Die Zukunft des Wassers - Érik Orsenna - E-Book

Die Zukunft des Wassers E-Book

Erik Orsenna

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Beschreibung

Werden wir in Zukunft genug Wasser haben? Genug für 9 Milliarden Menschen, die trinken und sich ernähren müssen? Zwei Jahre lang hat Erik Orsenna den Planeten auf der Spur des Wassers bereist. Sein Buch erschließt uns das ganze Universum des Wassers – seine Gefahren, aber auch seine unabweisbaren Schönheiten.

Schon heute leidet die Hälfte der Menschheit unter Wassermangel, verschmutztem Trinkwasser oder gewaltigen Überschwemmungen. Mit dem Klimawandel werden sich die Extreme verschärfen. Und schon jetzt ist die gefährliche Trockenheit in Europa angekommen. Orsennas literarisch glänzende Reportagen führen uns bis in die entferntesten Regionen dieser Welt. Er begegnet Bauern in Marokko, die das immer trockenere Land fruchtbar machen, Politikern in China, die gigantische Staudämme bauen, Ärzten in Kalkutta, die die Cholera-Kranken behandeln, Wissenschaftlern in Israel, die gegen das Vorrücken der Wüste ankämpfen. Seine hellwachen Beobachtungen, seine luziden Erklärungen, seine kritischen Fragen und sein menschlicher Blick lassen uns eindringlich erfahren, welchen Bedrohungen unser Planet und seine Bewohner täglich ausgesetzt sind. Und wir begreifen nach und nach, mit welchen Lösungen wir unsere Zukunft retten können.

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Erik Orsenna     DIEZUKUNFT DESWASSERS

Eine Reise um unsere Welt

                           Aus dem Französischen von                                       Caroline Vollmann

 

 

 

 

 

 

                                                 C.H.BECK

Zum Buch

„Am Anfang aller Humanität steht das Wasser. Am Anfang aller Würde, aller Gesundheit, aller Bildung, aller Entwicklung.“ Aber werden wir in Zukunft genug Wasser haben? Zwei Jahre lang hat Erik Orsenna den Planeten entlang seiner Flüsse, Seen und Meere bereist. Er hat die Ärmsten der Armen wie auch die Reichen und Mächtigen aufgesucht, um zu verstehen, wieso unsere wichtigste Ressource so ungleich verteilt ist. Überall ist er auf Helden und Heldinnen im Kampf für das Wasser getroffen, aber ebenso auf politische Kurzsichtigkeit, Trägheit und die Gefahr von Kriegen. Sein literarisch glänzender Bericht erschließt uns das Universum des Wassers mit seinen Gefahren, aber auch seinen überwältigenden Schönheiten.

«Ein drängendes Thema, das hier mit schriftstellerischem und poetischem Glanz behandelt wird.» Le Figaro

Über den Autor

Erik Orsenna, 1947 geboren, ist Schriftsteller, Mitglied der Académie Française, Ökonom, Direktor des Centre international de la mer und Mitglied des französischen Staatsrats. Für L’Exposition coloniale wurde er 1988 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, für Weiße Plantagen erhielt er 2007 den Lettre Ulysses Award für die Kunst der literarischen Reportage. Bei C.H.Beck sind von ihm u.a. erschienen: Portrait eines glücklichen Menschen. Der Gärtner von Versailles (52009), Lob des Golfstroms (22007) und Weiße Plantagen. Eine Reise durch unsere globalisierte Welt (22007).

 

 

 

 

Für Claude Durand

Inhalt

Vorwort

I. Porträt der Person

Die wahre Natur des Wassers I: Es ist ein Paar

Die wahre Natur des Wassers II: Ein zerstörerisches Paar

Die wahre Natur des Wassers III: Schöpferischer Ehrgeiz

Die wahre Natur des Wassers IV: Eine Materie, die nicht an derselben Stelle bleibt

Die wahre Natur des Wassers V: Seine Freigebigkeit

Die wahre Natur des Wassers VI: Seine Verbindungen mit der Macht

Die wahre Natur des Wassers VII: Es hat einen breiten Rücken

Über den Anfang

II. Trockenheit (Australien)

Loblied auf das Känguru

Die allgemeine Mobilmachung: Porträt zweier Kämpferinnen

Australische Bergwerke

Ingrids Schicksal

Lake George

Über den Liberalismus, den Zentralismus und den Außenhandel

Omnibusse fahren über Land

Australien, Schluss

III. Auf seine eigenen Kräfte bauen (Singapur)

Über den Charme

Herr Tan Gee Paw

Wiederverwerten

Singapur, Ultra-Reinheit

Propaganda für Singapur

Unterhaltung mit dem Vertreter von Veolia im Raffles-Hotel

Marina Barrage

IV. Das Wasser ist auch der Tod (Kalkutta)

Lektion über den Monsun

Der Blumenmarkt von Mullik Ghat

Auf dem Weg zum Forschungszentrum

Cholera

Elendsquartiere

Jagd auf den Serienkiller

Andere Botschaften

V. Alle Übel der Welt (Bangladesch)

Das schwimmende Krankenhaus

Nomadeninseln

Char-Worte

Über die Selbstzensur

Mit geografischen Augen

Das Land ohne Steine

Flüchtlinge

Sklaven und verwöhnte Kinder

VI. Die Flüsse zähmen und der Sauberkeit näherkommen (China)

Der Herr über das Wasser

Tianjin

Lobeshymne auf einen Richter

Die größte Stadt der Welt

Drei Schluchten und zweiunddreißig Turbinen

Zwei Krankenhäuser, die sich um den Gelben Fluss kümmern

Beabsichtigte Überschwemmungen

Greenpeace China

Die Universität der reinen Blumen

VII. Gletscher und Stauseen

Schmelzen die Gletscher?

Braucht man Stauseen?

VIII. Der Jordan ist tot, es lebe die Entsalzung (Israel)

Galiläa und die Golanhöhen

Das traurige Schicksal des Jordan

Entsalzen

Die Universität in der Wüste Negev

In diesem Augenblick denke ich an Herrn Blass

Das Tote Meer

Der Ingenieur Fadel Ka’wash

Die Mauer

Hebron

Am Ende der Reise

IX. Allgemeine Erwärmung und Solidarität im Mittelmeerraum

Globale Erwärmung oder regionale Krisen

Letzte (schlechte) Neuigkeiten von den Tiefenwassern

Algier. Die Große Not

Die Tadla-Ebene

Die katalanische Wüste

X. Einige afrikanische Fragen

Was wird aus dem Tschad-See?

