DIN -CORONA - uli rudelringer - E-Book

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uli rudelringer

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Beschreibung

Wieder tötet ein unheimlicher Killer zahlreiche Bürger Dinslakens. Angetrieben wird er durch die Ignoranz der Einwohner und der Unfähigkeit der zuständigen Stellen, die vorgegebenen Maßnahmen durchzusetzen. Die beiden Kriminalbeamten Ruben Weiss und Tamara Kirschstein stehen vor einem fast unlösbaren Fall. Prof. Dr. Siegwardt von Manntheuffel, der zuständige Pathologe und Freund der beiden, versucht ihnen, wie immer, zur Seite zu stehen. Unterstützt werden Sie ebenfalls von Oberstaatsanwalt Christian Brücker, der immer bestrebt ist, sein Team aus der Schusslinie zu halten. Einfach ist das nicht, denn die Stadtverwaltung und die landespolitischen Größen wollen Ergebnisse. Das Töten geht weiter. Die Entführung eines kleinen Mädchens bringt noch mehr Brisanz in das Geschehen. Tamara Kirschstein weicht nicht von der Seite ihres Kollegen, der einen ganz eigenen schweren Kampf an vorderster Front bestehen muss. Werden sie es schaffen, den Mörder zu finden und seiner gerechten Strafe zuzuführen? Kann das kleine Mädchen aus der Gewalt seines unberechenbaren und fast irren Entführers befreit werden? Die zusätzlichen widrigen Umstände einer Pandemie bringt alle Beteiligten an die Grenze ihrer Kraft.

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Seitenzahl: 320

Veröffentlichungsjahr: 2020

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VORWORT

SYPHILLIS und POCKEN, POCKEN, PEST, HIV, GRIPPE, SCHWEINEGRIPPE, SPANISCHE GRIPPE, ASIATISCHE GRIPPE, VOGELGRIPPE, SARS, H5N1, CHOLERA, EBOLA, TUBERKOLOSE, oder CORONA, nur um hier einige zu nennen, sind und waren ansteckend und teilweise tödlich. Woher kommen diese Plagen? Machen die Menschen Ihre Krankheiten selber. Sind sie die Verursacher? Sind die Menschen selber schlecht? Die meisten? Einige wenige? Rächt sich die Natur? Schlägt der blaue Planet zurück? Diese Fragen werden hier mit Sicherheit nicht beantwortet. Da müsst Ihr schon Fachbücher benutzen und bekommt trotzdem nicht Eure Antworten. Sucht in den sozialen Medien und vergesst das Internet nicht. Hört und seht Nachrichten. Glaubt Euren Nachbarn und Arbeitskollegen. Vertraut Freunden und Angehörigen. Wenn Ihr aber einmal abschalten wollt, dann lest hier weiter. Spannung und Blut sind nicht garantiert aber ihr könntet Euch auch viel schlechter langweilen. Oder gleich am Anfang das Buch einfach zerreißen.

DINSLAKEN

-CORONA-

Die Claudiastraße lag friedlich und still da. Nur der wilde Regen störte die nächtliche Ruhe. Regina Malzer, die zweiundzwanzigjährige Studentin, die sich in ihren Semesterferien als Kassiererin bei NETTO betätigte um sich ein kleines finanzielles Polster zu schaffen, hetzte durch die herabstürzenden Fluten. Ihre Kleidung konnte den Wassermassen nicht trotzen, da sie lediglich eine dünne luftige Bluse übergezogen hatte. Diese war bereits vollkommen durchnässt, so dass ein Kälteschauer nach dem anderen über ihren Rücken jagte. Die Nippel ihrer Brüste drückten sich durch den dünnen Stoff, hinter dem sich die Konturen mehr als deutlich abzeichneten. Regina Malzer kämpfte gegen die sporadischen Sturmböen an. Ihr war schrecklich kalt. Verzweifelt blickte sie sich nach einem kurzzeitigen Unterschlupf um, obwohl sie es bis zum Irmgardweg nicht mehr weit hatte. Sie rannte über die Kreuzung zur Wilheminenstraße, weiter die Claudiastraße entlang. Auf der rechten Seite erblickte sie eine Bushaltestelle. Sie hetzte darauf zu. Nun stand sie wenigstens nicht mehr im Regen. »Wird Zeit, dass ich nach Hause komme«, fluchte sie laut vor sich hin. »Ich hol mir ja sonst noch den Tod.«»Das könnte schneller gehen, als Sie denken«, erschreckte sie eine Stimme, direkt hinter ihr. Mit einem Schrei drehte sie sich herum. Vor ihr stand, in einen schwarzen Regenanzug gehüllt, eine ihr fremde Person, von der sie das Gesicht nicht erkennen konnte. Nur die Augen schauten aus einem schmalen Schlitz heraus. »Kann ich Ihnen meinen Schirm anbieten?«, fragte die Stimme freundlich und hielt ihr einen zusammengerollten Regenschirm entgegen. Regina Malzers Pulsschlag verringerte sich wieder. Och, scheint ja ganz okay zu sein, der Typ, dachte sie sich. »Das wäre sehr nett von Ihnen«, antwortete sie. »Kann ich Ihnen den morgen wieder zurückbringen?«, deutete sie auf den Schirm. »Kein Problem«, antwortete die Stimme. Regina Malzer griff nach dem Schirm. Sie verfehlte ihn ganz knapp. Mit einem Klacken kam er auf dem feuchten Boden zum Liegen. »Ups«, seufzte sie und bückte sich nach dem Schirm. Plötzlich spürte sie einen extremen Schmerz in der Gegend ihrer rechten Niere. »Au. Was zum Teuf...?«Ein erneuter, schlimmerer, Schmerz. Und noch einer. Sie sank zu Boden und stützte sich mit ihrer rechten Hand ab, mitten in einer großen Pfütze. Sie begriff nicht, was geschehen war. Ihr Oberkörper senkte sich auf den nassen Gehweg. Sie sah noch die Regentropfen und wie die Pfütze eine rote Farbe annahm. »Ist das schön…«, flüsterte sie ihre letzten Worte. Dann schlossen sich ihre Augen. Ein Blitz durchdrang die Nacht. Dieser beleuchtete eine skurrile Szene. Vorsichtig befestigte eine kniende Gestalt eine Atemschutzmaske über Mund und Nase der am Boden liegenden Frau. Die Person zupfte noch einmal kurz daran und prüfte den korrekten Sitz, bevor sie zufrieden war. Langsam entfernte sich die vermummte Gestalt. Kalt glänzten die Regentropfen auf dem glatten wasserabweisenden Überzug. Bei jedem Schritt vollführte der Regenschirm eine kreisende Bewegung in der Hand der sich entfernenden Person.

