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Ein Dorf in Angst. Eine Spur im Wald. Drei Freunde, die sich nicht einschüchtern lassen. In Mühlwehr häufen sich seltsame Ereignisse: tote Tiere, nächtliches Heulen und flackernde Schatten am Waldrand. Die Erwachsenen verdächtigen Wölfe - doch Manuel, Tobi und Lara sind sich sicher: Hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Als sich Hinweise auf einen mysteriösen Geheimbund und ein altes Symbol verdichten, gründen die drei die "Wolfsjäger-Bande" - und nehmen die Ermittlungen selbst in die Hand. Mit Mut, Witz und einem kuscheligen Hasen an ihrer Seite stellen sie sich der Gefahr. Doch schon bald merken sie: Es geht um mehr als nur Wölfe - und nicht jeder im Dorf spielt mit offenen Karten ... Ein spannender Kinderkrimi über Freundschaft, Mut und den Nervenkitzel des Unbekannten - für Leserinnen und Leser ab 9 Jahren.
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Im Bann des Ungeheuers
Eine Bande formiert sich
Auf den Spuren des Unbekannten
Das Mysterium der Eichenmarke
Die Jagd nach Hinweisen
Der Pakt
Schatten über Mühlwehr
Der Kreis der Verdächtigen
Pfade ins Ungewisse
Verborgene Augen im Dämmerlicht
Die Maske fällt
Jetzt oder nie
Echos eines Traumas
Nacht der Entscheidung
Konfrontation mit dem Täter
Gefangen in der Wolfshöhle
Die Ruhe vor dem Sturm
Versprechen an die Nacht
Manuel schleuderte einen glatten Kieselstein über die glitzernde Oberfläche des Sees. Der Stein hüpfte drei, vier, fünf Mal, bevor er mit einem lauten Blubb-Plopp-Geräusch versank. Er klatschte in die Hände und kicherte. Ein leichter Windstoß fuhr durch den umliegenden Wald und ließ die Blätter tanzen. Ihr Rascheln vermischte sich mit dem entfernten Zwitschern einer Amsel. Der See lag ruhig da, begleitet vom Läuten der Kirchenglocken aus dem Dorf Mühlwehr.
„Mach´s besser!“, neckte Manuel seinen besten Freund Tobi. Mit einem breiten Grinsen warf er ihm eine herausfordernde Geste zu.
„Na dann pass mal auf“, erwiderte Tobi. Er krempelte die Ärmel seines Holzfällerhemdes nach oben. Dann ging er in die Hocke und suchte am Boden nach einem passenden Wurfgeschoss. Mit einem gekonnten Schnipsen aus dem Handgelenk ließ er einen weiteren Kieselstein über das Wasser tanzen - sechs Sprünge, sieben. Wieder brachen die beiden in Gelächter aus.
In der Nähe hoppelte Rocky am Seeufer entlang. Manuels weiß-braungesprenkelter Hase schnupperte mit seiner Nase neugierig im grünen Gestrüpp.
„Benimm dich, Rocky!“, rief Manuel. Die Ohren des Hasen spitzten sich kurz. Dann setzte er sein Treiben fort und hüpfte auf einen besonders üppigen Grasfleck zu.
„Er liebt es hier draußen“, bemerkte Tobi und beobachtete Rocky aufmerksam. „Genau wie wir.“
Während Rocky das Ufer erkundete, ließen Manuel und Tobi weitere Steine über das Wasser hüpfen. Der wolkenlose blaue Himmel hüllte die beiden wie eine gemütliche Decke ein. Hier am See fühlten sie sich wie zu Hause. Das Leben schien einfach und unbeschwert. Ein starker Gegensatz zur Unruhe, die sich in letzter Zeit in Mühlwehr ausgebreitet hatte.
Plötzlich zuckten Rockys Ohren. Er schoss davon, ein weißer Streifen auf dem Grün. Manuels Kopf schnellte hoch. „Rocky?“, rief er mit besorgter Stimme.
„Was ist los?“ Tobi stand auf. Sein Ton war ernst.
