Die Wüstenpflanze - Thomas Sailer - E-Book

Die Wüstenpflanze E-Book

Thomas Sailer

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Beschreibung

Akira Takeishi findet einen Weg, große Wüstengebiete wieder fruchtbar zu machen und den Klimawandel dadurch aufzuhalten. Doch seine Vision hat nicht nur Befürworter: Kaum hat er seine Erfindung öffentlich vorgestellt, entgeht er einem Anschlag nur knapp. Bald muss der junge Wissenschaftler sein unbeschwertes Leben aufgeben und Tokio verlassen, auf der Flucht vor einem mächtigen, unbekannten Gegner …

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EPUB
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Seitenzahl: 400

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Thomas Sailer

Die Wüstenpflanze

© 2022 Thomas Sailer

Umschlaggestaltung & Illustration: Alxedo (alxedo.de)

ISBN Softcover: 978-3-347-78109-2

ISBN Hardcover: 978-3-347-78110-8

ISBN E-Book: 978-3-347-78111-5

Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhaltsverzeichnis

1. Eine sensationelle Erfindung

2. Die Dokumentation

3. Das nächtliche Rennen

4. Das Versteck in Kagawa

5. Ungeahnte Schwierigkeiten

6. Das Idol aus Amerika

7. Besuch in Marokko

8. Die Intrige der OEAG

9. Ein Kampf auf Leben und Tod

Epilog

Vorwort

Dieses Buch ist eine Hommage an die prägenden Eindrücke, die ich in meiner Kindheit und Jugend durch Anime und weitere Unterhaltungsmedien aus Japan erfahren habe. Mit dieser Light Novel-Ausgabe möchte ich diesen Bezug offen zum Ausdruck bringen.

Die Idee zu dem Werk entstand, nachdem ich Anfang 2011 Berichte über (aus meiner Sicht) haarsträubende Ideen gelesen hatte, CO2 mit Plastikfolien aus der Luft zu filtern oder mittels gigantischer Maschinen die Atmosphäre mit zerstäubtem Meerwasser zu vernebeln.

Tatsache ist, dass die Menschheit definitiv lernen muss, respektvoller mit ihrem Lebensraum umzugehen und, dass rasches Handeln notwendig ist. Allerdings halte ich es für falsch, nur Symptome zu bekämpfen, wie z.B. weniger Sonnenlicht durch die Atmosphäre zu lassen, oder einseitige Lösungswege zu fokussieren, z.B. CO2 als einziges Feindbild zu betrachten, und das auch nur in einigen Ländern.

Wenn der Planet als Lebensraum erhalten bleiben soll, dann braucht es dazu globale Konzepte zur Stabilisierung des Weltklimas und überhaupt zum Schutz der Natur: Dann nützt es nichts, in einigen Industrieländern sehr aufwändige, einschränkende und doch halbherzige Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz einzuführen … was es braucht, ist ein globales Umweltbewusstsein: Eine effiziente Müllverwertung; ein echter Wertstoffkreislauf und damit eine drastische Reduktion von Bergbau, Mülldeponien und Plastikeintrag in die Ozeane; ein Aus für die maßlose Bodenversiegelung – ein Bewusstsein dafür, dass die Menschheit auf einer begrenzten Landfläche nicht grenzenlos wachsen kann.

Die Umwelt braucht keine halbherzigen Lösungen oder PR-Maßnahmen – stattdessen müssen wir der Natur den erforderlichen Raum lassen und sie dort unterstützen, wo sie mittlerweile schon Unterstützung benötigt.

Möge dieses Buch einen Beitrag leisten, die Bemühungen um Umweltschutz in eine produktive und sinnvolle Richtung zu lenken.

Japanische Anreden

-chan

Japanische Verniedlichungsform

-kun

Anrede für männliche Schüler oder junge Mitarbeiter;im Zusammenhang mit einem Vornamen die gängige Anrede für Freunde

-sama

Sehr höfliche Anrede

-san

Höfliche Anrede

Sensei

Anrede für Lehrer, im Buch meist mit der Bedeutung »Professor

1. Eine sensationelle Erfindung

Heute ist der Tag – ich bin mir absolut sicher! Akiras Nerven waren angespannt wie Drahtseile.

Seit meiner Studentenzeit arbeite ich auf diesen Moment hin. Ich habe viel ausprobiert, viele Erkenntnisse gewonnen und mein Konzept wieder und wieder überdacht. Jetzt endlich passt alles zusammen!

In diesem Augenblick war sich Akira seiner Sache absolut sicher: Heute würde er, ein junger Laborassistent an der Universität Tokio, Geschichte schreiben.

Dieses Mal funktioniert es … es muss einfach funktionieren! Mit diesem Gedanken war Akira bereit sein Experiment zu starten: Er griff zu einem dunkelbraunen Fläschchen, in dem er eine durchsichtige, wässrige Flüssigkeit aufbewahrte. Mit einer Pipette entnahm er ein paar Tropfen und träufelte sie in ein Reagenzglas mit abgekochtem Wasser. Das Probierglas arretierte er an einem Stativ und verschloss es mit einem Gummikorken, durch den ein dünner Kupferdraht verlief. Diesen verband er mit einem selbst gebastelten Apparat, der wiederum an einen Computer angeschlossen war.

Gleich kann es losgehen, dachte Akira, als es plötzlich an der Tür klopfte. Ein älterer Mann im Laborkittel trat ein – der Dekan persönlich.

»Guten Tag, Takeishi-kun«, sagte er gut gelaunt. »Würden Sie mir im Prüfungslaboratorium behilflich sein?«

»Guten Tag, Sensei«, antwortete Akira respektvoll. »Selbstverständlich – ich stehe zu Ihrer Verfügung.«

Mit einem Mausklick startete er rasch den Versuchsablauf, dann folgte er dem Professor.

Yamato Oshinaki, der Dekan der Fakultät für Naturwissenschaften, schätzte Akira und förderte seinen Hang zur eigenständigen Forschung. Er selbst hatte ihm nach seinem Abschluss eine Stelle an der Universität angeboten, die es ihm ermöglichte mit relativ freier Hand an seinem Forschungsprojekt zu arbeiten. Auch hatte der Dekan immer wieder dafür gesorgt, dass Akira die nötigen Mittel für seine Arbeit bekam.

»Morgen finden die praktischen Zwischenprüfungen der Abschlussjahrgänge statt. Wie Sie wissen, Takeishi-kun, vergewissere ich mich gerne persönlich von einem tadellosen Zustand der Prüfungsutensilien«, erklärte der Dekan, während er und Akira durch einen langen Korridor gingen.

»Es ehrt mich, dass ich Ihnen dabei zur Hand gehen darf, Sensei.«

Zwar war es Akira in der Tat eine Ehre, dem Dekan assistieren zu dürfen, doch einstweilen war er nicht recht bei der Sache: Insgeheim hatte er bloß sein Experiment im Kopf.

Ich hoffe so sehr, dass ich heute endlich Resultate sehen werde! Mit diesem erwartungsvollen Gedanken betrat Akira gemeinsam mit dem Dekan das Prüfungslaboratorium.

An diesem Nachmittag war Akira vollends auf sein Forschungsprojekt fokussiert – er war kaum dazu in der Lage, sich auf seine momentane Aufgabe zu konzentrieren.

»Sie wirken heute etwas abwesend, Takeishi-kun. Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Dekan, während er in aller Ruhe die aufgebauten Prüfutensilien begutachtete.

»Ich bitte um Verzeihung, Sensei«, antwortete Akira zurückhaltend; er zögerte einen Moment, dann fügte er aufgeregt hinzu: »Wissen Sie, ich erwarte heute erste entscheidende Ergebnisse bei meinem Forschungsprojekt. Ich kann gerade einfach an nichts anderes denken!«

»Ist das wahr?« Der Dekan lächelte verständnisvoll. »In diesem Fall erlaube ich Ihnen zu gehen und sich weiter Ihren Experimenten zu widmen.«

»Wirklich?« Akira sah Yamato Oshinaki dankbar an. »Haben Sie vielen Dank, Sensei!«

Er verneigte sich und verließ den Saal.