***

Der Notruf erreichte die Zentrale ein paar Minuten später. Der Fahrer eines Taxis hatte die leblose Gestalt auf der Straße liegen gesehen und sofort angehalten. Er hatte die Person vorsichtig an der Schulter gerüttelt, aber leider keine Reaktion bekommen. So hatte er beschlossen, den Notruf zu wählen. Danach eilte er zu seinem Kofferraum und entnahm diesem einen großen Regenschirm, den er sofort aufspannte und sich dicht neben das Opfer kniete, um wenigstens den meisten Regen abzuhalten. Dann wartete er.

***

Ein mit einer Maske verdecktes Gesicht näherte sich dem ihrigen. Sie hatte Angst. Warum kam das Gesicht immer näher? Wer war das? Was sollte das? Sie bemerkte sein hämisches Grinsen, trotz der Maske. Ich kenne ihn. Ihre Gedanken suchten die Lösung. Er kam näher. Nur Zentimeter war sein Gesicht von ihrem entfernt. Seitlich schob sich etwas Glänzendes in ihr Blickfeld. Der Glanz wurde von etwas Rotem unterbrochen. Ist das Blut? Panik machte sich in ihr breit. Sie schrie. Ihre Arme wehrten die Gefahr ab und schlugen wild durch die Luft. Ein lauter Knall. Tamara Kirschstein öffnete ihre Augen. Sie lag in ihrem Bett. Schnell richtete sie sich auf. Ihre Decke lag auf dem Boden. Daneben die zerbrochene Nachttischlampe. Sie bemerkte, wie kalt ihr war. Das Shirt war schweißgetränkt und klebte an ihrem Körper. Sie versuchte es auszuziehen, was ihr nur mit einiger Mühe gelang. In hohem Bogen landete es direkt vor dem Wäschekorb. Ihr Atem ging nun gleichmäßiger. »Was soll denn nur die Scheiße?«, fragte sie sich selber. »Warum hab' ich nur diese bekloppten Albträume?«Immer wieder hatte sie sich diese Fragen gestellt. Nur wusste sie die Antwort nicht. Sie hatte ihrer Meinung nach keinerlei schwerwiegende Erlebnisse zu verarbeiten. Sie hatte nichts Schlimmes verdrängt. Zwar war sie als Kriminalkommissarin immer in Gefahr traumatische Situationen zu erleben, aber keine hatte sie bisher aus der Bahn werfen können. Selbst eine nicht mehr nett anzuschauende Leiche brachte sie um den Schlaf. Früher hatte sie sich an manchen Mordschauplätzen auch schon mal übergeben müssen. Diese Zeit lag hinter ihr. Dafür hatte sie in ihren jungen Jahren bereits genug schaurige Details ertragen müssen. Und diese hatten sie hart gemacht. Sie war überzeugt davon, mit sich im Reinen zu sein. Es gab nicht viel, was sie aus der Bahn werfen konnte. Viele Gründe, warum sie diese Albträume nicht verstand. Vorsichtig setzte sie ihre nackten Füße auf das Laminat. Sie wollte vermeiden, in eine der zahlreichen herumliegenden Scherben zu treten. Im Bad angekommen drehte sie die Dusche auf. Wieder brauchte sie eine geraume Zeit, um die richtige Temperatur einzustellen. Sie steckte ihren Kopf darunter. Die Temperatur war okay, also machte sie den letzten Schritt. Da hörte sie ihr Smartphone schellen. »Scheiße, Scheiße, Scheiße, verfluchte Scheiße nochmal!«Bereits mit dem letzten Fluch hatte sie das Wasser abgedreht und hastete zum Telefon. Der Tag begann.

***

Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Wie viele Deppen gibt es eigentlich immer noch? Gefährden sich und andere und haben dann noch eine große Fresse.Warum musste das immer sein? Konnten sich die Leute nicht an die Vorgaben halten? Immer war irgendwo einer dabei, dem das egal war. Die Leute waren so begriffsstutzig, so ignorant. Gerade für sie sollten doch die allgemeinen Verordnungen gelten. Sie, die auf alles schissen. Alles in den Dreck zogen. Denen andere egal waren. So konnte es nicht weitergehen. Auf keinen Fall. Sie mussten es lernen. Hier konnte nur die harte Tour helfen. Am eigenen Leib spüren. Fühlen, was sie anderen antaten. Sie mussten büßen. Für ihren Egoismus. Für ihre Selbstgefälligkeit. Für ihre Ignoranz. Für ihr unnützes Leben.Die Person war mit sich zufrieden. Sie wandte sich ihrer teuren Digitalkamera zu, einer CANON EOS 2000D, mit einer Auflösung von 24,1 Megapixeln. Die Kamera wirkte an dem daran befindlichen leistungsstarken Teleobjektiv, mit einer Brennweite von 200 bis 800 Millimetern, schon fast verloren. Nichtsdestotrotz machte sie hervorragende Bilder. Flinke Finger bewegten sich über die Einstellknöpfe des Menüs. Gerade wurden die letzten 54 gespeicherten Fotos von Regina Malzer gelöscht.

