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Disziplin = Gehorsam? Dieses Buch gibt pädagogischen Fachkräften und Eltern alltagsnahe Tipps, praxisorientierte Reflexionsfragen und interessantes Hintergrundwissen an die Hand und erklärt verständlich, wie man Disziplin bei der Erziehung von Kindern positiv einsetzen kann. Warum hat die Disziplin in unserer Gesellschaft einen so schlechten Ruf? Warum wird sie mit Strenge und Gehorsam gleichgesetzt und gerät dadurch in die "Schmuddelecke"? Ist Disziplin nicht der Motor für Lern- und Bildungsprozesse? Nährt sie sich nicht aus der Anstrengungsbereitschaft – der Lust, sich Herausforderungen zu stellen, um diese zu meistern? Ursula Günster-Schöning und Isabella Gölles möchten die Disziplin für pädagogische Fachkräfte, für Eltern und für alle anderen wieder attraktiv machen. Längst geht es nicht mehr nur um die Einhaltung von Regeln, sondern um die positiv stärkende Entwicklung von Selbstbestimmung, Selbstkontrolle und Selbstregulierung. Dieses Impulsbuch ermutigt dazu, Kindern und auch sich selbst Anstrengungsbereitschaft wieder zuzumuten, um für das Leben im 21. Jahrhundert bestens gewappnet zu sein – es ist eine Hommage an einen überaus nützlichen Wert.
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Seitenzahl: 242
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Ursula Günster-Schöning / Isabella Gölles
Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts
Ein Impulsbuch
2., verbesserte Auflage 2025
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2025, 2024 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe
(Koninklijke Brill BV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)
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Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlagabbildung: Sunny studio/Adobe Stock
Abbildungen:
Abb. 1: © Adobe Stock Nr. 226363586 | Jo Panuwat D
Abb. 2: © Ursula Günster-Schöning
Abb. 3: © Adobe Stock Nr. 117353676 | Windy Night
Satz: SchwabScantechnik, Göttingen
EPUB-Erstellung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
E-Mail: [email protected]
ISBN 978-3-647-99250-1
Auftakt
Kein Kind darf »verloren gehen«
Selbstdisziplin als Motor für Entwicklung
Disziplin – der Blick über den Tellerrand
Die Leistungsbereitschaft stirbt langsam, Tag für Tag ein bisschen mehr.
Mut zur neuen Autorität
Die Struktur des Buches
Die Zielgruppe des Buches
Die Icons im Buch
Teil 1
Disziplin
Die Wortbedeutung
Die Historie hinter dem Begriff
Intrinsische Disziplin
Extrinsische Disziplin
Disziplin – einen alten Begriff neu denken
Anstrengungsbereitschaft versus Persönlichkeit
Das Temperament ist individuell
Vom Wert der Anstrengung
Von Leistungsmotivation und Disziplin
Hat Strenge etwas mit Leistung zu tun? Dem Mythos auf der Spur
Ein Umdenken wagen
Pädagogik und Psychologie treffen auf Disziplin
Soziale Kompetenz braucht Disziplin
Die Anfänge der Disziplin
Disziplin und Selbstregulierung, die Psychologie liefert Erkenntnisse
Disziplin – von der Tugend zum verpönten Begriff. Wie kam es dazu?
Die neue Generation tickt anders
Von Selbstdisziplin und diszipliniert werden – ein Unterschied!
Selbsttest: Welcher Disziplintyp sind Sie?
Wer bin ich? – Was will ich?
Unsere Prägung ist entscheidend
Eigene Ziele als Entwicklungsmotor
Was macht eine erfolgreiche Umsetzung in Kita und Schule aus?
Unliebsame Aufgaben gehören zum Leben dazu!
Wichtige Persönlichkeiten und Disziplin
Disziplin – unsere These, Antithese und Synthese
Erziehung braucht Autorität und innere Klarheit – ein Erläuterungsversuch
Intrinsische Motivation als Entwicklungsmotor
Das Fundament jedes erfolgreichen Lebensweges, die Fähigkeit zur Selbstregulation
Armut als Entwicklungsstörer?
Ungleichheiten überwinden – Bildungschancen ermöglichen
Teil 2
Von Disziplin, Macht und positiver Aggression als Motor fürs Selbstwertgefühl
Disziplin und Macht – passt das zusammen?
Wir brauchen positive Aggression für ein erfülltes Leben
Aggression ist nicht gleich Aggression. Kennen Sie die Unterschiede?
Kinder brauchen Übungsfelder für ihre Aggression und Wut
Lernlust, Selbstwirksamkeit und positive Aggression
Gefühle wahrnehmen, ernst nehmen und regulieren lernen
Die positive Aggression fördern, denn auf den Anfang kommt es an
Disziplin versus Narzissmus
Alle Eltern wollen es zunächst einmal gut machen – vielen gelingt es, vielen aber auch nicht!
Von Lustlosigkeit bis Verweigerung
Von fehlender Anstrengungsbereitschaft und Selbstüberschätzung
Selbstbewusste und selbstständige Persönlichkeiten wären ein gutes Ziel
Kinder zu erziehen, braucht den Mut, eine Autorität zu sein
Disziplin im Kontext relevanter Begriffe
Teil 3
An den Früchten werdet ihr sie erkennen … der Blick in die Zukunft!
