Die wundersamen Erlebnisse des PVC Neumann, August H. und Wo-Tan - Volker Kuhnen - E-Book

Die wundersamen Erlebnisse des PVC Neumann, August H. und Wo-Tan E-Book

Volker Kuhnen

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Beschreibung

Seltsame Ereignisse ereilen PVC, August und Wo-Tan auf ihrer Suche nach dem sagenumwobenen Ort Y, einer magischen Stätte aus antiken Zeiten. Sie geraten in wundersame, lebensfeindliche Landschaften, werden von Flugsauriern und Säbelzahntiger bedroht, vom verrückten Präparator verfolgt, wegen Blasphemie zum Tode verurteilt, entdecken die Zerstörung der Gärten der Hesperien und den Absturz des Ikarus und einiges mehr, bis sie endlich vor ihrem Ziel stehen. Die Tagebucheintragungen der drei werden von vielen Illustrationen begleitet, die die Geschehnisse nicht ohne ironische Brechung berichten. Sie künden von einer Welt zwischen Traum und Wirklichkeit, dem Eingreifen höherer Mächte und der unterschiedlichen Sicht des jeweiligen Erzählers auf die gemeinsamen Erlebnisse, was besonders für Wo-Tan, dem Hund, gilt.

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Seitenzahl: 160

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Eine phantastische Geschichte

Geschrieben und gezeichnet von Volker Kuhnen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

PVC Neumann, im Juni

Die Überfahrt ist angenehm und verläuft in ruhigen Bahnen. Die See ist glatt und friedlich, der Himmel betörend blau. Am Abend zeigen sich Wolken am Horizont, die schnell heraufziehen. Ihre Färbung reicht von Weiß über Blaugrau bis zu Schwarz. Ihre Formen, die sich teilweise scharfkantig gegen den Himmel abzeichnen, an anderen Stellen diffus aufgelöst sind, befinden sich im ständigen Wandel. Dramatisch und majestätvoll beherrschen die bizarren Wolkengebirge den Horizont. Über uns wölbt sich der von hellem Gelb zu dunklem Rot verlaufende Himmel in unfassbarer Tiefe.

Ergriffen lasse ich meinen Blick über die Weite des Wassers, auf dem sich das himmlische Schauspiel widerspiegelt, gleiten und einmal mehr empfinde ich die Schönheit und Erhabenheit des Meeres. Häufig kommt mir, im Angesicht der See, C. D. Friedrichs Bild des Mönches am Meer in den Sinn - der Mensch eine kleine Anmerkung in der unbegreiflichen Dimension der Schöpfung.

Wo-Tan allerdings sieht das anders. Gelangweilt schaut sie mich mit ihren warmen Augen an.

Längst sind wir in P., unserem Etappenziel, angekommen. Wir haben uns dort ausgeruht, Erkundungen eingeholt und unsere Ausrüstung ergänzt. Es waren ruhige, unaufgeregte Tage.

Am frühen Morgen brechen wir auf, um zu unserem Ziel zu gelangen, dem Fluss, auf dem wir dann weiter ins Landesinnere vordringen wollen.

Passierbare Landwege gebe es nicht, wurde uns versichert, und die Karte scheint die Aussage zu bestätigten, wenn man ihr Glauben schenken darf.

Unser Zielort ist am Fluss gelegen und so liegt es ja auch nahe, ihn über das Wasser zu erreichen.

Nach mehreren Tagen auf staubigen Wegen gelangen wir endlich ans Ufer des Flusses. Froh sind wir, die öde Landschaft hinter uns gelassen zu haben und vor uns das dahinstrebende Wasser zu erblicken.

Der Weitertransport auf demselben erzeugt in uns allerdings größtes, ich möchte sagen, allergrößtes Erstaunen und ... Furcht.

Wir und unser Gepäck werden auf Krokodile verfrachtet!

Vor uns, unweit des Ufers, schwimmen die imposanten Echsen gemächlich im Fluss herum oder liegen dösend im Schilf, das träge im schwülen Wind hin und her schwankt. Ein Einheimischer, der Führer unserer kleinen Expedition, tritt ans Ufer und ruft die Tiere mit einer Folge schwach modulierter Töne, die er einem flötenähnlichen Instrument abtrotzt.

