Disney – Dangerous Secrets 1: Iduna und Agnarr: DIE WAHRE GESCHICHTE (Die Eiskönigin) - Walt Disney - E-Book
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Disney – Dangerous Secrets 1: Iduna und Agnarr: DIE WAHRE GESCHICHTE (Die Eiskönigin) E-Book

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Beschreibung

Die sechzehnjährige Iduna hütet ein dunkles Geheimnis. Für alle ist sie ein junges liebenswertes Mädchen aus einem Dorf in Arendelle und die beste Freundin von Prinz Agnarr. Was niemand weiß: Sie ist außerdem eine Northuldra und muss ihre Identität verbergen, um am Leben zu bleiben, denn die Menschen aus Arendelle trauen ihrem Volk nicht mehr. Als aus ihrer Freundschaft Liebe wird, bedroht Idunas Herkunft die gemeinsame Zukunft mit Agnarr. Kann Iduna ihre geheime Identität und Agnarrs Zukunft als König von Arendelle schützen?

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Für meine unbeschreibliche Avalon.Sei furchtlos. Sei freundlich.Und mache immer den nächsten richtigen Schritt.M. M.

PROLOG

Das Dunkelmeer

DER STURM WIRD IMMER SCHLIMMER.

Blitze schneiden durch einen wütenden schwarzen Himmel, kurz darauf ertönt das Krachen des Donners. Die Wellen schlagen gegen den Schiffsrumpf, während ich mit weißen Fingerknöcheln die Holzreling umklammere. Heftige Windböen reißen Haare aus meinem Zopf und peitschen mir feuchte braune Haarsträhnen ins Gesicht.

Ich wage es nicht, loszulassen, um sie wegzuwischen. Stattdessen behalte ich meine Augen auf dem Meer. Auf der Suche nach ihr.

In gewisser Weise habe ich mein ganzes Leben damit verbracht, nach ihr zu suchen. Und heute Abend könnte meine Reise endlich zu Ende gehen.

Unbeendet. Ohne sie zu finden.

Ahtohallan! Bitte! Ich brauche dich!

Vielleicht hat sie nie existiert. Vielleicht war sie einfach ein Mythos. Ein dummes Lied, um Kinder in den Schlaf zu wiegen. Damit sie sich sicher und geborgen fühlen in einer Welt, die alles andere als das ist. Vielleicht war ich eine Närrin zu glauben, wir könnten einfach losgehen und sie aufspüren. Die Geheimnisse der Mutter kennenlernen.

Ich kenne die Geheimnisse einer Mutter.

Eine weitere Welle stürmt herbei, schlägt gegen den Rumpf und spritzt Gischt aus eisigem Meerwasser in mein Gesicht. Kurzzeitig vom Salz geblendet, das mir in den Augen brennt, stolpere ich rückwärts. Ein starkes Paar Hände greift meine Hüften und eine kraftvolle Brust hinter meinem Rücken hält mich aufrecht.

Schon während ich mich umdrehe, weiß ich, wer hinter mir steht. Der Mann, der fast mein ganzes Leben bei mir war. Der Mann, der mich mehr als jeder andere auf der Welt zum Lachen – und zum Weinen – gebracht hat. Mein Ehemann. Der Vater meiner Töchter. Mein Feind. Mein Freund.

Meine Liebe.

Agnarr, der König von Arendelle.

„Komm, Iduna“, sagt er und dreht mich herum, um mir in die Augen zu sehen. Er greift nach meinen Händen und umklammert sie. Seine sind so warm und stark, wie meine kalt und zitternd sind.

Ich schaue auf und bemerke die Wildheit in seinen blattgrünen Augen. Falls er Angst hat, zeigt er sie nicht.

„Wir müssen unter Deck gehen“, ruft er durch den wilden Sturm. „Befehl des Kapitäns. Hier oben sind wir nicht sicher. Eine große Welle könnte dich über Bord gehen lassen.“

Ich möchte um mich schlagen, mich dem Befehl widersetzen. Mir geht es gut. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich bin nicht irgendein dummes Mädchen, das sich vor den Elementen fürchtet.

Aber was ich eigentlich sagen möchte ist: Ich kann nicht weggehen. Ich habe sie noch nicht gefunden.

Wenn ich nach unten gehe, finde ich sie vielleicht nie.

Und wenn das passiert …

Elsa. Meine süße Elsa … Meine liebe Anna …

Agnarr sieht mir direkt in die Augen. Ich seufze und befreie meine Hände aus seinen, stolpere zu den Stufen, die zu unserer Kabine führen. Meine Beine sind nicht an die raue See gewöhnt. Ich bin fast da, als das Schiff plötzlich hart nach links schlägt. Ich verliere den Halt und greife nach der Reling. Ich spüre, dass mich einige Besatzungsmitglieder besorgt beobachten, aber ich kämpfe mich erhobenen Hauptes vorwärts. Schließlich bin ich eine Königin und da gibt es gewisse Erwartungen.

Unten angekommen, drücke ich unsere Kabinentür auf, gehe hinein und lasse sie hinter mir zuschlagen. Der Kapitän hat uns seine Kabine für die Reise zur Verfügung gestellt, was, wie ich betont hatte, nicht notwendig war. Aber ich wurde überstimmt.

Es ist die einzige Kabine, die für eine feine Dame geeignet ist, hatte er protestiert. Denn so sieht er mich. So sehen mich jetzt alle. Eine feine Dame. Eine bestens gerüstete arendellianische Königin.

Doch nun endlich kennt Agnarr die Wahrheit.

Ich lege mich auf das Bett und greife nach meinen Stricknadeln und meiner halb fertigen Handarbeit. Unter diesen Umständen vermutlich eine unangebrachte Tätigkeit, aber vielleicht das Einzige, was meine Hände – und mein pochendes Herz – beruhigen kann. Ich höre, wie Agnarr die Tür aufstößt. Seine starke, massive Präsenz erfüllt den Raum. Aber ich schaue nicht auf. Stattdessen beginne ich zu stricken, während das Schiff unter mir schaukelt. Hier unten ist es dunkel, zu dunkel, um das feine Garn wirklich zu sehen, aber meine Handgriffe sind sicher und die sich wiederholenden Bewegungen so natürlich und vertraut wie das Atmen. Yelana wäre stolz.

Yelana. Ist sie immer noch da draußen im Verzauberten Wald, immer noch im Nebel eingeschlossen?

Nur Ahtohallan weiß es …

Plötzlich möchte ich meine Nadeln durch den Raum werfen. Oder unter Tränen auf dem Bett zusammenbrechen. Aber ich tue weder das eine noch das andere, sondern richte meine Aufmerksamkeit auf den unfertigen Schal. Mit jeder Strickmasche zwinge ich mich mehr in einen Zustand von Geborgenheit.

