Digitalisierung der Bildung - Marc Fabian Buck - E-Book

Digitalisierung der Bildung E-Book

Marc Fabian Buck

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Beschreibung

Dieses Buch führt in die Digitalisierung der Bildung ein und zielt auf das Verständnis ihrer vielfältigen Erscheinungsformen, Muster, Voraussetzungen und Folgen. Entlang anschaulicher Beispiele werden elf Phänomene thematisiert, die Teil der digitalisierenden Transformation sind und dazu auffordern, neu über den Bildungsbegriff nachzudenken. In lesbarer Sprache richtet sich die Einführung an pädagogisch Interessierte gleichermaßen wie an Fach- und Lehrkräfte und alle, die sich in der Ausbildung oder im Studium befinden. Jedem Kapitel beigegebene Reflexionsfragen und Hinweise auf weiterführende Literatur erlauben eine Vertiefung des Dargestellten nach Bedarf. Das Buch eignet sich für das Selbststudium wie auch für den Einsatz an Schulen und Hochschulen.

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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort

1 Digitalisierung der Bildung – eine Chimäre

2 Technisierung

3 Mediatisierung

4 Gamification

5 Überwachung

6 Diskriminierung

7 Algorithmisierung

8 Virtualisierung

9 Ökonomisierung

10 Politisierung

11 Generierung

12 Ästhetisierung

Zwischenfazit

Open-Source-Software und Online-Anwendungen für Schule und Studium

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Impressum

Inhaltsbeginn

Der Autor:

Dr. phil. Marc Fabian Buck vertritt derzeit die Professur für Allgemeine Pädagogik an der Universität Koblenz. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte umfassen Transformationen pädagogischer Praxis und Theorie, Reformpädagogik und ihre Kritik, Phänomenologische Erziehungswissenschaft sowie Politische Bildung.

Marc Fabian Buck

Digitalisierung der Bildung

Eine Einführung

Verlag W. Kohlhammer

Für Wilma

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1. Auflage 2025

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Heßbrühlstr. 69, 70565 [email protected]

Print:ISBN 978-3-17-040428-1

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-040429-8epub:ISBN 978-3-17-040430-4

Vorwort

Bereits seit einigen Jahren nun flottiert der Begriff der Digitalisierung durch die Öffentlichkeit: als schulpolitische, elterliche oder wirtschaftsnahe Forderung, als Kampfbegriff für Schulkritik, als empirische Beschreibung der Veränderung von Schulsystemen und Unterricht. Anlässlich anstehender Wahlen lesen wir auf Plakaten bildungspolitische Versprechen unterschiedlicher politischer Lager, ›endlich‹ die Digitalisierung in die Bildung zu bringen. Bemerkenswert dabei ist, dass Digitalisierung nicht einfach eine pädagogische Konjunktur anzeigt, sondern zum Dauerthema geworden ist. Nur selten jedoch werden bildungspolitische Forderungen konkret, etwa in der Forderung nach flächendeckendem Informatikunterricht bzw. Programmieren als Schulfach. Digitalisierung, darauf scheint man sich in der Bildungspolitik vorerst einigen zu können, gibt es stets zu wenig, ist aber noch wichtiger als andere pädagogische Maßgaben, etwa der Inklusion oder Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Auch scheint die Diskussion über die Ausfinanzierung des Bildungssystems von der Frühförderung bis zu den Volkshochschulen über den Reformeifer der Digitalisierung in den Hintergrund zu geraten.

Nicht nur bildungspolitisch, sondern auch bildungspraktisch ist Unabgeschlossenheit der dominante Modus paralleler Diskurse. Es pressieren konkrete Fragen, etwa nach der angemessenen Bildschirmzeit für Kinder, wann diese eine Smartphone bekommen sollten oder ihre erste eigene E-Mail-Adresse. In der pädagogischen Ausbildung, also an Fachschulen, Hochschulen und Universitäten werden Workshops und Seminare eingerichtet, die einen ›gelingenden Umgang‹ mit Digitalisierung zum Ziel haben und Unsicherheit seitens der pädagogischen Fachkräfte verringern sollen. In jedem Fall aber lässt sich festhalten: Die Digitalisierungsdebatte bringt eine Dynamik in das Feld der Bildung, wie es anderen gesellschaftlichen Transformationen – denken Sie beispielsweise an die sozial-ökologische – nur selten gelingt.

