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In einer Zukunft, in der Janis Joplin die Leadsängerin der Rolling Stones ist und Afrika die herrschende Supermacht, während das unterentwickelte Europa in Elend dahinsiecht, begibt sich ein Team von Wissenschaftlern auf die Spuren eines Zeitreiseteams aus einer früheren Epoche. Sie stellen fest, dass dabei etwas gewaltig schiefgegangen ist und ihre Zeitlinie nicht unbedingt die best mögliche aller denkbaren Varianten ist und machen sich daran, den Fehler zu beheben ... Diese Zeitreise ist nicht nur rasantes Abenteuer, das nicht nur durch die europäische und amerikanische Geschichte führt, verschiedene historische Varianten durchspielt und Begegnungen mit berühmten Zeitgenossen wie unter anderem Napoleon bietet, sondern auch ein knallharter Thriller, denn die Machthaber der aktuellen Zeitlinie sind nicht bereit zu riskieren, dass sie nach einer Änderung womöglich gar nicht mehr existieren, und schicken den Forschern eine Sondereinheit hinterher …
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Seitenzahl: 380
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Ron Wall
Ron Wall [email protected] Die Zeitreisenden des Quantum Copyright: © 2015 Roland Muri Cover: Roland Muri Lektorat: Erik Kinting / www.buchlektorat.net Cover: Erik Kinting Konvertierung: Sabine Abels / www.e-book-erstellung.de
Müde vom langen Flug war Levi Rosenfeld froh, endlich aus dieser unbequemen, fliegenden Konservendose steigen zu können. Linienflug mit dem besonderen Touch, nannte es die Switzerland Air. Ja, den besonderen Touch hatte er wirklich auf diesem Flug bekommen. Der achtstündige Direktflug, vom Nairobi International Airport in Kenia nach Luzern International Airport in der Schweiz, dauerte statt acht satte 20 Stunden. Wegen technischer Probleme musste der Flieger zweimal außerplanmäßige Stopps einlegen, um repariert zu werden. Dass die internationale Flugsicherheits-Behörde die europäischen Fluggesellschaften mit ihren mangelhaft ausgebildeten Piloten und den hoffnungslos überalterten und schlecht gewarteten Flugzeugen noch fliegen ließ, grenzte für ihn an ein Wunder.
Seit 28 Stunden war er mittlerweile auf den Beinen. Der Rücken schmerzte und die zwölf Grad im regnerischen Luzern verbesserten seine Laune nicht wirklich. Vor 24 Stunden schlürfte er in Nairobi unter Palmen, bei 32 Grad, einen Bluemountain Coffee in seinem Stammlokal und jetzt stand er in diesem verwahrlosten Schweizer Flughafen frierend in der Schlange der Passkontrolle und wartete darauf, den Zoll zu passieren. Levi glaubte nicht daran, dass der Chauffeur, ein gewisser Ulli, der ihn gestern abholen sollte, noch auf ihn wartete. Von unterwegs hatte er leider vergeblich versucht, eine Telefonverbindung in die Schweiz zu bekommen, um seine neuen Arbeitgeber über seine Verspätung zu informieren.
Europa hatte es bis heute, trotz Milliardenhilfe aus Afrika und Indien, nicht geschafft, ein einigermaßen taugliches Kommunikationsnetz aufzubauen. Wo die Milliarden geblieben waren, wusste niemand so genau, Korruption und Vetternwirtschaft waren in Drittweltstaaten wie Europa und Amerika üblich und damit musste man wohl oder übel leben.
Er hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Im Flughafenhotel ein Zimmer buchen, ausschlafen und morgen irgendwie versuchen, ins Quantum zu kommen, dachte er, während er den Zoll passierte.
Als er durch den Ausgang schritt und einen groß gewachsenen, weißhaarigen Mann Mitte 50 erblickte, der ihm lächelnd ein Namensschild, auf welchem Mr. Rosenfeld stand, entgegenhielt, schwand seine Hoffnung auf ein paar Stunden Schlaf im Hotel.
»Mr. Rosenfeld?«
»Ja, aber nennen Sie mich einfach Levi.«
»Hallo Levi, ich bin Ulli, der Ingenieur.«
»Hallo Ulli. Sorry wegen der Verspätung.«
»Kein Problem, das ist in der Schweiz so üblich. Kann ich dir mit dem Gepäck helfen?«
»Geht schon, ich habe nur diesen Koffer und mein Handgepäck.«
»Okay, gehen wir zum Auto.«
Ulli wirkte auf ihn mit den langen weißen Haaren, der legeren, schwarzen Kleidung, einer Weste voller Rolling-Stones-Pins, diesem bekannten Emblem eines großen Ohres in dem ein Steinsticker steckte und dieser kleinen Brille mit runden Gläsern etwas sonderlich, aber sympathisch.
Nachdem das wenige Gepäck im Heck des alten Land Rovers verstaut war, stiegen sie ein und fuhren Richtung Jura los. Er wunderte sich über den Oldtimer, der wohl aus den 50er-Jahren stammte, aber allem Anschein nach noch fahrbar war.
»In Afrika sieht man praktisch keine Land Rover mehr … nur ein paar sind in Sammlungen übrig geblieben.«
»Es ist schade, dass Land Rover vor zwanzig Jahren in England seine Fabriken schließen musste. Gegen die technisch überlegenen afrikanischen und indischen Autos hatten unsere europäischen Produkte auf Dauer leider keine Chance.«
»Der würde selbst in diesem Zustand in Afrika ein nettes Sümmchen einbringen.«
»Ich weiß, aber den gebe ich nicht her, wir haben zusammen zu viel erlebt. Ruh dich jetzt aus. In drei Stunden werden wir am Ziel sein.«
Das Schaukeln des fahrenden Autos und der auf die Frontscheibe prasselnde Regen entspannten Levi. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und döste etwas vor sich hin. Beim Reisen gelang es ihm leider nie zu schlafen, weder im Zug, Auto oder Flieger, aber ein wenig auf Stand-by schalten, das ging.
Seine eigene Herkunft, die mit seiner Geburt vor 24 Jahren in einem jüdischen Getto in Palästina begonnen hatte, zog an ihm vorüber. Geboren wurde Levi Rosenfeld als Sohn zweier jüdischer Lehrer im Judengetto Israel in der Demokratischen Republik Palästina. Die Palästinenser unterdrückten die Juden und behandelten sie wie Zweitklassmenschen. Die Juden, die das Getto verlassen wollten, brauchten ein Visum, um Palästina betreten zu dürfen. Sofern ein Jude in Palästina eine Anstellung fand, so handelte es sich dabei meistens um eine unterbezahlte Arbeit, die kein Palästinenser für den offerierten Hungerlohn erledigen wollte.
Glücklicherweise erkannte damals, vor 15 Jahren, als er die vierte Klasse besuchte, sein damaliger palästinensischer Englischlehrer seine Hochbegabung. Arafat, wie sein Englischlehrer hieß, hatte kein Klassendenken und wollte dem damals Neunjährigen helfen, dem zukunftslosen Elend des Gettos zu entfliehen. Nachdem Arafat Levis’ Eltern davon überzeugen konnte, dass es für ihren Sohn eine riesige Chance wäre, mit einem Stipendium des afrikanischen Stipendienprogramms zur Förderung für Hochbegabte der Trostlosigkeit und Armut des Gettos zu entfliehen, stimmten sie dieser Bewerbung schweren Herzens zu.