Alle sind fleißig, jeder auf seine Art!
Influencerin oder Erzieherin – ist das die Frage?!
Gut geplant ist halb gewonnen – Ziele sind wichtig
Kreative Schaffenspausen als Energiespender nutzen lernen
Übung macht den Meister
Das Üben: eine Zukunftskompetenz?
Vom (Leistungs-)Sport lernen?! – Geht das?
Ehrliches Feedback lässt Kinder wachsen
Die Selbstdisziplin – der Schlüssel für alles?!
Disziplin als Helfer im Prozess. Auf zu neuen Ufern
Die Psychologie der Gewohnheiten
Von Widerständen und Versuchungen
Selbstkontrolle entwickeln und einfordern
Wie kommen Disziplin und Anstrengungsbereitschaft auf guten Wegen in unser Leben?
Unser Tipp: SMART sollten alle Ziele sein
Durchhalten – die Fähigkeit, um erfolgreich zu sein
Die Entwicklung von täglichen Routinen als Helfer im Veränderungsprozess
Ermutigung, Lob, Belohnung und positive Verstärkung
Aber es geht auch allein
Rückschläge gehören dazu
Fazit
Mit auf den Weg: Muten Sie Ihren Kindern etwas zu!
Danksagung
Die Autorinnen
Literaturverzeichnis
Bücher und Zeitschriftenartikel
Internetquellen
Für Eilige: Das Wichtigste auf einen Blick
In der Musiksprache wird der Begriff »Auftakt« (historisch auch als »Aufschlag« oder »Arsis« bekannt) verwendet, um einen unvollständigen Takt zu beschreiben, der zu Beginn eines Musikstückes steht und dem ersten vollständigen Takt vorausgeht. Analog einem Musikstück wollen auch wir mit einem Auftakt beginnen:
»Disziplin ist die Brücke zwischen Zielen und Erfolg.«
Jim Rohn1
Disziplin fungiert als das entscheidende Bindeglied auf dem Weg von Zielen zu deren Verwirklichung. Diese Perspektive von Rohn hebt hervor, wie essenziell Disziplin ist, um die Lücke zwischen dem Setzen von Zielen und dem Erreichen von Erfolg zu überbrücken. Sie betont die Bedeutung von Selbstbeherrschung und der stetigen Bemühung um die eigenen Ambitionen als Schlüssel zum Erfolg. Aber trifft diese Erkenntnis universell zu, unabhängig vom kulturellen oder geographischen Kontext? Wer war Jim Rohn überhaupt, und warum scheint der Wert der Disziplin in unserer Gesellschaft, im Alltag und vor allem in der familiären Erziehung und dem heutigen Bildungswesen oft unterbewertet zu werden? Lassen Sie uns gemeinsam auf eine Entdeckungsreise gehen, um die Kunst der Disziplin in all ihrer Vielschichtigkeit und Bedeutung neu zu erforschen und zu würdigen.
Beginnen wir mit der Vorstellung von Jim Rohn (1930–2009), einem einflussreichen amerikanischen Unternehmer, Autor und Redner im Bereich der Motivation. Er zählt zu den prägenden Figuren des 20. Jahrhunderts im Feld der Persönlichkeitsentwicklung und Motivation. Rohn hat unzählige Menschen mit seinen Workshops, veröffentlichten Werken und Audioprogrammen erreicht, indem er eine Philosophie vermittelte, die auf dem Aufbau von Schlüsseleigenschaften und Routinen fußt. Dazu gehören unter anderem die Selbstbeherrschung, das Formulieren von Zielen, optimistisches Denken und die stetige persönliche Fortentwicklung. Über die Jahre hinweg spielten Rohns Ansätze eine bedeutende Rolle in der Evolution der Selbsthilfe- und Motivationsbranche, die stark auf die Kraft der intrinsischen Motivation, Selbstdisziplin und Selbststeuerung setzt. Die Aussprüche und Lehren von Jim Rohn finden weiterhin weltweit Anklang und Anwendung. Er vertrat die Überzeugung, dass Disziplin und eine fundierte Bildung entscheidende Elemente für die individuelle Entwicklung und das Fortschreiten von Gesellschaften darstellen.
Gute Bildung und Erziehung sind die Grundlagen, Disziplin bzw. Selbstdisziplin die Erfüllungsgehilfen und somit Schlüsselkompetenzen für die Zukunft. Und warum? Weil sich fast jeder Erfolg aus Disziplin speist. Und obwohl sie im Allgemeinen oft als Fähigkeit definiert wird, bestimmte Regeln und Vorschriften einzuhalten, ist sie viel mehr. Es geht bei der Auseinandersetzung mit Disziplin im eigenen Leben nicht darum, sich ständig selbst zu kasteien, oder im Zusammensein und der Arbeit mit Kindern, ob nun in Kita, Schule oder Elternhaus, darum, Kinder anzuleiten, wie sie exakt äußere Regeln beachten und sich programmieren, permanent gute Leistungen zu erbringen, sondern vor allem darum, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Zu lernen, sich eigene Ziele zu setzen, an sich selbst zu glauben und sich selbst zu motivieren, um diese dann auch zu erreichen. Dies umfasst auch die Kompetenz, das eigene Verhalten entsprechend anzupassen und zu kontrollieren.