***

Tamara Kirschstein sah ihren Kollegen, Kriminalhauptkommissar Ruben Weiss, aus seinem Auto steigen. Mit aufgespanntem Regenschirm ging sie ihm entgegen. »Wo hast Du Dich denn schon wieder rumgetrieben?«, fragte sie ihn frotzelnd. »Ging leider nicht eher. Musste meine Kleine noch unterbringen«, antwortete er. Seine Ex-Frau und er teilten sich das Sorgerecht. Diese Woche hatte er das Vergnügen, sich um die Fünfjährige zu kümmern. »Zum Glück hat meine Schwester gerade Urlaub. Sie hat die Kurze mit Freuden genommen, weil sie im Moment eh schon Schlafprobleme hat.«Er versuchte, geblendet von den zuckenden Blaulichtern, einen Blick in Richtung des Tatortes zu werfen. »Was haben wir denn überhaupt, Tamara?«Tamara Kirschstein deutete mit dem Finger auf seinen Beifahrersitz. »Vergiss Deine Maske nicht«, erinnerte sie ihn. Die allgemeinen Verhaltensregeln in Corona-Zeiten mussten auch von den Staatsbediensteten eingehalten werden. Ruben Weiss beugte sich nochmals in seinen Wagen, um den FFP-2-Mundschutz herauszuholen. Erst als er seine Nase und den Mund damit bedeckt hatte, antwortete Tamara Kirschstein ihm. »Eine schwerverletzte Frau. Regina Malzer. 22 Jahre alt. Hat viel Blut verloren. Den Rest müssen wir Manni fragen. Ich bin auch noch nicht lange hier.«»Warum ist denn dann Manni überhaupt hier?«, fragte Ruben Weiss. »Weil erst nach Eingang der Meldung ein uniformierter Kollege festgestellt hatte, dass die Frau noch lebt.«Ruben Weiss schüttelte in Unverständnis seinen Kopf und nahm den Schirm aus den Händen seiner Kollegin. Dicht darunter gedrängt schlugen sie die Richtung ein, in der der Tatort lag. Den vorgegebenen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern konnten sie in ihrem Beruf, aufgrund der unterschiedlichen Verhaltensmuster bei ihren gemeinsamen Fällen, praktisch gar nicht immer einhalten. Beide verhielten sich ansonsten aber vorbildlich. Der Pathologe und ForensikerProf. Dr. Siegwardt von Manntheuffel, kniete vor dem vermeintlichen Tatort. Auch er trug einen Mundschutz. Das gehörte bei ihm sowieso zum täglichen Vergnügen. Kurz schaute er auf die Ankömmlinge. »Na, auch endlich hergefunden?«»Moin, Manni«, kam es unisono aus beiden Mündern. »Hast Du schon was für uns oder willst Du nur dumm rumlabern?«, nahm Ruben Weiss den ewigen, nicht ernst gemeinten Kampf an. »Was heißt hier labern? Ich habe lediglich mein Missfallen kundgetan, dass ihr Euch immer erst blicken lasst, wenn ich bereits die ganze Arbeit getan habe.«»Du bist doch gerade erst aus Deinem Wagen gestiegen, als ich hier angekommen bin. Jetzt tu mal nicht so«, ereiferte sich Tamara Kirschstein. »Wie dem auch sei…«, fuhr der Professor fort, »und das in einem Fall, mit dem ich eigentlich überhaupt nichts zu tun habe. Ich habe vier Einstichwunden in ihrem Rücken gezählt, also im Bereich der rechten Niere, die ich sogleich behandelt habe. Ich hoffe, sie übersteht den Weg ins Krankenhaus. Die gezackten Wundränder, die ich sah, deuten auf ein dünnes, beidseitig unförmig geschliffenes, aber sehr scharfes Stichwerkzeug hin. Jeder einzelne Stich wäre bei entsprechender sofortiger Behandlung nicht lebensbedrohlich gewesen, aber alles zusammen hat dies gereicht, um eine lebensbedrohliche Blutung hervorzurufen. Das könnt Ihr hier ja an der Menge des Blutes erkennen.«Tamara Kirschstein sah den Rest roter Flüssigkeit in den Rinnstein laufen, was natürlich durch den anhaltenden Regen noch begünstigt wurde. »Näheres dann nach der Obduktion, äh, nach der Operation, die hoffentlich hilft.« Ruben Weiss und Tamara Kirschstein sahen ihn fragend an. »Sorry, da ich im Normalfall immer nur Tote sehe, war das wohl ein Freud'scher Versprecher.«Damit beendete der Professor seine Ausführungen. »Danke Manni. Hoffentlich schafft sie es. Abwehrverletzungen?«, fragte Ruben Weiss. »Wenn welche da wären, hätte ich Dich ja wohl als Ersten informiert«, schnodderte der Professor zurück. »Zeugen?«, richtete er die Frage an die hinzugekommene Doris Moleschal, ebenfalls eine Kollegin, im gleichen Rang wie Tamara Kirschstein. »Moin Ruben, moin Tamara«, grüßte diese. »Nee, leider hab' ich nix. Keiner hat was gesehen. Keiner was gehört. Hier, der Taxifahrer, Dietmar Misch, hat sie gefunden.«Sie deutete auf einen ungefähr fünfzig Jahre alten Mann, der nervös hin und her tänzelte und so wirkte, als würde er heulen. Andauernd wischte er sich den Regen von seinem nassen Kopf. »Nimm ihn mit aufs Revier, bitte. Tamara und ich kommen gleich nach.«Doris Moleschal war froh, aus dem strömenden Regen verschwinden zu können. Ruben Weiss gab Tamara Kirschstein den Regenschirm. Er zog sein Smartphone aus der Tasche und machte ein Foto von dem ausgehängten Busfahrplan. Tamara Kirschstein hielt mittlerweile den Schirm wieder über sie beide. Sie begleitete ihn zu seinem Wagen und stieg dann in ihren. Langsam rollten sie gemeinsam auf eine rote Ampel zu. Beide gaben Gas, als das Licht erst auf Gelb, dann auf Grün wechselte. »Der Tag fängt ja schon wieder gut an«, resümierte Ruben Weiss kurz und schaltete den CD-Player auf Wiedergabe. Im gleichen Rhythmus, wie das Gitarrensoli von Ted Nugent, trommelten seine Finger auf das Lenkrad.

