DIE WOLFSKLAUE - Henry Holt - E-Book

DIE WOLFSKLAUE E-Book

Henry Holt

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Beschreibung

Die Tür zu Teresas Zimmer im Hotel des Fleurs war verschlossen. Bec ließ sich den Schlüssel geben und trat mit Larry Gale ein.

Ein paar Augenblicke lang stand der Detektiv still, um einen Gesamtüberblick über den Raum zu gewinnen. Es war ein typisches französisches Hotelzimmer, in dem nur eine Blumenvase und die Frisiergarnitur auf einen weiblichen Bewohner hindeuteten. An der Wand stand ein Koffer. Auch ein Reisenecessaire war vorhanden.

Bec öffnete den Kleiderschrank, schloss ihn aber schon nach einem kurzen Blick über die darin hängenden Kleider wieder und entnahm seiner Tasche einen kleinen Schlüsselbund, der sich in der Handtasche der Toten befunden hatte...

 

Der Roman Die Wolfsklaue des britischen Schriftstellers Henry Holt (* 1881; † 1955) erschien erstmals im Jahr 1933; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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HENRY HOLT

 

 

Die Wolfsklaue

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE WOLFKLAUE 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

 

 

Das Buch

 

Die Tür zu Teresas Zimmer im Hotel des Fleurs war verschlossen. Bec ließ sich den Schlüssel geben und trat mit Larry Gale ein.

Ein paar Augenblicke lang stand der Detektiv still, um einen Gesamtüberblick über den Raum zu gewinnen. Es war ein typisches französisches Hotelzimmer, in dem nur eine Blumenvase und die Frisiergarnitur auf einen weiblichen Bewohner hindeuteten. An der Wand stand ein Koffer. Auch ein Reisenecessaire war vorhanden.

Bec öffnete den Kleiderschrank, schloss ihn aber schon nach einem kurzen Blick über die darin hängenden Kleider wieder und entnahm seiner Tasche einen kleinen Schlüsselbund, der sich in der Handtasche der Toten befunden hatte...

 

Der Roman Die Wolfsklaue des britischen Schriftstellers Henry Holt (* 1881; † 1955) erschien erstmals im Jahr 1933; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1958.

Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.

  DIE WOLFKLAUE

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Als Larry Gale am Eingang der Villa d’Azur angelangt war, wandte er sich noch einmal zurück, um über das Lichtermeer zu schauen, das ringsum wie eine mächtige Schale voll glitzernder Edelsteine schimmerte. Der zauberhafte Anblick des nächtlichen Monte Carlo hatte ihn vom ersten Augenblick an unwiderstehlich in seinen Bann gezogen. Und noch jetzt, nachdem er das alles schon einen ganzen Monat kannte, glaubte er, dass gerade das Bild des nächtlichen Monte Carlo ihm am lebendigsten in Erinnerung bleiben würde.

Diese Betrachtung – die sich, nebenbei bemerkt, später als hoffnungslos falsch erwies – war mit einem starken Bedauern gemischt, denn morgen sollte er den Riviera-Express nehmen, um in London seine journalistische Tätigkeit wieder aufzunehmen, der er für einige Urlaubswochen entronnen war.

Er ließ seine Augen über die violetten, grünen und roten Lichttupfen gleiten, die allenthalben die leichtgeschwungenen Hügel entlang und an den Bergwänden empor verstreut waren. Die langgestreckten Ketten der Bogenlampen und die erhellten Fenster wirkten wie ein großartiges Bühnenbild, jedoch ohne den falschen Glanz des Theaters.

Larry war so sehr in den Anblick versunken, dass er erst aufschreckte, als die verglimmende Zigarette ihm plötzlich die Finger versengte. So wurde er wieder in die Wirklichkeit zurückgerufen. Er folgte dem gewundenen Pfad zur Villa d’Azur und sog mit Wohlbehagen den schweren Blütenduft der warmen Riviera-Nacht ein.

Er nahm den kürzesten Weg über einen Rasenplatz, der von Palmen eingefasst war, schritt auf eine offene Glastür zu und trat ein. Es war zwanzig Minuten vor Mitternacht. Aber das galt bei der zwanglosen Geselligkeit dieses gastlichen Hauses noch immer als normale Besuchszeit.

»Ah, Larry!« Zu seiner Überraschung fand er Julia van Berg ganz allein. Sie war mit Patiencelegen beschäftigt.

»Wo sind denn die anderen?«, fragte er.

Mrs. van Berg warf die Karten hin und wandte sich ihrem Besucher zu. »Sie sind seit einer Viertelstunde mal wieder alle ausgeflogen«, entgegnete sie. »Anne, Peggy und der Graf sprachen etwas von einem Abstecher zum Sporting Club.«

»Und wo ist Eve?«, forschte er, und Julia wusste recht gut, dass das für ihn das wichtigste war.

»Sie ist mit den anderen nur noch ein wenig spazieren gegangen. Aber sie müssen gleich wiederkommen. Nehmen Sie doch Platz! – Hier haben Sie etwas zu trinken... Dies ist nun also Ihr letzter Abend in Monte Carlo, Larry? Das tut mir wirklich leid!« Julia van Berg lächelte ihm freundlich zu. Sie mochte ihn aufrichtig gern – ein netter Kerl, flink, gewandt und ein klarer Kopf. Er war erst Mitte der Zwanzig, aber schon beinahe drei Jahre lang im Zeitungsbetrieb tätig.