Die beiden Jungen folgten Rockys hektischer Spur durch das Unterholz. Ihre sorglose Stimmung löste sich in Luft auf. Ein metallischer Geruch stieg ihnen in die Nase. Manuel und Tobi tauschten unsichere Blicke aus, ohne etwas zu sagen.
Rocky stoppte. Sein Körper erstarrte. Nur die Nasenspitze zitterte. Die Jungen näherten sich langsam. Auf Zehenspitzen schlichen sie über den vertrockneten Waldboden. Jeder Schritt ließ ihr Herz bis zum Hals schlagen.
Vorsichtig drückte Manuel etwas Schilf zur Seite und gab den Blick auf eine Gestalt frei, eine tote Gestalt.
Zwischen dem Durcheinander von Schilf und herabgefallenen Ästen lag ein Fuchs. Sein bräunliches Fell war verfilzt, seine Augen leer. Der Boden unter ihm hatte sich braun gefärbt. Manuel spürte, wie die Wärme aus seinem Gesicht wich, sein Magen krampfte sich zusammen.
Tobi schlug sich die Hände vors Gesicht. „Um Himmels Willen“, flüsterte er, von seiner üblichen Tapferkeit war nichts zu spüren.
Manuel hockte sich neben die leblose Kreatur. Die Neugier des Jungen kämpfte mit seinem Ekel. Seine Finger fuhren zögernd über das staubtrockene Fell. Es waren keine Bisswunden oder Krallenabdrücke zu erkennen, die den leblosen Körper verunstalteten.
„Schon wieder ein toter Fuchs. Das ist bestimmt schon der dritte diesen Monat“, sagte Manuel. Seine Stimme war kaum lauter als ein Flüstern.
„Wildschweine sollen auch schon gefunden worden sein“, fügte Tobi hinzu und zupfte reihenweise Grashalme unter seinen Füßen heraus. „Wann hört das endlich auf?“
Manuel nickte. „Hoffentlich bald.“ Seine Gedanken rasten. Er blickte zurück auf den Fuchs, dessen unbewegliche Gestalt ihm etwas mitteilen wollte.
„Irgendetwas an der ganzen Sache ist seltsam. Findest du nicht auch?“, murmelte er mehr zu sich selbst als zu Tobi. „Wer tut so etwas?“
„In letzter Zeit sollen immer wieder Wölfe gesehen worden sein. Viele aus dem Dorf behaupten, sie wären dafür verantwortlich“, meinte Tobi und runzelte die Stirn. „Denkst du auch, dass wir es hier mit Wölfen zu tun haben?“
„Kann ich mir nicht vorstellen“, Manuel schüttelte den Kopf. „Wölfe jagen anders. Sie sind nicht so ordentlich.“ Manuels Gedanken kreisten um jede Tierdokumentation, die er gesehen hatte.
„Wer soll es sonst gewesen sein?“ Tobis Augen suchten in Manuels Blick nach einer Antwort. „Unser Nachbar hat vor ein paar Wochen auch einen gesehen.“
„Herr Hartmann behauptet auch, Cowboy, Pirat und Astronaut gewesen zu sein.“ Manuels Stimme wurde fester. „Es gibt trotzdem jemanden, der dieser Sache auf den Grund gehen sollte.“
Rocky sah den beiden Jungen von Weitem zu. Seine Nasenspitze bebte, als er eine Veränderung spürte. Im Gebüsch am Waldrand war ein lautes Knacken zu hören. Manuel und Tobi schauten auf und sahen mehrere graue Flecken in der Ferne auftauchen. Ihr Herz schlug schneller, als sie erkannten, was sich in ihre Richtung bewegte.
„Wölfe!“, keuchte Tobi und griff nach Manuels Arm. Der Leitwolf stand bewegungslos am Rand des Waldes und starrte sie an. Seine Augen funkelten im Sonnenschein.
Der Wolf bewegte sich nicht, aber sein Blick blieb auf den beiden Jungen fixiert. Ein kleines Rudel umgab ihn. Die Tiere sahen ausgehungert aus. Ihr graues Fell war dreckverschmiert und verfilzt.