Wenn Sie dieses Buch lesen, sind auch Sie mit großer Wahrscheinlichkeit in der Situation, sich mit der Digitalisierung der Bildung beschäftigen und sich zu ihr verhalten zu müssen, sei es im Studium oder im Beruf. Das Buch dient dazu, dass dies in informierter Weise geschehen kann. Es ist entstanden aus einer Reihe an Lehrveranstaltungen, die ich im Rahmen diverser Vertretungsprofessuren an den Universitäten Stuttgart, Hamburg, Hagen und Koblenz sowie der Helmut-Schmidt-Universität habe anbieten dürfen. Meinen aufgeweckten, diskussionsfreudigen und klugen Studierenden sei an dieser Stelle für ihren Beitrag zum Entstehen dieser Einführung ausdrücklich gedankt. Sie folgt dem didaktischen Aufbau einer Einführungsveranstaltung für Hauptfach- und Lehramtsstudierende gleichermaßen, ist dabei aber bewusst knapp gehalten.1

Endnoten

1Die Entstehungsgeschichte dieses Buchs erstreckt sich über mittlerweile fünf Jahre, folglich ist noch viel mehr Dank zu erteilen. In erster Linie betrifft das Miguel Zulaica y Mugica, mit dem ich zahlreiche produktive und im besten Sinne irritierende Diskussionen habe führen dürfen. Auch gilt mein Dank Klaus-Peter Burkarth, der mit großer Gelassenheit, Nachsicht und Persistenz dieses Buch zur Realisierung gebracht hat. Steffen Lorenz, Johanna Profft und David Schulz danke ich für die Durchsicht und kritische Kommentierung des Manuskriptes, Arththana Devadas für ihr gründliches Lektorat.

1 Digitalisierung der Bildung – eine Chimäre

Ursprünglich trug diese Einführung den zugegebenermaßen etwas sperrigen Untertitel »Eine Einführung in Phänomene der Transformation pädagogischer Praxis«. Obwohl dieser verworfen wurde, soll er uns dazu dienen, entlang seiner enthaltenen Begriffe die Absicht des Folgenden näher zu erläutern. Vielleicht deutet sich bereits hier an: Es bedarf eines hohen Grades an Präzision, um wissenschaftlich angemessen über einen Gegenstand sprechen zu können. Im Durchgang dieses Buches werden wir diese wissenschaftliche Praktik wiederkehrend einüben.

Über Digitalisierung zu sprechen, bedeutet hier nicht über (Post-)‌Digitalität als kulturelles Datum im Sinne Felix Stalders (2024) zu sprechen2 und somit eine fortlaufende Transformation erziehungswissenschaftlich in den Blick zu nehmen, die sich in unterschiedlichen Praktiken und Phänomenen zeigt. Das Anliegen besteht nicht in einer Bewertung der Digitalisierung hinsichtlich ihrer Möglichkeiten und Grenzen oder gar Gelingensbedingungen, sondern in der Annäherung an ihre Erscheinungsformen, Wirkzusammenhänge usw. An anderer Stelle (Buck 2020) habe ich die Digitalisierung der Bildung als Chimäre bezeichnet; als Wesen, dessen Einzelteile uns bereits bekannt sind, deren Zusammenspiel aber neu ist und das es zu begreifen gilt. Mit anderen Worten: Die Komplexität, Reichweite und Neuartigkeit der Sache erschweren präzises Sprechen über sie und erst recht ihre größtenteils noch ausstehende und notwendige Theoretisierung (Karcher 2019, S. 131). So lässt sich unter Digitalisierung auf basaler Ebene die Umwandlung analoger Daten und Dokumente (bspw. Schulbücher, Unterrichtsmaterial o. Ä.) in digitale fassen. Digitalisierung kann aber auch die Technisierung pädagogischer Praktiken anzeigen, die mit einem größer werdenden Einsatz von Hard- und Software durchgeführt werden. Eine andere Facette lässt sich als Automatisierung pädagogischer Handlungen (z. B. der Bewertung von Klassenarbeiten oder Klausuren) beschreiben, was die zuvor genannte Technisierung voraussetzt.3 Als weiterer Aspekt der Digitalisierung lässt sich die Mediatisierung nennen, etwa in Form der Simulation (Kasch & Dreßler 2023) oder Augmentation von Unterrichtsgegenständen. Sie sehen bereits jetzt: Der Digitalisierungsbegriff umspannt eine Vielzahl von möglichen Bedeutungen, weswegen erst eine Variation und Präzisierung dessen, was wir genau meinen, wenn wir über Digitalisierung sprechen, dringend notwendig ist. So betreiben wir mit dieser Einführung Wissenschaft im besten Sinne: Wir veruneindeutigen zunächst einen Begriff, indem wir ihn differenzieren und kritisieren, d. h. anhand zu benennender und entwickelnder Kriterien von anderen Transformationen unterscheidbar zu machen, dabei aber stets vom Pädagogischen und nicht von der Gesellschaft, der Wirtschaft oder der Kultur ausgehen.4