Selbstdisziplin ist für alle Kinder von großer Bedeutung, da sie lernen müssen, ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche zurückzustellen, um übergeordnete Ziele zu erreichen, und vor allem, um sich vor Medien-, Alkohol-, Konsum-, Drogensucht oder Überlastung und Ausbeutung der eigenen Ressourcen zu schützen.
Im schulischen und später beruflichen Umfeld ist Selbstdisziplin besonders wichtig, da Kinder Selbstverantwortung übernehmen müssen, um ihre Hausaufgaben und später in der Sekundarstufe auch Aufgaben und Projekte rechtzeitig zu erledigen, ihre Konzentration aufrechtzuerhalten, Prioritäten zu setzen und Ablenkungen zu vermeiden. Sich selbst zu disziplinieren, ist für viele Kinder und Jugendliche eine echte Herausforderung, insbesondere in dieser schnelllebigen Welt mit ihren vielen Ablenkungen, z. B. durch soziale Medien, Smartphone, Internet oder Substanzen wie das kürzlich freigegebene Cannabis.
Eltern, Kindertagespflegepersonen, pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte spielen daher schon früh eine wichtige Rolle, um Kindern zu helfen, Selbstdisziplin zu entwickeln. Daher ist es essenziell, klare Erwartungen zu formulieren, Grenzen zu setzen und die Kinder anzuleiten, mehr noch, ihnen immer wieder aufs Neue vorzuleben, Verantwortung für die eigenen Handlungen und Entscheidungen zu übernehmen, bei gleichzeitigem Freiraum für Entfaltung und den eigenen Willen.
Lob, Ermutigung und positive Verstärkung sowie eine fehlerfreundliche (Lern-)Atmosphäre sind dafür ein wichtiger Nährboden und tragen dazu bei, die Motivation der Kinder für Selbstdisziplin zu steigern. Wachsame Sorge, offene Aufmerksamkeit, Geduld und echtes Interesse am Kind sind ebenfalls grundlegend, da die Entwicklung von Selbstdisziplin ein schrittweiser Prozess ist und Zeit erfordert.
Eltern, pädagogische Fachkräfte und Lehrkräfte haben dabei eine Schlüsselrolle inne, da sie die Grundsteine legen und Vorbilder sowie natürliche Autoritäten für Kinder darstellen, an denen sich diese orientieren und von denen sie bestimmte Verhaltensweisen abschauen können. Die Möglichkeit zur frühen Partizipation und Beteiligung der Kinder bei Entscheidungsprozessen ist dabei genauso wichtig wie das Einfordern von Absprachen und Verantwortlichkeiten, also das Führen der Kinder. Auch sollten Erwachsene Kindern helfen, Ziele zu entwickeln, und sie dann dabei unterstützen, diese auch zu erreichen, auch und vor allem wenn es Rückschläge gibt, denn die gehören ganz natürlich auf dem Weg zum Ziel bzw. Erfolg dazu.
Insgesamt ist die Ausbildung von Selbstdisziplin bei Kindern ein wichtiger Bestandteil ihrer persönlichen Entwicklung, daher möchten wir der Disziplin dieses Buch widmen und alle pädagogischen Fachkräfte, Lehr- und Führungskräfte, Ausbilder:innen und Fachlehrer:innen, vor allem jedoch Eltern einladen, sich mit diesem Thema proaktiv auseinanderzusetzen. Betrachten Sie dieses Buch als ein Impuls- und Reflexionsbuch, um über die eigene Haltung nachzudenken, wie z. B.: Sind Sie eine natürliche Autorität? Hat Disziplin eine wichtige Bedeutung in Ihrem Leben? Und wenn ja, welche? Sind Sie ein gutes Vorbild für Disziplin? Und wenn ja, wie wird das im Alltag deutlich? Leben Sie Disziplin und darüber hinaus auch noch andere Werte vor, die Ihnen wichtig sind? Und wenn ja, wie?
Selbstdisziplin ermöglicht es Kindern, ihre Ziele zu erreichen, ihre Fähigkeiten zu stärken und ihr Selbstvertrauen aufzubauen, was wiederum eine positive Wirkung auf ihr Wohlbefinden und später auch ihre schulischen und beruflichen Leistungen hat. Dabei spielt auch die Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft eine wichtige Rolle.
Anstrengungsbereitschaft und Erfolg sowie Lernfreude und Spaß an der eigenen Leistung hängen eng miteinander zusammen. Die Lernfreude und der Spaß sind im Allgemeinen gern gesehen, die Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft eher weniger, wirken sie doch eher wie ein Relikt aus den 1950er Jahren. Dabei zeigen uns schon Kleinstkinder auf, wie diszipliniert sie einen Turm immer wieder aufbauen, auch wenn er zum sechsten oder siebten Mal umfällt. Ihnen macht es einfach Freude, die Klötze immer wieder zu stapeln, so lange, bis sie endlich halten und der Turm steht. Denn jetzt, am Ende des Tuns, wartet das Wichtigste und Schönste – der Glücksmoment –, verbunden mit dem Stolz über die eigene Leistung, die spür- und sichtbar wird. Selbstwirksamkeit nennen es die einen, gelebte Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft die anderen, und wieder andere heben die Selbstdisziplin des kleinen Kindes hervor, das sich aus sich selbst heraus, also intrinsisch motiviert, mit den Klötzen beschäftigt und diese immer und immer wieder stapelt.