Agnarr nimmt einen Hocker vom Schreibtisch des Kapitäns und setzt sich mir gegenüber. Er greift nach einer Ecke des Schals und fährt mit seinen großen Fingern über die winzigen Maschen. Ich wage einen Blick auf ihn und stelle fest, dass seine Augen weich geworden und in eine nur ihm bekannte Ferne gerichtet sind.

„Das ist das gleiche Muster“, sagt er langsam. Und ich weiß, was er meint. Denn natürlich ist es das. Ich hatte es nicht einmal bemerkt, als ich anfing, aber natürlich ist es das.

Das gleiche Muster wie auf dem Tuch, das meine Mutter für mich gestrickt hatte, als ich ein Baby war.

Das Tuch, das ihm das Leben rettete.

„Es ist ein altes Northuldra-Muster“, erkläre ich und bin überrascht, wie leicht die Worte nun über meine Lippen kommen, nachdem die Wahrheit bekannt ist. „Es gehört zu meiner Familie.“ Ich nehme seine Hand und lege sie der Reihe nach auf jedes Symbol. „Erde, Feuer, Wasser, Wind.“ Auf dem Windsymbol halte ich inne und denke an Gale zurück. „Es war der Windgeist, der mir an diesem Tag half, dein Leben zu retten.“

Agnarr pfeift leise. „Ein Windgeist! Wenn ich das gewusst hätte!“, sagt er und streicht sanft mit seinem Daumen über meine Wange. Selbst nach all den Jahren entfacht seine Berührung immer noch einen sehnsuchtsvollen Schmerz tief in mir. Und als stünde mir diese Entscheidung nicht frei, sondern wäre eine Notwendigkeit, lasse ich meine Nadeln fallen, um die Geste zu erwidern und mit meinen Fingern über die leichten Stoppeln seiner Wange zu fahren. „Es hätte meine Geschichten, die ich den Mädchen erzählt habe, so viel interessanter gemacht.“

Ich lächle. Ich kann nicht anders. Er hat immer einen Weg gefunden, mir zu helfen, Sonnenschein inmitten der trübsten Tage zu sehen. Doch es ist seltsam, zu realisieren, dass er jetzt alles weiß. Nach einem von Geheimnissen überschatteten Leben sollte es sich befreiend anfühlen.

In Wahrheit macht mir das immer noch ein wenig Angst und ich ertappe mich dabei, dass ich ihn ansehe, wenn er es nicht merkt. Weil ich versuche zu sehen, versuche zu wissen, ob die Wahrheit seine Gefühle mir gegenüber verändert hat. Nimmt er es mir übel, dass ich ihm so lange so viel vorenthalten habe? Oder versteht er wirklich, warum ich es getan habe? Wenn wir diese Nacht überleben, wie werden sich die Dinge zwischen uns verändern? Wird die Wahrheit uns einander näherbringen? Oder uns auseinanderreißen?

Nur Ahtohallan weiß es …

Ich strecke die Hand aus und nehme Agnarrs Hände in meine, sein Blick aus den tiefgrünen Augen trifft auf meinen. Ich schlucke den Kloß in meiner Kehle herunter, der mich zu ersticken droht, und zwinge mich zu einem Lächeln.

„Ich werde diesen Tag nie vergessen“, beginne ich mit einem Flüstern, nicht sicher, ob er mich wegen des Sturms draußen überhaupt hören kann. „Diesen schrecklichen, wundervollen Tag.“

„Sag es mir“, flüstert er zurück und schmiegt sich eng an mich. Ich spüre seinen Atem auf meinen Lippen. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt. „Erzähl mir alles.“

Ich schlucke all die Worte hinunter, die sich Bahn zu brechen drohen, werfe mich zurück aufs Bett und starre an die Decke aus Holzbalken. Als ich wieder ruhig atme, sage ich: „Das kann die ganze Nacht lang dauern.“

Er legt sich neben mich auf das Bett. „Für dich habe ich eine Ewigkeit Zeit.“

Tränen steigen mir in die Augen. Ich will protestieren: Wir haben keine Ewigkeit Zeit. Nicht einmal die ganze Nacht. Vielleicht bleibt uns eine Stunde, wenn man bedenkt, wie die Holzbalken des Schiffes knarren und knacken. Andererseits spielt das keine Rolle. Es ist an der Zeit. Er verdient es, alles zu wissen.

Ich wische die Tränen weg, rolle mich zur Seite und stütze meinen Kopf auf. „Aber du musst mir auch deinen Teil erzählen“, verlange ich. „Du weißt, dass diese Geschichte nicht nur meine ist.“

Er legt einen Arm um meine Taille und den anderen auf meinen Rücken, als er mich näher zu sich zieht. Er ist so warm. Wie ist es möglich, dass er immer noch so warm ist? „Ich glaube, das schaffe ich“, sagt er mit einem leichten Lächeln. „Aber du musst beginnen. Es fing schließlich alles mit dir an.“

„In Ordnung“, sage ich, meinen Kopf auf seiner Brust, seinen gleichmäßigen Herzschlag an meinem Ohr. Ich schließe meine Augen und überlege, wo ich anfangen soll. Im Lauf der Jahre ist so viel passiert. Aber da gibt es diesen einen Tag. Diesen einen schicksalhaften Tag, der den Verlauf unser beider Leben für immer veränderte. Ich öffne meine Augen.

„Es beginnt alles mit dem Wind“, höre ich mich sagen. „Mein lieber Freund Gale.“

Während ich spreche, fangen die Worte an, durch mich hindurchzugehen wie die verbotenen Wasser, die draußen brodeln. Und wie das Wasser werde ich mir endlich Gehör verschaffen. Agnarr wird zuhören. Er war immer der Geschichtenerzähler in unserer Familie. Aber jetzt bin ich an der Reihe, die Geschichte zu erzählen.

KAPITEL EINS

Iduna

26 Jahre zuvor

„HÖR AUF! DAS KITZELT!“

Ich quietschte aus Protest, als der Wind um mich herumwirbelte und mir die Füße wegzog.

Gale, der Windgeist, schien an diesem Morgen besonders lebendig zu sein. Er warf mich spielerisch in den Himmel und umfing mich dann wie ein weiches Luftpolster, als ich wieder zur Erde hinunterfiel. Mein Magen rumorte und drehte sich bei jeder Auf- und Abbewegung, während ich versuchte, wieder Boden unter meine Füße zu bringen. Aber ich wehrte mich nicht allzu sehr gegen Gales Kapriolen. Immerhin konnte ich als menschliches Wesen dem Fliegen nicht näherkommen als in diesem Zustand.

Und wer wollte nicht gerne mal fliegen?