Unterdessen setzte der Dekan seine Arbeit fort; er war in der Tat gespannt auf die Ergebnisse des jungen Laborassistenten.

Takeishi-kun besitzt großes Talent, daran besteht gar kein Zweifel; schon während seiner Studienzeit hat er selbst die Besten unter seinen Kommilitonen durch sein fachliches Verständnis mühelos übertroffen … und sein Forschergeist ist äußerst beeindruckend, ging Yamato Oshinaki durch den Kopf.

Allerdings ist seine Zielsetzung alles andere als bescheiden. Er besitzt wohl beachtliches Wissen und Sachverständnis, jedoch hatte er bisher kaum die Gelegenheit, praktische Erfahrung zu sammeln … vor allem aber fehlen ihm geeignete Mittel.

Der Dekan schüttelte den Kopf.

Ich hege keinen Zweifel daran, dass Takeishi-kuns Forschung sehr wertvoll für unsere Universität ist … doch sein Vorhaben ist viel zu diffizil für einen Einzelnen – es wäre schon mehr als eine Sensation, wenn es ihm tatsächlich gelingen sollte.

Währenddessen eilte Akira zurück in sein Labor. Vor Aufregung konnte er nicht anders als zu laufen – erst vor seinem Labor hielt er einen Moment lang inne.

Was, wenn es nicht funktioniert hat?

Bei dieser Vorstellung wagte er es kaum, die Tür zu seinem Labor zu öffnen. Akira war bewusst, dass ihm der Dekan bestimmt nicht endlos lange Mittel zur Verfügung stellen konnte. Außerdem brannte er darauf nach all der Arbeit, die er in den vergangenen Jahren investiert hatte, endlich zu sehen, dass seine Vision Wirklichkeit würde. Sein Herz raste, als er seine Hand langsam auf den Türgriff zubewegte; plötzliche Versagensangst schnürte ihm die Kehle zu.

Akira atmete tief durch, fasste Mut und öffnete die Tür zu seinem Labor. Sofort fiel sein Blick auf das Reagenzglas, dessen Inhalt vollkommen unverändert schien.

Gleich weiß ich mehr, dachte Akira und bewegte die Maus seines Computers, damit sich der Bildschirm erneut einschalten würde.

Okay … das Programm funktioniert jedenfalls tadellos.

Nun zog Akira Laborhandschuhe an, setzte eine Schutzbrille auf und nahm mit größter Vorsicht den Gummikorken mitsamt dem Kupferdraht aus dem Reagenzglas.

Jetzt kommt der Moment der Wahrheit!

Mit einer Pipette entnahm er etwas von der Flüssigkeit aus dem Reagenzglas und brachte einen Tropfen auf den Objektträger eines Mikroskops auf.

Oh bitte! Angespannt hielt Akira den Atem an und sah voller Hoffnung durch das Mikroskop.

»Das sieht aus wie … ja. JA! DAS IST ES. ES HAT FUNKTIONIERT. ICH HABE ES WIRKLICH GESCHAFFT!«, rief Akira freudetrunken aus. Er hatte gefunden worauf er gehofft hatte: Das Wasser war mit einem simplen Einzeller kontaminiert.

Sogleich verschloss er das Reagenzglas mit einem Gummikorken und eilte damit aus seinem Labor.

»Sensei! Sensei!«, rief Akira, als er in den Saal stürmte, in dem der Dekan nach wie vor mit den Vorbereitungen für die Zwischenprüfung beschäftigt war.

»Ah! Ich sehe Sie haben mir etwas Interessantes zu berichten«, sagte Yamato Oshinaki und wandte sich damit Akira zu.

»Mein Experiment hat funktioniert!«, erklärte Akira voller Übermut. »Ich habe es geschafft!«

Der Dekan sah sein Gegenüber nachdenklich an.

»Verstehe ich Sie richtig, Takeishi-kun? Sie erklären mir soeben, dass Sie mit Ihrer ausgesprochen ambitionierten Forschungsarbeit bereits zu einem Schluss gekommen sind?« Mit diesen Worten hob er etwas ungläubig seine Augenbrauen.

»Ganz genau, Sensei«, sagte Akira und präsentierte mit Stolz das Reagenzglas. »Den Beweis dafür halte ich in meinen Händen!«

Mit großer Aufmerksamkeit betrachtete der Dekan die Eprouvette.

»Nun gut. Bitte erläutern Sie, was Sie mir hier mitgebracht haben.«

»In diesem Reagenzglas befindet sich eine einzellige Lebensform. Ein simpler Mikroorganismus, den ich einzig dazu hergestellt habe, um die Versuchsanordnung zu testen.«

»Äußerst interessant«, bemerkte der Dekan. »Ihre Worte verheißen Spektakuläres … aber haben Sie auch vollkommene Gewissheit darüber, dass Sie keinem Irrtum anheimgefallen sind? Die Kontamination der Flüssigkeit mit diesem Einzeller kann nicht etwa auf anderem Wege erfolgt sein?«

»Ich habe selbstverständlich nach höchsten Labor-Standards gearbeitet«, versicherte Akira.

»Also gut, Takeishi-kun. Ich werde mir morgen gerne die Zeit nehmen, Ihre Ergebnisse persönlich zu begutachten.«

»Haben Sie vielen Dank, Sensei«, sagte Akira, verneigte sich respektvoll und ging auf die Tür zu. Als er im Begriff war den Saal zu verlassen, rief der Dekan ihm hinterher: »Bitte warten Sie noch einen Moment!«

Akira verharrte an Ort und Stelle. »Ja, Sensei?«

»Bestimmt ist es ohnehin nicht notwendig, Sie darauf hinzuweisen … jedoch ersuche ich Sie dennoch, sämtliche Ihrer Arbeitsutensilien mit besonderer Vorsicht zu handhaben. Sollte diese Eprouvette tatsächlich einen unbekannten Mikroorganismus beinhalten, darf dieser unter keinen Umständen in die Umwelt gelangen. Womöglich könnte er unvorstellbare Schäden anrichten.«

»Ich werde die Proben strikt unter Verschluss halten«, versprach Akira und verließ damit den Saal.

Zurück in seinem Labor verschloss Akira das Reagenzglas und verstaute es in einem speziellen Behälter, der für die Aufbewahrung von hoch gefährlichen Bakterienstämmen gedacht war. Er wollte die nachdrückliche Anweisung des Dekans unbedingt einhalten, obwohl er wusste, dass der Einzeller vollkommen harmlos war – dafür hatte er bereits bei der Herstellung gesorgt.

Das ist der Anfang von etwas wirklich Großem – da bin ich mir sicher! Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen sah Akira aus dem Fenster. Ein langer Arbeitstag lag hinter ihm und die Sonne über Tokio begann sich bereits zu senken.

Ich kann es kaum abwarten Amy davon zu erzählen, wenn wir uns heute zum Abendessen treffen! Überhaupt freue ich mich schon sehr darauf, sie zu sehen.

Mit diesem Gedanken hängte Akira seinen Laborkittel an einen Haken an der Wand und verließ seine Kammer. Er schloss die Tür ab und ging zum Treppenhaus; beschwingt lief er die Stufen hinunter, bis in die Tiefgarage. Zügig ging er an all den geparkten Fahrzeugen vorbei, bis er bei seinem Auto, einem offenkundig modifizierten Nissan Skyline, ankam.

Akira setzte sich hinter das Steuer und drehte den Zündschlüssel um: Der Motor seines Sportwagens erwachte mit vernehmlichem Fauchen. Gekonnt reversierte Akira aus dem engen Parkplatz und fuhr aus der Parkgarage. Kaum hatte er das Universitätsgelände jedoch verlassen, fand er sich auch schon im stockenden Berufsverkehr Tokios wieder.

In drei Stunden bin ich mit Amy verabredet. Wenn der Verkehr heute nicht schlimmer ist als sonst, geht sich alles gut aus.