Mrs. van Berg selbst war fast zwanzig Jahre älter als Larry und eine vollendete Weltdame, sehr klug, dabei für die tollsten Streiche zu haben und manchmal äußerst burschikos im Ausdruck, wenn es ihr gerade so passte. Aber niemand, der sie nicht näher kannte, hätte ihr die Fähigkeiten zur Führung einer großen Reihe von Eisenwarenläden zugetraut, deren Filialen sich von einer Küste Amerikas zur anderen erstreckten. Allerdings hatte Julia mit den größten wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, als sie vor zehn oder zwölf Jahren ihren Mann verlor, aber sie hatte es dann doch allein geschafft. Jetzt war sie längst in der Lage, sich auf dem weichen Kissen von einigen Millionen Dollar auszuruhen. Wirklich schön war sie übrigens nie gewesen. Aber ihr Gesicht war äußerst charaktervoll. Nichts entging ihren klugen braunen Augen. Sie besaß einen starken Sinn für Humor, und die Gebirge von Eisenwaren, die sie jenseits des Atlantiks zurückgelassen hatte, hinderten sie nicht daran, ausgelassen fröhlich zu sein.

Um den Hals trug sie eine dreifache Reihe von ausgesucht schönen zartfarbigen Perlen. Prachtvolle Brillantgehänge hingen an ihren Ohren. Julia van Berg besaß eine echt weibliche Vorliebe für Schmuck; ihre Armbänder aus Smaragden, die in Platin gefasst waren, hatten allein ein Vermögen gekostet.

»Ich möchte Ihnen noch danken – für... alles«, sagte Larry. Und das war ihm auch ein aufrichtiges Bedürfnis. Denn bevor ihn Julia unter ihre schützende Fittiche nahm, hatte er allein eine trostlose Zeit in Monte Carlo verbracht.

»Ach, Unsinn!« Das war wieder echt Julia. »Wir werden Sie sehr vermissen! Wann fahren Sie denn nun?«

»Morgen, gleich nach dem Frühstück – leider Gottes! Gepackt habe ich schon. Eigentlich bin ich jetzt nur vorbeigekommen, um Ihnen Lebewohl zu sagen für den Fall, dass ich Sie morgen nicht mehr antreffen sollte.«

An der Glastür, die zum Park führte, erschien die hochgewachsene Gestalt Oberst James Allistairs. Die Asche an seiner Zigarre war fast einen Zoll lang. Das nahm Larry instinktiv wahr, ohne sich dessen im Augenblick bewusst zu werden. Aber die Erinnerung an diese Tatsache sollte nach kurzer Zeit unter sehr veränderten Umständen wieder in ihm erwachen.

»Die Wolken haben sich ganz verzogen«, sagte Allistair. »Keine Spur mehr von Regen. Eine wunderbare Nacht!«

»Sie haben sich unseren Spielratten nicht angeschlossen, James?«, bemerkte Julia.

»Ich habe es mir anders überlegt, als ich schon auf halbem Weg zum Club hinunter war. Es wäre ja eine glatte Sünde, stundenlang in einer solchen Atmosphäre zu verbringen, in einer Nacht wie...« Sein Satz blieb unvollendet, denn in diesem Augenblick erscholl ein markerschütterndes Kreischen, das auf dem Rasenplatz an der anderen Seite des Hauses begann und immer näherkam. Schließlich ertönte das Geschrei ganz in der Nähe, und eins der Stubenmädchen stürzte durch die Diele ins Zimmer. Hier verstummte sie plötzlich und begann heftig nach Atem zu ringen. Sie war leichenblass und fuhr aufgeregt mit den Händen im Gesicht herum. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.

»Was, in aller Welt, ist denn los, Lisette? Bist du vielleicht übergeschnappt?«, fragte Mrs. van Berg.

»Madame!«, stieß Lisette hervor, während sie am ganzen Leib zitterte. »Draußen im Garten...! Oh, es ist schrecklich – sie ist tot – ermordet!«

Zwei Sekunden lang herrschte bestürztes Schweigen, das nur durch das Schluchzen des Mädchens unterbrochen wurde. Dann eilten Allistair und Gale, ohne ein Wort zu verlieren, an ihr vorbei, durch die Diele und verließen das Haus auf der anderen Seite durch die Tür, die zum Rosengarten führte.

Ein Laut des Entsetzens entfuhr Larry Gales Lippen, als sie einige Augenblicke später hinter einer Hecke von duftschweren Büschen auf die reglose Gestalt eines jungen Mädchens stießen, das mit schlaff herabhängendem Arm auf einer Gartenbank lehnte.

Eine Uhr im Haus schlug Mitternacht.

»Mein Gott«, stammelte Larry. Das klare Mondlicht enthüllte bis in jede Einzelheit den schrecklichen Anblick.

»Es ist Teresa Gray – sie ist erstochen worden.«

Er streckte seine Hand aus, um den Dolch aus der Brust des Mädchens zu ziehen. Aber Allistair hielt ihn zurück. »Nichts anrühren!«, sagte er rasch, während er selbst nach dem Puls des Mädchens tastete.

»Sie muss schon eine ganze Weile tot sein.«

»Was ist geschehen, Jim?« Das war Mrs. van Bergs Stimme.

»Kommen Sie jetzt nicht hierher, Julia!«, rief Allistair. »Ich fürchte, Lisette hat recht – es ist Teresa!«

»Wir sollten die Polizei rufen«, sagte Larry, der sich von seinem ersten Schrecken zu erholen begann.

Einen Augenblick lang blieb James Allistair stumm. Regungslos starrte er mit weitgeöffneten Augen auf die Gestalt der Toten.

»Ja«, sagte er dann. »Wollen Sie anrufen, Larry? Übrigens wohnt auch ein englischer Arzt hier in der Nähe; sein Name ist Hewlett. Veranlassen Sie ihn doch bitte herüberzukommen.«

Larry Gale eilte zum Telefon, das sich in der Diele befand, und Allistair ging langsam zu Mrs. van Berg hinüber.