Gleiches gilt für den Begriff der Bildung. In meiner Einführung in die Ökonomisierung der Bildung (Buck 2023, S. 13 f) habe ich eine Differenzierung zwischen einem soziologischen und einem pädagogischen Verständnis von Bildung skizziert, die uns auch hier dienlich sein soll. Soziologisch ist Bildung eine Messgröße dafür, welche Teile einer Gesellschaft schulische und andere Bildungseinrichtungen im Laufe ihrer Biographie besuchen, welche Bildungsabschlüsse erreicht werden und wie sich die Teilhabe an Bildung sozialstrukturell differenzieren und erklären lässt (Bayer 2024). Besonders bildungspolitisch ist diese Perspektive in den letzten Jahrzehnten wichtiger geworden, was sich etwa am Erstarken des sogenannten Bildungsmonitorings und der Hochkonjunktur internationaler Bildungsvergleichsstudien wie PISA oder IGLU zeigt. Unter einem pädagogischen Bildungsbegriff hingegen kommt stärker eine auf das Individuum fokussierende Perspektive zum Tragen, die die Messbarkeit von Bildung generell in Frage stellt. Bildung in diesem Sinne wird seit der Antike verstanden als Prozess und Ergebnis einer Auseinandersetzung mit diversen Gegenständen, Argumenten und Positionen, was – sofern erfolgreich vollzogen – ein verändertes Welt- und Selbstverhältnis nach sich zieht. Diese Formel geht auf Wilhelm von Humboldt (1767 – 1835) zurück, der unermüdlich als Stellvertreter für einen bildungstheoretisch informierten Begriff herangezogen wird, obwohl diverse Zeitgenossen, Vorgänger und Nachfolger gab und gibt, die in ausführlicherer Art und Weise über Bildung als »Verfeinerung unserer begrifflichen Fähigkeiten in hermeneutischen Praxen der Aneignung von Welt« (Dörpinghaus 2015, S.466 f) nachdenken im Sinne einer Bildung, die dem Menschen dazu dient, »die Kräfte seiner Natur [zu] stärken und erhöhen, seinem Wesen Werth und Dauer [zu] verschaffen« (Humboldt 1960, S. 235). War zu Beginn bildungstheoretischer Bemühungen das Ziel kein geringeres als »die Ausbildung der Menschheit, als ein Ganzes, zu vollenden« (ebd., S. 234), bemüht sich Bildungstheorie heute etwas bescheidener um eine Plausibilisierung des Bildungsgedankens als höhere Form des Lernens auch in empirischer Hinsicht. Der Hamburger Erziehungswissenschaftler Hans-Christoph Koller bspw. hat im Anschluss an die Arbeit seines Doktorvaters Rainer Kokemohr (1940 – 2020) eine transformatorische Bildungstheorie entwickelt, in der er über den Sprachgebrauch im Laufe unserer Biographien Bildungsprozesse nachzuzeichnen versucht (Koller 2023). Wie viele Bildungstheoretikerinnen und -theoretiker bin auch ich der Überzeugung, dass es Bildung in Relation zum Lernen gibt, sie sich aber nicht einfach herstellen lässt, anders als wir etwa ein Möbelstück herstellen oder eine Excel-Liste anfertigen.5 Aber: Ihre Aktualisierung lässt sich wahrscheinlicher machen, was auf die Kunst der Vermittlung – id est: Didaktik – verweist.6 Digitalisierung der Bildung kann sich folglich auf Vieles beziehen: auf die Systemebene öffentlicher Erziehung und Bildung, auf die Organisationsebene von Schulen, Kindergärten, Volkshochschulen usw., auf die Interaktionsebene oder gar auf das Individuum. Abermals wird einsichtig, dass eine jeweilige Präzisierung notwendig ist, damit alle am Gespräch Beteiligten sicher sein können, über das gleiche Phänomen zu sprechen.