Ich bin in den letzen Jahren, infolge meiner Nachforschungen, ziemlich viel herumgekommen und habe einiges gehört, was man der Kategorie Musik zuordnen kann. Diese Folge von Tönen befremden, besser gesagt, befeinden jedes menschliche Ohr und das an klassischer Opernmusik sich erfreuende allemal. Selbst unser Krokodilbläser verzieht bei jedem Ton sein Gesicht und scheint erleichtert, als seine Signale die Krokodile erreichen. Langsam aber zielstrebig kommen sie herübergeschwommen und sammeln sich vor uns am Ufer.

Eine weitere grauenvolle Tonfolge veranlasst die Tiere, sich auf den Rücken zu drehen. Ihre Bäuche prangen uns hell aus dem moorigen Wasser entgegen. Geschwind werden die Tiere beladen und wir entfernen uns vom Ufer in die Mitte des Stromes. Unsere Flotte besteht aus fünf Krokodilen. Jedes wird von einem Krokodillenker geführt.

Natürlich ist es äußerst befremdlich und scheint absurd, auf dem Bauch eines so gewaltigen und so furchterregenden Tieres einen Fluss hinaufzufahren. Ich musste meinen ganzen Mut zusammennehmen und es kostete mich die größte Überwindung, auf den Bauch des Tieres zu steigen. August erging es ebenso. Es half uns, dass die Krokodillenker sich als erste auf die Tiere begaben und sich ungezwungen, so, als ob sie in einem Ruderboot wären, vorne auf die breite Brust der Tiere hockten. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie diesen gefährlichen Reptilien begegnen, befremdet und verwundert zugleich. Wie andere Menschen Kamele treiben, so führen sie Krokodile.

Langsam ebbt die Angst in mir ab und allmählich verblasst ein wenig das Aussergewöhnliche unserer Situation. Nach geraumer Zeit gelingt es mir, meine furchterzeugte Aufmerksamkeit von dem Tier, auf dem ich sitze, zu lösen und meinen Blick der Umgebung zu überlassen.

Ich betrachte den Flusslauf mit seinen Ufern, die undurchdringlich zugewachsen sind. Hohes Schilf, Seerosen und viele Wassergräser bewuchern den Saum des langsam dahinfließenden Flusses. Immer wieder ragen Teile abgestorbener Bäume aus den trüben Fluten und strecken ihre Äste wie Finger uns entgegen. Schlingpflanzen verweben Büsche und Bäume zu einem dichten Geflecht, einer unüberwindbaren Wand gleich.

„Der Fluss scheint hier wirklich die einzige Möglichkeit zu sein, voranzukommen“, überlege ich und denke an die uns gegenüber gemachte Aussage, dass es keine passierbaren Landwege gebe. Dann schweift mein Blick zurück auf den Bauch meines Krokodils und dabei kommt mir in den Sinn, dass es Zeiten gab, in denen für die Damenwelt Handtaschen aus Krokodilleder gefertigt wurden.

Wir gleiten lautlos flussaufwärts dahin, immer in der Mitte des Flusses. Während der gesamten Zeit schauen die Krokodile uns still mit ihren kleinen Augen freundlich an oder blicken verträumt zum Himmel hinauf, an dem sich kleine, weisse Wolken wie Wattetupfer tummeln. Damit sind die Tiere voll und ganz beschäftigt.

Da sie den Fluss nicht mehr auf gewohnte Weise wahrnehmen, vergessen sie, so hat es den Anschein, ihre natürliche Bestimmung. Von selbst kommen sie offenbar nie auf den Gedanken - ich kann mich nicht daran erinnern, jemals ein Krokodil in Rückenlage schwimmen gesehen zu haben - sich umzudrehen und somit die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Man schwimmt eben gerne im bewährten Strom der Gewohnheit, was ja auch meist von Vorteil ist.

Ab und zu legen unsere Krokodillenker ihr Ohr auf den Bauch des jeweiligen Tieres und horchen eine Zeit lang angespannt mit geschlossenen Augen. Eine drohende Gefahr besteht darin, dass die Tiere sich, ohne Vorwarnung, einfach umdrehen. Das kann, wie jedem einsichtig ist, fatale Auswirkungen auf die ordnungsgemäße Fortführung der Reise haben. Weckt nämlich der Hunger die Echsen aus ihrem Spiel, für sie ist es ein fröhliches Spiel, folgen sie ihrer Krokodilnatur und aus dem Fahrzeug wird das Reptil.