Werden wir bald dem Beispiel des Skarabäus aus Namibia folgen?

Warum haben die Senegalesen nicht genug Reis?

Und wenn wir die Wolken impfen?

Warum muss man dem Wasser immer die Wahrheit sagen? (Eine Geschichte aus dem Nieder-Kongo)

XI. Erholung und Mitleid

Huldigung an den Grand Cru

Bedauern wir die Potomanen!

XII. Öffentliche Regie oder privates Nutzungsrecht?

Die Lektionen aus Lateinamerika

Das Beispiel einer verschuldeten Stadt: Berlin

Ein Wechsel in Paris

Welcher Preis, welche Wasserpreise?

XIII. Die Schule des Teilens

Glücksspiele contra Feldarbeit

Der Alltag eines Wasserparlaments

Lob der Regenwürmer und der dezentralisierten Kooperation

Die schöne Zukunft der Wasserkriege

XIV. An Hunger sterben, an Durst zugrunde gehen?

Eine Leidenschaft für das Grundwasser

Porträt eines Bewässerers

Wasserbedarf

China en miniature

XV. Die Logik des Sushis

Schlussbetrachtung

Anmerkungen

Literaturhinweise

Danke!

Kapitel im Internet

Vorwort

Eines schönen Tages, in vorgerücktem Alter, beschließen Sie, mehr über das Leben erfahren zu wollen. Sie lesen noch einmal die Bibel, Sie lesen den Koran. Sie wagen sich an die indischen Mythen. Verblüfft stellen Sie fest, dass sich alle Anfänge gleichen: Es war einmal das Wasser. Sie erkundigen sich bei den Wissenschaftlern: Diese versichern Ihnen, dass Sie in erster Linie aus Wasser bestehen. Da sagen Sie sich, dass es höchste Zeit sei, dieses Geheimnis zu ergründen. Umso mehr, als Sie Angst überkommt, sobald Sie die Zukunft befragen: Wird er genug Wasser haben, der Planet, der kranke Planet, den ich meinen Kindern hinterlassen werde? Genug Wasser, damit sie trinken und sich waschen können? Genug Wasser, damit die Pflanzen wachsen können, die sie ernähren sollen? Genug Wasser, um zu vermeiden, dass zu all den Gründen, aus denen Krieg geführt wird, der Wassermangel hinzukommt?

Das Besondere an einem Schriftsteller ist, dass er auf die Fragen, die er sich stellt, mit einem Buch antwortet.

Tom Rich, von dem ich nicht viel mehr weiß, als dass er Australier ist, ist der Urheber eines Satzes von großer Weisheit. Dieser Satz hat mich in den zwei Jahren meiner Nachforschungen immer begleitet: «Wenn Sie die Geschichte meines Landes studieren wollen, müssen Sie den Willen zu scheitern (the will to fail) in sich tragen.»

Ohne jeden Zweifel trage ich diesen Willen zu scheitern heimlich in mir.

Wie sollte es einem auch gelingen, dieses Universum im Universum, das Wasser, zu schildern, ohne etwas zu vergessen?

Das Wasser hat mich mitgerissen. Es hat mich zu sehr fasziniert. Ich habe zu viel erfahren, zu viel gesehen, zu viel kennengelernt. Und später habe ich zu viel geschrieben. Mein Manuskript ist monströs geworden. Besorgt um die Wälder, aus denen das Papier kommt, konnte ich unmöglich alles drucken. Da ist mir das Internet zu Hilfe gekommen. Unter www.erik-orsenna.com/blog finden Sie die Seiten, die Ihnen erlauben werden, die Reise fortzusetzen und der Debatte neue Nahrung zuzuführen.

Mein Dank gilt meinem Verleger. Seinem Vertrauen verdanke ich meine Freiheit, die Möglichkeit, dass ich meinen Fragen so weit und so lange nachgehen konnte.

 

 

I. Porträt der Person

 

Die wahre Natur des Wassers 1:Es ist ein Paar

Ich habe Lavoisier an einem Januartag im Jahr 2006, bei sehr schönem, sehr kaltem, sehr trockenem Wetter, auf 66° westlicher Länge und 66° 15′ südlicher Breite getroffen. Unser Schiff, die stolze Ada 2 (Eigentümerin: Isabelle Autissier), bewegte sich langsam durch die Eisberge. Unser Ziel war Marguerite Bay (benannt nach dem Vornamen von Madame Jean-Baptiste Charcot). Und wie immer, wenn ich auf See bin, ließ ich die Karte nicht aus den Augen, zweifellos, um mich zu beruhigen. In der vollkommensten Einsamkeit und begleitet von dem so vielfältigen wie beängstigenden Lärm jeder Schifffahrt im Eis (armer, ständig von den Growlers bedrohter Aluminiumrumpf!) zogen zu unserer Linken die beschneiten Berge des antarktischen Kontinents (Graham-Land) vorbei, während sich zur Rechten eine Insel erstreckte, die von unseren berühmten forschenden Vorgängern «Lavoisier» getauft worden war.

Aber wer war eigentlich dieser Lavoisier? Die Kenntnisse der Mannschaft wurden zusammengetragen, ein mageres Wissen. Abgesehen von dem berühmten Satz, mit dem man seine Hinrichtung gerechtfertigt hatte («Die Revolution braucht keine Gelehrten»), und einigen dunklen Erinnerungen an seine Rolle als «Begründer der modernen Chemie» («Nichts geht verloren, nichts entsteht neu, alles verändert sich») wussten wir kaum etwas.

Ich tauchte in die Offiziersmesse ab, stellte den Computer an und entdeckte mit Hilfe des Internets eine jener Persönlichkeiten, wie sie das 18. Jahrhundert hervorzubringen verstand. Einen jener Männer, die alle beschämen, die heute von sich behaupten, workaholics zu sein.