Was bedeutet es, dass dieses Buch als Einführung angelegt ist? Zunächst bedeutet es, dass die hier vorgestellten Probleme nur einen Streifzug durch ein sehr großes, sich ständig erweiterndes Forschungsfeld darstellen. Das heißt folglich auch, dass ich mit relativer Selbstverständlichkeit meine eigene Perspektive auf ein wissenschaftliches Problem darlege, die neben vielen anderen Perspektiven existiert. Sie ist nicht immun gegenüber Kritik und soll es auch nicht sein. Stattdessen versuche ich Ihnen, so gut es mir möglich ist, meine Vorannahmen und Überzeugungen transparent darzulegen und von anderen theoretischen Positionen und Argumenten abzugrenzen, damit Sie sich zu meiner Argumentation verhalten können. Auch ist eine Einführung dadurch gekennzeichnet, dass sie an vielen Stellen komplexe Sachverhalte zwangsläufig verkürzt – oder als Lehrer gesprochen: didaktisch reduziert. Das bedeutet in der Folge, dass ich Sie explizit zur vertiefenden Lektüre aufrufen möchte, zu deren Zweck am Schluss jedes Kapitels einige relevante Empfehlungen aufgeführt sind. Ebenso finden Sie dort eine Zusammenfassung des Kapitels sowie Reflexionsfragen, die Sie zum Nach- und Weiterdenken auffordern, zu kontroversen Gesprächen ermutigen oder gar Inspirationen für Seminar- und Abschlussarbeiten bieten. Zuletzt bedeutet einführend, dass bei relevanten Gewährsleuten zusätzlich Lebensdaten oder Wirkungsorte abgedruckt sind. Auch das stellt eine Aufforderung an Sie dar, sich räumlich und zeitlich in dem zu orientieren, was als Bestand in unserer Disziplin und in der Nachbarschaft vorliegt.

Der Begriff der Phänomene verweist einerseits auf ein methodisches Vorgehen, andererseits auf eine wissenschaftstheoretische Grundhaltung, die ich vertrete. Methodisch deutet es an, dass wir nicht etwa nach Implementationsmöglichkeiten der Digitalisierung fragen, sondern eine Beschreibung dessen vornehmen, was sich in Schulen, Kindergärten, Gewerkschaftszentren und allen anderen Bildungseinrichtungen als Ausdruck der Digitalisierung zeigt. Wir betreiben das als bescheidenen Beitrag zu etwas, was es noch nicht gibt: einer pädagogischen Theorie der Digitalisierung. Ein solches Vorgehen wird auch induktiv genannt, weil es aus der Beobachtung heraus eine vom Phänomen abstrahierte, d. h. allgemeinere Theorie ermöglicht – theōria bedeutet im Griechischen wortwörtlich Beschau. Dem gegenüber steht ein deduktives Vorgehen, das bereits eine Theorie und Thesen (etwa zur Digitalisierung) voraussetzt und deren Richtigkeit empirisch prüft. Die in dieser Einführung dargestellten Phänomene sind jedoch keine beliebige Aneinanderreihung zufälliger oder auffälliger Erscheinungen, sondern bereits das Ergebnis einer mehrjährigen Auseinandersetzung mit dem Thema in forschender und lehrender Hinsicht. Der Aufbau dieses Buchs, die Auswahl der Phänomene und der Gang von Beispiel zu Beispiel – Epăgōgḗ, wie es Aristoteles nennt und Günther Buck (2019) theoretisiert – können somit einerseits als illustrativ, andererseits als prototheoretisch beschrieben werden.7 Darin zeigt sich ein Theorieverständnis, das solche nicht einfach auf Praxis anwendet, sondern sie als sinngebende und abstrahierende Instanz begreift, mit Hilfe derer die Welt und unsere Gegenstände darin besser verstanden werden können.