„Wo bist du, Iduna?“ Yelanas Stimme schallte durch den Wald. „Komm zurück und strick weiter!“

Oh, oh! Gale ließ mich kurzerhand auf mein Hinterteil fallen und wirbelte schnell davon, um sich hinter einer nahen Eiche zu verstecken. Der Windgeist wusste, dass man sich Yelana besser nicht widersetzte. Ich stöhnte und rollte mit den Augen, als ich mich aufrappelte.

„Feigling“, schimpfte ich.

Da fegte Gale einen kleinen Laubhaufen auf und formte aus ihm ein kleines Blattmonster mit erhobenem Zeigefinger. Ich musste lachen.

„Ja, ja, ich weiß. Sie kann beängstigend sein. Aber trotzdem! Du bist der Windgeist!“

Ich sah in die Richtung unseres Lagers, wo Yelana wahrscheinlich mit den anderen Frauen am Feuer saß. Strickend. Wer konnte an so einem Tag herumsitzen und stricken? Der Himmel war wach! Glänzendes Sonnenlicht strömte durch das Laubdach der Bäume über uns. Es war die perfekte Kulisse für die bevorstehende Feier: die Vollendung des Paktes zwischen den Northuldra und den Arendellianern, die in einer steinernen Stadt am Ufer des Fjords lebten.

Sie waren vor vielen Jahren mit einem Friedensangebot zu uns gekommen und hatten versprochen, einen mächtigen Damm zu bauen, der uns helfen sollte, unsere Rentiere zu tränken und unser Land fruchtbar zu halten. Ich verstand das Ganze nicht wirklich und war mir anfangs auch nicht sicher gewesen, ob unsere Ältesten von der Idee begeistert waren. Aber am Ende waren sie zu einer Einigung gekommen und der Damm wurde gebaut. Heute würden wir gemeinsam feiern, um das Bündnis zwischen ihrem und unserem Volk zu besiegeln.

Es war ein Tag zum Tanzen und Singen und um die Schönheit des Waldes zu preisen.

Nicht zum Herumsitzen und Stricken.

Außerdem war ich erst zwölf Jahre alt. Das bedeutete, dass ich buchstäblich ewig Zeit hatte, um langweilige Erwachsenendinge wie Stricken zu lernen. Ganz zu schweigen davon, dass ich bereits ein perfekt gestricktes Tuch hatte, das mich wärmte. Ich drückte es an meine Brust und fuhr mit den Fingerspitzen über die komplizierten Muster, die die vier Geister darstellten. Meine Mutter hatte das Tuch für mich gemacht, als ich ein Baby war, und ich hatte es seitdem immer bei mir. Ich erinnerte mich an sie, wie sie mich eng an sich geschmiegt hatte, als ich fünf war, und wie ich dabei ihren warmen, wunderbaren Duft eingeatmet hatte. Ich hatte ihr zugehört, wie sie süße Lieder über einen Fluss voller Erinnerungen sang.

Erinnerungen waren alles, was mir von meiner Mutter geblieben war. Und auch von meinem Vater.

Energisch schüttelte ich die Erinnerungen ab und wandte mich wieder Gale zu, der inzwischen damit beschäftigt war, einen Haufen brauner Blätter zu einem kleinen Wirbelsturm aufzubauen. Ich verbeugte mich spielerisch vor dem Geist, als ich mich weiter von Yelana und ihrer Aufforderung zur Rückkehr zum Stricken entfernte.

„Darf ich um diesen Tanz bitten, werter Herr?“

„Aber natürlich, meine schöne Dame!“, antwortete ich in meiner besten Imitation der Stimme eines Windgeistes. Gale konnte nicht wie normale Menschen sprechen. Aber manchmal hätte ich schwören können, dass ich ihn singen hörte. Süße, hohe Töne, so herzzerreißend schön, dass ich das Gefühl hatte, mich in ihnen zu verlieren. Gale hob mich wieder auf, kraftvoller als vorher, und wirbelte mich abermals in die Luft. Diesmal gab ich mir keine Mühe, dagegen anzukämpfen. „Höher!“, bettelte ich stattdessen. „Höher als die Baumwipfel! Ich will die ganze Welt sehen!“

„Alles, was du wünschst, Prinzessin!“, ließ ich den Wind antworten, als er mich immer höher und höher zog, bis wir uns über die Bäume und in den offenen blauen Himmel erhoben.

Natürlich war ich nicht wirklich eine Prinzessin. Wir hatten hier im Wald nicht einmal ein Königreich. Stattdessen hatten wir einen Ältestenrat, der im Grunde genommen ein Haufen weiser alter Leute war, die gerne herumsaßen und Ratschläge gaben. Andere Stimmen sollten ihrer Meinung nach auch erhört werden, auch wenn sie nicht immer alle einer Meinung waren. Eine einzelne Person, die über alles herrschte, sei nicht gut, würden die Ältesten sagen.

Aber in den Büchern, die die Arendellianer uns beim Bau des Staudamms als Geschenke gebracht hatten, gab es viele Prinzessinnen. Und Prinzen und Könige und Königinnen, die atemberaubend schön waren, feine Kleider und Juwelen trugen und in mächtigen Schlössern wie dem am Fjord lebten. Einige waren gut und verhalfen ihrem Volk zu Wohlstand, während sie den Frieden bewahrten. Andere waren böse und wertschätzten nicht das, was ihnen gegeben war. Sie missbrauchten die Erde zu ihrem eigenen Vorteil und machten sich keine Gedanken darüber, wer darunter litt.

Sollte ich jemals eine Prinzessin werden, dann wäre ich mit Sicherheit eine der guten.

„Hey! Wer bist du denn? Komm her, Kleiner.“

Ich fiel beinahe aus der Umarmung des Windes, als ich herumwirbelte und meinen Blick auf einen seltsamen Jungen weit unter mir richtete, der den Rentierpfad entlangstapfte. Er sah nicht viel älter aus als ich, hatte dichtes blondes Haar, eine seltsam sitzende grüne Jacke und ein Hemd, das so rot war wie das Herbstlaub unter seinen Füßen. Während ich von oben zuschaute, kniete er sich zu Boden und streckte die Hand aus, um ein kleines Kaninchen zu streicheln, das in der Nähe im Gras schnüffelte. Das Kaninchen wollte davon natürlich nichts wissen und hüpfte schnell weg.

Der Junge kam gerade noch rechtzeitig auf die Beine, um sich nur Zentimeter entfernt von der täglichen Rentierparade zur Wasserstelle wiederzufinden. Erschrocken sprang er nach hinten. Ich rollte mit den Augen. Hatte er noch nie Rentiere gesehen?

Eines der Rentierbabys blieb hinter den anderen zurück, ging auf ihn zu und beschnüffelte ihn neugierig. Das Gesicht des Jungen erhellte sich. Er fiel auf die Knie, zog das Geschöpf in seine Arme und schmuste mit ihm, als wäre es der kostbarste Schatz der Welt. Das brachte mich zum Lächeln.