***

Eine Woche früher war Oberstaatsanwalt Christian Brücker gerade dabei, sich einen Kaffee einzuschütten. Er setzte sich und genoss den ersten Schluck mit geschlossenen Augen. »Ja, so kann die Woche anfangen«, kamen die Worte aus seinem Mund. Muss ja nicht dieser, von Katzen ausgekackte Kaffee sein, wo 100 Gramm um die 50 Euro kosten, dachte er weiter. Der Professor hat ja wohl einen an der Klatsche. Vor kurzem hatte er einen Artikel darüber gelesen. Es war eine Form von Kaffee, der aus ursprünglich halb verdauten Kaffeebohnen bestand. Diese gewann man aus den Exkrementen von in freier Wildbahn lebenden Fleckenmusangs. Das war eine bestimmte Katzenart, die in Süd- und Südost-Asien beheimatet war.5,49 Euro. Mehr brauche ich nicht, erfreute er sich weiterhin an seinem aromatischen Trank. Zufrieden sah er die Post durch. Ein gelber Umschlag erregte seine Neugier. Auf die Vorderseite war in schwarzen, leicht schräggestellten Buchstaben, welche eindeutig von einem Drucker erzeugt waren, das Wort "Mordkommission" zu lesen. Ein Absender stand auch darauf. "Anonym" konnte er lesen. Mit einem leichten Grinsen war er bereits versucht, den Umschlag in seinen Papierkorb zu befördern. Im letzten Augenblick hielt er inne und riss das Umschlagpapier auf. Es gab immer mal wieder Post von Wichtigtuern oder selbst ernannten Kämpfern für das Recht, Selbstdarstellern oder einfach nur Spinnern. Er faltete das DIN-A 4 große Blatt auseinander, welches nun vom Umschlag befreit war. Er begann zu lesen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit möchte ich meinen Unmut, hinsichtlich der Beschränkungen zur CORONA-Pandemie, kundtun. Nicht, dass ich damit nicht konformgehen würde. Mich erstaunt nur, wie die vorgegebenen Verhaltensmaßnahmen so ad absurdum geführt werden. Mindestens jeder Dritte hier in Dinslaken hält sich nicht daran. Die Abstandsregel wird nicht eingehalten. Es wird rumgehustet und gespuckt. Eingekauft wird ohne Mundschutz. Gruppen, mit mehr als 5 Personen, strömen durch die Innenstadt. In vielen Autos sitzen ebenfalls bis zu 5 junge Männer, augenscheinlich im gleichen Alter, die unmöglich Brüder sein können. Ich nehme das nicht länger hin. Hiermit erhalten Sie eine Frist von genau einer Woche, nach Datum des Poststempels. So haben Sie Zeit, die vorgegebenen Regeln durchzusetzen und es den Bürgern klarzumachen. Sollte es nach Ablauf der Frist noch weitere, nicht den Vorgaben entsprechende Auffälligkeiten geben, so müssen diese Personen mit einer adäquaten Bestrafung rechnen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und verbleibe mit bestem Dank im Voraus und freundlichen Grüßen. C.

Der Oberstaatsanwalt wusste nicht, was er davon halten sollte. Er las den Brief ein zweites Mal durch. Dann entschloss er sich, diesen in die entsprechende Abteilung weiterzugeben. Er heftete eine Notiz an die Nachricht und legte sie in seinen Post-Ausgangskorb. Beim nächsten Schluck von seinem immer noch dampfenden Kaffee, dachte er schon nicht mehr daran.

***

Im Büro angekommen, desinfizierte sich Tamara Kirschstein ihre Hände mit der von der Verwaltung zur Verfügung gestellten alkoholischen Mixtur. Anschließend hielt sie sich beide Hände vor die Nase und sog den Geruch ein. Sie hatte eine Vorliebe für diesen strengen, aber auch anregenden Geruch. »Nicht, dass ich Dich noch in eine Entzugsklinik stecken muss, weil Du davon abhängig geworden bist«, scherzte Ruben Weiss. »Ach, hör auf. Ich rieche es nur gerne«, antwortete seine Kollegin. »Soll ich Kaffee kochen?«»Ich dachte schon, Du fragst nie.« »Gut. Heute ich, morgen Du. Einverstanden?«, fragte Tamara Kirschstein. Ruben Weiss schaute etwas bedröppelt. »Wenn's sein muss. Aber nicht meckern, wenn er Dir nicht schmeckt. Der einzige Kaffee, der Dir schmeckt, ist sowieso immer nur Deiner.«»Ich habe neue Informationen«, kam Doris Moleschal lächelnd in das Büro. »Regina Malzer ist über den Berg, liegt aber noch auf der Intensivstation.«»Das ist ja mal eine gute Nachricht«, freute sich Tamara Kirschstein mit ihrer Kollegin. »Wann können wir sie denn vernehmen?«, wollte Ruben Weiss wissen. »Sie wollen uns anrufen und Bescheid geben«, antwortete Doris Moleschal. »Sie muss sich erst noch weiter erholen.«»Jetzt nuschle doch nicht so unter Deiner Maske. Ich habe kein Wort verstanden«, beschwerte sich Ruben Weiss. »Ich nuschle doch gar nicht«, ereiferte sich Doris Moleschal und schaute Ruben Weiss kämpferisch in die Augen. Dieser hatte soeben seinen Mundschutz abgenommen und lächelte sie verschmitzt an. Jetzt fiel auch bei ihr der Groschen. »Du bist ja so gemein. Du weißt ja wohl, dass Du das wiederkriegst, ne?«Auch Tamara Kirschstein lächelte. Doris Moleschal beobachtete ihre Kollegin dabei, wie sie Kaffee aufsetzte. »Ich habe nebenan noch Plunder und auch Streuselkuchen. Kann ich Euch was anbieten, so zum Käffchen?«»Das wäre ganz toll, Doris«, antwortete Ruben Weiss. »Wir haben heute ja auch noch nichts gehabt.«Freudig machte sich Doris Moleschal auf. Sie nahm das Papiertablett, auf dem sich mindestens vier Teilchen befanden, von ihrem Schreibtisch und suchte nach ihrer Tasse. Ihr fiel ein, dass sie noch in ihrer Schublade sein musste und nahm sie dort heraus. Vorsichtig machte sie sich zu ihrem ersten wichtigen Treffen an diesem Tage auf.

***

Haben sie meine Nachricht verstanden? Vielleicht ist ja keiner dabei, der die Zusammenhänge deuten kann. Aber das soll nicht mein Problem sein. Sie sind doch selber schuld, wenn sie ihre eigenen Vorgaben nicht einhalten. Wenn ich schon wieder an das arrogante Arschloch von vorhin denke. Hat sich einfach an der Fleischtheke vorgedrängt, weil er keine Zeit hatte. Und ob ich nicht wüsste, wer er wäre. Und dann kam er mit seinem Gesicht immer näher und wollte mir Angst einjagen. Der Großkotz, der Penner. Ich bin natürlich zurückgewichen. Vor dieser hässlichen Fratze. Vor diesem grässlichen Mundgeruch. Am liebsten hätte ich ihm mit meinem Brotmesser sein beschissenes Lächeln noch breiter in das Gesicht geschnitten. Vielleicht habe ich ihn ja nicht zum letzten Mal gesehen. Er sollte beten. Nein, besser. Er sollte sich verstecken, bevor ich ihn finde. Bevor das Schicksal ihn findet. Dann fing er an zu beten.