»Jim, meinen Sie wirklich, dass... dass Teresa ermordet worden ist?«

Allistair nahm die Frau beim Arm und führte sie zu einem Gartenstuhl. »Ja, ohne allen Zweifel«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »ein Dolchstoß mitten ins Herz! Offen gestanden, Julia – ich fürchte, das wird für uns alle noch eine ganz böse Geschichte werden.«

»Um Himmels willen, meinen Sie, die Polizei könnte jemanden von uns einer solchen Tat verdächtigen?«

Allistair nickte ernsthaft. Sein Gesicht verriet aufrichtige Besorgnis.

»Warum nicht?«, bemerkte er. »Mord ist schließlich Mord.«

»Aber wer sollte es denn gewesen sein?«

Er vermied es, eine direkte Antwort zu geben.

»Soviel ich mich erinnern kann, trug Teresa doch immer eine Perlenhalskette, nicht wahr?«, fragte er zurück.

»Gewiss«, bestätigte Julia, »sie war aber nicht echt. Was ist denn damit?«

»Sie ist von ihrem Hals verschwunden«, bemerkte Allistair. »Lassen Sie uns über die Sachlage klarwerden, Julia, ehe die Polizei eintrifft. Wann haben Sie Teresa zuletzt gesehen? Vermeiden Sie jeden Fehler in Ihren Angaben. Das ist sehr wichtig. Sie war ja während der letzten zwei oder drei Tage gegen uns alle nicht besonders nett. Aber mit Rücksicht darauf, dass sie doch schließlich Ihr Gast war, benahm sie sich meiner Ansicht nach gerade Ihnen gegenüber hatte Abend besonders unhöflich.«

Julia schloss nachdenklich die Augen. Sie war in ihrem Leben schon in manche heikle Lage geraten. Aber dabei hatte es sich doch schließlich immer nur um geschäftliche Dinge gedreht. Dies war das erste Mal, dass sie sich von der Möglichkeit eines Mordverdachts bedroht sah.

»Sie wollen doch damit nicht etwa sagen, dass...?«

»Meine Liebe«, entgegnete der Oberst mit einer Bestimmtheit, die ihr vollkommen neu an ihm war. »Ich will gar nichts sagen, außer dass Sie sich über Ihre Aussagen klarwerden müssen. Teresa hat ja heute Abend nicht mit uns zusammen gegessen. Sie kam doch überhaupt erst gegen halb elf Uhr, nicht wahr?«

»Ja, so ungefähr. Und dann saß sie mit uns im Gesellschaftszimmer, bis...«

Julia van Berg brach ab, als ob ihr Zweifel aufstiegen.

»Das ist ja gerade der springende Punkt! Bis wann war das also?«

»Nun – es wird wohl so etwas nach elf Uhr gewesen sein, nehme ich an.«

»Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie das Zimmer verlassen hat«, erklärte er.

»Ich auch nicht. Aber heute Abend hat ja niemand von Ihnen lange stillgesessen. Die ganze Gesellschaft erschien mir heute noch unruhiger und quecksilbriger als gewöhnlich.«

»Lassen Sie uns die Sache noch weiter verfolgen«, warf Allistair ein. »Ich kam herein, um – sagen wir einmal – um Viertel vor zwölf. Larry Gale war bei Ihnen. Wie lange war er schon hier?«

»Nicht länger als fünf oder sechs Minuten.«

»Und bevor er kam?«

»Ich selbst bin nicht aus dem Zimmer herausgekommen, seitdem die anderen fortgingen.«

»Das war – darauf kann ich mich noch zufällig besinnen – ein Viertel nach elf. Demnach sind Sie hier etwa fünfundzwanzig Minuten allein geblieben. Beunruhigen Sie sich nicht, Julia. Sie müssen nur die Notwendigkeiten erkennen, das alles noch einmal sorgfältig durchzudenken, ehe Sie von der Polizei vernommen werden. In Frankreich pflegt man mit jemand, der in einem solchen Fall erst einmal in Verdacht geraten ist, nicht allzu viel Umstände zu machen. Könnte einer von den Dienstboten – Lisette zum Beispiel – bezeugen, dass Sie das Zimmer überhaupt nicht verlassen haben?«

Julia zog die Stirn nachdenklich in Falten. Sie besaß im allgemeinen ein starkes Selbstgefühl. Aber bei diesem schrecklichen Ereignis verließ sie ihre ganze gewohnte Sicherheit. Es war gut, in einem solchen Augenblick einen Halt an James Allistair zu haben.

In diesem Augenblick kam Larry zurück.

»Doktor Hewlett ist schon unterwegs«, verkündete er, »und die Polizei wird auch gleich hier sein. Kann ich sonst noch irgendetwas tun?«

Allistair wandte sich Larry zu. Er mochte den jungen Journalisten sehr gern.

»Bevor die Polizei kommt«, sagte er, »müssen Sie sich darüber Rechenschaft geben, was Sie auszusagen haben. Und dabei müssen Sie dann auch bleiben!«

Das Geräusch eines Wagens, der in die Anfahrt der Villa einbog, drang zu ihnen. »Ich glaube, das ist schon die Polizei! Läuten Sie doch den Sporting Club an, Larry, und fragen Sie nach dem Grafen Dantin! Er möchte mit Peggy und Anne Neville sofort hierherkommen – die Polizei wird bestimmt alle verhören wollen, die heute Abend hier waren.«

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Dr. Hewlett, ein älterer Herr mit einer goldgeränderten Brille, untersuchte die Tote, während ihm einige von den Polizeibeamten aufmerksam zusahen. Dann trat er auf Mrs. van Berg und Allistair zu.

»Mord, Oberst Allistair!«, brachte er mühsam hervor. Dabei fuhr er sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Ein so grausiger Fall war eine höchst unwillkommene Abwechslung in seiner gewohnten Praxis, im Allgemeinen hatte er nur mit allerlei wohlhabenden Patienten zu tun, denen eigentlich überhaupt nichts fehlte.

»Sind Sie ganz sicher, dass kein Selbstmord vorliegt?«, wandte der Oberst ein.