Zum Glück wussten wir von all dem nichts. Erst später erfuhren wir von derartigen Vorkommnissen, bei denen nicht selten die gesamte Reisegesellschaft verspeist worden war.

Seitdem meiden wir Krokodile als Wasserfahrzeuge.

PVC, 15. Juli

Wir langen in S.12, einer kleinen Ansiedlung am Fluss, an. Es ist Mittag. Die Sonne steht senkrecht über uns. Wir sind erleichtert, die Krokodile verlassen zu können und besonders Wo-Tan scheint darüber sehr froh zu sein. Freudig läuft sie am Ufer auf und ab und bellt lauthals in das tiefe Dunkel des Waldes, der dicht an den Fluss heranreicht. Auf dem engen Uferstreifen zwischen Wasser und Wald drängen sich fünf hölzerne Hütten, die die Siedlung bilden. Sie sehen ziemlich verwahrlost aus und machen nicht gerade den stabilsten Eindruck. August äußert die Hoffnung, hier nicht lange bleiben zu müssen.

In der größten Hütte, alle stehen auf Pfählen, finden wir Unterschlupf. Hier wollen wir auf die Person warten, die uns, wie verabredet, auf unserem weiteren Weg führen soll. Den Briefwechsel mit dem Vermittler führe ich bei mir und lese nochmals die Anweisungen.

Die Bewohner unserer kargen Hütte bekommen wir nur selten zu Gesicht. Jeden Morgen stellen sie etwas Essbares, meist verschiedenartigen Fisch, vor unsere Tür. Wasser schöpfen wir selber für uns aus dem Fluss. Die Leute sind uns gegenüber sehr zurückhaltend und August meint, etwas Lauerndes in ihren Blicken zu entdecken. Auch mir sind sie unangenehm. Bei unserer Ankunft hatten wir ihnen weisungsgemäß eine bestimmte Summe Geld für unsere Einquartierung gegeben.

Da wir die Insassen der anderen Hütten als ebenso undurchdringlich befinden, verlassen wir den uns zugewiesenen Teil unserer Hütte nur selten. Kommt es zu einer Begegnung mit den Bewohnern, knurrt Wo-Tan ständig.

Die Tage verstreichen. Feuchte Hitze lastet auf uns. Nur gegen Abend, wenn ein leichter Wind durch die Öffnungen und die lose gefügten Hölzer ins Innere unserer Behausung dringt, ist es einigermaßen erträglich. Das Warten auf den uns unbekannten Führer führt langsam zu einer angespannten Situation.

„Wir sind betrogen worden“, knurrt August grimmig, „wir sitzen hier hoffnungslos fest und sind diesen zwielichtigen Leuten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Das geht nicht gut. Wir sollten weg von hier, irgendwie, bevor etwas passiert.“

Ich schaue auf den Wald, der dunkel und schweigend uns gegenübersteht und versuche, August zu beruhigen, ihn auf andere Gedanken zu bringen. „Es dauert sicherlich nur noch eine kurze Zeitspanne bis wir abgeholt werden und diesen ungastlichen Ort verlassen“, sage ich zu August gewendet und bemühe mich, Zuversicht in meine Stimme zu legen.

PVC, 18. Juli

Noch immer keine Spur von unserem unbekannten Führer. Die Ungewissheit lastet auf uns, wächst von Tag zu Tag und meine positive Sicht beginnt sich langsam zu trüben. Quälend vergeht ein Tag nach dem anderen.

Um uns abzulenken, haben wir aus herumliegenden Holzstücken, Steinen und anderen Fundsachen Schachfiguren verfertigt und auf dem Fussboden ein begehbares Spielfeld eingeritzt. Die einzelnen Felder sind mit schwarzem und rotem Schlamm, den wir aus dem Fluss geholt haben, eingefärbt. Das Spiel hilft, die Zeit zu verkürzen und unsere trüben Gedanken, zumindest für eine kurze Zeit, zu verdrängen. Allerdings hintertreibt Wo-Tan unser Spiel. In unbeobachteten Augenblicken vertauscht sie Figuren und spielt die dea ex machina.