***

»Da komme ich ja gerade richtig«, freute sich der Pathologe und gleichzeitige Forensiker Prof. Dr. Siegwardt von Manntheuffel, als er das Büro seines Freundes betrat und übertrieben mit der Nase schnüffelte. Aus den Augenwinkeln heraus sah er Doris Moleschal mit den Teilchen zur Tür hereinkommen. »Hätte ich das gewusst, hätte ich auch was zum Kaffee mitgebracht«, flunkerte er den anderen vor. »Manni«, entgegnete Ruben Weiss. »Du hast doch immer das richtige Gespür dafür, wenn es etwas umsonst gibt und Du dabei bist. Was hältst Du denn davon, hier morgens mal zu erscheinen und wirklich was mitzubringen? Immer kommst Du ohne irgendetwas oder hast beide Hände voll, so als Ausrede, weil Du nicht mehr tragen konntest.«»Das ist doch gar nicht so«, wehrte sich sein Freund. »Das sind nicht planbare Ereignisse, auf die ich ja wohl den wenigsten Einfluss habe, oder?«»Hört auf jetzt, Ihr beiden. Eine Tasse Kaffee haben wir doch immer für unseren extraordinären Wissenschaftler oder liege ich da falsch?«, beruhigte Tamara Kirschstein die Szene. Alle lächelten. Doris Moleschal stellte das Tablett mit den Teilchen auf Tamara Kirschsteins Tisch. Diese reichte gerade dem Professor eine dampfende Tasse. Dann bissen Ruben Weiss und seine beiden Kolleginnen gleichzeitig in ihre jeweiligen Teilchen. »Hmmmmhh«und »Lecker« ertönte es fast simultan. Fast alle kauten genüsslich. Der Professor schielte auf das letzte verbliebene Stück, sagte aber nichts. Nach weiteren Bissen und noch mehr schmatzenden Lauten, konnte Doris Moleschal nicht mehr. »Manni, jetzt nimm Dir endlich das Stück, bevor Deine Augen rausfallen.«Ein Ruck ging durch den Professor. »Ich wusste doch, dass Ihr mich nicht hängen lasst.«Keine zwei Sekunden später kaute auch er lächelnd und zufrieden sein Teilchen. »Das nässte Ma binich d ran«, versuchte der Professor den anderen zu erklären. »Kauh dok erssma ssuendde«, entgegnete Ruben Weiss. »Man vestet di gar nich richtich.«Tamara Kirschstein prustete los und hatte Mühe, dass gerade Gekaute bei sich zu halten. Oberstaatsanwalt Dr. Christian Brücker stand im Türrahmen und schaute sich das Geplänkel an, bevor er mit einem »Guten Morgen«vollends in das Büro eintrat.

***

Der Oberstaatsanwalt hatte Ruben Weiss und Tamara Kirschstein aus ihrer Kaffeerunde entführt und mit in sein Büro genommen. Er bot den beiden jeweils einen Stuhl an und setzte sich an seinen Schreibtisch. Voller Ungeduld riss er sich die Schutzmaske vom Gesicht. »Ich hasse diese Scheiß-Dinger. Hoffentlich ist dieser Mist bald vorbei.«Ruben Weiss und Tamara Kirschstein hatten ihre beiden Stühle auf den vorgeschriebenen Abstand verschoben, bevor sie sich setzten und ebenfalls ihre Masken abnahmen. Keiner der beiden sagte ein Wort. Mit Wut pfefferte der Oberstaatsanwalt seine lädierte Maske in den Papierkorb. Dann schaute er seinen Besuch an. »Ihr wisst beide, dass ich im Normalfall so nicht bin. Aber im Moment ist auch nicht alles normal.«Er erntete zwei fragend blickende Kriminalkommissare. »Was ist denn los, Christian?«, wurde Ruben Weiss neugierig. »Passt auf.«Der Oberstaatsanwalt schob den beiden ein, in einer dursichtigen Mappe liegendes, Schriftstück über den Tisch. Beide beugten sich vor, um gleichzeitig lesen zu können. »Das habe ich vor gut einer Woche per Post bekommen. Ich habe es erst als Blödsinn abgetan, aber trotzdem an die zuständigen Kollegen weitergeleitet.«Er wartete ab, bis beide die Lektüre beendet hatten. »Nun habe ich heute erneut so ein Schriftstück bekommen.«Das ebenfalls in einer Klarsichthülle befindliche Schreiben schob er langsam den beiden Kriminalisten hinüber. Ruben Weiss zog es näher an sich heran und betrachtete es eingehend.

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit möchte ich nochmals meinen Unmut, den ich in meinem letzten Schreiben bereits genau definiert hatte, kundtun. Noch immer werde ich und die wenigen Mitmenschen, die sich einwandfrei und korrekt in dieser Zwangslage verhalten und bewegen, von rücksichtlosen, nicht einsichtigen und ignoranten Leuten auf das Übelste belästigt und bedroht. Ja, bedroht. Denn nichts anderes kann man zu diesem verbrecherischen Verhalten sagen. Die meisten halten sich immer noch nicht an die angeordneten Vorgaben. Es ist natürlich ebenso möglich, dass denjenigen, denen mein letztes Schreiben gewidmet war, es nicht versucht oder geschafft haben, die verordneten Vorgaben durchzusetzen oder es gar zu versuchen. So sah ich mich leider gezwungen, ein Exempel zu statuieren. Regina Malzer weiß, wovon ich rede. Sie stand auch über allen Dingen. Keine Einsicht, keine Rücksicht. Sie hatte noch Glück. Der nächste vielleicht nicht mehr. Ab Datum des Poststempels haben Sie noch 24 Stunden, um die CORONA-Beschränkungen durchzusetzen. Was dann kommt, haben Sie zu verantworten. Sie wissen, ich halte mein Wort.

O.

»Was zum Teufel soll das denn?« Ruben Weiss sah seine Kollegin an, die genauso fassungslos war. Dann richtete sich sein Blick auf den Oberstaatsanwalt, dessen Mimik immer noch Wut und Ärger ausdrückte. »Um das herauszufinden, seid Ihr ja da.«