Doch warum hat die Disziplin dann in unserer Gesellschaft, in vielen Familien und manchmal auch in der Bildung, beispielsweise in der Schule, oft einen so schlechten Ruf ? Warum wird sie mit Gehorsam, Zucht und Ordnung gleichgesetzt und gerät dadurch in die »Schmuddelecke«? Dabei ist die Disziplin doch der Motor für Lern- und Bildungsprozesse, da sie sich aus der Anstrengungsbereitschaft, also der Lust sich anzustrengen, um Herausforderungen zu meistern, nährt.
Vergleicht man uns mit anderen Ländern, wird deutlich, dass dies nicht überall so gesehen wird und die Disziplin häufig einen ganz anderen Stellenwert hat. An dieser Stelle können wir verständlicherweise keinen umfassenden Vergleich weltweit ziehen, betrachten jedoch als kleinen Exkurs zu Beginn exemplarisch vier Länder aus verschiedenen Kontinenten, nämlich Singapur, Finnland, Deutschland und Japan. Jedes dieser Länder hat ein einzigartiges Bildungssystem, das seinen Kindern/Schülern unterschiedliche Lehransätze und Werte, darunter auch die Disziplin, vermittelt.
Singapur hat sich durch seine hervorragenden Ergebnisse in den PISA-Studien international einen Namen gemacht. Das Bildungssystem Singapurs legt einen starken Fokus auf die Grundlagen und eine hohe Lehrkräftequalität. Disziplin wird als fundamentaler Bestandteil betrachtet, um Schülern eine solide Grundausbildung zu vermitteln und sie auf komplexe Herausforderungen vorzubereiten. Das Land betont auch die Bedeutung der frühkindlichen Bildung und bietet gezielte Unterstützung für Kinder mit besonderen Bedürfnissen an. Elternbeteiligung wird gefördert, um eine ganzheitliche Unterstützung der Kinder zu gewährleisten.
Finnland hat ein innovatives Bildungssystem, das sich durch seine kreative und gleichzeitig disziplinierte Lernumgebung auszeichnet. In der Schule gibt es neben der eigentlichen Lehrperson oft mehr als zwei Lernunterstützer in einer Klasse. Zudem gibt es keine standardisierten Tests und keine formellen Noten bis zum Alter von 14 Jahren. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf intrinsischer Motivation, Selbstregulierung und sozialer Kompetenz. Lehrende in Finnland genießen einen hohen Status und haben viel pädagogische Freiheit, um den Unterricht individuell auf die Bedürfnisse der Lernenden abzustimmen. Disziplin wird hier eher als Fähigkeit zur Selbstregulierung und zur Zusammenarbeit mit anderen verstanden.
In Deutschland steht Disziplin mal mehr, mal weniger, je nach Bundesland, Kita- und Schulkonzept, im Vordergrund. Das Bildungssystem in Deutschland betont zudem die Rolle der Lehrkraft als Autoritätsperson und Wissensvermittler und hat daher klare Erwartungen an den »Output«. Auch hat man deutliche Vorstellungen mit Blick auf das Verhalten der Lernenden. In einigen Ländern Deutschlands liegt ein starker Fokus auf dem Erwerb von grundlegenden Kompetenzen, ähnlich wie in Singapur. In anderen Ländern gibt es eine stärkere Betonung der Selbstregulierung und individuellen Interessen der Lernenden, ähnlich wie in Finnland.
In Japan gibt es eine extrem ausgeprägte Kultur der Disziplin und des Respekts gegenüber Lehrkräften und Autoritätspersonen. Schüler lernen, pünktlich zu sein, Regeln zu befolgen und sich in der Gemeinschaft unterzuordnen und gleichsam zu engagieren. Individualität und persönliche Bedürfnisse und Interessen werden eher vernachlässigt. Das Bildungssystem betont vor allem das Memorieren und das Lernen von Fakten, was zu einem starken Fokus auf akademische Leistungen führt. Es gibt auch eine große Unterstützung für Lernende mit besonderen Bedürfnissen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften, Schülern und Eltern.
Obwohl diese Länder unterschiedliche Ansätze in Bezug auf Disziplin in der Bildung verfolgen, haben sie alle das gemeinsame Ziel, ihre Schüler auf einen erfolgreichen Lebensweg vorzubereiten. Die Erfolge Singapurs in den PISA-Studien zeigen, dass eine klare Struktur und hohe Erwartungen an die Lernenden zu herausragenden Ergebnissen führen können, ähnlich wie in Japan. Zu hinterfragen ist, ob die Kinder zu glücklichen Individuen heranreifen dürfen und vor allem sollen, oder ob der Fokus eher auf Unterordnung und Leistungserbringung liegt.