»Das ist ausgeschlossen«, erklärte der Arzt, »sehen Sie doch den Winkel, in dem das Stilett in den Körper eingedrungen ist – und was für eine Kraft muss dabei angewandt worden sein...! Haben Sie vielleicht eine Vermutung, wer der Täter sein könnte?«

»Nicht die geringste!«, entgegnete Allistair.

Ein Mann von etwa vierzig Jahren in Zivilkleidung trat auf sie zu. »Ist das Ihr Haus, Monsieur?«, fragte er in fast fehlerfreiem Englisch.

»Nein«, erwiderte der Oberst. »Es gehört dieser Dame!« Damit deutete er auf Mrs. van Berg.

»Mein Name ist Antoine Bec«, stellte sich der Franzose vor. »Ich gehöre der Pariser Sûreté an und bin wegen anderer Angelegenheiten zufällig in Monaco. Ich war gerade auf der Polizeistation, als Ihre telefonische Meldung kam. Der Kriminalinspektor hier« – er wies auf einen der Beamten, der neben ihn getreten war – »ist ein alter Freund von mir. Da ich zufällig etwas Englisch spreche, bat er mich, ihm heute Abend zu assistieren.«

»Es freut mich, dass Sie gekommen sind, Monsieur Bec«, entgegnete Allistair. »Es wird uns allen lieber sein, über eine so ernsthafte Sache in unserer Muttersprache verhandeln zu dürfen.«

»Umso besser«, antwortete der Detektiv. »Der Herr Doktor hat festgestellt, dass Miss Gray schon seit ungefähr einer Stunde tot sein muss. Wer hat denn eigentlich das Verbrechen entdeckt?«

»Eins von den Stubenmädchen. Vielleicht möchten Sie Lisette gleich zuerst vernehmen? Dann kommen Sie bitte mit ins Haus.« Sie gingen ins Haus und betraten das Gesellschaftszimmer, wohin der Oberst Lisette beordert hatte. Sie war noch immer in größter Aufregung.

»Nun erzählen Sie einmal, was passiert ist«, sagte Antoine Bec mit energischer Stimme.

»Ich weiß von nichts, Monsieur – von gar nichts!«, wandte das Mädchen ein. »Ich ging in den Rosengarten hinaus, weil die Nacht so wunderbar war. Aber ich blieb in der Nähe, damit ich hören konnte, wenn die Glocke läutete. Als ich hinter den hohen Büschen entlangging, wo die Bank steht, sah ich... oh – entsetzlich!«

Sie fiel in einen Stuhl zurück und betupfte ihre Augen mit der Schürze, die schon vollkommen zerknüllt war.

»Sie schrien und liefen schnurstracks in dieses Zimmer?«, half Allistair ein.

»Ja, Monsieur«, bestätigte sie schluchzend.

»Haben Sie sonst noch irgendjemand im Rosengarten gesehen?«

»Nein, Monsieur!«

»Das muss über eine halbe Stunde nach dem Mord gewesen sein«, warf Allistair ein. »Es war ungefähr zwei Minuten vor Mitternacht, als sie zu schreien begann.«

Der Detektiv nickte und wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Haben Sie Mademoiselle Gray in den Rosengarten gehen sehen?« Lisette schüttelte den Kopf.

»Ich hatte noch bis gegen zwölf Uhr zu tun und achtete bis dahin überhaupt nicht auf den Garten.«

Bec zuckte leicht mit den Schultern und entließ das Mädchen vorläufig.

»Können Sie mir sagen, wer Miss Gray zuletzt lebend gesehen hat?«, fragte er den Oberst. Dieser blickte zu der geöffneten Glastür, von wo aus Stimmengewirr und Lachen durch die stille Nachtluft in das Zimmer drangen.

»Das weiß ich auch nicht genau«, antwortete er. »Aber da kommen ja Mrs. van Bergs übrige Gäste zurück. Vielleicht wissen sie besser Bescheid.«

Das fröhliche Gelächter erstarb mit einem Schlag, als die Gesellschaft an der Tür angelangt war. Es war allen sofort klargeworden, dass etwas Außergewöhnliches geschehen sein musste.

»Hallo – was ist denn hier los?« Es war die tiefe Stimme Sir Kenneth Mallerfords, die das plötzliche Schweigen unterbrach. Er war ein tadellos gekleideter Gentleman, dessen Eleganz unter seiner zunehmenden Fülle freilich schon zu leiden begann; denn er steckte etwas zu prall in seiner Kleidung, und der Nacken quoll schon ein wenig über. Sir Kenneth war von klein auf nur allzu sehr mit irdischen Glücksgütern gesegnet gewesen und nun mit fünfunddreißig Jahren schon so abgestumpft, dass es ihm schwerfiel, noch neue Reize für seinen verwöhnten Gaumen zu finden.

»Monsieur Bec von der Pariser Sûreté möchte Ihnen einige Fragen vorlegen«, erklärte Oberst Allistair.

Mit einer leichten Kopfbewegung, die als Verbeugung ausgelegt werden konnte, fasste der Detektiv die fünf neuen Gäste ins Auge. »Ich möchte gern wissen, wer von Ihnen Miss Teresa Gray zuletzt gesehen hat«, sagte er.

»Teresa?«, wiederholte Mallerford. »Ja, aber war sie denn nicht mehr hier, als wir fortgingen? Was ist denn mit ihr los?«

Bec machte eine kleine kunstvolle Pause, während er aufmerksam die einzelnen Gäste musterte. »Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Teresa Gray tot ist. Sie ist ermordet worden – durch einen Stich ins Herz – etwa vor einer Stunde.«

Kenneth Mallerfords Stirnader begann sichtbar anzuschwellen. Seine Hand tastete nach einem Stuhl, um Halt zu finden.

»Das ist – das ist ja entsetzlich!«, sagte er.

