Disney – Dangerous Secrets 3: Aurora und DER DUNKLE SCHLAF (Maleficent) - Walt Disney - E-Book
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Disney – Dangerous Secrets 3: Aurora und DER DUNKLE SCHLAF (Maleficent) E-Book

Walt Disney

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Beschreibung

Aurora findet nichts schlimmer als es zu schlafen. In ihre Bettdecke gekuschelt, sieht sie aus dem Fenster zu den Sternen und sagt sich immer wieder, dass alles in Ordnung ist. Der Zauber ist vorbei, der Dornröschen-Fluch gebrochen. Doch in den meisten Nächten schläft sie erst bei Tagesanbruch ein und wacht später völlig erschöpft und zerrissen zwischen ihrer Liebe und Zugehörigkeit zum Menschen- und Feenreich auf. In jeder Nacht befällt die Angst sie aufs Neue. Einzuschlafen fühlt sich an, als würde sie in einen endlos tiefen Brunnen stürzen. Wird sie dieser von Maleficent ausgelösten Hölle jemals entrinnen? Auch der dritte Band in der neuen Disney-Reihe »Dangerous Secrets« besticht wieder durch ein spannendes Abenteuer! - Fesselnder Roman der New York Times-Bestsellerautorin Holly Black - Tragisch und romantisch: Lesestoff mit Sogwirkung! - Für Fans der Villains- und Twisted-Tales-Reihen

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Für alle, die sich an ihren eigenen Hörnern erfreuen.– H. B.

PROLOG

„ES WAR EINMAL EINE BÖSE FEE mit Namen Maleficent, benannt nach ihrer Arglist und ihrer Herrlichkeit. Ihre Lippen waren so rot wie frisches Blut und ihre Wangenknochen so scharf wie der Schmerz einer verlorenen Liebe. Und ihr Herz war so kalt wie die tiefste Tiefe des Ozeans.“

Der Geschichtenerzähler stand auf einer gepflasterten Straße nahe dem Schloss und sah zufrieden zu, wie sich um ihn herum eine Menschenmenge bildete. Kinder schauten mit offenen Mündern zu ihm hinauf, Hausfrauen hielten beim Einkaufen inne, und Handelsleute näherten sich.

Unter seinen Zuhörern war auch eine Frau, die einen Kapuzenmantel trug. Sie stand ein Stück weiter entfernt, und obwohl er ihr Gesicht nicht sehen konnte, erweckte sie sein Interesse.

Der Geschichtenerzähler war zwei Tage zuvor in das Königreich Perceforest gekommen. In der vorherigen Stadt war sein Märchen sehr beliebt gewesen. Ihm war nicht nur ein Beutel Kupfer angeboten worden, sondern auch ein reichhaltiges Abendessen im besten Gasthof der Stadt sowie ein Platz am Feuer für die Nacht. Sicherlich würde ihm sein Märchen hier – nahe dem Schloss, wo mehr Reichtum herrschte – noch mehr Einnahmen bringen.

„Es war einmal eine Prinzessin mit Namen Aurora, benannt nach der Morgenröte. Ihr Haar war so gülden wie die Krone, die eines Tages auf ihrem Haupt ruhen würde. Ihre Augen waren so groß und sanft wie die eines Rehs. Niemand konnte sie ansehen, ohne Zuneigung zu ihr zu empfinden. Aber Maleficent hasste Herzensgüte und belegte Aurora mit einem Fluch.“

Um ihn herum hielten alle Zuhörer den Atem an. Der Geschichtenerzähler war sehr zufrieden darüber, bis er bemerkte, dass sie auf eine sonderbare Art beunruhigt wirkten. Etwas war nicht in Ordnung, doch er wusste nicht, was es sein könnte. Er hatte eine ähnliche Geschichte aus Weaverton gehört und sie etwas ausgeschmückt. Er war sicher gewesen, dass es sich um ein reelles Märchen handelte, eines, das der Erfahrung der Alten schmeichelte und die Leidenschaften der Jungen entflammte.

„An ihrem sechzehnten Geburtstag sollte Aurora ihren Finger an einer Spindel stechen und sterben“, fuhr er fort.

Einige Zuhörer schrien entsetzt auf. Eines der Kinder umklammerte die Hand eines anderen.