Nun fuhr Akira von Bunkyo aus, wo das Universitätsgebäude lag, erst zu seiner Wohnung in Kawaguchi – einer Stadt im Ballungsraum Tokio. Etwas ungeduldig, doch ansonsten guter Dinge, steuerte er seinen Wagen durch den dichten Verkehr, der sich einstweilen ebenso wenig zu lichten schien wie der Smog über der Großstadt.

Schließlich kam er bei seiner Wohnung an, wo er gleich anfing sich für seine Verabredung herzurichten: Es verging knapp eine Stunde, bis er geduscht, sich umgezogen und seine Frisur in Form gebracht hatte. Nach einem zufriedenen Blick in den Spiegel zog er noch eine elegante, schwarze Lederjacke über und machte sich schließlich auf den Weg, um seine Freundin zu treffen.

Amy war Fernsehmoderatorin bei Fuji TV. An diesem Tag musste sie sehr lange arbeiten, also hatte sie sich für halb zehn mit Akira verabredet. Um diese Zeit sollte er sie in Odaiba, bei dem Gebäude des Fernsehsenders, abholen.

Unterwegs im dichten Abendverkehr auf einer Stadtautobahn Tokios dachte Akira zurück an sein erstes Zusammentreffen mit Amy: Es war im vergangenen Herbst, bei einem Abendessen mit seinem Freund Keisuke und dessen Ex-Freundin. Anfangs war Akira sich vorgekommen wie das fünfte Rad am Wagen – bis Amy dazukam. Zwischen ihm und der Cousine von Keisukes Verflossener hatte von Anfang an die Chemie gestimmt.

Seither versuchten sie, einander so oft wie möglich zu treffen – was wegen ihrer Berufe und unterschiedlichen Wohnorte allerdings nicht immer einfach war.

Gleich bin ich da! Von der Autobahn im Stadtbezirk Minato aus konnte Akira bereits das Gebäude des Fernsehsenders auf der anderen Seite des Tokioter Hafens sehen. Kurz darauf gelangte er über die Rainbow Bridge nach Odaiba.

Nun kurvte Akira durch das belebte Unterhaltungsviertel. Als er sich dem Gebäude des Fernsehsenders näherte, achtete er besonders auf den Gehweg neben der Straße – irgendwo dort würde Amy bereits auf ihn warten.

Schließlich sah er sie in der Nähe des Haupteingangs. Just in diesem Moment bemerkte Amy seinen Wagen und winkte Akira freudig zu. Er hielt an und ließ seine Freundin einsteigen.

»Amy-chan! Ich freue mich sehr dich zu sehen.«

»Hey! Schön, dass du da bist«, sagte Amy und gab ihrem Freund einen Kuss.

»Tut mir leid, ich bin etwas spät dran«, entschuldigte sich Akira.

»Ach was – das macht doch nichts.« Amy lächelte. Akira erwiderte ein Lächeln und fuhr los.

»Wie war dein Tag?«

»Ziemlich interessant eigentlich«, antwortete Amy. »Wir drehen momentan eine Dokumentation über den Klimawandel. Ich habe Interviews mit ein paar Wissenschaftlern geführt.«

»Echt wahr? Das klingt wirklich spannend.«

»Ja … ich meine, natürlich war das alles auch anstrengend. Zum Glück fange ich morgen erst am Nachmittag an und kann ausschlafen – wie war dein Tag?«

»Außergewöhnlich.« Akira schmunzelte. »Genaueres erzähle ich dir beim Essen – wir sind sowieso gleich da.«

»Na, jetzt bin ich aber echt gespannt!« Amy sah Akira neugierig an. »Verrätst du mir, wo wir heute essen werden?«

»Oh nein, meine Liebe. Das ist eine Überraschung«, sagte Akira neckisch. »Ich bin mir aber sicher, dass es dir gefallen wird.«

Nur wenig später parkte Akira seinen Wagen im benachbarten Stadtbezirk Kōtō.

»Das nenne ich Glück! Wir haben einen Parkplatz fast vor der Haustür.«

»Hey, das ist doch …«, rief Amy aufgeregt und überrascht zugleich.

»Ja, ganz genau! Hier, in diesem Lokal haben wir uns kennengelernt.«

»Das war eine wirklich schöne Idee«, sagte Amy mit einem Lächeln. »Und eine gute Wahl … ich habe richtig Appetit auf etwas Exotisches.«

Damit stiegen die beiden aus dem Wagen. Hand in Hand betraten sie das Lokal – ein Restaurant, das vorwiegend Spezialitäten aus Europa anbot. Statt Reis oder Fisch wurden hier eine Auswahl an Broten, Würsten und anderen Gerichten aus der europäischen Küche serviert.

»Mir gefällt das extravagante Ambiente hier«, schwärmte Amy, als sie sich an einen Tisch gesetzt hatten. »Es vereint stilistische Elemente aus einigen Ländern Mittel- und Südeuropas.«

»Oh ja … für Touristen aus Europa ist das hier bestimmt ein arger Stilbruch.« Akira begann zu lachen. »Für uns sieht es originell aus.«

»Das stimmt«, sagte Amy und griff zu einer Speisekarte. »Mal sehen was ich mir bestellen werde … ich komme um vor Hunger.«

Akira lächelte. »Mir geht es genauso.«

Als beide ihre Wahl getroffen hatten und auf den Kellner warteten, kam Amy wieder in den Sinn, dass Akira unterwegs ein Geheimnis um seinen Tagesablauf gemacht hatte.

»Da fällt mir ein … du hast mich vorhin im Auto echt neugierig gemacht! Was war denn heute so außergewöhnlich?«

In Akiras Augen begann die Begeisterung zu lodern. »Es geht um mein Forschungsprojekt an der Uni … heute habe ich mit einem Experiment bewiesen, dass meine Versuchsanordnung funktioniert.«

»Oh mein Gott!«, rief Amy aus und schlug begeistert die Hände vor ihrem Mund zusammen.

»Morgen werde ich den Versuch im Beisein des Dekans wiederholen«, fuhr Akira fort. »Er wird sich höchstpersönlich die Zeit nehmen, meine Ergebnisse zu begutachten.«

»Das ist echt großartig! Hast du auch schon eine Idee, wie du deine Technologie einsetzen wirst?«

Mit diesen Worten hatte sie Akira unbeabsichtigt einen leichten Dämpfer verpasst.

»Weißt du … ich denke, dass diese Entscheidung nicht bei mir liegen wird.«

»Ach so?« Amy zog eine fast bestürzte Miene. »Aber warum denn nicht?«

»Über den Einsatz einer Technologie entscheidet meistens ihre Wirtschaftlichkeit«, erklärte Akira. »Wofür meine Erfindung letztendlich eingesetzt wird, wird sich daraus ergeben, wo irgendein Konzern das große Geld wittert. Ich hoffe aber, dass sie sinnvoll genutzt wird … zum Beispiel in der Medizin. In dem Bereich gibt es unzählige Möglichkeiten; Dinge, die bis vor Kurzem noch undenkbar waren und jetzt plötzlich in den Bereich des Möglichen rücken … wir werden sehen, was die Zukunft bringt.«

Bevor Amy weitere Fragen stellen konnte, trat ein Kellner an den Tisch; er war europäischer Abstammung und trug eine fremdländische Tracht.

»Guten Abend! Was darf ich Ihnen bringen?«

»Einen Zwiebelrostbraten, bitte«, orderte Amy.

»Für mich das Gleiche, bitte.«

Der Kellner nickte, notierte die Bestellung und ging weiter.

»Ich hoffe das Essen kommt bald«, sagte Amy. »Heute war den ganzen Tag lang so viel zu tun, dass ich nie wirklich Zeit zum Essen gehabt habe.«

»War dein Tag so schlimm?«

»Nein, nicht schlimm … aber sehr anstrengend. Für die Produktion muss ich wie gesagt einige Interviews führen. Auch, wenn das alles sehr interessant ist und ich froh bin, dass ich es machen darf – es strapaziert schon, den ganzen Tag lang mit Wissenschaftlern zu sprechen.«

»Ja … brutal ist das, so ein Gespräch mit einem Wissenschaftler.« Akira schmunzelte.