Der Weg Finnlands zeigt, dass eine auf intrinsischer Motivation basierende Bildung die Kreativität und das kritische Denken der Lernenden fördert und sich unterschiedlichste Talente herausbilden können. Japan sieht Disziplin als Grundlage für eine erfolgreiche Bildung und persönliche Entwicklung. Deutschland will eigenverantwortliches Lernen und kritisches Denken fördern, scheitert jedoch an oft schlechten Rahmenbedingungen, Fachkräftemangel und einem veralteten Schulsystem, welches die hohe Heterogenität der Schülerschaft nur wenig bis gar nicht beachtet, was auch durch die Ergebnisse in der PISA-Studie im Jahr 2023 mehr als deutlich wurde.
Mit Blick auf die letzten Jahre und vor allem auch auf andere Länder muss ein leistungsfähiges Bildungssystem finanziell gut aufgestellt sein, um vielfältige Lehr- und Förderansätze anbieten zu können. Es sollte sich darüber hinaus an den Stärken erfolgreicher Länder orientieren und effektive unterstützende Modelle adaptieren sowie einen breiten Methodenmix einbeziehen. Eine solide finanzielle Basis ist ebenfalls entscheidend, um Bildungseinrichtungen angemessen auszustatten und attraktive Arbeitsbedingungen für motivierte pädagogische Fachkräfte zu schaffen, damit diese in der Lage sind, neben fachlichen Inhalten auch essenzielle Schlüsselqualifikationen zu vermitteln. Weiterhin ist es von Bedeutung, dass Eltern, pädagogische Fachkräfte und Lehrpersonen die Rolle von Disziplin als Erfolgsfaktor für das Leben wieder anerkennen und von Beginn an Maßnahmen zur Förderung der Selbstregulierung und Disziplin bei Kindern unterstützen. Auch kann, wie gerade schon erwähnt, durch die Übernahme bewährter Praktiken aus anderen Ländern unser Bildungssystem fortlaufend verbessert und zukunftsorientierter gestaltet werden, um sicherzustellen, dass jedes Kind die bestmögliche Unterstützung erhält, um sein ganzes Potenzial entfalten zu können. Nur so erreichen wir eine echte Chancengerechtigkeit.
Mit Blick auf die Zukunft der Kinder und die damit verbundenen Herausforderungen, nicht nur in der Schule, sondern vor allem im gesamten späteren Leben, möchten wir dieses Buch nutzen, um allen Erziehungsverantwortlichen, Lehr- und Führungskräften, Ausbilderinnen und Berufsschullehrern sowie pädagogischen Fachkräften und Tagespflegepersonen Mut zu machen, die Disziplin neu zu entdecken, um den Kindern und Jugendlichen Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft wieder zuzumuten. Das Leben im Hier und Jetzt, vor allem aber in der Zukunft, wird viele neue Herausforderungen bereithalten. Es gilt, sich jetzt dafür zu wappnen. Doch welche Voraussetzungen sind notwendig, damit Kinder sich gern anstrengen, um erfüllt zu leben und glücklich zu werden? Denn je höher die Lernfreude und positive Einstellung zur Anstrengungsbereitschaft, desto besser wird auch meistens die Leistung der Kinder sein.
Schon seit vielen Jahren spielt sich ein pädagogisches Dilemma ab: »Die Erziehung in den noch bestehenden Familien verdient immer weniger den Namen Erziehung, denn sie wird nicht mehr von einem familienübergreifenden Konsens getragen; die einen erziehen ihre Kinder nach Grundsätzen, die anderen folgen den Launen der Zeit. Vor fünfzig Jahren konnte ein Beobachter noch einen gültigen Erziehungsstil der Gesellschaft und ein klares Menschenbild erkennen. Heute dominiert Individualität in der Erziehung – wie in der Gesellschaft insgesamt. Darüber hinaus verfällt die Familie zunehmend. Gleichgültigkeit und Beliebigkeit prägen den Erziehungsstil vieler ›Erziehungsberechtigter‹«, so Bernhard Bueb in seinem Buch »Lob der Disziplin – eine Streitschrift« (Bueb 2008, S. 125).
Inzwischen ist eine neue Elterngeneration herangewachsen, die es auch wie die Generationen davor gut machen will, jedoch häufig an Grenzen stößt und das Einfordern von Disziplin und Anstrengungsbereitschaft oft vernachlässigt oder bewusst vermeidet, um Konflikten mit den Kindern aus dem Weg zu gehen. Auch fehlt manchmal ein klarer Erziehungsstil, sodass aus vielen Kindern Jugendliche werden, die eine hohe Anspruchshaltung entwickeln und die eigene Individualität und die damit verbundene Bedürfnisbefriedigung über alles stellen. Ein Konzept von Selbstdisziplin besitzen viele nur schwach ausgeprägt bis gar nicht.
Disziplin beginnt immer fremdbestimmt und sollte selbstbestimmt enden, so Bernhard Bueb (2008). Doch ist das immer so? Und wenn ja, wie kann man ein Konzept dafür entwickeln, wenn die Disziplin verpönt ist und die Forderung nach Anstrengungsbereitschaft in der Erziehung von Kindern nicht mehr vorkommt? In diesem Buch widmen wir uns facettenreich der Disziplin, Selbstdisziplin und Anstrengungsbereitschaft und laden alle an Erziehung Interessierte ein, sich mit unseren Impulsen, Ideen, Thesen, Tipps und vor allem Reflexionsfragen auseinanderzusetzen. Wir wünschen Ihnen viele »Aha«-Erlebnisse.