Wieder kam ihm diese Reaktion eigenartig vor. Sein Märchen sollte eigentlich keine so starke Wirkung auf sie haben. Es war definitiv an der Zeit, das Grauen durch etwas Tröstliches abzumildern.

„Aber wie ihr wissen müsst, gab es auch eine gute Fee, und …“

Die vermummte Gestalt schnaubte. Der Geschichtenerzähler hielt inne und ruinierte damit den Fluss seines Märchens.

Gerade wollte er den Faden wiederaufnehmen, da sagte die Frau: „Das passierte also?“ Ihre Stimme klang melodiös mit dem Hauch eines Akzents, den er nicht einordnen konnte. „Wirklich? Seid Ihr sicher, lieber Geschichtenerzähler?“

Er war Zwischenrufe gewohnt. Also schenkte er der Frau sein breitestes Lächeln und schaute sich in der Menge um, um auch sie zum Lächeln zu bringen. „Jedes Wort ist so wahr wie die Tatsache, dass Ihr vor mir steht.“

„Was würdet Ihr darauf wetten?“, entgegnete die Frau. Die Menge wirkte von diesem Gespräch mehr gefesselt als von seiner Geschichte. „Würdet Ihr mir Eure Stimme geben? Euer Erstgeborenes? Euer Leben?“

Der Geschichtenerzähler lachte nervös.

Da warf die Frau ihren Mantel ab. Er trat einen Schritt zurück. Und dann noch einen.

Die Menge wich ebenso entsetzt zurück, als würde sie etwas Schlimmes erwarten.

„Ihr … Ihr …“ Er bekam die Worte nicht heraus.

Schwarze, gebogene Hörner, so unheilvoll wie ihr Lächeln, entwuchsen ihrem Kopf. Ihre Lippen waren so rot wie frisches Blut. Ihre Wangenknochen so scharf wie der Schmerz einer verlorenen Liebe. Und er fürchtete, dass ihr Herz tatsächlich so kalt wie die tiefste Tiefe des Ozeans war.

Plötzlich begriff der Geschichtenerzähler, dass alle Märchen einen wahren Kern hatten. Und dass Perceforest eine sehr junge Königin hatte, mit einem Namen, nach dem er nicht gefragt hatte, aber den er gerade erriet. Was bedeutete, dass die Frau vor ihm …

„Sicher werdet Ihr meinen Namen bereits herausgefunden haben, Geschichtenerzähler. Verratet Ihr mir auch Euren?“, fragte Maleficent.

Aber er brachte keinen Ton über die Lippen.

Sie wartete einen Moment, dann verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln, das nichts Gutes verhieß. „Nein? Kein Problem. Euer Schicksal soll von nun an dieses sein: Ihr möget eine Katze werden, die ihre Geschichten unter Fenstern jault und für ihre Bemühungen nie mehr als einen Tritt oder Wasser auf den Kopf geschüttet bekommen soll. Und so sollt Ihr bleiben, bis mein böses Herz nachgibt.“

Maleficents Händen entsprang ein Wirbel aus glitzerndem Goldstaub, und alle um den Geschichtenerzähler herum wurden größer. Selbst die schreienden Kinder wurden riesig und ihre ausgetretenen Lederschuhe so groß wie sein Kopf. Er fiel auf seine Hände und Knie. Eine seltsame Wärme umgab ihn, als hätte ihm jemand eine Felldecke über den Rücken geworfen. Er öffnete seinen Mund zu einem Schrei, aber alles, was ihm entwich, war ein schreckliches, unmenschliches Jaulen.

„Ich nehme an, Ihr kennt das Ende der Geschichte bereits“, sagte Maleficent zu der Menge. Dann stieg sie in den Himmel auf. Ihre weiten, starken Flügel trugen sie in einem Windrausch fort von der Stadt. Zurück ließ sie den Geschichtenerzähler, der seinen Lebensunterhalt mit Worten bestritten hatte und nun nicht einmal mehr zu einem einzigen in der Lage war.

KAPITEL 1

ALS AURORA EIN KIND GEWESEN WAR, hatte sie eine Krone aus gewebtem Geißblatt getragen. Damals hatte sie gedacht, dass die Königin im fernen Schloss immer glücklich sein müsste, da alle ihr gehorchten und das tun mussten, was sie wollte. Doch seitdem Aurora selbst den Thron bestiegen hatte, wusste sie, wie falsch sie mit ihrer Vorstellung gelegen hatte.