»Ach komm – du weißt doch wie das gemeint war.« Amy fing zu lachen an. »Dass ich die meisten Interviews auf Englisch führen musste, hat mir ja nichts ausgemacht … aber diese Leute verwenden andauernd Fachbegriffe, die ich nicht kenne. Das wird nach einer Zeit schon anstrengend.«

Akira zwinkerte seiner Freundin zu. »Keine Sorge, ich weiß schon, wie du das gemeint hast.«

Kurze Zeit später servierte der Kellner die bestellten Speisen. Kaum hatten die beiden zu essen angefangen, klingelte Akiras Mobiltelefon. Nach kurzem Zögern nahm er den Anruf entgegen.

»Hey Akira-kun«, schallte eine Stimme aus dem Gerät. »Heute Nacht steigt wieder ein Rennen! Bist du dabei?«

»Das klingt super, Hiroshi-kun«, antwortete Akira. »Heute habe ich aber keine Zeit. Ich bin mit meiner Freundin unterwegs.«

»Komm schon! Heute Nacht wird auf der Autobahn die Post abgehen. Das willst du dir doch nicht wirklich entgehen lassen?«

»Tut mir leid, heute geht es nicht. Nächstes Mal bin ich aber gerne wieder dabei.«

»Wie du meinst. Ich gebe dir Bescheid, wenn wieder etwas los ist.«

»Danke. Wir sehen uns«, sagte Akira und legte auf.

»Ist heute wieder ein Rennen?«, erkundigte sich Amy leise, sodass niemand außer ihrem Freund sie verstehen würde. Akira nickte bestätigend.

»Ich weiß wie gerne du da mitfährst«, sagte Amy. »Ich will dich wirklich nicht daran hindern. Wenn wir bald gehen, kannst du vielleicht noch …«

»Ach komm«, unterbrach Akira seine Freundin. »Dieser Abend gemeinsam mit dir ist mir echt wichtiger als ein Rennen.«

»Das ist lieb von dir«, erwiderte Amy gerührt.

Einen Moment lang sahen sich die beiden schweigend an.

»Amy … da fällt mir ein … ich möchte dich etwas fragen.« Akira klang mit einem Mal unsicher und schien nervös.

»Ja?« Amy sah ihren Freund verwundert an.

»Wir sind jetzt ein paar Monate zusammen … aber wir sind beide sehr beschäftigt und schaffen es leider nicht immer Zeit füreinander zu finden.«

»Das ist wahr.« Amy seufzte.

»Jetzt habe ich mir gedacht … also … so kann es ja nicht weitergehen.«

Amy fühlte plötzliche Anspannung. »Akira – was möchtest du mir damit sagen?«

»Na ja … ich habe mir überlegt, dass wir uns vielleicht gemeinsam eine Wohnung nehmen sollten – natürlich nur, wenn du das auch willst.«

»Du! Du hast mir einen Schrecken eingejagt! Ich habe gerade gedacht, du willst mit mir Schluss machen«, rief Amy aufgekratzt und erleichtert zugleich. »Aber ja … deine Idee finde ich sehr schön. Ich würde gerne mit dir zusammenziehen.«

»Wirklich? Das ist ja wunderbar!« Akira strahlte vor Freude. »Weißt du, das wollte ich dich schon seit einiger Zeit fragen – jetzt bin ich froh, dass ich es endlich getan habe.«

Nachdem die beiden gegessen hatten, spazierten sie weiter zu einer nahe gelegenen Cocktailbar. Als sie das Lokal wieder verließen und zu Akiras Auto zurückgingen, war es bereits nach Mitternacht.

»Das war ein wirklich schöner Abend«, sagte Amy lächelnd und gab Akira einen Kuss. »Dann werde ich mich mal auf den Heimweg machen.«

»Selbstverständlich fahre ich dich nach Hause«, sagte Akira.

»Danke, das ist lieb … es ist aber schon spät und du musst doch auch ins Bett.«

»Na komm – denkst du, ich will, dass du mitten in der Nacht mit dem öffentlichen Verkehr nach Hause fahren musst?« Mit diesen Worten öffnete Akira die Beifahrertür und half seiner Freundin beim Einsteigen. Dann fuhr er los – mit Kurs auf den Stadtteil Nerima, wo Amy wohnte.

Bei Amys Wohnblock angekommen begleitete er sie noch bis zur Wohnungstür; dann begab er sich selbst auf den Heimweg. Gut gelaunt, jedoch auch müde, steuerte er seinen Sportwagen zurück nach Kawaguchi.

In ein paar Stunden werde ich dem Dekan höchstpersönlich meinen Versuchsablauf präsentieren – da muss ich ausgeschlafen sein! Mit diesem Gedanken gab Akira Gas und brauste im Eiltempo über die zu dieser Stunde beinahe leeren Straßen Tokios.

Als Akira am nächsten Morgen bei der Universität angekommen war und zu seinem Labor ging, wartete der Dekan bereits vor der Tür.

»Guten Morgen, Sensei! Ich hoffe, ich habe Sie nicht lange warten lassen?« Akira war peinlich berührt, da der Dekan seinetwegen hatte warten müssen.

»Guten Morgen, Takeishi-kun. Bitte machen Sie sich keine Gedanken. Ich war etwas früher hier – Sie sind absolut pünktlich.«

Yamato Oshinaki war, wie üblich, gut gelaunt und die Ruhe selbst. Akira nickte und schloss die Tür zu seinem Kämmerchen auf.

»Ehrenwerter Sensei, darf ich Ihnen einen Stuhl anbieten?«, fragte Akira, sobald der Dekan den Raum betreten hatte.

»Vielen Dank«, erwiderte der betagte Professor. »Das ist sehr aufmerksam, aber keineswegs erforderlich – ich bleibe gerne stehen.«

Akira nickte abermals, zog seinen Laborkittel über und startete den Computer.

Einige Minuten vergingen, bis das datenintensive Programm einsatzbereit war. Dann schließlich konnte Akira seine Präsentation beginnen.

»Wie Sie sehen, Sensei, habe ich eine Liste von Eigenschaften zusammengestellt, die der Einzeller, den wir heute generieren werden, besitzen soll.«

Der Dekan warf einen interessierten Blick auf den Monitor: Dort sah er eine – ihrer Länge wegen nicht vollständig überblickbare – Liste, in der sämtliche Eigenschaften dieses vermeintlich einfachen Organismus definiert waren.

»Das ist durchaus beachtlich«, murmelte Yamato Oshinaki. »Ein derartiges Programm habe ich noch nirgendwo sonst gesehen.«

Mit Faszination begutachtete er die Software, die sein Schützling entwickelt hatte.

»Es ist Ihnen offenbar gelungen, ein Computerprogramm zu entwickeln, das es ermöglicht definierte Eigenschaften direkt in Erbgutsequenzen zu codieren.«

»Das ist es, Sensei«, sagte Akira. »Und nicht nur das: Ich habe außerdem einen Weg gefunden, die theoretische DNA auch physisch zu erzeugen.«

Der Dekan sah Akira ungläubig an. »Ich erinnere mich. Davon haben Sie mehrmals gesprochen – wenngleich es mir ob der immensen Komplexität Ihres Unterfangens ganz offen gestanden nicht leichtgefallen ist, ernsthaft an Ihren Erfolg zu glauben.«

»Heute werde ich beweisen, dass ich es geschafft habe.« Akira vermittelte pure Selbstsicherheit. Damit nahm er das Fläschchen mit der durchsichtigen, wässrigen Flüssigkeit zur Hand. »In dieser Flasche bewahre ich – in gelöster Form – ein selbstentwickeltes Riesenmolekül auf: Modifizierbare DNA, wie ich es nenne. Es dient als biochemische Schnittstelle für die Informationen, die das Programm liefert. Damit werde ich jetzt noch einmal eine Kultur des Einzellers herstellen, den ich zu Testzwecken definiert habe. Ein Einzeller, der im Übrigen vollkommen harmlos ist.«

»Was gibt Ihnen die Sicherheit zu behaupten, dass diese Einzeller keinerlei Schaden anrichten können?« Der Dekan warf Akira einen skeptischen Blick zu.