Er musste damals zur Beurteilung, ob er die Kriterien für das Hochbegabten-Stipendium erfüllte, nach Kenia fliegen. Zwei Wochen lang wurde er dort auf Herz und Nieren geprüft. Da er zu der Zeit erst neun war, durfte ihn seine Mutter begleiten. Sie war eine starke Frau, die er vorher noch nie hatte weinen sehen. Doch angesichts des in Nairobi herrschenden Reichtums – der schier unerschöpflichen Menge an Gütern, des Fehlens der bewaffneten Soldaten an jeder Ecke sowie der Möglichkeit, sich zu jeder Tages-und Nachtzeit frei bewegen zu können, ohne Angst zu haben erschossen oder in die Luft gesprengt zu werden – war sie derart überwältigt gewesen, dass sie weinen musste. Sie erkannte, welche Chance es für ihren Sohn bedeuten würde, an einem solch freien, friedlichen und wohlhabenden Ort aufwachsen zu können und sie stimmte schweren Herzens der Annahme des Stipendiums zu, nachdem die Tests für ihn positiv verlaufen waren und die Zulassung feststand.
Mit dem Stipendium erhielt Levi einen Platz in der renommierten Internatsschule in Accra in Ghana. Nach dem Abschluss der regulären Schulzeit wurde sein Stipendium für die Zeit des Studiums an der weltweit führenden Uni in Nairobi, verlängert. Er hatte aus Geld- und Zeitgründen seine Eltern seither nur noch vier Mal gesehen.
Am Anfang litt er unter der Trennung von zu Hause und den Eltern. Mittlerweile war das Getto Israel für ihn aber nur noch eine Erinnerung und eine Meldung in den Nachrichten, wenn irgendwo wieder eine Bombe hochgegangen war. Seine Eltern waren nun mehr Mail-Freunde als physisch präsente Personen in seinem Leben.
Jetzt, 15 Jahre später, gerade 24 Jahre alt geworden und fertig mit seinem Physikstudium, war er auf dem Weg zu seiner ersten Anstellung und konnte es kaum erwarten, sie anzutreten. Seit seinem Artikel im Sciences Magazin, in dem er seine Diplomarbeit über die mathematische Lösung der Zeitachsenproblematik veröffentlicht hatte, bekam er Jobangebote von Universitäten und Forschungslaboren aus der ganzen Welt zugesandt. Eigentlich wollte er sich Zeit nehmen, um die Angebote eingehend zu prüfen, aber dann kam ein Brief, der alles veränderte: Das Quantum meldete sich bei ihm und lud ihn zu einem Vorstellungsgespräch ein.
Das Europäisches Zentrum für angewandte Quantenphysik oder kurz das Quantum, im Neuenburger Jura in der Schweiz, war das Mekka für Quantenphysik. Jeder Physiker auf dieser Welt wünschte sich wohl, einmal in die heiligen Hallen des Quantums blicken zu dürfen. Das Quantum wurde von den USA, den United States of Afrika, der mächtigsten und reichsten Wirtschafts- und Militärmacht der Welt, geleitet und finanziert. Die Forschungsanlagen gehörten dem Militär und unterstanden der höchsten Geheimhaltungsstufe, weshalb praktisch niemandem, der nicht an den Forschungsprojekten direkt arbeitete, Zulass gewährt wurde. Da so gut wie keine Informationen aus dem Quantum drangen, wurde es mit der Zeit zu einem Mythos, um den sich Legenden bildeten, welche die Fantasie vieler Studenten beflügelten. Das Quantum könne mittlerweile in die Zukunft und die Vergangenheit reisen oder sogar die Zeit stillstehen lassen, hieß es unter anderem. Diese Geschichten inspirierten auch Levi während seiner Studienzeit, an der Nutzung der Zeitachse zu forschen.
Als vor vier Wochen die Einladung in seinem Briefkasten lag, glaubte er zunächst an einen Scherz seiner Kommilitonen. Ein Brief vom Quantum aus der Schweiz an einen Studienabgänger war nicht nur sehr ungewöhnlich, sondern nahezu undenkbar. Normalerweise holten sie Professoren und Doktoren mit jahrelanger Erfahrung, welche sich im Bereich der Forschung bereits einen Namen gemacht hatten, an Bord. Im Quantum gab es die höchste Dichte an Nomura-Preisträgern, dem angesehensten Preis für Intellektuelle und kluge Köpfe, der jedes Jahr in Accra, der Hauptstadt von Ghana, verliehen wurde. Er fragte sich, was diese Ansammlung von Intelligenzia von ihm, einem 24-jährigen Grünschnabel, der noch keine Leistungsbilanz im Bereich der Forschung vorweisen konnte, wollte. Aus dem Brief konnte er es nicht entnehmen, da standen lediglich zwei Sätze:
Haben Assistenzplatz für ein Projekt, das 12 Monate dauert, zu vergeben. Interessiert, dann Bitte um Kontaktaufnahme mit Office des Quantums betr. Reisedokumente und Infos. Kontaktdaten liegen bei.
Das Schreiben trug die Unterschriften von Prof. Dr. Numibia Djioufur, Nomura-Preisträger und Inhaber vieler wichtiger Auszeichnungen im Bereich der Physik und Mathematik, galt zurzeit – sicherlich zu Recht – als die führende Koryphäe im Bereich der Quantenphysik, sowie von Dr. Kelly-Ann Mulligan, einer 32-jährigen Quantenphysikerin, die schon vor über sechs Jahren von Prof. Djioufur ins Quantum geholt worden war. Seither hatte sie mehrere Artikel über das Quantenchopping veröffentlicht und mit ihren Thesen die Fachwelt aufgerüttelt. Aufgrund der Komplexität der aufgestellten neuen Sichtweise auf die Quantenphysik, im Dialog mit der Zeitachse, unter Berücksichtigung Einsteins Relativitätstheorie, war in Levis’ Augen klar, dass es sich bei Frau Dr. Kelly-Ann Mulligan um eine der brillantesten und genialsten Wissenschaftler ihrer Zeit handelte. Levis ganzes Physikstudium basierte auf ihren Theorien des Quantenchopping und nach mehreren Jahren der mathematischen Berechnungen ihrer Thesen fand er den rechnerischen Schlüssel dazu, was letztendlich – wenn auch nur theoretisch – eine physische Zeitreise möglich machen könnte. Seit er sich mit dem Quantenchopping befasste, versuchte er, Dr. Kelly-Ann zu treffen. Leider gab sie keine öffentlichen Vorträge. Einige Versuche, sie über das Quantum zu erreichen, blieben leider erfolglos. Alles, was er über sie in Erfahrung bringen konnte war, dass sie genau wie er selbst in Nairobi studiert und dort vor acht Jahren als Jahrgangsbeste abgeschlossen hatte. Nur acht Jahre war sie älter als er, aber schon eine der wichtigsten und bekanntesten Physikerinnen weltweit. Auf keinem der an der Uni vorhandenen Studentenfotos konnte er sie finden. Vermutlich verbrachte sie schon zu Studienzeiten ihre Stunden lieber in den Labors als auf Partys oder dergleichen. Also blieben lediglich die Schilderungen seiner Professoren, die ein paar Jahre zuvor Dr. Kelly-Ann betreut hatten. Sie beschrieben sie als kleines, neugieriges, aufgewecktes Energiebündel mit einer außergewöhnlichen Auffassungsgabe und einem brillanten, wachen Geist.