Nun wollte jeder ihr sagen, was sie zu tun hatte.

Lord Ortolan, der Berater ihres verstorbenen Vaters, leierte ihr unentwegt ihre Pflichten herunter, die hauptsächlich darin bestanden, Strategien zum Bereichern der staatlichen Kasse einzuführen.

Und da gab es noch die Höflinge, junge Männer und Frauen aus adligen Familien, die an den Hof geschickt wurden, um ihr als Gesellschafter zu dienen. Sie betrachteten den Luxus und die Genüsse, die sie nie gekannt hatte, als selbstverständlich. Sie lehrten sie offizielle Tänze, die sie noch nie vorher ausprobiert hatte. Sie brachten Minnesänger zum Schloss, die von Heldentaten sangen, und Jongleure und Akrobaten, die sie mit ihren Possen zum Lachen brachten. Sie tratschten über jeden, spekulierten über Prinz Phillips verlängerten Aufenthalt am Hof und darüber, ob sein Vorwand, ulsteadische Folklore in den Bibliotheken von Perceforest zu studieren, der wahre Grund seines Bleibens war. Das alles war zweifellos sehr angenehm, nur mussten alle Dinge exakt so ablaufen, wie es schon seit Ewigkeiten im Königreich üblich gewesen war. Und Aurora wollte Veränderung.

Sie hatte irrtümlich erwartet, dass die Fee Maleficent ihr wohlgesonnen war. Aber stattdessen hielt Maleficent ihr endlose und nutzlose Vorträge darüber, dass Aurora glücklicher sein würde, wenn sie das Königreich von den Mooren aus regierte. Solange Aurora im Palast lebte, blieb Maleficent ihr fern. Zum ersten Mal in ihrem Leben fehlte Aurora die Stütze von Maleficents Schatten hinter sich.

Es half nicht, zu wissen, dass Aurora in den Mooren glücklicher wäre. Das Schloss war riesig und zugig und feucht. Der Wind fegte häufig durch die Gänge. In den Kaminen staute sich der Qualm und vernebelte die kunstvoll dekorierten Räume dauerhaft mit stinkendem Rauch. Am schlimmsten war das Eisen. Eiserne Türklinken, eiserne Fensterstäbe, eiserne Leisten an den Türen. All dies weckte Erinnerungen an die grausamen Dinge, die ihr Vater König Stefan getan hatte – und an die noch schrecklicheren Dinge, die er tun wollte. Aurora hatte angeordnet, all dies zu entfernen und zu ersetzen. Dieser enorme Aufwand hatte jedoch dazu geführt, dass bisher nur ein Viertel der Räume verändert worden war.

Sie konnte Maleficent keinen Vorwurf machen, dass sie sie angesichts der verbliebenen schrecklichen Erinnerungen nicht besuchen wollte.

Aurora musste im Palast bleiben. Nicht nur, um endlich zu wissen, wie es sich anfühlte, als ein Mensch zu leben, sondern auch wegen ihres Ziels, als Königin von Perceforest und den Mooren die Feenwesen und die Menschen dazu zu bewegen, sich als Mitglieder ein und desselben Landes zu sehen. Der erste Schritt dorthin war ein Pakt. Das einzige Problem war, dass niemand einer Vereinbarung zustimmen wollte.

Die Feenwesen wollten die Menschen aus den Mooren fernhalten, aber gleichzeitig das Recht erhalten, in Perceforest umherzuwandern, wann immer sie wollten. Die Menschen hingegen wollten alles aus den Mooren mitnehmen dürfen, auch wenn einige dieser Dinge Pilzfeen waren oder Teile der Landschaft wie Kristalle oder Bestandteile von Wohnstätten anderer Kreaturen.

Sie hatten den ganzen Morgen damit verbracht, Pläne zu entwickeln, aber ohne Erfolg.

„Ich hoffe, Euch hat niemand gekränkt“, sagte Graf Alain und riss Aurora damit aus ihren Gedanken. Der jüngste ihrer einflussreichen Grundbesitzer war auch gleichzeitig der eleganteste. Er hatte dichtes pechschwarzes Haar mit einer einzigen weißen Strähne darin, wie ein hübsches Stinktier.

„Entschuldigung?“, entgegnete Aurora verwirrt.