»Ich habe ganz einfach darauf verzichtet ihnen die Fähigkeit zur Mitose1 zu geben«, antwortete Akira gelassen.

»Ah – das erklärt einiges. Ich gebe zu, dass ich gestern etwas an Ihrem Urteilsvermögen gezweifelt habe, als Sie mit der gläsernen Eprouvette in der Hand freudetrunken durch das Gebäude gelaufen sind. Nun verstehe ich allerdings. Sie handeln mit weiser Voraussicht, Takeishi-kun.«

»Es wäre von vornherein nicht zu verantworten nur zu Testzwecken einen potentiellen Krankheitserreger herzustellen«, erwiderte Akira. »Jedenfalls können diese Einzeller ohne die Fähigkeit zur Vermehrung keinen Schaden anrichten. Selbst wenn sie in den Blutkreislauf eines Menschen gelangen sollten, wären sie nach wenigen Stunden abgetötet und ausgeschieden.«

»In der Tat – das ist vollkommen richtig«, bemerkte der Dekan mit einem zustimmenden Nicken.

Wie schon am Vortag befüllte Akira ein Reagenzglas mit Leitungswasser, sterilisierte es durch Abkochen und war nach dem Abkühlen bereits im Begriff die modifizierbare DNA einzutropfen, da äußerte der Dekan: »Bitte warten Sie einen Moment!«

»Selbstverständlich, Sensei«, entgegnete Akira und trat sofort von der Versuchsanordnung zurück.

»Besteht die Möglichkeit, dass der Inhalt dieses Fläschchens mit Mikroorganismen kontaminiert ist?«

»Die gelöste, modifizierbare DNA ist im Beisein von Tanaka-Sensei mit größtem Bedacht auf Hygiene im Universitätslabor hergestellt worden. Seither habe ich das Fläschchen nur einmal geöffnet, um die Versuchsanordnung zu überprüfen. Natürlich ist es im Anschluss auch möglich, den Inhalt auf eine mögliche Kontamination zu überprüfen.«

»Gut. Bitte fahren Sie fort.«

Akira nickte wortlos, gab ein paar Tropfen der modifizierbaren DNA in das Reagenzglas und befestigte es an einem Stativ. Dann verschloss er die Eprouvette und startete das Programm.

»Ihre Versuchsanordnung ist durchaus bemerkenswert«, lobte Yamato Oshinaki. Die Begeisterung stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Wie viel Zeit wird es in Anspruch nehmen, bis feststellbar sein wird, ob tatsächlich Mikroorganismen in dem Reagenzglas entstanden sind?«

»Bis sich die Einzeller gebildet haben, wird es ein paar Stunden dauern.«

»In Ordnung. Dann überlassen wir die Versuchsanordnung nun sich selbst. Ich werde ohnehin bald bei den Prüfungen erwartet.«

Damit schritt Yamato Oshinaki aus dem Kämmerchen; Akira folgte ihm.

»Schließen Sie bitte die Tür ab. Außerdem muss ich Sie bitten mir den Schlüssel auszuhändigen.«

»Ja – natürlich, Sensei«, sagte Akira und tat, was der Dekan angeordnet hatte.

»Denken Sie bitte nicht, dass ich Ihnen misstraue«, erklärte der Professor. »Allerdings kann ich gegebenenfalls den Erfolg Ihres Experiments nur bestätigen, wenn ich absolute Gewissheit habe, dass diesen Raum in der Zwischenzeit niemand betreten hat.«

»Das verstehe ich gut, Sensei.«

Tatsächlich hatte Akira volles Verständnis für den Dekan: Yamato Oshinaki genoss seit Jahrzehnten einen hervorragenden Ruf als Universitätsprofessor sowie auch weit über die Landesgrenzen hinausreichendes Ansehen als Wissenschaftler. Würde er mit einem vermeintlich großartigen Ergebnis an die Öffentlichkeit gehen, ohne mit Sorgfalt zu prüfen, ob ein Fehler oder gar Betrug dahintersteckte, könnte sein Ruf einen gravierenden Schaden nehmen.

»Bevor ich mich gleich zu den Prüfungen begebe, habe ich noch ein Anliegen an Sie.«

»Ja, Sensei?«

»Nakamura-Sensei ist diese Woche auf einer Konferenz in Sapporo«, erklärte der Dekan. »Nun möchte ich Sie darum bitten, seine heutigen Vorlesungen zu halten.«

»Sie wissen, es ist mir immer eine Ehre, wenn ich unterrichten darf.«

»Exzellent. Dann kommen Sie bitte kurz mit mir.«

Damit begleitete Akira den Dekan zu seinem Büro, wo er von ihm die Unterlagen für den Unterricht überreicht bekam.

»Sie werden heute drei Vorlesungen halten: Die erste davon beginnt in einer Stunde. Wie so oft ist es sehr kurzfristig, dass ich Sie bitte einen der Senseis zu vertreten. Allerdings handelt es sich um Fachgebiete, mit denen Sie bestens vertraut sind und darüber hinaus haben Sie Vertretungen bisher stets bravourös gemeistert.«

»Ich bin davon überzeugt, dass ich die Vorlesungen auch heute problemlos hinbekommen werde.« Tatsächlich blickte Akira vollkommen gelassen auf die bevorstehende Aufgabe.

»Sehr schön. Ihre dritte Vorlesung endet um 16:30 Uhr. Bitte kommen Sie anschließend zu Ihrem Labor – ich werde dort auf Sie warten. Nun muss ich allerdings weiter – die Prüfungen beginnen in Kürze.«

Mit diesen Worten ging Yamato Oshinaki zügig davon. Akira stand mit drei Mappen in der Hand auf dem Gang: Jede von ihnen enthielt ein Skriptum, die Angabe über den durchzunehmenden Abschnitt desselben und einen Raumplan. Entspannt ging er zu einem Aufenthaltsbereich auf dem Korridor, setzte sich an einen der Tische und öffnete die erste Mappe.

Das sind Unterlagen zu einer Vorlesung aus Biochemie. Akira schmunzelte – es ging um sein berufliches Spezialgebiet. Dazu muss ich mir nur ansehen über welches Themengebiet ich sprechen soll – mehr Vorbereitung brauche ich dafür wirklich nicht.

Nun sah er sich auch die Unterlagen zu den anderen beiden Vorlesungen an. Wie er es erwartet hatte, fand er auch darin nur Themen, die für ihn bestenfalls einfache Grundlagen darstellten. Nachdem er festgestellt hatte, dass er sich auf keinen der Vorträge vorbereiten musste, entschied Akira die Wartezeit für einen Spaziergang am Campus zu nutzen.

So machte er sich auf und verließ das Gebäude; unbeschwert spazierte er über das Universitätsgelände und genoss das frühlingshafte Wetter.

Vor ein paar Jahren war ich selbst noch Student an dieser Universität, schwelgte Akira in Erinnerungen. Schon damals war er zwischen den Vorlesungen gerne hier draußen gewesen, um sich die Beine zu vertreten und seine Gedanken schweifen zu lassen.

Als er nun über den Campus spazierte, drehten sich seine Gedanken unentwegt um sein Experiment: Er fragte sich, was wohl die nächsten Schritte wären, sobald der Dekan sich von der Funktionstüchtigkeit der Erfindung überzeugt haben würde. In Gedanken sah Akira sich bereits umringt von Reportern, die ihn zu seiner Erfindung befragten – eine Vorstellung, die ihn keineswegs beängstige.

Ich hoffe, dass meine Ergebnisse öffentliches Interesse erregen … die Öffentlichkeit ist ein wesentlicher Schlüssel dazu, dass die Technologie später auch wirklich sinnvoll eingesetzt wird.