Levis anfängliches Misstrauen betreffend der Echtheit des Briefes wandelte sich – nachdem er die Echtheit mittels einer Mail ans Quantum hatte bestätigen lassen – in eine fast unaushaltbare Neugier um. Was wollten die von ihm? Wie konnte er dem Quantum von Nutzen sein? Ihm war lediglich klar, dass die Einladung etwas mit seinem Artikel im Sciences Magazin zu tun hatte.
Vier Wochen waren seither vergangen und jetzt saß er, trotz der Müdigkeit, neugierig und ungeduldig im Land Rover, der sich unaufhaltsam die kurvige, steile Bergstraße in den Jura hineinkämpfte.
»Ulli … weißt du, wieso die mich eingeladen haben?«
»Natürlich weiß ich das, aber es steht mir nicht zu, dich zu informieren.«
Levi schaute Ulli fragend an. Dieser begann, offensichtlich über die Situation belustigt, vergnügt einen Rolling-Stones-Song zu pfeifen.
»Purple Haze von Jimi und Keith?«
»Ja, Purple Haze, Rolling Stones, toller Song!«
»Ja, toller Song. Purple Haze ist auch einer meiner Lieblings-Songs von den Stones. Keith Richard, Jimi Hendrix, Bill Wyman, Ringo Starr und die Stimme von Janis Joplin, eine wirklich geile Band.«
Ulli drehte die Lautstärke auf und beide ließen sich während der Fahrt von den Songs etwas treiben. Nach Purple Haze folgten Gimme Shelter, Under my Thumb, Hey Joe und Ruby Tuesday.
Nachdem sie Neuenburg passiert hatten, schaltete er die Stereoanlage aus.
»Gleich müssen wir beim Checkpoint halten. Hast du deine Papiere und das Schreiben vom Quantum dabei?«
»Ja, alles griffbereit.«
»Gut, denn diese Armeeköpfe verstehen keinen Spaß. Viele von denen sind Rassisten und glauben, alle Christen seien Selbstmordattentäter oder zumindest Bombenbastler.«
Sie schauten sich an und mussten lachen.
Ein paar Minuten später hielt der Land Rover vor einem klobigen, rechteckigen, gelb gestrichenen Haus an, welches auf dem Dach einen kleinen Turm hatte. Beide blieben im Auto sitzen und nach einer Weile kam ein großer, schlanker, schwarzer Soldat in Uniform aus dem Haus. Ulli zog das Schiebefenster des Autos zurück und übergab dem Soldaten seine und Levis Unterlagen. Der Soldat begutachtete die Papiere genau und begann dann, die beiden zu mustern.
»Christ und Jude?«
»Ja, genau. Ich Christ, er Jude«, entgegnete Ulli.
»Die lassen auch jeden ins Quantum. Würde mich nicht wundern, wenn denen einmal alles um die Ohren fliegt!«
Offensichtlich missmutig schritt der Soldat ins Haus und kam nach einer Weile wieder zurück.
»Hier sind Ihre Unterlagen und Ausweise. Man erwartet Sie bereits, Sie kennen den Weg.«
Während der Soldat, dem das kalte Klima offensichtlich nicht gut bekam, sich wegdrehte, hörten sie ihn »Scheiß Weiße, Scheiß Land, Scheiß Europa!« fluchen, dann war er weg. Sie ignorierten diese Sprüche. Beide hatten schon mehrfach mit Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit von Schwarzen gegen Weiße zu tun gehabt. Der Rassismus war in Afrika weit verbreitet und als Weißer war man in den Augen von vielen Schwarzen nur ein Schmarotzer, der nach Afrika ging, um sich dort ein gutes Leben zu machen ohne dafür irgendeine Gegenleistung zu erbringen, geschweige denn zu arbeiten.
Während sie weiterfuhren, kam seine Neugier zurück: »Und … Prof. Djioufur und Dr. Kelly-Ann … wie sind die so?«
»Wirst du gleich selber sehen, wir werden in fünfzehn Minuten das Quantum erreichen.«
Levi war froh, dass sie bald ankommen würden, nicht nur um seine Fragen, die ihn seit vier Wochen beschäftigten, beantwortet zu bekommen, sondern auch, weil ihm jetzt durch die kurvige Straße übel wurde und er sich see- respektive landkrank fühlte. Wie auch immer: Ihm wurde schlecht.
15 Minuten später bogen sie rechts von der Straße ab, fuhren auf einer kleinen Naturstraße 100 Meter weiter und stoppten abrupt, als die Straße plötzlich zu Ende war und eine steile Felswand direkt vor ihnen in den Himmel ragte. Levi fragte sich, ob Ulli sich nicht verfahren hatte. Bevor er aber etwas sagen konnte, begann sich die Felswand unter lautem Quietschen zu öffnen und ein riesiger, hell beleuchteter Stollen tat sich vor ihnen auf.
Ulli fuhr durch den Stollen ins Berginnere, bis sie nach rund zwei Kilometern auf einen großen Parklatz einbogen, wo noch circa 30 andere Fahrzeuge, die meisten offensichtlich Militärfahrzeuge, standen. Einige bewaffnete Soldaten bewachten den Parkplatz – Levi befand sich jetzt auf militärischem Gebiet der United States of Afrika.
Ein Offizier, der sich als Leutnant Arcolor vorstellte, begrüßte beide höflich und erklärte dem Neuankömmling, während er ihm einen Besucherpass ausstellte, dass es sich hier um eine militärische Anlage mit höchster Sicherheitsstufe handelte: »Alles, was Sie hier sehen oder hören, Mister Rosenfeld, untersteht der höchsten Geheimhaltung. Sollten Sie außerhalb dieser Anlage mit irgendjemandem über das Quantum sprechen, können Sie vom Militärgericht mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe oder sogar dem Tod bestraft werden.«
Nach weiteren zehn Minuten, in denen Leutnant Arcolor ihm zwar höflich aber unmissverständlich die Regeln des Quantums erklärt hatte, betraten Levi und Ulli den riesigen Lift am Ende des Parkplatzes. Er brachte sie hinunter zu den Labors und den Unterkünften des Quantums.
»Wir befinden uns zwei Kilometer im Berg und jetzt geht es mit dem Lift noch weitere hundertfünfzig Meter runter«, bemerkte Ulli schmunzelnd.
