Die Zwillinge vom Plattberg - alex Wittner - E-Book

Die Zwillinge vom Plattberg E-Book

alex Wittner

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Beschreibung

Ein Fantasy-Abenteuer-Buch für Kinder und Jugendliche, die auf der Suche nach Spannung und Abenteuer sind. Die Zwillinge Frida und Fritz Denawin leben auf dem Plattberg. Ein Berg, der vor langer Zeit durch Magie so erschaffen wurde, dass man weder hinunter- noch auf ihn hinaufklettern kann. Als die Zwillinge einen Heißluftballon finden und lernen ihn zu bedienen, fängt ein großes Abenteuer an. Heimlich machen sich die beiden mit dem Heißluftballon auf, um nach Eugenia zu fahren. Dies ist die Hauptstadt des Königreichs Rubini. Schon bald merken die beiden, dass der Heißluftballon magisch ist und sich bald als treuer Gefährte der beiden herausstellt. In Eugenia lernen die beiden die rauen Seiten der Großstadt kennen, bis sie endlich Freunde finden und mit deren Hilfe dem Körnig vorgestellt werden. Ein ganz spezieller Wettkampf gegen den König soll die einzige Chance sein, dass die beiden den König um einen großen Gefallen bitten können. Doch dann kommt alles anders und der König findet ein für die Zwillinge gefährliches Geheimnis heraus. In diesem Moment ändert sich alles und die Zwillinge sind in großer Gefahr, bis sie selbst mehr über dieses Geheimnis erfahren.

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Seitenzahl: 557

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Die Zwillinge vom Plattberg

und König Jakobse der Vielte

von alex Wittner

Danke an Matheo, Hannes und Tom

Vorgeschichte –

Willkommen auf dem Plattberg

Der Plattberg ist ein sehr ungewöhnlicher Berg. Von Weitem sieht er aus wie ein Esstisch. Ein Esstisch mit nur einem Bein in der Mitte. Dieses Bein ist unten am Boden, auf der Erde, sehr breit und wird dann immer schmaler und schmaler. Und nach fast eintausend Metern sieht es so aus, als sei eine riesige Tischplatte auf dieses Tischbein geschraubt worden. Der Plattberg ist sozusagen der größte Tisch der Welt

Aber warum sieht der Plattberg so aus? Das ist eine längere Geschichte. Dazu müssen wir ganz, ganz weit in die Vergangenheit zurück. Wir befinden uns im Königreich Rubini zu Zeiten von Jakobse dem Dritten. Rubini ist ein sehr altes Königreich. Es ist aber nicht nur alt – und zwar sehr alt –, sondern auch groß. Sehr groß. Es erstreckt sich von einem Meer im Süden bis zum anderen Meer im Norden. Im Westen grenzt es an „das große Gebirge“. Und im Osten kommt irgendwann das Land Belatien. Aber das ist weit weg, denn das Königreich Rubini ist wirklich sehr groß.

Jakobse der Dritte war eigentlich ein lieber König. Er kümmerte sich gut um sein Königreich und die Menschen, die dort wohnten. Während seiner Herrschaft gab es keine Kriege, keinen Hunger und die Menschen waren immer gut gelaunt. Darüber freute sich König Jakobse der Dritte. Er freute sich über alles, was so in Rubini los war. Besonders freute er sich, dass er bei den jährlichen Frühlingsspielen in Rubini ungeschlagener Champion war. Die Frühlingsspiele waren eine lange Tradition in Rubini und aus jeder Stadt und jedem Dorf spielte immer ein Bewohner mit. Es gab spannende Disziplinen und Wettkämpfe, die von den Teilnehmern alles abverlangten. Die Wettkämpferinnen und Wettkämpfer mussten in sieben Disziplinen antreten. Da gab es das Nichtschwimmen, das Teebeutelfangen oder auch die Kalte Dusche. Aber dazu kommen wir später. Während der Spiele wurde das ganze Land, vor allem aber die Hauptstadt Eugenia, zu einem riesigen Volksfest. Da gab es tolles Essen aus allen Ecken und Winkeln des Königreiches. An den verschiedensten Ständen konnte man sich Fischflossen aus dem Süden, Rigputzel aus dem Westen, blaue Melonenkerne aus dem Osten oder Honigwürste aus dem Norden kaufen. Überall roch es nach den bekannten und unbekannten Speisen und Getränken. Überall kroch ein anderer leckerer, unbekannter oder auch unangenehmer Geruch um die Ecke. Viele Besucher mussten nach den Frühlingsspielen eine Woche warten, bis ihre Nase sich wieder an das normale Leben gewöhnt hatte. Aber das war natürlich noch nicht alles. An jeder Ecke gab es Konzerte und Theater, Spielereien für die Kinder und überall etwas zum Staunen, Anfassen und Ausprobieren. Das ganze Land freute sich immer auf die Frühlingsspiele. Es war stets ein großes „Hallo“ und „Toll, du auch hier“ und die Menschen haben sich geherzt und gedrückt und jeder hatte Spaß. Vor allem Jakobse der Dritte hatte immer Spaß. Das lag natürlich daran, dass er die Frühlingsspiele immer gewann. Das war auch gut so. Es sprach zwar nie jemand darüber, aber alle Bewohner von Rubini wussten, dass es besser war, wenn Jakobse der Dritte die Frühlingsspiele gewann. Dann war er ein Jahr lang glücklich und der beste König, den sich die Bewohner von Rubini nur wünschen konnten. Aus diesem Grund versuchte natürlich auch nie jemand ernsthaft, zu gewinnen. Im Gegenteil. Es gab die heimliche Regel, dass der zweite Platz die inoffizielle Nummer eins ist. Man musste also besser sein als alle anderen, aber gleichzeitig ein bisschen schlechter als der König. Das war gar nicht so einfach. Aber so hatte es über viele Jahre immer gut geklappt.

Es gab also sieben Spiele an den sieben Tagen der Frühlingsspielewoche. Und bei jedem Spiel konnte man Punkte sammeln. Diese Spiele waren ganz unterschiedlich. Da musste man ganz ruhig sein können und auch mal ganz schnell. Man musste sehr geschickt sein und auch eine ganze Menge essen können. Wer also die Frühlingsspiele von Rubini gewinnen wollte, musste wirklich so einiges draufhaben. Und in der Vergangenheit gab es wirklich tolle und spannende Wettkämpfe.

Damals, also vor vielen, vielen Jahren, fanden wieder die Frühlingsspiele statt. Es war spannend und alle Teilnehmer kämpften verbissen um die vordersten Plätze. Am Montag, dem ersten Tag der Frühlingsspiele stand traditionell das Nicht-Schwimmen auf dem Programm. Beim Nicht-Schwimmen geht es darum, nicht zu schwimmen. Das war gar nicht so leicht. Die Teilnehmer lagen alle im See, durften aber nicht schwimmen. Das klingt erst einmal einfach. Aber das ist es nicht. Man muss nämlich ganz schön lange aushalten. Und König Jakobse der Dritte war der beste Nicht-Schwimmer aller Zeiten. Der konnte stundenlang im Fluss liegen und nicht schwimmen. So war es auch nicht anders zu erwarten und tatsächlich gewann Jakobse der Dritte und da war er natürlich bester Laune. Er musste auch gar nicht jeden Tag gewinnen, solange er zum Schluss den Sieg für sich beanspruchen konnte. Wie gesagt. Dann war alles gut. Am Dienstag stand das Wettessen auf dem Programm. Das Wettessen war einer der aufwändigsten Wettbewerbe. In Eugenia, der Hauptstadt von Rubini, gab es zwei Meisterköche, die das ganze Jahr über das Wettessen bei den Frühlingsspielen vorbereiteten. Es gab immer zwei Spezialitäten, die die Teilnehmer so schnell wie möglich essen mussten. Sie hatten dafür fünf Minuten Zeit und je mehr sie aßen, desto mehr Punkte gab es. Der eine Meisterkoch war der schleimige Schlappi. Seine Aufgabe war es, die Schneckenwürstchen vorzubereiten. Das war gar nicht so einfach. Denn man musste sehr viel Geduld haben. Im Frühsommer mussten Holzwürste vom Gabor-Baum geerntet werden. Diese Holzwürste waren die Früchte des Gabor-Baumes. So wie die Äpfel beim Apfelbaum oder die Birnen beim Birnenbaum. Natürlich mussten immer sehr viele Holzwürste geerntet werde. Denn es wurden sehr viele bei den Frühlingsspielen verputzt. Aber natürlich kann man Holzwürste nicht pur essen. Sie müssen erst noch in Glupfschneckenschleim eingelegt werden. Dafür hatte der schleimige Schlappi Glupfschnecken als Haustiere. Die setzte er auf die Holzwürste und dann rannten oder krochen die Schnecken mit ihrer Schleimspur über ein Würstchen und dann zum nächsten Würstchen und dann zum nächsten Würstchen und so weiter. Das ging immer ein Jahr lang so, bis die Holzwürstchen voll mit Schleim waren. Dann waren sie richtig lecker. Man musste natürlich aufpassen, dass einem die schleimigen Würstchen nicht aus der Hand flutschten, aber wenn sie mal im Mund waren, dann war das ein Genuss. Jedes verdrückte Würstchen gab beim Wettessen fünf Punkte. Der zweite Meisterkoch damals hieß Windy Buff. Auch er hatte das ganze Jahr an seiner Spezialität gearbeitet: Schweinepupsbeutel. Die waren richtig lecker. Es war eine Süßspeise mit herzhaftem Inneren und man muss schon ein sehr erfahrener Koch sein, um sie herzustellen. Zunächst macht man dafür einen süßen Fladen aus Milch, Eiern, Mehl und Zucker. Dann wird es kompliziert. Denn nun muss in diesen Fladen ein Schweinepups reingelassen werden. Aber wie geht das? Erst einmal muss das Schwein ordentlich pupsen. Dafür gibt es immer viele Zwiebeln und Kohl für die Schweine zu essen. Dann muss der Koch im richtigen Moment hinter dem Schwein stehen. Und schnell muss der Koch sein, um den besten Pups mit dem Fladen aufzufangen. Gar nicht einfach, denn bei dem Gestank wurde dem Windy Buff oft ganz schlecht. Aber wenn der Pups gefangen und der Schweinepupsbeutel im Ofen gebraten war, dann schmeckte das vorzüglich. Und beim Wettbewerb gab jeder Beutel ganze drei Punkte. Der Rekord beim Wettessen lag übrigens bei 211 Punkten. Der dicke Vincent aß damals ganze 32 schleimige Holzwürste und 17 Schweinepupsbeutel. Eine unglaubliche Leistung.