»Oh, wie schrecklich!« Das war die Stimme Owen Bancrofts – und ihr ungewohnter Ernst war erschütternd. Sein unerschöpflicher Frohsinn schien sonst niemals zu versiegen. In diesem Augenblick aber war auch ihm die Lust zum Scherzen vergangen.

»Ist schon eine Verhaftung erfolgt?«, fragte er.

»Noch nicht«, erwiderte Antoine Bec. »Aber ich möchte jetzt gern eine Antwort auf meine Frage haben. Wer von Ihnen hat die Dame zuletzt lebend gesehen?«

»Ich habe sie allerdings noch im Gesellschaftszimmer gesehen – kurz, bevor wir weggingen«, bemerkte Stephen Varley, der Filmschauspieler.

»Wie lange vor Ihrem Aufbruch war das?«, fragte Bec.

»Ich habe darauf nicht so genau geachtet«, entgegnete Varley. »Jedenfalls nicht sehr lange vorher – vielleicht zwanzig Minuten. Ich unterhielt mich gerade mit Graf Dantin.«

»Ich glaube, dass Teresa noch zuletzt auf dem Stuhl neben der Tür gesessen hat – aber beschwören kann ich es nicht«, sagte Greta Mallerford, eine hochgewachsene graziöse Frau von etwa siebenundzwanzig Jahren, eine Zigarette in einer langen Spitze in der Hand.

»Das ist ja geradezu blödsinnig«, warf Julia van Berg in ihrer burschikosen Art ein. »Sollte denn niemand mehr wissen, ob das arme Mädchen hier im Zimmer war, als ihr alle weggingt? Meine Liebe«, wandte sie sich an ihre Nichte Eve Durrant, »auf dich kann ich mich doch sonst immer verlassen – kannst du es denn nicht sagen?«

»Es tut mir schrecklich leid, Julia«, sagte Eve, »ich kann mich auch nicht mehr genau erinnern. Ich glaube aber, dass sie nicht mehr hier war, als die Gesellschaft aufbrach.«

»Haben Sie alle hier im Zimmer gesessen?«, fragte Antoine Bec mit wachsendem Unbehagen über die Unbestimmtheit der verschiedenen Angaben.

»Oh nein«, antwortete Julia. »Niemand hat länger als fünf Minuten stillgesessen. Das ist ja hier im Haus überhaupt nicht zu erreichen – sie müssen immer alle durcheinander laufen! Aber einige von euch gingen doch dann durch die Glastür zur Palmenwiese hinaus! Ist denn niemand in den Rosengarten gekommen? Denn dort ist Teresa ermordet worden – auf der Bank hinter den Büschen.«

Eve Durrant suchte den Blick des Filmschauspielers, und er gab ein leichtes Zeichen der Zustimmung.

»Mr. Varley und ich waren ein paar Minuten lang im Rosengarten«, erklärte sie.

Das war die erste brauchbare Information, die Bec erhielt. Und so fragte er rasch: »Um welche Zeit war das? Soviel ich verstanden habe, sind Sie alle außer Mrs. van Berg um Viertel nach elf Uhr weggegangen.«

»Dann waren wir also um elf Uhr oder unmittelbar vor elf im Rosengarten«, sagte Varley.

»Sind Sie dabei irgendwie in die Nähe der Gartenbank geraten?«

Eve erschauerte.

»Ja«, bemerkte sie mit zitternder Stimme, »wir haben sogar darauf gesessen.«

»Aha«, warf der Detektiv ein. Offenbar kam ihm diese Auskunft sehr gelegen. »Wie Sie selbst begreifen werden, ist das von äußerster Wichtigkeit. Es hilft uns, die Zeit festzustellen, zu der der Mord begangen wurde. Der Arzt erklärt es für unmöglich, den Zeitpunkt auf zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde genau abzuschätzen. Sind Sie sicher, dass es nicht früher als elf Uhr war, als Sie beide draußen waren?«

»Das ist unmöglich«, sagte Eve, »denn wir gingen dann wieder hinein, um eine Kleinigkeit zu trinken. Mr. Varley goss im kleinen Salon die Gläser ein, und darauf kehrten wir hierher ins Zimmer zurück. Nach ein paar Minuten schlug jemand vor, einen kleinen Abstecher zum Sporting Club zu machen, und dann – ja, dann sind wir eben alle ausgeflogen.«

»Haben Sie irgendetwas gesehen oder gehört, während Sie im Rosengarten waren, was Ihnen durch diesen traurigen Vorfall wieder ins Gedächtnis zurückgerufen wird?«, fragte Antoine Bec beharrlich weiter.

»Sie meinen, ob ich etwa einen Fremden bemerkt habe?«

»Haben Sie in diesem Teil des Grundstücks überhaupt etwas Auffälliges wahrgenommen?«

»Ich kann mich nicht entsinnen, jemand gesehen zu haben – Sie etwa, Stephen?«

»Ich habe bestimmt niemand bemerkt«, erwiderte der Filmschauspieler, »aber es war gerade sehr dunkel, sogar ungewöhnlich bewölkt. Wir glaubten alle, dass ein Gewitter käme.«

»War es auch noch dunkel und bewölkt, als Sie alle gemeinsam die Villa verließen?«, fragte Bec.

»Das kann ich beantworten«, sagte Greta Mallerford bestimmt. »Ich habe gerade nach dem Himmel gesehen, bevor wir weggingen. Es war noch immer etwas bewölkt, aber ich hatte den Eindruck, dass es keinen Regen mehr geben würde, und als wir die Straße erreicht hatten, schien auch der Mond schon wieder ganz klar.«

»Jetzt komme ich auch wieder darauf«, bemerkte Eve Durrant nachdenklich. »Ich könnte fast schwören, dass Teresa auf dem Stuhl drüben neben der Tür gesessen hat, als Mr. Varley und ich in den Rosengarten hinausgingen. Aber ich glaube, sie war nicht mehr hier, als wir zurückkamen. Wahrscheinlich ist sie hinausgegangen, während wir die Drinks im kleinen Salon nahmen.«

In diesem Augenblick kam ein kleiner Wagen an, der Graf Dantin und die beiden Schwestern Peggy und Anne Neville vom Sporting Club zurückbrachte.