PVC, 22. Juli

August hat inzwischen eine Leidenschaft für das Schachspiel entwickelt. Schon morgens fordert er mich zu einer Partie. Seine Spielweise ist sehr unorthodox und kaum berechenbar. Es dauert oft ziemlich lange, bis er eine Figur setzt.

Diese Zeitspanne ist, so wie ich es bemerkt zu haben glaube, nicht die Folge angespannten Nachdenkens mit dem Ziel, nach Analyse der gegebenen Figurenkonstellation eine Strategie, einen Schlachtplan zu entwickeln oder nur die nächste Figur zu setzen, nein, er spielt ohne Plan, ohne jegliche Vorausschau, ohne analytische Überlegungen. Er spielt auch nicht auf meine Züge reagierend. Ich glaube, er wartet auf eine innere Stimme, auf ein inneres Bild, welches ihm sagt, wohin welche Figur zu setzen ist. Im Grunde, so könnte man sagen, spiele ich gar nicht gegen August, sondern gegen einen imaginären Spieler, dessen Vollstrecker August ist.

Während der Zeitspanne des Wartens auf den zu vollziehenden Spielzug sitzt er regungslos am Rand des Schachfeldes mit einem stillen, nach innen gewendeten, selbstzufriedenen Lächeln, das mich, ich gestehe es ein, ein wenig wütend macht. Ich meine nämlich einen leichten Anflug von Überheblichkeit in seinem Gesicht zu entdecken, wenn er so dasitzt und durch mich durchschaut und dann auf einmal seine Figur setzt. Er setzt, wendet sich zu mir und lächelt mich an ... und der Zug ist gut, ziemlich gut.

PVC, 23. Juli

Wo-Tan zeigt sonderbares Verhalten. Sie liegt zusammengerollt in einer Ecke und gibt leise, fiepende Geräusche von sich. Obwohl sie fast regungslos daliegt, verbreitet sie Unrast.

PVC, 24. Juli

Wieder warte ich auf den Schachzug von August. Wo-Tan liegt unruhig in ihrer Ecke. Ich wende mich ab und schaue durch die kleine Fensteröffnung zum nahen dunklen Wald. Die Sonne wirft ihr helles Licht auf die Bäume mit ihrem gebrochen grünen Laub. Die Luft steht zitternd im Schatten des dichten Laubdaches. Still steht der Wald, regungslos und unergründlich.

Auf einmal habe ich den Eindruck, dass der Waldboden sich bewegen würde. Es scheint mir, als ob eine breiige Masse sich ausdehnte, zusammenzöge, verharrte und wieder in Bewegung geriete. Der Erdboden wirkt wie ein hingestreckter animalischer Körper, der sich hebt und senkt, der unruhig atmet. Angestrengt schaue ich ins Dunkel des undurchdringlichen Waldes. Ein kleiner, hell glänzender Fleck wird sichtbar und ich meine, eine Gestalt zu erkennen. Eine menschliche Gestalt, die sich zwischen den Bäumen hindurchbewegt.

Ich spüre meinen Herzschlag und Erleichterung. Endlich kommt sie, die Person, derentwegen wir hier in dieser bedrückenden Öde von S.12 ausharren.

„Aufgepasst August!“, rufe ich, mich umwendend, „unsere langersehnte Person kommt.“

August setzt seine Schachfigur. Sein Läufer steht jetzt bedrohlich und dann tritt er zu mir ans Fenster.

Was wir beide erblicken, ist unfassbar und erfüllt uns mit Schrecken. Die schemenhafte Gestalt mit dem hellen, glänzenden Fleck bewegt sich langsam auf die Siedlung zu. Der Boden um sie herum befindet sich in Aufruhr. Er webt und wabert - er lebt. Er zuckt, weicht zurück, dringt vor, blinkt auf und verliert sich im Dunkel, um dann erneut hervorzudringen. Es ist eine bewegliche, lebendige Masse, die den Waldboden bedeckt und auf die fünf armseligen Hütten zudrängt. Entsetzt erkennen wir ein Meer von Leibern, das zum Fluss hinbrandet, direkt auf uns zu. Kaum haben wir uns aus unserer Erstarrung gelöst, erreichen die ersten Tiere S.12. Wie eine Flutwelle umströmen sie die hölzernen Behausungen. Schwankend stehen die maroden Hütten im Meer der Leiber. Als die ersten Tiere durch die Fugen und Öffnungen bei uns eindringen, jault Wo-Tan auf. Wir drängen uns in äußerster Furcht und Entsetzen aneinander, August, Wo-Tan und ich.