„Was sollen wir tun?“, fragte Tobi. Seine Hände zitterten. „Wenn er uns angreift.“
Manuel schluckte hart und dachte schnell nach. „Langsam rückwärtsgehen“, flüsterte er. „Und keine plötzlichen Bewegungen.“
Vorsichtig standen die Jungen auf und setzten einen Fuß hinter den anderen. Beim Rückwärtsgehen nach Manuel Rocky auf den Arm, dessen Körper steif wie ein Brett war. Lediglich sein Herzschlag pulsierte unter Manuels Finger. Die Augen der beiden blieben währenddessen auf den Wolf gerichtet. Schweiß rann ihnen die Schläfe herab und tropfte auf den ausgetrockneten Waldboden.
„Hoffentlich greift er uns nicht an“, murmelte Tobi, seine Stimme kaum hörbar.
Sie waren fast aus dem Sichtfeld des Wolfes, als dieser auf einmal die Schnauze hob und ein tiefes, drohendes Knurren von sich gab. Beide Jungen rissen die Augen auf und erstarrten. Der Wolf beugte sich nach vorne. Plötzlich war ein immer lauter werdendes Heulen zu hören.
An der neben ihnen gelegenen Schnellstraße donnerten und knatterten mehrere Motorräder vorbei. Einer der Fahrer raste über einen Gullydeckel. Der kräftige Schlag ließ die Jungen aufschrecken. Ruckartig drehten sie sich in die Richtung des lauten Geräuschs und wendeten ihren Blick von den Wölfen ab. Als die beiden ihren Fehler bemerkten, legten sie blitzartig eine 90 Grad Wende ein. Tobi schloss die Augen und hob schützend seine Hände vor die Brust. Doch nichts geschah. Das Wolfsrudel war verschwunden.
Manuels und Tobis Blicke trafen sich. Eine wortlose Frage hing zwischen ihnen in der Luft. Einen Moment lang bewegte sich niemand. Das Scharren von Rockys Hinterbeinen auf Manuels Händen löste die beiden aus ihrer Starre.
„Also hatten die Leute aus dem Dorf doch recht?“ Manuel atmete tief aus. Sein Gesicht war kreidebleich.
Rocky kuschelte sich an seinen Arm. Tobi setzte sich im Schneidersitz auf den Boden und vergrub den Kopf in seinen Handflächen. Keiner sagte etwas.
Manuels Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder. Er strich mit den Fingern über die Erde und lächelte. „Du weißt, was wir zu tun haben, Tobi.“
Tobi katapultierte sich nach oben. Sein breiter Schatten fiel über Manuel. „Das kannst du nicht ernst meinen, Manu. Du hast den Wolf doch gesehen? Wir wären fast die nächsten gewesen.“ Er ballte die Fäuste.
Manuel sah seinem Freund direkt in die Augen. Er blinzelte nicht einmal. „Du hast vorhin gefragt, wann das endlich aufhört.“ Er machte eine kurze Pause.
„Das liegt jetzt an uns. Wir sind schlau, wir sind schnell und wir kennen jeden Winkel dieses Dorfes.“ Manuels Worte sprudelten wie ein reißender Fluss aus ihm heraus. Sein Gesicht pulsierte und schimmerte rötlich. Tobi war sichtlich mitgenommen von der Situation und schaute zu Boden.
„Das ist kein Spiel, Manu.“ Tobi schaute auf. „Wir sind nur Viertklässler.“
„Ich weiß, dass es gefährlich ist.“ Manuel nickte. Sein Herz sah aus, als wolle es aus seinem Brustkorb springen. „Aber wir tun es für Mühlwehr. Wir müssen unser Dorf beschützen.“ Manuel deutete in Richtung der Ortschaft, während er Rocky fester an sich drückte.
„Für Mühlwehr?“, wiederholte Tobi. Er kniff die Augen zusammen, um sie vor der grellen Sonne zu schützen. Dann stampfte er auf. „Für Mühlwehr!“
Seine blauen Knopfaugen suchten die Umgebung ab. Sein rundliches Gesicht war angespannt wie die Saiten einer Gitarre.