Auch in diesem Jahr war das Wettessen ein spannender Wettbewerb. Der Stadionsprecher kommt bei dieser Disziplin kaum zur Ruhe. Beim Nicht-Schwimmen ist es anders, denn da muss der Sprecher kommentieren, das nichts passiert. Aber beim Wettessen geht es immer ab. Gerade als der große Gustav dran war, hatte er richtig viel zu tun. Denn Gustav war kurz davor, den ewigen Rekord des dicken Vincents zu brechen. Und der Stadionsprecher war außer sich.

„Meine Damen und Herren, wir sind kurz davor, einen historischen Moment zu erleben. Wir alle dachten, dass der dicke Vincent niemals geschlagen werden kann. Aber jetzt schauen Sie sich bitte diesen Gustav an. Er hat schon 27 schleimige Holzwürstchen intus. Und der macht das ganz locker. Ja, brat mir doch einer einen Storch. Der Typ isst hier nicht einfach nur den Schweinepupsbeutel Nummer 22. Nein, der Typ ist so cool wie katanisches Bratenfett. Der wirft sich die Beutel ganz lässig in den Mund wie beim Teebeutelfangen. Ja, spinn ich denn? Jetzt fehlen ihm nur noch zwei Würstchen und der Rekord ist eingestellt. Ich komm nicht klar. Und da hat er schon das Holzwürstchen in der Hand und er schiebt es sich mit einem Lächeln in den Mund. Meine Damen und Herren, sperren Sie die Speisekammer zu, Ihr Essen ist in Gefahr und ich muss Ihnen … Oh, was ist das? Der große Gustav verdreht die Augen. Oh nein, ich glaube, es passiert. Oh nein, ja, es passiert. Oh, der Gustav …“

Sparen wir uns das. Gustav hat den ganzen Tisch vor sich vollgekotzt. Neun der Würstchen sahen noch genauso aus wie vor dem Essen. Der große Gustav hatte nicht einmal abgebissen. Und er hat nicht nur den Tisch vollgekotzt, sondern auch seine beiden Gegner links und rechts von sich. Nur mit größter Anstrengung gab es keine Kettenreaktion, bei der alle im Wettbewerb kotzen mussten. Das war knapp. Und schleimig war es auch, weil die Würstchen ja voller Schneckenschleim waren. Ein Schiedsrichter rutschte sogar aus und legte sich der Länge nach hin. Aber Gustav war raus. Und so machte Maria aus Lohnke hier den ersten Platz. Sie erreichte 172 Punkte. Wow, das war wirklich auch eine Meisterleistung, wenn man bedenkt, dass sie alles bei sich behalten hat. Das ganze große Stadion jubelte und feierte Maria mit Sprechchören: „Gebt Maria mehr zu essen, sie lässt auch Gustav schnell vergessen.“ So schallte es von den begeisterten Rängen. Am Mittwoch war das Briefträgerrennen. Das ist ein Spaß in der ganzen Hauptstadt. Jeder Teilnehmer bekommt zehn Briefe, die ausgeteilt werden müssen. Der Kniff ist aber, dass die Briefe direkt an die Empfänger ausgegeben werden müssen und nicht in den entsprechenden Briefkasten dürfen. Was dann passiert, kann man sich vorstellen. Die ganze Stadt wird zu einem großen Fangenspiel. Die Teilnehmer rennen durch die Stadt und müssen die Empfänger der Briefe finden. Gar nicht so einfach für die Leute, die nicht jeden in Eugenia kennen. Das ist ein Gewusel und Gerenne und ein fürchterliches Chaos. Hier hatte der König immer einen großen Vorteil, da er schon alle Leute in der Hauptstadt kannte. Er war der König und schien sich wirklich jedes Gesicht in der Stadt merken zu können. Anders war es nicht zu erklären, dass er bei diesem Spiel immer sofort wusste, nach wem er suchen musste. Aber die richtigen Empfänger musste auch der König dann erst einmal finden. Um hier keinen Nachteil zu haben, kamen viele Teilnehmer schon extra früh nach Eugenia, um für dieses Spiel möglichst viele Menschen kennenzulernen. Aber trotzdem. Jakobse der Dritte gewann auch dabei und die letzten Briefe wurden sogar erst kurz vor Mitternacht verteilt. Es war ein aufregender Tag, alle Bewohner der Hauptstadt hatten Spaß und das Gelache und Gesinge ging noch bis spät in die Nacht. Aus diesem Grund war der Donnerstag traditionell immer ein recht ruhiger Tag. Da stand Teebeutelfangen auf dem Programm. Nachdem die Teilnehmer einen Tee getrunken haben, müssen sie den Teebeutel so hoch wie möglich in die Luft werfen. Wer den Beutel am höchsten wirft, bekommt die meisten Punkte. Aber, und das ist die Schwierigkeit, nur wenn der Teebeutel mit dem Kopf gefangen wird, zählt die Höhe. Da gibt es die verrücktesten Techniken. Der flinke Simon hatte früher die Bisstechnik. Er wartete, bis der Teebeutel an ihm vorbeigeflogen war, und schnappte dann ganz schnell nach der kleinen dünnen Schnur. Das war nicht einfach, sah aber immer sehr spektakulär aus. Die wirbelnde Carmen hatte immer ihren Kopf mit ihren langen Haaren so schnell rumgewirbelt, dass der Teebeutel sich in den Haaren verfing. Das hatte immer geklappt, bis sie mit ihren Haaren einmal aus Versehen noch drei weitere Teebeutel fing. Da wurde sie disqualifiziert. Die meisten Leute fangen den Teebeutel aber mit ihrer Stirn oder mit der Wange, wenn sie den Kopf schräg halten. Übrigens kommt daher auch die Redewendung zu Babys mit einer langen Stirn: „Der fängt später mal mit der Stirn.“ Das Teebeutelfangen ging in diesem Jahr klar an den langen Gunnar und alle im Stadion raunten sich zu: „Der hat aber auch eine Stirn.“ Am Freitag wurde dann Trinken gespielt. Das ist anstrengend. Ziel ist es natürlich, so viel Wasser wie möglich zu trinken. Dabei darf man aber nicht absetzen. Wer einmal angefangen hat, zu trinken, der trinkt und trinkt und trinkt. Auch hier war der Stadionsprecher wieder ganz aus dem Häuschen.