Die Tiere, rattenähnlich mit blitzenden Augen und gebleckten Zähnen, rücken vor, direkt auf uns zu. Es ist ein widerwärtiges Heer, das kein Erbarmen kennt. Wir halten uns fest, Schachfiguren als Waffe in der Hand, Wo-Tan zwischen unseren Beinen. August hält die Dame zum Schlag bereit, ich den König. Wir werden kämpfen, bis wir untergehen.

Kurz bevor die Bestien uns erreichen, geschieht etwas völlig Unerwartetes: Die Tiere mit ihren spitzen Zähnen, starren Augen und dem widerwärtigen Schwanz drehen ab. Sie umfließen uns. Eine unsichtbare Mauer hält sie von uns fern. Es ist, als ob sie sich fürchten würden, unser Schachfeld, in dessen Mitte wir angstvoll verharren, zu betreten. Wie ein magischer Ort, eine Tabuzone, wirkt unser Spielplan mit seinen roten und schwarzen Feldern auf die besinnungslose Masse dieser unheimlichen Tiere.

Eine unbegreifliche Gewalt hindert sie, reisst sie zurück. So umfluten die Bestien unseren heiligen Hain, bis sie sich nach wenigen Minuten in den Fluss stürzen. Hinter sich: Verwüstung!

Es dauerte eine lange Zeit, oder war es nur ein Augenblick, bis wir uns besannen? War das alles nur ein Traum, ein Albtraum? Ein Rausch, der unserer gereizten Phantasie entsprungen ist?

Erschöpft fallen wir nieder und erinnerungsloser Schlaf umfängt uns.

PVC, 25. Juli

Als wir erwachen, steht die Sonne hoch am wolkenlosen Himmel. Die Zerstörung um uns herum lehrt uns, dass wir nicht geträumt haben. Wir sind allein, die Bewohner von S.12 verschwunden, das unheimliche Heer mit seinem Anführer vom Erdboden verschluckt.

PVC, 26. Juli

Den gestrigen Tag haben wir damit zugebracht, aus den Trümmern ein Floß zu bauen.

PVC, 27. August

Viele Tage trieben wir auf unserem Floß flussabwärts, bis wir in W. anlangten. August hatte großes Geschick gezeigt, mit bloßen Händen Fische zu fangen, die wir roh aßen. Wasser war ja im Überfluss vorhanden. Da wir durch den Überfall unsere gesamte Ausrüstung eingebüßt hatten, kamen wir sehr heruntergekommen in W. an.

Inzwischen haben wir uns von den Strapazen erholt und unsere Zuversicht und unseren Tatendrang wiedergewonnen.

Was in S.12 geschah, ist uns unerklärlich.

2. Kapitel

Wo-Tan, 21. August

Wie schön ist es doch in W. Wenn ich an die Tage auf dem wackeligen Floß denke und an das Fressen, jeden Tag rohen Fisch, dann wird mir im Nachhinein noch mulmig. Jetzt schmeckt mir das Fressen. Stets bekomme ich von den beiden etwas sehr Schmackhaftes vorgesetzt. Aber das allein ist es nicht, was mir gute Laune verschafft: PVC und August sind froher Stimmung und haben wieder zu ihrer gewohnten Natur gefunden!

Mir hat der lebensbedrohliche Überfall der ekeligen Viecher in S.12 ebenfalls fürchterlich zugesetzt, aber das ist nun vorbei. Die beiden jedoch haben alle ihre Sachen verloren und, was wohl noch schlimmer ist, ihr Plan ist gescheitert. Worin der besteht, weiß ich allerdings nicht so genau. Jedenfalls sind die beiden so wie früher. Sie spielen mit mir, nehmen mich mit in die Stadt und auf längere Spaziergänge in die Umgebung.

Auch Hunde gibt es in der Nachbarschaft mit denen ich mich austausche und spiele. Besonders gefällt mir eine große Artgenossin, die hellbraunes, langes Fell besitzt und eine helle Schnauze. Mit ihr tobe ich gerne und wir erzählen uns vieles.