„Mach dich für eine ultrageheime Mission bereit.“ Manuels Stimme zitterte leicht, während er seinem Kumpel die Hand reichte. „Jeder von uns hat etwas Besonderes. Gemeinsam sind wir stark.“
Tobis Nase fiepste bei jedem seiner Atemzüge, die immer schneller wurden. Er richtete die Ärmel seines Hemdes zurecht und schlug ein. „Du kannst auf mich zählen.“
Manuels Fingerspitzen kribbelten, als sie den Händedruck lösten. „Nach dem Abendessen treffen wir uns im Baumhaus und schmieden einen Plan.“
„Einverstanden.“ Tobi Stimme klang tiefer als sonst.
Die beiden Jungs ließen das Seeufer hinter sich und trabten den Feldweg in Richtung Mühlwehr entlang. Die frühe Abendsonne schienen ihnen auf den Rücken, während die dunklen Umrisse ihrer Körper vorausliefen. Manuels Turnschuhe quietschten bei jedem Schritt, was die beiden aber gar nicht bemerkten.
„Was glaubst du, was es mit der ganzen Geschichte auf sich hat, Manu?“ Tobis Stimme war leise. Seine Augen suchten die immer dichter werdenden Bäume vor ihm ab.
Manuel biss fest die Zähne zusammen. „Ich habe das Gefühl, dass mehr hinter den Vorfällen steckt, als wir uns vorstellen können.“ Rockys weiches Fell streifte seinen Arm, was ihn aufschrecken ließ.
Die Jungen verabschiedeten sich und eilten nach Hause. Hastig verschlangen sie ihr Abendessen, bevor sie sich am Wegesrand zum Baumhaus wieder trafen. Der Duft von Kiefern und Erde erfüllte die Luft. Jedes Rascheln im Gebüsch und jeder Vogelruf schien lauter und bedrohlicher zu sein als sonst. Manuel wischte sich seine schweißgetränkten schwarzen Haare aus dem Gesicht. Blut schoss in seine Wangen, während sein Herzschlag sich beschleunigte.
„Wir sollten auf unsere Schritte achten“, flüsterte Tobi, während er behutsam über einen umgefallenen Ast stieg. „Vielleicht gibt es hier überall Hinweise.“
„Du hast recht.“ Manuel nickte. Auf Zehenspitzen stehend wählte er jeden Schritt mit größter Sorgfalt aus.
Das Laubdach wurde immer dichter und verschlang die beiden Jungen regelrecht, als sie tiefer in den Wald vordrangen. Die Außenwelt verschwand hinter ihnen. Zurück blieben nur ihre Mission und das stille Versprechen, das sie sich gegenseitig gegeben hatten.
„Unser Geheimversteck ist nicht mehr weit“, murmelte Manuel mehr zu sich selbst als zu Tobi. „Das Baumhaus wird unsere Kommandozentrale sein.“
Als sie fast am Baumhaus angekommen waren, durchbrach ein plötzliches Knacken die Stille des Waldes. Beide Jungen erstarrten. Ihre Blicke trafen sich. War es wieder ein Wolf? Manuel wagte es nicht zu atmen.
Tobi stand wackelig auf einem Bein und streckte seinen Kopf in Richtung Himmel. Mit seinen Augen verfolgte eine große Hummel, die sich auf seine Nase gesetzt hatte. Er sah aus wie ein Seehund, der einen Ball auf der Schnauze balanciert. Als Manuel das sah, konnte er die Luft nicht länger anhalten und brach in lautes Gelächter aus. Gierig zog er den Sauerstoff ein.
Tobi musste ebenfalls lachen. Er löste sich aus seiner Verrenkung und die Hummel flog davon.
Manuel versuchte seinen Atem zu beruhigen und lauschte nach möglichen Gefahren. „Komm“, flüsterte er schließlich und ergriff Tobis Arm. „Lass uns weitergehen“.
Sie kletterten die ausgefranste Strickleiter zu ihrem Versteck nach oben. Das Holz jeder Sprosse ächzte unter Tobis Gewicht. Oben angekommen, schlossen sie schnell die Tür und spähten durch einen Spalt in der Wand nach draußen.
Bis in den späten Abend schmiedeten die beiden Jungen Pläne für ihre Mission. „Wir starten bei Sonnenaufgang“, beschloss Manuel, den Blick fest auf den Wald gerichtet.