»Danke, sehr beruhigend. Besonders, wenn man an Platzangst leidet.«
Vom Quartiermeister wurde Levi ein kleines Zimmer, das ihn mehr an eine Knastzelle als an eine Arbeitsunterkunft erinnerte, zugewiesen. Nachdem er seine Sachen verstaut hatte, setzte er sich hin und betrachtete seine neuen vier Wände, während er darauf wartete, abgeholt zu werden. Drei mal vier Meter schätzte er die Grundfläche, wirklich wie eine Gefängniszelle, nur dass die im Knast ein Fenster mit Tageslicht hatten. Mit einem Bett, einem Schreibtisch mit Sessel und einem kleinen Schrank, alles aus Metall und in Militärgrün, war das Zimmer möbliert. Anstelle eines Fensters hing ein billig gerahmter Druck eines Bergdorfes mit bewölktem Himmel, vom Künstler Adler, an der Wand. Er hasste die Bilder von Adler und ihm war unerklärlich, wie dieser Schmierfink es geschafft hatte, der größte und bedeutendste Künstler der Postmoderne zu werden. Jedenfalls bereute er jetzt, dass er seine zwei kleinen Bilder von Picasso, einem unbekannten aber, wie er fand, tollen Maler, die bei ihm zu Hause herumlagen, nicht mitgenommen hatte. Die hätten gut an die Wand gepasst. Bei seiner ersten Europareise vor zwei Jahren hatte er auf einem Flohmarkt in Paris zwei kleine Ölgemälde von diesem Picasso entdeckt und billig erstanden. 150 Afrikanische Pfund hatte er nach langem Verhandeln dafür bezahlen müssen. Picasso war eben nicht Adler, in der Kunstszene nicht anerkannt und deshalb billig zu haben. Ja, diese Bilder hätten wirklich besser in sein Zimmer gepasst als diese pseudo-epochale Schmiererei von Adler.
Es klopfte an der Tür. Er öffnete und Sergeant Kenyata, der Quartiermeister, stand vor ihm.
»Herr Rosenfeld, sind Sie bereit? Ich bin hier, um Sie in die Mensa zu Herrn Professor und Frau Doktor zu bri…«
Levi war so angespannt und neugierig auf die zwei, dass er bereits durch die Tür getreten war, bevor Sergeant Kenyata ausgesprochen hatte.
»Folgen Sie mir bitte.«
»Wieso in die Mensa? Ich habe keinen Hunger … ich würde lieber gleich ins Labor.«
»Der Professor und die Frau Doktor wollen Sie lieber bei einem Abendessen kennenlernen und erst morgen mit der Arbeit beginnen.«
Etwas enttäuscht folgte Levi dem Sergeant in die Mensa.
Fünf Minuten später, nachdem sie durch ein Gewirre enger, kühler und schlecht beleuchteter Gänge marschiert waren, traten sie durch eine Tür in die Mensa ein. Es war eine große Halle, in der gut zwei- oder dreihundert Leute Platz fanden. Die Wände waren in freundlichen hellen Farben gestrichen und angenehm ausgeleuchtet. Aus Lautsprechern rieselte in dezenter Lautstärke afrikanische Popmusik. Die Tische und Stühle waren aus Holz und der Fußboden aus Parkett. Wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass man sich hier Hunderte von Metern unter der Erdoberfläche befand, hätte sogar ein Gefühl von Behaglichkeit aufkommen können.
Er folgte dem Sergeant durch die Halle, bis dieser am hintersten Tisch stehen blieb.
»Herr Professor, Mister Rosenfeld.« Der Sergeant salutierte und verabschiedete sich von den Anwesenden.
Der Professor stand auf und drückte Levi mit einem breiten Lächeln die Hand. »Sie müssen völlig erledigt sein, nach dieser Odyssee.«
»Ja, Herr Professor, ich bin wirklich etwas ausgelaugt und erschöpft. Andererseits kann ich es kaum erwarten, mit Ihnen zu arbeiten.«
Er war überrascht darüber, wie groß Prof. Djioufur war. Breitschultrig und topfit sah der Mann aus. Anfang 50 hätte er den Professor geschätzt, höchstens, aber tatsächlich war der Mann 64 Jahre alt, das sah man ihm wirklich nicht an. Levi hatte eher den Eindruck einen Sportler als einen Akademiker vor sich zu haben.
»Und ich? Mit mir zusammenzuarbeiten, darauf freuen Sie sich nicht?«
Der Professor trat zur Seite und jetzt sah Levi die Frau hinter ihm. Es musste sich um Doktor Kelly-Ann Mulligan handeln.
Etwas verunsichert hielt er ihr die Hand hin. »Natürlich freue ich mich auch darauf, mit Ihnen, Frau äh … Doktor, zu arbeiten. Sehr sogar.«
Sie musste schmunzeln, machte einen Schritt nach vorne und umarmte ihn kurz aber herzlich. »Kelly, nicht Frau Doktor. Nur Kelly.«
»Ja, äh, Levi, freut mich, Kelly …«
Levi spürte, wie er errötete. Jetzt stand er endlich vor der Frau, die ihn sein ganzes Studium hindurch inspiriert und beeinflusst hatte. Irgendwie hatte sich über die Jahre ein Bild von dieser Frau Doktor, diesem Physikgenie, in seinem Kopf festgesetzt, das nichts mit der Person, die jetzt vor ihm stand, zu tun hatte. Auch wenn er wusste, dass sie erst 32 war, so hatte bisher das Bild einer älteren, weißhaarigen, etwas langweilig wirkenden Intellektuellen in seinem Kopf herumgegeistert. Sie sah jedoch alles andere als langweilig aus. Eine junge, hübsche Frau stand da vor ihm und lächelte ihn herzlich an. Mit dem zu einem Pferdeschwanz gebundenen dunkelblonden Haar, dem farbigen T-Shirt und den engen Jeans, welche in Stiefelletten steckten, wirkte sie eher wie eine Studentin als wie eine der führenden Wissenschaftlerinnen der Gegenwart. Ihr Gesicht wirkte hübsch und harmonisch. Die vollen Lippen hatte sie mit einem dezenten, aprikosenfarbenen Lippenstift betont. Die Augen, die hinter einer dunkelrandigen Brille hervorblinzelten, waren leicht mit Mascara hervorgehoben worden. Ansonsten verzichtete sie, so schien es, auf weiteres Make-up, was ihr sehr gut stand, wie er fand.
»Setzen wir uns … es wäre etwas angenehmer, beim Essen zu sitzen«, meldete sich der Professor und setzte sich.
Kelly nahm Platz neben dem Professor und Levi setzte sich gegenüber den zwei hin.
»Ich bin übrigens Numibia.«
»Freut mich, Numibia, ich bin Levi … aber das weißt du ja.«
Der Professor überreichte ihm die Speisekarte. »Wir wissen bereits, was wir essen wollen.«
»Was esst ihr?«
»Taboulé mit Hühnchen à la Maroccaine.«
»Eine meiner Lieblingsspeisen. Darf ich mich anschließen?«
Nachdem der Professor die Bedienung herbeigewinkt und dreimal das marokkanische Taboulé bestellt hatte, fragte er die anderen, was sie trinken wollten. Der Professor bestellte als gläubiger Muslime, denen der Konsum von Alkohol streng untersagt war, Tee und Wasser.
»Ich bin Jude, ich darf Alkohol trinken. Ich hätte gerne ein Glas Wein«, bemerkte Levi.
Kelly blickte zu ihm hinüber und fügte hinzu: »Und ich bin Christin und darf ebenfalls Alkohol trinken. Ich schließe mich dir an und nehme ebenfalls ein Glas Wein.«
»Wieso habt ihr mich ins Quantum eingeladen?« Diese Frage hatte ihn nun schon so lange beschäftigt. Er musste sie jetzt stellen.
»Ach, lieber Levi, lass uns den Abend gemütlich verbringen. Morgen im Labor ist es früh genug, um mit der Arbeit zu beginnen«, erwiderte der Professor freundlich aber bestimmt.