***

Mihajlo Cetic hatte bereits seit ungefähr zwei Tagen das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Aber immer, wenn er sich aufmerksam umsah, konnte er absolut nichts entdecken. Gerade war er mit seinem Jeep Cherokee die Hofeinfahrt hereingefahren. Das elektrisch betriebene Eisentor schloss sich hinter ihm, das heißt, es sollte sich eigentlich schließen. Aber kaum in der Mitte angekommen, stoppte es und fuhr wieder zurück. Mihajlo Cetic stutzte und drückte nochmals die Fernbedienung. Das Tor hielt an und fuhr wieder in Schließrichtung. In der Mitte angekommen, wiederholte sich die gleiche Prozedur. »Prokletnica sranje!«, fluchte er. Das bedeutete so viel wie, verdammte Scheiße. Noch immer konnte er seine serbischen Wurzeln nicht ganz vergessen. Voller Wut lief er auf das Tor zu und suchte einen eventuellen offensichtlichen Fehler. Er bückte sich und bemerkte, dass einer der Sensoren mit etwas Weißem verdeckt war. Er zog und riss daran, bis er den Sensor davon befreit hatte. Sofort fing das Tor an, in die richtige Richtung zu fahren. In der Hand behielt Mihajlo Cetic einen teilweise zerrissenen Mundschutz. Mit Mühe konnte er darauf einen aufgemalten Totenkopf erkennen. Was ist das denn für ein Dreck? fragte er sich. Er hasste diese Masken. Er hasste alles, was damit zu tun hatte. Corona bedeute für ihn eine kleine Grippe. Er verstand nicht, warum die Leute so ein Buhei daraus machten. Und er hasste die Leute, die sich allen Vorschriften unterwarfen. Sollte es etwas mit seinem unguten Gefühl zu tun haben? Er warf alle Gedanken zur Seite, schmiss die Maske über die Hecke zu seinem Nachbarn in den Garten und ging zielstrebig ins Haus. Nachdem sich die Türe geschlossen hatte, bewegte sich eine Gestalt aus dem Schatten heraus und machte sich an die Arbeit.

***

»Du meinst also, wir haben einen bekloppten Killer in der Stadt?«, richtete Ruben Weiss die Frage an den Oberstaatsanwalt. »Etwas Anderes kann man ja wohl ausschließen. Ich glaube sogar, dass dieser Verrückte nicht nur hier in der Stadt ist, sondern sogar hier in Dinslaken wohnt.«»Damit haben wir ja dann nur circa 35.000 Verdächtige, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe«, resümierte Ruben Weiss. »Woher wollt Ihr denn wissen, dass es ein Mann ist?«, warf Tamara Kirschstein ein. »Das wissen wir natürlich nicht, aber die Art der Vorgehensweise…«»Das wären dann nochmal ungefähr 35.000 die wir dazurechnen müssen. Sorry, Christian, dass ich Dich unterbrochen habe.« Dieser sagte gar nichts und tippte etwas in seinen Laptop. »Ich habe Deinen Gedanken mal aufgenommen«, erklärte er. »Ziehen wir, sagen wir alle Personen unter 18 Jahren ab, kommen wir auf knapp 70.000 Verdächtige.«»Was ist mit denen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen? Können wir die nicht auch ausschließen?«, warf Tamara Kirschstein wieder ein. »Ich glaube, dass das alles nichts bringt«, ergriff Ruben Weiss das Wort. »Wir haben einen Durchgeknallten, der wahllos Leute umbringt. Nein, nicht wahllos. Er wusste den Namen von unserem Opfer.«Der Oberstaatsanwalt überlegte kurz und griff dann zum Telefon. »Ja, Oberstaatsanwalt Brücker hier. Ich benötige dringend eine permanente Bewachung von Regina Malzer. Diese liegt im Sankt Vinzenz. Die Zimmernummer müssen Sie erfragen… Ja… Ja, permanent, das sagte ich schon. Wie?... Bis auf weiteres. Jawohl. Und ab sofort. Unverzüglich. Danke.«Der Oberstaatsanwalt legte auf. »Ihr habt es gehört. Macht Euch jetzt auf und verständigt Eure Kollegen. In einer Stunde«, er schaute demonstrativ auf seine TISSOT T-TOUCH-EXPERT-SOLAR, eine exquisite Armbanduhr, die er von seiner Frau zum zehnten Hochzeitstag geschenkt bekommen hatte, »möchte ich einen Bericht über Eure Vorgehensweise. Ich muss jetzt los, tut mir leid.«Die beiden Kripo-Beamten erhoben sich gleichzeitig und verabschiedeten sich. Mit nachdenklichem Gesicht schaute Oberstaatsanwalt Dr. Christian Brücker ihnen hinterher.

***

»Habt Ihr bemerkt, dass der erste Brief mit C unterschrieben ist und der zweite mit O?«, rief Doris Moleschal in den Raum, in dem alle versammelt waren, hinein. Tamara Kirschstein hatte beide Briefe mit Hilfe eines Beamers nebeneinander auf die große Tafel projiziert. »Schön, dass es Dir aufgefallen ist, Doris. Den anderen Anwesenden hoffentlich auch.«Alle nickten sofort und eindringlich. »Dann war Doris wenigstens die Erste, die den Mund aufgekriegt hat«, grinste Ruben Weiss sie an. Doris Moleschal bekam augenblicklich einen roten Kopf. »Aber was sagt uns das?«, fragte Tamara Kirschstein in die Runde. »Vielleicht sind es zwei Leute«, kam es aus einer Ecke. »Oder es hat mit dem Opfer zu tun«, rief eine andere. »Oder es sind zwei Os und bei dem ersten Brief war die Farbe an dieser Stelle alle.«Alle grinsten, bis auf Ruben Weiss. »Macht Euch Gedanken. Wir haben noch vierzig Minuten, bis ich dem Oberstaatsanwalt etwas vorlegen muss.«»Also«, begann Tamara Kirschstein und nahm sich einen Permanentstift, um etwas auf die Tafel zu schreiben. Sie fing mit dem Namen des Opfers an. »Regina Malzer. 22 Jahre alt. Studentin. Vier Stiche in den Rücken. Sie hat überlebt. Mit Glück. Ein vermeintlicher Erpresser, der wahrscheinlich über Leichen geht. Unberechenbar. Gestörte Psyche.«Viele ihrer Punkte notierte sie auf der Tafel. Den letzten Punkt unterstrich sie doppelt. »Was ist das Motiv?«, rief Ruben Weiss seiner Kollegin zu. »Er ist ein Verfechter des Rechts«, versuchte Rainer Siebenhühner die Frage zu beantworten. »Oder er hat Angst vor Corona«, kam eine andere Vermutung aus einer Ecke. »Vielleicht ist er nur durchgeknallt«, äußerte ein anderer. »Er kennt das Opfer«, sagte Tamara Kirschstein und schrieb es gleichzeitig auf die Tafel. »Vielleicht hat er den Namen irgendwo anders her. Vielleicht im Krankenhaus erfahren«, erwiderte Ruben Weiss. »Oder am Tatort in den Ausweis geschaut. Ihre Geldbörse lag ja mitten auf der Straße«, versuchte es Doris Moleschal. »Oder doch alles nur Zufall«, überlegte Ruben Weiss laut. »Passt auf. Tamara, Du schnappst Dir Kopien der Briefe und besuchst unsere Polizeipsychologin. Vielleicht kann sie etwas aus den Zeilen lesen, was uns weiterhelfen könnte. Doris, Du nimmst die Originale. Damit wendest Du Dich an unseren IT-Heini, den …Stefan Sendini…«»Stefano Sendini«, warf Doris Moleschal ein. »Meinetwegen auch Stefano. Vielleicht kriegt er etwas über die Schrifttypen, das Papier oder irgendetwas anderes raus. Der Rest von Euch überprüft noch einmal alle Anwohner des Tatortes und ob eventuell irgendwo Kameras installiert sind. Prüft die Busverbindungen davor. Leute, Busfahrer, alle Personen halt. Und die Arbeitsstelle von Regina Malzer. Kollegen, Gäste, Ihr wisst schon.«Ruben Weiss überlegte, ob er an alles gedacht hatte. Kurz schaute er zu Tamara Kirschstein hinüber. Diese lächelte und zeigte ihm die Daumen-Hoch-Geste.