„Sehen Sie hier, mit der Startnummer 34 steht der irre Jeckel. Er ist schon bei 11 Litern Wasser und scheint noch eine ganze Weile weitersaufen zu wollen. Ja, sag mal, will der nachher noch in die Wüste laufen? Bei dem läuft es. Und er trinkt einfach immer weiter. Das können Sie noch Ihren Enkeln erzählen. Der irre Jeckel ist bei zwölf Litern angekommen. Noch zwei Liter und er hat den ewigen Rekord gebrochen. Was ist denn hier dieses Jahr los? Und ich muss meine Frage wiederholen: Wo macht der irre Jeckel das alles hin? Oh. Oh. Jetzt weiß ich es. Er macht es in die Hose. Freunde, haltet euren Frauen die Augen zu. Das will keine Lady sehen. Der irre Jeckel lässt wirklich durchlaufen. Jeder Tropfen, den er oben reinschüttet, geht gerade unten wieder raus. Oh nein, der Kerl pisst sich voll und ich glaube, der merkt das nicht einmal. Was ist denn da los? Nein, lieber Jeckel, du bist raus. Das muss schon alles drinbleiben und die Stoffhose zählt nicht als Körper. Da sind die Regeln knallhart. Schauen wir mal bei Jockel vorbei. Der ist auch recht weit vorne.“

Tja, und so war es damals auch. Der irre Jeckel wurde leider disqualifiziert und Jockel, sein Cousin aus dem Nachbardorf, gewann mit 11,4 Litern Wasser. Viele Leute im Publikum erzählten sich, dass die beiden gemeinsam trainiert hätten und alle Seen und Bäche in der Umgebung ihrer Dörfer jetzt leergetrunken wären. Am Samstag stand Murchel-Werfen auf dem Programm. Murcheln waren sehr kleine schwarzgefiederte rubinische Vögel, die Winterschlaf hielten. Aus diesem Winterschlaf wachten sie immer erst ein paar Tage nach den Frühlingsspielen auf. Davor schliefen sie tief und fest und nahmen dabei eine besonders windschnittige Figur ein. Man konnte sie also toll werfen. Beim Murchel-Werfen wurden ganz viele kleine Ringe in einer Reihe hintereinander aufgestellt. Für jeden Ring, durch den man die Murchel geworfen hatte, bekam man fünf Punkte. Das Publikum und die Wettkämpfer waren wie immer bei diesem Wettbewerb sehr aufgeregt. Es machte immer einen Riesenspaß und jeder Wettkämpfer freute sich, wenn er endlich dran war. Auch der stille Jörn hätte sich gefreut, wenn er drangekommen wäre. Aber er musste bis zum Schluss warten. Er hatte die letzte Startnummer gezogen und dann wurde er von Minute zu Minute nervöser und seine Hände waren total verschwitzt. Immer wieder flutschte ihm die Murchel aus der Hand. Das war dem stillen Jörn peinlich und er wollte nicht, dass das jemand sah. Deshalb steckte er die Murchel in seine Hosentasche, bis er endlich dran war. Was er allerdings nicht wusste, war, dass seine Murchel durch die Wärme in seiner Hosentasche langsam aus dem Winterschlaf aufwachte. Als er endlich dran war, war sein kleiner Vogel fast wach. Das alles aber hatte niemand bemerkt. Der stille Jörn auch nicht und so schritt er zur Abwurflinie und schleuderte seine Murchel so gut er konnte in Richtung des ersten Ringes. Doch in diesem Moment war die Murchel bereits hellwach und flog in ihrer Panik einfach immer weiter. Sie wusste nicht, warum sie nicht wie in all den Jahren davor in ihrem Nest aufgewacht war. Also dachte sie nur: „Einfach weg hier und weiterfliegen. Das wird schon irgendwie richtig sein.“ So hat der stille Jörn ganz unbeabsichtigt den besten Wurf aller Zeiten vollbracht. Seine Murchel flog durch alle Ringe. Das ging so schnell, dass niemand merkte, dass die Murchel selbst geflogen war. Alle Zuschauer konnten nur einen schnellen dunklen Schatten durch die Ringe fliegen sehen. Somit zählte der Wurf und der stille Jörn war plötzlich ganz vorne im gesamten Wettbewerb.

Und dann kam der entscheidende Sonntag. Es war ein knappes Rennen. So spannend waren die Frühjahrsspiele wohl noch nie gewesen. Ganz knapp war Jakobse der Dritte vorne. Dicht gefolgt von Maria aus Lohnke, dem kleinen Jockel, dem stillen Jörn und der knalligen Paula. Bei der knalligen Paula wusste niemand so genau, ob der Name von ihren knallig roten Haaren kam oder daher, dass sie doch etwas durchgeknallt war. Aber das machte nichts. Sie war verrückt auf eine lustige Art. Jeder mochte Paula. Das Spiel am Sonntag hieß „Kalte Dusche“. Alle Teilnehmer stehen dabei unter einer Dusche und die Wassertemperatur wird von Minute zu Minute kälter. Das war natürlich kein leichtes Spiel, aber die Teilnehmer hatten im Winter viel trainiert und sind in eiskaltem Wasser baden gegangen. Minute für Minute schieden immer mehr Teilnehmer aus. Das geht ganz einfach. Wenn es doch zu kalt wird, steigt man einfach aus der Dusche raus und wer es am längsten unter der kalten Dusche aushält, der hat die beste Zeit, die meisten Punkte und gewinnt das Spiel. Zum Schluss, und da war es schon bibberkalt unter den Duschen, standen noch König Jakobse der Dritte, die knallige Paula und der stille Jörn unter der Dusche. Paula und Jörn kämpften nun um den zweiten Platz, denn jeder wusste, dass der König den ersten Platz gewinnen sollte. Und als der König es dann nicht mehr aushielt, da ging er aus der Dusche raus. Da war die Dusche schon so kalt, dass fast Eiswürfel aus der Dusche getropft wären. Paula sah, dass der König aufgab, und hüpfte ganz schnell auch aus der Dusche. So konnte sie sicherstellen, dass Jakobse der Dritte weiterhin mehr Punkte hatte als sie. Auch der stille Jörn wollte sofort aufgeben. Dann hätte der König gewonnen und alles wäre gut ausgegangen. Aber es passierte etwas Schreckliches. Der stille Jörn bekam die Duschtür nicht auf. Er rüttelte an der Tür, während die Dusche noch lief. Inzwischen tropften tatsächlich nur noch Eiszapfen aus der Dusche. Das war so bitterkalt und Jörn wollte wirklich raus und vor allem wollte er, dass der König gewinnt. Aber die Kabine ging einfach nicht auf und während der König schon den warmen Bademantel anhatte, kämpfte Jörn noch mit der Tür. Dann schaffte er es endlich und Jörn fiel durch die Tür auf den Boden vor der Dusche. Endlich, dachte der stille Jörn und freute sich, als auch ihm ein Bademantel gegeben wurde. Aber das schreckliche Ende konnte nicht mehr verhindert werden. Der stille Jörn hat damals die Frühlingsspiele gewonnen. Er war einfach zu lang unter der Dusche gewesen. Er konnte zwar wegen der Duschtür nichts dafür, aber er hatte damit den König nach Punkten überholt. Es tat dem stillen Jörn unendlich leid, aber es war passiert. König Jakobse der Dritte hatte zum ersten Mal die Frühlingsspiele verloren. Er gratulierte dem stillen Jörn zu seinem Sieg und er beglückwünschte auch den Bürgermeister von Jörns Dorf und versprach dem ganzen Dorf eine besondere Belohnung. Die Menschen im Stadion waren sehr erleichtert, da sie Angst gehabt hatten, wie der König wohl reagieren würde. Den ganzen Abend feierten das Stadion und die ganze Stadt den stillen Jörn und die auch in diesem Jahr wieder tollen und spannenden Frühlingsspiele.

Das klingt alles gut, doch das war es überhaupt nicht. König Jakobse der Dritte war sauer. Das zeigte er erst niemandem. Aber als er in seinen privaten Gemächern allein war, ist er richtig durchgedreht. Wie konnte dieser dumme stille Jörn es wagen, gegen ihn, den unbesiegten König Jakobse der Dritte zu gewinnen? Das ging nicht. Der König nahm sein Zepter und zerschlug alle seine sechzehn bisher gewonnenen Pokale. Er zerschlug die Glasvitrine und stürzte sie um. Er schrie und schrie. Dann trat er zwei Stühle kaputt und warf sie aus dem Fenster. Oder besser gesagt, er warf die Stuhlreste durch das Fenster. Er konnte nicht aufhören, zu schreien, und nachdem er nach einer halben Stunde sein ganzes Zimmer zerstört hatte, setzte er sich auf den Boden und schmiedete einen bösen Racheplan. Der stille Jörn und sein ganzes Dorf sollten nie wieder an Frühlingsspielen teilnehmen können. Glücklich sollten sie auch nicht mehr sein. Er würde sie verbannen. Und niemand würde mitbekommen, wie sauer der König war. Alle würden weiterhin glauben, dass der König lieb zu allen war. Diesen Plan würde er ganz heimlich umsetzen. Also rief König Jakobse der Dritte seine treuesten Minister zusammen, damit der Plan sofort in die Tat umgesetzt werden konnte. Am nächsten Tag ließ er den Bürgermeister und den stillen Jörn zu sich kommen. Er erklärte ihnen seinen Plan.

„Ich hatte euch versprochen, dass ich eine ganz besondere Belohnung für euch und euer Dorf habe“, fing König Jakobse der Dritte an. „Deshalb habe ich mir überlegt, dass ihr mit dem gesamten Dorf umziehen dürft. Ich errichte euch ein Denkmal auf einem riesigen Berg. Jörn, da du beim Essen und Trinken so gut warst, habe ich mir überlegt, dass euer neues Zuhause wie ein riesiger Tisch aussehen soll. Ich habe bereits veranlasst, dass alles für euch vorbereitet wird.“

Der Bürgermeister zwirbelte an seinem grauen Bart und wusste nicht, was er sagen sollte. „Ihr wollt uns aus unserem Dorf verbannen?“, fragte er etwas ungläubig und schockiert. Der stille Jörn war still. Er schien sich zu schämen.