Nach dem Essen blieben sie noch einige Zeit sitzen und redeten über alles Mögliche – Familie, Reisen und Politik. Vergeblich versuchte Levi einige Male, das Thema auf die Quantenphysik zu lenken; Numibia und Kelly ließen ihn immer wieder ins Leere laufen.
Nach diesen erfolglosen Versuchen und einigen Gläsern Wein stand er schließlich auf und verabschiedete sich: »Ich muss dringend schlafen. Ich bin seit über dreißig Stunden auf den Beinen.«
»Na, dann schlaf gut. Morgen neun Uhr im Labor?«
»Okay.«
Anhand der Nummerierungen, die an den Gängen angebracht waren, versuchte er seine Unterkunft wiederzufinden. Er hatte sich die Nummern gemerkt und nach einigen Umwegen fand er tatsächlich sein Zimmer. Leicht betrunken legte er sich angezogen ins Bett und schlief sofort ein.
Aus weiter Ferne hörte Levi seinen Wecker klingeln. Zuerst versuchte er das Klingeln zu ignorieren, aber wie schon zu seiner Studienzeit gewann der Wecker. Er öffnete die Augen und setzte sich auf den Bettrand. Erholt fühlte er sich nicht wirklich, aber trotzdem: Der Schlaf hatte ihm gut getan. Die Kopfschmerzen kamen wohl eher vom reichlichen Weingenuss des Vorabends als von der langen und anstrengenden Reise. Er war enttäuscht über das erste Treffen mit dem Professor und Dr. Kelly. Er hatte am Abend zuvor nicht das Gefühl gehabt, mit zwei Superhirnen zu essen. Der Professor machte den ganzen Abend auf entspannte, kollegiale Atmosphäre. Kelly hingegen wirkte auf ihn wie eine kleine, süße Maus, mit der man zwar Pferde stehlen konnte, aber nicht unbedingt das Rad neu erfinden. Den ganzen Abend hindurch hatte er erfolglos darauf gewartet, dass ihn einer der beiden mit irgendeiner intelligenten oder gar genialen Bemerkung überraschen würde. Hab ich die überschätzt? Hab ich in die beiden etwas hineininterpretiert, das nicht da ist? Während er sich duschte, dachte er mit gemischten Gefühlen an das bevorstehende Treffen im Labor.
Es war Viertel vor neun, als er ins Labor trat. Der Professor und Kelly waren bereits da. In den weißen Kitteln wirkten die beiden jetzt wenigstens wie richtige Wissenschaftler.
Das Labor war überraschend groß. An zwei Seiten hingen mehrere riesige Schiefertafeln. An der dritten Wand stand ein großer Tisch mit mehreren Stühlen. Darüber hing wieder einer dieser grässlichen Drucke von Adler. Am Tisch bastelte Ulli gerade an irgendeinem Rohr herum. An der vierten Wand waren mehrere Schränke mit Stahltüren und Sicherheitsschlössern eingebaut und in der Mitte des Labors standen einige voll ausgerüstete Werkbänke. Hier fehlte es wirklich an nichts.
»Gut geschlafen? Kaffee oder Tee?«
»Ich könnte einen starken Kaffee wirklich gut vertragen. Danke, Kelly.«
»Und fit genug für die Arbeit?«
»Ja, Herr Professor … ich meine Numibia.«
»Nun gut. Wir haben dich, wie du sicherlich vermutest, aufgrund deiner Diplomarbeit eingeladen. Kelly, würdest du ihn bitte über den Stand unserer Forschung informieren?«
Sie nahm eine Kreide in die Hand und begann – während Levi sich an den Tisch neben Numibia setzte – auf die Schiefertafeln zu schreiben. Er schlürfte anfänglich noch etwas lustlos an seinem Kaffee herum. Sie schrieb seine Formel schnell und zackig aus dem Gedächtnis auf die Tafeln. Er war überrascht; selbst er hätte seine eigene Formel nicht rein nur aus dem Gedächtnis aufschreiben können. Langsam wich seine Lustlosigkeit einem neugierigen Interesse. Kelly schrieb seine Formel immerwährend fort, ohne ein einziges Mal innezuhalten. Dann begann sie einige Formelverläufe zu verändern.
»Deine Formel ist einfach, aber genial. Wir steckten jahrelang fest. Wir suchten viel zu weit – bis wir auf deinen Aufsatz im Sciences Magazin aufmerksam wurden. Allerdings hat sie einige Schwachstellen, die wir mittlerweile korrigieren konnten.«
»Was für Schwachstellen?«
»Deine Formel ist zu unelastisch.«
»Aber für eine Zeitreise müssen die Parameter eine feste Konstante, die praktisch unelastisch ist, haben.«
»Davon gingen wir zuerst auch aus. Die Versuche haben uns dann aber eines Besseren belehrt.«
»Welche Versuche …? Wollt Ihr allen Ernstes behaupten, die Zeitreise ist heute schon möglich?«
»Wir stehen kurz davor und ein Ire hat es vor über fünfunddreißig Jahren bereits geschafft.«
»Arthur Wellesley?«, bemerkte Levi erstaunt. »Aber das ist doch ein Witz! Der konnte seine Behauptung, in die Vergangenheit gereist zu sein, nie beweisen!«
»Du hast recht. Er konnte es nie beweisen, weil er plötzlich verschwunden war«, warf Numibia ein.
Kelly fuhr unbeirrt fort: »Wellesley hat mit seinem Assistenten Napi die Zeitreise mindestens dreimal gemacht, bevor beide verschollen sind.«
»Was habt ihr für Beweise?«, fragte er misstrauisch.
»Wir haben unwiderlegbare Beweise dafür. Wir werden sie dir später zeigen.«
»Aber wenn Wellesley die Zeitreise bereits gemacht hat, wieso nehmt ihr dann nicht seine Formel?«
»Würden wir gerne, aber er hat sie so gut versteckt, dass wir sie bis heute nicht finden konnten.«
»Und bei seinem Assistenten, diesem Napi?«
»Napi ist damals mit Wellesley verschwunden und bei dem, was er zurückließ, konnten wir auch nichts finden.«
»Da Wellesley ein Gründungsmitglied des Quantum war hofften wir – hoffen wir immer noch –, dass die Formel, oder zumindest ein Hinweis darauf, wo sie versteckt ist, irgendwo in diesem Bunker zu finden ist. Bisher haben wir sein Labor mehrfach akribisch durchsucht, leider immer ohne Erfolg. Vor einem Monat haben wir durch Zufall eine Geheimtür, die in ein zweites Geheimlabor führt, entdeckt … aber leider auch dort nicht die erhofften Antworten gefunden. In seinem geheimen Labor steht kein Stein mehr auf dem anderen. Jeder Millimeter wurde mindestens zehnmal überprüft. Dafür haben wir in der geheimen Kammer eindeutige Beweise und Belege für seine Behauptungen, Zeitreisen gemacht zu haben, gefunden.«
»Was sind das für Beweise?« Jetzt war Levi voll da.