***

Mihajlo Cetic war spät dran. Er hastete aus dem Haus, das mittig an der Mündung des Petraweges und der Angelikastraße lag. Er startete seinen Jeep und betätigte mit der anderen Hand die Fernbedienung für das große Eingangstor. Langsam setzte es sich in Bewegung. Mihajlo Cetic ließ ungeduldig die Kupplung des Cherokees schleifen. Plötzlich stoppte das Tor und bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung. »Nicht schon wieder«, brüllte Mihajlo Cetic heraus. Abermals betätigte er die Fernbedienung. Wieder änderte das Tor die Richtung, um, an der gleichen Stelle wie davor, kehrt zu machen. »Das gibt’s doch nicht«, ärgerte sich Mihajlo Cetic. Wütend stieg er aus und stapfte auf das Tor zu, um den Grund der Fehlfunktion zu finden. Er wurde fast an der gleichen Stelle wie am Vorabend fündig. Nur, dass dieses Mal ein grüner Draht das Tor am Weiterfahren hinderte. Mihajlo Cetic bückte sich, schaffte es aber nicht, den Draht zu entfernen. Er musste von der anderen Seite sein Glück versuchen. So ging er um das halb geöffnete Tor herum, um anschließend den Draht aufzuzwirbeln. »Wer macht nur so eine Scheiße?«, fluchte er laut. Lauernd musterte er die nähere Umgebung ohne Ergebnis. Er stellte sich bereits einige mögliche Verursacher dieser Aktion vor, bevor er den Draht endlich lösen konnte. Kurz fragte er sich, was wohl die an den Draht gebundene Paketschnur zu bedeuten hatte, bevor er einen mächtigen Schlag auf dem Rücken spürte. Der laute Knall, der den Schlag begleitete, war das letzte, was Mihajlo Cetic in seinem Leben zu hören bekam. Leise tuckerte der Jeep Cherokee im Leerlauf.

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»Wir haben absolut nichts«, erklärte Ruben Weiss seinem direkten Vorgesetzten. »Wenn wir es nicht besser wüssten, könnte es die Tat eines jeden Beliebigen sein. Keinerlei Hinweise. Nicht eine Spur. Das einzig Interessante war die Aussage einer gewissen Elfriede Scholz, die Regina Malzer immer auf ihre mehr als lasche Einstellung, hinsichtlich der Schutzmaßnahmen gegen Corona hingewiesen hätte. Was aber dagegenspricht, ist die Tatsache, dass sie, als sie überfallen wurde, eine Maske aufhatte. Und das nachts, bei strömendem Regen. Das passte gar nicht zu ihr«, sagte die Kollegin aus. »Möglich ist es aber. Vielleicht hat sie doch irgendwer, der mehr Wert auf Sicherheit legte, in seinem Wagen mitgenommen.«»Dann hätte er sie doch wohl bei diesem Wetter bis ganz nach Hause gebracht, oder?« »Vielleicht wollte sie auch nicht und er hat sie einfach rausgesetzt und dann auf sie eingestochen.«»Sind wir jetzt schon so weit, dass sich jeder X-Beliebige über das Gesetz stellen und Selbstjustiz verüben kann? Da müsste ich ja selber vor jedem Unbekannten auf der Hut sein.« Missmutig schüttelte der Oberstaatsanwalt seinen Kopf. »Du darfst nicht vergessen, dass wir ja quasi ein Bekennerschreiben haben, das dieses Szenario androht«, sprach Ruben Weiss die eigentümliche Thematik an. »Als wenn ich das nicht wüsste. Ich spreche nur von den Gedanken, falls…, wenn… Sollen wir vielleicht froh sein, dass es nur einer ist? Was ist denn, wenn das rauskommt? Die Presse scharrt doch schon mit den Füßen. Was erzählen wir denen? Dass irgendein Bekloppter rumläuft und Leute bestraft, die sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten?«»Warten wir ab. Es ist doch möglich, dass es gar nicht so ist. Dass es nur ein Spinner ist, der ablenken will. Zwar einer mit Motiv, aber einem falschen«, entgegnete Ruben Weiss, »der uns in die verkehrte Richtung jagt.«»Und dann macht er sich die Mühe mit den Bekennerschreiben?«, wandte der Oberstaatsanwalt ein. »Wie dem auch sei. Wir wissen nicht, wo wir ansetzen sollen. Eventuell hast Du recht. Die Zeit wird es zeigen«, antwortete Ruben Weiss. Ein lautes Klopfen an der Tür ertönte. Gleich darauf stürmte Tamara Kirschstein in das Büro von Oberstaatsanwalt Dr. Christian Brücker. »Sorry, dass ich störe. Ruben, wir haben einen neuen Toten«, richtete sie das Wort an ihren Kollegen. »Dann lass Dich nicht aufhalten«, reagierte der Oberstaatsanwalt ein wenig schneller als sein Freund. »Wir waren doch eh fast fertig. Und gib mir nachher Bescheid«, rief er den davoneilenden Kriminalkommissaren hinterher. Ein hastig dahingerufenes »Mach ich«erreichte seine Ohren, bevor die Tür leise ins Schloss fiel.

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Sie wollten es ja nicht anders. Das alles haben sie sich selber zuzuschreiben. Es kann doch nicht angehen, dass jeder nur das macht, was er will. Dem muss Einhalt geboten werden. Sie werden es lernen. Alle. Mit geschlossenen Augen beendete er sein Gebet. Er überprüfte noch einmal seine Kamera. Dann legte er sie neben das leistungsstarke Objektiv in die dafür vorgesehene Mulde, der bestens ausgestatteten Tasche. Danach zog er die Tür hinter sich zu, um sie danach mit zwei Umdrehungen des Schlüssels sicher zu verschließen. Bevor er ins Freie trat, befestigte er sorgsam die Maske vor seinem Gesicht. Er war zufrieden. Nun ging es auf die Jagd.