Ich wollte Gale gerade sagen, er solle mich absetzen, damit ich mich vorstellen konnte, als eine wütende Stimme durch die Bäume drang.

„Agnarr! Wo bist du?“

Das Rentierbaby erstarrte. Es wand sich aus den Armen des Jungen – Agnarr – und rannte in Richtung der Herde. Mit traurigem Gesicht sah Agnarr zu, wie es flüchtete. Die Stimme ertönte wieder. Diesmal war sie lauter. Ungeduldiger. Agnarrs Schultern senkten sich. Er folgte der Stimme und verschwand aus meinem Blickfeld.

Da begann sich alles zusammenzufügen. Er musste einer der Arendellianer sein!

„Komm schon, Gale! Lass uns ihm folgen!“, schrie ich. Vergessen war jeder Gedanke daran, Yelanas ungeduldigem Ruf zu gehorchen. „Ich will das Lager der Arendellianer sehen!“

Gale gehorchte, indem er mich in die Richtung führte, in die Agnarr gegangen war, gegenüber dem Pfad der Rentierherde.

Wenige Augenblicke später kam ein kleines Lager in Sicht. Um eine zentrale Feuerstelle herum waren Zelte aufgestellt, die sich stark von unseren Hütten unterschieden. Unsere bestanden aus einem Dreibein aus Stangen, die mit flachen Holzlatten bedeckt waren. Diese Zelte ähnelten eher kleinen Häuschen aus bunt gefärbten Stoffen. Winzige Fähnchen, die fröhlich im Wind flatterten, krönten sie. In der Mitte des Lagers stand ein riesiger schwarzer Kessel auf der Feuerstelle, in dem ein köstlich duftender Eintopf brodelte.

„Lass mich runter“, flüsterte ich Gale zu. „Ich will mir das aus der Nähe ansehen.“

Der Windgeist setzte mich sanft ab. Ich kroch an das Lager heran und nutzte die Bäume als Deckung. Es herrschte reges Treiben. Männer und Frauen mit unterschiedlichen Haar- und Hautfarben standen in Bereitschaft, in identischer grüner Kleidung, mit langen Schwertern am Gürtel und polierten Metallschilden. Soldaten, nahm ich an. Es gab auch normale Bürger in bunt bestickten Westen und Kleidern. Der Stoff war so fein, dass ich am liebsten hingegangen wäre und ihn durch meine Finger hätte laufen lassen, um zu spüren, wie er sich anfühlte.

An einem Seil zwischen zwei Bäumen bemerkte ich den roten Umhang neben anderen Kleidern, die wahrscheinlich dort zum Trocknen hingen. Mich überkam das Bedürfnis, mit den Händen über den hellen Stoff zu streichen, und bevor ich darüber nachdenken konnte, gab ich Gale ein Zeichen, ihn mir zu bringen. Einen Augenblick später ließ der Geist den Umhang in meine Arme fallen. Ich strich mit der Hand über den fein gewebten Stoff und sah ihn wie Seide durch meine Finger gleiten. Wie hatten sie ihn so weich gemacht?

Fasziniert hängte ich mir den Umhang über die Schultern, zog die Kapuze tief über mein Gesicht und warf in dem nahen Bach einen Blick auf mein Spiegelbild. Ich sah jetzt aus wie eine von ihnen. Plötzlich kam mir eine Idee, und als ich mein Tuch in das Astloch einer alten Eiche stopfte, grinste ich Gale verschwörerisch an.

Zeit zum Erkunden.

Ich schlüpfte in das Lager und fühlte mich, als wäre ich in eine andere Welt getreten. Die edlen Zelte sahen von Nahem sogar noch aufwendiger aus: gigantische Pavillons mit riesigen Räumen, in denen tatsächlich Betten, Tische und Stühle aus edelster Eiche standen. Wie hatten sie all das durch den Wald hinaufgetragen? Und noch wichtiger war, warum sollten sie sich diese Mühe machen?

Ich schüttelte verwirrt den Kopf, als ich das Lager weiter erkundete. Dabei stieß ich auf eine Gruppe Frauen in einfachen, selbstgesponnenen Kleidern und Schürzen, die plappernd Körbe voller Obst und Gemüse zu einem langen Tisch trugen.

„Ich kann nicht glauben, dass wir wirklich hier sind!“, hörte ich eine von ihnen sagen. „Es ist so magisch!“

„Magisch?“, höhnte eine andere. „Dieser Wald ist dreckig! Bringt mich so schnell wie möglich zurück in die Zivilisation!“

„Du willst doch nur zurück zu Stephen“, stichelte eine andere. „Ihr zwei beschwert euch doch dauernd, wenn ihr getrennt seid.“

Die andere Frau grinste. „Ich kann nur sagen, dass er besser an unserem Liebeslöffel arbeiten sollte! Ich habe nicht vor, ewig zu warten, wisst ihr?“

Das Trio brach in Gekicher aus, als es die Körbe auf den Tisch stellte. Dann gingen sie zurück, um Nachschub zu holen. Ich duckte mich, um nicht gesehen zu werden, und schlich in ein nahe gelegenes Zelt.

Es war menschenleer. Aber voller Essen.

Mit großen Augen starrte ich auf das Festmahl, das sich auf dem Tisch auftürmte. Verführerische Gerüche umgaben mich, als ich mich an dem Anblick ergötzte. Pralle Laibe dampfenden dunkelbraunen Brotes, Teller mit reichhaltigem, in Soße getränktem Fleisch, geräucherte Stücke und Scheiben verschiedener Fische, köstliche Kartoffeln, gebratenes Gemüse und …

Was war dieses Dunkelbraune bei den Nachspeisen ganz am Ende?

Ich konnte nicht widerstehen, schnappte mir ein Stück und schob es in meinen Mund. Die Süße explodierte auf meiner Zunge, als ich verzückt die Augen schloss.

Plötzlich hörte ich Stimmen vor dem Zelt. Ich erstarrte.

„Da bist du ja, Agnarr“, schimpfte jemand. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht einfach so weglaufen sollst?“

Agnarr? Der Junge von vorhin? Ich wagte einen Blick aus dem Zelt, um etwas sehen zu können. Tatsächlich, da war er, und immer noch in seinem hellgrünen Anzug. Aber er lächelte nicht mehr. Stattdessen ließ er den Kopf hängen und schien sich zu schämen. Ein großer, kräftig aussehender Mann mit einem dicken blonden Schnurrbart überragte ihn.