Er deutete auf das Fenster. „Wir haben alle Angst, dass Ihr uns genauso anschaut, wie Ihr dieses Fenster gerade anseht.“

„Aber nein“, versicherte sie beschämt. „Ich war nur in Gedanken verloren.“

Am anderen Ende der großen Halle unterhielt gerade ein Harfenspieler eine Gruppe von Damen. Der königliche Anhang war von seinem Mittagessen zurückgekehrt und nun dabei, sich Spiele und Aktivitäten für den Abend zu überlegen.

Graf Alain strich sich über seinen dünnen Bart. Seine grünen Augen strahlten vor Heiterkeit, aber manchmal fragte sie sich, ob er sie auslachte. „Ich befürchte, wir haben es vernachlässigt, Euch zu belustigen. Lasst uns auf Jagd in den Wäldern gehen, auf die Ihr eben gestarrt habt.“

„Das ist sehr freundlich von Euch“, erwiderte Aurora, „aber ich habe der Jagd nie etwas abgewinnen können. Ich empfinde zu viel Mitleid für die Geschöpfe.“

„Euer Mitgefühl ehrt Euch“, sagte Graf Alain. Bevor sie antworten konnte, breitete sich ein weites Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Aber diese Jagd werdet Ihr genießen. Es ist nur Spaß. Ein reiner Vorwand für eine Tollerei. Sicher würdet Ihr diesem staubigen Schloss gern für einen angenehmen Nachmittag entfliehen.“

Aurora wollte wirklich gern aus dem Schloss hinaus.

„Ja“, pflichtete eine Stimme dem Grafen bei. Es war Prinz Phillip, der gerade mit schlammverdreckten Stiefeln den Raum betrat. „Ich kann bezeugen, dass Ihr es tun solltet. Euer Königreich ist gerade jetzt wunderschön, wo der Sommer in den Herbst übergeht.“

Mit seinen karamellfarbenen Locken und dem unbekümmerten Lächeln, das er allen schenkte, verdrehte er den meisten Frauen und der Hälfte der Männer im Raum den Kopf.

Aber nicht ihren. Seit Aurora Königin war, war Phillip derjenige, dem sie sich anvertraute und mit dem sie lachte, wenn sie sich von der Aufgabe, das Königreich zu regieren, überfordert fühlte. Gestern hatten sie einen gemütlichen Abend mit dem Gänsespiel vor dem Kamin verbracht und beide gnadenlos geschummelt.

Die Freundschaft mit Prinz Phillip war echt und fest. Er hatte sie zwar auch schon geküsst, allerdings erinnerte sie sich nicht daran. Aber er hatte es nicht getan, weil er es wollte, sondern in der Hoffnung, damit den Fluch zu beenden.

Doch es hatte nicht funktioniert, weil er sie nicht liebte. Es war nicht der Kuss der wahren Liebe gewesen – was Aurora erleichtert hatte. Auf jeden Fall hatte sie es sich vorgegaukelt. Immerhin war Liebe die Ursache für Maleficents Schmerz gewesen. Freundschaft war in jeder Hinsicht besser.

„Sagt mir eins“, bat sie Phillip, „wird die Jagd in Eurem Land immer nur zum Spaß betrieben?“

„In Ulstead“, antwortete er, nachdem er über die Frage nachgedacht hatte. „Während viele die Jagd als ein Vergnügen empfinden, ist es für uns immer toter Ernst.“

Aurora drehte sich wieder zu Graf Alain um. Sein Lächeln war erstarrt, und sie fühlte sich ein wenig schuldig.

„Ich würde gerne im Wald reiten“, sagte Aurora zu ihm. „Aber es darf keine Jagd sein. Und wir dürfen nicht durch die Moore reiten.“

„Natürlich, meine Königin“, entgegnete Graf Alain, und der Funke war in seine Augen zurückgekehrt. „Es ist ja bekannt, dass Ihr eine unerklärlich großzügige Haltung zu den Feen habt.“

Instinktiv wollte sie Graf Alain anherrschen, dass es die Menschen waren, die seit Generationen Krieg gegen das Feenvolk führten und nicht umgekehrt. Aber sie hielt sich zurück. Er war von klein auf vor den Mooren gewarnt worden. Wie die meisten Adligen kannte er die Schönheit dieses Ortes nicht – oder die freudige Wildheit der Wesen, die dort lebten.