„Bei Sonnenaufgang“, bestätigte Tobi.
Die Nacht legte sich langsam wie ein Mantel um die Schüler, doch ihr Blick blieb entschlossen auf das bevorstehende Abenteuer gerichtet. Sie würden nicht eher ruhen, bis Mühlwehr wieder sicher war.
Manuels Herz pochte heftig, als er Tobi durch das dichte Gebüsch folgte. Ihre Schritte waren auf dem moosigen Waldboden kaum zu hören. Aufgrund der Sommerhitze klebte eiskalter Schweiß an seinem sonnenverbrannten Nacken. Seit Beginn ihrer Wanderung spürte er einen stechenden Schmerz in seiner Seite. Plötzlich blieb Tobi stehen. Manuel wäre beinahe mit ihm zusammengestoßen.
„Was ist das?“, raunte Tobi und deutete auf eine Lichtung, die sich vor ihnen ausbreitete. Die Bäume standen wie riesige Wächter ringsherum um ein kleines Stück Wiese. Das Gras war weich und grün, übersät mit kleinen, bunten Blumen, die von vereinzelt durchscheinenden Sonnenstrahlen in goldenes Licht getaucht wurden. In der Mitte der Lichtung stand ein großer, alter Baum. Sein Stamm war so dick, dass Tobi und Manuel ihn nicht einmal gemeinsam umfassen konnten.
Davor lag die bewegungslose Gestalt eines Rehbocks. Sein braunes Fell war ausgeblichen. Sein sonst so kraftvoller Körper lag platt da, als hätte man die Luft aus einem Wasserball gelassen. Manuel und Tobi näherten sich auf Zehenspitzen dem Reh. Das Tier sah so aus, als würde es schlafen. Tobi und Manuel wussten, dass es nicht so war.
„Genau wie beim Fuchs am See“, murmelte Manuel, während er in die Hocke ging.
Tobi schaute sich hektisch um. „Meinst du, der Wolf ist noch in der Nähe?“
Manuel schüttelte den Kopf. Schwarze Haarsträhne fielen ihm ins Gesicht. „Das Reh liegt hier schon eine Weile.“ Vorsichtig fuhr er das ausgetrocknete Geweih des Tieres entlang.
„Lass uns trotzdem verschwinden.“ Tobi zerrte Manuel am Arm hinter sich her. Seine Stimme war schriller als sonst. Bei jedem Schritt schaute er sich in alle Richtungen um. Trotz der drückenden Hitze des Nachmittags bewegte sich Tobi immer schneller.
Der Himmel war wolkenlos. Kein Wind wehte, als die beiden zurück im Dorf ankamen. Auf dem Marktplatz hatte sich gerade eine Gruppe von Anwohnern versammelt. Ihre Gespräche vermischten sich zu einem unentwirrbaren Knäuel.
Manuel und Tobi kämpften sich durch die Menge und nahmen nur einige Gesprächsfetzen wahr. „Die armen Tiere, die armen Tiere“, jammerte eine alte Frau mit bleichem Gesicht. Sie warf sich ein Tuch über den Rücken.
„Sind wir hier überhaupt noch sicher?“, nuschelte ein anderer Dorfbewohner vor sich hin. Immer wieder schaute er in die Richtung der dunklen Baumreihen, die das Dorf umgaben.
Schließlich übernahm ein älterer Mann das Wort. „Wir müssen etwas gegen den Wolf unternehmen.“ Seine tiefe Stimme hallte von den Fassaden der Fachwerkhäuser zurück. Viele der Anwesenden murmelten ihre Zustimmung.
„Wie genau willst du das anstellen?“, rief eine kräftige Frau von ihrem Balkon herunter. Sie kniff die Augen zusammen und starrte den Mann an. Es kam keine Antwort von ihm.
„Das ist wieder typisch. Große Klappe und nichts dahinter.“ Die Frau goss die letzten Blumen auf ihrem Balkon und ging kopfschüttelnd nach drinnen.