So erfuhr ich, dass er abwechselnd Rechtsanwalt, Generalpächter (Aktionär einer privaten Gesellschaft zum Einzug indirekter Steuern), Berater eines Generalkontrolleurs der Finanzen (Turgot), Leiter der Salpeter- und Pulverfabriken, Betreiber eines landwirtschaftlichen Guts (1129 Hektar), Ratgeber eines anderen Generalkontrolleurs der Finanzen (Necker), Verfasser von ungefähr hundert Berichten (über die Straßenbeleuchtung, die Reinhaltung der Städte, die Reform des Hôtel-Dieu in Paris, die Schaffung von Schlachthöfen, die Modernisierung der Landwirtschaft, die Verbesserung des Schulwesens …), Verwalter der Diskontokasse, Mitorganisator der Entdeckungsreise von La Perouse usw. usf. war. Parallel dazu war sein Beitrag zur Wissenschaft ebenso vielseitig wie entscheidend: Von seinem ersten Memorandum (über den Gips), das er mit 22 Jahren verfasste, bis zu seinem erbitterten Kampf für die Vereinheitlichung der Maße und Gewichte trug er zum Fortschritt zahlloser Baustellen des Wissens bei, ohne dabei sein großes Werk zu vernachlässigen: die Begründung der modernen Chemie.

Wie könnte man ein eher kurzes Leben besser ausfüllen: 51 Lebensjahre (1743–1794)?

Kurz, Antoine-Laurent de Lavoisier war ein unersättliches Genie. Viel mehr als ein Enzyklopädist war er ein Mann, der an allen Fronten das Wissen vorantrieb, von dem die Encyclopédie zeugt.

Sein Interesse für das Wasser beginnt mit dem Jahr 1768. Kaum in die Akademie der Wissenschaften aufgenommen, beauftragt ihn diese, den von einem Ingenieur, einem gewissen Antoine de Parcieux, entworfenen Plan eines Aquädukts zu begutachten, über den die Pariser sauberes Wasser aus dem Flüsschen Yvette erhalten sollen. Paris wird zu der Zeit nur über die Seine versorgt, die gleichzeitig die Kanalisation ersetzt. Voltaire, der, wie man weiß, zu allem etwas zu sagen hat, schreibt an diesen Antoine, um ihn seiner Unterstützung zu versichern:

«Sie haben vorgeschlagen, den Häusern der Stadt Paris das Wasser zu liefern, das ihnen fehlt, und uns am Ende vor der Schande und der Lächerlichkeit zu retten, jeden Tag den Ruf: ‹Wasserholen!› hören und Frauen sehen zu müssen, die, eingespannt in einen länglichen Reifen, zwei Eimer Wasser, die zusammen dreißig Pfund wiegen, in einen Abtritt in der vierten Etage hinaufschleppen. Erweisen Sie mir die Liebenswürdigkeit, mir zu sagen, wie viele Tiere mit zwei Händen und zwei Beinen es in Frankreich gibt …»

Der Aquädukt sollte 8 Millionen kosten.

Der Plan wurde fallengelassen: Die Obrigkeit zog es vor, die Oper wieder aufzubauen, die gerade abgebrannt war.

Aber Lavoisier hat von jener Studie profitiert, hat weitere Beobachtungen angestellt und neue Methoden der Analyse vorgeschlagen. Seine Schlussfolgerung ist eine politische. Man kann sich, sagt er, wie es heute Mode ist, mit dem Heilwasser beschäftigen. Aber nichts ist wichtiger als die Qualität des Trinkwassers.

«Von ihm hängt tatsächlich die Kraft und die Gesundheit der Bürger ab, und wenn das erstere (das Heilwasser) bisweilen einige wertvolle Köpfe des Staates ins Leben zurückgerufen hat, so erhält letzteres (das Trinkwasser), indem es unausgesetzt die Ordnung und das Gleichgewicht im animalischen Körper wiederherstellt, alle Tage eine wesentlich größere Zahl Menschen am Leben. Die Untersuchung des Mineralwassers im engeren Sinn interessiert also nur einen kleinen, entkräfteten Teil der Gesellschaft. Die Untersuchung des Wassers des täglichen Gebrauchs interessiert die ganze Gesellschaft und besonders jenen tätigen Teil, dessen Arme gleichzeitig die Kraft und den Reichtum eines Staates ausmachen.»

Inmitten des herrlichen Jahrhunderts der Aufklärung wird das Wasser nicht länger zögern, sein Geheimnis preiszugeben. Zu viele Gelehrte setzen ihm mit immer bohrenderen Fragen zu. In nicht allzu weiter Ferne wird es gewiss reden. Wer wird der Erste sein, der sein Geständnis vernimmt?

Henry Cavendish ist ein begüterter englischer Industrieller. Zu seinem Vergnügen untersucht er die «Lüfte», mit anderen Worten: die Gase. Eines Tages, im Jahr 1766, als er Vitriol (Schwefelsäure) auf Eisen gießt, sieht er ein Gas entweichen, das entzündlich ist. Es ist Wasserstoff. Acht Jahre später, 1774, entdecken der Schwede Carl Wilhelm Scheele und der Engländer Joseph Priestley mit wenigen Monaten Abstand den Sauerstoff (die «Lebensluft»).

1781 beobachtet ein anderer Engländer, John Warltire, dass eine Mischung aus Lebensluft und Wasserstoff, durch eine Flamme entzündet, Feuchtigkeit erzeugt.

Priestley bestätigt es, informiert Cavendish, der wiederum Lavoisier informiert. Dieser beschließt, alles andere zu unterbrechen und zusammen mit seinem Freund Laplace das Experiment durchzuführen. Das Ergebnis, das sie am 25. Juni 1783 in der Akademie der Wissenschaften vorlegen, ist eine Revolution:

«Wenn man unter einer Glasglocke etwas weniger als zwei Teile entzündbarer Luft mit einem Teil Lebensluft verbrennt …, wird die Gesamtheit der beiden Lüfte absorbiert, und man findet … eine bestimmte Menge Wasser vor, die dasselbe Gewicht hat wie die beiden Lüfte, die man verwendet hat.»

Entgegen allem Anschein und einem jahrtausendealten Glauben ist das Wasser keine einfache Substanz, sondern das Ergebnis einer Zusammensetzung, der Vereinigung von Wasserstoff und Sauerstoff.