Er war mit Lügen aufgewachsen. Sie musste ihn davon überzeugen, dass all das, was er gehört hatte, falsch war. Sie musste daran glauben, dass auch er die Feen aus einer anderen Perspektive sehen könnte – dass er die Welt aus einer anderen Perspektive sehen könnte.

Wenn es ihr gelänge, ihn auf ihre Seite zu ziehen, wäre er ein mächtiger Verbündeter bei der Aushandlung des Vertrags und dem Versuch, ihr Volk zum Umdenken zu bewegen. Das galt vor allem für die jüngeren Höflinge, die ihn bewunderten.

Vielleicht war der Ausritt eine sehr gute Idee.

„Wir sollten die Moore nicht durchqueren, aber wir können nahe genug heranreiten, um sie zu sehen“, schlug Aurora vor. „Eigentlich sollte der ganze Hofstaat mitkommen. Wir können morgen Nachmittag hinreiten und hoch oben picknicken, sodass wir die Moore sehen können. Sie sind ganz anders als die Hecken aus Dornensträuchern, die sie früher umgaben. Sie sind wunderschön.“

Graf Alain seufzte und lächelte gezwungen. „Wie Ihr wünscht, meine Königin.“

KAPITEL 2

MÖCHTEST DU WISSEN, wie es sich anfühlt, seine Flügel zu verlieren?

Stell dir vor, du kannst die Wolken auf deiner Zunge schmecken und durch den Himmel eintauchen wie in ein Schwimmbad an einem heißen Sommertag.

Du fühlst die Sonne auf deinem Gesicht, wenn du über den Wolken bist.

Stell dir vor, du kennst keine Höhenangst.

Und die Flügel selbst, gefaltet auf deinem Rücken, sind weich und flauschig. Du hast jede Nacht deines Lebens in ihre Wärme eingehüllt geschlafen.

Dann sind sie plötzlich weg. Abgeschnitten. Ein Teil von dir fehlt, ein Teil, der noch lebt und in einen Käfig gesperrt ist, den du nicht sehen kannst.

Du fühlst einen unerträglichen Schmerz, eine Wunde, die sich nie schließen wird.

Du wirst schwerfällig und langsam. Das Reich, das du verloren hast, liegt über dir, tiefblau und unerreichbar.

Du verfluchst den Himmel.

Verfluchst die Luft.

Verfluchst das Mädchen.

Und dann wirst du selbst zum Fluch.

KAPITEL 3

AURORA SCHLIEF NICHT GERN. Jeden Abend fand sie neue Ausreden, um länger wach zu bleiben. Es gab immer Listen zu erstellen, Briefe zu schreiben, endlose Überarbeitungen des Vertrags zu überdenken. Sie wanderte in ihrem riesigen Gemach umher, schürte das Feuer und ließ ihre Kerzen so weit herunterbrennen, dass jeder Docht in einer Wachslache erlosch.

Aber in jeder Nacht kam der Zeitpunkt, an dem sie ihr Nachthemd anziehen und ihre Kerze ausblasen musste. Dann kauerte sie sich unter ihre Decken, schaute aus dem Fenster zu den Sternen hinauf und versuchte, sich einzureden, dass es sicher war, die Augen zu schließen. Dass sie am nächsten Morgen wieder aufwachen würde.

Sie würde nicht die nächsten hundert Jahre schlafen.

Der Zauber war verschwunden.

Der Fluch gebrochen.

Aber in den meisten Nächten schlief Aurora erst ein, wenn die Morgenröte am Horizont erschien. Fast immer wachte sie erschöpft auf. An manchen Tagen konnte sie kaum aufstehen.

Denn die Angst überkam sie jede Nacht von Neuem. Einschlafen fühlte sich an, als würde sie in einen tiefen Brunnen fallen, einen Brunnen, aus dem sie sich vielleicht nie wieder herauskämpfen würde.

Nachdem sie sich heute Abend eine gefühlte Ewigkeit hin und her gewälzt hatte, stand sie auf. Sie warf sich ein schweres goldenes Gewand über ihr Nachthemd und schlenderte durch das stille, schlafende Gebäude zu einem Brunnen am Rande der königlichen Gärten.