»Oh Julia, diese furchtbare Geschichte kann doch unmöglich wahr sein?«, rief Peggy aus. Doch in den Augen ihrer Gastgeberin konnte sie die Bestätigung lesen. Niemand sprach mehr ein Wort, bis die scharfe Stimme Antoine Bec die Stille durchschnitt: »Sind jetzt alle hier, die um elf Uhr heute Abend in der Villa waren?«

»Alle, Monsieur«, bestätigte Allistair.

»Dann«, sagte der Detektiv mit nachdrücklichem Ernst, »muss ich die Herrschaften bitten, noch so lange hier zu bleiben, bis Sie von der Polizei die Erlaubnis zum Weggehen erhalten.«

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

»Na! Lange haben Sie aber nicht geschlafen!« Antoine Bee lächelte, als Larry Gale erschien. Der Detektiv trank gerade seinen Kaffee und aß ein Brötchen dazu. Es war zehn Uhr vormittags, und er schien frisch und munter wie je, obwohl er bis fünf Uhr morgens aufgeblieben war, um alle Bewohner der Villa d’Azur zu vernehmen.

»Ich bin überhaupt nicht zu Bett gekommen«, sagte Larry. »Ich habe noch lange gebraucht, einen telegraphischen Bericht für das Daily Budget abzufassen. Dies ist der interessanteste Fall, den ich je in die Hände bekommen habe.«

»Nun, da sind Sie wohl jetzt gekommen, um mir zu verraten, wer den Mord begangen hat?«, fragte der Franzose, noch immer lächelnd.

Larry schüttelte den Kopf und betrachtete Bec, als ob er ihn zum ersten Male sähe. Inzwischen hatte er erfahren, dass sein Gegenüber einer der bekanntesten Detektive von ganz Frankreich war. Bec war von untersetzter Gestalt, mit freundlichen blauen Augen in einem hübschen glatten Gesicht. Man konnte ihn sich recht gut als glücklichen Ehemann, guten Vater und erfolgreichen Geschäftsmann vorstellen, der pünktlich jeden Morgen mit dem Achtuhrzug in die Stadt fuhr und am Sonntag in seinem Garten herumbastelte. In Wirklichkeit aber hauste er einsam als Junggeselle in einer kleinen Mietwohnung in Paris – soweit er überhaupt einmal Zeit fand, sich darin aufzuhalten, denn seine Arbeit füllte sein Dasein vollkommen aus. Musik war das einzige, was ihn außer der Kriminalistik noch interessierte.

»Nein«, sagte Larry, »ich weiß zwar nicht, ob Sie es mir auf die Nase binden wollen – aber eigentlich bin ich gekommen, um Sie zu fragen, was nun eigentlich Ihre Meinung von alledem ist.«

Der Detektiv schob seine leere Tasse fort und fing an, sich eine Zigarette zu drehen.

»Tiens! Das ist nicht übel! Ich habe die ganze Nacht damit zugebracht, ein halbes Dutzend Herren und Damen, außer der Dienerschaft, zu verhören. Jeder einzelne davon bestreitet die leiseste Kenntnis von dieser Geschichte – ein Mord, der offenbar von jedem von ihnen hätte begangen werden können, und dessen Motiv man noch nicht einmal ahnt – und am nächsten Morgen um zehn Uhr fragen Sie mich, was ich über den Fall denke! Das Ganze ist mir noch vollkommen schleierhaft. Was würden Sie dazu sagen, Monsieur Gale« – dabei wandte er sich mit einer liebenswürdigen Handbewegung seinem Gegenüber zu – »wenn ich etwa Sie selbst verhaften ließe? Würde Sie das sehr überraschen?«

»Olfen gesagt – nein«, gab der andere zu. »Ich muss Ihnen gestehen, dass ich wirklich etwas nervös wurde, als Sie mich sozusagen auf jeden einzelnen meiner Schritte zwischen elf Uhr und zwanzig Minuten vor zwölf festnageln wollten. Es war mir äußerst unangenehm.«

Eine lebhafte Erinnerung an das Verhör befiel ihn. Monsieur Becs blaue Augen waren dabei nicht immer ganz so freundlich gewesen. Sie hatten ihren Ausdruck fortwährend verändert. Einmal schienen sie einen zu ermuntern, ein andermal blickten sie leicht befremdet, dann wieder voll kalten Argwohns – und hinter alledem lauerte eine überaus wachsame Intelligenz, die stets bereit war, wie ein Panther zuzupacken, sobald sich eine Gelegenheit dazu bot. Es hatte gewiss seine guten Gründe, wenn Monsieur Bec als Detektiv ein so großes Ansehen erlangt hatte.

»Sie verließen das Hôtel des Ambassadeurs, wo Sie wohnen, um zehn Minuten vor elf Uhr«, erinnerte er Larry. »Dann gingen Sie ins Casino und spielten zehn Minuten lang Roulette, ohne Ihres Wissens von irgendjemandem erkannt zu werden. Später schlenderten Sie durch die Anlagen, wieder ohne von jemand bemerkt zu werden – bis zwanzig Minuten vor zwölf, wo Sie sich zu Mrs. van Berg in der Villa d’Azur gesellten.«

»Für ein Alibi klingt das allerdings recht fadenscheinig – das muss ich zugeben«, stimmte Larry mit stiller Bewunderung für die Findigkeit seines Partners zu.