Hinter meinem Vorgehen steht ein Denkstil, der gemeinhin phänomenologisch genannt wird (Agostini 2026). Im Gegensatz zu konstruktivistischen Theorien ruht die Phänomenologie auf einem realistischen Weltbild auf, also der Annahme, dass es eine vorgängig existente Welt gibt, an der wir gemeinsam teilhaben, dessen Wahrnehmung uns aber voneinander unterscheidet. Jedem und jeder zeigen sich Phänomene auf unterschiedliche Arten und Weisen, was auf unsere je eigenen Erfahrungshorizonte verweist. Über das Medium des Gesprächs können wir eine Verständigung darüber vornehmen, was in institutionalisierter Form als Unterrichtsgespräch zum Ausdruck kommt. In diesem Sinne hat auch ein solches Buch ein soziales Moment, weil es Ihnen meine (durchaus fehl- und korrigierbare) Wahrnehmung darlegt und Sie dazu auffordert, sich dazu zustimmend, ablehnend oder – im besten Fall – differenziert zu verhalten. Auch bedeutet die Darlegung meiner Perspektive nicht, dass keine Quellen, Studien und Stimmen anderer theoretischer und disziplinärer Herkünfte zu Wort kämen. Im Gegenteil: Diese werden, möglichst transparent, mit dem Dargelegten konfrontiert, sodass sich im besten Fall für Sie nachvollziehbar deutliche Ähnlichkeiten, Differenzen, Ambivalenzen und Widersprüche abzeichnen.

Was ebenfalls ein phänomenologisches Denken auszeichnet, ist, dass es von der leiblichen Verfasstheit unserer Existenz ausgeht. Im Leib sind untrennbar Körper und Geist miteinander verbunden – was René Descartes (1596 – 1650) und viele andere mehr analytisch zu trennen suchten –, da das eine nicht ohne das andere existieren kann. Diese Einsicht wird vor allem mit Blick auf die Virtualisierung und Enträumlichung/Entzeitlichung im Zuge der Digitalisierung relevant. Als Drittes von vielen noch zu nennenden Merkmalen ist eine mit der Leiblichkeit verbundenen Idee menschlichen Handelns verbunden, die sich nicht komplett rationalisieren lässt; entgegen einer Haltung, wie sie im Kognitivismus etwa weit verbreitet war und ist. Das heißt, dass uns selbst zahlreiche Momente unseres Denkens, Verhaltens, Handelns entzogen sind und sich erst entweder lange nach dem Erfahrungsvollzug oder gar nicht durch Reflexion erschließen lassen (Meyer-Drawe 2005). Denken Sie beispielsweise an das Phänomen der Verliebtheit, was sich mit hemdsärmeligen Analogien (›Schmetterlinge im Bauch‹) nur ansatzweise beschreiben lässt, und auch nur denen, in deren Erfahrungshorizont eine Verliebtheitserfahrung bereits vorliegt.8 Die genannten spezifischen Momente eines phänomenologischen Blicks – Sozialität, Leiblichkeit, Entzug – werden an verschiedenen Stellen des Buchs relevant.