„Es tut mir leid, Papa“, murmelte Agnarr. „Ich wollte mich nur … ein bisschen umsehen. Es fühlt sich hier so … magisch an.“

Das Gesicht seines Vaters lief puterrot an. „Magie!“, fauchte er verächtlich. „Agnarr, was habe ich dir über Magie gesagt? Von Magie kommt nichts Gutes. Man muss sie fürchten, nicht bewundern.“

„Es tut mir leid, Papa“, flüsterte Agnarr und sah ihm immer noch nicht in die Augen. „Ich wollte nur …“

Doch sein Vater winkte ab und verließ ihn ohne ein weiteres Wort. Grimmig stürmte er zu den Soldaten, die sich am Kopf des Lagers versammelt hatten.

„Seid ihr bereit?“, fragte er. „Für die … Feierlichkeiten?“ Er lachte darüber, aber sein Gelächter klang nicht echt. Es war rau. Bitter. Fast bedrohlich im Ton.

Ich runzelte die Stirn und ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. Was er gesagt hatte, war nicht falsch gewesen. Aber die Art, wie er es gesagt hatte.

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Agnarr zu. Er beobachtete seinen Vater traurig. Und vielleicht ein wenig … einsam?

Der Anblick war herzzerreißend. Ich wusste nur zu gut, wie es war, sich allein zu fühlen. Selbst wenn einen so viele andere umgaben.

Ein weiterer Mann näherte sich. Er trug die gleiche Uniform wie die anderen Soldaten und hatte dunkle Haut und gütige Augen. Agnarr schaute zu ihm auf und sein Gesicht erhellte sich. Wer auch immer dieser Mann war, er war ein Freund. Ich verstand nicht, was sie sagten, bemerkte aber, dass sie scherzten. Die düstere Stimmung lichtete sich.

Der Ruf der Hörner ertönte und verkündete den offiziellen Beginn des Festes. Alle im Lager brachen in aufgeregtes Geplapper aus und eilten auf die Musik zu, die Arme mit Lebensmitteln, Körben und Kisten, Schachteln und Dosen beladen. Vermutlich Geschenke irgendeiner Art.

Da nun alle fort waren, konnte ich mich aus dem Zelt schleichen und ebenfalls in Richtung des Festes gehen, natürlich erst, nachdem ich eine zweite Portion der leckeren braunen Süßigkeit genascht hatte.

Ich war schon fast dort, als ich bemerkte, dass ich mein Tuch im Baum gelassen hatte und immer noch den geliehenen arendellianischen Umhang trug. Ich ließ ihn von meinen Schultern gleiten und hängte ihn an einen Ast. Falls die Ältesten mich mit so etwas Fremdem erwischten, würden sie sich wundern. Kurz überlegte ich, ob ich zurückgehen sollte, um mein Tuch zu holen, entschied mich aber dagegen. Es würde später auch noch da sein. Ich wollte nicht zu spät zu der Feier kommen.

„Gale, bring mich zum Fest“, bat ich. Im nächsten Augenblick war ich oben in der Luft, wirbelte in den Böen und zwischen den Blättern herum. Die Luft kitzelte meine geröteten Wangen und ich lachte laut auf. Es war eine herrliche Sache, mit dem Wind zu tanzen.

Plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. War Yelana durch meine Abwesenheit so ungeduldig geworden, dass sie mich gesucht hatte? Doch als ich nach unten blickte, starrte nicht sie, sondern Agnarr mich fasziniert an. Mir war klar, dass er dabei wahrscheinlich an Magie dachte, über die er zuvor mit seinem Vater gesprochen hatte. Er hielt mich vermutlich für ein Geschöpf der Natur, fähig, meine Hände auszubreiten und einfach loszufliegen.

Allein der Gedanke daran kitzelte mich noch mehr als Gales Lufthauch, als der Windgeist mich immer höher und höher schleuderte, bis ich atemlos war und mir schwindelig wurde. Ich spürte, dass Agnarr mich immer noch beobachtete. Aber es machte mir nichts aus. Stattdessen zog ich meine Knie an die Brust und machte eine perfekte Rolle in der Luft. Ich konnte ihm ruhig etwas bieten.

Aber gerade, als ich mich von Gale absetzen lassen wollte, um Agnarr endlich persönlich zu treffen, wurden das Gelächter und die fröhlichen Geräusche vom Fest plötzlich leise. Zu leise.

KAPITEL ZWEI

Iduna

MEIN HERZ SCHLUG ÄNGSTLICH.

Plötzlich ertönten laute, wütende Stimmen. Was ging da vor sich? Gale schien mein Unbehagen zu spüren und setzte mich ab, bevor ich ihn darum bitten konnte. Als meine Füße die Erde berührten, war Agnarr längst weg, und das wütende Geschrei hatte sich in Schreckensschreie verwandelt. Eine Herde verängstigter Rentiere hetzte an mir vorbei und trampelte mich fast nieder. Da roch ich es. Den Gestank von Rauch. Ich blickte schockiert auf und sah violette Flammen, die der wütende Feuergeist entzündete, der von Baum zu Baum sprang und alles in Brand setzte. Schwarzen Rauch, der in den Himmel aufstieg. Der Boden wankte plötzlich unter meinen Füßen und mein Herz klopfte mir bis in die Kehle, als meine Ohren ein allzu vertrautes Geräusch hörten.

Es war das Brüllen der Erdriesen! Die Erde bebte bei jedem ihrer hämmernden Schritte. Hatte unsere Feier sie aus ihrem Schlummer am Fluss geweckt?

Mir lief ein Angstschauer über den Rücken. Ich musste meine Familie finden. Sofort.

Ich raste durch den Wald, wobei der Rauch immer dichter wurde, je näher ich unserem Lager kam, bis es fast unmöglich war, etwas zu sehen. Der Qualm stach in meinen Augen und sie tränten. Mein Atem ging stoßweise. Mir wurde klar, dass inmitten des Chaos etwas anderes vor sich ging. Etwas Schlimmeres als die wütenden Geister.

Die Arendellianer und die Northuldra griffen einander an.

Meine Ohren nahmen den Klang der heftig gegeneinanderschlagenden Schwerter auf. Die Schreie der Wut und der Qual, die sich über das Knistern der Flammen und das Rauschen des Windes erhoben. Durch den dichten Rauch konnte ich kaum die Schatten erkennen, die im Kampf rannten und stürzten.

Ich wusste nicht, wohin ich sollte. Was ich tun sollte. Gab es einen sicheren Rückzugsort, bis das Schlimmste vorbei war?

Das Tuch meiner Mutter! Ich musste es holen, da die Bäume in Flammen standen. Es war das Einzige, was ich noch von ihr hatte. Ich konnte es nicht verbrennen lassen.

Also sprintete ich zurück zum Baum. Meine Kehle war wund vom Einatmen des Rauches, meine Lungen schmerzten. Während ich rannte, rasten die Gedanken durch meinen Kopf. Die Geister waren außer sich und schlugen auf jeden im Wald ein. Hatte der Kampf ihre Wut entfacht? Oder hatten sie ihn begonnen?