Das Petit Arsenal wurde von Franz I. (1494–1547) im Süden der Bastille erbaut, um dort Pulver herzustellen. Heute zerstört, nahm es ein großes Rechteck ein, das bis zur Seine reichte. Dort haben sich die Lavoisiers eingerichtet. Der Tagesablauf von Antoine-Laurent ist unverrückbar. Fünf Uhr: aufstehen. Von sechs bis neun Uhr: wissenschaftliche Experimente. Von neun bis zwölf Uhr: die Pacht (Finanz- und Steuergeschäfte). Von 14 bis 19 Uhr: Verwaltung der Pulverfabriken und Akademie der Wissenschaften. Von 19 bis 22 Uhr, nach einer leichten Abendmahlzeit: Rückkehr ins Laboratorium … Der Samstag ist ausschließlich den Experimenten vorbehalten: Dies ist sein liebster Tag. Das riesige Laboratorium ist im Dachgeschoss untergebracht. Lavoisier arbeitet dort nicht allein. Zunächst übernimmt seine Frau, Marie-Anne, die Rolle der Sekretäre, auch die der Schreiber. An einem kleinen Tisch sitzend, zeichnet sie die Versuchsanordnungen, notiert die Maße, hält die Ergebnisse fest, sammelt die neuen Anregungen. Um alles verstehen zu können, hat sie sich in die Chemie eingearbeitet. Und um mit den Forschern im Ausland korrespondieren zu können, hat sie Englisch gelernt. Neben einigen Gehilfen und technischen Assistenten sowie ausgesuchten Schülern kommen Wissenschaftler aus ganz Europa, um den Meister arbeiten zu sehen (seine Methoden zu kommentieren und sie, immer misstrauisch, auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen). Lavoisier kennt es nicht anders: Vor diesen nicht immer ruhigen Zuschauern, umgeben von einem ständigen Getöse, führt er seine Arbeiten durch.

Er beschließt, das Experiment von 1783 zu wiederholen und die Ergebnisse dieses Mal genau zu beziffern. Um bei der erneuten Synthese dabei zu sein, herrscht am 27. Februar 1785 großer Andrang: Außer den üblichen Gästen sind nicht weniger als dreißig Gelehrte, Franzosen und Ausländer, da! Keiner will das Ereignis verpassen. Und eine Delegation der englischen Royal Society hat sich selbst eingeladen, nur um mögliche Betrügereien aufzudecken, auf die man in Paris immer gefasst sein muss.

Drei Tage und drei Nächte lang kommen und gehen die Leute, diskutieren und beobachten. Nicht genug, dass Marie-Anne das Experiment Schritt für Schritt protokolliert, sie empfängt und erklärt auch noch, beschwichtigt die Ungeduldigen, entwaffnet die Eifersüchtigen, teilt Frühstück und Abendbrot aus. Sodass die Gäste am Ende nicht nur überzeugt vom Genie Lavoisiers, sondern auch bezaubert von seinem Hauswesen zurückkehren. Arthur Young ist unser Zeuge:

«Ich war erfreut, diesen Mann prächtig untergebracht anzutreffen; allem Anschein nach verfügt er über ein ansehnliches Vermögen. Das bereitet Vergnügen: Die Ämter des Staates können in keine besseren Hände fallen als in die von Männern, die den Überfluss ihres Reichtums so gebrauchen.»

Gehen Sie in diesem Rechteck von Paris spazieren, auch wenn das Petit Arsenal verschwunden ist. Der Genius der Bastille wacht oben auf seiner Säule über Sie. Linker Hand, ordentlich aufgereiht an den Quais eines kleinen Hafens, warten Boote auf höchst unwahrscheinliche Fahrten. Und auf der anderen Seite, mitten zwischen reizlosen Gebäuden, die eine Kaserne der Pariser Gendarmerie überragt, schwebt die Erinnerung an jenes Laboratorium, in dem das Geheimnis des Wassers gelüftet wurde. Jedesmal denke ich wieder an jene Frau, Marie-Anne. 1785 ist sie 27 Jahre alt. Ein Freund ihres Mannes, aus Nemours, verliebt sich auf den ersten Blick in sie: Pierre-Samuel Du Pont. Er ist einer jener jungen Leute, die, um der Nation zu mehr Reichtum zu verhelfen, die französische Volkswirtschaft aus dem Schlaf rütteln wollen: Man nennt sie die Physiokraten. Marie-Anne wird seine Mätresse. Die Liebe ihres Liebhabers wird nie schwinden. Als die Schreckensherrschaft Lavoisier enthauptet, schlägt Pierre-Samuel Marie-Anne vor, zu heiraten. Da sie ablehnt, bricht er verzweifelt in die Vereinigten Staaten von Amerika auf. Er wird dort, nicht ohne Erfolg, Pulver und andere chemische Produkte herstellen: Du Pont de Nemours.

Die wahre Natur des Wassers II:Ein zerstörerisches Paar

Das Paar Sauerstoff – Wasserstoff hält nicht so fest zusammen, wie es scheint. Um genauer (und völlig taktlos) zu sein, der Sauerstoff wird mehr als recht und billig von jenen kleinen, leichtfertigen und negativen Tierchen angezogen, die man Elektronen nennt. Diese Anziehungskraft destabilisiert den Wasserstoff, dessen Neigung sich eher dem Positiven zuwenden würde. Nun weiß jeder, dass ein Paar, bei dem es kriselt, eine Gefahr für alle anderen Paare darstellt. Wenn man einander nicht völlig genügt, widersteht man nicht immer der Versuchung, sich anderswo umzusehen.

Und so kommt es, dass das Wasser, wenn es zum Beispiel auf Salz trifft, die Scheidung der beiden Elemente heraufbeschwört, aus denen dieses zusammengesetzt ist. Das Natrium und das Chlor versuchen zu kämpfen. Aber wie sollen sie Widerstand leisten, wenn die Scheidekraft des Wassers achtzigmal stärker ist als die Anziehungskraft, die sie zusammenhielt? Schritt für Schritt, unaufhaltsam, entfernen sich Natrium und Chlor voneinander. So muss man den Machenschaften dieser guten Freundin, des Wassers, das angeblich so sanft, ja die Unschuld selbst ist, tatenlos zusehen. Um sicher zu gehen, dass die Natriumteile und die Chlorteile nicht mehr miteinander in Kontakt treten, werden sie von kleinen Wassermolekülen umgeben, eines nach dem anderen belagert, so dass sie für immer getrennt bleiben. Die Zusammenballung hat sich im Handumdrehen in eine Gruppe kleiner Inseln verwandelt. Und so, durch Zerstückelung, durch Umzingelung, löst das Wasser das Salz auf. Und Dutzende, Hunderte andere Elemente. Nur wenige, sehr wenige, leisten ihm Widerstand.