Der König grinste den Bürgermeister an. „Was heißt denn hier verbannen? Ihr bekommt einen eigenen wundervollen Berg, auf dem euer Dorf ab sofort wohnen kann. Gut, ihr habt nicht mehr so viel mit den anderen Dörfern zu tun, aber ihr habt euch einen eigenen Berg doch bestimmt schon immer gewünscht, oder? Die besten Handwerker arbeiten bereits an eurem neuen Zuhause. Am besten brecht ihr direkt auf, damit ihr so schnell wie möglich mit Sack und Pack umziehen könnt. So, da ihr jetzt wohl kaum noch eine Frage habt oder noch etwas melden wollt, würde ich sagen, dass ihr jetzt ganz schnell eure Sachen packt und verschwindet. Das war’s.“

Grimmig lächelnd zeigte der König zur Tür und der Bürgermeister und der stille Jörn schlichen nach draußen. Der stille Jörn flüsterte leise zum Bürgermeister, wie sehr ihm das alles leidtue und dass er diese verdammte Tür einfach nicht hatte öffnen können. Der Bürgermeister nahm Jörn in den Arm und sagte, dass alles in Ordnung sei. Er könne nichts dafür und als Dorf halte man zusammen. Nun musste also das gesamte Dorf die Sachen packen und umziehen. Es dauerte einige Tage, bis das ganze Dorf alles gepackt hatte. Jede Familie packte Taschen, Körbe und Kisten mit Kleidung, Küchenutensilien, Schränken, Bettzeug und alles, was sie in ihren Häusern hatten, ein. Dazu kamen Handwerkszeug und was die Leute alles für ihre Arbeit brauchten, die Medikamente der Ärztin, die Bücher des Lehrers und die Tiere der drei Bauernhöfe. Dann dauerte es noch einige Wochen, bis das ganze Dorf in einer langen Karawane durch das Königreich gefahren und gelaufen war.

Die letzten zwei Tage lief die Dorfgemeinschaft durch eine riesige Grasebene. Es sah so aus, als würde das Grün des Grases niemals enden. Irgendwann konnten die Dorfbewohner dann endlich am Horizont den Plattberg sehen. Das ganze Dorf kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Vor ihnen ragte ein Bergmassiv aus dem Boden und in ungefähr tausend Metern Höhe sahen die Dorfbewohner eine riesige flache Platte, wie bei einem Tisch. Am Rand des riesigen Tischbeins wand sich ein schmaler Pfad schlängelnd nach oben. Das war der Weg, den die Dorfbewohner hochwandern sollten. Diese Wanderung würde einige Stunden dauern. Also beschloss der Bürgermeister, dass das Dorf hier erst einmal übernachten solle und es am nächsten Tag für alle gemeinsam gleich bei Sonnenaufgang losgehe. Die Dorfbewohner schauten etwas traurig nach oben. Der stille Jörn war nun noch stiller als sonst. Es tat ihm so leid, was er seinem ganzen Dorf, seiner Familie und seinen Freunden angetan hatte. Aber alle kamen zu ihm, klopften ihm auf die Schulter und versprachen ihm, dass sie nicht sauer seien. Und sie meinten es auch so.

Am nächsten Morgen ging es bei Sonnenaufgang los und das ganze Dorf stieg auf den Plattberg hoch. Gegen Mittag war das ganze Dorf oben auf dem Plattberg und der Bürgermeister wurde von einem Beamten von Rubini empfangen. Der Beamte war ein kleiner Mann mit einer Glatze. Er trug eine sehr kleine Brille, hatte einen grauen Anzug an und hielt einen Aktenkoffer in der einen und einen Notizblock in der anderen Hand.

„Willkommen auf dem Plattberg, Herr Bürgermeister“, begann er grinsend. „Ich erkläre Ihnen jetzt alles, was Sie wissen müssen. Passen Sie gut auf.“

Er zeigte dem Bürgermeister das Dorf mit den Häusern, die extra gebaut worden waren. In dem Dorf gab es eine Hauptstraße, an der die ganzen Häuser standen. Es war alles so gebaut, dass die Dorfbewohner direkt in ihren Berufen weiterarbeiten konnten. Es gab eine Bäckerei, ein kleines Schulgebäude, ein Haus für die Ärztin des Dorfes, drei Bauernhöfe und so weiter. Alle Dorfbewohner wussten sofort, wo sie wohnen würden. Dann zeigte der Beamte dem Bürgermeister den glitzernden See und die Wiesen und Felder und den dunklen Wald. Sie schauten sich den ganzen Plattberg an. Vorsichtig zeigte er auch den Rand des Plattberges. Hier muss man natürlich sehr gut aufpassen, da es von hier eintausend Meter in die Tiefe geht. Die Dorfbewohner würden sich fernhalten müssen von den Rändern des Berges. Der Beamte zeigte dem Bürgermeister ganz genau, wie alles funktioniert, und machte auf seinem Notizbock immer wieder kleine Anmerkungen, um sicherzustellen, dass er auch wirklich alles Wichtige gezeigt hatte. Der Bürgermeister war nach dieser langen Führung ganz erschöpft und wollte nur noch eins wissen. Er fragte den Beamten, ob sie noch Kontakt zur Außenwelt haben dürften, ob sie noch Handel betreiben könnten und wie sie zum Beispiel an Medikamente rankommen würden. Da nahm der Beamte den Bürgermeister mit. Er führte ihn zu einem kleinen Haus in der Mitte des Berges. Genau über dem Tischbein. Sie gingen in das Haus und der Bürgermeister machte große Augen. Der Beamte erklärte dem Bürgermeister, was er da sah:

„So Herr Bürgermeister. Dies ist ein Aufzug. Hiermit können einmal im Monat Geräte, Medikamente, Nahrungsmittel und einzelne Dinge transportierte werden, die die Dorfbewohner nicht selbst herstellen können. Sollte es neue Erfindungen geben, werden König Jakobse der Dritte und seine Nachfolger natürlich auch stets dafür sorgen, dass das Dorf versorgt ist. Das wäre sonst sehr unfair und unfair ist der König sicher nicht.“ Der Beamte machte eine kurze Pause und fuhr dann fort. „Allerdings dürfen Ihre Dorfbewohner oder Gäste natürlich nicht mit dem Aufzug fahren. Das ist selbstverständlich verboten. Aber das verstehen Sie sicherlich, oder?“

Niedergeschlagen antwortete der Bürgermeister: „Oh je, das ist doch schrecklich, dass der König ein ganzes Dorf in eine Art Gefängnis steckt, nur weil der stelle Jörn aus Versehen die Frühlingsspiele gewonnen hat.“

„Oh nein, lieber Bürgermeister. Das sehen Sie ganz falsch. Dies ist kein Gefängnis, sondern ein Exil und das ist nun einmal etwas ganz anderes. Sie müssen das einmal so sehen: Der gute König Jakobse der Dritte ist so nett und schenkt euch ein wunderschönes Stück Land zum Leben. Sie sollten etwas dankbarer sein.“

Verzweifelt blickte der Bürgermeister auf den kleinen grinsenden Beamten hinab. „Und was ist mit den Menschen, die in der Nähe unseres alten Dorfes wohnen? Die werden sich wundern, dass unser Dorf plötzlich leer ist.“

Da lachte der Beamte in sich hinein. „Welches Dorf meinen Sie?“ Er zuckte kurz mit den Schultern und sagte dann. „Tja, Ihr altes Dorf gibt es nicht mehr. Das wurde schon längst dem Erdboden gleich gemacht. Niemand wird jemals wieder über Ihr altes Dorf sprechen.“ Der Beamte schaute noch einmal auf seinen Notizblock, schrieb etwas auf und steckte den Notizblock mit einem zufriedenen Grinsen in seinen Aktenkoffer. Dann gab er dem Bürgermeister die Hand und ging den Schlangenweg nach unten auf die Ebene hinab.

Nach einer Weile kam einer der Dorfbewohner zum Bürgermeister und fragte: „Ist das jetzt für immer unser Gefängnis? Stellen die da unten jetzt Wachen auf, damit wir den Weg nicht einfach wieder bergab hinunterlaufen?“

In diesem Moment gab es einen riesigen Knall. Es blitzte um den gesamten Plattberg herum. Aber das waren keine Gewitterblitze. Es waren blaue und rote, grüne und rosafarbene Blitze und sie flackerten um den ganzen Berg herum. Am meisten – das konnte man zwar nicht so gut sehen, aber das Schimmern war sehr stark – blitzte es unter der Platte des Plattberges. Es krachte und donnerte, doch nach einer kurzen Minute war es wieder still. Vor lauter Schreck war der Mann in die Arme des Bürgermeisters gesprungen und hatte sich an ihm festgeklammert. Langsam lösten sich die beiden nun zitternd aus der Umarmung. Mit weichen Knien schauten sie sich um und sahen, dass alle Dorfbewohner verängstigt zum Bürgermeister blickten.

„Was war das?“, rief eine Frau.

Ganz bleich im Gesicht stützte sich der Bürgermeister an einer Hauswand ab und erklärte seinen Dorfbewohnern, was er vermutete. „König Jakobse hat den Ausgang mit Magie verschlossen. Jetzt kommen wir hier nie wieder weg. Der Schlangenweg ist nicht mehr da und runterspringen können wir wohl auch nicht. Wir müssen uns wohl mit dem Plattberg anfreunden.“ Der Bürgermeister hatte Tränen in den Augen. Traurig schaute er auf den Boden und sagte dann leise: „Wenigstens ist es tatsächlich eine sehr schöne Gegend hier.“ Verzweifelt schauten ihn die Dorfbewohner an. Sie wussten nicht, was sie jetzt tun sollten.