Schließlich, etwa 15 Minuten vor Beginn der ersten Vorlesung, begab sich Akira zu dem Hörsaal. Erst jetzt, während er durch die Flure des Universitätsgebäudes ging, arbeitete er gedanklich ein Konzept für seine Vorlesung aus – mehr Vorbereitung brauchte er nicht. Ihm gefiel die Vortragsarbeit; tatsächlich war er der Perspektive nicht abgeneigt, nach ein paar Jahren als Laborassistent den Weg des Universitätsdozenten einzuschlagen.

Im Hörsaal angekommen nahm Akira einstweilen hinter dem Rednerpult Platz. In den Reihen saßen bereits mehrere Studenten. Einige von ihnen schienen verwundert, da sie eigentlich Professor Nakamura erwartet hatten. Nach und nach begann sich der Vorlesungssaal zu füllen. Diszipliniert setzten die Studenten sich an ihre Plätze und warteten darauf, dass die Vorlesung begann. Als die Zeiger der großen Analoguhr an der Wand auf Punkt elf Uhr standen, trat Akira an das Rednerpult.

»Guten Tag. Ich freue mich, Sie zu unserer heutigen Vorlesung aus Biochemie begrüßen zu dürfen! Mein Name ist Takeishi Akira, ich vertrete Nakamura-Sensei, der diese Woche einer Konferenz beiwohnt.«

Die Studenten starrten ihn ungläubig an.

»Der ist doch kaum älter als wir! Wie soll uns der denn unterrichten?«, fragte ein Student seinen Sitznachbarn; ein Raunen ging durch die – bis eben vorhin noch disziplinierte – Menge. Akira ließ sich davon allerdings nicht beirren.

»Meinen Unterlagen zufolge beginnen Sie heute mit dem Thema Enzymologie. Ist das korrekt?« Einige der Studenten nickten bestätigend, woraufhin Akira mit seinem Vortrag begann. Ausgesprochen eloquent referierte er über Enzyme und ihre Wirkungsweise. Anders als Professor Nakamura trat er auch vor das Rednerpult; er las nicht aus den Unterlagen vor, sondern sprach vollkommen frei. Damit löste er bei vielen Studenten bald eine stille Begeisterung aus.

Wann immer er bemerkte, dass die Zuhörer seinen Ausführungen nicht mehr folgen konnten, reagierte er augenblicklich und setzte seinen Vortrag etwas leichter verständlich fort.

Im Anschluss an die Vorlesung ging Akira in die Mensa, um zu Mittag zu essen.

Bei seiner zweiten Vorlesung unterrichtete er einen Anfangsjahrgang – und sah sich noch häufiger damit konfrontiert, dass die Studenten seine Ausführungen nicht zu verstehen schienen. Viele von ihnen saßen in den Reihen, stützten ihre Gesichter auf ihre Hände und sahen Akira mit ungläubigen Blicken an: Ein junger Mann, nicht viel älter als sie selbst, referierte ganz locker und gut gelaunt über komplizierte chemische Sachverhalte – so als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Nach einer weiteren Pause hielt Akira die dritte Vorlesung; langsam begann er allerdings Nervosität zu spüren: In Kürze würde der Dekan seine Forschungsergebnisse begutachten.

Eigentlich sollte alles tadellos funktionieren … gestern hat es ja auch wunderbar geklappt, grübelte Akira, während er vor den Studierenden sprach. Trotzdem hoffe ich, dass heute nichts schiefgeht … es wäre ein arger Gesichtsverlust vor Oshinaki-Sensei. Davon abgesehen weiß ich auch nicht, ob er meine Forschungsarbeit noch viel länger unterstützen wird, falls ich heute keine überzeugenden Ergebnisse liefern kann.

Zwar beschäftigten Akira in diesem Moment insgeheim Versagensängste, doch im Grunde war ihm klar, dass sie vollkommen unbegründet waren: Er wusste, dass seine Ergebnisse korrekt waren und so war er davon überzeugt, dass sein Experiment auch diesmal funktionieren würde.

Bereits zehn Minuten vor dem offiziellen Ende der Vorlesung beendete Akira seinen Vortrag: So würde er noch Zeit haben, um etwaige Fragen der Studenten zu beantworten, und dennoch rechtzeitig zurück bei seinem Labor sein. Tatsächlich traten mehrere Hörer mit Fragen an ihn heran. Trotz seines Zeitdrucks wollte er keinem der Studierenden eine Antwort verwehren – und so war es bereits 16:35 Uhr, als Akira den Hörsaal verlassen konnte.

Eilig lief er durch die Korridore, geradewegs zu seiner Kammer. Als er dort ankam, wartete Yamato Oshinaki bereits auf ihn.

»Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung, Sensei! Die Studenten hatten nach der Vorlesung noch unerwartet viele Fragen an mich.«

Akira war peinlich berührt, doch der Dekan schmunzelte lediglich.

»Wie ich sehe, haben Sie die Vortragsarbeit, die ich Ihnen heute Vormittag aufgetragen habe, mit Sorgfalt erfüllt. Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen. Eher möchte ich Ihnen danken, da Sie Nakamura-Sensei so kurzfristig vertreten haben.« Mit diesen Worten gab der Dekan Akira den Schlüssel zu seiner Kammer zurück. »Und nun freue ich mich darauf, Ihre Ergebnisse zu sehen!«

»Sehr wohl, Sensei!« Akira schloss die Tür auf und hielt sie – wie es ihm die Höflichkeit gebot – auf, sodass der Dekan vor ihm eintreten konnte. Yamato Oshinaki betrat die Kammer und ging an die Versuchsanordnung heran: Er berührte nichts, achtete aber akribisch auf potentielle Fehlerquellen.

Als Akira ebenfalls eingetreten war und die Tür hinter sich verschlossen hatte, zückte Yamato Oshinaki ein leeres, verschlossenes Reagenzglas aus seinem Kittel und reichte es Akira.

»Bitte füllen Sie etwas von Ihrem Produkt in diese Eprouvette. Sollten sich im Rahmen Ihrer Versuchsanordnung erneut Mikroorganismen gebildet haben, möchte ich eine Probe davon untersuchen.«

»Ganz wie Sie wünschen, Sensei«, entgegnete Akira, nahm das Reagenzglas an sich und füllte etwas von der mit Einzellern kontaminierten Flüssigkeit um. Dann entnahm er eine weitere Probe, positionierte sie auf einem Objektträger und sah durch das Mikroskop.

»Bitte, Sensei. Möchten Sie sich jetzt selbst von dem Ergebnis überzeugen?«

»Ich bitte darum.«

Damit trat Akira von dem Mikroskop zurück; der Dekan sah mit Interesse durch das Vergrößerungsgerät: Sogleich erkannte er, dass die Probe unverkennbar mit einem Mikroorganismus kontaminiert war; eine Art von Einzellern, die selbst der erfahrene Universitätsprofessor nicht identifizieren konnte.

»Das ist doch nicht zu glauben«, murmelte er, verblüfft und fasziniert zugleich, während er die Probe voller Wissbegier betrachtete. Die Tatsache, dass er diesen Mikroorganismus nicht zuordnen konnte, ließ für ihn kaum noch einen Zweifel offen: Die Erfindung des jungen Laborassistenten war tatsächlich dazu imstande, einfache Organismen zu erzeugen.

»Wie Sie sehen, haben sich wieder Mikroorganismen gebildet«, erklärte Akira mit strahlendem Lächeln.

»Ja – das sehe ich in der Tat.« Damit trat der Dekan ebenfalls von dem Mikroskop zurück. Was er eben mit eigenen Augen gesehen hatte, schien ihm einfach unwirklich: Derartige technologische Möglichkeiten hätte er bis vor Kurzem noch für Zukunftsmusik gehalten.