Ihre Ursula Günster-Schöning und Isabella Gölles
1https://psychologie-einfach.de/beste-zitate-disziplin/ [letzter Aufruf: 21.05.2024].
Dieses Buch ist als Impulsbuch und Reflexionshilfe konzipiert, um die Bedeutung von (Selbst-)Disziplin als zentrale Zukunftskompetenz hervorzuheben und sie wieder verstärkt in den Fokus pädagogischer Arbeit zu rücken. Die Entwicklung der Persönlichkeitsmerkmale »Willensstärke« oder »Selbstdisziplin« geschieht nicht zufällig. Eltern, Erzieher und Lehrkräfte spielen eine entscheidende Rolle dabei, den Kindern auf ihrem Weg in die Zukunft zu ermöglichen, diese essenziellen Fähigkeiten zu entwickeln.
Im ersten Abschnitt widmen wir uns dem Konzept der Disziplin und ihrer historischen Entwicklung. Wir betrachten Disziplin aus einer übergeordneten Perspektive und diskutieren die damit einhergehenden Werte. Hierbei wird Disziplin als Grundstein für einen erfolgreichen Lebenspfad thematisiert.
Der zweite Abschnitt betrachtet Disziplin in verschiedenen Bereichen, wie zum Beispiel in der Resilienzentwicklung, im Gesundheitswesen und in Bezug auf Effizienz. Wir erforschen die Verbindung von Disziplin mit positiver Aggression und deren Rolle als Antriebskraft für das Selbstwertgefühl. Es geht um die Bedeutung von Bereitschaft zur Anstrengung, Fleiß, Stärke, Mut, Willenskraft und den Umgang mit Rückschlägen.
Im dritten Abschnitt fokussieren wir uns darauf, wie Disziplin auf positive Weise in unser Leben integriert werden kann. Wir möchten aufzeigen, wie und wann die Fähigkeit zur Anstrengung erlernt wird und inwiefern die Pädagogik dabei Anregungen aus dem Bereich des Leistungssports aufnehmen könnte. Disziplin als alltäglicher Wert und Schlüsselkompetenz für die Zukunft steht hier im Mittelpunkt.
Obwohl wir empfehlen, das Buch von Anfang bis Ende zu lesen, steht es Ihnen frei, an jedem Punkt, der Ihr Interesse weckt, zu beginnen. Wir haben uns bemüht, die Inhalte praxisnah zu gestalten, um Motivation für die Auseinandersetzung mit den Reflexionsfragen zu schaffen. Die Beschäftigung mit dem Buchinhalt allein kann bereits viel Wissen vermitteln, besonders für unerfahrene Praktiker. Dennoch ermutigen wir alle, sich aktiv mit den Reflexionsfragen auseinanderzusetzen und den Dialog mit Kollegen, Eltern oder anderen Erziehungsinteressierten zu suchen.
An manchen Stellen im Buch werden Sie dazu aufgefordert, sich kritisch mit den Inhalten zu befassen, indem Sie Ihre Ansichten zu bestimmten Themen notieren sollen. Diese Aufforderungen dienen der Reflexion und sollen zeigen, dass kritisches Hinterfragen ein normaler Prozess ist. Ziel ist es, eine persönliche Haltung zu den Themen zu entwickeln, um fundierte Standpunkte zu verschiedenen Aussagen und Ideen zu haben. Unsere Haltung beeinflusst unser Handeln – es ist daher wichtig, die eigene Haltung regelmäßig zu reflektieren und mit der von Kollegen und anderen Personen im Bildungswesen abzugleichen.
Dieses Buch ist für Menschen, die führen, erziehen oder Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg begleiten (wollen), geschrieben. Für Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen leben, mit ihnen lernen oder sie unterrichten, die sich und andere inspirieren oder sich weiterentwickeln möchten. Für Menschen, die sich auf den Weg machen wollen, um pädagogische Fachkraft in einer Kita zu werden, als Lehrperson in einer Schule zu arbeiten oder als Führungskraft tätig zu werden oder es schon sind.
Dieses Buch geht weit über traditionelle Vorstellungen von Disziplin hinaus und zeigt, wie sie in der heutigen schnelllebigen Welt eine unverzichtbare Fähigkeit für persönliches Wachstum und Erfolg darstellt. Es ist eine Einladung an all jene, die in einer Zeit voller Ablenkungen und ständigen Wandels nicht nur überleben, sondern wirklich florieren möchten. Durch Reflexionsfragen, Fallbeispiele und inspirierende Geschichten wird Ihnen gezeigt, wie Sie Disziplin nutzen können, um Kindern und Jugendlichen gelingendes Aufwachsen zu ermöglichen, damit sie als Erwachsene ihre Ziele erreichen, ihre Träume verwirklichen und eine tiefere Zufriedenheit in ihrem Leben und ihrer Arbeit finden können. »Disziplin – Schlüsselkompetenz des einundzwanzigsten Jahrhunderts« ist nicht nur ein Buch; es ist ein Wegweiser für jeden, der bereit ist, seine Grenzen zu erweitern und sein volles Potenzial zu entfalten.