Das war die Geschichte des Dorfes Plattberg und des Plattbergs selbst. Weil eine Duschtür nicht funktionierte, weil der stille Jörn die Frühlingsspiele gewann und weil der König Jakobse der Dritte ein schlechter Verlierer war, wurde ein ganzes Dorf auf den schönen Plattberg verbannt. Sie mussten sich mit Landwirtschaft selbst versorgen, bekamen aber alles, was sie sonst brauchten, mithilfe des Aufzuges einmal im Monat angeliefert. Nur den Berg verlassen konnten sie nicht. Schließlich konnten die Dorfbewohner nicht fliegen. Dank der Magie des Berges, die den Ausgang versperrte, fehlte es den Dorfbewohnern aber auch in Zukunft an nichts. Die Landwirtschaft lief gut, die Ernten waren immer reichlich, es gab genug zu essen und die Bewohner von Plattberg waren fast nie krank. Das alles geschah vor ungefähr eintausend Jahren. Insgesamt ging es den Dorfbewohnern auf dem Plattberg sehr gut. Einmal im Monat kommt der Aufzug und bringt ihnen alles, was sie so brauchen. Über die Zeitung erfahren sie, was in der Welt geschieht, und sie sind auch technisch auf dem neusten Stand, da König Jakobse der Dritte verfügte, dass Plattberg zwar auf dem Plattberg bleiben müsse, es den Bewohnern aber an nichts fehlen dürfe. Und an dieses Vermächtnis haben sich alle Könige immer gehalten. Auch der aktuelle König hält sich an die Anordnung seines Vorgängers, auch wenn er fast nichts über den Plattberg weiß. Er hat sich um ein viel größeres Land zu kümmern als um einen kleinen Berg irgendwo weit entfernt auf einer riesigen Grasebene. Dieser heutige König heißt König Jakobse der Vielte. Alle Königinnen oder Könige in Rubini heißen nach der Krönung Jakobse und weil es schon so viele Jakobse gab, kamen die Menschen irgendwann beim Zählen durcheinander. Also heißt der aktuelle König von Rubini König Jakobse der Vielte.

Die Magie in diesem Baum ist unglaublich

Die Sonne geht auch heute über dem Plattberg auf. Das macht sie seit tausend Jahren jeden Tag und das ist auch gut so. Über den Wiesen liegt Tau und über dem Tau fliegen und zwitschern die Vögel und über den Vögeln ist keine Wolke am Himmel zu sehen. Es verspricht, ein schöner Tag auf dem Plattberg zu werden.

Und wenn ein Tag schon so schön beginnt, dann wollen die Zwillinge Frida und Fritz nichts davon verpassen. Die beiden wohnen zusammen mit ihrem Vater Luppert in einem kleinen Haus am Rand des Dorfes von Plattberg. Die Zwillinge sind elf Jahre alt und leben allein mit ihrem Vater, da ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben ist. Luppert Denawin ist ein großer kräftiger Mann mit einem dunklen Vollbart und langen schwarzen Haaren. Seine blauen Augen leuchten und sein Gesicht zeigt, dass er viel lacht und ein fröhlicher Mensch ist. Gerade steht Luppert in der Küche und bereitet das Frühstück für die Zwillinge vor, da kommt Frida in die Küche gerannt.

„Guten Morgen Papa“, ruft sie fröhlich.

„Guten Morgen“, antwortet Luppert und nimmt seine Tochter freudig in den Arm. „Na, wo ist dein Bruder?“

„Der macht sich noch im Bad fertig, kennst ihn doch“, lächelt ihn Frida an. Frida ist ein aufgewecktes Mädchen. Sie liebt Abenteuer und weiß ganz genau, wie sie ihren Vater anschauen muss, wenn sie mal wieder mit dreckigen oder zerrissenen Klamotten nach Hause kommt. Sie lebt nach dem Motto: „Lieber Entschuldigung sagen, als um Erlaubnis bitten.“ Da kann Luppert oft nur mit dem Kopf schütteln und lachen. Heute, so früh am Morgen, hat sie aber noch nichts angestellt und steht ganz brav in ihrer blauen Hose und passend zu ihren Augen einem blauen Oberteil vor ihrem Vater und grinst ihn an. Ihre braunen langen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden.

„Und was hast du mir da mitgebracht?“, fragt Luppert und deutet auf Frida, die etwas hinter ihrem Rücken versteckt.

Frida zieht einen großen roten runden Gegenstand hervor und strahlt ihren Vater an. „Das haben wir gestern beim See gefunden. Ist es nicht schön? Meinst du, der kommt von der Ebene unter dem Plattberg? Was ist das?“ Frida hat noch nie zuvor so etwas gesehen. So etwas gibt es in Plattberg nicht. Es ist groß, rund und leicht und leuchtet in wunderschöner roter Farbe. Luppert schaut sich den Gegenstand an und überlegt.

„Das kann schon sein. Das muss von unten kommen, denn hier haben wir so etwas nicht. Ich habe einmal gelesen, dass so etwas Luftballon heißt. Da hat jemand Luft hineingeblasen, damit er ganz leicht ist. Dann kann er mit dem Wind fliegen. Oh, da hängen ja eine Schnur und eine Karte dran. Und? Was glaubt ihr zwei Abenteurer?“

Die Karte ist ungefähr so groß wie Lupperts ausgestreckte Hand. Auf der einen Seite befindet sich ein gemaltes Bild einer großen Burg. Auf der anderen Seite steht die Adresse einer Lina Breuer in der Stadt Eugenia.

Frida überlegt eine Weile und erzählt dann, was Fritz und sie am Vortag vermutet haben: „Wir glauben wegen der Schrift, dass ein Kind, nämlich diese Lina Breuer, die Karte geschrieben hat. Dann hat sie die Karte da drangehängt. Das hier ist doch eine Adresse aus Eugenia, oder?“, fragt sie ihren Vater.

Dieser nickt nachdenklich und bereitet weiter das Frühstück vor. Gedankenverloren greift Frida nach ihrer Halskette. Das macht sie immer, wenn sie entweder aufgeregt ist oder nachdenkt. Die kleine Kette hat einen kleinen roten Stein in Form eines Wassertropfens in der Mitte. Diese Kette hat sie vor einigen Jahren von ihrem Vater geschenkt bekommen. Früher war es die Kette ihrer Mutter und die hatte sie wiederum von ihrer Mutter. Frida kann sich immer ein kleines bisschen besser konzentrieren, wenn sie nach der Kette greift, und dann platzt es aus ihr heraus.

„Ich wüsste wirklich gerne, wer diese Lina Breuer so ist..“

Luppert lächelt in sich hinein und sagt: „Wer weiß, aber jetzt frühstücken wir erst einmal. Los, ruf deinen Bruder.“

In dem Moment kommt Fritz in die Küche und ruft ein fröhliches „Guten Morgen“. Fritz ist genauso groß wie seine Zwillingsschwester. Er hat blonde Haare, die ihm struppig auf dem Kopf hängen. Er ist ein paar Minuten jünger als seine Schwester und liebt Abenteuer genau so sehr wie sie. Allerdings sind seine Klamotten nicht ganz so oft dreckig und zerrissen. Auch Fritz hat wie immer eine blaue Hose an und ein grünes Hemdchen. Grün ist nicht nur seine Lieblings-, sondern auch seine Augenfarbe. Er hat einen Bärenhunger und so setzen sich die drei endlich an den Frühstückstisch und essen frisches Brot und Rührei und trinken Apfelsaft. Nur Luppert trinkt einen Kaffee.

„Gehen wir heute in den Wald und suchen nach der Vergangenheit?“, fragt Fritz ganz aufgeregt. Er denkt gerade nicht an den mysteriösen Luftballon und beim Thema Vergangenheitssuche sind die Gedanken an den Luftballon und diese Lina Breuer auch bei Frida wie weggewischt. Die Suche nach der Vergangenheit ist ein altes Spiel der drei. Sie gehen gemeinsam durch den großen dunklen Wald und erzählen sich Geschichten über alles, was hier die letzten tausend oder noch mehr Jahre passiert sein könnte. Das macht riesig Spaß und Luppert denkt sich immer wieder neue Geschichten aus.