Worauf fokussieren wir, wenn wir auf Transformationen blicken, also bewusst von Digitalisierung sprechen und nicht vom bereits Digitalisierten oder der anzustrebenden Digitalität? Offenbar geht es um einen Wandel, der nicht abgeschlossen, sondern noch oder bereits wieder im Gang ist. Unser Blick richtet sich in den folgenden elf Kapiteln also darauf, dass und wie sich Dinge verändern, die in unseren Zuständigkeitsbereich fallen, weil wir sie als pädagogisch ausweisen. Das setzt wiederum ein historisches Bewusstsein voraus über den Status quo ante, also eine Beschreibung pädagogischer Praxis vor der Digitalisierung. Damit handeln wir uns zwei Probleme ein. Erstens ist es, wie wir bereits festgestellt haben, aufgrund der Dehnbarkeit des Digitalisierungsbegriffs ausgesprochen schwierig, einen Anfang zu datieren. Zweitens überschneidet sich die pädagogische Praxis mit anderen Zuständigkeiten, sodass ein allgemeines Sprechen über das ›Außerpädagogische‹ zwangsläufig Ungenauigkeiten mit sich bringt, über die Sie bitte großmütig hinwegsehen. Unsere Beobachtungen von Transformationen sind demnach solche, die sich entweder als neues Phänomen aus dem technischen Fortschritt oder politischen Leitlinien ergeben oder durch das Zusammenspiel bereits bekannter Einzelteile neue Wirkungen entfalten – man spricht in diesem Fall auch von Emergenz. Häufig sind diese Transformationen, die für die kommenden Kapitel titelgebend sind, das Ergebnis anhaltender Diskurse verschiedener Disziplinen und zahlreicher kluger Köpfe und somit Erinnerung an wissenschaftliche Demut. Wir sind und bleiben, woran uns Karl Popper erinnert, Zwerge auf Schultern von Riesen. Was schließlich hier mit dem Festhalten am kontinuativen Begriff der Digitalisierung ebenfalls verbunden ist, ist eine Ablehnung der Vorsilbe ›Post-‹ für die Beschreibung und Problematisierung pädagogischer Phänomene, etwa ausgewiesen als ›postdigitaler Unterricht‹. Das liegt einerseits im inkonsistenten, abermals Ungenauigkeit produzierenden Begriffsgebrauch: ›post-‹ kann anzeigen, dass etwas normalisiert ist, aber auch, dass man es hinter sich gelassen hat (Zulaica y Mugica & Buck 2023a). Ich befürchte, dass mit seinem Gebrauch der Blick auf den fortlaufenden Prozess verstellt wird, der für das Anliegen dieses Buches zentral ist.9

Im Mittelpunkt unserer Annäherung steht der Begriff des Pädagogischen. Einige Annahmen für die folgenden Kapitel kennen Sie bereits. Wir gehen davon aus, dass die pädagogische Praxis eine soziale und leibliche ist – und somit nicht radikalpsychologisch auf das Individuum reduzibel oder rein empirisch beschreibbar ohne implizite oder explizite Vorstellungen davon, was man beschreibt. Gemeinsam bedeutet das: Wir betreiben Pädagogik – sei es in Form von spontaner Erziehung, geplantem Unterricht, universitärer Lehre usw. – immer im Medium der Sozialität und Zwischenleiblichkeit, wie es beim französischen Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty (1908 – 1961) heißt. Darüber hinaus ist die pädagogische Praxis eine ethisch dimensionierte, was bedeutet, dass wir stets über eine normative Vorstellung davon verfügen, was gute und gelingende Erziehung ist und wie ihr Gegenteil aussieht. Diese Normen sind häufig überliefert und implizit, mitunter politisch vorgegeben, idealerweise professionell ausgehandelt und wissenschaftlich begründet. Selbstverständlich vollzieht sich Erziehung im Sozialen, allerdings nicht unter der Annahme, dass Erziehung allein und ausschließlich der Sozialisation der nachfolgenden Generation dienlich ist (eine Position, wie Sie der Begründer französischen Soziologie Émile Durkheim (1858 – 1917) noch vertrat), sondern als deren kritisches Korrektiv. Das heißt: Wir können pädagogisches Denken und Handeln begründet von den nahen und fernen Nachbarwissenschaften Psychologie, Soziologie, Kulturwissenschaft und Neurobiologie abgrenzen, die auch etwas zum Lernen, zur Schule, zur Sozialisation oder zur Entwicklung beizutragen haben bzw. diese zu ihren Forschungsgegenständen erheben. Zugleich bleibt unser Kernbegriff der der Erziehung. Als solcher ist er weder Lernen noch Bildung gleichzusetzen, sondern jeweils zu ihnen zu bestimmen (Welter & Tenorth 2022). Mit Klaus Prange (1939 – 2019) verstehe ich unter Erziehung jedes Zeigen, das auf ein Lernen gerichtet ist, womit Erziehung und Unterricht in eins fallen, zumindest was die Absichtsdimension unseres Handelns betrifft. Das Zeigen ist pädagogische Aufgabe schlechthin, seine Reflexion, Theoretisierung und empirische Prüfung Gegenstand der Erziehungswissenschaft.10