Um Leserinnen und Leser gleichermaßen anzusprechen, werden zwei Formen einer geschlechtergerechten Sprache angewendet: Entweder werden beide Geschlechter mit Doppelpunkt genannt oder es erfolgt eine durchmischte Nennung (Randomisierung), in der einmal die weibliche, ein anderes Mal die männliche Form gebraucht wird. Neutrale Begriffe wie Eltern, pädagogische Fachkräfte, Lehrkräfte, Schulleitung, Kinder, Jugendliche bezeichnen keine konkrete Person und werden daher ohne Differenzierung der Geschlechter verwendet.
Wir haben dieses Buch als ein Impuls- und Reflexionsbuch gestaltet, daher finden Sie in verschiedenen Kapiteln bestimmte Icons:
Der Kopf weist darauf hin, dass nun Reflexionsfragen kommen. Sie sind dazu eingeladen, diese zu beantworten oder darüber nachzudenken.
Der Stift lädt Sie in dem jeweiligen Kapitel ein, eigene Gedanken oder Ideen zu notieren und sich kritisch mit dem vorangegangenen Inhalt auseinanderzusetzen.
Tipps, Ideen und Ratschläge, die wir für Sie zusammengestellt haben: Dafür steht das Kinder-Icon.
Die Gesprächsrunde steht für ein Praxisbeispiel, welches wir exemplarisch eingefügt haben, um das Beschriebene zu verdeutlichen.
Die Sprechblase steht für ein Statement einer interviewten Person.
Abb. 1: Domino-Steine
»Der Unterschied zwischen dem, was du hast, und dem, was du gerne hättest, nennt sich Disziplin.«
Marianne Weit2
2https://psychologie-einfach.de/beste-zitate-disziplin/ [letzter Aufruf: 21.05.2024].
Disziplin, die
SUBSTANTIV, FEMININ
A: das Einhalten von bestimmten Vorschriften, vorgeschriebenen Verhaltensregeln o. Ä.; das Sich-Einfügen in die Ordnung einer Gruppe, einer Gemeinschaft;
B: das Beherrschen des eigenen Willens, der eigenen Gefühle und Neigungen, um etwas zu erreichen.3
Andere Wörter für Disziplin: Beherrschtheit, Beherrschung, Kontrolle, Selbstbeherrschung, Selbstdisziplin, Selbstkontrolle, Ordnung, Zucht (veraltet).4
Der Begriff »Disziplin« stammt von dem lateinischen Wort disciplina, was ursprünglich Unterweisung oder Lehre bedeutete. Das Wort ist eng verwandt mit discipulus, dem lateinischen Wort für Schüler oder Lernender, was darauf hinweist, dass die ursprüngliche Bedeutung von Disziplin stark mit dem Prozess des Lernens und der Bildung verknüpft war. Disciplina bezog sich also auf die Lehre und die Praktiken, durch die Wissen und Fähigkeiten von einer Generation zur nächsten übertragen wurden, sowie auf die Ordnung und Regeln, die diesem Prozess zugrunde lagen und ihn strukturierten.
Mit der Zeit hat sich die Bedeutung von Disziplin erweitert und umfasst nun auch die Konzepte von Ordnung, Kontrolle, Regulierung und Selbstbeherrschung. Diese Entwicklung spiegelt die historische Ausweitung des Begriffs von einem engen Fokus auf Bildung und Lehre hin zu einem breiteren Verständnis, das die Selbstregulierung und das Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen einschließt. Trotz dieser Erweiterung bleibt der Kerngedanke der Disziplin als Mittel zur Strukturierung und Verbesserung des menschlichen Verhaltens und somit Lebens und zur Förderung des Lernens und persönlichen Wachstums bestehen. Die etymologische Wurzel des Wortes betont die Bedeutung von Lernen und Entwicklung als zentrale Aspekte der Disziplin.
Disziplin ist somit ein vielschichtiger Begriff, der in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Im Allgemeinen bezieht sich Disziplin auf die Praxis der Selbstkontrolle, die es Individuen ermöglicht, ihre Gedanken, Gefühle und Handlungen zu regulieren, um bestimmte Ziele oder Standards zu erreichen. Sie ist sowohl ein individuelles als auch ein kollektives Phänomen, das in Bildungseinrichtungen, an Arbeitsplätzen und bekannterweise auch in militärischen Organisationen eine zentrale Rolle spielt.
Historisch gesehen hat sich das Konzept der Disziplin parallel zum Fortschritt menschlicher Gesellschaften entwickelt. In der Antike wurde Disziplin oft mit der Ausbildung von Soldaten assoziiert, wobei der Schwerpunkt auf körperlicher Fitness, Ordnung und Gehorsam lag. Mit der Zeit erweiterte sich die Bedeutung des Begriffs auf die Erziehung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen, wobei der Fokus auf der Vermittlung von Werten, Moral und Wissen lag. Auf Seite 44 gehen wir vertiefend auf die Historie des Begriffs ein, denn es lohnt sich zu lesen, wie er sich im Laufe der Zeit verändert hat.