»Die Beweise werde ich dir heute Abend zeigen«, fuhr Kelly fort. «In der Kammer haben wir auch einen Hinweis darauf gefunden, dass er irgendwo in Europa noch ein weiteres geheimes Labor besessen haben muss. Die viel wichtigeren Aufzeichnungen, nämlich die über die Zeitmaschine, müssen dort versteckt sein.«
»Weiß denn niemand, wo sich dieses Labor befindet?«
»Leider nicht. Wir haben in seinem Ferienhaus in Schottland danach gesucht. Sogar bei seiner Schwester, die in der Nähe von Dublin in Irland lebt. Ohne Erfolg.«
Kelly räusperte sich, dann fuhr sie fort: »Aber lass uns die Formelkorrekturen beenden, denn dank deiner Entdeckung brauchen wir seine Unterlagen wahrscheinlich nicht mehr, um ans Ziel zu kommen.«
Sie drehte sich zur Tafel und begann, Teile von seiner Formel wegzuwischen und mit eigenen Zahlen zu ergänzen. Levi war jetzt hoch konzentriert und angespannt. Numibia und Kelly diskutierten währenddessen über die prozentuale Abweichungstendenz der Elastizität. Er war vom Wissen der beiden schwer beeindruckt. Numibia war nun nicht mehr der coole Mittsechziger vom Vorabend, der über Gott und die Welt sprach. Jetzt saß ein Superhirn neben ihm. Blitzschnell und messerscharf analysierte Numibia Kellys’ Formelkorrekturen. Und sie war plötzlich nicht mehr die hübsche, kleine, süße Maus, mit der er Wein getrunken hatte. Jetzt stand ein Mathematikgenie vor ihm, das anscheinend locker und ohne große Mühe die kompliziertesten Formeln beherrschte. Er verstand auf einmal nur noch Bahnhof. Er, konnte den beiden nicht mehr folgen. Es kam ihm vor, als würden sie Chinesisch sprechen. Nichts, aber auch gar nichts, war ihm mehr verständlich. Mathematik hatte er studiert und Quantenphysik war seine Spezialität …, aber nun war er in seiner eigenen Spezialdisziplin hoffnungslos überfordert. Gestern nach dem ersten Treffen war er von den zwei Wissenschaftlern enttäuscht gewesen. Sie waren ihm nicht sonderlich genial vorgekommen. Seine Professoren an der Uni hatten sich ständig mit einer Aura des unnahbaren Genies umgeben und mit einer gewissen überheblichen Arroganz auf die unwissenden Studenten herabgeschaut. Dies hatte er gestern von Numibia und Kelly auch irgendwie erwartet. Aber beim Abendessen sassen sie ausgelassen und kumpelhaft zusammen. Da war von keinem der beiden ein genialer Satz gefallen, der ihn vor Ehrfurcht auf die Knie hätte sinken lassen. Jetzt schämte er sich für seine eigene Arroganz. Man sollte Leute doch nie nach dem ersten Eindruck einstufen. Denn nun sass er zwischen diesen zwei Superhirnen und fühlte sich wie ein Schuljunge am ersten Schultag, der zwischen zwei Abiturienten sitzt und mit ihnen über das Abitur sprechen sollte. Keiner seiner früheren Professoren hätte hier mithalten können. Das hier, das war Nomura Preis-würdige Wissenschaft auf höchster Ebene.
Kelly beendete die Korrekturen und setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Wir haben es hundertmal durchgerechnet, es wird so klappen. Oder hast du Einwände?« Beide schauten Levi forschend an.
Er fühlte sich wie auf einer Folterbank. Sollte er einfach bluffen und versuchen, irgendetwas Schlaues zu sagen, oder offen zugeben, dass er keine Ahnung davon hatte, was hier gerade abging? »Ich kann mich nicht so schnell äußern. Zuerst muss ich meine Notizen überprüfen.«
»Okay. Sei aber vorsichtig mit deinem Computer. Die Daten darin können gehackt werden. Das ist der Grund, wieso wir alle wichtigen Formeln auf die Tafel schreiben und alles in unserem Hirn speichern.«
»Alle Formeln? Du und …«
»Numibia. Ja genau.«
Nachdem Numibia und Kelly über die Enttäuschung darüber, dass Levi nicht auf ihre Formelkorrekturen eingehen konnte, hinweggekommen waren, wechselten sie das Thema: »Wollen wir heute Abend nach dem Essen ins geheime Archiv von Wellesley gehen?«
»Und ob!«, entfuhr es ihm so laut, dass die beiden lachen mussten.
Es war 19.30 Uhr, als Sergeant Kenyata an die Tür klopfte, um Levi in den Speisesaal zu führen. Numibia und Kelly saßen wieder am selben Tisch wie am Abend zuvor. Nachdem sie einen senegalesischen Eintopf und nach dem Nachtisch noch ein Glas Wein zu sich genommen hatten, verabschiedete sich Numibia von den beiden.
»Ich habe eine Videokonferenz mit Afrika, dem Hauptsitz«, sagte er an Levi gewandt. »Ich muss einige Gemüter besänftigen, wegen der letzten Ausgaben, die in deren Augen wieder viel zu hoch waren. Kelly zeigt dir das Archiv von Wellesley. Meine Anwesenheit wird dabei nicht benötigt. Dann bis morgen, ihr zwei Hübschen.« Der Professor drückte beiden höflich die Hand und war weg.
Levi fühlte sich etwas verunsichert, jetzt alleine mit Kelly bei einem Glas Wein am Tisch sitzend. Er merkte, dass er gerade dabei war, sich in sie zu verlieben. Wie am Abend zuvor saß sie ihm leicht geschminkt gegenüber und hatte wieder dieses Unschuldige, Studentenhafte an sich. Mit nichts ließ sie ihn spüren, dass sie ihm intellektuell überlegen war. Sie hatte auch nicht versucht ihn herauszufordern oder in eine Fachdiskussion zu verwickeln, der er nicht gewachsen wäre. Er war froh, dass sie so fair und liebenswürdig mit ihm umging. Je länger er in ihrer Nähe war, desto weniger konnte er sich ihr entziehen. Sie war die Art Frau, mit der man nicht nur gerne am Abend ins Bett steigen wollte, sondern neben der man am Morgen auch gerne aufwachen würde. Sie war genau die Frau, mit der man gerne sein Leben verbringen würde, eine Frau zum Heiraten.
Er schreckte auf. Sie sah ihn an, als könnte sie seine Gedanken lesen. Er merkte, wie er errötete.
Sie lächelte verschmitzt. »Unsittliche Gedanken?«
»Sieht man es mir an?«
»Ja, sieht man. Komme ich darin auch vor?«
»Nun … ja … du spielst darin die Hauptrolle.«
»Bin ich oben oder unten?«
»Nein … nein … ganz sittsam … also ich … äh …«
»Schade.« Schmunzelnd nahm sie einen Schluck aus ihrem Weinglas.
Jetzt sah sie unwiderstehlich aus. Mit ihrem weit geschnittenen langärmeligen Pullover, den hochgesteckten Haaren und diesem fast enttäuschten Gesichtsausdruck sah sie wirklich verführerisch aus. Er merkte, dass sie mit ihm spielte. Sie senkte den Kopf ein wenig und schaute ihn mit weit geöffneten Augen und einem Schmollmund an, der ihre vollen Lippen zur Geltung brachte. Er musste sich beherrschen, sich nicht über den Tisch zu beugen um sie zu küssen. Sie schien sein Begehren zu amüsieren; sie lehnte sich langsam zurück.