Endlich erreichte ich den Baum vor dem völlig verlassenen arendellianischen Lager. Nachdem ich das Tuch aus der Mulde genommen hatte, wickelte ich es um meine Schultern. Ich drückte die Fransen erleichtert an meine Brust und schaute mich um. Das Feuer wütete und die Erde bebte noch immer. Sogar der Wind hatte sich zu einem monströsen Sturm erhoben. So etwas hatte ich noch nie gesehen.

Ich wollte mich irgendwo in Sicherheit bringen, als ich einen schwachen Schrei hörte. Erschrocken wirbelte ich herum und riss die Augen auf, als ich eine zusammengekauerte Gestalt erblickte, die sich an einem großen Felsbrocken abstützte. Blut rann aus einer Schnittwunde in ihrem Kopf, floss den Felsen hinunter und verdunkelte die Erde darunter. So viel Blut, dass ich einen Augenblick brauchte, um ihn zu erkennen. Aber als ich es tat, schnappte ich nach Luft.

Es war der Junge. Agnarr. Und er war schwer verletzt.

Ich blickte zurück in meinen Wald. Ich wusste, dass ich dorthin zurückkehren musste, auf unsere Seite, zu meiner Familie. Um mich bei ihnen in Sicherheit zu bringen, bis die Geister besänftigt waren und der Kampf beendet war. Aber was wäre, wenn ich Agnarr im Stich ließ und niemand kam, um ihn zu holen? Das Knistern der Flammen wurde lauter, die Hitze kräuselte die Haare auf meinen Armen. Die Luft war von dichtem Rauch erfüllt. Und er war nicht in der Lage, sich allein in Sicherheit zu bringen.

Plötzlich hörte ich Stimmen, die meinen Namen riefen irgendwo im Wald. Meine Familie suchte nach mir. Ich musste zu ihnen gehen, um sie wissen zu lassen, dass es mir gut ging.

Aber dann würde Agnarr sterben.

Ich starrte ihn an, vor Unentschlossenheit gelähmt. Er sah totenblass aus, aber seine Brust hob und senkte sich durch flache Atemzüge. Er war am Leben, aber wie lange noch? Es waren keine Arendellianer in der Nähe. Und selbst wenn sie ihn suchten, würden sie ihn vielleicht nicht rechtzeitig finden. Bevor er zu viel Blut verlor. Bevor sich seine Lungen mit Rauch füllten und er erstickte.

Aber ich konnte ihn vielleicht retten.

Mein Verstand raste. Ich war hin- und hergerissen. Ich dachte an den Wald, an die Schlacht zwischen seinem Volk und meinem. Das machte ihn zum Feind, auch wenn ich nicht wusste, warum.

Und doch … war er auch nur ein Junge.

Ein verletzter Junge, der sterben würde, wenn ich nichts unternahm.

Ein Baum hinter mir knackte, Feuer schnappte nach seinen Ästen. Ein Ast brach und stürzte herab. Instinktiv stürzte ich mich auf Agnarr und rollte ihn gerade noch rechtzeitig zur Seite, um dem glühenden Feuer auszuweichen. Es traf den Boden, auf dem er nur Sekunden zuvor gelegen hatte, und das trockene Gestrüpp um ihn herum flammte auf.

Ich traf meine Entscheidung, erhob meine raue Stimme in den Himmel und sang nach Gale, rief den Windgeist, so wie ich es immer tat. „Ah, ah, ah, ah!“

Einen Moment lang hörte ich nichts und begann schon, mir Sorgen zu machen, dass der Geist zu sehr mit dem beschäftigt war, was um uns herum geschah, um meinem Ruf zu antworten. Aber endlich hörte ich ein Rauschen und spürte eine Brise, die fragend um mich schwebte.

„Hilf uns, Gale“, flehte ich.

Der Windgeist gehorchte, hüllte uns beide in seine Umarmung und fegte uns in heftiger Eile durch den Wald.

Einen Augenblick lang zuckten die Augen des Jungen und ich fragte mich, ob er wieder zu Bewusstsein kam. Er murmelte leise etwas, das ich nicht verstehen konnte. Dann wurde er wieder ohnmächtig und seine Augen schlossen sich.

„Komm schon“, sagte ich zu Gale und mein Herz schlug heftig in meiner Brust. „Wir müssen uns beeilen.“

Der Sturm beschleunigte das Tempo. Während des Fliegens durchstreiften meine Augen den Wald, verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der uns helfen könnte.

Da sah ich die Gruppe der arendellianischen Pferde und Wagen, auf denen verletzte, von Ruß bedeckte, hustende und röchelnde Menschen aufeinanderlagen und sich die Augen rieben.

„Da! Setz ihn auf dem Wagen ab“, bat ich Gale.

Der Windgeist gehorchte, fegte uns vorwärts und ließ uns sanft auf den Wagen hinunter. Als Agnarrs Rücken das Holz des Wagens berührte, murmelte er wieder etwas. Ich beugte mich über ihn und versuchte zu hören, was er sagte.

Plötzlich wurde alles dunkel.

Ein arendellianischer Umhang lag über meinem Kopf und bedeckte fast meinen ganzen Körper. Gale musste ihn über mich geworfen haben. Aber warum?

Gefahr war im Verzug.

Mit gespitzten Ohren lauschte ich dem Geräusch von Schritten, die sich näherten. Sie waren laut und stammten eindeutig von mehreren Person. Ich hielt den Atem an. Mein Herz klopfte so stark, dass ich befürchtete, mir eine Rippe zu brechen. Der Wagen schaukelte, als ob jemand vorne aufgestiegen wäre, dann setzte er sich zu meinem Entsetzen in Bewegung.

Ich bemühte mich, unter dem Umhang herauszuschauen. Ich musste vom Wagen springen, solange ich noch konnte, und zurück in die Sicherheit des Waldes laufen. Aber hinter dem Wagen ritten drei arendellianische Soldaten, bewaffnet mit spitzen Schwertern.

„Siehst du einen dieser Verräter?“, fragte einer von ihnen. Seine Augen huschten misstrauisch in alle Richtungen. Seine Stimme war rau vom Rauch des Feuers.

„Wenn ich das täte, würde ich nicht hier stehen und mit dir reden“, erwiderte der mittlere, dunkelhaarige. „Ich würde sie alle auf der Stelle aufschlitzen.“

„Ich kann es nicht glauben! Wir kamen in Frieden! Wir haben ihnen einen Damm gebaut! Und so danken sie es uns? Mit Zauberei und Betrug?“, rief der Dritte. Sein Pferd tänzelte nervös unter ihm, als es seine Spannung spürte. Mein Herz klopfte vor Entsetzen und weigerte sich, den hasserfüllten Worten der Soldaten zu glauben. Wir waren ein friedliches Volk. Wir hatten die Arendellianer in unserem Land willkommen geheißen und ihr Geschenk, den Damm, angenommen. Warum sollten wir uns jetzt gegen sie erheben?