Heute wird Disziplin in einem breiteren Sinne verstanden und umfasst die Fähigkeit eines Individuums, Impulse zu kontrollieren, Ausdauer zu zeigen und sich an soziale und allgemeingültige Normen zu halten. In pädagogischen Kontexten wird Disziplin oft als wesentlicher Bestandteil des Lernprozesses angesehen, da sie Kinder und vor allem Schüler und Jugendliche dazu befähigt, Aufmerksamkeit zu fokussieren, Lernziele zu verfolgen und erfolgreich Wissen und Fähigkeiten zu erwerben.
Die soziologische Perspektive auf Disziplin wurde maßgeblich von Michel Foucault geprägt, der in seinem Werk »Überwachen und Strafen« die Entwicklung der Disziplinargesellschaft und die Mechanismen der Macht, die durch Disziplin ausgeübt werden, untersucht. Foucault (1975) argumentiert, dass Disziplin in modernen Gesellschaften nicht nur durch direkte Kontrolle und Bestrafung, sondern auch durch subtilere Formen der Überwachung und Selbstregulierung wirkt.
In der Psychologie wird Disziplin oft im Zusammenhang mit Konzepten wie Selbstregulierung, Willenskraft und Motivation untersucht. Forschungen in diesem Bereich zeigen, dass Disziplin eng mit Erfolg in verschiedenen Lebensbereichen verbunden ist und durch verschiedene Techniken und Strategien gefördert werden kann (Foucault 1975).
Auch lässt sich Disziplin in zwei Hauptkategorien unterteilen: intrinsische und extrinsische Disziplin. Diese Unterteilung erweitert unser Verständnis darüber, wie Disziplin individuell und kollektiv motiviert und aufrechterhalten wird.
bezieht sich auf die Selbstmotivation und Selbstregulierung, die von inneren Werten, Interessen und Zielen einer Person angetrieben wird. Diese Form der Disziplin entsteht aus dem persönlichen Wunsch heraus, bestimmte Fähigkeiten zu entwickeln, Wissen zu erwerben oder Ziele zu erreichen, unabhängig von externen Anreizen oder Bestrafungen. Personen mit hoher intrinsischer Disziplin finden oft in der Aufgabe selbst oder in der persönlichen Befriedigung, die sie aus der Ausführung der Aufgabe ziehen, eine Belohnung. Die Forschung zeigt, dass intrinsisch motivierte Menschen tendenziell eine höhere Ausdauer haben, kreativer sind und langfristig erfolgreichere Lernergebnisse erzielen.
hingegen wird durch äußere Anreize wie Belohnungen, Strafen oder den Druck von sozialen Gruppen oder Autoritäten gefördert. Diese Form der Disziplin ist oft mit der Einhaltung von Regeln und dem Streben nach Anerkennung oder Vermeidung von negativen Konsequenzen verbunden. Obwohl extrinsische Motivatoren effektiv sein können, um kurzfristige Ziele zu erreichen oder grundlegende Verhaltensnormen zu etablieren, argumentieren viele Expert:innen, dass eine übermäßige Abhängigkeit von extrinsischen Anreizen die Entwicklung der intrinsischen Motivation behindern und die Langzeitwirkung auf die Selbstregulierung und das Engagement eines Menschen einschränken kann. Dies ist auch im Kontext der Erziehung ein wichtiger und relevanter Faktor.
Die Balance zwischen intrinsischer und extrinsischer Disziplin ist entscheidend für die effektive Entwicklung und Aufrechterhaltung von diszipliniertem Verhalten.
In Kindertagesstätten und Schulen wird zunehmend versucht, Lernumgebungen zu schaffen, die intrinsische Motivation fördern, indem Interessen und Stärken der Kinder und Schülerinnen sowie Jugendlichen berücksichtigt, Autonomie unterstützt und sinnvolle, relevante Lernerfahrungen ermöglicht werden. Gleichzeitig können angemessene extrinsische Anreize wie z. B. Verstärkerpläne, Selbstlernhilfen, Buddy-Systeme, Wenn-Dann-Absprachen oder Ermutigungschecklisten dazu beitragen, Engagement zu initiieren oder zu erhalten, besonders in Phasen, in denen die intrinsische Motivation allein nicht ausreicht.
Zusammenfassend können wir sagen, dass sowohl intrinsische als auch extrinsische Disziplin wichtige Rollen in der Entwicklung und Aufrechterhaltung von (selbst-)diszipliniertem Verhalten spielen. Die Kunst liegt wie so oft darin, ein Gleichgewicht zu finden, das Individuen nicht nur dazu bringt, den Anforderungen des Augenblicks gerecht zu werden, sondern sie auch dazu befähigt, ihre persönlichen und beruflichen Ziele aus eigenem Antrieb zu verfolgen und zu erreichen.
Reflexionsfragen:
–Was bedeutet für Sie Disziplin?
–Wie würden Sie den Begriff definieren bzw. erklären?
–Wie bewerten Sie die intrinsische oder extrinsische Disziplin in Ihrem Leben? Sind die Anteile ausgeglichen oder dominiert ein Bereich?
–Welche schwierigen Situationen oder Herausforderungen haben Sie schon in Ihrem Leben gemeistert? War eine der beiden Kategorien (intrinsische/extrinsische Disziplin) dabei hilfreich? Wenn ja, welche und warum?
3https://www.duden.de/rechtschreibung/Disziplin [letzter Aufruf: 07.08.2023].
4Ebd.