»Jedenfalls nicht fadenscheiniger, als die Geschichten, die die anderen erzählten«, fuhr Bec fort. »Oberst Allistair sagt aus, er sei mit drei anderen aus der Gesellschaft schon auf halbem Weg zum Sporting Club gewesen, habe sich dann aber entschlossen, nicht mitzuspielen, und sei noch bis zu der Terrasse unter dem Casino weitergegangen. Dort habe er eine halbe Stunde lang auf das Meer hinausgeschaut... In diesem Fall ist überhaupt niemand vorhanden, der in der Lage wäre, seine Angaben zu bestätigen. Und gerade während dieser Zeit ist der Mord geschehen.«

Der Detektiv zog nachdenklich an seiner Zigarette.

»Owen Bancroft und Sir Kenneth Mallerford haben sich auf dem Rasenplatz unter den Palmen aufgehalten. Das war schon eine ganze Weile vor elf Uhr. Für eine Zeitspanne von ungefähr fünf Minuten ging Sir Kenneth hinein, um im kleinen Salon etwas zu trinken. Dies war, wie Sir Kenneth und Bancroft meinten, ungefähr um elf. Bancroft sagt aus, dass er während dieser fünf Minuten ins Gesellschaftszimmer gegangen sei und dort der Unterhaltung zugehört habe. Er war aber bereits wieder auf seinem Stuhl in den Palmenanlagen, als Sir Kenneth zurückkam. Graf Dantin, wenn wir seinen Angaben glauben können«, schloss Antoine Bec, »hat sich zunächst eine Zeitlang mit Stephen Varley, dem Filmschauspieler, unterhalten. Aber auch er hat, wie die meisten von Ihnen, ausreichende Gelegenheit gehabt, sich lange genug zu entfernen, um den Mord zu begehen. Varley allerdings war inzwischen zusammen mit Eve Durrant in den Rosengarten gegangen.«

»Ja«, unterbrach ihn Larry mit unbewusstem Eifer, »das lässt ihn von vornherein ausscheiden, denn Miss Durrant könnte doch niemand im Ernst verdächtigen...«

Antoine Bec hob beschwichtigend die Hand.

»Habe ich denn überhaupt jemanden verdächtigt?«, fragte er. »Aber Sie sind wahrscheinlich in Miss Durrant verliebt?«

»Wie, in aller Welt, kommen Sie denn darauf?«, fragte Larry. Er war offensichtlich betroffen.

»Ist es nicht so?«

»Ja – aber ich habe doch noch mit keinem Menschen darüber gesprochen!«

Es zuckte um Becs Mundwinkel. Er hatte nicht umsonst zwanzig Jahre damit zugebracht, menschliche Empfindungen zu studieren.

»Nun, nichts für ungut«, erwiderte er. »Mit den sechs Herren und Miss Durrant wären wir also fertig. Die beiden Geschwister Peggy und Anne Neville haben angegeben, keine von ihnen hätte das Gesellschaftszimmer während der fraglichen Zeit verlassen. Sir Kenneth betont, dass er seine Frau während der ganzen Zeit hat sehen können, als er mit Graf Dantin in den Palmenanlagen saß. Dann bliebe also noch Mrs. van Berg.«

»Aber die ist doch bestimmt unschuldig«, sagte Larry.

»Voilà«, fuhr der Detektiv fort. »Da haben wir ja nur die Auswahl – aber noch immer kein brauchbares Motiv zur Tat, mit dem man etwas anfangen könnte. Auffällig ist nur, dass die Ermordete schon ein paar Tage lang eine merkwürdig gereizte Stimmung gezeigt hat.«

»Sie hat viel Geld im Casino verloren«, sagte Larry. »Viel mehr, glaube ich, als sie überhaupt erschwingen konnte.«

»Das kann der Grund ihrer Verstimmung gewesen sein – oder auch nicht«, erwiderte Bec. »Aber jedenfalls bleibt die Tatsache bestehen, dass sie gestern Abend sogar gegen ihre Gastgeberin ziemlich schroff war.«

»Wie ist es denn mit dem Personal?«, fragte Larry.

»Lisette kommt nicht in Frage, und die drei männlichen Angestellten haben in ihrem Zimmer beim Kartenspielen gesessen. Keiner von ihnen hat während der fraglichen Stunde das Zimmer auch nur einen Augenblick verlassen. Das kann man als bewiesen ansehen.«

»Na schön«, sagte Larry. »Das Nächstliegende wäre ja wohl eigentlich die Annahme eines simplen Raubmordes – oder glauben Sie nicht, dass das Verschwinden der Halskette auf das Werk irgendeines beutegierigen Strolches hindeutet?«

»Mein alter Freund, Inspektor Henri Croissart, den ich zur Villa begleitete, war ebenfalls dieser Ansicht«, stimmte Bec zu. »Andernfalls, fürchte ich, hätte er unserer kleinen Versammlung nicht gestattet, sich heute Morgen um fünf Uhr schon so – sagen wir, so glatt aufzulösen...«

Larrys Gesicht verriet Erleichterung. Für sich persönlich hatte er ja nichts zu befürchten, und der Fall hatte ihm sogar eine nicht alltägliche Meldung für das Daily Budget eingebracht. Aber er dachte an Mrs. van Berg und all ihre Gäste, die er zu seinen Freunden zählte – ganz abgesehen von Eve Durrant, die er als das liebenswerteste Geschöpf auf Erden verehrte.

»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass dies die Ansicht der Polizei ist«, sagte er. »Ich glaube bestimmt, dass Inspektor Croissart auf der richtigen Spur ist.«

»Wer weiß?«, erwiderte Bec mit einer vielsagenden Miene, die den Journalisten ein wenig verblüffte.

»Glauben Sie nicht?«, fragte er.