Phillip sah von seinem Platz auf, wo er im Mondlicht an einer kleinen Flöte schnitzte. „Eure Majestät“, sagte er, „ich hatte gehofft, Ihr würdet kommen.“

Als sie ihm das erste Mal auf einem ihrer Abendspaziergänge begegnet war, hatte er ihr erzählt, dass die Hofpartys in Ulstead die ganze Nacht andauerten und er es gewohnt war, bis spät in die Nacht wach zu bleiben. Damals waren sie auf einem Zierteich über die Felsen gesprungen.

„Der Vertrag hält mich wach“, erklärte sie, obwohl das nicht die ganze Wahrheit war. „Ich habe Angst, dass die Menschen und die Feen sich nie auf etwas einigen werden. Und wenn ich sie dazu zwinge, was nützt es dann?“

„In Ulstead sind die Geschichten über Feen noch schlimmer als die, die hier erzählt werden. Und bei uns gibt es kein Feenvolk, das ihnen widersprechen könnte. Die freundlichen Märchen werden nicht mehr erzählt. Man findet sie nur noch an einem einzigen Ort, in der Ulstead-Abteilung Eurer königlichen Bibliothek. Das Volk von Perceforest kann sich glücklich schätzen, auch wenn es das noch nicht begriffen hat.“

Aurora war überrascht. „Habt Ihr diese Geschichten geglaubt?“

Phillip blickte zum Wald. „Bis ich hierherkam, hatte ich ganz aufgehört, an Feen zu glauben.“ Er wandte sich ihr mit einem Lächeln zu. „Alles Neue ist schwer. Aber Ihr habt eine Art an Euch, die Leute zum Zuhören zu bringen. Ihr werdet sie überzeugen.“

Aurora schüttelte den Kopf, aber nach seinen freundlichen Worten fühlte sie sich besser. „Das hoffe ich. Und da ich so überzeugend bin, kann ich Euch vielleicht auch davon überzeugen, beim Spiel mit Mondscheinstöcken nicht zu schummeln.“

„Es ist unmöglich, beim Stöckchenwerfen zu schummeln!“, protestierte er und sah sich bereits nach dem besten heruntergefallenen Ast um.

„Wir werden sehen“, erwiderte sie und schnappte sich den Stock, den er schon ins Auge gefasst hatte.

Das führte zu einem verrückten Gelächter und Gerangel. Phillip versuchte, den Stock aus Auroras Händen zu reißen. Aurora zerrte an ihrem Ende. Auf einmal brach der Stock entzwei, und sie landete auf dem Boden.

Phillip sah erschrocken aus. „Verzeihung“, sagte er und streckte eine Hand aus. „Mein Verhalten war höchst unhöflich.“

Aurora stand auf und strich den Dreck von ihrem Gewand. Sie kam sich töricht vor. Sie wollte ihn necken und wieder zum Lachen bringen. Ihn daran erinnern, dass sie Freunde waren und dass Freunde miteinander albern sein durften, auch wenn sie eine Königin und er ein Prinz war.

Aber als sie ihm in die Augen sah, fand sie nicht die richtigen Worte.

„Kommt, ich bringe Euch zurück zum Palast.“ Phillip lächelte unsicher und bot ihr seinen Arm an. „Und als Zeichen meiner Reue werde ich versuchen, Euch nicht in einen Graben zu führen.“

„Vielleicht sollte ich lieber Euch führen“, erwiderte Aurora leichthin.

„Zweifellos“, bekräftigte Phillip.

Viel zu früh riss ihr Zimmermädchen die Vorhänge auf, und das Sonnenlicht strömte herein. Aurora stöhnte und versuchte, ihren Kopf unter den Kissen zu vergraben.

Marjory stellte ein Tablett mit Tee, Brot, Butter und Quittenmarmelade auf dem Tisch am Ende des Bettes ab.

„Obwohl es sehr unpassend ist, bestand Euer Berater darauf, Euch zu informieren, dass er eine Audienz wünscht, sobald Ihr aufgestanden seid“, sagte Marjory, drehte sich um und schüttelte ein grünes Kleid aus.