Ein einfacher Regen, ein Guss von zehn Millimetern, kann hundert Kilogramm Sand pro Quadratkilometer auflösen …

Die Alchimisten zogen aus dieser Kraft unhaltbare Schlüsse. Aber sie täuschten sich nicht, als sie im Wasser das allgemeine Auflösungsmittel, den Akteur aller «gemischten Körper» sahen. Denn, einmal geschieden, können sich die Elemente anderweitig wieder verbinden.

Das Wasser trennt, es treibt zur Scheidung. Aber nur, um eine bessere Heirat zu ermöglichen: Wechselt den Partner, sagt es, versucht es mit einer anderen Begleiterin, und ihr werdet sehen, euer Leben wird neuen Schwung bekommen.

Die wahre Natur des Wassers III:Schöpferischer Ehrgeiz

Den Wind kenne ich, glauben Sie mir, sehen Sie nur, wie er weht. Jeder Sturm, der sich erhebt, will vor allem zerstören.

Mit dem Wasser ist es etwas anderes. Es trägt den immerwährenden Wunsch in sich, die Welt neu zu gestalten.

Durch seine privilegierte Mittlerrolle vollziehen sich die klimatischen Veränderungen.

Wenn die Temperatur fällt, überzieht sich eine Hälfte der Erde mit Eis.

Wenn sich die Atmosphäre erwärmt, verliert der Regen jedes Maß. Anstatt seine Wohltaten gleichmäßig und friedlich zu verteilen, konzentriert er sich auf bestimmte Regionen und bestimmte Perioden, schafft hier Wüsten und verheert anderswo alles durch unabwendbare Überschwemmungen. Aber man glaube ja nicht, dass er in ruhigeren Zeiten untätig sei. Er arbeitet unablässig. Und vor allem greift er an.

Unter seinem sanften Äußeren ist das Wasser angriffslustig. Es kann nichts dafür, das ist seine Natur. Das Felsgestein ist sein erstes Opfer. Das Wasser löst es mit der Zeit auf.

Aber das Wasser attackiert, wirklich furchterregend, auch unverschämter, direkter. Die Regentropfen und die Flutwellen sind wie Geschosse, die alle Arten von Material sprengen können. Diese ungeheure Kraft des Wassers wird häufig in der Industrie genutzt: Ein dünner Strahl unter sehr hohem Druck kann selbst Stahlplatten zerschneiden.

Ist diese schöne Zerstörungsarbeit beendet, brauchen die Flüsse nur noch die isolierten Teilchen zum Meer zu tragen. Denn das Wasser, nicht damit zufrieden zu zerstören, transportiert auch. Das ist sogar sein bevorzugtes und im übrigen auch notwendiges Spiel: Wenn es die Trümmer nicht wegschaffte, würden sie es daran hindern, neue Felsen anzugreifen.

Wir verdanken dem Wasser den größten Teil unserer Landschaften.

Die wahre Natur des Wassers IV:Eine Materie, die nicht an derselben Stelle bleibt

Die Griechen fragten sich: Die Flüsse fließen unablässig ins Meer. Und trotzdem steigt der Meeresspiegel nicht an. Sie dachten nach und fanden eine einleuchtende Erklärung für dieses Wunder, einen unwiderlegbaren Vernunftschluss: Es ist das Meer, das die Flüsse hervorbringt. Ihre Quellen liegen in ihm! Und das Feuer des Erdinnern entzieht dem Meerwasser das Salz durch Destillation. Auf diese Weise erhält das Meer nur das zurück, was es hergegeben hat.

Wir wissen heute, dass diese schöne Geschichte – leider! – falsch ist. Aber der Gedanke eines Kreislaufs des Wassers war geboren. Die Wissenschaft anderer Völker konnte darauf aufbauen.

Die Griechen hatten es sich zu einfach gemacht. Sie glaubten, das Wasser sei nur eine Sache des Wassers, dabei mischen sich auch noch andere Persönlichkeiten ein: der Himmel, die Sonne und die Pflanzen.

Pierre Perrault hatte einen Bruder mit Vornamen Charles, der Lügenmärchen erzählte: König Blaubart, der kleine Däumling, der gestiefelte Kater …

Pierre war sehr viel ernsthafter, er interessierte sich nur für den Regen. Unermüdlich maß er den Niederschlag, der im Hochtal der Seine fiel. Dann maß er die Wassermenge, die aus diesem Becken abfloss. In einer höchst gelehrten Abhandlung, De l’origine des fontaines (1674), veröffentlichte er das wichtigste Ergebnis seiner Beobachtungen: Wasser war verschwunden. Die Menge, die aus den Wolken fällt, ist viel größer als die Menge, die sich durch die verschiedenen Rinnsale, Bäche und Flüsse ergießt. Wo war das fehlende Wasser geblieben? Das war die entscheidende Frage.

Fassen wir zusammen. Von der Sonne erwärmt, verdunstet das Wasser (vor allem das der Ozeane), und die Pflanzen transpirieren. Der Himmel nimmt diese Ausdünstungen auf und erstattet sie von Zeit zu Zeit zurück: Es regnet.

Rinnsale verschiedener Art entstehen, die die Gewässer anschwellen lassen. Diese verdunsten zum Teil, und zum Teil versorgen sie die Pflanzen mit Wasser, die erneut transpirieren …

Und alles beginnt wieder von vorne.

Auf diese Weise erneuern sich das Wasser der Flüsse und der Dunst in der Luft (in ungefähr zehn Tagen), das Wasser der Meere (in dreitausend Jahren) und das Süßwasser, vor allem das in den Regionen der Pole (in 12.000 Jahren), unaufhörlich. Woraus man einmal mehr ersieht, dass die Natur unzählige Uhren in sich verbirgt.