Was Magie oder Zauberei anging, so hatten wir keine. Wir benutzten nur die Gaben, die uns die Geister geschenkt hatten. Die Ältesten waren in dieser Sache sehr deutlich gewesen, vom ersten Tag an, an dem wir die Arendellianer getroffen hatten.

In diesem Moment packte uns ein weiterer Windstoß. Zuerst dachte ich, es wäre Gale, der hereinstürmte, um mich vor meinem Schicksal zu bewahren. Stattdessen jedoch schien ein dicker, schwerer Nebel vom Himmel zu fallen, der sich wie eine riesige Mauer hinter uns auf der Erde niederließ. Er sperrte den Wald vom Himmel bis zur Erde hin ab, so weit das Auge reichte.

Die Wagen kamen zum Stillstand. Die Soldaten stießen alarmierte Rufe aus und starrten bestürzt auf den grau schimmernden Nebel.

Einer von ihnen murmelte: „Noch mehr schwarze Magie“ und machte seltsame Bewegungen mit seinen Händen, als ob er das, was immer es war, abwehren wollte. „Böse Zauberei!“

„Lass uns hier verschwinden“, brüllte der andere. „Bevor es auch uns holen kommt!“

Mein Herz drohte zu zerspringen. Was geschah hier gerade? Mein Zuhause! Meine Familie! Sie war hinter einer Art Mauer gefangen und ich war auf der falschen Seite. Ich musste zurück, bevor es zu spät war.

Oder war es schon zu spät?

Wenn ich mich jetzt zeigte, würden die Soldaten mich vielleicht ergreifen. Aber wenn ich es nicht tat, könnte ich meine Welt verlieren. Was sollte ich tun?

Plötzlich fühlte ich eine Bewegung neben mir. Agnarr war aufgewacht, wenn auch nicht ganz. Er blinzelte und sah mich mit schläfrigen grünen Augen an. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke. Ich schüttelte den Kopf, blickte auf den wachsenden Nebel und stöhnte leise.

Agnarr nahm meine zitternde Hand. Er drückte sie so leicht, dass ich es kaum spürte. Doch gleichzeitig war es, als ob ich nichts anderes auf der Welt fühlte.

„Alles wird gut“, flüsterte er. Mit der freien Hand griff er in seine Tasche und zog etwas kleines Eingepacktes heraus. Ich öffnete es zögernd und enthüllte einen winzigen Block von dem braunen Zeug, das ich im Zelt gekostet hatte.

Mein Blick flog zu Agnarr, der lächelte.

„Schokolade macht alles besser“, flüsterte er.

Dann schlossen sich seine Augen und sein Atem verlangsamte sich. Er war wieder eingeschlafen. Aber seine Hand blieb in meiner, als die Wagen weiterrollten, weg von dem Nebel. Resigniert ließ ich mich zurücksinken und schob mir die Schokolade in den Mund. Ihre Süße rivalisierte nur mit der Wärme von Agnarrs Hand, die immer noch in meiner lag.

Ob es mir gefiel oder nicht, ich war auf dem Weg nach Arendelle. Ob das in Ordnung sein würde?

Nur Ahtohallan weiß es …

KAPITEL DREI

Iduna

„DA IST NOCH JEMAND IM WAGEN!“

Ich erwachte verwirrt, als mir der arendellianische Umhang von Kopf und Körper gerissen wurde und mich das plötzliche Sonnenlicht nach der Dunkelheit der Nacht blendete. Ich blinzelte und versuchte, mich zu orientieren, während mein Herz vor Panik immer schneller schlug. Wo war ich? Warum hatte ich solche Schmerzen? Und wer waren diese großen, seltsam gekleideten, bärtigen Männer, die sich mit verwirrten Blicken über mich beugten? Ich zog den Umhang wieder über meine Schultern und wartete verängstigt.

Es fiel mir plötzlich wieder ein. Die Feier. Der Kampf. Der Junge, den ich gerettet hatte. Der Nebel, der über den Wald gefallen war. Ich versuchte, mich aufzusetzen. Angst brannte wie ein Feuer in mir. Wo war Agnarr? Hatte ich wirklich geschlafen, als sie ihn aus dem Wagen geholt hatten? Ich dachte an seine Hand, die meine umklammerte. An sein Versprechen, dass alles in Ordnung sein würde.

Aber jetzt war er weg. Und ich war umringt von Männern, die mich lieber tot sehen würden.

Ich versuchte, vom Wagen zu springen. Aber ich landete falsch, auf Beinen, die gerade noch tief und fest geschlafen hatten. Ein stechender Schmerz schoss durch meinen Knöchel und meine Wade hoch und ich fiel schreiend zu Boden. Die Männer umzingelten mich mit misstrauischen Blicken.

Ich schluckte und erkannte, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte.

„Wer bist du, Mädchen?“, fragte ein Mann. „Warum wolltest du fliehen?“

Ich blinzelte, vor Schreck konnte ich kaum sprechen. Meine Gedanken kehrten zu dem Satz des Soldaten vom Vortag zurück. Ich würde sie alle aufschlitzen.

„Ihr glaubt doch nicht, dass sie eine von ihnen ist, oder?“, fügte ein anderer hinzu und sah mich mit kalten grauen Augen an. „Ein kleiner blinder Passagier aus dem Wald?“

Der andere Mann spuckte auf den Boden, packte mich grob am Arm und zog mich auf die Füße. Ich zuckte zusammen, als der Schmerz wieder mein Bein hochschoss, biss aber die Zähne zusammen, damit ich nicht weinte. Der Mann umfasste mein Gesicht mit seinen fleischigen Händen und drehte mich nach links und dann nach rechts.

„Nun sprich schon, Mädchen!“, verlangte er barsch.

Ich krümmte mich und zog meine Schultern hoch. Ich spürte, wie mein Körper vor Angst zitterte. Ich versuchte mir einzureden, dass es nur ein Traum war. Dass ich jede Sekunde aufwachen würde, zurück im Wald, eingekuschelt in einem Haufen Rentierhäute.

Aber um die Wahrheit zu sagen, es fühlte sich nicht an wie ein Traum, eher wie ein Albtraum.

Ich öffnete meinen Mund und versuchte zu sprechen, obwohl ich nicht wusste, was ich sagen konnte, um mich zu retten. Warum war ich nur auf dem Wagen eingeschlafen? Wäre ich wach gewesen, als sie anhielten, hätte ich mich irgendwie wegschleichen können. Aber jetzt war ich im Zentrum ihrer Stadt, Steingebäude ragten in alle Richtungen auf und versperrten mir den Weg. Und dazu mein verletzter Knöchel! Ich konnte meinem Schicksal nicht entkommen.