„Klar, gleich nach dem Frühstück gehen wir in den Wald und suchen nach der Vergangenheit. Schmiert euch am besten noch ein Brot und packt euch etwas zu trinken ein.“

Nach dem Frühstück laufen sie noch kurz bei Frau Schwie in der Backstube vorbei und holen sich drei frische warme und duftende Puddingteilchen für den Weg. Die Bäckerin freut sich jedes Mal, wenn die drei bei ihr vorbeischauen. Sie liebt es, Frida und Fritz über den Kopf zu wuscheln. Die Zwillinge lieben Frau Schwie, aber vor allem lieben sie wie alle in Plattberg die Puddingteilchen. Manchmal helfen Frida und Fritz Frau Schwie sogar beim Backen der Puddingteilchen. Einfach nur, um noch ein paar Extra-Teilchen abzubekommen. Nun machen sich die drei auf den Weg raus aus dem Dorf, über die Wiese und durch den Wald. Dank der Bäume ist es schön kühl und das ist bei dem warmen Wetter heute sehr angenehm. Hier im Wald riecht es nach den verschiedenen Bäumen, die hier stehen. Die drei atmen tief ein und genießen die frische Luft. Es ist recht ruhig hier, aber wenn man ganz leise darauf achtet, dann kann man hier und da einige Tiere bei der Suche nach Nahrung im dichten Unterholz hören. Richtige Wege gibt es hier im Wald nicht. Doch das ist für die Denawins kein Problem. Sie gehen einfach so, wie sie Lust haben.

„Lasst uns dort zu der Lichtung gehen. Liegt in die Richtung nicht auch der uralte Durcheinander-Baum?“, ruft Fritz und rennt schon los. Der uralte Durcheinander-Baum heißt so, weil alle Äste völlig durcheinander wachsen. Manchmal hat Frida das Gefühl, dass der Baum selbst nicht nur durcheinander aussieht, sondern auch etwas verwirrt und durcheinander ist. Mal sieht es so aus, als ob der Baum plötzlich auf dem Kopf steht, oder er streckt alle Äste in den Himmel und wird ganz dünn, als wolle er sich verstecken. Auf jeden Fall sieht der Baum jedes Mal ein bisschen anders aus, wenn die drei dort sind. Dann sagt Luppert immer, der Baum habe magische Kräfte. Und die Kinder unterbrechen ihn jedes Mal mit den gleichen Worten: „Ja, ja, die Magie in diesem Baum ist unglaublich.“ Dann lachen alle drei.

Nach einigen Minuten kommen die drei bei der Lichtung an und sehen den Durcheinander-Baum, wie er in der Mitte der Lichtung steht. Mit großen Augen schauen sie auf den Baum. Heute sieht er wirklich ungewöhnlich aus. Alle Zweige hängen nach außen und biegen sich dann nach unten. So hat der Baum aus sich eine große Kugel gebaut. Der Baum ist plötzlich ganz rund. Gerade holt Luppert Luft und will etwas sagen, da lachen und rufen die Zwillinge gelichzeitig: „Ja, ja, die Magie in diesem Baum ist unglaublich.“ Da muss auch Luppert lachen und fröhlich gehen die drei auf den Baum zu.

„Der Durcheinander-Baum sieht heute aus wie der Luftballon, den wir gestern gefunden haben“, ruft Frida. Fritz nickt, nachdem ihm Frida erklärt hat, dass die rote Kugel, die sie gestern gefunden haben, ein Luftballon sei. An den hatte Fritz gar nicht mehr gedacht.

„Meinst du, wir können auf den Baum hinaufklettern?“, fragt Fritz. Frida und Fritz schauen Luppert erwartungsfroh an.

„Okay“, sagt dieser, „ich setze mich hier hin, entspanne ein bisschen und ihr klettert herum. Aber ihr wisst ja …“

„… wir sind vorsichtig“, sagen die beiden und rennen los.

Die Zweige, die die Außenhülle der Kugel ausmachen, sind sehr stabil und die beiden klettern wie zwei geschickte Äffchen den Baum hoch. Als sie in der Mitte ankommen, staunen die zwei nicht schlecht. Alle Zweige treffen sich in der Mitte, wo der Stamm ist, in perfekten Abständen nebeneinander wieder und gehen in den Stamm über. Der Stamm selbst ist plötzlich hohl und man kann tief in den Stamm hinunterschauen. Fritz überlegt kurz und dreht sich dann zu Frida um: „Meinst du, wir können da hinuntersteigen? Vielleicht ist da eine Höhle oder ein Tunnel oder etwas total Spannendes, was wir erforschen können.“

Frida grinst ihren Bruder an. „Wenn da etwas Spannendes ist, dann sollten wir beide das herausfinden.“ Sie dreht sich um. „Papa, haben wir ein Seil dabei?“, ruft sie nach unten.

Luppert kramt in dem Rucksack, in dem er immer allerlei Nützliches dabeihat. Er findet tatsächlich ein zehn Meter langes Seil und wirft es zu den Zwillingen nach oben. Er ruft ihnen noch zu, dass sie aufpassen sollen.

„Ich klettere als Erste runter“, beschließt Frida.

„Warum? Warum du zuerst? Es könnte koch auch sein, dass ich zuerst runter will. Es geht ja nicht nur darum, was du willst, oder?“ Fritz zieht die Augenbrauen ein bisschen zusammen, um zu unterstreichen, dass er nicht bevormundet werden will. Etwas genervt antwortet Frida:

„Also schön, dann diskutieren wir. Willst du denn unbedingt zuerst runter? Eine Minute später sind wir doch sowieso beide da unten.“

Fritz wirft die Arme theatralisch in die Höhe, doch dann sagt er etwas kleinlaut: „Nein, nein, schon okay. Es nervt mich doch nur, dass es für dich immer selbstverständlich ist, dass du zuerst gehst. Ich will doch gar nicht als Erster da runter. Da sind bestimmt auch eklige Viecher unten.“ Nun kann Frida nicht mehr anders, als ihren Bruder anzugrinsen.

Flugs machen die Zwillinge das Seil an einem der Äste fest und dann klettert zuerst Frida an dem Seil hinab. Sie klettert so tief hinab, dass sie sogar unter der Erdoberfläche ist. Aber das Seil reicht noch und sie lässt sich immer weiter hinab, bis sie den Boden unter ihren Füßen spürt. Dort unten ist es ganz schön dunkel. Augen zu, sie sieht nur schwarz. Augen auf, sie sieht nur schwarz. Sie streckt ihre Arme aus und merkt, dass hier recht viel Platz ist. Daher ruft sie zu ihrem Bruder nach oben: „Fritz, wir brauchen eine Lampe.“

Durch den hohlen Baumstamm entsteht ein mehrfaches Echo und Fritz wundert sich etwas, denn er hört nur: „Wir ampe ampe ampe ampe …“

„Was? Wir haben eine Wampe?“

Frida wundert sich, warum Fritz jetzt von einer Rampe redet, und so geht das eine Weile hin und her. Jeder Satz verändert sich durch das Echo zu einem neuen, noch verwirrenderen Satz. Irgendwann haben sich die beiden nach vielen Anläufen verstanden, denn als Frida es mit „Wir brauchen Licht“ versucht, hört Fritz nur „Wir tauchen nicht“. Fritz denkt sich, dass sie jetzt völlig durchgedreht sei. Er schaut zu seiner Schwester runter, weil er ihr einen Vogel zeigen will. Aber als er in dem dunklen Loch gar nichts und vor allem nicht seine Schwester sehen kann, hat er eine Idee. Sie brauchen eine Taschenlampe und er fragt bei ihrem Vater danach. Manchmal kann es auch ganz einfach sein. Fritz klettert nun auch in den Baum hinab und dann stehen die Zwillinge endlich in dem tiefen Schacht des uralten Durcheinander-Baumes.

Als Fritz die Taschenlampe anmacht, staunen die beiden mit großen Augen. Erst müssen sie sich an das Licht gewöhnen. Aber dann erkennen sie, dass sie in einem kleinen Schacht eng nebeneinanderstehen. Das hatten sie auch erwartet. Aber was sie sehen, ist ungewöhnlich. Es sieht so aus, als seien sie nicht in dem Baum, sondern außerhalb des Baumes, denn die Wände sehen aus wie die äußere Rinde des Durcheinanderbaumes. Es fühlt sich auch an wie die Rinde, merkt Frida, als sie die Hände ausstreckt. Der Baum hat sich also von außen nach innen gekehrt und sie sind jetzt in dem Baum, aber an der äußeren Seite. Irgendwie ist gerade alles ganz schön seltsam.

„Heute ist der Durcheinander-Baum aber etwas sehr durcheinander“, murmelt Fritz. Die Zwillinge klopfen überall gegen die Rinde. Es fühlt sich schon sehr seltsam an, hier im Baum zu stehen und gleichzeitig außen die Rinde abzuklopfen. Jedes Mal, wenn einer der beiden gegen die Rinde klopft, macht es Bong, Bong. So klopfen sie einmal rund um den Stamm. Bong, Bong, Bong. Doch plötzlich macht es nicht mehr Bong, sondern Pop, Pop.

„Warte mal“, ruft Frida, „hier ist etwas anders.“ Sie klopft weiter auf die Stelle und es macht wieder Pop, Pop. Nun klopft auch Fritz an dieser Stelle und es macht das gleiche Geräusch. Pop, Pop.

„Es scheint hier eine hohle Stelle zu geben, oder?“, sagt Frida halb zu sich selbst und halb zu ihrem Bruder.