Schließlich ist die Praxis zu erläutern. Hierunter verstehe ich die Gesamtheit verschiedener, voneinander unterscheidbarer Handlungen unterschiedlicher Reichweite innerhalb unserer Handlungsfelder, von der Frühpädagogik bis zur Alterspädagogik. Unsere Praxis findet stets im Medium der Gesellschaft statt – selbst, wenn es sich um ein Zwiegespräch handelt. Die Praktiken innerhalb einer Praxis sind gewiss vielfältig. Für das Beispiel Schule können das neben dem Unterricht sein: die Unterrichtsplanung, eine Klausurkorrektur, das Melden und die Gesprächsordnung im Unterricht, ein Unterrichtsbesuch im Referendariat, die Durchführung eines Elterngesprächs, das Pausengespräch mit einer Schülerin oder die Leistungsbesprechung eines Schülers in der Zeugniskonferenz. Die in diesem Buch vorkommenden Praktiken, selbstverständlich nicht auf das Feld der Schule beschränkt, dienen als Bezugspunkt für Auffälligkeiten der Transformation, ohne dass ein spezifisch praxistheoretischer Zugang gewählt wurde. Darunter zu verstehen ist eine Forschungsperspektive, die Gesellschaft von ihren Praxen her zu erschließen versucht, d. h. nicht von einer normativen Idee des Gemeinsamen ausgeht (etwa ein Leben in Gesundheit, Frieden und Wohlstand), sondern eine Beobachtung vornimmt, wie in der Gesellschaft menschliche Praxis sprachlich und körperlich gestaltet ist, um deren jeweiliges Funktionieren zu sichern. Sie hat ihre Wurzeln in der Ethnomethodologie Harold Garfinkels (1917 – 2011) und in der phänomenologischen Soziologie Alfred Schütz' (1899 – 1959) (Schäfer 2016). Vielmehr soll eine phänomenologische Deskription digitalisierender Phänomene im Mittelpunkt stehen.

Erlauben Sie mir noch einige Worte zum Umgang mit diesem Buch: Die folgenden Kapitel bauen teilweise aufeinander auf, demnach lautet die Empfehlung, es in klassischer Form von vorne bis hinten zu lesen. Die beigefügten Fußnoten dienen der jeweiligen Präzisierung und Ergänzung des Dargelegten, sind für den hauptsächlichen Argumentationsstrang allerdings weniger relevant. In den elf folgenden Kapiteln wird zunächst eine Transformation benannt, die durch die Digitalisierung betroffen, angestoßen, beschleunigt oder verursacht wurde. Anhand ausgewählter Texte wird plausibilisiert, auf welche Art und Weise Veränderungen geschehen und wie sich diese jeweils empirisch plausibilisieren lassen.11 Nach jedem der folgenden Kapitel erschließt sich, so meine leise Hoffnung, ein differenzierteres Bild der chimärenhaften Digitalisierung der Bildung und somit die Möglichkeit einer informierten und überlegten Haltung und Stellungnahme zu ihr sowie verantwortlicher Praxis mit ihr.