Wo war Gale? Wenn er hier wäre, könnte er sie vielleicht ablenken und mir so zur Flucht verhelfen. Ich flüsterte unser Lied, aber die Luft blieb unverändert tot, wie an einem heißen Sommertag. Nicht die geringste Spur einer Brise, kein Anzeichen einer Rettung durch meinen Freund, den Geist.

„Was hat das zu bedeuten?“, verlangte eine neue Stimme zu erfahren, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte. Ein Mann mit vollem, dunklem Haar drängte sich an den anderen vorbei. Er trug einen sehr ausgefallenen Anzug in der Farbe von Preiselbeeren. Die Art und Weise, wie die anderen sich schnell zerstreuten, als er sich näherte, verriet mir, dass er das Sagen hatte.

„Dieses Mädchen, Sir. Wir fanden sie im Wagen. Aber alle Kinder, die mit uns zum Staudamm fuhren, sind bereits erfasst worden. Und sie weigert sich, zu sagen, wer sie ist.“

Als er mich erreichte, starrte er in mein Gesicht, die Augen in der Farbe der braunen Blöcke, die Agnarr Schokolade genannt hatte. Ich stieß ein unwillkürliches Wimmern aus. Meine Angst war so schlimm, dass ich fürchtete, mich auf seine Schuhe zu übergeben.

„Bitte“, flüsterte ich, meine Stimme heiser von dem Rauch, den ich eingeatmet hatte. Obwohl ich kaum wusste, um was ich bat. Gnade? Warum sollten sie mir Gnade gewähren, wenn sie glaubten, meine Familie habe ihr Volk kaltblütig abgeschlachtet? Für sie war ich ein Monster. Eine Zauberin. Ich war …

„Ein Kind!“, rief der Mann erstaunt. „Ach, du bist doch noch ein kleines Mädchen.“

„Ich bin zwölf“, platzte ich heraus, bevor ich mich zurückhalten konnte. „Ich bin fast eine Frau.“ Meine Stimme, die stark klingen sollte, kam eher wie ein Quietschen heraus.

Zu meiner Überraschung lachte er und legte mir seine Hand freundlich auf die Schulter. „Mein Fehler“, sagte er zu mir. „Natürlich. Und du bist eine ganz feine Dame.“

Ich schluckte und blickte zu Boden. Der Umhang, den ich noch immer trug, glitt von meinen Schultern und enthüllte das Tuch meiner Mutter. Die Augen des Mannes weiteten sich, als er es sah. Dann ergriff er schnell den Umhang, fiel vor mir auf die Knie und legte ihn mir wieder um.

„Wie ist dein Name?“, flüsterte er, sein Gesicht ganz nah an meinem. Ich war überrascht über die plötzliche Ernsthaftigkeit in seiner Stimme.

„Iduna“, flüsterte ich zurück und blickte besorgt zu den Männern auf beiden Seiten, die mir immer noch misstrauische Blicke zuwarfen.

Der Anführer schlug sich mit der Hand auf die Stirn. „Iduna! Natürlich“, rief er mit lauter Stimme, als er sich wieder aufrichtete.

„Tochter von Greta und Torra, der tapferen Schildmaid und dem Soldaten, die mit uns am Damm waren.“

Ich öffnete meinen Mund, um zu protestieren. Greta? Torra? Ich hatte noch nie von diesen Leuten gehört und sie waren definitiv nicht meine Eltern. Aber bevor ich etwas sagen konnte, schüttelte der Mann den Kopf so leicht, dass nur ich es sehen konnte. Ich verstand die Nachricht, laut und deutlich. Die anderen versammelten sich jetzt wieder um mich und sahen mich mit neuen Augen an. Ich hatte recht gehabt, dass dieser Mann das Sagen hatte. Wenn er sprach, hörten sie zu. Und was noch wichtiger war, sie glaubten ihm.

„Armes Mädchen“, bemerkte der Mann, der mich vom Wagen gezerrt hatte, und schüttelte betroffen den Kopf. „Es tut mir so leid um deine Eltern.“ Er verzog sein Gesicht. „Ich verspreche dir, diese Northuldra-Zauberer werden für ihre Verbrechen bezahlen! Und wenn es bis zu meinem Tod dauert!“ Er ballte mit seiner rechten Hand eine Faust, so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Dann schwenkte er seine Faust in die Luft, als ob er es mit dem gesamten Volk der Northuldra aufnehmen wollte. Verängstigt rannte ich zurück in den Wagen.

Der Anführer stöhnte, ergriff die Faust des wütenden Mannes und drückte sie mit Kraft nach unten. Dann drehte er sich wieder mir zu. „Es ist in der Tat sehr tragisch, was deinen Eltern im Wald widerfahren ist“, stimmte er mit stählerner Stimme zu. „Aber keine Sorge, junge Iduna“, fügte er hinzu und sagte meinen Namen sehr bedacht, als wolle er ihn sich einprägen. „Wir in Arendelle kümmern uns um die Unsrigen. Da du eine von uns bist,“ fügte er wieder sehr bedacht hinzu, als ob er mir eine geheime Botschaft mitteilen wollte, „wird es dir an nichts fehlen. Wir werden für dich sorgen, dich ernähren und dich beschützen.“

Ich zwang mich zu einem Nicken, obwohl der Kloß in meiner Kehle so groß geworden war, dass ich das Gefühl hatte, ich würde daran ersticken. Denn eigentlich wollte ich protestieren. Ich wollte ausrufen, dass ich niemals eine von ihnen sein würde. Diese seltsamen Leute in ihrer seltsamen Stadt! Sie waren mir so ähnlich wie die Sonne dem Mond.

Aber ich schwieg, nickte und zog den arendellianischen Umhang enger über meinen Körper. „Danke“, zwang ich mich zu sagen. „Sie sind sehr freundlich.“

Die Schultern des Mannes entspannten sich. Er wusste, dass ich seine Nachricht verstanden hatte, und drehte sich zu den anderen um. „Ich werde sie persönlich zum Waisenhaus bringen“, erklärte er ihnen. „In der Zwischenzeit habt ihr alle sicher etwas Besseres zu tun, als hier nur herumzustehen.“

Die anderen Männer grunzten zwar unwillig, zerstreuten sich aber, um nach Hause zurückzukehren.

Der Mann sah ihnen nach, dann drehte er sich zu mir.

„Ich bin Lord Peterssen“, sagte er mit sanfter Stimme. „Und du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich meinte, was ich sagte. Dir wird nichts geschehen.“

Ich nickte ein weiteres Mal. Was hätte ich sonst tun können? Er streckte eine Hand aus und half mir aus dem Wagen.

„Komm“, sagte er. „Ich bringe dich nach Hause.“