Seit sie existiert, das heißt seit Hunderten von Millionen Jahren, ist dieser Wasserkreislauf, dem wir das Leben verdanken, immer derselbe geblieben.[1]

Die wahre Natur des Wassers V:Seine Freigebigkeit

Tückisch, gewalttätig, unbeständig …

Aus den bisher erwähnten Eigenschaften könnten Sie schließen, ich hasste das Wasser. Nichts liegt mir ferner! Fasziniert von dieser Persönlichkeit, habe ich mich bemüht, mir meinen Scharfblick zu bewahren. So, wie man sich bei einer zu schönen Frau auf gewisse Fehler konzentriert, wohl wissend, dass man ihr erliegen wird.

Denn nun sind wir im Herzen der Natur des Wassers angelangt: seiner Fähigkeit zu geben.

Wir verdanken ihm nicht nur den Großteil des Stoffs, aus dem wir gemacht sind, es erlaubt diesem Stoff auch, sich zu beleben. Ohne das Wasser wäre die Mechanik, die man Leben nennt, niemals in Gang gekommen, und sie hätte niemals funktioniert.

Lassen wir unseren Hochmut fallen! Groß oder klein, potthässlich oder Doppelgänger von Brad Pitt und Naomi Watts, zu muskulös oder völlig schlaff, platt wie eine Flunder oder drall wie die Bellucci, wir alle bestehen vor allem aus Wasser.

Neugeborene Kinder sind in erster Linie flüssige Wesen: Dreiviertel ihres Körpers besteht aus Wasser. Mit zunehmendem Alter werden wir fester. Ohne jedoch unseren Wasseranteil zu verlieren: Der erwachsene Mann besteht zu 55 Prozent aus Wasser, die Frau nur zu 50 Prozent. Ist dieser Unterschied vielleicht der Grund für die höhere Lebensdauer unserer Lebensgefährtinnen? Das Wasser in unserem Körper ist ungleich verteilt. Manche Organe sind, entgegen allem Anschein, ausschließlich oder fast ausschließlich aus Wasser: die Nieren (81 Prozent), das Herz (79 Prozent), das Gehirn (76 Prozent). Andere sind (ein wenig) trockener, etwa die Haut (70 Prozent). Nur die Knochen widerstehen, mehr oder weniger gut, jener alles beherrschenden Feuchtigkeit. Nicht zu vergessen das Elfenbein der Zähne (1 Prozent).

In unserem Körper ist das Wasser überall. Es findet sich an erster Stelle im Innern der Zellen, wo es eine entscheidende Rolle spielt. Das Wasser hält alle Elemente der komplizierten chemischen Fabrik, die eine Zelle darstellt, zusammen. Es erlaubt deren reibungslosen Gang, es ermöglicht die Reaktionen, den Austausch, die Synthese: Es ist das Medium, das Forum, der Träger der gesamten Kommunikation.

Das Wasser ist auch außerhalb der Zellen gegenwärtig. Sie baden in einer Flüssigkeit, die interstitiell genannt wird. Diese Flüssigkeit kommt aus den winzigen Blutgefäßen, die zwischen den Zellen pulsieren. Die interstitielle Flüssigkeit dringt zunächst in die Zellen ein, um sie zu ernähren, und verlässt sie später mit den Abfallstoffen. Diese kehren teilweise in die Mikroblutkanäle zurück, der Rest wird über ein anderes Netz abtransportiert, das der Lymphe. Interstitielle Flüssigkeit, Blut und Lymphe bestehen fast ausschließlich aus Wasser. Das Wasser kommt und geht durch die Zellmembran. Diesen Vorgang nennt man Osmose. Die Osmose ist die größte Schleuse, die man sich denken kann, und das Wasser ist ihr Akteur.

Schließlich gibt es verschiedene andere Flüssigkeiten, die für uns ebenso unentbehrlich sind: der Urin, die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit, die Gelenkflüssigkeiten, das Augenkammerwasser. Nicht zu vergessen die Tränen. Und nicht zu vergessen die dicken Leitungen voller Blut, die zum Herzen führen und von dort ausgehen … Alle diese Flüssigkeiten bestehen hauptsächlich aus Wasser.

Der Körper speichert kein Wasser. Einmal gebraucht, beseitigt er es.

Dank der Nieren, die das Blut filtern und die Abfallstoffe ausspülen (das ist der Urin).

Dank gewisser Drüsen in der Haut, der sogenannten Schweißdrüsen. Sie entziehen den Blutgefäßen einen Teil des Wassers und scheiden es durch die Poren aus (das ist der Schweiß). Dieser Schweiß erzeugt beim Verdunsten Kühle. Eine wohltuende Regulierung der Körpertemperatur in der warmen Jahreszeit!

Und Dank der Lungen: Beim Ausatmen hauchen wir Luft aus, die Wasserdampf enthält.

Was ist Durst?

Eines der nützlichsten Gefühle.

Der Hypothalamus ist eine zentrale Region des Gehirns, genau zwischen den beiden Gehirnhälften. Er spielt eine entscheidende Rolle für das große Gleichgewicht des Lebens. Dazu verfügt er über Sensoren. Angenommen, sie schlagen Alarm: Die Konzentration des Bluts hat soeben zugenommen. Die Botschaft wird an die Hypophyse (eine Drüse oben im Nacken) weitergegeben. Die Hypophyse reagiert mit der Ausschüttung eines Hormons. Dieses löst das Durstgefühl aus, das einen veranlasst zu trinken. Und das Hormon führt noch zu einer weiteren Reaktion: Es befiehlt den Nieren, weniger Urin auszuscheiden.

Und so, auf doppelte Weise wieder mit Wasser versorgt, erreicht das Blut wieder seine optimale Konzentration.

Die Freigebigkeit des Wassers erstreckt sich auch auf die Vegetation.

Pflanzen bestehen wie wir im Wesentlichen aus Wasser; ein Salatkopf zu 97 Prozent, eine Tomate zu 93 Prozent.

Und auch in den Pflanzen zirkuliert das Wasser. Aber sie haben kein Herz (keine Pumpe). Durch die Transpiration der von der Sonne erwärmten Blätter steigt der Saft (Wasser + Nährstoffe) aus den Wurzeln auf. Wie bei den Menschen kühlt die Transpiration die Pflanze ab.