Die Stimmung wurde immer aufgeheizter. Der Bürgermeister konnte gerade so eine Prügelei verhindern. Während einige der Anwesenden sich in Streitereien verfingen, versuchten andere Dorfbewohner sich mit Horrorgeschichten gegenseitig zu übertreffen. Eine Rentnerin behauptete, nächtliches Heulen zu hören und unheimliche Gestalten zu sehen, die an ihrem Fenster vorbeihuschen.
„Sobald es Nacht ist, gehe ich nicht mehr allein raus“, erzählte eine junge Mutter. „Wer weiß, was in der Dunkelheit lauert.“
Manuels Brustkorb zog sich zusammen. Das Atmen fiel ihm schwer. Das Dorf war immer ein sicherer Zufluchtsort gewesen. Niedergeschlagen blickte er sich in der Menge um.
„Im Sommer haben wir früher nicht mal die Haustür zugeschlossen.“ Manuel ließ den Kopf hängen. „Und jetzt patrouilliert Papa jeden Abend das Grundstück entlang. Wir müssen etwas dagegen tun.“
Tobi tippte Manuel am Arm an und flüsterte ihm ins Ohr. „Wir müssen aber unauffällig bleiben.“ Er schien Manuels Gedanken erraten zu haben. „Du siehst, wie schnell alles außer Kontrolle geraten kann. Niemand scheint eine Lösung zu haben. Deshalb liegt es an uns, dass die Sache aufgeklärt wird.“
Die beiden Jungen entfernten sich aus der Menschenmenge und betrachteten die Versammlung von Weitem.
„Wie wir bisher die Mission angegangen sind, ist nicht ausreichend. Wir müssen deutlich mehr tun“, gestand Tobi und lehnte sich an den verzierten Steinbrunnen abseits des Marktplatzes. Sein blaues Holzfällerhemd scheuerte an der rauen Oberfläche.
Manuel nickte ernst und setzte sich neben Tobi auf der Suche nach etwas Schutz vor der Sonne. „Du hast recht, Kumpel. Wir brauchen mehr Augen und mehr Ohren. Jemand, der uns hilft, schneller Informationen zu sammeln. Aber wen könnten wir fragen?“
„Ich hab da eine Idee“, begann Tobi zögerlich. „Was hältst du davon, wenn wir deine Schwester Lara fragen? Sie ist clever und hat ein gutes Gespür für Details.“
Manuel zog eine Augenbraue hoch. „Lara? Im Ernst?“ Er kratze sich am Kinn, während er über den Vorschlag grübelte. „Sie wird uns nur aufhalten. Sie ist zu...“ Er suchte nach dem richtigen Wort. „...jung.“
„Komm schon, Manuel“, protestierte Tobi. „Sie ist nur zwei Jahre jünger als wir. Und denk mal darüber nach: Sie ist sehr schlau und bemerkt manchmal Dinge, die wir übersehen. Das könnte hilfreich sein“, entgegnete Tobi mit einer Überzeugung, die Manuel überraschte.
„Lara? Sie hat tatsächlich ein gutes Gespür für Details.“ Manuel versuchte sich mit einer Hand vor den stechenden Sonnenstrahlen zu schützen. „Und sie ist tatsächlich clever, gerade wenn es um Rätsel geht.
„Genau das meine ich“, bestätigte Tobi. „Durch sie können wir die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Und sie ist mutig.“
Manuel willigte ein. „Okay, versuchen wir es. Aber wir müssen sicherstellen, dass sie versteht, wie ernst die Situation ist. Unsere Mission ist kein Kinderspiel.“
Die zwei Jungs machten sich zielstrebig auf den Weg zu Manuels Haus. Sie schlenderten an endlosen Senffeldern vorbei, die wie Sonnenteppiche neben den Wegen ausgebreitet lagen. Sie fanden Lara im Hinterhof, vertieft in die Reparatur einer Bienenkiste ihres Vaters. Ihre Zungenspitze schaute heraus, während sie geschickt inmitten der summenden Bienen hantierte. Dann bemerkte Lara zwei dunkle Umrisse, die sich auf dem gepflasterten Weg näherten. Sie schaute auf.