„Vielleicht kommen wir da wieder raus ins Freie. Dann haben wir einen geheimen Ort hier. Das wäre richtig cool.“ Die beiden untersuchen die Wand mit ihren Fingern und sie leuchten alles genau ab. Da entdecken sie plötzlich einen ganz dünnen Spalt in der Rinde. Der Spalt, den die Zwillinge vorsichtig mit den Fingern abtasten, verläuft in einem großen Kreis. Fritz vermutet, dass es hier wirklich einen Durchgang gibt, und die beiden drücken und klopfen und schieben an dieser Kreisfläche hin und her und plötzlich macht es ‚Klick‘ und das kreisrunde Stück Rinde dreht sich nach außen. Also nach innen, je nachdem, wie man den uralten Durcheinander-Baum sieht. Langsam und ganz vorsichtig schieben die beiden die runde Rindentür auf und sie können nicht glauben, was sie da sehen. Hinter der runden Tür befindet sich ein Raum. Der Raum ist zwei Meter hoch, ungefähr zwei Meter breit und drei Meter lang. Er ist in den Boden gegraben, aber warum und von wem? Sollen die Zwillinge einfach in diesen Raum hineinsteigen? Sie schauen erst einmal mit der Taschenlampe, was sie so in diesem Raum erkennen können. Das ist schon eine sehr seltsame Situation. Sie sitzen in einem Baum unter der Erde und schauen in ein unterirdisches Zimmer hinein. Fritz leuchtet langsam mit der Taschenlampe durch den Raum und bleibt immer mal wieder mit dem Lichtkegel der Lampe stehen.

„Moment mal, ist das da ein Bett aus Erde? Und hier. Ist das eine Art Tisch, der aus Erde gebaut ist? Das sieht aus, als ob hier jemand gewohnt hätte, oder?“ Der Raum, dessen Wände, Boden und Decke aus Erde sind, sieht aus wie ein kleines Zimmer, mit allem, was man zum Wohnen braucht: Bett, Tisch und Schrank scheinen hier direkt aus der Erde herausgeschnitzt zu sein.

Frida schaut Fritz mit einem schelmischen Grinsen an: „Ja, ja, die Magie in diesem Baum ist unglaublich. Wollen wir reingehen? Vielleicht hat hier wirklich mal jemand gewohnt und wir finden etwas Aufregendes.“

Gesagt, getan. Beide wollen als Erstes durch die runde Tür in den Raum schlüpfen. Beide gleichzeitig geht aber nicht. Also bleiben sie mitten im Durchgang stecken. Noch einmal zurück und neuer Versuch. Wieder beide gleichzeitig und sie bleiben wieder in der Tür stecken.

„So klappt das nicht“, stellt Frida fest. „Okay, ich war zuerst hier unten. Geh du zuerst in den Raum rein.“

Also kriecht Fritz in den Raum, dicht gefolgt von seiner Schwester. Von innen wirkt der Raum sogar ein bisschen größer als von außen. Es ist tatsächlich ganz schön hier. Es gibt eine Art Bett, einen Schreibtisch, sogar ein Schrank ist in der Ecke zu sehen. Ein großes Stück Baumrinde, welches vor die Wand gelehnt ist, wirkt wie eine Schrankwand. Als Fritz das Brett zur Seite schiebt, sehen die beiden, dass verschiedene Fächer wie ein Regal in die Erde gekratzt sind.

„Wow, ich glaube hier hat wirklich einmal jemand gelebt.“

„Vor vielen Jahren wahrscheinlich. Wer weiß, wie lange das her ist. Schade, dass er oder sie alles mitgenommen hat, was interessant wäre. Hier sind nur das Bett und der Tisch übrig, oder?“ Etwas enttäuscht setzt sich Fritz auf das Bett.

Frida ist auch etwas enttäuscht. Sie hatte sich Abenteuer und spannende Geschichten vorgestellt. So etwas muss doch passieren, wenn man in einen Baum hineinklettert. Vor allem, wenn der Baum magisch ist, wie ihr Vater immer erzählt. Während die beiden so dasitzen, leuchtet Fritz weiter mit der Taschenlampe im Zimmer herum. Da sieht er ganz unten im Regalschrank ein Loch in der Wand.

„Oh, schau mal. Hier ist noch ein Loch. Greif mal rein und schau, ob da was Interessantes drin ist.“

Frida überlegt kurz. „Moment, warum soll ich da reingreifen? Hast du etwa Angst?“

„Nein, natürlich nicht. Aber wenn es eklig ist“, antwortet Fritz, „dann wäre es doch super, wenn du zuerst reinfasst, oder?“

„Ja, genau“, antwortet Frida, kriecht mit ausgestreckten Armen auf ihren Bruder zu, tut so, als wolle sie nach ihm greifen, lächelt wie ein kleines Ungeheuer und sagt dann verschwörerisch mit verstellter Stimme: „Vielleicht ist es auch eine Falle und ein böses Tier, das kleine Jungs fressen will, versteckt sich da drin.“

Tja, wer soll denn nun in das dunkle Loch greifen? Die beiden machen es wie immer. Sie spielen Schere, Stein, Papier und dann muss Frida doch mit der Hand in das Loch fassen. Vorher leuchtet sie noch einmal mit der Taschenlampe hinein, kann aber nichts Gefährliches erkennen. Also Ärmel hoch und rein mit der Hand. Aber da ist nichts. Nur Erde, doch das Loch ist ganz schön tief. Also geht sie mit der Hand immer tiefer und tiefer in das Loch rein und als sogar schon ihr Ellenbogen in der Wand verschwindet, spürt sie etwas. Was ist das? Es fühlt sich wie ein langer Gegenstand an. Frida versucht, danach zu fassen, aber es ist noch zu weit weg und deshalb rutscht sie noch ein Stückchen näher an die Wand heran. Ihr Gesicht berührt schon die Wand und der ganze Arm ist inzwischen in dem Loch verschwunden. Aber jetzt kann sie endlich auch den Gegenstand greifen, bekommt ihn zu fassen und zieht ihren Arm mitsamt dem Gegenstand aus dem Loch heraus. Geschafft.

„Wir haben etwas gefunden“, sagt Frida ganz stolz. Aber was kann das nur sein? Der Gegenstand ist ungefähr 30 Zentimeter lang und rund. Er sieht aus, wie ein kleines Rohr, das an den Seiten geschlossen ist. Das Material könnte altes graues Leder sein. Fritz ist genauso aufgeregt, wie Frida, aber er hat eine Idee. „Lass uns wieder zu Papa hochklettern. Draußen können wir bestimmt alles besser erkennen und Papa hat vielleicht auch eine Idee, was das hier ist.“

Gesagt, getan. Die beiden kriechen wieder aus dem Raum heraus und dann klettern sie nacheinander nach oben. Als sie wieder auf der Baumkrone des uralten Durcheinander-Baumes sitzen, wickeln die Zwillinge das Seil ein und klettern an den Ästen herab zu ihrem Vater. Dieser ist in der Zwischenzeit am Baumstamm eingeschlafen und erschreckt sich, als die beiden freudig auf ihn springen.

„Na, ihr zwei, was habt ihr erlebt?“

Die beiden überschlagen sich fast beim Sprechen. Beide wollen erzählen, also quasseln sie gleichzeitig los. Sie erzählen und machen große Gesten, sie unterbrechen sich, sie korrigieren sich und die Geschichte ändert sich immer wieder und dann hat hier noch einer was zu ergänzen und da fehlt noch ein Detail und die beiden kriegen kaum noch Luft vor Aufregung. Irgendwann unterbricht Luppert die beiden.

„Okay, okay, ihr Zwerge. Jetzt mal ganz ruhig. Ihr seid in den Baum geklettert und dann war der Baum von außen nach innen umgekehrt und ihr habt eine Luke gefunden, durch die ihr durchkriechen konntet, und da war dann ein riesiges Zimmer mit kompletter Einrichtung? In dem Baum?“

„Na ja“, korrigiert Frida ein bisschen, „vielleicht war das Zimmer nicht riesig und vielleicht war es nur ein bisschen eingerichtet. Aber wir haben wirklich was gefunden. Schau mal hier.“ Sie hält ihrem Vater den runden Gegenstand entgegen.

Luppert nimmt das graue abgewetzte Ding entgegen, schaut es genau an und nuschelt vor sich hin: „Ja, ja, die Magie in diesem Baum ist unglaublich.“

Der Gegenstand scheint eine Art Behältnis zu sein.

„Sollen wir das mal aufmachen?“

Die Kinder jubeln begeistert. Sie sind ganz aufgeregt, was da wohl drin sein könnte. „Vielleicht ist da eine Geschichte drin.“

„Oder eine uralte Urkunde über den Plattberg.“

Und so kommt eine Idee nach der anderen, was denn in dem grauen Rohr sein könnte. Luppert dreht und wendet den Gegenstand, bis er an einer Seite einen kleinen Druckknopf findet. Er drückt darauf und an dem einen Ende des Rohres klappt plötzlich ein Deckel auf und die drei können in das Rohr hineinschauen. Zunächst sieht das Rohr leer aus und die Kinder sind etwas enttäuscht. Als Luppert dann mit dem Finger in das Rohr hineinfasst, bemerkt er, dass am Rand etwas klebt. Er zieht etwas und dann schafft er es endlich, richtig mit den Fingern dranzukommen. Er bewegt es ein bisschen hin und her und dann hat er plötzlich ein paar Blätter aus altem Papier in der Hand. Die Blätter waren so dicht an den Rand des Rohres gepresst, dass man sie zuerst gar nicht erkennen konnte.