»Lass uns gehen, es wird Zeit.«
»Ja, lass uns gehen. Zu dir oder zu mir?«
»Weder noch. Ich zeige dir Wellesleys Geheimkammer.«
»Ja, natürlich … entschuldige. Ich, äh … hab nur …«
»… gedacht, die Kleine ist jetzt reif, die vernasche ich heute Abend?«
»Nein, Kelly, natürlich nicht!«
Sie stand lächelnd auf und kniff ihn sanft in die Nase, danach drehte sie sich um und schritt zum Ausgang.
Verdammt, ist die ein raffiniertes kleines Luder.! Wenn die so weitermacht, dann ende ich noch als ihr Schoßhündchen, nichts mit kleiner. Studentin, die nicht weiß, wo vorne und wo hinten ist. Die ist mit allen Wassern gewaschen. Diese Erkenntnis ließ ihn nur noch schärfer auf sie werden, denn eine kluge Frau, die sich ihrer Weiblichkeit bewusst ist und damit spielt, das kann einen Mann um den Verstand bringen.
Sie bestieg vor dem Restaurant einen kleinen Elektro-Buggy und winkte ihn zu sich.
Nach ein paar Minuten hielten sie in einem Seitengang, bei einer kleinen Treppe.
»Wir müssen da ’runter, dort befindet sich Wellesleys Labor und gleich dahinter ist die Geheimkammer.«
Unten an der Treppe standen zwei Soldaten und bewachten den Eingang. Sie durften nach der Ausweiskontrolle eintreten.
Levi konnte nicht glauben, dass dieses modern wirkende Labor 40 Jahre alt sein sollte. Alles schien zeitgemäß und neu zu sein. Aber Fakt war, dass Wellesley und Napi vor 35 Jahren verschwanden und dies ihr Labor war.
Kelly schritt ans Ende des Raumes und drückte auf einen der Mauersteine der Rückwand. Quietschend begann sich eine Tür, die in der Wand versteckt war, zu öffnen. Dahinter befand sich die Geheimkammer. Kelly schaltete das Licht ein und forderte ihn auf, ihr zu folgen.
»Jetzt wirst du gleich die Beweise für die Zeitreise von Wellesley und Napi sehen.«
Er konnte nicht glauben, was er sah. Die Wände waren voller Poster von Musikbands aus den 60er- und 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts, die er größtenteils nicht kannte. The Beatles, The Doors, The Who … Alles Namen, mit denen Levi nichts anfangen konnte. Die Bands, die ihm bekannt vorkamen, wie The Rolling Stones, Led Zeppelin oder Cream waren auf den Postern und Fotos in anderen Zusammensetzungen abgebildet, als er sie kannte. Über ein lebensgroßes Poster von Michael Jackson im weißen Anzug musste er schmunzeln. Er war der größte afrikanische Musikproduzent. In Jugendjahren war er eine kurze Zeit lang ein Kinderstar gewesen, aber ohne nennenswerte Erfolge. Abgesehen von zwei Hits, Billy Jean und Beat it, die er für seinen größten Solostar Lionel geschrieben hatte, hatte Michael seines Wissens nach keine weiteren Ambitionen gehabt, als Erwachsener je wieder selber ins Rampenlicht zu treten. Lediglich sein ausschweifendes und pompöses Leben, das immer wieder durch die Regenbogenpresse geschleppt wurde, machte ihn zu einem Prominenten. Auf einem anderen Poster waren The Beatles abgebildet. Levi betrachtete es genauer: Paul McCartney stand da zusammen mit dem Performance Künstler John Lennon, daneben der Schlagzeuger der Rolling Stones, Ringo Starr, und der Gitarrist von Led Zeppelin, George Harrison. Dass diese vier eine Band bildeten, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Paul McCartney war einer der großen Solokünstler der 60er und 70er, der immer noch mit großem Erfolg auf Tournee ging. Er war der Lieblingskünstler seiner Mutter. Die meisten seiner großen Hits konnte er selber auswendig mitsingen. Während seiner Kindheit in Palästina hörte seine Mutter McCartneys Platten über Jahre rauf und runter. Sergeant Pepper war sein Lieblingsalbum, mit Let it be, Maybe I’m amazed und Back in the USSR darauf. John Lennon andererseits war in Levis Augen völlig durchgeknallt. Der Typ lud Leute ins Museum ein, stand dann nackt auf einem Podest und schrie drei Stunden lang Mutter ins Mikrofon. Einmal schrieb er in einem Museum während Wochen einfach Zahlen auf Wände. Er galt als große Nummer in der zeitgenössischen Kunst und stellte in wichtigen Museen rund um den Globus aus. Gelegentlich veröffentlichte er auch Platten, die waren aber eher etwas für angefressene Fans. Auf einer Platte schrie er während der ganzen Spieldauer nur Nummer 9. Die drei großen Hits, die er in der Hitparade gehabt hatte, Imagine, Mother und Help, fand Levi jedoch auch gut. Ringo Starr wiederum war eine richtige Rampensau, einer der es liebte live zu spielen. Zusammen mit Paul und John – unvorstellbar! Ringo rockte die Bühne und schlug auch mal neben der Bühne zusammen mit Keith Richard ein Hotelzimmer kurz und klein. George Harrison wiederum war der Gitarren-Guru schlechthin, seine minutenlangen Soli waren Kult. Heerscharen von jungen Gitarristen pilgerten zu seinen Konzerten, um ihn spielen zu sehen, was in den letzten 20 Jahren leider immer seltener geworden war. Der ruhige, spirituelle George zusammen mit Ringo Starr? Nein, das konnte wirklich nicht möglich sein. Er konnte auf einem Foto, das unter dem Beatlesposter hing, die Beatles bei einer Familienparty erkennen. Darauf waren die vier mit ihren Partnerinnen abgebildet. Na ja, wenigstens war Paul McCartney auch da mit Yoko Ono zusammen, dachte er. Anscheinend ließen sich doch nicht alle Parameter beim Eingreifen in die Zeitachse verändern.
»Wellesley war offensichtlich ein großer Verehrer der Popmusik aus den 60er- und 70er-Jahren. Anscheinend hatte er Vorlieben für gewisse Bands und Musiker. The Beatles, The Rolling Stones, The Doors, Jimi Hendrix, Bob Dylan, Janis Joplin, The Who u.s.w.«, meinte Kelly.
»Wieso hat er die Musikgeschichte verändert?«, fragte Levi.
»Lies seine Aufzeichnungen durch, dann wirst du deine Antwort bekommen. In diesem Schrank sind Schallplatten und Tonbänder mit der Musik dieser Bands.«
»Wow, darf ich da ’reinhören?«
Sie nickte.