„Was will er wohl?“, überlegte Aurora laut und setzte sich auf. Sie nahm die warme Tasse und führte sie an ihre Lippen. Obwohl sie bereits seit Monaten als Königin im Schloss lebte, weigerte sie sich, ihre Diener zu ignorieren, so wie es die gesellschaftliche Ordnung verlangte. Ihr Vater war Diener im Schloss gewesen, bevor er König wurde, und trotz all seiner Fehler bedeutete sein Aufstieg für Aurora, dass man niemanden übersehen sollte. „Setz dich zu mir. Iss etwas Brot und Marmelade.“

Marjory setzte sich bereitwillig, aber sie wirkte nicht so fröhlich wie sonst. Sie war rothaarig mit sehr blasser, sommersprossiger Haut, die rot und fleckig wurde, wenn sie etwas aufregte, was offenbar der Fall war. „Einige der Stadtbewohner möchten Euch sehen. Lord Ortolan hat versucht, sie wegzuschicken, aber sie weigern sich zu gehen.“

„Du glaubst also, dass er das mit mir besprechen will?“ Aurora bestrich zwei Scheiben Brot und schob eine davon in Marjorys Richtung.

Das Mädchen nahm einen großen Bissen. „Nanny Stoat sagt, dass Lord Ortolan nicht möchte, dass Ihr mit Eurem Volk sprecht, außer mit denen, die er in der Tasche hat. Verzeiht mir diese Wiederholung, aber sie sagt, er wolle nicht, dass Ihr auf Ideen kommt, die nicht von ihm sind.“

„Nanny Stoat?“, fragte Aurora.

„Jeder im Dorf hört auf sie“, erklärte Marjory. „Wenn es ein Problem gibt, sagen die Leute: ‚Sprich mit Nanny Stoat darüber.‘ Sie weiß, wie man die Dinge in Ordnung bringen kann.“

„Ihr glaubt also, Lord Ortolan hat nicht vor, mir etwas über die Leute in der Stadt zu erzählen? Und dass er weiterhin versuchen wird, sie wegzuschicken?“

Marjory nickte und sah dabei schuldbewusst aus.

Aurora stürzte den Rest ihres Tees hinunter und stand auf. Sie ging zu ihrem Frisiertisch und begann, ihr Haar grob auszubürsten. „Ich gehe besser sofort hinunter, wenn ich mit ihnen sprechen will. Erzähl mir alles, was du hörst, Gerüchte – alles!“

„Wartet!“, rief Marjory, sprang vom Bett auf und nahm Aurora die Bürste aus der Hand. „Ich flechte Euer Haar so schnell wie möglich, wenn Ihr aufhört, es so zu behandeln.“

„Weißt du, was sie wollen?“, fragte Aurora und betrachtete sich missmutig im Spiegel.

Das Mädchen entwirrte ihr Haar und trennte es in der Mitte zu einem sauberen Scheitel. „Ich habe gehört, dass ein Junge vermisst wird. Ein Diener aus dem Schloss. Er war einer der Stallburschen, also kannte ich ihn nicht besonders gut.“

Aurora drehte sich zu Marjory um. „Vermisst? Was meinst du damit?“

„Er wollte nach Hause gehen, um seine Mutter zu besuchen“, erzählte Marjory und hielt tapfer die Haarsträhnen fest, die sie bereits geflochten hatte. „Aber er kam dort nie an, und niemand hat ihn seitdem gesehen.“

Ein paar Minuten später rannte Aurora in seidenen Pantoffeln und dem grünen Kleid die Treppe hinunter.

Lord Ortolan versuchte, sie aufzuhalten, als sie auf das Palasttor zuging. „Eure Majestät, ich bin so froh, dass Ihr aufgestanden seid. Wenn ich einen Moment um Eure Aufmerksamkeit bitten dürfte? Es geht um magische Pflanzen an der Grenze …“

„Ich würde gerne mit der Familie des vermissten Jungen sprechen“, unterbrach sie ihn.

Das überraschte ihn offensichtlich. „Aber woher wisst Ihr das?“

„Das ist nicht wichtig, da es Euch Zeit spart, mir die Angelegenheit zu erklären, was Ihr zweifellos gerade tun wolltet“, entgegnete sie so freundlich wie möglich.

„Gewiss“, erwiderte er sanft. „Aber es gibt wichtigere Angelegenheiten zu besprechen. Die Sache mit dem Jungen kann warten.“

„Nein“, widersprach Aurora. „Ich denke nicht, dass sie das kann.“

Lord Ortolan murmelte vor sich hin und zögerte, aber da er ihrem Befehl nicht entgegenhandeln konnte, rief er nach einem Lakaien, der die Familie des Jungen in das Wohnzimmer führte, einen intimeren Raum als die höhlenartige große Halle.