„Was ist das? Was ist das?“, rufen die Zwillinge ganz aufgeregt durcheinander.

Luppert schaut sich die drei Blätter an und murmelt ein bisschen vor sich hin. „Hm, das ist eine Anleitung, um einen … äh … Heißluftballon zu bauen. Zumindest steht das hier. Ich habe noch nie das Wort Heißluftballon gehört. Schaut mal, auf dem Bild sieht es so aus, als ob jemand mit einem riesigen Ballon fliegen kann. Wow, das ist ganz schön alt. Das scheint noch aus der Zeit von König Jakobse dem 34sten zu sein.“ Luppert ist tief in die Papiere versunken und die Kinder kommen ganz nahe ran, da sie auch alles sehen wollen. Sie machen große Augen, da sie natürlich auch noch nie etwas von fliegenden Menschen gehört haben. Luppert fährt fort: „Und hier steht, dass so ein Heißluftballon schon einmal gebaut wurde, und hier … Oh, da habt ihr eure Schatzkarte“, sagt Luppert, als er den letzten Bogen Papier in den Händen hält. Die Zwillinge sind sehr aufgeregt und wollen auch alles lesen. Fliegende Menschen, ein riesiger Ballon und eine Schatzkarte. So etwas Aufregendes hätten sie nie erwartet.

Fritz erinnert sich an ihren Fund von gestern. „Meinst du, die Menschen hängen an dem Ballon wie die Karte von Lina Breuer an dem roten Ballon von gestern?“

Auch Luppert ist fasziniert von dem Fund und murmelt in sich hinein: „Zumindest hört sich das hier so an. Das ist unglaublich. Das kann ich mir kaum vorstellen.“

Da zögert Fritz kurz und fragt seinen Vater, wie es denn sein könne, dass ein Ballon einfach so Menschen fliegen lässt. Luppert zieht auch die Achseln hoch. „Das klingt echt verrückt. Hier steht, dass das mit heißer Luft gehen soll. Hm, komisch. Ich denke, ich lese mir die Anleitung mal genauer durch. Vielleicht finden wir auch ein paar Bücher von Frau Materutza. Oder ist das auch wieder Magie? Also ich weiß ja nicht.“

Jetzt sind die drei Denawins erst einmal ganz still. Alle denken für sich nach. Luppert packt nebenbei die mitgebrachten Brote aus und die drei essen still vor sich hin, während sie nachdenken. Menschen, die fliegen. Das kann doch gar nicht wahr sein. Verrückte Welt. Plötzlich ruft Frida in die Stille hinein: „Moment mal, was ist denn mit der Schatzkarte?“

Luppert überlegt kurz. „Hm, anscheinend wurde dieser seltsame Heißluftballon schon gebaut und hat auch funktioniert. Und auf der Karte kann man vielleicht sehen, wo der Ballon versteckt ist.“ Er macht eine kurze Pause. „Wisst ihr, was ich glaube? Ich vermute, irgendwo im Königreich Rubini hat jemand diese Pläne entwickelt, den Heißluftballon gebaut und ist dann hier oben auf dem Plattberg gelandet. Ich weiß, das klingt verrückt. Aber ist es das nicht schon jetzt? Vielleicht ist er einfach auch hiergeblieben und hat ein neues Leben in Plattberg gestartet. Und weil es so schön war, hat er den Heißluftballon irgendwo versteckt. Tja, und heute hat der Durcheinander-Baum das Geheimnis gelüftet. Ich sage euch: Die Magie in diesem Baum ist unglaublich.“

Die Kinder grinsen ihren Vater begeistert an und rufen fast gleichzeitig, dass sie sofort nach dem Schatz suchen wollen. Luppert schaut auf die Uhr und sagt dann: „Na, jetzt mal ganz ruhig. Wir haben keine Eile. Jetzt gehen wir erst einmal nach Hause und schauen uns die Karte in Ruhe an. So einfach wird das nicht werden. Das wäre ja noch schöner, wenn eine Schatzkarte soooo einfach zu lesen wäre, oder?“

Etwas mürrisch sehen die Zwillinge ein, dass er recht hat, und die drei packen ihre Sachen zusammen und machen sich auf den Heimweg. Auf dem Weg nach Hause überlegen sich die drei verschiedenste Ideen, was es mit ihrem Fund auf sich haben könnte, und zu Hause wollen sie sich sofort ans Werk machen und mehr über die Schatzkarte herausfinden. Sofort setzen sie sich an den Küchentisch und breiten die Schatzkarte aus.

„So“, sagt Luppert, „dann schaut doch einmal, wo wir hinmüssen.“

Aufgeregt machen sich die beiden ans Werk. Aber nach ein paar Minuten schauen sich Frida und Fritz an und drehen ihre Köpfe zu ihrem Vater.

„Hä? Wo ist das? Die Karte zeigt gar nicht Plattberg, oder?“

Luppert lächelt die beiden an und erklärt ihnen, dass auch er nicht sicher sei. „Das hier ist nur ein Ausschnitt von Plattberg. Zumindest glaube ich, dass es Plattberg ist. Aber wir müssen herausfinden, wo in Plattberg das sein könnte. Es kann auch sein, dass sich im Laufe der Jahre so einiges geändert hat. Das müssen wir vorher herausfinden. Also, überlegen wir mal. Was sehen wir?“

„Das hier“, Frida zeigt auf ein paar Striche, die wie kleine Dächer aussahen, „könnten Bäume sein.“

„Und das hier“, ergänzt Fritz, „ist vielleicht ein Weg.“

„Oder ein Fluss“, meint Luppert. „Aber wir haben hier doch gar keinen Fluss in Plattberg, oder?“, fragt Frida etwas unsicher.

„Genau das meinte ich. Wer weiß, ob es vor vielen Jahren hier einen Fluss gab? Oder hier, was könnte das sein?“ Luppert zeigt auf eine zackige Linie. „Wir müssen erst lernen, was uns die Karte zeigen will. Dann können wir uns auf die Suche machen. Seid ihr damit einverstanden?“

Die Zwillinge sind ein bisschen enttäuscht, aber dann stimmen sie ihrem Vater zu. Eigentlich ist es sowieso eine gute Idee, noch ein bisschen die Schatzkarte zu studieren und zu rätseln, wo der Schatz versteckt sein könnte.

Während Luppert in sein Büro verschwindet, brüten die Zwillinge weiter über der Schatzkarte auf dem Küchentisch und beratschlagen, was die verschiedenen Zeichen bedeuten könnten. Das da könnte ein Weg sein oder ein Fluss. Dies könnten Bäume sein oder Vögel. Dort ist eine Wiese oder ein Teich und hier, das könnte ein Berg sein – oder ein Loch? Ach, es gibt so viele Möglichkeiten und je länger sie nachdenken, desto weniger ist ihnen klar, was auf der Karte zu finden ist. Das ist eine komplizierte Sache. Dann hat Fritz plötzlich eine Idee. Er steht schnell auf und nimmt alle Gegenstände vom großen Küchentisch herunter. Den Salz- und den Pfefferstreuer stellt er zur Spüle. Die Kerzen kommen auf die Fensterbank, die Zeitung legt er auf die Sitzbank und so weiter, bis der ganze Tisch leer ist. Frida schaut ihn nur verwirrt an.

„Was machst du da?“, fragt sie ihren Bruder.

„Pass auf“, beginnt Fritz.

„Gehen wir einmal ganz anders an die Sache ran. Stellen wir uns vor, dass dieser Tisch den ganzen Plattberg darstellt. Also nicht nur das Dorf Plattberg, sondern alles. Dann haben wir hier das Dorf.“ Er geht wieder zur Spüle, holt den Salz- und den Pfefferstreuer und stellt sie an die Stelle, auf die er gerade noch gezeigt hat. Er holt weitere Gewürzdosen sowie einige Äpfel und Zwiebeln und stellt sie so auf, wie die Gebäude in Plattberg tatsächlich verteilt sind.

„Halt, Stopp“, ruft Frida. „Unser Haus ist doch kein Zimt-Haus. Das klingt ja wie im Märchen. Komm, wir sind eine Zwiebel. Ach, nein, wir sind lieber Chili.“ Und sie tauscht die Chilischoten, die bei der Bäckerei lagen, mit ihrem Zimtstreuer. So, jetzt passt es, denkt sich Frida.

Aber das ist natürlich noch nicht alles. An eine Stelle kommt der große dunkle Wald aus verschiedenen Gläsern. An eine andere Stelle legen sie eine große blaue Schale, in der normalerweise das Obst liegt, und schon ist der große See fertig. Aus Nudelsorten bauen die beiden die Straßen, die sich über den Plattberg ziehen, nach. Stück für Stück wird das Bild vom Plattberg klarer. Nach einer Stunde sind die beiden sehr zufrieden mit sich. Vor ihnen liegt eine recht gut gelungene Landkarte ihrer Heimat.