»Von Ihrer Arbeit bin ich ausgesprochen beeindruckt. Ganz ohne Zweifel ist Ihnen etwas wirklich Großartiges gelungen, Takeishi-kun. Nun bin ich allerdings neugierig: Was hat Sie bloß zu diesem überaus ambitionierten Einfall bewogen?«

»Also … das war folgendermaßen: Ich habe ja bereits meine Abschlussarbeit über Genetik geschrieben. Dank Ihrer Unterstützung hatte ich nach meinem Abschluss die Möglichkeit, hier an der Universität mit sehr freier Hand an der Verwirklichung meiner Vision zu arbeiten. Anfangs hatte ich geplant ein Programm zu entwickeln, das definierte Eigenschaften eines Organismus in einen genetischen Code übersetzen kann.«

»Daran erinnere ich mich noch gut. Von dieser Idee haben Sie andauernd gesprochen, als Sie hier zu arbeiten begonnen haben. Allerdings bin ich damals davon ausgegangen, dass Sie vielleicht ein interessantes Simulationsprogramm für unsere Studierenden schreiben werden – nicht aber, dass Sie so bald schon dazu in der Lage sein werden, eigens definierte Organismen herzustellen.«

»Anfangs habe ich selbst nicht damit gerechnet. Irgendwann hatte ich aber den Einfall, dass es möglich sein müsste die programmgenerierten Daten auch in reale DNA zu übersetzen … und sogar nachträgliche Anpassungen daran vorzunehmen.«

»Verstehe ich Sie richtig?« Der Dekan sah Akira verblüfft an. »Sie möchten mir sagen, dass Sie dazu in der Lage sind, den genetischen Code eines Organismus zu verändern, nachdem er sich bereits ausgeprägt hat?«

»So ist es«, erwiderte Akira. »Die modifizierbare DNA kann ihre Formation vollständig zurückbilden und sich neu ausbilden, wenn sie die entsprechenden Signale von dem Programm bekommt. Damit lassen sich kleine Korrekturen an bestehenden Genen vornehmen … je größer und komplexer der erzeugte Organismus, desto weniger Veränderungsspielraum besteht im Nachhinein – Fakt ist aber, dass einer besteht.«

Der Dekan schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass es in absehbarer Zeit eine derartige Technologie geben würde. Sie haben im Alleingang etwas vollbracht, wovon Expertenteams auf der ganzen Welt noch nicht einmal zu träumen wagen. Ich gratuliere Ihnen von Herzen, Takeishi-kun.«

Auch Akira lächelte. Die lobenden Worte des Dekans erfüllten ihn mit großem Stolz.

»Haben Sie vielen Dank, Sensei!« Er zögerte kurz, dann fügte er hinzu: »Können Sie mir vielleicht sagen, wie es jetzt weitergeht? Was geschieht jetzt, da mein Experiment funktioniert hat?«

»Nun, ich werde die Probe noch heute Abend ein weiteres Mal untersuchen. Morgen Früh erwarte ich Sie in meinem Büro … ich selbst werde mit Ihnen auf das Patentamt fahren – Ihre Erfindung muss umgehend geschützt werden.«

»Ich verstehe.« Akiras Blick spiegelte seine Begeisterung wieder.

»Ich darf wohl davon ausgehen, dass Sie Ihre Arbeit sorgfältig dokumentiert haben?«, erkundigte sich der Dekan.

»Das versteht sich von selbst, Sensei. Ich habe alle Unterlagen hier.«

»Sehr gut. Ich bitte Sie Ihre gesamten Aufzeichnungen morgen mitzunehmen – sie sind dringend erforderlich für die Patentanmeldung.«

»Natürlich, Sensei.«

»Nun denn. Damit wäre vorerst wohl alles besprochen«, sagte der Dekan. Akira nickte und ließ den Computer herunterfahren. Dann verließen er und Yamato Oshinaki die Kammer.

»Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Abend, Takeishi-kun.«

»Vielen Dank«, erwiderte Akira und verneigte sich »Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Abend.«

Damit gingen die beiden auf dem Korridor auseinander; vor Freude über das geglückte Experiment glichen Akiras Schritte beinahe einem Tänzeln.

In der Parkgarage angekommen setzte er sich hinter das Steuer seines Wagens und zückte sein Mobiltelefon. Erst informierte er Amy über seinen Erfolg – anschließend wählte er die Nummer seines Freundes Keisuke.

Nein … ich sage ihm noch nichts, dachte Akira schmunzelnd, während er darauf wartete, dass Keisuke den Anruf annehmen würde. Ich werde tun als wäre nichts und komme einfach auf Besuch vorbei – dann werde ich ihn damit überraschen.

In diesem Moment nahm Keisuke das Telefongespräch an. »Hallo Akira-kun, was gibt’s denn?«

»Grüß dich Keisuke-kun«, sagte Akira und gab sich Mühe so zu klingen als wäre nichts weiter. »Ich fahre gleich von der Uni weg … passt es dir, wenn ich vorbeikomme?«

»Ja sicher, das passt gut. Ich habe heute Abend sonst noch nichts vor.«

»Super. Ich nehme unterwegs etwas zu essen mit. Bis später!«

Nachdem er den Anruf beendet hatte, fuhr Akira los und nahm Kurs auf Itabashi, wo Keisuke wohnte.

1 Vorgang der Zellkernteilung

2. Die Dokumentation

Am nächsten Morgen fand Akira sich zeitig vor dem Büro des Dekans ein.

»Guten Morgen«, grüßte er freundlich und beschwingt, als er Yamato Oshinaki gegenübertrat.

»Guten Morgen, Takeishi-kun«, entgegnete der Dekan ruhig. Er saß hinter seinem Schreibtisch und hatte mehrere geöffnete Mappen vor sich liegen. »Ehe wir losfahren, habe ich hier noch ein paar Formalitäten zu erledigen.«

»Okay … dann werde ich mich in der Zwischenzeit an die Arbeit machen. Oder wünschen Sie, dass ich hier warte?«

»Haben Sie bereits gefrühstückt?«, erkundigte sich der Dekan und sah Akira an.

»Nein, Sensei?«

»In diesem Fall schlage ich vor, Sie gönnen sich einstweilen eine Stärkung in der Mensa«, sagte Yamato Oshinaki mit einem wohlwollenden Schmunzeln.

»Sehr gerne, Sensei.« Akira verneigte sich und verließ das Büro des Dekans.

Etwa eine halbe Stunde später, als Akira gegessen hatte, holte Yamato Oshinaki ihn aus der Mensa ab. Gemeinsam gingen sie hinunter in die Tiefgarage.

»Wir werden mit meinem Wagen fahren«, sagte der Dekan, als er und Akira bei einem chromblitzenden, gut 50 Jahre alten Mitsubishi Debonair anlangten. Nachdem Yamato Oshinaki die Wagentüren entriegelt hatte, stieg Akira voller Ehrfurcht in den Wagen: Obwohl er bereits seit seiner Studienzeit die Sympathie des Dekans genoss, fühlte es sich in diesem Moment doch befremdlich an, in dessen Auto zu steigen.

»Bis auf Weiteres stelle ich Sie von Ihren Aufgaben als Laborassistent frei. Wesentlich höhere Priorität hat nun Ihre Erfindung«, erklärte der Dekan, während er seinen Wagen aus der Parkgarage fuhr.

»Ich verstehe nicht, Sensei. Die Arbeit an meiner Erfindung ist doch abgeschlossen?«

»Was die Ausarbeitung der technischen Grundlagen anbelangt, mögen Sie recht haben … ich spreche allerdings von Präsentationen und Pressekonferenzen. Davon abgesehen wird es gewiss schon bald Institutionen geben, die Ihre Erfindung einsetzen möchten und Ihre Dienste als Berater nötig haben werden.«

»Ich denke jetzt begreife ich, Sensei.«

»Stellen Sie sich bloß vor, auf wie viele Weisen Ihre Technologie nutzbringend eingesetzt werden könnte«, schwärmte der Dekan. »Beispielsweise könnten Mikroorganismen entwickelt werden, die gezielt die Heilung verschiedener Krankheiten unterstützen.«

Einen Moment lang schien der alte Mann vor Begeisterung geradezu jugendliche Züge anzunehmen – dann wurde er jedoch plötzlich ernst.

»Natürlich hat die Medaille – wie so oft – auch eine Kehrseite. Wenn Sie Ihre Erfindung an die Öffentlichkeit bringen, kann unter ihrer Zuhilfenahme ebenso unvorstellbarer Schaden entstehen.«

Auf diese Worte hin begann Akiras Luftschloss zu zerfallen.