Diese Verdunstungstranspiration ist der Grund für den großen Wasserbedarf der Pflanzen: Der Kreislauf muss ständig neu versorgt werden.

Das Wasser, das in der Pflanze bleibt, ist an der Photosynthese beteiligt. Mit Hilfe der Energiezufuhr der Sonne und des CO2, das sie aus der Atmosphäre aufnimmt, erzeugt die Pflanze Sauerstoff und stellt die Substanzen her, die sie braucht.

So sorgen die Pflanzen also für Luftfeuchtigkeit: Sie sind ständige Quellen von Wasserdampf. Daher vermindert jede Verkleinerung der Pflanzendecke die Niederschlagsmenge. Die Pflanzen brauchen Wasser. Aber ihr Wasserbedarf ist für uns Menschen eher eine klimatische Partnerschaft als eine Konkurrenz.

Die wahre Natur des Wassers VI:Seine Verbindungen mit der Macht

Ein wahres administratives Blätterteiggebäck, das ganz unten, vor Ort, mit der Landwirtschaftsschule beginnt und ganz oben mit dem Staatsoberhaupt endet, dazwischen die Regionen (42), aufgeteilt unter zwei Wesiren (der eine zuständig für den Norden, der andere für den Süden) …

Der Zentralismus und die Bürokratie des alten Ägypten stehen den modernen Staaten in nichts nach.

Außer dass diese akribische und leidenschaftliche Organisation damals für das jährliche Eintreffen des Hapi im Monat Juli nötig war.

Hapi bedeutet in der althergebrachten Sprache «derjenige, der läuft und sich ausbreitet». Mit anderen Worten, das jährliche Nilhochwasser, die einzige Quelle des ganzen Reichtums in der Wüste, die Ägypten ist und der es praktisch an allem mangelt. Pharao ist ein Abkömmling von Re, dem Sonnengott «der ersten Stunde», und ein Sohn von Osiris, also ein Bote der Götter auf der Erde der Menschen, der Priester, der einzige Vermittler der Ma’at (der Ordnung der Welt). Er regiert über das riesige Doppelland und verkörpert die Einheit von Ober- und Unterägypten. Tatsächlich gehört ihm alles Land. Da er der einzige Erbe des göttlichen Schöpferprinzips ist, liegt seine Hauptverantwortung darin, dieses Land am Leben zu erhalten. Hapi gut zu empfangen, ist seine erste Pflicht. Nichts von dieser Gabe des Himmels zu verlieren. Das heißt, das Wasser zu beherrschen.

Diese Herrschaft bedeutet eine unerbittliche Kontrolle des Bodens (Landvermessung und Kataster) und immer neue Einfälle für die Bewässerung (zum Beispiel wird das Gießen mit Tonkrügen rasch ersetzt durch eine Schöpfmaschine, den Shadouf). In Nubien oder noch weiter südlich, in Richtung Assuan, beobachten Priester und Beamte die Farbe und die Geschwindigkeit des Flusses. Sie benutzen alle Arten von Instrumenten, unter anderem Messlatten, die Nilometer. Sie leiten daraus das Datum der Ankunft und den voraussichtlichen Höchststand des Hochwassers ab.

Sobald diese Informationen gesammelt sind, werden sie an die Büros der Wesire weitergeleitet, die sie an alle davon betroffenen Staatsorgane weitergeben: an die Ingenieure der Deiche, die Maurer, die Maschinenreparateure, die für die Aussaat Verantwortlichen … an ein ganzes Volk, das darauf wartet. Die Militärschiffe, die Überbringer der Neuigkeiten, verlieren keine Zeit. Getrieben von der heftigen Strömung, aber auch von ihren großen Segeln und beschleunigt durch die Notwendigkeit sowie durch kräftige Ruderer, können sie an einem einzigen Tag annähernd 200 Kilometer zurücklegen. Das Sonnenjahr ist zugleich ein Wasserjahr, denn es beginnt um den 18. oder 19. Juli. Zu diesem Zeitpunkt sollen, wenn alles gut geht, zwei Ereignisse zusammenfallen: am Himmel die Ankunft des Sterns Sothis (Sirius) im Sternbild des Großen Hundes; und auf der Erde die Ankunft des Hochwassers.

Dann macht sich der Bauer an die Arbeit, nach einem Gesetz, das sich fünftausend Jahre lang nicht ändert.

Jean-Claude Goyon erzählt von diesen Werken und diesen Tagen:

«Dann kommt die Flut, und es beginnt die erste Jahreszeit des Wassers (Akhet); die unbesäten Ländereien trinken und ernähren sich; das ist die Zeit der Zucht, der Jagd und der Fischerei, überall, wo das Wasser das ungezähmte Leben zur Vermehrung treibt; es ist auch der Augenblick für die großen Arbeiten des Staats. Wenn sich das Wasser zurückzieht (zwischen dem 15. und dem 30. Oktober), kommt die Periode der Aussaat des Getreides (Peret), wo alle Kulturen, die bewässert werden, zu sprießen beginnen. Zwischen März und Mitte Juli schließlich ist die Erntezeit (Shemou) und die gefährlichste Zeit des Jahres, in der alle Übel möglich sind, während man auf den neuen Hapi wartet, den der Stern des Südens ankündigen wird.»[2]

Hapi starb 1965, als der Staudamm von Assuan fertiggestellt war, der ihm für immer den Weg versperrte.

Andere Rhythmen begannen. Die Landwirtschaft musste sich beeilen, wenn sie versuchen wollte, das Bevölkerungswachstum einzuholen.

Die wahre Natur des Wassers VII:Es hat einen breiten Rücken

Das Wasser begnügt sich nicht damit zu tränken – es trägt. Es befreit uns von der Schwerkraft. Ein großer Schleppkahn vermag so viel Waren zu transportieren wie 220 Lastwagen oder 120 Eisenbahnwaggons.

Ich habe mich lange gefragt, warum meine Mutter so gerne schwamm. Im Alter von etwa fünfzig befiel sie eine neurologische Krankheit, das Guillain-Barré-Syndrom. Sie behielt davon partielle Lähmungen zurück, die sie im höheren Alter zunehmend behinderten. Eines Tages hat sie mir die Antwort gegeben. Ihre blauen Augen betrachteten mich spöttisch, wie immer, wenn sie fand, ich sei dumm (was häufig geschah).