»Es würde mich riesig freuen, wenn es meinem Freund Croissart gelänge, den Mörder zu fassen«, sagte Bec. »Übrigens hoffe ich, ihn dabei unterstützen zu können; ich habe mir von meiner Dienststelle schon die Erlaubnis zum Hierbleiben erteilen lassen. Es sind da nämlich gewisse Begleitumstände, die mich an diesem Fall besonders interessieren.«

Bei Licht besehen – überlegte Larry Gale – ist das nun die einzig halbwegs brauchbare Auskunft, die ich bis jetzt aus diesem schlauen Fuchs herausgeholt habe. Denn über die wirkliche Meinung des Detektivs war er sich noch immer völlig im Unklaren.

»Ich hatte eigentlich beabsichtigt, heute nach England zurückzufahren«, erwiderte er. »Aber nach dem, was jetzt geschehen ist, werde ich wahrscheinlich beauftragt werden, hier in Monaco zu bleiben. Ich hoffe, dass Sie nichts dagegen haben werden – aber ich würde mich sehr gern ab und zu mit Ihnen über den Fall unterhalten. Darf ich?«

Bec drehte sich nachdenklich eine neue Zigarette.

»Das kommt ganz darauf an«, antwortete er mit einem Anflug von Lächeln.

»Worauf denn?«

»Ob Sie mit mir oder gegen mich arbeiten wollen. Sie befinden sich in einer verzwickten Lage – weil Sie unrettbar zugunsten all dieser Leute eingenommen sind. Ich will Sie deswegen nicht tadeln, aber ich kann mir vorstellen, dass Sie nicht einen Augenblick die Möglichkeit zugeben würden, einer von ihnen könnte der Verbrecher sein. Ich dagegen habe niemals zuvor einen von Ihnen zu Gesicht bekommen und bin also ganz unbefangen.«

»Das ist ganz richtig, Monsieur Bec«, erwiderte Larry ernst. »Aber es handelt sich ja schließlich um einen Mord. Glauben Sie mir, dass ich kein größeres Interesse habe als die Überführung des Schuldigen. Mit einem Ungeheuer hält man keine Freundschaft... Seien Sie versichert – ich würde niemand aus unserer Gesellschaft zu schonen versuchen, wenn ich von seiner Schuld überzeugt wäre!«

»Gut, dann gibt es eine Möglichkeit, wie Sie mir helfen könnten, indem Sie mir nämlich alles erzählen, was Sie über diese Teresa Gray wissen.«

Larry lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

»Eigentlich war sie eine ziemlich sonderbare Natur«, sagte er. »Wenigstens hatte ich den Eindruck; aber ich weiß nicht, ob meine Meinung überhaupt in Betracht kommt – schließlich kannte ich die Verstorbene erst seit etwa drei Wochen.«

»Wo sind Sie denn zuerst mit ihr zusammengetroffen?«

»Eines Abends hatte ich im Casino hundert Francs auf Rouge gesetzt und gewonnen. Da mischte sich eine alte Vettel ein, die das Geld für sich beanspruchte. Nun ist die französische Sprache nicht gerade meine Stärke, noch dazu, wenn es womöglich einen scharfen Wortwechsel gibt. Ich wäre sicherlich um meinen Gewinn gekommen, wenn sich nicht Allistair für mich ins Zeug gelegt hätte. Er erklärte dem Croupier, er habe selbst gesehen, wie ich meinen Einsatz machte. Daraufhin erhielt ich meinen Gewinn ausgezahlt. So kam ich mit dem Oberst ins Gespräch. Durch ihn wurde ich Mrs. van Berg vorgestellt, die ich auch am nächsten Tag wiedersah. Sie bat mich zum Diner in ihr Haus. Teresa Gray war unter ihren Gästen, und ich habe mich gleich an diesem ersten Abend lange mit ihr unterhalten. Aber nach einiger Zeit hatte ich plötzlich die Empfindung, dass sie mir auffällig auszuweichen begann. Damals wusste ich noch nicht recht, was für Existenzen man hier an der Riviera zuweilen begegnet. Man läuft hier ja allerlei merkwürdigen Leuten in den Weg, bei denen man nicht weiß, mit welchen Gespenstern sie sich insgeheim herumschleppen.«

»Hatten Sie denn Grund zu der Annahme, dass Teresa Gray von einem solchen Gespenst verfolgt wurde?« Die Stimme Antoine Becs verriet plötzlich eine ungewohnte Schärfe.

Larry überlegte einen Augenblick.

»Vielleicht drücke ich es besser so aus, dass sie zweifellos etwas zu verbergen suchte. Ja, das ist wohl die richtige Antwort. Auf meine Frage, wie lange sie in Frankreich gewesen sei, sagte sie nur eine Zeitlang – also ganz unbestimmt. Aber als ich herauszubekommen suchte, ob wir vielleicht gemeinsame Bekannte in London hätten, ließ sie mich deutlich merken, dass ich einen Missgriff getan hatte.«

»Auf welche Art ließ sie es denn merken?«

»Nun«, erwiderte Larry, »das konnte man eben spüren. Sie blieb zwar vollkommen beherrscht, wechselte aber das Thema auffallend schnell. Außerdem blieb sie stets sehr zurückhaltend, sooft wir auch später noch zusammentrafen.«

»Nun«, bemerkte Bec, »das alles braucht keinen Zusammenhang mit der Tragödie zu haben. Wenn aber doch ein Geheimnis dahintersteckt, dann wird es schon noch an den Tag kommen, sobald erst einmal ihre Verwandten und Bekannten erfahren, was sich hier zugetragen hat.«

»Dieser Fall wird in England ziemliches Aufsehen erregen«, sagte Larry. »Wenn das Geheimnis von Teresas Tod in ein oder zwei Tagen nicht aufgeklärt ist, werden gewiss von jeder größeren Londoner Zeitung noch Sonderberichterstatter hierherkommen.«

»Ist das alles, was Sie mir von dem Mädchen selbst erzählen können?«, fragte der Detektiv.