Aurora war froh darüber. Sie mochte das Wohnzimmer. Es gab dort keinen Thron, auf dem sie sitzen musste und damit jeden einschüchterte, der eine Bitte an sie richtete. Stattdessen saß sie auf einem gepolsterten Stuhl und überlegte, wie sie den Stallknecht finden konnten. Sie würde ihren Schlossvogt informieren und ihre Soldaten das Land durchkämmen lassen. Nach dem Gespräch mit der Familie hätte sie vielleicht mehr Informationen darüber, wie sie die Suche am besten angehen sollte.

Einige Minuten später traten drei Personen ein: ein Mann, der seinen Hut in der Hand hielt, und zwei ältere Frauen. Der Mann verbeugte sich tief, und die Frauen knicksten vor ihr.

„Euer Junge ist verschwunden?“, fragte Aurora.

Eine der Frauen trat vor. Sie war so dünn, dass eine Rauchfahne sie hätte umpusten können. Ein abgenutztes Hemd hing von ihren hageren Schultern herunter. „Ihr müsst die Feen überzeugen, uns unseren kleinen Simon zurückzugeben“, flehte sie.

„Ihr glaubt, die Feen haben ihn entführt?“, fragte Aurora ungläubig. „Aber warum?“

„Er konnte gut mit Tieren umgehen“, antwortete der Mann, der Simons Vater sein musste. „Und er konnte Rohrflöte spielen wie kein anderer, obwohl er erst vierzehn ist. Da standen selbst die Alten auf und tanzten dazu. Das Feenvolk ist neidisch auf schlaue Jungs wie ihn. Sie wollten ihn für sich haben.“

Das war genau der Grund, warum das Land einen Vertrag benötigte – und genau der Grund, warum es so schwer war, einen auszuhandeln.

Aurora war sicher, dass die Feen den Jungen nicht mitgenommen hatten – Feen mochten zwar Flötenspieler, aber nicht so sehr. Aber sie war ebenso sicher, dass Simons Familie ihr ohne Beweise nicht glauben würde.

„Könnte ihm etwas anderes zugestoßen sein?“, fragte sie sanft.

Lord Ortolan räusperte sich. „Der Junge war ein Dieb.“

Nun ergriff die zweite Frau das Wort. Ihr Haar war weiß und zu einem Dutt hochgesteckt. Ihre Stimme zitterte vor Wut. „Was immer Ihr auch gehört habt – diese anderen Geschichten sind nicht wahr.“

„Andere Geschichten? Was soll er gestohlen haben?“, erkundigte sich Aurora.

„Eines Eurer Pferde, Eure Majestät“, antwortete Lord Ortolan. „Und außerdem eine Silberschale. Das ist der Grund, warum ihn niemand finden kann: Er ist weggelaufen.“

„Das ist nicht wahr“, erwiderte der Mann. „Simon ist ein guter Junge. Er mag seine Arbeit. Er hatte keine Freundin, und er war noch nie in einer anderen Stadt.“

„Ich werde sehen, was ich herausfinden kann“, versprach Aurora.

„Die Feen haben ihn“, beharrte die ältere Frau mit dem Dutt. „Merkt Euch meine Worte, Eure Majestät, und verzeiht mir, wenn ich das sage, aber sie fühlen sich ermutigt, seit Ihr den Thron bestiegen habt. Erst neulich …“

„Die Katze“, unterbrach der Mann wissend und nickte.

„Katze?“, wiederholte Aurora und bereute es fast augenblicklich.

Sie erzählten ihr die Geschichte von dem Märchenerzähler und Maleficent, und obwohl keiner von ihnen dabei gewesen war, zweifelte Aurora nicht daran, dass sie wahr war. Als Simons Familie etwa zwanzig Minuten später wieder hinausgeführt wurde, blieb Aurora mit einem Gefühl der Schwere im Herzen zurück.

„Wenn Ihr mich entschuldigen würdet …“, sagte sie zu Lord Ortolan und erhob sich.

„Eure Majestät“, er räusperte sich, „Ihr erinnert Euch vielleicht, dass ich vorhin etwas mit Euch besprechen wollte.“