„Was ist los?“, fragte sie. Während Lara die Hände an ihrer Schürze abwischte, führte sie Manuel und Tobi von den Bienenkisten weg.
„Wir haben angefangen, die Vorfälle mit den Tieren zu untersuchen“, erklärte Manuel und setzte sich auf die ausgeblichene Plastikschaukel. Er ließ seine Worte einen Moment in der Luft hängen. „Und wir wollen, dass du mitmachst.“
Laras Augen leuchteten auf und ihre gewohnte Neugierde entflammte. „Wirklich? Ihr wollt mich dabeihaben?“
Tobi nickte. „Irgendetwas sehr Seltsames geht in Mühlwehr vor sich. Wir brauchen deine Hilfe, um herauszufinden, was es damit auf sich hat.“
„Ihr könnt auf mich zählen“, versicherte Lara. Ihre zierlichen Hände ballte sie zu Fäusten.
„Aber du musst vorsichtig sein, Lara“, warnte Manuel. „Es könnte gefährlich werden.“ Er und Tobi erzählten Lara von ihrer Begegnung mit dem Wolf und den Tieren, die sie gefunden hatten. Als Tobi das Knurren des Wolfes nachahmte, schreckte Lara kurz zurück. Dann versteinerte sich ihre Miene.
„Wir treffen uns morgen nach der Schule, um einen Plan zu machen.“ Manuel hob mahnend den Zeigefinger. „Du darfst niemandem davon erzählen. Es muss ein Geheimnis bleiben.“
„Versprochen“, antwortete Lara und nickte ernst.
Die drei Freunde schlichen durch den Wald. Manuel führte die Gruppe an und navigierte sie wie ein Pfadfinder gekonnt an ihr Ziel. Währenddessen suchten Tobi und Lara die Umgebung ab und achteten auf jede Bewegung im Gebüsch. Plötzlich hob Manuel den Arm und blieb stehen.
„Da sind wir“, verkündete er und wippte auf den Zehen auf und ab.
Verborgen zwischen Ästen und Blättern ragte vor ihnen das Baumhaus auf. Lara hielt die Luft an. „Wow“, staunte sie. Ihr Blick folgte der Strickleiter entlang bis zur Holztür. Beim Hinaufklettern knarrten die alten Sprossen. Die Wände im Inneren waren mit Karten und Bildern übersät. In der Mitte des Raumes stand ein kleiner Holztisch, auf dem Notizen ausgebreitet waren und eine Taschenlampe lag.
„Okay, Team.“ Tobi zog einen Notizblock aus dem Regal. „Wie lautet der Plan?“
Die drei kauerten zusammen um den Holztisch und setzten sich im Schneidersitz auf den Boden. Während sie Ideen austauschten, wuselte Rocky um ihre Beine herum und knabberte an einem Salatblatt.
„Zuerst sollten wir mehr Informationen sammeln“, erklärte Manuel und tippte mit dem Finger auf eine Karte von Mühlwehr. „Wir müssen herausfinden, wo und wann der Wolf gesehen wurde. Wir brauchen eine Spur von ihm.“
„Richtig.“ Lara nickte. „Wir könnten das Dorf und die Umgebung in verschiedene Abschnitte aufteilen. Dann nimmt sich jeder von uns einen Bereich vor und redet mit den Anwohnern. Irgendjemand muss etwas gesehen haben.“
Manuel blickte seine Schwester lange an und lächelte. „Großartige Idee, Lara.“ Rocky hoppelte polternd über den Holzboden, um ebenfalls seine Zustimmung zu signalisieren.
„Danke“, antwortete Lara. „Das habe ich mal in einem Agentenfilm gesehen.“
„Aber vergesst nicht, Leute.“ Tobis Stimme wurde immer leiser. „Ihr dürft niemandem von unserer Mission erzählen.“
„Das bringt mich auf eine Idee.“ Fast zögerlich begann ein Lächeln Manuels Züge zu erhellen. „Was meint ihr? Wollen wir eine geheime Bande gründen?“ Manuel schaute seine Freunde erwartungsvoll an.
„Unbedingt“, freute sich Lara und sprang auf. „Eine Bande, die niemals aufgibt.“