»Ich weiß was Sie meinen, Sensei.« Akira seufzte. »Insgeheim ist mir schon lange bewusst, dass mit meiner Erfindung auch Gefahren verbunden sind … während der Schaffensphase habe ich diese Gedanken aus schierer Euphorie heraus einfach verdrängt.«

»Ich verstehe«, murmelte Yamato Oshinaki. »Sie haben in der Tat Großes vollbracht, Takeishi-kun. Doch ist Ihnen auch das breite Spektrum an Folgen bewusst, die Ihre Erfindung für die Welt und für Sie selbst haben kann? Wenngleich Sie bestimmt in bester Absicht gehandelt haben, wird man mit ziemlicher Sicherheit Ihnen die moralische Schuld zuweisen, falls durch Ihre Errungenschaft Schäden entstehen sollten.«

»Was möchten Sie mir damit sagen, Sensei?« In Akiras Stimme lag Verunsicherung.

»Ich möchte sichergehen, dass Sie nicht zu sehr geblendet sind von Ihrer momentanen Euphorie … und dann eines Tages sehr darunter leiden, womöglich gar daran zerbrechen werden«, erklärte der Dekan, während er seinen Wagen durch den dichten Stadtverkehr steuerte.

Nach diesen klaren Worten des weisen Professors saß Akira wie in Trance auf dem Beifahrersitz; nachdenklich beobachtete er den Verkehr und die vielen Menschen in den Straßen. Unterdessen schwieg Yamato Oshinaki; er wartete mit Geduld ab, bis Akira dazu bereit war die Diskussion fortzusetzen.

»Möchten Sie mir sagen, dass ich die modifizierbare DNA im Interesse der Allgemeinheit nicht zum Patent anmelden soll?«

»Was mit Ihrer Erfindung geschieht, liegt ganz bei Ihnen«, sagte der Dekan. »Ganz ohne Zweifel – Ihre Errungenschaft übt gewaltige Faszination auf mich aus. Doch ich bin bemüht, darüber hinaus nicht auf die Ehrfurcht zu vergessen, die es vor dieser unglaublichen Macht zu haben gilt. Nun möchte ich sichergehen, dass Sie das auch nicht tun.«

»Wie würden Sie handeln, Sensei?«

»Falls es zum Missbrauch Ihrer Erfindung kommen sollte, wird es Ihnen keine Hilfe sein, wenn Sie meinen Weg gewählt hätten – Sie tragen die moralische Verantwortung, also müssen Sie sich auch im Klaren darüber sein, ob Sie dieser gewachsen sind.«

»Ich bin mir darüber im Klaren, dass meine Erfindung in den falschen Händen enorme Schäden anrichten kann: Die Rüstungsindustrie oder terroristische Organisationen könnten sie nutzen, um biologische Waffen oder bisher unbekannte Seuchen zu entwickeln – Krankheiten, gegen die kein Mensch Abwehrkräfte hat …«

»In der Tat«, bemerkte der Dekan.

»Aber, wenn jemand unbedingt töten will, dann wird er einen Weg finden, das zu tun: Mit Schusswaffen, Messern, Steinen – ja, wenn es sein muss, mit bloßen Händen. Dazu braucht es meine Erfindung nicht. Vielleicht kommt es einmal dazu, dass sie trotzdem genutzt wird, um Menschen zu schaden … aber das Hinhalten der Technologie wäre der falsche Weg, um das zu verhindern. Schaden kann auch ohne sie angerichtet werden – aber vieles, das bis jetzt utopisch gewesen ist, wird durch sie erst möglich.«

»Ihre Argumentation ist gut durchdacht und überzeugend«, erwiderte Yamato Oshinaki mit einem zufriedenen Schmunzeln. »Um die Wahrheit zu sagen, sehe ich die Angelegenheit genau wie Sie: Ich bin davon überzeugt, dass Ihre Erfindung eine Bereicherung für die Welt ist. Dennoch musste ich dieses Gespräch mit Ihnen führen – ich konnte Sie nicht einfach ins Messer laufen lassen.«

»Haben Sie vielen Dank. Ich verstehe, dass ich für meine Arbeit nicht immer nur Lob einheimsen werde. Bestimmt wird es auch Kritiker geben … dieses Risiko muss ich eben eingehen. Aber was auch passiert: Mein Gewissen ist auf jeden Fall rein!«

»Entspricht das Ihrer tiefsten, inneren Überzeugung?« Der Dekan warf Akira einen ernsten Blick zu.

»Ja, Sensei! Das tut es.«

»So sei es«, äußerte Yamato Oshinaki. »Ich bin ausgesprochen froh und erleichtert zugleich, dass Sie diese Auffassung vertreten.«

Kurz herrschte Schweigen, ehe sich der Dekan erneut zu Wort meldete.

»Um eines möchte ich Sie dennoch bitten: Sobald Sie Ihre Erfindung der Öffentlichkeit vorstellen, präsentieren Sie bitte nicht bloß die Technologie – sondern primär einen konkreten Verwendungszweck.«

»Verzeihung, Sensei. Wie genau meinen Sie das?«, erwiderte Akira. »Für die modifizierbare DNA gibt es unzählige Anwendungsmöglichkeiten in der Medizin – ist das etwa kein Verwendungszweck?«

»Doch, gewiss … allerdings frage ich mich, ob es nicht klüger wäre, den Einzug Ihrer Technologie in die Medizin eher schleichend erfolgen zu lassen und die modifizierbare DNA vorerst nur als technischen Hintergrund eines anderen Einsatzgebietes vorzustellen.«

»Ach so, ich verstehe – so würde die breite Öffentlichkeit nicht sofort auf die Idee kommen, dass sich mit meiner Erfindung eben auch Krankheitserreger herstellen lassen.«

»Sie haben es erfasst!«

»Haben Sie vielleicht einen Vorschlag zu einem weiteren, weniger sensiblen Einsatzbereich, Sensei?«

»Nein. Diese Entscheidung obliegt Ihnen als Erfinder. Ihnen gebührt die Ehre einen Bereich auszuwählen, in dem Ihre Errungenschaft erstmals öffentlichkeitswirksame Anwendung finden soll. Wählen Sie also mit Bedacht.«

Akira sah seinen Mentor sichtlich überfordert an. »Ich muss das doch nicht jetzt sofort entscheiden, oder?«

»Selbstverständlich müssen Sie das nicht«, entgegnete der Dekan mit einem Schmunzeln. »Ihnen soll ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, damit Sie eine Wahl treffen können. Erst wenn Sie eine gute Idee ausgearbeitet haben, werde ich eine erste Pressekonferenz einberufen.«

Bereits während der Fahrt begann Akira, sich erste Ansätze für einen alternativen Einsatz seiner Technologie zu überlegen. Vorerst drehten sich seine Gedanken allerdings nur im Kreis – und schließlich wurden sie unterbrochen, als Yamato Oshinaki seinen Wagen kurz darauf in Kasumigaseki, nahe der Zentrale des Tokkyo-chō, parkte.

Als die Erfindung offiziell zum Patent angemeldet war, kehrten Akira und der Dekan in den frühen Nachmittagsstunden an die Universität zurück.

»Gut, Takeishi-kun. Ich werde mich nun wieder meiner Arbeit widmen«, erklärte Yamato Oshinaki, nachdem er seinen Wagen abgesperrt hatte. »Ihnen wünsche ich einen angenehmen Tag. Unternehmen Sie etwas, das Sie gerne tun! Wer weiß … womöglich regt das Ihre Gedanken an und lenkt sie in eine produktive Richtung.«

»Vielen Dank, Sensei«, erwiderte Akira und verneigte sich als respektvolle Geste. »Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen angenehmen Tag.«

Nun gingen die beiden auseinander: Während Yamato Oshinaki zum Aufzug ging, setzte sich Akira hinter das Steuer seines Wagens.

Wow – jetzt ist es also offiziell! Mit diesem Gedanken startete Akira den Motor. Ich kann es noch gar nicht so recht fassen … es ist einfach großartig!