der plötzliche Druckabfall in seinen Füßen ließ das Blut nach unten sacken und machte ihn willenlos – und ein bisschen geil. Frau Fröhlich schien das zu spüren und rückte näher heran. „So, mein Lieber, wenn ich gewusst hätte, dass die wahren Leckerbissen hier hinter der Theke stehen, hätte ich dich früher vernascht!“

Hans konnte nichts mehr erwidern, er war ins köstliche Koma gefallen. Feinkost Himmler musste für ein paar Tage schließen.

 

Und so schloss Primodan seine Ausführungen über den Besuch in der Parallelwelt, in der er Hans geheißen hatte. „Und wie ist es euch ergangen?“, wollte er von Irmgard und Harald wissen. Keiner von beiden wusste, was er darauf antworten sollte. „Och, naja, du weißt schon. Das Übliche“, fasste Irmgard zusammen.

 

Das Fax

Schwarz. Nichts als bleiernes Schwarz ... obwohl? Dort hinten, ein Hauch von glühendem Rot? Das Glimmen kam näher. Und da waren Stimmen! Sie sagten Beschwörungsformeln auf, sangen rituelle Lieder, und immer wieder vernahm man schmerzliche Schreie. Gestalten huschten durch Nebelfetzen. Unter den dicken Kapuzen fand man keine Gesichter, nur schwarzweiße Fratzen. Waren es Menschen? Unmöglich, das bei diesem Licht zu sagen. Es wurde wieder dunkler, das Glühen verschwand. Bernd spürte, wie sich seine Sinne in tiefe Lähmung verfingen. Dann mischte sich ein halb knarrendes, halb quiekendes Geräusch in die Besinnungslosigkeit. Es klang wie ein Güterzug, der auf der einen Seite in einen Telefonhörer hineinfuhr und auf der anderen als Fax wieder herauskam.

 

„Ein Fax!“ Bernd Bratzke schreckte hoch. Darauf hatte er jahrelang gewartet – seit er sich dieses Multifunktionsgerät gekauft und an die Telefondose angeschlossen hatte. Noch nie hatte ihm jemand ein Fax geschickt. Bis heute. Er verschwendete keinen Gedanken daran, warum er nicht mehr in der Kneipe unterm Tisch, sondern zuhause auf der Couch gelegen hatte, oder wie er hierher gekommen war. Er raffte sich auf und stolperte in den Flur. Tatsächlich: Das Faxgerät war gerade dabei, ein Blatt Papier auszuspucken. Bernd hüpfte ungeduldig von einem Bein aufs andere. Als es fertig war, zog er das Papier aus dem Gerät und begann sofort zu lesen.

 

„Lieber Bernd, hier ist Gott. Ich weiß, dass es ungewöhnlich ist, dir ausgerechnet ein Fax zu schicken, aber nur so konnte ich beweisen, dass ich der allmächtige Gott bin, der deinen sehnlichsten Wunsch kennt, einmal ein Fax in Händen zu halten. Doch ich gebe zu, dass ich nicht nur aus Selbstlosigkeit handele, ich schreibe dir auch aus Eigennutz. Weißt du, Bernd, ich brauche Auszeit. Es zwickt an allen Ecken und Enden. Einmal in 666 Jahren, so habe ich es mit dem Satan ausgemacht, fahren wir zusammen zur Kur – weit weg, in eine andere Galaxie. Und nun frag mich nicht, warum ich als lieber Gott ausgerechnet mit dem Teufel abhänge, das hat historische Gründe!“

 

Bernd traute seinen Augen nicht, als er diese Zeilen las. Gott hatte ihm ein Fax geschickt. Ihm! Und Gott bat um seine Hilfe. Bernd war außer sich. Sollte er womöglich seine Blumen gießen oder die Katze füttern, während er fort war?

 

„Bernd, ich habe dich auserwählt, also nimm die Bürde an, die es verheißt. Du musst während meiner Abwesenheit die Geschicke der Welt lenken und die Weltengangmaschine hüten.“

 

Jetzt wurde es Bernd flau im Magen. Er wusste nicht, ob das am Kater lag oder an den Worten Gottes.

 

„Ich schicke dir heute noch ein Päckchen per Post, darin ist alles, was du brauchst, um deine Aufgabe zu erfüllen. Und vergiss bitte nicht: Du musst dich strikt an die Anweisungen halten, die ich beigelegt habe! Mach's gut und bis in drei Wochen, dein Gott.“

 

„Wahnsinn“, rief Bernd aus. „Krasse Scheiße!“

 

„P.S.: Halte dich genau an die Instruktionen und gib gut auf meine Maschine acht“, stand unten auf dem Blatt. „Das Schicksal dieser und unzähliger weiterer Welten hängt davon ab!“

 

Bernd war zu aufgewühlt, um den Ernst zu erkennen, der in den Worten lag. „Das erste Fax und dann das“, jubelte er. Darauf musste er einen Schluck trinken. Mit einer frischen Pulle Weißbier machte es sich Bernd auf der Couch bequem. Er wollte das eben Erfahrene verdauen und überlegen, wie er das anstellen sollte – drei Wochen Gott sein. Er war ja nicht einmal sonderlich religiös. Doch trotz aller Zweifel hatte er das erste Mal in seinem Leben das Gefühl, das Richtige zu tun, gebraucht zu werden, etwas von Bedeutung zu schaffen. Bernd nahm sich fest vor, die Sache mit dem gleichen eisernen Willen durchzuziehen, wie das Beschwören der Bierblase gestern. Ja, das war ein Zeichen gewesen! Hatte der Herr in deshalb auserwählt? Er grübelte weiter, sinnierte und dachte nach – über alles und nichts – bis es ihm noch einmal die Augen zuzog und er selig schnarchend im Traum weiter grübelte.