Wo-Tan, 24. August

In den letzten Tagen hat sich in mir der Verdacht festgesetzt, dass wir beobachtet werden. Beim Spielen mit meiner Freundin habe ich eine Person gesehen, die zu den Fenstern unseres Hauses gelugt hat. Und zwar nicht so, wie Menschen nun mal gucken, wenn sie auf der Straße unterwegs sind. Nein, die hat richtig spioniert!

PVC Neumann, 2. September

Wir wollen einen Ausflug zu einer bekannten Klosteranlage unternehmen, die wir schon häufiger besucht haben. Das Wetter ist angenehm und da ich in den vergangenen Tagen viel über unsere gescheiterte Expedition und das weitere Vorgehen nachgedacht habe, verspüre ich den Drang rauszugehen, um den Kopf freizubekommen. Außerdem will ich ein wenig zeichnen und da bietet das Kloster einen willkommenen Anreiz, zumal mich selbstverständlich die Anlage immer wieder interessiert.

Es verhält sich ja so, dass beim wiederholten Betrachten eines komplexen Gegenübers die Wahrnehmung sich verändert. Je häufiger etwas angeschaut wird, desto weniger ist die Wahrnehmung darauf aus zu abstrahieren. Ihre vordringliche Aufgabe ist es, ein Gegenüber auf sein Wesentliches hin zu verdichten unter Ausblendung unwesentlicher Merkmale. Die Dinge werden so als Ganzes erfasst, um sie einordnen und beurteilen zu können. Das gilt natürlich besonders für Unbekanntes. Ist man dagegen mit einem Gegenüber vertraut, schwindet die Tendenz zur Abstraktion, die Wahrnehmung wird freier und dadurch wird das Subjekt in die Lage versetzt, Dinge wahrzunehmen, die es vorher gar nicht oder nicht auf diese Art wahrgenommen hat. Allerdings muss das Subjekt Sehfreude und Seherfahrung besitzen.

Wo-Tan, 2.September.

Wir laufen ziemlich lange am Fluss entlang, stromabwärts. Der bequeme Weg folgt dem Fluss, der schnell dahinfließt. Er ist eingezwängt zwischen der steilen

Felswand auf unserer Seite und dem Berg auf der anderen. Viel zu schnuppern gibt es nicht, aber dafür habe ich ein kleines Bad im Wasser genommen. Richtig schwimmen durfte ich nicht. August rief mich immer zurück.

Er hatte Bedenken wegen der Strömung. Das Tal wird jetzt enger. Auf einmal, nach einer starken Biegung des Flusses, sehen wir vor uns einige große Gebäude, das Kloster. PVC hält an, holt sein Skizzenbuch aus der Tasche und zeichnet. Aber nicht etwa das Kloster, sondern das Flusstal mit seinen steilen Felswänden. Das sei sehr malerisch, sagt er.

Die Klosteranlage besitzt einen mit großen Bäumen bestandenen Innenhof, in dem Tische und Stühle aufgestellt sind. Viele Besucher haben dort Platz genommen, essen und trinken und genießen bei dem herrlichem Wetter den Blick auf das bunte Treiben ringsum. Man schaut auf die Leute, erfreut sich an den alten Bäumen, in deren Ästen Vögel sich munter tummeln, wenn sie nicht gerade dabei sind, unter den Tischen und Stühlen nach Kuchenstückchen zu suchen. Man erfreut sich an der Architektur, die den Rahmen für das ungezwungene Geschehen bildet und die wesentlich zu der angenehmen Atmosphäre beiträgt.

PVC unterläßt es selbstverständlich nicht, uns Unwissende über bestimmte Eigenschaften der Gebäude aufzuklären.

Es ist nicht so, dass ich die Unterweisungen nicht mag, aber im Moment interessiere ich mich mehr für die Person, die drei Tische weiter im Schatten der riesigen, alten Linde sitzt und uns beobachtet.

„... Gebrüder Asam ...“, höre ich PVC sagen, als die Person aufsteht und den Innenhof verläßt.

Wo-Tan, 3. September

Am Abend liege ich auf meiner Matte. Draußen ist es bereits dunkel, als es an der Tür klopft. PVC steht vom Schreibtisch auf und öffnet langsam, gedankenversunken die Tür. Ich erschrecke. Vor der Tür steht der Spion. Ich knurre, um PVC zu warnen, aber wie so oft werde ich nicht verstanden. „Treten Sie doch bitte näher“, höre ich PVC sagen und er öffnet weit die Tür.