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»Da seid Ihr ja endlich«, tat Prof. Dr. Siegward von Manntheuffel den beiden Neuankömmlingen kund. Tamara Kirschstein und ihr Kollege hatten auf der Fahrt beschlossen, jedwede negative Äußerung seitens ihres Starforensikers einfach zu ignorieren. Manchmal ging er den beiden nämlich gehörig auf die Nerven. Getrennt bewegten sie sich um den Getöteten herum, um jede Einzelheit klar erkennen zu können. »Was ist denn heute mit Euch los? Gewitter im eigenen Hause?«, frotzelte der Professor. Ruben Weiss und Tamara Kirschstein ließen sich nicht stören. Als sie fertig waren, ohne auf weitere Ansprachen ihres Freundes zu reagieren, zogen sie sich ein paar Meter zurück und besprachen die Lage. Mittlerweile hatte sich der Professor aufgerichtet und schaute verständnislos in ihre Richtung. Er war es nicht gewohnt, so behandelt zu werden. »Sagt mal, ist es Eure neue Art, so mit geschätzten und ehrenwerten Leuten meines Schlages zu verkehren?«Die Kollegen sahen sich an, ließen sich aber nicht unterbrechen. »Hey, Ihr da! Ich rede mit Euch!«, versuchte es der Professor wieder. »Jetzt stör doch nicht dauernd«, beschwerte sich Ruben Weiss gespielt ärgerlich. »Du kommst sicher gleich auch noch dran.«Fassungslosigkeit bemächtigte sich des Gesichts des Forensikers und gleichzeitigem Pathologen. »Das gibt es doch nicht«, erwiderte er, brachte aber keinen Ton mehr heraus. Tamara Kirschstein ging auf ihn zu. »So, Manni. Was hast Du für uns?«»Oder weißt Du noch nichts?«, schlug Ruben Weiss in die gleiche Wunde. Beide grinsten. Nun verstand ihr Freund. »Ihr hättet mich fast gehabt. Aber da ich es nun mal meiner einzigartigen Auffassungsgabe zu verdanken habe, dass ich da bin, wo ich heute bin, hättet Ihr Euch Euer Spielchen auch ebenso gut sparen können.«Langsam bemerkte er, dass er heute wohl nicht so einfach Oberwasser bekommen würde. »Fakt ist, der Mann ist tot«, lenkte er erfolgreich ab. »Erschossen mit einer Jagdflinte, Kaliber 12/70.«»Hast Du die Tatwaffe?«, fragte Ruben Weiss interessiert nach. »Eigentlich brauche ich die Tatwaffe nicht, wenn ich meine Kunden nachher auf dem Tisch habe. Aber, ja. Ihr findet sie dort im Gebüsch.«Der Professor deutete auf eine Ansammlung von Rhododendrenanpflanzungen. Tamara Kirschstein und Ruben Weiss suchten nach einer Möglichkeit, möglichst einfach dort hineinzukommen, ohne allzu viel Spuren zu hinterlassen. »Geht da links vorbei«, deutete der Professor mit beiden Händen an. »Da haben wir schon alle Spuren gesichert.«Ruben Weiss folgte seiner Partnerin. Beide schlängelten sich seitwärts durch eine enge Lücke. »Ich werd` verrückt«, hörte Ruben Weiss seine Kollegin rufen. Einen Schritt weiter, wusste er, was Tamara Kirschstein meinte. Auf drei miteinander verschraubten Holzböcken, die man so in jedem Baumarkt erwerben konnte, war eine neu aussehende Schrotflinte aufgesetzt. Diese war am Lauf und am Schaft mit Schraubzwingen auf den Böcken befestigt. Eine Paketschnur, die am Abzug befestigt war, verlief sich über eine Rolle in einem ungefähr 1 Zoll dicken Rohr, das wiederum mit handelsüblichen Heringen am Boden fixiert war. Die Schnur endete in der linken Hand des am Boden liegenden Opfers. »Da hat sich aber wer Gedanken gemacht. Hier können wir wohl einen Unglücksfall ausschließen«, stellte Tamara Kirschstein leicht ironisch fest. »Selbstmord würde ich auch nicht unbedingt in unsere Überlegungen einbeziehen«, schlug Ruben Weiss in die gleiche Kerbe. »Jetzt wissen wir wenigsten, dass unser unbekannter Killer… oder unbekannte Killerin«, verbesserte er sich nach einem Seitenblick seiner Kollegin, »es ernst meint.«»Du meinst wirklich, dass die Person, die uns die Schreiben hat zukommen lassen, hier auch verantwortlich sein soll?«, entgegnete der weibliche Part des Duos. »Möglich wäre es, weil es genau in das vorgegebene Zeitfenster passt. Aber Du hast recht. Sehen wir erst einmal, was wir über das Opfer rausfinden können. Dann kommen wir vielleicht weiter.«»Wenn er wirklich das nächste Opfer in unserem Corona-Fall sein sollte, was bleibt uns da zu tun? Wir können nur abwarten, ob Manni noch etwas findet, was uns dann eventuell weiterhelfen könnte.« Sie theoresierten noch ein paar Minuten, bevor sie sich auf den Weg ins Präsidium machten, nicht ohne vorher dem Professor noch einige Sticheleien zukommen zu lassen. Weil er die beiden kannte, und er gerade dabei war, seine vorläufigen Erkenntnisse in ein kleines Gerät zu sprechen, interessierte ihn das nur beiläufig. Im seinem Kopf fügte er der schon langen roten Liste der beiden einen weiteren Strich hinzu. So schnell vergaß er nicht.

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Er beobachtete die Arbeit der zahlreichen Staatsbediensteten unauffällig versteckt zwischen anderen Schaulustigen. Die Personen in den weißen Ganzkörperanzügen hatten vorschriftsmäßige Kleidung an. Selbst die Atemmasken fehlten nicht. Er hatte nichts zu beanstanden. Auch die beiden später gekommen zivilen Beamten, die den Tatort untersuchten, trugen die Schutzmasken. Er war zufrieden mit seiner Arbeit und auch den Folgen. Kurz scherzte er noch mit einem anderen Neugierigen, bevor er sich auf den Rückweg macht. Ob es dieses Mal etwas bewirkt? Ich bin gespannt.