 

 

 

Apparatus Deus

Harald, Irmgard und Primodan saßen noch immer teetrinkend um den Wohnzimmertisch. Da läutete es an der Tür.

„Hat man euch verfolgt?“, fuhr Primodan sie an. „Sind die Bullen hinter euch her?“

„Ach, nein, ich hab sie abgehängt“, versuchte Irmgard, ihren ehemaligen Terrorkumpel zu beruhigen. Der schnappte sich seinen neben der Tür stehenden Golfschläger und ging in Abschlagposition.

„Wer ist da?“, rief er durch die geschlossene Tür.

„Post!“, schallte es zurück.

„Ich hab nichts bestellt.“

„Ist für Bratzke, ihren Nachbarn, der hört wieder nicht.“

„Hmmm, okay. Ich mach auf, treten Sie einen Schritt zurück.“ In Zeitlupe öffnete Primodan die Tür und spähte durch einen Schlitz hinaus.

„Sie müssen mir schon aufmachen, wenn ich Ihnen das Paket geben soll.“

„Ja, richtig. Gut“, gab Primodan zu. Er quittierte den Empfang und schlug dem Postboten die Tür ins Gesicht. „Blödmann“, grummelte er und stapfte wieder ins Wohnzimmer.

„Wer war das? Polente?“, wollten Irmgard und Harald wissen.

„Nee, Post für den Spaten von gegenüber.“

„Wollen wir’s aufmachen?“, fragte Primodan und riss an den altmodischen Paketbändern herum, die um die Schachtel gewickelt waren. Irmgard war derweil aufgestanden und zu ihm getreten. „Das riecht komisch“, merkte sie an, „sollten wir das echt aufmachen?“

„Ist doch egal, ich hab mit Peter Reichgruber unterschrieben und wenn der Asi hier auftaucht, sagen wir, es wurde so geliefert.“

Mittlerweile stand Harald neben ihnen und beäugte die Sendung. „Es riecht wie Myrrhe und Salbei, nein, Weihrauch? Oder ist das Hasch?“

„Das wäre eine gute Nachricht!“, freute sich Primodan und zauberte ein Taschenmesser aus seiner Hose. Zack! Es fielen die Bänder ab und mit einem glockenhellen Klang entfaltete sich die Schachtel. Heraus strömte ein himmlischer Duft, begleitet von einem Glitzern und Schimmern, das keiner der Anwesenden je gesehen hatte.

„Abgefahren!“, hauchte Harald, der sofort begeistert war. Dann entschwebten dem Paket zwei Dinge. Erstens ein gut 100 Seiten starkes Büchlein, offenbar aus dem Copy-Shop und mit billiger Ringbindung versehen, und zweitens ein gerippter Apparat von der Größe einer Margarinedose. Er besaß Knöpfe, Taster, Drehregler, Schaltkontakte und einen Relaisausgang bis 48 Volt.

„Öhm“, brummte Irmgard.

„Hmmm“, murrte Primodan.

Harald war sichtlich entzückt. Er ergriff die Initiative und schnappte sich den Apparat. Er drehte ihn in den Händen hin und her. Zu gern wollte er seine Funktion herauszubekommen. Primodan nahm das Büchlein zur Hand: Holde Weisheiten – ein Gedichtband zur spirituellen Erleuchtung sowie Bedienungsanleitung für die Weltengangmaschine.

Primodan schlug die erste Seite auf und begann zu lesen: „Jetzt sah man sie klar und deutlich, so deutlich wie noch niemals zuvor: die Traumasterne. Sie wirbelten durchs matte Schwarz, umkreisen einander und flogen in wilden Bahnen umher. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie bald kollidieren würden und in einer gleißenden Supernova vergehen. Sie waren alt, seit Anbeginn der Zeit taumelten sie durchs All auf der Suche nach ihrer Bestimmung – oder nach dem nächsten Schnellrestaurant, man konnte das nicht wissen, denn die Traumasterne blieben stumm ihr ganzes Leben lang.“

Ein unangenehmes Schweigen drohte sich in der Runde breitzumachen.

„Das ist ja fürchterlich“, murrte Irmgard, „stehen da nur solche Schmonzetten drin?“

„Keine Ahnung“, sagte Primodan und blätterte ein paar Seiten weiter: „Endstation Beteigeuze: Ein Hauch von Frühling, kurz vor dem Frost – ein letztes Aufbäumen. Sanfter Wind umwehte ihr Haar, nicht warm, nicht kalt, einfach pure Luft, wie ein zärtliches Streicheln im Gesicht. Sie war gerührt. Es roch nach Freiheit, obgleich es eine Illusion war, denn bald würde der Winter alles mit eisigem Griff umklammern und das Land unwirtlich erscheinen lassen.

---ENDE DER LESEPROBE---