«Hast du es nicht erraten? Im Wasser spüre ich meine Handikaps nicht mehr …»

«Wo finden Sie alle diese Dinge?»

Das ist die Frage, die ein Schriftsteller am häufigsten gestellt bekommt. Georges Simenon hätte antworten können:

«Beim Entlangschlendern an den Kanälen.»

1928. Er ist erst 25 Jahre alt, aber sein Leben ist schon angefüllt mit Büchern, die er sehr schnell geschrieben hat, und mit ebenso unterschiedlichen wie leidenschaftlichen Lieben, darunter die zu Josephine Baker. Eines schönen Tages beschließt er, diesem Wirbel zu entkommen. Er kauft die Ginette, ein Boot von vier Metern Länge, angetrieben von einem Motor mit drei Pferdestärken. Und er bricht auf. Seine offizielle Frau, Tigy, begleitet ihn. Im Hotel zu übernachten kam nicht in Frage, sie schliefen auf dem winzigen Boot. Nicht zu vergessen zwei weitere Passagiere, die am Flussufer kampierten: Boule, die dienstbare Mätresse (blond, dicklich und einfach), und Olaf, eine deutsche Dogge. Die Ginette wird, um etwas größerer Bequemlichkeit willen, bald durch die Ostrogoth ersetzt, einen Kutter von zehn Metern Länge. Drei Jahre lang wird das Quartett kreuz und quer durch Europa segeln. Simenon schreibt täglich dutzende von Seiten, mehr recht als schlecht am Quai vertäut.

Auf diesen langsam fließenden und trüben Gewässern begegnet er einem ganzen Volk unwahrscheinlicher, stiller oder umtriebiger Gestalten. Und am Lauf dieser Kanäle, dieser Flüsse, erfindet er einen Beamten, dessen Aufgabe es ist, gewisse mysteriöse Fälle aufzuklären und die Motive für die Gewalt im Leben aufzuspüren, einen griesgrämigen, skeptischen, menschlichen Polizisten: Maigret.

Über den Anfang

Die Ansicht der Religionen

«Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.»[3]

«Und Gott ist es, der die beiden großen Wasser hat zusammenfließen lassen: das eine, das süß ist und frisch schmeckt, und das andere, das salzig ist und brennt (…) und der zwischen beiden eine Schranke (…) gesetzt hat (…) Und er ist es, der aus Wasser einen Menschen geschaffen und ihn (weiter) zu (einer Gemeinschaft von) Bluts- und angeheirateten Verwandten hat werden lassen (…).»[4]

Für die Ägypter beginnt alles mit Nun, dem Urmeer.

Aus dem zurückgehenden Wasser taucht eine Insel auf, halb aus Sand, halb aus Schlamm.

Ein Lebenskeim erscheint. Nach einigen Quellen ist es ein Lotus, nach anderen ein Ei.

Doch eines steht fest, aus diesem Lotus oder diesem Ei geht die erste Gottheit hervor.

Die Veden sind die ersten großen religiösen Textsammlungen Indiens. Im Lauf der Jahrhunderte folgten ihnen zahllose Kommentare, die Brahmanas, die Sutras, die Upanishaden …

«Am Anfang gab es in Wahrheit nur das Wasser. Und die Wasser hegten einen Wunsch: ‹Wie könnten wir in Wahrheit fruchtbar werden?› Sie strengten sich an, sie vermehrten ihre innere Glut, und während sie diese Glut vermehrten, bildete sich in ihnen ein goldenes Ei (…) Daraus wurde ein Wesen geboren. Dieses Wesen war Prajapati, der Herr der Geschöpfe. Deshalb tragen die Frau, die Kuh und die Stute ihre Jungen ein Jahr lang aus. Denn so lange brauchte Prajapati, bis er geboren wurde. Er sprengte das goldene Ei. Es gab damals keinen festen Halt. Daher schwamm das Ei, das ihn trug, bis das Jahr abgelaufen war, im Wasser herum.»[5]

«Am Anfang waren die Seelen alle in einem großen wässrigen Samensee versammelt, in dem sie in vollkommener Glückseligkeit badeten. Dann kam die Zeit, wo der Demiurg diese Seelen dazu verdammte, Fleisch und Blut zu werden, indem er einen Tropfen des Samens entnahm, um ihn dem Bauch einer Frau anzuvertrauen. Die Seelen hatten große Furcht davor, als ahnten sie schon das Unglück der Inkarnation. Um sie zu beruhigen und vor allem um jede Erinnerung an den paradiesischen Zustand aus ihrem Gedächtnis zu löschen, gab Gott den Engeln den Auftrag, die Seelen in ihr neues Schicksal zu begleiten und in dem Augenblick, wenn das Kind das Licht der Welt erblicken würde, über ihm zu wachen, um jede Erinnerung an seinen vorherigen Weg in ihm auszulöschen und ihm auf diese Weise zu ermöglichen, fast blind die Prüfungen seiner Erdenreise zu bestehen.»[6]

Im ausgehenden Mittelalter versuchten die Brüder des freien Geistes, diesen Urzustand, die glückliche Unschuld des Paradieses, wiederzufinden.

Männer und Frauen badeten nackt in reinem Wasser, vereinigten ihre Körper, verbanden sich miteinander und mit der Natur und wiederholten dabei unablässig den Schöpfungsakt.

Die Meinung der Wissenschaft

Es war einmal, vor 13 Milliarden Jahren, eine Gaswolke …

Um diese wahre Geschichte zu erfahren, brauchte ich nicht weit zu reisen. Das Palais des Institut befindet sich am Quai de Conti Nr. 23 in Paris, gegenüber dem Musée du Louvre. Dort ist der Sitz der fünf Akademien, darunter die Akademie der Wissenschaften.

Der Astronom Pierre Léna beobachtet aus Leidenschaft und aus Berufsgründen den Himmel, insbesondere die jungen Sterne, die noch in ihrem Staubkokon stecken. Parallel dazu ist er ungeduldig bestrebt, sein Wissen weiterzugeben. Hinten rechts im dritten Hof empfing er mich in einem kleinen Raum, der für den wissenschaftlichen Unterricht bestimmt ist und neben dem berühmten Bureau des longitudes liegt.