»Das sind die Beweise, die wir haben. Wellesley war ein großer Fan dieser Musik und hat anscheinend aus Neugier an den Besetzungen dieser Bands herummanipuliert. Wir glauben, dass er einfach einmal schauen wollte, was passieren würde, wenn Jimi Hendrix bei den Rolling Stones spielt oder was aus Paul McCartney und John Lennon würde, wenn die nicht bei den Beatles gespielt hätten.«
»Aber Jimi Hendrix ist der Gitarrist der Rolling Stones. Und dass McCartney mit Lennon gespielt hat, davon habe ich bisher noch nie etwas gehört.«
»Genau. Anhand Wellesleys Notizen, die wir hier fanden, wollte er aus persönlichem wie wissenschaftlichem Interesse die Musikszene der 60er- und 70er-Jahre manipulieren. Er wollte feststellen, welche Änderungen sich im Zeitverlauf der Geschichte ergeben, wenn man auch nur minimale Eingriffe in der Vergangenheit vornimmt. Da er keinen Weltkrieg auslösen wollte dachte er wohl, dass die Veränderung der Musikgeschichte bei einem eventuellen Fehlschlag des Experimentes den kleinsten Schaden auf die Menschheitsgeschichte ausüben würde.«
»Offensichtlich ist das Experiment fehlgeschlagen, sonst gäbe es die Beatles heute.«
»Du hast recht. Wellesleys Absicht war es, nach dem Experiment alles wieder rückgängig zu machen. Leider ist das schiefgegangen. Er konnte gewisse geschichtliche Abläufe wohl verändern, sie aber nicht wieder rückgängig machen.«
»Das heisst, wenn du in die Vergangenheit reist, kannst du Verläufe ändern aber die Veränderung nicht wieder rückgängig machen?«
»Nach dem derzeitigen Wissenstand scheint dies der Fall zu sein. Leider war es für ihn, als er dies bemerkte, zu spät und er hatte die Musikgeschichte unwiderruflich verändert.«
»Hätte er nicht zurückreisen können, ich meine, etwas früher als das erste Mal, und dann die Veränderung stoppen?«
»Allem Anschein nach hat er dies versucht, aber offensichtlich erfolglos. Lies dir seine Notizen durch. Morgen können wir darüber reden. Numibia und ich glauben nämlich, dass er nicht nur die Musikgeschichte verändert hat, sondern den ganzen Verlauf unserer Weltgeschichte.«
»Das heißt?« Levi war höchst angespannt.
»Wirtschaftlich, zivilisationsgeschichtlich sowie politisch und auch militärisch.«
»Dann könnte es sein, dass im ersten, im echten Zeitverlauf beispielsweise nicht Afrika die größte Wirtschafts- und Militärmacht war?«
»Wäre möglich. Solange wir aber nicht die Aufzeichnungen und die Zeitmaschine von Wellesley finden, bleibt dies lediglich eine Vermutung.«
»Aber die Notizen, die ihr hier vorgefunden habt?«
»Betreffen leider nur die Eingriffe in die Musikgeschichte. Lies es dir in Ruhe durch, dann wirst du verstehen.«
Levi brannte vor Neugier und holte eine Schallplatte mit einem schwarz-weißen Foto von den Beatles darauf hervor. With the Beatles stand darauf. Er zog sie aus der Hülle und legte sie auf den Plattenspieler, der auf Wellesleys Arbeitspult stand.
In diesem Moment beugte sich Kelly zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf den Mund. »Ich bin müde und ziehe mich zurück. Viel Spaß beim Hören und Lesen. Wir sehen uns morgen.«
Levi war verwirrt. Der Kuss hatte ihn irritiert und überrascht. Nachdem sie den Raum verlassen hatte, atmete er tief durch, setzte sich hin, legte die Nadel auf die Platte, schlug das Notizheft von Wellesley auf und begann zu lesen:
Ich, Arthur Wellesley, beginne heute, am 20. April 1983, mit meinen Aufzeichnungen über die Eingriffe, die ich in die Musik der 60er-Jahre und folgend ausführen werde. Ich habe endlich, während meiner langen Forschungen, die Lösung einer möglichen Zeitreise gefunden. Während meiner Labortätigkeit hat mir meine Plattensammlung über viele einsame Stunden hinweg geholfen. Dabei hatte ich manch verrückte Überlegung, die ich jetzt als Versuch mit den ersten Zeitreisen ausprobieren werde. Was wäre aus John, Paul, George und Ringo geworden, hätte es die Beatles nie gegeben? Wie würden die Rolling Stones klingen, wenn Janis Joplin die Sängerin wäre und Jimi Hendrix die Leadgitarre spielen würde? Ich werde es ausprobieren. Natürlich werde ich nach dem Versuch wieder sämtliche Veränderungen rückgängig machen. Somit sollte die Musikgeschichte letztendlich nicht verändert werden. Es wäre ja schade, wenn es Sergeant Pepper, The White Album, Goat soup oder Sticky Fingers nie gegeben hätte.
The White Album, das sagte Levi nichts, aber Sergeant Pepper, das Meisterstück von McCartney, das kannte er. Sticky Fingers von den Stones kannte er auch, aber Goat Soup hatte er ebenfalls noch nie gehört.
Er musste einen Moment mit dem Lesen aufhören. Die Musik, die aus den Lautsprechern ertönte, überwältigte ihn. Das waren die Beatles? Diese Stimmen, diese Harmonie empfand er als einmalig. Dass McCartneys und Lennons Stimmen so gut zueinanderpassten, dass man davon Gänsehaut bekam, hätte er nicht erwartet. Die Gitarre von George wirkte wild, jung und frech. Ringos Schlagzeug war ruhig, klar und Takt angebend, das passte gut zu den anderen drei und alles wirkte wie eine harmonische Einheit. Er stand auf, neugierig darauf geworden, wie sich die anderen Bands aus dieser Zeit anhörten, und begab sich erneut zum Schrank, um nach weiteren Platten zu greifen. Er breitete sie auf dem Arbeitstisch aus und betrachtete sich die Hüllen genauer. Auf einem Cover der Stones stand bei den Bandmitgliedern: Mick Jagger, Keith Richard, Bill Wyman, Charlie Watts und Brian Jones. Er setzte sich auf den Stuhl und betrachtete das große Rolling-Stones-Poster, das an der Wand direkt neben dem Beatlesposter hing. Das Foto kannte er, es war eine der bekannteren Aufnahmen der Stones. Nur anstelle von Janis Joplin, der Sängerin, stand da Mick Jagger, sein Jugendidol, der größte Karate- und Kung-Fu-Kämpfer der Welt. Er trug auf dem Bild einen Frauenfummel und lachte mit einem breiten Grinsen in die Kamera. Mick Jagger, dreifacher Karate-Weltmeister und super Actionstar im Kino, soll ein Rocksänger gewesen sein? Levi konnte es nicht glauben. Er kannte jeden Film, den Jagger je gedreht hatte. Erbarmungslos, muskulös, schnell und hart zuschlagend, so kannte man ihn und so liebte ihn sein Publikum. Er war jetzt wirklich neugierig geworden und wollte ihn singen hören. Er legte die Platte auf, lehnte sich zurück und lauschte der Musik. Unglaublich, dachte Levi, die Songs sind der Hammer! Die Stones ohne Janis Joplin, ohne Jimi Hendrix und ohne Ringo Starr, das war so neu, so ungewohnt, aber es war richtig guter Sound.
Nachdem er beide Seiten der Platte durchgehört hatte, schlug er Wellesleys Notizen wieder auf und begann gespannt weiterzulesen.
Notizbuch von Arthur Wellesley, Nummer 11-3‚ 24. April 1983:
Napi und ich sind vorgestern vom Zeitreisestützpunkt ins Quantum in der Schweiz zurückgekehrt. Die Maschine ist fertig und wir wollen übermorgen zur Kapsel zurückreisen, um den ersten Zeitsprung in der Menschheitsgeschichte zu vollziehen.